Dreißig
Das Warten war
schier unerträglich geworden, und ich glaubte schon, Hesperus sei
gescheitert, als mir ein verwischter Schemen seine Rückkehr
signalisierte. Er nickte mir von der Außentür der Luftschleuse aus
zu; sein Bild wurde auf einer Anzeige rechts neben der Innentür
wiedergegeben. Meine Hand wanderte zur Öffnungstaste.
»Ich bin fertig,
Portula. Sie können die Schleuse jetzt öffnen.« Seine Stimme tönte
aus der Schalttafel hervor. Drau ßen herrschte noch immer Vakuum,
deshalb hatte er sich über Funk gemeldet.
»Hesperus?«
»Ja, ich
bin’s.«
Ich zögerte. Es
bedurfte keiner weiteren Erklärungen; ich war bereits felsenfest
überzeugt davon, dass ich nicht Hesperus vor mir hatte, sondern
einen der beiden anderen Robots. »Ich glaube mich erinnern zu
können, dass wir uns auf eine Losung geeinigt haben«, sagte ich,
während die Angst mir in die Knochen kroch und mir ihre liebevolle
Liebkosung über den Rücken sandte.
»Mein Gedächtnis ist
noch immer nicht auf der Höhe.«
»Als Sie weggegangen
sind, war es noch in Ordnung. Seit Sie aus dem Koma erwacht sind,
ging es ständig bergauf mit Ihnen.«
»Trotzdem leide ich
noch immer unter den gleichen Problemen wie zuvor. Wären Sie so
nett, mich jetzt einzulassen?«
»Die
Losung.«
»Ich habe sie
vergessen.« Die große, breitschultrige Gestalt – ihre Farbe war
noch immer zu Tarnzwecken verdunkelt – wandte den Kopf und blickte
sich über die Schulter um. Es war eine eidechsenhafte Bewegung,
ohne jeden menschlichen Ausdruck. »Ich bin mir nicht sicher, aber
ich glaube, Kaskade und Kadenz befinden sich im Hangar. Wenn ich
Ihnen auch weiterhin helfen soll, kommt es auf jede Sekunde
an.«
»Gehen Sie von der
Tür weg. Ich weiß nicht, welcher von beiden Robots Sie sind, aber
Hesperus sind Sie nicht.«
»Sie irren sich,
Portula.«
»Das bezweifle ich.
Ich halte eine Energiepistole in der Hand – ich habe mir soeben
eine anfertigen lassen, und sie ist auf maximale Streuung
eingestellt. Damit ziele ich auf Sie.« Die hochverdichtete Waffe
fühlte sich kalt an in meiner Faust; ihr Gewicht wurde von den
insektenartig summenden Levatoren kompensiert. »Ich weiß, dass es
geht. Hesperus hat mir erklärt, wie man ein Maschinenwesen töten
kann. Man darf nicht auf eine bestimmte Stelle zielen, sondern muss
den Strahl stärker streuen, um möglichst viele Funktionen auf
einmal lahmzulegen. Vielleicht sind Sie ein Hologramm, aber
unzerstörbar sind Sie nicht.«
»Wenn Sie eine
Entladung auslösen, würden Sie die Luftschleuse beschädigen, was
eine tödliche Dekompression zur Folge hätte.«
»Dann ist es ja gut,
dass ich einen Raumanzug trage. Den habe ich ebenfalls anfertigen
lassen.«
Die Gestalt wich
einen Schritt zurück, so steifbeinig wie ein Ritter in voller
Rüstung. Offenbar hatte der Robot eine Entscheidung getroffen –
nachdem er den Klang meiner Stimme analysiert und daraus gefolgert
hatte, dass ich mich nicht würde umstimmen lassen. Auf einmal
veränderte sich das Profil, die Metallverkleidung wellte und dehnte
sich, wurde an der Taille schmaler und breiter an Hüften und Brust,
bis ich die elegante, ballerinenhafte Kadenz erblickte. Ihre
Verkleidung war noch immer dunkel gefärbt, doch ansonsten hatte sie
wieder ihre normale Erscheinung angenommen.
