Dreißig
 
 
 
 
 
Das Warten war schier unerträglich geworden, und ich glaubte schon, Hesperus sei gescheitert, als mir ein verwischter Schemen seine Rückkehr signalisierte. Er nickte mir von der Außentür der Luftschleuse aus zu; sein Bild wurde auf einer Anzeige rechts neben der Innentür wiedergegeben. Meine Hand wanderte zur Öffnungstaste.
»Ich bin fertig, Portula. Sie können die Schleuse jetzt öffnen.« Seine Stimme tönte aus der Schalttafel hervor. Drau ßen herrschte noch immer Vakuum, deshalb hatte er sich über Funk gemeldet.
»Hesperus?«
»Ja, ich bin’s.«
Ich zögerte. Es bedurfte keiner weiteren Erklärungen; ich war bereits felsenfest überzeugt davon, dass ich nicht Hesperus vor mir hatte, sondern einen der beiden anderen Robots. »Ich glaube mich erinnern zu können, dass wir uns auf eine Losung geeinigt haben«, sagte ich, während die Angst mir in die Knochen kroch und mir ihre liebevolle Liebkosung über den Rücken sandte.
»Mein Gedächtnis ist noch immer nicht auf der Höhe.«
»Als Sie weggegangen sind, war es noch in Ordnung. Seit Sie aus dem Koma erwacht sind, ging es ständig bergauf mit Ihnen.«
»Trotzdem leide ich noch immer unter den gleichen Problemen wie zuvor. Wären Sie so nett, mich jetzt einzulassen?«
»Die Losung.«
»Ich habe sie vergessen.« Die große, breitschultrige Gestalt – ihre Farbe war noch immer zu Tarnzwecken verdunkelt – wandte den Kopf und blickte sich über die Schulter um. Es war eine eidechsenhafte Bewegung, ohne jeden menschlichen Ausdruck. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, Kaskade und Kadenz befinden sich im Hangar. Wenn ich Ihnen auch weiterhin helfen soll, kommt es auf jede Sekunde an.«
»Gehen Sie von der Tür weg. Ich weiß nicht, welcher von beiden Robots Sie sind, aber Hesperus sind Sie nicht.«
»Sie irren sich, Portula.«
»Das bezweifle ich. Ich halte eine Energiepistole in der Hand – ich habe mir soeben eine anfertigen lassen, und sie ist auf maximale Streuung eingestellt. Damit ziele ich auf Sie.« Die hochverdichtete Waffe fühlte sich kalt an in meiner Faust; ihr Gewicht wurde von den insektenartig summenden Levatoren kompensiert. »Ich weiß, dass es geht. Hesperus hat mir erklärt, wie man ein Maschinenwesen töten kann. Man darf nicht auf eine bestimmte Stelle zielen, sondern muss den Strahl stärker streuen, um möglichst viele Funktionen auf einmal lahmzulegen. Vielleicht sind Sie ein Hologramm, aber unzerstörbar sind Sie nicht.«
»Wenn Sie eine Entladung auslösen, würden Sie die Luftschleuse beschädigen, was eine tödliche Dekompression zur Folge hätte.«
»Dann ist es ja gut, dass ich einen Raumanzug trage. Den habe ich ebenfalls anfertigen lassen.«
Die Gestalt wich einen Schritt zurück, so steifbeinig wie ein Ritter in voller Rüstung. Offenbar hatte der Robot eine Entscheidung getroffen – nachdem er den Klang meiner Stimme analysiert und daraus gefolgert hatte, dass ich mich nicht würde umstimmen lassen. Auf einmal veränderte sich das Profil, die Metallverkleidung wellte und dehnte sich, wurde an der Taille schmaler und breiter an Hüften und Brust, bis ich die elegante, ballerinenhafte Kadenz erblickte. Ihre Verkleidung war noch immer dunkel gefärbt, doch ansonsten hatte sie wieder ihre normale Erscheinung angenommen.
»Das war leicht«, sagte ich.
»Ich habe Hesperus getötet«, sagte sie mit ihrer normalen Stimme. »Er kann Ihnen nicht mehr helfen.«
Mir schwindelte. »Wo haben Sie ihn getötet?«
»Im Hangar.«
»Das reicht nicht. Ich will den genauen Ort wissen.«
Kadenz legte den Kopf schief und blickte von der Arche weg. »Bei dem grünen Raumschiff mit den eingefahrenen Stasiselementen.«
Das war eines der Raumschiffe, die ich Hesperus genannt hatte, doch Kadenz konnte auch geraten haben, oder sie hatte ihn über die Überwachungskameras beobachtet.
