Drei
Kurz vor dem
Eindringen in die Atmosphäre baute Ateshgas Raumschiff einen
Schutzschirm auf, dann durchbrach es die Wolkendecke. Der Impassor
der Bummelant war weniger wirkungsvoll,
weshalb wir ein wenig durchgerüttelt wurden, als die
aerodynamischen Kräfte zunahmen. Portula schnitt eine Grimasse und
murmelte etwas von wegen, wir hätten in ihr Schiff überwechseln
sollen. Die Silberschwingen kreiste im
Orbit und überwachten unsere Landung.
Ateshga flog mit uns
hundert Kilometer weit in die Wolken hinein, schaltete den
parametrischen Antrieb aus und schwamm mithilfe der sequenzierten
Feldmodifizierung durch die Luft. Diesen Trick hatte die
Bummelant schon seit fast zehntausend
Jahren nicht mehr vollführt. Ich schaltete von Pseudo- auf
Realschub um.
Über uns nahm der
Himmel allmählich ein pastellfarbenes Azurblau an, gestreift mit
feinen weißen Zirruswolken. Zwei Monde waren als schmale Sicheln zu
sehen, doch die im Schatten liegenden Ringe sah man nicht. Unter
uns blähten sich ockerfarbene Gewitterwolken, die sich durch den
senffarbenen Smog schoben. Durch Risse im Wolkengefüge sah man
weitere Wolken und chemische Dämpfe wogen, bis in verschwommene,
Hunderte Kilometer weit in die Tiefe reichende Abgründe
hinein.
»Ich halte es nicht
für ausgeschlossen, dass Ateshga uns hereinlegen will«, sagte
Portula.
»Warten wir mal ab,
was er uns zeigen will.«
Ateshga führte uns
tiefer hinab. Die Bummelant
protestierte gegen den zunehmenden Druck – die Impassoren mussten
sich anstrengen, um den Schutzschirm aufrechtzuerhalten -, doch ich
hatte sie schon stärker beansprucht und hatte daher volles
Vertrauen in ihr Durchhaltevermögen. Portula hatte sich neben mich
gesetzt und sich angeschnallt, denn der nachhinkende
Beschleunigungsdämpfer die Bummelant
schlug empfindlich auf den Magen.
Als wir durch die
ockerfarbenen Wolken hindurchstießen, lösten wir in unserem Gefolge
eine Reihe von Gewittern aus. Eine Weile waren wir in senffarbenen
Smog gehüllt und verloren jede Orientierung. Dann durchstießen wir
eine Tasche mit klarer Luft, erfüllt von silbrigem, diffusem
Sonnenschein, der die weit oben befindlichen Wolkenschichten
durchdrang.
Dann auf einmal
erblickten wir die Raumschiffe, die Ateshga zu verkaufen
hatte.
»Bitte sag mir, dass
das nicht wahr ist«, sagte Portula.
»Ich wünschte, es
wäre so.«
»Um die Welt der
Zentauren sind mehr Schiffe gekreist, als hier zu sehen
sind.«
»Ich habe Sie davor
gewarnt, diesem Mann zu vertrauen«, sagte Doktor Meninx. »Von
Anfang an war klar, dass wir es mit einem Scharlatan zu tun haben,
der nur Ausschuss anzubieten hat.«
Insgesamt waren es
zwölf Raumschiffe.
Sie schwebten reglos
in der Atmosphäre, ein jedes in eine ortsfeste Schutzblase gehüllt.
Die kleinsten waren so groß wie die Bummelant, also fünf bis sechs Kilometer lang, die
größten gehörten wie die Silberschwingen des
Morgens der Medium-Klasse an und maßen vom Bug bis zum Heck
zwanzig bis dreißig Kilometer. Ein dolchförmiges Schiff war ganze
fünfzig Kilometer lang; die funkelnde rot-weiße Aufschrift machte
es als Nadelraumschiff vom Erlöser-Typ kenntlich. Es wirkte
beeindruckend, doch den größten Teil des Innenraums nahmen
vermutlich der Antrieb und die Feldgeneratoren ein. Irgendwo in der
Mitte würde es auch ein paar Kubikmeter Lebensraum
geben.