»Das war leicht«,
sagte ich.
»Ich habe Hesperus
getötet«, sagte sie mit ihrer normalen Stimme. »Er kann Ihnen nicht
mehr helfen.«
Mir schwindelte. »Wo
haben Sie ihn getötet?«
»Im
Hangar.«
»Das reicht nicht.
Ich will den genauen Ort wissen.«
Kadenz legte den
Kopf schief und blickte von der Arche weg. »Bei dem grünen
Raumschiff mit den eingefahrenen Stasiselementen.«
Das war eines der
Raumschiffe, die ich Hesperus genannt hatte, doch Kadenz konnte
auch geraten haben, oder sie hatte ihn über die Überwachungskameras
beobachtet.
»Bringen Sie mir den
Leichnam, dann sehen wir weiter.«
»Es gibt keinen
Leichnam. Ich habe ihn desintegriert.« Kadenz hob den einen Arm.
Die Verkleidung faltete sich auf raffinierte Weise zusammen, und
ein gefährlich wirkendes Agglomerat von Läufen und Schläuchen
sprang hervor. »Kaskade und ich waren die ganze Zeit über
bewaffnet, seit wir mit Ihnen zusammengekommen sind.« Sie ließ den
Arm wie ein Mannequin im Bogen herabsinken, bis die Läufe direkt
auf mich zielten. »Öffnen Sie die Tür, Portula, sonst muss ich
Gewalt anwenden.«
»Was hält Sie davon
ab?«
»Mitgefühl. Ich will
Ihnen keinen weiteren Schaden zufügen. Wir sind Maschinen, keine
Schlächter. Wir achten das Leben, auch die flitterhafte Annäherung
des Organischen.«
»Sie müssen mich
trotzdem töten, wenn Sie in die Arche hineinwollen.«
»Mir wäre es lieber,
es ginge auch so. Können wir uns nicht unterhalten? Was Sie und
Hesperus versucht haben, war ausgesprochen einfallsreich und mutig.
Wir haben beide nicht vorausgesehen, dass Sie die Raumschiffe gegen
uns einsetzen und die Silberschwingen des
Morgens abbremsen könnten. Übrigens ist das eine
wunderschöne Maschine – und unser in jeder Beziehung
würdig.«
»Es freut mich, dass
sie Ihnen gefällt. Ich beabsichtige, sie wieder in meinen Besitz zu
bringen.«
»Was Sie nicht
sagen.«
»So lautete doch die
Abmachung, nicht wahr?«
Kadenz neigte wieder
ihren Puppenkopf, und der elegante Grat der metallenen
Wangenknochen und ihre sinnlichen, wie nach einem Bienenstich
geschwollenen stählernen Lippen reflektierten das Licht des
Hangars. »Ich bin erstaunt, Portula. Sie verfügen über eine Waffe,
mit der Sie mich verletzen könnten, und behaupten, einen Raumanzug
zu tragen. Sie haben von meiner fortbestehenden Existenz keine
Vorteile zu erwarten und haben trotzdem noch nicht auf mich
gefeuert.«
»Ich wollte Ihnen
den Vortritt lassen.« Meine Hand krampfte sich um die Waffe. Die
Levatoren fixierten sie so gut, dass ich mich daran wie an einem
Geländer festhalten konnte. »Ich könnte Ihnen die gleiche Frage
stellen.«
»Der Antrieb der
Arche arbeitet noch. Obwohl er unsere Erfolgsaussichten nur
geringfügig beeinträchtigen kann, wäre es besser, wenn Sie ihn
abstellen würden.«
»Dann töten Sie mich
und schalten Sie ihn selbst ab.«
Kadenz hob die Hand
und ließ ihre Mehrfachwaffe wieder unter der Armverkleidung
verschwinden. »Sie trauen mir kein Mitgefühl zu, doch ich werde
Ihnen das Gegenteil beweisen. Schalten Sie den Antrieb ab, dann
können wir eine Vereinbarung treffen, die Ihr Überleben sichert.