»Bringen Sie mir den Leichnam, dann sehen wir weiter.«
»Es gibt keinen Leichnam. Ich habe ihn desintegriert.« Kadenz hob den einen Arm. Die Verkleidung faltete sich auf raffinierte Weise zusammen, und ein gefährlich wirkendes Agglomerat von Läufen und Schläuchen sprang hervor. »Kaskade und ich waren die ganze Zeit über bewaffnet, seit wir mit Ihnen zusammengekommen sind.« Sie ließ den Arm wie ein Mannequin im Bogen herabsinken, bis die Läufe direkt auf mich zielten. »Öffnen Sie die Tür, Portula, sonst muss ich Gewalt anwenden.«
»Was hält Sie davon ab?«
»Mitgefühl. Ich will Ihnen keinen weiteren Schaden zufügen. Wir sind Maschinen, keine Schlächter. Wir achten das Leben, auch die flitterhafte Annäherung des Organischen.«
»Sie müssen mich trotzdem töten, wenn Sie in die Arche hineinwollen.«
»Mir wäre es lieber, es ginge auch so. Können wir uns nicht unterhalten? Was Sie und Hesperus versucht haben, war ausgesprochen einfallsreich und mutig. Wir haben beide nicht vorausgesehen, dass Sie die Raumschiffe gegen uns einsetzen und die Silberschwingen des Morgens abbremsen könnten. Übrigens ist das eine wunderschöne Maschine – und unser in jeder Beziehung würdig.«
»Es freut mich, dass sie Ihnen gefällt. Ich beabsichtige, sie wieder in meinen Besitz zu bringen.«
»Was Sie nicht sagen.«
»So lautete doch die Abmachung, nicht wahr?«
Kadenz neigte wieder ihren Puppenkopf, und der elegante Grat der metallenen Wangenknochen und ihre sinnlichen, wie nach einem Bienenstich geschwollenen stählernen Lippen reflektierten das Licht des Hangars. »Ich bin erstaunt, Portula. Sie verfügen über eine Waffe, mit der Sie mich verletzen könnten, und behaupten, einen Raumanzug zu tragen. Sie haben von meiner fortbestehenden Existenz keine Vorteile zu erwarten und haben trotzdem noch nicht auf mich gefeuert.«
»Ich wollte Ihnen den Vortritt lassen.« Meine Hand krampfte sich um die Waffe. Die Levatoren fixierten sie so gut, dass ich mich daran wie an einem Geländer festhalten konnte. »Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen.«
»Der Antrieb der Arche arbeitet noch. Obwohl er unsere Erfolgsaussichten nur geringfügig beeinträchtigen kann, wäre es besser, wenn Sie ihn abstellen würden.«
»Dann töten Sie mich und schalten Sie ihn selbst ab.«
Kadenz hob die Hand und ließ ihre Mehrfachwaffe wieder unter der Armverkleidung verschwinden. »Sie trauen mir kein Mitgefühl zu, doch ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Schalten Sie den Antrieb ab, dann können wir eine Vereinbarung treffen, die Ihr Überleben sichert. Ich werde Ihnen Zeit lassen, über meinen Vorschlag nachzudenken.«
Mein Herzschlag fühlte sich an wie ein Pulsar kurz vor der Explosion. Ich spürte, dass ich nur einen winzigen Fehler, eine falsch formulierte Bemerkung vom Tod entfernt war. Ich hätte Kadenz selbst dann nicht angreifen können, wenn ich es gewollt hätte, denn in Wahrheit trug ich keinen Raumanzug. Ich hatte keine Zeit mehr gehabt, einen anzufertigen; es hatte lediglich für die Waffe gereicht.
Ich musste demonstrieren, dass ich Herr der Situation war.
»Entfernen Sie sich von dem Raumschiff. Ich schieße nur deshalb nicht, weil Kaskade noch übrig bliebe und ich weiß, dass Sie Kopien von sich anfertigen können. Aber Sie wollten die Silberschwingen aus einem ganz bestimmten Grund übernehmen. Aus einem sehr triftigen Grund, sonst wären Sie das Risiko, mit einer menschlichen Metazivilisation einen Krieg zu beginnen, nicht eingegangen.«
Kadenz glaubte mir offenbar, denn sie wich mehrere Schritte zurück.