Fast ebenso lang und
noch weit imposanter war die verschwenderisch gemusterte goldene
Sphäre eines Mondschiffs aus der Zeit des Zweiten Imperiums. Sie
war hohl, mit Öffnungen an beiden Polen. In einem Mondschiff war
Platz für eine Stadt mit einer Milliarde Einwohnern oder die
Datenschätze von tausend Welten. Mondschiffe waren freilich auch
beliebte Ziele weniger ehrbarer Zeitgenossen, und ich wollte mich
nicht dauernd über die Schulter umsehen müssen.
Das andere Ende der
Skala nahm Ateshgas kleinstes Raumschiff ein, ein 2,2 Kilometer
langer geriffelter Zylinder, der aussah, als sei er aus türkis
gemasertem Marmor gemeißelt. Die strengen Linien und der
schmucklose Rumpf machten es als Markgräfler-Artefakt kenntlich.
Vorausgesetzt, es war gut in Schuss, verfügte ein solches Schiff
über eine ausgezeichnete Beschleunigung und eine sehr hohe
Reisegeschwindigkeit. Die mentalen Anpassungen, die ich hätte
vornehmen müssen, um an Bord auch nur zu überleben, ganz zu
schweigen davon, das Schiff zu steuern, waren nach den
Familienregeln jedoch streng verboten.
Somit blieben noch
neun Raumschiffe zur Wahl, doch die meisten davon konnte man schon
auf den ersten Blick aussondern. Zu langsam, zu alt, zu verwundbar,
zu schwierig zu warten, wenn mal eine der nicht-regenerativen
Komponenten ausfallen sollte. Ein Randläufer wirkte ganz
vielversprechend – er wäre jedenfalls schneller gewesen als die
Bummelant -, doch dann fiel mir die
berüchtigte Unschärfe an der Grenze der Schwebeblase auf, die
darauf hindeutete, dass die Impassoren sich dem Ende ihrer
Haltbarkeitsdauer näherten. Auch das fünf Kilometer lange
Totenschädelschiff der Canopus-Sodalität zog ich kurzzeitig in
Betracht, bis mir einfiel, dass diese Schiffe im Ruf standen, ihre
Insassen zu ermorden. Ein Trimaran des Ewigen Commonwealth wirkte
so gut wie neu, doch aufgrund der Feldstreben, welche die drei
Rümpfe miteinander verbanden, war die Maximalbeschleunigung stark
eingeschränkt. Eine schnelle Beförderung hatte für die Bürger des
Ewigen Commonwealth keine Priorität besessen, denn sie hatten der
kühnen Hoffnung angehangen, ihr Reich werde Millionen Jahre
unverändert überdauern.
Damit hatte ich
Ateshgas Sammlung auch schon durch. Zwölf Relikte, von denen keines
auch nur annähernd meinen Erwartungen entsprach.
»Lassen Sie sich
ruhig Zeit«, sagte Ateshgas Imago. »Wenn Sie möchten, können Sie
das Angebot ausgiebig testen. Wie viel möchten Sie denn anlegen,
wenn ich fragen darf?«
»Das spielt keine
Rolle, Ateshga. Ich fürchte, für mich ist keines dieser Raumschiffe
von Interesse.«
»Nicht so eilig,
Reisender. Wir haben vieles miteinander zu besprechen. Ich weiß
nicht einmal, von welcher Zivilisation Sie kommen, und da sprechen
Sie bereits vom Abschied.« Er hob den Kopf und legte ihn schief,
als sei ihm soeben eine Idee gekommen. »Auch wenn keines der
Schiffe bei Ihnen Anklang findet, wäre es nicht vielleicht doch
möglich, zu einer Einigung zu kommen, von der wir beide etwas
haben? Wie wär’s mit einem Upgrade? Ich kann Ihnen einen
Ersatzantrieb, einen neuen Feldgenerator, neue Bewaffnung oder
bessere Sensoren anbieten.«
»Die Sie einem
dieser ausgemusterten Schrottkähne entnommen haben?«
»Keineswegs. Im
Mondschiff habe ich eine bescheidene Ersatzteilsammlung. Alle Teile
von tadelloser Qualität.« Er verschränkte wieder die Hände und
deutete eine Verneigung an. Das weiße Gesicht verschob sich zu
einem einladenden Lächeln. »Wie wär’s, wenn Sie mir sagen würden,
was Sie anzubieten haben, und dann schauen wir uns meine Waren
an?«
Portula neigte sich
zu mir herüber und flüsterte: »Also, ich weiß nicht. Du bist wegen
eines neuen Raumschiffs hergekommen, nicht wegen Ersatzteilen.