Ich werde Ihnen Zeit lassen, über meinen Vorschlag
nachzudenken.«
Mein Herzschlag
fühlte sich an wie ein Pulsar kurz vor der Explosion. Ich spürte,
dass ich nur einen winzigen Fehler, eine falsch formulierte
Bemerkung vom Tod entfernt war. Ich hätte Kadenz selbst dann nicht
angreifen können, wenn ich es gewollt hätte, denn in Wahrheit trug
ich keinen Raumanzug. Ich hatte keine Zeit mehr gehabt, einen
anzufertigen; es hatte lediglich für die Waffe
gereicht.
Ich musste
demonstrieren, dass ich Herr der Situation war.
»Entfernen Sie sich
von dem Raumschiff. Ich schieße nur deshalb nicht, weil Kaskade
noch übrig bliebe und ich weiß, dass Sie Kopien von sich anfertigen
können. Aber Sie wollten die Silberschwingen aus einem ganz bestimmten Grund
übernehmen. Aus einem sehr triftigen Grund, sonst wären Sie das
Risiko, mit einer menschlichen Metazivilisation einen Krieg zu
beginnen, nicht eingegangen.«
Kadenz glaubte mir
offenbar, denn sie wich mehrere Schritte zurück.
»Sie können uns
nicht aufhalten«, sagte sie. »Wir haben alles unter
Kontrolle.«
»Wenn Sie meinen.
Aber die Sache ist die, ich bin nicht überzeugt davon, dass Sie
mich am Leben lassen werden, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben. Und
wenn ich auf jeden Fall sterben muss – wovon ich mit einiger
Sicherheit ausgehe -, dann sollte dies zu meinen Bedingungen
geschehen und zu etwas nütze sein.«
Mit unerwarteter
Eindringlichkeit sagte Kadenz: »Tun Sie das nicht. Es würde unser
aller Interessen zuwiderlaufen.«
»Jetzt hören Sie mir
endlich zu. Das ist gut.«
Ich hatte den
Eindruck, dass sie fieberhaft rechnete und ein nahezu unendliches
Spektrum von Möglichkeiten analysierte. Hätte eine Maschine
schwitzen können, hätte Kadenz es jetzt getan. »Wir sollten
verhandeln«, sagte sie. »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie
alles in Ruhe durchdenken können. Wenn Sie den Antrieb der Arche
ausschalten, können Sie das Arrangement für Ihr Überleben
festlegen. Wenn uns die Bedingungen akzeptabel erscheinen, lassen
wir uns darauf ein.«
Damit hatte ich
nicht gerechnet, doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen.
»Was meinen Sie mit Arrangement?«
»Sie werden in
unserem Namen mit den anderen Menschen verhandeln. Sie werden sie
dazu bringen, die Verfolgung einzustellen, dann lassen wir Sie
frei.«
»Und das soll ich
Ihnen glauben?«
Kadenz wollte etwas
sagen – mit wohlklingender, gelassener Stimme eine Erwiderung
vorbringen -, doch sie konnte den Satz nicht mehr beenden. Dann
ging alles so schnell, dass weder meine Augen noch mein Verstand
dem Geschehen folgen konnten. Ich konnte es erst im Nachhinein
anhand der Fragmente rekonstruieren, die durch den hoffnungslos
verstopften Flaschenhals meiner animalischen Sinne
hindurchgewandert waren.