»Sie können uns nicht aufhalten«, sagte sie. »Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Wenn Sie meinen. Aber die Sache ist die, ich bin nicht überzeugt davon, dass Sie mich am Leben lassen werden, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben. Und wenn ich auf jeden Fall sterben muss – wovon ich mit einiger Sicherheit ausgehe -, dann sollte dies zu meinen Bedingungen geschehen und zu etwas nütze sein.«
Mit unerwarteter Eindringlichkeit sagte Kadenz: »Tun Sie das nicht. Es würde unser aller Interessen zuwiderlaufen.«
»Jetzt hören Sie mir endlich zu. Das ist gut.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie fieberhaft rechnete und ein nahezu unendliches Spektrum von Möglichkeiten analysierte. Hätte eine Maschine schwitzen können, hätte Kadenz es jetzt getan. »Wir sollten verhandeln«, sagte sie. »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie alles in Ruhe durchdenken können. Wenn Sie den Antrieb der Arche ausschalten, können Sie das Arrangement für Ihr Überleben festlegen. Wenn uns die Bedingungen akzeptabel erscheinen, lassen wir uns darauf ein.«
Damit hatte ich nicht gerechnet, doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen. »Was meinen Sie mit Arrangement?«
»Sie werden in unserem Namen mit den anderen Menschen verhandeln. Sie werden sie dazu bringen, die Verfolgung einzustellen, dann lassen wir Sie frei.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
Kadenz wollte etwas sagen – mit wohlklingender, gelassener Stimme eine Erwiderung vorbringen -, doch sie konnte den Satz nicht mehr beenden. Dann ging alles so schnell, dass weder meine Augen noch mein Verstand dem Geschehen folgen konnten. Ich konnte es erst im Nachhinein anhand der Fragmente rekonstruieren, die durch den hoffnungslos verstopften Flaschenhals meiner animalischen Sinne hindurchgewandert waren.
Hesperus griff Kadenz an. Da er unbewaffnet war – vor Verlassen der Arche hatte er keine Zeit gehabt, eine Waffe anfertigen zu lassen -, hatte er nur das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Und die Überraschung war ihm recht gut gelungen, denn Kadenz’ Reaktion ließ nicht erkennen, ob sie darauf gefasst gewesen war, dass Hesperus sich in der Dunkelheit des Hangars an sie anschleichen könnte. Ich musste daran denken, wie er bei unserer ersten Begegnung auf die Brücke der Bummelant getreten war. Damals hatte er mich an die Raubkatze, die mir im Puppenpalast gehörte, und die David-Statue im Flur des Familienhauses erinnert. Diese widersprüchlichen, aber einander ergänzenden Eindrücke wurden wieder wach, als er den anderen Robot ansprang und ihn zu Boden warf. Die beiden dunklen Gestalten rangen mit so wahnsinnig beschleunigten Bewegungen miteinander, dass ich lediglich eine wogende Masse wahrnahm, eine Art Metall gewordene Wahrscheinlichkeitswolke aus dem Quantenraum. Dies alles fand im Vakuum in vollkommener Lautlosigkeit statt. Dann blitzte es so hell, dass einen Moment lang der ganze Hangar erleuchtet wurde, und dann sah ich auf einmal wieder zwei getrennte Robots vor mir.
Beide lagen reglos da.
Beide waren beschädigt.
Hesperus lag auf dem Rücken, fünf oder sechs Meter von Kadenz entfernt. An der Stelle, wo sich sein Herz befunden hatte, wenn er ein Mensch gewesen wäre, war ein dunkles Loch. Seine Verkleidung changierte zwischen Schwarz und Gold, Gold und Schwarz, dann blieb sie dunkel. Kadenz lag auf der Seite, das Gesicht Hesperus zugewandt, als hätte sie sich für ein kurzes Nickerchen hingelegt. Ihr Waffenarm war am Ellbogen abgetrennt worden und lag drei oder vier Meter hinter Hesperus. Eine wogende Masse silbriger Schaltungen sickerte zusammen mit einer quecksilberartigen Paste aus dem Stumpf. Hesperus wirkte tot, doch in Kadenz war noch Leben. Da ich die Arche nicht verlassen konnte, musste ich tatenlos zuschauen.