Wär’s nicht besser, du würdest dich an den ursprünglichen Plan
halten?«
»Schauen wir uns mal
an, was er anzubieten hat«, meinte ich. »Vielleicht finden wir ja
etwas Verwertbares.«
»Reisender?«
»Ich werde meinen
Datenspeicher erst dann öffnen, wenn wir wissen, dass sich das
Feilschen lohnt«, sagte ich zum Imago. »Aber ich kann Ihnen einen
Vorgeschmack darauf geben. Wir haben sensorische Epen aus dem Krieg
der Lokalen Blase, die noch nicht in Umlauf sind. Technische
Dokumente und Anhänge des Maschinenvolks. Sieben logisch
konsistente Erklärungen für die Absenz. Meinen Bericht über eine
Reise zur Vigilanz und die Zeit, die ich im Verdauungstrakt eines
der Kuratoren zugebracht habe. Eine Karte der Handelswelten vor der
erzwungenen Migration. Ist irgendetwas davon für Sie von
Interesse?«
»Das meiste«,
antwortete Ateshga. »Bitte kommen Sie in mein Mondschiff – ich bin
sicher, Sie werden in höchstem Maße angetan sein. Sind Sie vertraut
mit den Relikten des Zweiten Imperiums?«
»Ein
wenig.«
»Dann dürfen Sie
sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Kommen Sie und
schauen Sie sich um.«
Ateshgas Schiff
berührte und durchdrang den Schutzschirm des Mondschiffs, einen
sich weitenden Kreis aus blauweißer Energie, der die Oberfläche der
beiden Felder nachzeichnete. Im Innern des Impassors angelangt,
schaltete er seinen Generator aus und nahm eine Position über dem
Nordpol ein. Der verschwenderisch geschmückte Rumpf des Mondschiffs
krümmte sich in den Pol hinein und schuf die Illusion, die Muster
strömten auf die Innenfläche. Mir war das alles neu; bis jetzt war
ich einem Mondschiff noch nie so nahe gekommen.
Ateshgas Schiff
passte nur mit Mühe durch die nördliche Öffnung. Als es
hindurchflog, waren an beiden Seiten der zehn Kilometer
durchmessenden Öffnung allenfalls noch ein paar hundert Meter
Platz. Ich folgte ihm ohne Zwischenfall und stoppte unmittelbar
hinter dem Heck seines schwarz facettierten Raumschiffs. Aus allen
Richtungen umströmte uns goldenes Licht. Zahlreiche Objekte
unterschiedlicher Größe und Form schwebten ringsumher im Raum,
gebadet in dem prachtvollen Schein.
»Haben Sie
dergleichen schon einmal gesehen?«, fragte Ateshga. »Dort drüben,
zu Ihrer Linken, sehen Sie den Antrieb eines Forger Wolkenhirten.
Zu Ihrer Rechten Panzermodule von Sycorax. Die waren schon eine
Weile in Gebrauch, sind aber noch immer so gut wie am Tag der
Fertigstellung.«
Ich wollte ihm
gerade antworten – ihm sagen, dass ich Zeit bräuchte, um mich
umzuschauen, dass ich jedoch zuversichtlich sei, etwas Passendes zu
finden -, als das Schiff verschwand.
»Das war wohl doch
keine so gute Idee«, bemerkte Portula.
Auch Ateshgas Imago
war verschwunden: Wir waren auf der Brücke allein. Ich drängte die
Bummelant nach vorn, doch sobald mein
Schiff sich in Bewegung setzen wollte, meldete es auch schon eine
gefährliche Überlastung und löste die Notabschaltung des Antriebs
aus.
