James
4. MAI 1992
9:00 UHR
1 Alles hat gebrannt in Unserer Lieben Frau der Königin der Engel. Sogar Menschen. So ein Camper, den haben sie gestern im Schlaf angesteckt, und das überlebst du nicht. Scheiße noch mal, ganz bestimmt nicht. Da gibst du den Geist auf. Gehst schnurstracks in den Himmel.
Gestern hab ich den Rauch aufsteigen sehen. Eine Brücke weiter nördlich, aber auf meiner Uferseite. Ich wusste bloß noch nicht, dass es sein Rauch war. Der ist aufgestiegen, gleich nachdem zwei schwarze Transporter durchs Flussbett gefahren sind, als ob es ihnen gehört. Direkt an meiner Röhre vorbei. Groß und schnell, aber zu leise für die Größe. Als ich die gesehen habe, da hab ich mein Zeichen für himmlischen Schutz gemacht und mich zweimal rumgedreht. Das hilft.
Wenn ich mich in meiner Röhre eingerichtet hab, zieh ich normalerweise den Vorhang zu. Dafür hab ich sogar eine Stange und alles. Einen Stuhl hab ich auch. Jedenfalls zieh ich den Vorhang zu, und dann kann die Welt mich nicht mehr sehen, nicht mal die Züge am anderen Ufer. Der lässt mich verschwinden. Aber an dem Tag hab ich ihn nicht zugezogen, weil ich Rauch gesehen habe. Ich wusste bloß nicht gleich, was es ist.
Da sagt Unsere Liebe Frau: Du wusstest, was es war.
Und ich schreie sie an. Ich sage ihr, dass ich nicht gewusst hab, was es war, bis ich hingegangen bin und er als kleines schwarzes Skelett auf seiner Schlafrolle gelegen hat. Ich hab auch gerochen, dass die Erde von Benzin getränkt war, und am meisten weh getan hat mir, dass die anderen Camper seine Sachen unter sich aufteilten. Er hieß Terry. Nachnamen weiß ich nicht. Bloß Terry. Ich hab seine Knochen angestarrt, und die anderen Camper haben sich seinen letzten brauchbaren Besitz geschnappt. Haben vorher nicht mal seiner Seele die letzte Ehre erwiesen. Verfluchte Hurensöhne. Haben ihn komplett gefleddert. Der Hund, um den er sich gekümmert hat: weg. Die gute Hose, die am Zaun hing: weg. Jeder Mensch auf der Welt will dir was klauen oder dich fertigmachen und immer nur nehmen und nehmen.
Ich hab rumgefragt, wie Terry gestorben ist, und die einfache Antwort gekriegt. Puppet war’s. Ich hab gefragt, woher wir das wissen, und die Antwort war, weil wir es wissen. Camper kennen Gesichter. Camper reden. Wir finden Sachen raus, wenn wir wollen. Und die Camper wissen, dass ein Mann, der sich Puppet nennt, mit einem Benzinkanister ins Camp gekommen ist und den dann über dem alten Terry ausgeschüttet und ihn angesteckt hat. Kein Mensch weiß warum.
Als ich das gehört hab, da hab ich es Unserer Lieben Frau aber gegeben. Du bist eine verfluchte schwarze Stadt!, hab ich zu ihr gesagt. Eine schwarze Stadt mit einem schwarzen Herzen und schwarzer Asche, die über deine schwarzen Asphaltstraßen weht. Das warst du schon immer. Das bist du heute. Und das wirst du immer sein. Und das einzig Gute an dir ist dein Fluss.
Und sie hat geantwortet: Das ist nicht wahr.
Da hab ich sie noch mehr angeschrien. Dass sie mir nicht sagen kann, was ich fühlen soll, wenn ich neben der Asche eines Toten stehe, den jemand ohne Grund angezündet hat, während die anderen Camper seine Sachen fleddern und damit abziehen, ohne auch nur ein gutes Wort für ihn zu haben.
Camper sollen was Besseres sein als Penner. Ich mag das Wort Penner nicht, und Obdachlose genauso wenig. Die beschreiben nicht, wie wir leben. Keins dieser Wörter sagt, was wir tun, bloß Camper, weil wir nämlich campen. Wir mögen den Himmel so gern, dass wir ihn jede Nacht sehen wollen. Wir sperren uns nicht selbst irgendwo ein. Wir sind frei! Und wir leben im Land der Freien! Wir müssen spüren, wo wir sind, hier in der Stadt der Elemente.