Hesperus griff
Kadenz an. Da er unbewaffnet war – vor Verlassen der Arche hatte er
keine Zeit gehabt, eine Waffe anfertigen zu lassen -, hatte er nur
das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Und die Überraschung war
ihm recht gut gelungen, denn Kadenz’ Reaktion ließ nicht erkennen,
ob sie darauf gefasst gewesen war, dass Hesperus sich in der
Dunkelheit des Hangars an sie anschleichen könnte. Ich musste daran
denken, wie er bei unserer ersten Begegnung auf die Brücke der
Bummelant getreten war. Damals hatte er
mich an die Raubkatze, die mir im Puppenpalast gehörte, und die
David-Statue im Flur des Familienhauses erinnert. Diese
widersprüchlichen, aber einander ergänzenden Eindrücke wurden
wieder wach, als er den anderen Robot ansprang und ihn zu Boden
warf. Die beiden dunklen Gestalten rangen mit so wahnsinnig
beschleunigten Bewegungen miteinander, dass ich lediglich eine
wogende Masse wahrnahm, eine Art Metall gewordene
Wahrscheinlichkeitswolke aus dem Quantenraum. Dies alles fand im
Vakuum in vollkommener Lautlosigkeit statt. Dann blitzte es so
hell, dass einen Moment lang der ganze Hangar erleuchtet wurde, und
dann sah ich auf einmal wieder zwei getrennte Robots vor
mir.
Beide lagen reglos
da.
Beide waren
beschädigt.
Hesperus lag auf dem
Rücken, fünf oder sechs Meter von Kadenz entfernt. An der Stelle,
wo sich sein Herz befunden hatte, wenn er ein Mensch gewesen wäre,
war ein dunkles Loch. Seine Verkleidung changierte zwischen Schwarz
und Gold, Gold und Schwarz, dann blieb sie dunkel. Kadenz lag auf
der Seite, das Gesicht Hesperus zugewandt, als hätte sie sich für
ein kurzes Nickerchen hingelegt. Ihr Waffenarm war am Ellbogen
abgetrennt worden und lag drei oder vier Meter hinter Hesperus.
Eine wogende Masse silbriger Schaltungen sickerte zusammen mit
einer quecksilberartigen Paste aus dem Stumpf. Hesperus wirkte tot,
doch in Kadenz war noch Leben. Da ich die Arche nicht verlassen
konnte, musste ich tatenlos zuschauen.
»Hesperus«, sagte
ich zu der Schalttafel, »du musst aufstehen.«
Kadenz regte sich
kaum merklich. Lichter flackerten in ihrem Kopf, und die Finger des
unversehrten Arms zuckten. Der Kopf verlagerte sich ruckartig, bis
sie den Armstumpf sehen konnte. Ihr Gesichtsausdruck war so
gelassen wie eh und je.
Der silbrige
Maschinenbrei schob sich weiter aus dem Stumpf hervor. Er bildete
einen Fortsatz, einen hellen Faden, der schließlich den Boden
berührte. Der Fortsatz dehnte sich weiter aus und wanderte vom
Körper weg. Zunächst dachte ich, sie habe es auf Hesperus abgesehen
und wolle ihm etwas antun – das Robotäquivalent eines Todeskusses
etwa -, doch dann machte der Fortsatz einen Bogen um ihn herum und
wanderte auf den abgetrennten Arm zu.
»Hesperus«, sagte
ich, »bitte wach auf!« Ich wollte schreien, doch das hätte keinen
Sinn gehabt. Wenn er mich nicht so schon hörte, konnte ich ihn
nicht erreichen.
Der Fortsatz setzte
seine Wanderung fort. Als er den Arm erreichte hatte, umschlang er
ihn wie eine Schlingpflanze den Ast eines Baumes. Dann zog er sich
langsam, aber stetig wieder zusammen und zerrte den Waffenarm mit
sich mit.
»Hesperus, bitte!«,
sagte ich.
Diesmal reagierte
er. Die Lichter in seinem Kopf leuchteten kurz auf. Der Fortsatz
hatte bereits ein Viertel des Weges zurückgelegt.
