Abejundio Orellana
alias Momo
1. MAI 1992
16:22 UHR
1 ¡Puchica! Ich hätte Cecilia niemals vertrauen dürfen. Als ich auf die Überreste meines abgebrannten Hauses starre, wird mir klar, ich stecke zwischen Hammer und Amboss, und zwar gleich doppelt. Gibt nur zwei Auswege, auf den Friedhof oder ab durch die Mitte, weil auf irgendeine Seite werde ich mich ganz bestimmt nicht schlagen. Ich muss jetzt cool wie Eiswasser sein. Aber ehrlich gesagt schwitze ich wie irre. Diese ganze Randale ist echt schlecht getimt.
Hammer Nr. 1: Der Motherfucker namens Trouble und zwanzig von seinen wütenden Homeboys sind hinter mir auf dem Bürgersteig versammelt, alle bewaffnet, alle suchen nur nach einem Vorwand, irgendwem irgendwas zu tun, vor allem mir. Wenn ihnen nicht gefällt, was ich hier finde, wenn es in ihren Augen nicht meine Unschuld beweist, legen sie mich um.
Hammer Nr. 2: Die Sheriffs haben mich wegen Drogenbesitz eingebuchtet, als ich vor sieben Wochen was durch Hawaiian Gardens transportiert habe, aber so ein Detective aus dem Morddezernat kam reingeschneit und hat mir einen Rettungsring hingeworfen: Er meinte, die Drogen wären ihm scheißegal, wenn ich was über Morde wüsste und ihm Namen liefern würde, und so wurde ich ein Spitzel des Sheriff-Departments von Los Angeles. Wenn Trouble das wüsste, Scheiße, wenn irgendein Homeboy das wüsste, selbst von meiner eigenen Crew, dann hätte ich längst ein frisches Loch im Hinterkopf. Aber bisher ist alles gutgegangen. Ich atme noch.
Und trample in der Asche rum. Das ist der Amboss; darin mache ich grade meine guten Stiefel dreckig, die aus Schlangenleder, beim Versuch, die Überreste meines Schlafzimmers zu finden, auf dem Scheißgrundstück, wo mein eines anständiges Haus gestanden hat. Das hier heißt vor allem, dass ich jemandem was heimzahlen muss, wo ich doch eigentlich vorhatte, auszusteigen, das Angebot des Sergeant anzunehmen, woanders hinzuziehen.
Aber jetzt geht das nicht mehr. Jetzt muss ich mich aus der ersten Klemme winden: muss Trouble beweisen, dass ich nichts mit der Knarre zu tun hatte, und das heißt, ich muss den Safe finden. Im Moment versuche ich, den Grundriss zu raten, da sind nämlich ein paar Rohre und Reste von Kacheln, wo mal das Badezimmer war, aber nicht mal die Wände sind mehr zu erkennen, das war echt ein billiger Scheißbau. Ich bin ungefähr da rein, wo die Haustür mal war, aber jetzt liegt da bloß noch das geschmolzene Gitter der Sicherheitstür. Im Kopf rechne ich aus, dass es ungefähr zehn Schritt bis zum Schlafzimmer sind, die mache ich also, schwenke dann nach rechts, als ich am Boden die offene Tür meines Heimlager-Safes sehe. Mann, da entspanne ich mich doch ein bisschen. Ich atme auf, denn das hat mir gerade den Arsch gerettet.
Im Kopf bedanke ich mich bei den Dieben dafür, weil die Arschlöcher immerhin meine Aussage stützen, indem sie die Safetür nicht wieder zugemacht haben. So ein offener Safe ist eben ein ausgeraubter Safe. Mein Waffensafe ist allerdings fest zu, darum glaube ich zu wissen, was passiert ist.
Die das getan haben, sind am Mittwoch hergekommen, Cecilia hat sie reingelassen, die haben sie kaltgestellt oder aus dem Weg geschafft, oder sie steckte mit drin, und dann haben sie den Waffensafe ausgeräumt. Den Inhalt haben sie Fate gebracht und sich dafür bezahlen lassen, dann haben sie vielleicht das Haus im Auge behalten, und als sie merkten, ich komme nicht gleich angerannt, haben sie sich gedacht, sie kommen damit durch, können noch mal wiederkommen, und Cecilia hat sie wieder reingelassen, und dann kam Teil zwei. Mein Heimlager wurde ausgenommen, und dann haben sie das Haus eingeäschert, aber gründlich.
Das wichtige Detail für Trouble ist jetzt, dass der Waffensafe zwar vielleicht zu, der andere aber offen ist. Darum ist er überzeugt, dass jemand meinen Scheiß mitgehen lassen und dann das Haus abgefackelt hat, um den Diebstahl zu vertuschen, denn jetzt hält er sich für Sherlock Homeboy. Er weiß eben nicht, dass dieser Titel schon Fates Jungen Clever gehört. Und das ist der Motherfucker auch. Clever wie nur was.
«Sie haben dich also wirklich abgezogen», sagt Trouble und schaut sich um, als würde er einen Tatort untersuchen. Aber in Wirklichkeit will dieses zähe Arschloch mit den tätowierten Buchstaben statt Augenbrauen mir total macho kommen und sagen, was ich denken soll. Schon richtig, der Wichser ist hart, aber nicht so hart wie Big Fate. Er lässt sich von seiner Bitch jeden Tag den Schädel rasieren und Hemd und Shorts stärken. Das erzählt er allen, sogar denen, die es gar nicht wissen wollen. So einer ist Trouble. Schon tough, aber es gefällt ihm fast genauso sehr, tough zu tun wie tough zu sein.
«Hast wohl doch die Wahrheit gesagt», meint er. «Gut für dich.»