»Hesperus«, sagte ich zu der Schalttafel, »du musst aufstehen.«
Kadenz regte sich kaum merklich. Lichter flackerten in ihrem Kopf, und die Finger des unversehrten Arms zuckten. Der Kopf verlagerte sich ruckartig, bis sie den Armstumpf sehen konnte. Ihr Gesichtsausdruck war so gelassen wie eh und je.
Der silbrige Maschinenbrei schob sich weiter aus dem Stumpf hervor. Er bildete einen Fortsatz, einen hellen Faden, der schließlich den Boden berührte. Der Fortsatz dehnte sich weiter aus und wanderte vom Körper weg. Zunächst dachte ich, sie habe es auf Hesperus abgesehen und wolle ihm etwas antun – das Robotäquivalent eines Todeskusses etwa -, doch dann machte der Fortsatz einen Bogen um ihn herum und wanderte auf den abgetrennten Arm zu.
»Hesperus«, sagte ich, »bitte wach auf!« Ich wollte schreien, doch das hätte keinen Sinn gehabt. Wenn er mich nicht so schon hörte, konnte ich ihn nicht erreichen.
Der Fortsatz setzte seine Wanderung fort. Als er den Arm erreichte hatte, umschlang er ihn wie eine Schlingpflanze den Ast eines Baumes. Dann zog er sich langsam, aber stetig wieder zusammen und zerrte den Waffenarm mit sich mit.
»Hesperus, bitte!«, sagte ich.
Diesmal reagierte er. Die Lichter in seinem Kopf leuchteten kurz auf. Der Fortsatz hatte bereits ein Viertel des Weges zurückgelegt.
»Sie lebt noch. Kadenz lebt.«
Kreischende, verworrene Laute kamen aus der Tür – als schrien hundert Menschen gleichzeitig in hundert verschiedenen Sprachen. Ich hatte das Gefühl, Hesperus wolle mir mitteilen, dass er sehr stark verletzt sei. Das aber wusste ich bereits.
»Steh auf!«, sagte ich mit größerem Nachdruck. »Die Zeit wird knapp. Entweder du stehst jetzt auf, oder wir sind beide tot. Tu, was ich dir sage, Robot!«
Er regte sich. Ein träges Gähnen, das den ganzen Körper erfasste. Dann lag er wieder unbeweglich da.
»Kadenz ist im Begriff, sich wiederherzustellen«, sagte ich. »Wenn du sie nicht daran hinderst …«
»Mortu«, sagte er; entweder versuchte er meinen Namen auszusprechen, oder er wollte seinen Zustand charakterisieren.
»Beweg dich, mein Goldjunge! Ich brauche dich.«
Er regte sich erneut – diesmal wirkte die Bewegung koordinierter. Mit einer konvulsiven Zuckung wälzte er sich auf die Seite. Jetzt sah er den anderen Robot direkt an. Der abgetrennte Arm wanderte zwischen ihnen entlang, die Hälfte des Weges lag bereits hinter ihm. Hesperus hob einen Arm, spreizte die Finger und setzte die Handfläche auf den Boden. Er stemmte sich hoch, bis er den anderen Ellbogen unter den Oberkörper schieben und sich damit hochdrücken konnte. Dann zuckten seine Beine, und er nahm eine Haltung zwischen Liegen und Sitzen ein. Das kostete ihn offenbar viel Kraft, denn mehrere Sekunden lang verharrte er regungslos. Der abgetrennte Arm hatte nur noch ein paar Meter zurückzulegen, dann würde er sich wieder mit Kadenz vereinigen. Offenbar war auch sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, doch sobald der Arm wieder an Ort und Stelle säße, würde sie über eine Waffe verfügen und könnte zielen und feuern. Als ich mich damit tröstete, dass sie paralysiert sei, zuckte Kadenz auf einmal und machte Anstalten, sich aufzusetzen. Wie Hesperus wurde auch sie zusehends beweglicher. Die Regenerationskraft der Robots war wirklich erstaunlich.
»Hesperus!«, schrie ich wider alle Logik.