»Sie lebt noch.
Kadenz lebt.«
Kreischende,
verworrene Laute kamen aus der Tür – als schrien hundert Menschen
gleichzeitig in hundert verschiedenen Sprachen. Ich hatte das
Gefühl, Hesperus wolle mir mitteilen, dass er sehr stark verletzt
sei. Das aber wusste ich bereits.
»Steh auf!«, sagte
ich mit größerem Nachdruck. »Die Zeit wird knapp. Entweder du
stehst jetzt auf, oder wir sind beide tot. Tu, was ich dir sage,
Robot!«
Er regte sich. Ein
träges Gähnen, das den ganzen Körper erfasste. Dann lag er wieder
unbeweglich da.
»Kadenz ist im
Begriff, sich wiederherzustellen«, sagte ich. »Wenn du sie nicht
daran hinderst …«
»Mortu«, sagte er;
entweder versuchte er meinen Namen auszusprechen, oder er wollte
seinen Zustand charakterisieren.
»Beweg dich, mein
Goldjunge! Ich brauche dich.«
Er regte sich erneut
– diesmal wirkte die Bewegung koordinierter. Mit einer konvulsiven
Zuckung wälzte er sich auf die Seite. Jetzt sah er den anderen
Robot direkt an. Der abgetrennte Arm wanderte zwischen ihnen
entlang, die Hälfte des Weges lag bereits hinter ihm. Hesperus hob
einen Arm, spreizte die Finger und setzte die Handfläche auf den
Boden. Er stemmte sich hoch, bis er den anderen Ellbogen unter den
Oberkörper schieben und sich damit hochdrücken konnte. Dann zuckten
seine Beine, und er nahm eine Haltung zwischen Liegen und Sitzen
ein. Das kostete ihn offenbar viel Kraft, denn mehrere Sekunden
lang verharrte er regungslos. Der abgetrennte Arm hatte nur noch
ein paar Meter zurückzulegen, dann würde er sich wieder mit Kadenz
vereinigen. Offenbar war auch sie in ihrer Beweglichkeit
eingeschränkt, doch sobald der Arm wieder an Ort und Stelle säße,
würde sie über eine Waffe verfügen und könnte zielen und feuern.
Als ich mich damit tröstete, dass sie paralysiert sei, zuckte
Kadenz auf einmal und machte Anstalten, sich aufzusetzen. Wie
Hesperus wurde auch sie zusehends beweglicher. Die
Regenerationskraft der Robots war wirklich
erstaunlich.
»Hesperus!«, schrie
ich wider alle Logik.
Er erwachte aus
seiner vorübergehenden Lähmung und richtete sich schwerfällig auf.
Jetzt sah ich das ganze Ausmaß der Schäden – das Loch in seiner
Brust war so groß, dass man den Arm hätte hindurchstrecken können.
Die Wundränder waren mit einer silbrig glänzenden Masse und
quecksilbrigem Blut überzogen und sandten grellblaue Lichtblitze
aus. Das eine Bein war steifer als das andere. Er drehte sich
unbeholfen um und betrachtete Kadenz und den abgetrennten Arm, der
nur noch einen Meter vom Stumpf entfernt war.
So steif wie ein
Verletzter mit Gehschiene stakste er zu ihr hinüber. Kadenz zuckte
vor ihm zurück und hob abwehrend den unversehrten Arm. Hesperus
setzte seinen Fuß auf den silbrigen Tentakel. Dann kniete er
schwerfällig nieder, bis er mit der rechten Hand an den Waffenarm
heranreichte. Als er ihn hochhob und sich wieder aufrichtete,
dehnte sich der Fortsatz wie zerlaufener Käse. Er schloss die Faust
um den abgetrennten Arm und quetschte ihn mit aller Macht zusammen.