Seine Homeboys in Hörweite grinsen ein bisschen darüber, versuchen es aber zu verbergen. Ich stecke zwar im Augenblick in der Scheiße, aber mit mir macht man trotzdem keine Witze. Wäre alles irgendwie normal, würde Trouble respektvoll mit mir reden. Dann fragt er anständig um Hilfe und kriegt sie auch. Aber nicht jetzt. Sein Bruder ist tot. Die Stadt brennt. Im Augenblick geht ihm das anständige Fragen am Arsch vorbei. Er nimmt sich einfach, was er will. Er weiß, jetzt geht es nur darum, wie viele Männer du hast.
Ich habe eine Crew von acht Mann, die meine Geschäfte erledigen, und Schutz von oben, aber der Schutz greift nicht sofort, der steht nicht vor meiner Tür und schreckt Leute ab, und im Moment hat Trouble eine clica von fast hundert hinter sich. Wenn ich meine Karten nicht richtig spiele, löscht er mich aus. Verrückt genug ist er. Aber er braucht mich auch. Und er spielt die eine Karte, die er hat: Sagt, dass Fate mich linken wollte, als er meine Knarre klauen und dann auf Joker und die ganze Party abfeuern ließ. Nach seiner Logik hat Fate meine Pistole absichtlich klauen lassen, damit Trouble denkt, ich würde ihnen helfen, und dann wütend nach mir sucht und mich umlegt.
Das Komische ist, wenn es wirklich so war, hat es beinahe geklappt. Diese Payasa hat meine Knarre bei der Party in den Garten geworfen. Einer von Troubles Junkiefreunden hat sie als meine erkannt, weil der Griff mit weißem Tape umwickelt war. Als sie also alles andere erledigt hatten, Leute ins Krankenhaus gebracht und sich gesammelt, haben sie nach mir gesucht. Über meinen Pager war ich nicht erreichbar, das fanden sie verdächtig, aber ich dachte mir: Woher soll ich wissen, dass sie mich nicht ausrauben oder in die Falle locken wollen?
Hat eine Weile gedauert, bis sie mich in meinem Lager erwischt haben, die Adresse setze ich ja nicht gerade in die Zeitung, aber als sie dann da waren, haben sie auch gleich ganz hart gespielt und gesagt, ich muss einen Ausflug mit ihnen machen. War kein richtiges Kidnapping, ich musste selbst fahren, aber eigentlich doch. Musste mir schon den Mund fusselig reden, um überhaupt so weit zu kommen und jetzt vor dem ersten Haus zu stehen, das ich je gekauft habe. In das ich irgendwann mal meine Tanten aus El Salvador nachziehen lassen wollte. Jetzt steht davon nur noch der Schornstein. Was für ein Scheiß.
Ich will nicht lügen. Ich habe vom Feuer gehört, kaum dass es passiert war, aber ich dachte mir, was soll ich da hinfahren? Wenn es verbrannt ist, ist es verbrannt. Hat doch keinen Sinn, meinen Arsch ins Auto zu schwingen und hinzufahren, bloß um mir den Aschehaufen anzugucken. Und woher sollte ich außerdem wissen, dass mich nicht irgendwer aus meinem Hauptlager wegzulocken versucht, um das dann abzuziehen? Konnte ich nicht wissen. Also blieb ich da. Aber Scheiße, hab ich mich aufgeregt.
Als ich davon gehört habe, war mein erster Gedanke: Cecilia sollte besser bis auf die Knochen verbrannt sein, sonst steche ich sie ab. Wenn sie nämlich nicht tot ist und die Eingangstür nicht mit Brecheisen oder Schrotflinte oder sonst wie geknackt wurde, dann war sie das. Und wenn du so was bringst, dann zahlst du dafür.
«Sie haben dich gefickt, esé», sagt Trouble. «Regt dich das nicht auf?»
Ich war schon mit einem Bein raus aus diesem Leben, darum, ganz ehrlich: Nein. Erstens ist Aufregen sowieso sinnlos, aber zweitens bewundere ich den Scheiß. Das war eiskalt und abgezockt. Ob sie wussten, dass es meine Knarre war, oder nicht, das war echt abgezockt. Am wahrscheinlichsten ist, sie haben einfach verbreitet, dass sie eine Waffe brauchen, und einer meiner abgefuckten Kunden hat halt gewusst, dass ich woanders war, und zugeschlagen.
«Ich rege mich nicht auf», sage ich, «ich rechne ab.»
Das hört Trouble gern. «Scheiße, Homie, das gefällt mir schon besser!»
Trouble weiß allerdings nicht, dass ich ihm und seiner clica genau das erzähle, was sie hören wollen. Wichtig ist, dass sie das nicht merken. Dass sie denken, ich bin bei ihnen, obwohl ich mich niemals auf eine Seite schlagen würde. Ich habe nur deshalb so lange überlebt, weil ich nie Partei ergriffen habe, es sei denn, es war zu meinem Nutzen. Aber diese Zeiten sind vermutlich vorbei. So wie Trouble sich aufführt, muss ich früher oder später Farbe bekennen.
Aber wisst ihr, was mich echt aufregt? Wie die Sache gelaufen ist. Trouble dreht total am Rad, seit er rausgefunden hat, dass mit meiner Knarre Joker, noch zwei Homies und ein Mädchen erschossen wurden. Und als zwei von seinen Homies die Gangster verfolgt haben, haben sie es noch mit der Schrotflinte gekriegt. Einer hat überlebt, der andere nicht. Joker hat einen allegemacht, der kein bisschen drin war, und wie hoch war am Ende der Preis? Fünf Leichen. Wenn ihr mich fragt, haben sie gekriegt, was sie verdienen, aber mich fragt ja keiner. Und wenn sie weitermachen, könnte es nächstes Mal noch schlimmer werden, aber das kommt ihnen gar nicht in den Sinn.
Trouble faselt schon davon, wie sie sich inzwischen alle wieder gesammelt haben, einen Pfandleiher überfallen und ein paar Knarren erbeutet haben, und dass sie aber noch mehr brauchen, bevor sie zurückschlagen. Dafür brauchen sie mich, erzählt er seinen Homies. Connections. Sie grinsen alle und nicken.