»Wir sitzen in der
Falle.«
»Ist mir auch schon
aufgefallen.«
Ich musterte sie mit
einem übertrieben liebenswürdigen Lächeln. »Irgendwelche
konstruktiven Vorschläge, abgesehen von der Bemerkung, dass wir
jetzt nicht in der Patsche sitzen würden, wenn wir dein Schiff
genommen hätten?«
»Wenn die Familie
Gentian sich so ihrer Gäste annimmt, dann wäre ich nicht gern ihr
Gefangener«, sagte Doktor Meninx.
»Wie wir mit
Gefangenen umspringen«, erwiderte ich, »wollen Sie gar nicht
wissen. Haltet durch, ihr beide. Ich steuere das Schiff zur
Wand.«
Der Antrieb sprang
an und wurde immer lauter. Er kreischte, obwohl er in Wirklichkeit
völlig lautlos arbeitete, selbst bei maximaler Leistung. Was wir
hörten, waren alte Tonaufzeichnungen, die zur Brücke übertragen
wurden. Portula hatte dieser melodramatische Zug noch nie gefallen,
doch ich glaube, selbst sie war in diesem Moment dankbar für den
Hinweis darauf, dass der Antrieb sein Äußerstes gab.
Doch es reichte
nicht. Das Schiff begann zu vibrieren, die Konsole warnte mich, der
Antrieb sei im Begriff, die Hülle zu durchstoßen.
Ich wies das Schiff
an, seine Bemühungen abzubrechen. Das Antriebsgeräusch schwächte
sich zu einem Summen ab, dann setzte dumpfe, vorwurfsvolle Stille
ein.
Nach längerem
Schweigen sagte ich: »Ateshga? Hören Sie mich?«
»Der wird nicht
antworten«, sagte Portula. »Er hat schon alles, was er wollte: dein
Schiff und alles, was sich darin befindet.«
»Ich verlange, dass
Sie sich den Weg freischießen«, sagte Doktor Meninx.
Portula wandte sich
ihm zu. »Wir befinden uns im Innern eines Mondschiffs und werden
von einem Kraftfeld festgehalten. Sie sollten sich mal überlegen,
welche Folgen der Einsatz von Waffen in dieser Situation
hätte.«
Der Avatar gab keine
Antwort, sondern starrte sie nur gereizt und voller Verachtung an,
als wäre sie für die erwähnten Folgen persönlich
verantwortlich.
»Was dagegen, wenn
ich mal mit ihm rede?«, fragte Portula.
»Nur zu, wenn du
meinst, er wird dir antworten.«
Sie zog die Konsole
näher an sich heran. »Ateshga? Hier spricht Portula, die Eignerin
der Silberschwingen des Morgens. Ich
hoffe, Sie hören zu, denn ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges zu
sagen. Ich hatte von dem Moment an, da Sie aus der Atmosphäre
aufgetaucht sind, meine Zweifel. Die Zweifel waren so groß, dass
ich einen Befehl an mein Schiff gesendet habe, bevor ich Campion
erlaubt habe, mich in diese Falle zu bringen. Wenn sich das Schiff
nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums meldet, den zu benennen
ich nicht die Absicht habe, wird sich die Silberschwingen mit Notbeschleunigung aus diesem
System entfernen.«
Ich musterte sie mit
einem Blick, der die aufrichtige Hoffnung ausdrückte, sie habe die
Wahrheit gesagt. Wie ich Portula kannte, lag ich damit wohl
richtig.