Dann schleuderte er ihn mit einer ruckartigen Bewegung in die
Dunkelheit. Ich erwartete unwillkürlich, beim Aufprall ein Klirren
zu vernehmen, doch das blieb aus.
»Hesperus«, sagte
ich, »kannst du mich hören?«
Er antwortete nicht,
tat aber einen weiteren Schritt auf den anderen Robot zu. Mit einem
Fußtritt beförderte er ihn auf den Rücken, dann setzte er ihm den
Fuß auf den Bauch. Kadenz schlug mit zunehmender Kraft um sich.
Hesperus beugte langsam die Beine, bis er auf ihr kniete. Dann
packte er mit beiden Händen ihren verbliebenen Arm. Seine Schultern
vollführten eine gewaltige, gorillaartige Bewegung, wobei der Arm
sich löste. Er schleuderte ihn geradezu verächtlich beiseite,
worauf er in ein paar Metern Entfernung zur Ruhe kam. Dann
schwenkte er herum, bis er ihre Beine vor sich hatte, und riss sie
nacheinander ab. Kadenz wand sich und zuckte krampfhaft, vermochte
aber nichts auszurichten.
Bald darauf hatte
Hesperus den Robot vollständig verstümmelt. Nur noch der Kopf saß
auf dem Torso. Hesperus richtete sich auf und drückte Kadenz’
heftig zuckende Überreste an seine Brust. Auf einem Bein hinkend,
näherte er sich der Tür. Mit klopfendem Herzen, die Energiepistole
noch in der Hand, ließ ich ihn in die Schleuse ein. Luft strömte
hinein. Die Innentür öffnete sich, und Hesperus taumelte hervor,
den Torso mitsamt des Kopfes hinter sich herzerrend. Seine
Bewegungen waren sehr träge und wirkten unkoordiniert. Es roch nach
verbranntem Metall, und aus seiner offenen Wunde kam ein zischendes
Geräusch.
»Ich bin
beschädigt«, sagte er gut verständlich.
»Nimm die hier«,
sagte ich und reichte ihm die Energiepistole. »Gib ihr den
Rest.«
»Ich will ihr nicht
den Rest geben. Sie kann uns noch von Nutzen sein.« Die Diskrepanz
zwischen seiner ruhigen Stimme und der hinkenden Gestalt mit dem
Durchschuss in der Brust war verstörend. Es war, als redete ich mit
einem Leichnam.
»Wirst du wieder
gesund werden?«
»Ich werde mich
wiederherstellen, das ist nur eine Frage der Zeit. Hilf mir auf die
Brücke. Dort ist es für uns sicherer.«
Hesperus, der noch
immer den anderen Robot trug, verlagerte so viel Gewicht wie
möglich auf meine Schulter, dann stapften wir gemeinsam durch die
Arche bis zu dem weißen, gebärmutterartigen Kontrollraum. Hier war
alles unverändert.
»Ich sollte Campion
anfunken.«
»Das kann warten.
Bring mir Maschinenaspik.«
»Welcher
Art?«
»Ganz egal.« Er ließ
den Torso zu Boden fallen. Kadenz beobachtete seine Bewegungen wie
eine Schlange, die auf eine Gelegenheit zum Zubeißen
wartet.
»Er lügt«, sagte sie
mit unveränderter Stimme. »Die Schäden, die er sich zugezogen hat,
sind irreparabel. Ihm droht der endgültige
Systemabsturz.«
Ich zielte mit der
Energiepistole auf sie. »Wir könnten sie auch jetzt gleich
erledigen.«
»Bitte den Aspik.«
Hesperus streckte seine zitternde Hand aus und nahm mir die Waffe
endlich ab. »Ich behalte sie im Auge. Bring für dich Synchromasch
mit.«
»Wieso
Synchromasch?«
»Tu’s
einfach.«
Es war das erste
Mal, dass ihm Gereiztheit anzumerken war. Offenbar hatte bei ihm im
Moment der menschliche Teil die Oberhand.