Aber was sie sich da ausdenken, ist total dämlich. Sie denken nämlich gar nicht drüber nach, wie es Joker erwischt hat. Das war ein absolut genialer Gangmord, geplant von jemandem, der was davon versteht, der genau wusste, wie die Leute unter den Umständen reagieren würden. Fast schon eine Militäraktion. Als ich davon gehört habe, war mein erster Gedanke, das kann nur Fate gewesen sein, und da hab ich nicht falsch gelegen.
Aber jetzt kommt das echte Problem, weshalb Trouble für keinen Cent mehr geradeaus denkt: Als er noch atmete, war Joker Troubles kleiner Bruder. Von seinem Blut. Und beide waren die Brüder des Mädchens, das Lil Mosco auf diesem Clubparkplatz erschossen hat. Jetzt ist Trouble ein Einzelkind, und seiner Meinung nach liegt das nur an Fates Crew, und das wird er ihnen heimzahlen. So ein persönlicher Scheiß ist das Schlimmste überhaupt. Trübt dein Urteil. Macht dich aber auch gefährlich. Trouble scheißt auf morgen, lebt nur noch im Jetzt, und um es ihnen heimzuzahlen, wird er tun, was nötig ist.
Versteht mich nicht falsch. Trouble ist irre und voll bei der Sache, aber das reicht eben nicht. Der Wichser spielt Tic-Tac-Toe, aber Fate spielt Risiko. Er hat schon ordentlich Armeen zur Verteidigung gesammelt, und er ist auf jeden Angriff vorbereitet, da bin ich sicher, und ich will mich bestimmt nicht auf eine Schießerei mit ihm einlassen, aber trotzdem muss Trouble auf jeden Fall denken, dass ich auf seiner Seite bin, und dabei kommt mir dieser Idiot immer noch so macho.
Er hat ein Mädchen mit Riesenzähnen und hochgesteckten Haaren dabei. Sie benimmt sich genauso idiotisch, denn so was steckt immer an wie Erkältung, und manche Leute kriegen es leichter ab als andere. Keine Ahnung, wieso er sie mitgeschleift hat. Das hier ist Männersache.
Sie fragt mich, als wäre es ihr tatsächlich erlaubt zu reden: «Wie hat er denn deinen Safe aufgekriegt, hm?»
Wie kriegt man einen Safe auf? Liegt doch wohl auf der Hand. Man kennt die Kombi, man kriegt sie raus, oder man bricht ihn auf. Das war’s. Ist ja keine Wissenschaft. Aber das sage ich nicht. Will ich, sage ich aber nicht. Ich antworte einfach gar nicht. Ich schaue sie nicht mal an.
«Ich muss ein paar Leute anrufen», sage ich und gehe zu meinem Wagen. «Paar Dinge erledigen. Paar Sachen zusammenholen.»
Trouble packt mich am Arm. Ich reiße mich sofort los und baue mich vor ihm auf. Vom Bürgersteig tritt mein Mann Jeffersón zu uns, und eine Sekunde lang stelle ich mir vor, Troubles Kopf mit einer Machete von seinen Schultern zu trennen, so mit einem Hieb, wie es die Todesschwadronen bei uns zu Hause gemacht haben, wie sie mich zum Waisen gemacht haben, weshalb ich dann hierher zu Tio George geschickt wurde, bis der krank geworden und gestorben ist. Ich war schon auf diesen Straßen unterwegs, da hat Trouble noch nicht mal in die Windel geschissen. Cudahy, Huntington Park, South Gate, Lynwood. Früher oder später sollte er einem O.G. mal ein bisschen Respekt erweisen, sonst bringe ich ihm Respekt bei.
«Ist cool», sagt Trouble in einem Ton, der mir sagt, ist es eben nicht. «Aber ich komme mit. Wir stecken jetzt zusammen drin, klar? Wir gegen sie.»
«Logisch», sage ich und lächle, als hätte ich gehofft, dass er das sagt, dabei fühlt sich mein Magen an, als hätte ihn mir gerade jemand in den Hals getreten, denn jetzt stecke ich wieder genau da, wo ich am Anfang war, zwischen Hammer und Hammer und Amboss, bloß dass der Amboss jetzt Fates clica ist. Und die ist größer, böser und schlauer, als Trouble jemals in seinen dämlichen Schädel kriegen wird. Es wird enger, der Druck wird stärker. Das merke ich. Aber ich lächle, denn wenn es am schlimmsten wird, bin ich immer am besten.
2 Der offene Safe hat mir ein bisschen Zeit verschafft. Genug, um die Straße rauf und runter zu fahren und rauszufinden, ob irgendwer mitgekriegt hat, wie mein Haus Feuer gefangen hat. Eigentlich suche ich bloß nach einem Typen, einem O.G. namens Miguel, denn der kennt das Viertel, würde die ganze Lage sofort checken, ohne dass ich viel erklären müsste. Ich steuere auf sein Haus zu. Ist ruhig in unserm Block.
Trouble sitzt hinten neben seiner Braut mit den Pferdezähnen, so als wäre ich Miss Daisys Chauffeur. Na klar. Ist aber okay. Ist cool. Ich werde den Scheiß nicht vergessen. Jeffersón sitzt vorn neben mir. Er will Trouble umlegen, das spüre ich, aber ich nicke ihm nur zu, versteht ihr? So wie: Ist cool, Jeffersón. Der kriegt schon noch, was er verdient, aber nicht jetzt.