»Soll ich Ihnen auch
noch die andere Anweisung verraten, die ich dem Schiff gegeben
habe, Ateshga?«, fuhr sie fort. »Es soll einen ausführlichen
Bericht an das private Netzwerk der Familie Gentian übertragen. Ja,
Campion und ich sind beide Splitterlinge. Der Gedanke ist Ihnen
noch gar nicht gekommen, nicht wahr? Sonst hätten Sie nämlich nicht
wissen wollen, welcher Zivilisation wir angehören.«
Nach einer Weile
tauchte Ateshgas Avatar wieder auf. »Das kann jeder
behaupten.«
»Aber ich behaupte es, und ich bin eine Gentian. Sie
hätten vorsichtiger sein sollen, Ateshga. Sie haben zwei
Raumschiffe gesehen und sich gedacht: Das können keine
Splitterlinge sein, denn die reisen stets allein. In den meisten
Fällen trifft das auch zu. Campion und ich aber sind keine
gewöhnlichen Splitterlinge. Wir sind ein Paar. Das heißt, wir
reisen zusammen, was wiederum heißt, dass Sie in unvorstellbar
großer Gefahr sind.«
»Sie haben mir
keinen Anlass zu der Vermutung gegeben, Sie gehörten der Familie
Gentian an.«
»Das will ich gerade
ändern. In der Zwischenzeit sollten Sie sich überlegen, was es
heißt, sich uns zu Feinden zu machen. Es gibt zwar insgesamt keine
Tausend mehr von uns, aber immerhin noch achthundertachtzig, uns
beide nicht mitgerechnet. Das macht achthundertachtzig
Splitterlinge, die Sie sich besser nicht zu Feinden machen sollten.
Gegner, die nicht nur die exakte Position Ihres Sonnensystems
kennen, sondern auch über die mächtigsten Waffen verfügen, die je
erfunden wurden.«
»Ohne Beweis sind
Ihre Drohungen gegenstandslos.«
»Ich weiß, und
deshalb hat die Familie Gentian Vorsorge getroffen, dass jeder
Angehörige seine Authentizität beweisen kann. Aufgrund der Daten in
Campions Datenspeicher weiß ich, dass dieses Sonnensystem erst vor
zweihunderttausend Jahren Besuch von einem Gentian-Splitterling
bekommen hat. Dieser Splitterling – sie hieß Mimulus – hat sich
Ihnen mit einem Passwort zu erkennen gegeben, das Ihnen bei einem
früheren Besuch der Familie genannt wurde. Bei ihrer Abreise hat
Mimulus Ihnen ein anderes Passwort genannt, ein Wort ihrer Wahl,
das sie später bei unserem privaten Netzwerk registriert hat. Da
Sie seitdem von keinem anderen Splitterling besucht wurden, ist das
Passwort noch immer gültig.« Portula holte theatralisch Luft. »Es
lautet Passacaglia.«
Das Schweigen dehnte
sich. Vor uns schwebte die Kapuzengestalt in der Luft, das Gesicht
zu einer undurchschaubaren Maske erstarrt. Das war lediglich die
Gestalt, die Ateshga annahm, um seine Gäste in die Falle zu locken.
Vielleicht glich er ja seinem Avatar, oder aber er war in
Wirklichkeit ein Geist von der Größe einer Stadt, der über dem
flüssigen Wasserstoffozean schwebte, der sich unter der untersten
Wolkenschicht befand.
»Sie könnten das
Passwort irgendwie in Erfahrung gebracht haben«, sagte er. »Sie
könnten einen Splitterling abgefangen und verhört haben, oder Sie
sind in das private Netzwerk eingedrungen.«
»Es könnte aber auch
sein, dass es sich genauso verhält, wie wir behaupten«, sagte
Portula.
Endlich zeigte sich
in dem Maskengesicht ein Anflug von Zweifel. »Vielleicht ist es zu
einem kleinen Missverständnis gekommen.«
»Als klein würde ich
das nicht bezeichnen, Ateshga. Die Frage ist: Was wollen Sie jetzt
tun?«
Die Bummelant ruckte leicht, als das Feld sie freigab.
Vorsichtig fuhr ich den Antrieb hoch, darauf gefasst, dass wir
abermals zurückgehalten würden, doch wir konnten uns frei bewegen.
Wir durchflogen den Südpol des Mondschiffs und gelangten wieder in
die Vakuumblase, die das große Raumschiff umhüllte. Dann schaltete
ich wieder meinen eigenen Impassor ein, bevor ich in die
aufgewühlte Jupiteratmosphäre eindrang.
»Wir warten«, sagte
Portula.
»Könnte ich die
Angelegenheit mit einem großzügigen Rabatt aus der Welt
schaffen?«
»Ein Rabatt wird da
nicht reichen. Vielleicht wäre es ein guter Anfang, wenn Sie uns
ein Schiff schenken würden.«
»Aber er hat doch
gar keine …«, setzte ich an.