In einem Nebenraum
fand ich mehrere Tuben mit Mehrzweckaspik. Einen Augentropfer mit
Synchromasch trug ich bereits bei mir. Als ich wieder die Brücke
betrat, hielt Hesperus noch immer über dem zuckenden silbernen
Torso Wache.
»Was ist mit ihren
Körperteilen, die du draußen gelassen hast?«
»Von denen droht
einstweilen keine Gefahr. Sie werden versuchen, sich wieder zu
vereinigen, aber solange ihr Kopf und ihr Torso hier bleiben, wird
ihnen das nicht gelingen.« Er gab mir die Energiepistole zurück und
nahm die Aspiktuben entgegen. »Wie ich schon sagte, ich bin
beschädigt. Aber mit einer Dosis Grundstoffe kann ich mich
wiederherstellen.« Er drückte sich einen zitternden Klumpen
schwarzen Aspiks auf die Handfläche. Zum Zeichen der
Einsatzbereitschaft ordnete sich das Material in geometrischen
Strukturen an.
»Wird dir das
wirklich helfen?« Ich ging mit dem Rücken zur Wand in die Hocke und
zielte mit der Energiepistole auf Kadenz. »Das sind Nanomaschinen
für Menschen. Es würde mich wundern, wenn sie mit deinem Innenleben
etwas anfangen könnten.«
»Das können sie auch
nicht.« Sein maskenhaftes Gesicht formte ein erschöpftes Lächeln.
»Aber ich kann sie dazu bringen. Eigentlich ist es ganz einfach.«
Er schmierte den schwarzen Klumpen in seine Wunde und bedeckte
damit die silbrige Auskleidung des Schusskanals. Dabei gab er einen
Laut von sich, eine Art synthetisches Geheul, wie ein Funkgerät,
das gleichzeitig auf mehreren Kanälen empfängt. »Ich spüre keinen
Schmerz«, sagte er nach einer Weile. »Aber es herrscht … ein
gewisses Durcheinander. Der Aspik wird mir bei der
Wiederherstellung behilflich sein. Allerdings wird es eine Weile
dauern.« Er drückte sich einen weiteren Klumpen auf die Hand und
trug ihn über dem bereits verschmierten Material auf. Diesmal
zuckte er krampfhaft, als hätte er einen Stromstoß
bekommen.
»Hesperus?«
»Behalt Kaskade im
Auge.« Er verteilte weitere schwarze Paste auf seiner Brust. »Ich
muss in einen Zustand reduzierter Wahrnehmungsfähigkeit eintreten,
wenn die Reparaturen ausgeführt werden. Es könnte sein, dass ich
mehrere Stunden lang von der Außenwelt abgeschnitten bin,
vielleicht auch länger.«
»Ich mache mir
Sorgen. Sie ist ein Robot, Hesperus –
und ich habe gesehen, wie schnell du sein kannst.«
»Im Moment ist sie
nicht einsatzfähig. Ich würde dir raten, auf einer niedrigen Stufe
Synchromasch einzusetzen.«
»Das gefällt mir
nicht.«
»Mir auch nicht,
aber solange ich mich nicht wiederhergestellt habe, bin ich
nutzlos.« Er drückte einen letzten Aspikklumpen in die Wunde – die
inzwischen mehr Ähnlichkeit mit einem steilwandigen schwarzen
Krater als mit einem Tunnel hatte – und ließ sich gegen die Wand
sinken. Die Lichter in seinem Kopf flackerten noch einmal auf und
erloschen dann. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass noch Leben in
dem goldenen Körper war und dass die Selbstheilung eingesetzt
hatte.
»Nur zu«, sagte
Kadenz mit wohlklingender Stimme. »Nehmen Sie das Synchromasch. Ich
verspreche, brav zu sein.«
Plötzlich begann die
Arche so stark zu vibrieren, dass ich beinahe den Halt verloren
hätte.