Und das ist auch gut so, denn in dem Moment merke ich, dass uns noch zwei Autos voll mit Troubles Homies folgen. Trouble merkt, wie ich das merke, nickt mir im Rückspiegel zu und grinst breit. Er lungert hinten in meinem Caddy rum, als wär’s seine verfickte Couch, und steckt seinem Mädchen die Hand zwischen die Beine. Ich lächle zurück, denn das ist cool, Motherfucker, klar? Ich vergesse den Scheiß nicht. Ich zähle alles im Kopf mit, und er sammelt reichlich Miese.
Früher hätte mir so was den letzten Nerv geraubt, was Trouble da grad treibt. Ein einziger Egotrip. Geht bloß darum, die große Nummer zu sein. Und ich? Ich habe drei Kinder und zwei Frauen. Die kennen sich aber, also ist alles cool. Ich habe genug gesehen und weiß, ich bin nicht die große Nummer und will es auch gar nicht sein. Aber ich bin bereit zum Aussteigen. Ganz raus. In San Diego in der Vorstadt leben oder so. Surfen lernen, wieso eigentlich nicht?
«Hey», sagt Trouble von hinten, «ist echt heiß hier drinnen. Hat die Karre keine Klimaanlage?»
Ich fahre einen 57er Cadillac. Da waren die noch gar nicht erfunden. Ich habe einen Verdunstungskühler im Kofferraum, den ich manchmal anschließe, aber das erzähle ich ihm nicht. Fick dich doch. Du kannst schwitzen.
«Nein», sage ich bloß.
«Solltest du mal einbauen!» Als Trouble sieht, dass ich darauf nicht reagiere, wechselt er das Thema. «Ich hab mich gefragt, wie hast du eigentlich diesen Namen Momo gekriegt?»
Dieser Wichser, der hat keine Ahnung, dass ich in Motels groß geworden bin, in Momos, wie wir die immer genannt haben, von einem zum nächsten gezogen, gedealt, gehurt, was eben Geld brachte. Wenn die Besitzer oder die Bullen vorbeikamen, habe ich das Motel sausen lassen und das nächste gesucht. Mich neu eingerichtet. Das war mein Momo-Leben, und die Leute wussten immer, wo sie mich finden: in irgendeinem Scheiß-Momo. Man musste bloß rumfragen, dann erfuhr man schon, in welchem. Dauerte nicht lange und das war mein Name. Und Momo war auch leichter auszusprechen als Abejundio, und so hieß ich dann eben. Ein Name, den die Leute kannten, vor dem die Leute Angst hatten. Aber eins sage ich euch, wenn man dieses Leben lange genug führt, immer wieder neu anfängt, dann kommt es einem gar nicht mehr so schlimm vor. Der Neustart. Tio George hat immer gesagt, lass nichts zurück, was du nicht zu verlieren bereit bist. Klingt aber auf Spanisch viel besser.
«Keine Ahnung», sage ich. «Einer von den O.G.s hat ihn mir verpasst.»
«Quatsch», sagt Trouble.
Ich zucke die Achseln. Ich habe keine Lust auf dieses Spiel. Die Jungen, die wollen bekannt werden. Dafür tun sie alles. Ist total wie im Mittelalter. Ich bin mal mit meinen Töchtern im Buena Park gewesen. Da gibt es so einen roten Ritter und einen blauen Ritter und einen grünen Ritter und einen gelben Ritter, und die stehen alle auf und sagen, wo sie herkommen und was irgendwie so ihre Tugenden sind und ihre tapferen Taten waren. Meine Kinder waren ganz versessen drauf, und ich dachte, ist doch fast das Gleiche wie auf der Straße, oder? Du kommst von irgendwoher. Du hast einen Namen, vielleicht auch einen Titel. Und du hast irgendwas getan. Ist genau das Gleiche, fast genau.
Ehe ich zu Miguels Haus komme, sehe ich einen Penner durch die Gegend laufen, die Kapuze hochgeschlagen, und ich fahr zu ihm ran. Penner wissen allen möglichen Scheiß und reden normalerweise mit einem, wenn sie nicht zu verrückt sind. Ihr wärt überrascht, was die so erzählen, wenn man sich bloß mal die Zeit nimmt, sie zu fragen. Ich fahre also dicht an ihn ran und halte an, und ehe Trouble sein großes Maul aufreißen und mich fragen kann, was ich vorhabe, frage ich ihn: «Hey, Mann, weißt du von dem Haus, das hier im Block abgebrannt ist? Hast du irgendwas gesehen?»
Der Typ dreht sich um, und es ist ein Schwarzer, aber er hat blaue Augen, so ganz glasige, und er sagt: «Ich habe gesehen, wie die Stadt sich in Stücken in den Himmel hebt.»
Oh Mann, alles klar. Ich trete aufs Gas. Der Kerl ist zu durchgeknallt, aus dem kriegt man nichts Vernünftiges raus, und das wissen auch alle im Auto, also fahre ich durch zu Miguel, der nur eine Straße weiter wohnt. Der kleine europäische Motorroller seines Jungen Mikey steht in der Auffahrt, als ich davor parke und aussteige. Ich muss aber gar nicht klingeln, weil Mikey gleich rauskommt und mich auf halbem Weg trifft, in seinen roten Hosenträgern und dicken schwarzen Stiefeln und so einer Art Polohemd, bis oben hin zugeknöpft. Keine Ahnung, wieso er glaubt, sich so anziehen zu können, vor allem mit einem Vater wie Miguel. Normalerweise würde ich ihn drauf ansprechen, aber heute habe ich keine Zeit für so was.
«Ist dein Vater da?», frage ich.
Sein Alter hat früher richtig hardcore mitgemischt, aber jetzt ist er sauber. Es heißt, dass er meist oben in East L.A. aktiv war. Ich habe ’nen Heidenrespekt vor Miguel, er hat seine Arbeit getan und ist ausgestiegen. Danach hat er sich ein Tattoo direkt aus der Hand geschnitten, aus der Haut zwischen Daumen und Zeigefinger, damit die Leute nicht gleich sehen, dass er mal voll drin war. Aber ich habe ihn mal auf die Narbe angesprochen, und er meinte, er hat es mit einem heißen Messer gemacht. Ist eine richtig fette Narbe, rund wie eine Raupe, drei Zentimeter lang, echt kein Witz. Wie gesagt, hardcore.