Er erwachte aus seiner vorübergehenden Lähmung und richtete sich schwerfällig auf. Jetzt sah ich das ganze Ausmaß der Schäden – das Loch in seiner Brust war so groß, dass man den Arm hätte hindurchstrecken können. Die Wundränder waren mit einer silbrig glänzenden Masse und quecksilbrigem Blut überzogen und sandten grellblaue Lichtblitze aus. Das eine Bein war steifer als das andere. Er drehte sich unbeholfen um und betrachtete Kadenz und den abgetrennten Arm, der nur noch einen Meter vom Stumpf entfernt war.
So steif wie ein Verletzter mit Gehschiene stakste er zu ihr hinüber. Kadenz zuckte vor ihm zurück und hob abwehrend den unversehrten Arm. Hesperus setzte seinen Fuß auf den silbrigen Tentakel. Dann kniete er schwerfällig nieder, bis er mit der rechten Hand an den Waffenarm heranreichte. Als er ihn hochhob und sich wieder aufrichtete, dehnte sich der Fortsatz wie zerlaufener Käse. Er schloss die Faust um den abgetrennten Arm und quetschte ihn mit aller Macht zusammen. Dann schleuderte er ihn mit einer ruckartigen Bewegung in die Dunkelheit. Ich erwartete unwillkürlich, beim Aufprall ein Klirren zu vernehmen, doch das blieb aus.
»Hesperus«, sagte ich, »kannst du mich hören?«
Er antwortete nicht, tat aber einen weiteren Schritt auf den anderen Robot zu. Mit einem Fußtritt beförderte er ihn auf den Rücken, dann setzte er ihm den Fuß auf den Bauch. Kadenz schlug mit zunehmender Kraft um sich. Hesperus beugte langsam die Beine, bis er auf ihr kniete. Dann packte er mit beiden Händen ihren verbliebenen Arm. Seine Schultern vollführten eine gewaltige, gorillaartige Bewegung, wobei der Arm sich löste. Er schleuderte ihn geradezu verächtlich beiseite, worauf er in ein paar Metern Entfernung zur Ruhe kam. Dann schwenkte er herum, bis er ihre Beine vor sich hatte, und riss sie nacheinander ab. Kadenz wand sich und zuckte krampfhaft, vermochte aber nichts auszurichten.
Bald darauf hatte Hesperus den Robot vollständig verstümmelt. Nur noch der Kopf saß auf dem Torso. Hesperus richtete sich auf und drückte Kadenz’ heftig zuckende Überreste an seine Brust. Auf einem Bein hinkend, näherte er sich der Tür. Mit klopfendem Herzen, die Energiepistole noch in der Hand, ließ ich ihn in die Schleuse ein. Luft strömte hinein. Die Innentür öffnete sich, und Hesperus taumelte hervor, den Torso mitsamt des Kopfes hinter sich herzerrend. Seine Bewegungen waren sehr träge und wirkten unkoordiniert. Es roch nach verbranntem Metall, und aus seiner offenen Wunde kam ein zischendes Geräusch.
»Ich bin beschädigt«, sagte er gut verständlich.
»Nimm die hier«, sagte ich und reichte ihm die Energiepistole. »Gib ihr den Rest.«
»Ich will ihr nicht den Rest geben. Sie kann uns noch von Nutzen sein.« Die Diskrepanz zwischen seiner ruhigen Stimme und der hinkenden Gestalt mit dem Durchschuss in der Brust war verstörend. Es war, als redete ich mit einem Leichnam.
»Wirst du wieder gesund werden?«
»Ich werde mich wiederherstellen, das ist nur eine Frage der Zeit. Hilf mir auf die Brücke. Dort ist es für uns sicherer.«
Hesperus, der noch immer den anderen Robot trug, verlagerte so viel Gewicht wie möglich auf meine Schulter, dann stapften wir gemeinsam durch die Arche bis zu dem weißen, gebärmutterartigen Kontrollraum. Hier war alles unverändert.
»Ich sollte Campion anfunken.«
»Das kann warten. Bring mir Maschinenaspik.«
»Welcher Art?«
»Ganz egal.« Er ließ den Torso zu Boden fallen. Kadenz beobachtete seine Bewegungen wie eine Schlange, die auf eine Gelegenheit zum Zubeißen wartet.