Das stimmt wirklich: Unsere Liebe Frau hat Feuer – die Waldbrände. Luft – die Winde von Santa Ana. Wasser sowieso – das Meer vor der Tür; und die Erde hier ist immer kurz vorm Beben. Bei so einem Zustand muss man ab und zu das Schlechte aus der Stadt kehren. Muss man, sonst sammelt es sich an.
Da unterbricht sie mich, wie sie das manchmal tut, und fragt: Muss ich?
Ja, musst du, antworte ich ihr. Das ist natürlich.
Danach ist sie still, aber dass sie nichts sagt, heißt nicht, dass sie nicht bei mir ist. Sie folgt mir überallhin, drängelt sich ständig mit Fragen in meinen Kopf. So wie jetzt, wo ich mit Hunger im Bauch die Straße langlaufe, die Imperial Highway heißt, obwohl sie überhaupt nicht nach Imperium aussieht, kein Glanz, keine Pracht.
Am besten lernt man sie auf seinen eigenen zwei Beinen kennen. Du musst Unsere Liebe Frau auf Augenhöhe haben. Ihre Hitze unter den Fußsohlen spüren. Du musst sie einatmen, sie riechen. Ihre verfluchten Atome aufnehmen und zu einem Teil von dir machen. Das geht nirgendwo besser als am Fluss. Du kannst stundenlang durch sein Bett laufen und alles finden, was du brauchst. Und ich weiß Bescheid.
Ich hab mein ganzes Leben an Flüssen verbracht. Am Mississippi. Am Colorado. Am Mekong. Flüsse beschützen mich. Machen mich sicher. Ich fühle mich nicht gut, wenn ich keinen in der Nähe habe. Dann kann ich mich nicht konzentrieren. Ich verlier meine Mitte und mache schlimme Sachen wie Saufen. Aber nicht hier an ihrem Fluss. Ihr Fluss ist uralt. Als Unsere Liebe Frau noch ein winzig kleines pueblo auf einem Erdhügel war, da wussten die Mex-Indianer schon, dass der Arroyo Seco ein heiliger Quell der Kraft ist, aus dem ein so mächtiger Geist sprudelt, dass eines Tages eine verflucht große Stadt mit viel zu vielen Menschen drin daraus wachsen würde. So mächtig ist der Fluss. Er hat etwas zur Welt gebracht.
Und dieses Etwas ist jetzt ein Teenager, lebendig und wütend, reißt sich selbst in Stücke. Fast überall hab ich Feuer gesehen, rot blinkende Feuerwehrwagen rasen auf den schwarzen Straßen hin und her. Ich hab nicht bloß Terry gesehen. Ich hab auch eine Leiche fast ohne Gesicht auf der Straße liegen sehen, sogar ein Ohr fehlte. Ich hab brennende Lastwagen gesehen, brennende Gebäude, auch ein Wohnhaus, das die ganze Umgebung in Brand gesteckt hätte, wenn die Nachbarn nicht ihre eigenen Dächer mit Schläuchen bespritzt hätten. Zeigt aber auch, was sie von dem einen Haus gehalten haben.
Ich sage zu den Stadtleuten, wenn ich das sehe, was ich sehe, dann sage ich: Ich hab gesehen, wie die Stadt sich in Stücken in den Himmel hebt.
Genau das tut das Feuer nämlich. Es hebt auf. Die schönste und hässlichste mathematische Gleichung aller Zeiten. Stadtbrände sind die schlimmsten, weil sie mehr aufheben, mehr wegnehmen, als sie sollten. Stadtfeuer schert sich nicht. Es bestraft alle. Es trifft auch die Unschuldigen wie Terry. So gierig ist das Stadtfeuer. Aber es ist eben Feuer, nichts als Feuer. Es muss einfach alles so weit wie möglich auf null stellen, darum verbrennt es alles zu kleinsten Teilchen. Die der Wind wegtragen kann. Das sind die Überreste. Aber die können wir kaum sehen, außer sie stecken alle zusammen in einer Rauchsäule. So fügen sich die kleinsten Teile zusammen, versteht ihr? Eine große, schwarze Tatsache.