«Nein», sagt Mikey. «Mein Vater ist unterwegs.»
Das bringt mich aus dem Konzept, aber nur kurz, weil ich weiß, dass Mikey alles mitkriegt, was hier so passiert, er saust nämlich immer mit seinem Roller in der Gegend rum. Und schlau ist er auch.
Also frage ich ihn: «Hast du gesehen, was mit meinem Haus passiert ist?»
«Ja», sagt er.
Ich lächle, und mein Blick sagt: Na los, dann spuck’s aus.
«Ich habe so einen mageren Typen gesehen, der einen Molotowcocktail durch die Haustür geworfen hat.»
«Wie mager?», frage ich. «Und was hatte er an?»
Mikey beschreibt Lil Creeper bis ins kleinste Detail: wie er sich kleidet, wie er sich bewegt, dass er immer so aussieht, als würde er mit sich selber reden. Ich schwöre mir selbst, dass ich den Motherfucker so schnell wie möglich umbringe oder umbringen lasse.
Aber ich versuche, mir die Szene bildlich vorzustellen, also komme ich noch mal auf eine Sache zurück: «Die Haustür stand offen?»
Denn das bedeutet, Cecilia steckte wahrscheinlich mit drin, oder sie war saudumm, eine Möglichkeit, über die ich noch nicht richtig nachgedacht habe.
«Ja», sagt er.
«War ein Mädchen bei ihm?»
«Nein. Sie war noch drin, als er das Ding geworfen hat.»
Das haut mich tatsächlich kurz aus der Bahn, und ich frage: «Woher weißt du das denn?»
«Als er weg war, hab ich reingeschaut und sie auf dem Teppich liegen sehen.»
«Tot?», frage ich. «Oder bewusstlos oder was?»
«Konnte ich nicht wissen, also habe ich sie gepackt und rausgeschleift. Hab mir dabei alle Haare am Arm abgesengt.»
Er hält die Arme hoch, und tatsächlich, der rechte ist ganz glatt, der linke sehr behaart.
Ich will nur noch eins wissen. «Wo ist sie jetzt?»
«Keine Ahnung», sagt er, «sie ist letzte Nacht abgehauen. Hat einunddreißig Dollar von mir mitgehen lassen.»
Klingt ganz nach Cecilia. Bei der darf man keine Brieftasche rumliegen lassen, ohne dass sie drangeht.
«Richte deinem Alten Herrn schöne Grüße von mir aus», sage ich zu Mikey und wende mich zum Gehen.
Ich steige wieder ins Auto und haue den Gang rein.
3 Auf dem Weg zum Imperial Highway kommen wir am Ham Park vorbei, ich sehe einen großen schwarzen Fleck, wo früher mal die Handball-Wand war, und in Gedanken frage ich mich, Warum zum Teufel fackelt jemand das Ding ab? Aber Trouble beantwortet meine Frage schon, ehe ich sie ausspreche.
«Endlich, Mann!», sagt er. «Die Splitter von dem Scheißding waren echt mies. Vielleicht bauen sie ja jetzt eine anständige Wand.»
Am oberen Ende des Parks sehe ich einen Haufen Schwachköpfe, also fahre ich ran. Sind hauptsächlich junge Homies und Möchtegerns. Einer von den Kleinen mit einer Narbe überm linken Auge erkennt mich und kommt mit leicht gesenktem Kopf zum Auto, so wie es sein soll. Ich gehe ganz schnell die Liste durch: Nur damit sie es wissen, Plünderer sind zum Abschuss freigegeben, und wenn sie mir nicht glauben wollen, okay, sollen sie es selbst rausfinden, wenn sie eingelocht werden. Außerdem mache ich ihnen klar, dass keiner Feuerwehrleute anrührt. Wir machen es nicht so wie die schwarzen Gangs, sage ich, die mit Feuer Fallen stellen, weil wir unsere Geschäfte nicht gefährden wollen. Wenn ich mitkriege, dass irgendwer hier bei uns Feuer legt und die Cops herlockt, dann finde ich den und erledige ihn jamaikanisch, wie sie es unten in Harbor City machen: Schütte ihm ganz langsam durch einen Trichter Lauge in den Hals, und dann lege ich ihn auf die Schienen, damit er langsam von innen verbrennt.
«Das war ja ganz schön hart», sagt Trouble, als ich wieder losfahre. «Das muss ich mir merken.»
Darauf antworte ich nicht, aber ich lächele, damit er weiß, ich habe ihn gehört, er ist nämlich so der Typ, der es nicht ertragen kann, wenn man ihn ignoriert.
Beim Cork’n Bottle halte ich an, weil ich das Münztelefon vorm Eingang benutzen muss. Genau genommen hängt es an der Wand der Reifenwerkstatt, aber die ist ja gleich daneben.
Trouble will natürlich wissen, wieso, also erzähle ich ihm, ich müsste ein paar Absprachen treffen, ein paar Leute anrufen. Die Leute, zu denen wir jetzt müssen, mögen es nicht so, wenn man einfach so auftaucht. Das ist gelogen. Aber Trouble glaubt es. Die Leute sind Profis. Ich bin schon ganz oft aus heiterem Himmel bei ihnen aufgekreuzt, weil ich was brauchte, und es hat immer geklappt.
Ich parke hinterm Laden und nicke Jeffersón zu, dass er im Wagen bleiben soll, damit die beiden Turteltauben nicht auf meiner Rückbank ficken.
Als ich aussteige, sagt der Pferdezahn: «Hey, bring mir so einen Eistee mit Zitrone mit.»