»Er lügt«, sagte sie mit unveränderter Stimme. »Die Schäden, die er sich zugezogen hat, sind irreparabel. Ihm droht der endgültige Systemabsturz.«
Ich zielte mit der Energiepistole auf sie. »Wir könnten sie auch jetzt gleich erledigen.«
»Bitte den Aspik.« Hesperus streckte seine zitternde Hand aus und nahm mir die Waffe endlich ab. »Ich behalte sie im Auge. Bring für dich Synchromasch mit.«
»Wieso Synchromasch?«
»Tu’s einfach.«
Es war das erste Mal, dass ihm Gereiztheit anzumerken war. Offenbar hatte bei ihm im Moment der menschliche Teil die Oberhand.
In einem Nebenraum fand ich mehrere Tuben mit Mehrzweckaspik. Einen Augentropfer mit Synchromasch trug ich bereits bei mir. Als ich wieder die Brücke betrat, hielt Hesperus noch immer über dem zuckenden silbernen Torso Wache.
»Was ist mit ihren Körperteilen, die du draußen gelassen hast?«
»Von denen droht einstweilen keine Gefahr. Sie werden versuchen, sich wieder zu vereinigen, aber solange ihr Kopf und ihr Torso hier bleiben, wird ihnen das nicht gelingen.« Er gab mir die Energiepistole zurück und nahm die Aspiktuben entgegen. »Wie ich schon sagte, ich bin beschädigt. Aber mit einer Dosis Grundstoffe kann ich mich wiederherstellen.« Er drückte sich einen zitternden Klumpen schwarzen Aspiks auf die Handfläche. Zum Zeichen der Einsatzbereitschaft ordnete sich das Material in geometrischen Strukturen an.
»Wird dir das wirklich helfen?« Ich ging mit dem Rücken zur Wand in die Hocke und zielte mit der Energiepistole auf Kadenz. »Das sind Nanomaschinen für Menschen. Es würde mich wundern, wenn sie mit deinem Innenleben etwas anfangen könnten.«
»Das können sie auch nicht.« Sein maskenhaftes Gesicht formte ein erschöpftes Lächeln. »Aber ich kann sie dazu bringen. Eigentlich ist es ganz einfach.« Er schmierte den schwarzen Klumpen in seine Wunde und bedeckte damit die silbrige Auskleidung des Schusskanals. Dabei gab er einen Laut von sich, eine Art synthetisches Geheul, wie ein Funkgerät, das gleichzeitig auf mehreren Kanälen empfängt. »Ich spüre keinen Schmerz«, sagte er nach einer Weile. »Aber es herrscht … ein gewisses Durcheinander. Der Aspik wird mir bei der Wiederherstellung behilflich sein. Allerdings wird es eine Weile dauern.« Er drückte sich einen weiteren Klumpen auf die Hand und trug ihn über dem bereits verschmierten Material auf. Diesmal zuckte er krampfhaft, als hätte er einen Stromstoß bekommen.
»Hesperus?«
»Behalt Kaskade im Auge.« Er verteilte weitere schwarze Paste auf seiner Brust. »Ich muss in einen Zustand reduzierter Wahrnehmungsfähigkeit eintreten, wenn die Reparaturen ausgeführt werden. Es könnte sein, dass ich mehrere Stunden lang von der Außenwelt abgeschnitten bin, vielleicht auch länger.«
»Ich mache mir Sorgen. Sie ist ein Robot, Hesperus – und ich habe gesehen, wie schnell du sein kannst.«
»Im Moment ist sie nicht einsatzfähig. Ich würde dir raten, auf einer niedrigen Stufe Synchromasch einzusetzen.«
»Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht, aber solange ich mich nicht wiederhergestellt habe, bin ich nutzlos.« Er drückte einen letzten Aspikklumpen in die Wunde – die inzwischen mehr Ähnlichkeit mit einem steilwandigen schwarzen Krater als mit einem Tunnel hatte – und ließ sich gegen die Wand sinken. Die Lichter in seinem Kopf flackerten noch einmal auf und erloschen dann. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass noch Leben in dem goldenen Körper war und dass die Selbstheilung eingesetzt hatte.
»Nur zu«, sagte Kadenz mit wohlklingender Stimme. »Nehmen Sie das Synchromasch. Ich verspreche, brav zu sein.«
Plötzlich begann die Arche so stark zu vibrieren, dass ich beinahe den Halt verloren hätte.