Trouble und sein Mädchen lachen sich schlapp darüber, als die beiden Wagenladungen Homies hinter uns parken und die Ausfahrt blockieren. Ich schätze, ich habe zwei Minuten, bevor es sie juckt, auch auszusteigen.
Ich wähle eine Nummer, die ich auswendig kann, es klingelt und klingelt, aber niemand geht ran. So ist das schon seit zwei Tagen. Macht mich wahnsinnig.
Also lege ich auf und rufe Gloria an. Es klingelt.
Ich lege mir im Kopf schon eine Nachricht fürs Band zurecht, mache ich eigentlich schon seit drei Monaten. Aber das ist echt hart. Ich meine, wie erklärst du einer Frau, dass sie die Einzige ist, die du je geliebt hast, die Einzige, die dich auf Linie gehalten hat, und seit sie dich verlassen hat, hat sie richtig was aus sich gemacht, ist Krankenschwester geworden und so, und du musst bloß noch einmal ihre Stimme hören, musst ihr sagen, dass du bereit bist, noch einmal euren Sohn zu sehen, er ist schließlich auch deiner und –
«Hallo?» Gloria ist dran. Sie klingt erschöpft.
In meinem Kopf dreht sich noch alles, weil sie selbst dran ist, also fällt mir nichts Besseres ein als: «Ist da, ähm, bist du das, Gloria?»
Echt lässig. Ich merke gleich, dass ich es verbockt habe, als ihr der Atem stockt und sie mich erkennt, denn sie hat mir verboten, jemals wieder anzurufen.
«Dreißig Sekunden, Abejundio. Ich schaue auf die Uhr. Los.»
Sie ist der einzige Mensch außerhalb meiner Familie, der mich je so genannt hat.
«Ich rufe an», sage ich und mache eine Pause, schaue mich nach allen Seiten um, auch hinter mir auf dem Parkplatz, ob niemand in Hörweite ist, «ich rufe an, weil ich aussteige.»
Darüber schnaubt sie nur. Kann ich ihr nicht verdenken.
«Zwanzig», sagt sie.
Darauf werde ich total panisch und schwindelig, also rede ich hektisch weiter. «Ich bin von den Sheriffs hochgenommen worden. Ich kann jetzt nicht drüber reden. Aber ich habe ihnen geholfen, und jetzt werden sie mir beim Aussteigen helfen. Uns beim Aussteigen helfen.»
Sie sagt bloß: «Zehn.»
«Wir, äh, wir können doch zusammen weggehen. Du und ich und unser Kleiner. Irgendwohin, ganz weit weg. Ich weiß, es ist lange her, dass ich unseren Kleinen gesehen habe, aber ich habe mit der Polizei geredet, und sie sagen, sie können uns alle drei rausbringen. Sie nennen das, äh, sie nennen das Relok –»
Es macht klick, und die Verbindung ist weg. Eine Sekunde starre ich den Hörer an. Ich weiß, dass sie aufgelegt hat, aber mein Herz hat es noch nicht begriffen, es rast noch, schlägt noch fröhlich wegen ihrer Stimme, versucht immer noch zu erklären, aber mein Hirn sagt ihm schon, es soll die Fresse halten, weil die Brücke abgebrochen ist, und mein Herz knallt voll gegen die Wand, als ich auflege und einen neuen Vierteldollar in den Schlitz stecke.
Einen Anruf muss ich noch machen.
4 Ehe ich wähle, gucke ich noch mal um die Ecke, dann checke ich die andere Seite, ob auch niemand um das Cork’n Bottle herumgelaufen ist, aber ist alles okay. Ich wähle noch mal die erste Nummer, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass niemand am Schreibtisch von Detective Sergeant Erickson im Morddezernat der Sheriffs sitzt. Er hat ein Büro in Commerce, nicht weit von der Eastern Avenue, da war ich bloß einmal wegen so Papierkram, aber dafür musste ich zweimal das Auto wechseln, damit ich ganz sicher nicht verfolgt werde. Und als ich dann ins System aufgenommen war, war ich drin.
Ich singe nicht oft. Nicht unter der Dusche und nicht am Telefon, wenn ihr versteht, was ich meine. Meistens werde ich im Auto beim Rumfahren befragt. Also, ich gehe zu Fuß weg aus meinem Viertel, sorge dafür, dass ich nicht verfolgt werde, und steige in ein Bullenauto ohne Kennzeichen und mit getönten Scheiben. Dann lassen sie das Band laufen und stellen Fragen, und ich spucke aus, was ich weiß. Vor Gericht aussagen muss ich erst, wenn sie alle Fälle wasserdicht haben, aber das dauert ewig.
Der Anrufbeantworter springt an und erzählt mir, was ich schon weiß: Dies ist Ericksons Anschluss, und dass ich eine Nachricht hinterlassen soll.
Nachdem ich mich melde, muss ich eine ID-Nummer sagen, damit sie wissen, dass ich schon in der Datenbank bin. Danach flüstere ich so schnell ich kann: «Ich rufe schon seit zwei Tagen an, und Sie wissen, ich spreche nicht auf Band. Wenn alles normal wäre, würde ich das hier nicht machen, aber hier geht grad richtig die Scheiße ab, und ihr müsst mich sofort hier rausholen, denn wenn es losgeht, wird es eine Menge Leichen geben. Ich glaube, es wird an der Duncan passieren. Duncan Avenue. Irgendwann heute Nachmittag oder Abend. Wenn ich Genaueres weiß, rufe ich an, aber in zwei Stunden bin ich wieder zu Hause. Ihr müsst mich abholen.»
Ich schaue mich wieder nach hinten und nach beiden Seiten um. Niemand schaut zu, also atme ich aus.
Zuerst wollte Erickson unbedingt Gang-Sachen wissen, also habe ich ihnen so Kleinigkeiten geliefert, damit sie mir an den Haken gehen. Bloß Krümel, aber wahre Krümel. Hab ihnen verraten, dass man sich erzählt, Lil Mosco hätte vor ’nem Club rumgeballert und Jokers Schwester eine Kugel verpasst, und dass dafür früher oder später jemand bezahlen wird. Das Bezahlen interessierte sie weniger, sie wollten den Mord aufklären. Darum versuchen sie seitdem, Lil Mosco zu verhaften, habe ich gehört, aber der ist verschwunden, Fate ist nämlich zu schlau, um ihn weiter draußen rumlaufen zu lassen.
Ich habe Erickson natürlich nicht erzählt, dass ich dabei war – dass ich mir auf dem Parkplatz von Cecilia einen blasen ließ, als Lil Mosco auf die beiden zugegangen ist und geschossen hat. Ich habe auch den Anfang des Streits gehört, wie der Freund von Jokers Schwester hinter Lil Mosco hergebrüllt hat, er würde Moscos Schwester Payasa mit einem Messer ficken und so was. Also, ich stehe genauso auf Messer wie die meisten hier, nichts bringt andere so gut zum Reden, aber da hat der Typ eine Grenze überschritten, ist drübergetrampelt wie ein Büffel und fand das auch noch cool. Kann ihn nicht wirklich gewundert haben, dass Lil Mosco da auf ihn losgegangen ist.
Nachdem sie geklärt hatten, dass meine Informationen zutreffen und ich verlässlich bin, teilte Erickson mir mit, dass sie mit dem FBI kooperieren, so nennt er das wirklich, kooperieren, um einige der großen Nummern dranzukriegen. Da hätte ich ihm beinah laut ins Gesicht gelacht. Ich kenne natürlich keinen von den großen Homies, habe ich ihm gesagt, aber ich weiß, wer die Schlüssel hat. Und dann habe ich gesagt, wenn er die Großen fangen will, dann muss er mich ins Zeugenschutzprogramm stecken, denn dazu sag ich erst was, wenn ich meinen Namen in Theodore Hernandez ändern und nach Argentinien ziehen kann. Aber um zu beweisen, dass ich es ernst meine, habe ich ihnen dann ein paar Jamaikaner aus Harbor City geliefert. Da haben sie gut zugehört.
Wie ich gehört habe, stehen die inzwischen kurz vor Verhaftung und Anklage, und darum wird es auch langsam Zeit abzuspringen. Letzte Woche haben sie mir gesagt, ich soll meine Sachen packen, und das habe ich gemacht. Ich habe eine Tasche im Kofferraum. Ich kann jederzeit los, aber jetzt erreiche ich niemanden. Und das ist ein Scheißgefühl, wenn ihr’s genau wissen wollt.
«Hey», sagt Trouble, der aus dem Vordereingang des Cork’n Bottle kommt, in der Hand den bestimmt letzten Eistee aus dem geplünderten Laden, «bist du mal fertig oder was? Los jetzt.»
Er wendet sich ab, aber dann dreht er sich noch mal um und fasst in die Hosentasche. «Was hab ich bloß für Manieren? Willst du ein Blaubeer-Kaugummi?»
Zum ersten Mal heute wird Trouble danach ganz still.
«Das Zeug hat mein Bruder geliebt», sagt er. «So richtig, richtig geliebt.»
5 Auf der Fahrt nach Harbor City denke ich, was für eine Schande, dass der Waffenladen abgebrannt ist, das wäre doch ein erstklassiges Ziel gewesen, und dann hätte ich auch keine Notfallpreise für irgendwelche Scheißpistolen zahlen müssen, um Trouble und seine Homies auszurüsten. Wird mich um die 8000 Dollar kosten, aus der Sache rauszukommen.
Wir fahren zu meinem Bekannten Rohan in Harbor City. Das ist der Typ, der mir die Sache mit der Lauge verraten hat. In einem Bürogebäude aus Backstein nördlich des Pacific Coast Highway, wo die Frampton Avenue in die 250th übergeht, da hat er ein kleines Lagerhaus, ganz anständig, ein bisschen zurück von der Straße, sogar ein paar Bäume drum herum, richtig nett. An der Seite ist so ein Garagentor – kann man hochfahren, um Lieferungen anzunehmen –, und da wartet er auf uns.
Langer Typ, fast einen Kopf größer als ich, und ein jamaikanischer Mischling, teils weiß, teils schwarz, teils asiatisch, würde ich sagen. Asiatisch wegen der Form seiner Augen. Aus dem Lagerhaus betreibt er einen Klempnerfachhandel, alles vollkommen legal. Drinnen ist alles voll mit allen möglichen Rohren und Zubehör. Sein Spanisch hat er auch verbessert.
«¿Qué onda, vos?», sagt Rohan zu mir.
Ich höre Trouble hinter mir mit einem seiner Homies flüstern: «Das ist ja der Hammer, Mann! Der Inselaffe spricht Salvi!»
Wenn Rohan das gehört hat, springt er jedenfalls nicht drauf an. Stattdessen fragt er, ob ich Geld habe. «¿Tienes pisto?»
Ich nicke, und er führt uns ins Büro, wo Musik läuft.
Wenn man mit Jamaikanern abhängt, lernt man viel zu viel über Reggae. Ich höre zum Beispiel sofort, dass ausnahmsweise mal nicht Shabba Ranks läuft. Stattdessen liegt ein Livealbum von Toots and the Maytals auf, mit einem Lied über eine Häftlingsnummer, «54–46» – echt komisch, wie gut das passt. Die Aufnahme stammt aus den frühen 80ern, live im Hammersmith Palais. Diese Sachen weiß ich, weil es Rohan wichtig ist, dass ich sie weiß, dass ich seine Kultur respektiere, wie er sagt. Ich bin ja noch nie in England gewesen, aber das Verrückte an der Aufnahme ist, wie laut die Zuschauer auf der Platte singen, als ich mich mit Jeffersón und Trouble in Rohans Büro setze.
Jeffersón kennt Rohan schon, also stelle ich ihm Trouble vor, und irgendwie schafft es Trouble, mal nichts Bescheuertes zu machen, was ganz hilfreich ist. Alles geht kurz und schmerzlos über die Bühne, allerdings schmerzt es schon ein bisschen, dass ich 2000 Dollar mehr bezahlen muss: Rohan rundet den Preis für sechs Schrotflinten und fünfzehn Halbautomatische verschiedener Typen, alle nicht registriert, auf glatte 10000 Dollar auf, weil, na ja, ich sehe doch selbst, die ganze Stadt ist ein riesiger Arsch, der gefickt werden will.
«Und wenn wir die richtigen Schwänze haben», sagt Trouble, der es kaum erwarten kann, die Knarren in die Finger zu kriegen, «können wir alles ficken.»
Diskutieren hat keinen Sinn. Ich habe 9000 Dollar in bar dabei, die Jeffersón aus dem Fach in der Beifahrertür holt, und als Rohan es durch die Zählmaschine laufen lässt, sagt er, den Rest könnte ich später zahlen, weil er sich auf mich verlassen kann, und es sei ihm ein Vergnügen, Geschäfte mit uns zu machen, und ob ich wüsste, was da aus den Lautsprechern kommt? Als ich antworte, das sei Toots, lacht er und lächelt dann, er ist stolz auf mich. In dem Moment frage ich mich, ob er je erfahren wird, dass ich ihn verpfiffen habe, wenn die Sheriffs in bald hochnehmen. Hat es nicht besser verdient, wenn er den Preis so hochtreibt, verfluchter Blutsauger. Ich lächle zurück, ganz warm und freundlich, dann danke ich ihm und gehe nach draußen.
Ich stehe auf dem Parkplatz, nur unsere Autos um uns herum, schaue zu, wie die Waffen in schlichten Rohrkisten in die Kofferräume von Troubles Homies geladen werden, und ich denke: Gott sei Dank habe ich mit dem Scheiß nichts mehr zu tun. Mit diesem Einsatz habe ich weit mehr als nötig für Troubles Crew getan, aber für mich war das vor allem ein Trick, sie loszuwerden, weil ich so ein eiskaltes Gefühl habe, dass es den großen Jungs überhaupt nicht gefallen wird, wenn Fates und Troubles clicas aufeinander losgehen, und noch weniger, dass ich ihnen dabei unter die Arme gegriffen habe, aber jetzt muss es einfach durchgezogen werden. Es ist unvermeidlich, und ich habe keinen Schimmer, wie es laufen wird. Am liebsten würde ich es gar nicht so genau wissen, aber so wie die Stimmung jetzt ist, wird es so ein O.K.-Corral-Scheiß, ein großer blutiger Showdown, denn diese Wichser werden hart zuschlagen.
Ich sehe zu, wie sie alles verstauen und die Kofferraumdeckel zuklappen. Ich mache mich bereit, mich von ihnen zu verabschieden, wie es sich gehört, aber Trouble sieht mich so von der Seite an und sagt: «Jetzt gibt es keine Zuschauer mehr, Mann. Du kommst verdammt noch mal mit. Du hast uns unterstützt, also gehörst du jetzt zu uns.»
Ich lächle, denn als er das sagt, fühlt es sich an, als ob der untere Teil meiner Lungen zusammenschrumpelt. Ich versuche, ganz normal Luft zu holen, geht bloß nicht, aber Scheiße, Mann, wenn ich schauspielern muss, dann kann ich schauspielern.
Ich grinse ihn an und zeige ihm die 9 mm, die ich im Hosenbund stecken habe, auch mit weißem Tape um den Griff, weil ich es hasse, wenn meine Hände an der Waffe schwitzen, und ich sage: «Símon, Mann, ich habe gehofft, dass du das sagst. Wir überlegen uns einen Plan, und –»
«Plan?» Trouble lacht. «Wir gehen gleich rein. Überraschungsangriff. Guerilla-Style, vato.»
Bis jetzt habe ich mitgespielt, aber das ist echt absoluter Selbstmord, und da wird es mir klar. Ein Selbstmordkommando, genau das hat Trouble vor. Mein Magen verknotet sich, wenn ich bloß dran denke, auf keinen Fall kann ich bei so was mitmachen.
«Vergiss es», sage ich. «Fate hat die Schlüssel zu Lynwood.»
Wenn sie irgendwelchen Scheiß bauen, ein Haus zu Klump schießen oder so, und mich dabei mitschleifen, dann sind wir alle geliefert. Selbst wenn wir es überleben, sind wir geliefert. Zum Abschuss freigegeben. Mein Magen ist kein Knoten mehr, sondern ein schwarzes Loch, das meinen Körper von innen auffressen will.
«Verdammt, Momo», sagt Trouble, «ich dachte, du liest Bücher und so ’nen Scheiß. Schlüssel sind doch bloß Sachen, die kann man sich nehmen, Mann. Die kann jeder haben. Wenn der König stirbt, muss es einen neuen geben, oder? El rey ha muerto. ¡Viva el rey!»
Seine Homeboys nicken dazu.
«Und außerdem», sagt er, «kann ich mich nicht erinnern, dir die Wahl gelassen zu haben.»
Ich spüre, wie mein Lächeln einfriert, als ich nicke, und wie mir der Schweiß ausbricht, weil ich einfach nicht fassen kann, wie dumm er ist, und ich weiß genau, hier kommen wir nicht mehr raus, also nicke ich Jeffersón zu, er soll ins Auto steigen, steige dann selbst ein, und ich bete, dass Erickson meine Nachricht gekriegt hat. Wir fahren denselben Scheißweg wieder zurück, aber diesmal liegen die Wagen hinter uns tiefer auf der Straße, weil sie mit genug Knarren beladen sind, um ein ganzes Viertel auszuradieren.