Portula fiel mir ins
Wort. »Dann reden wir über die Leute, die Besatzungen und
Passagiere der anderen Schiffe.«
»Die Leute?«,
wiederholte Ateshga ausdruckslos.
»Wir wollen mal
etwas klarstellen. Auch dann, wenn ich den Eindruck gewinnen
sollte, dass Sie mir nicht die ganze Wahrheit sagen, werde ich mein
Schiff anweisen, unverzüglich die Familie zu
alarmieren.«
Er setzte eilig ein
Lächeln auf. »Ich wollte lediglich Gewissheit haben,
Splitterling.«
»Dann lassen Sie uns
Klartext reden. In den Raumschiffen sind Leute. Vielleicht haben
Sie sie getötet, aber vermutlich haben Sie es vorgezogen, sie am
Leben zu lassen oder sie in Stasis zu versetzen. Das würde Sie
nichts kosten, und Sie würden sich die Option offenhalten, sie
irgendwann weiterzuverkaufen. Viele Zivilisationen würden für mit
alten Erinnerungen vollgestopfte Persönlichkeiten eine Menge
zahlen.«
»Um wie viele
Personen geht es?«, fragte ich.
»Ich habe gut für
sie gesorgt«, sagte Ateshga.
»Das können Sie
dadurch beweisen, dass Sie sie uns zeigen«, erwiderte Portula.
»Bringen Sie sie her, so viele wie möglich.«
»Das wird eine Weile
dauern.«
»Hier hat niemand
Eile. Wenn das mit den Leuten geregelt ist, sprechen wir über die
anderen Schiffe.«
»Die anderen
Schiffe?«
»Habe ich Ihnen
nicht gerade Konsequenzen angedroht für den Fall, dass Sie uns
etwas verschweigen?«
»Natürlich. Die
anderen Schiffe. Darauf wollte ich gerade zu sprechen
kommen.«
»Welche anderen
Schiffe?«, flüsterte ich.
»Wart’s ab!«,
zischte Portula.
Wie Portula
vorausgeahnt hatte, dauerte es eine Weile, doch ich glaube nicht,
dass Ateshga das Ganze schneller hätte abwickeln können, selbst
wenn er gewollt hätte. Die Personen waren einzeln, zu zweien, in
Gruppen von dreien und mehr und in noch viel größeren Ansammlungen
eingelagert. Jede Einheit – ob sie nun ein Individuum oder hundert
enthielt – bestand aus einer gepanzerten Kapsel mit unabhängiger
Energieversorgung und war mit Stasisvorrichtungen und einem kleinen
Impassor ausgestattet; nicht groß genug, um ein ganzes Raumschiff
zu verschlucken, aber vollkommen ausreichend, um eine Schlafkapsel
zu schützen.
Als sie aus dem
Bauch des Mondschiffs befreit waren, schwebten die Einheiten als
eine Wolke glasartiger Kugeln in der Atmosphäre, jede mit einem
anders gefärbten und geformten Gegenstand in der Mitte. Einige
Einheiten waren sehr alt, während andere mir von ihrer
Erscheinungsform her völlig unbekannt waren.
Sie glichen Murmeln
in einem Spielzimmer des Familienhauses in der Goldenen
Stunde.
»Sind auch
Angehörige unserer Familie dabei?«, fragte ich.
»Der Familie
Gentian, verehrter Splitterling? Meines Wissens
nicht.«
»Und was ist mit den
anderen Familien – mit der Familie Kanzler, der Familie Tremaine,
mit Parison und Zoril – auch wenn deren Herkunft nicht verbürgt
ist?«
Ich schauderte
angesichts der verblüffenden Belohnung, die mir zuteil werden
würde. Die Befreiung der Angehörigen anderer Familien – von
Splitterlingen, von denen man geglaubt hatte, sie seien unterwegs
auf der Strecke geblieben – würde das Ansehen der Gentianer
gewaltig mehren.
»Schaffen Sie die
Angehörigen der anderen Familien – und jeden, von dem Sie vermuten,
er könnte einer Familie angehören – in den Frachtraum meines
Schiffes. Sobald sie in die Schutzblase der Bummelant eingetreten sind, werden die Impassoren
abgestellt werden, dann gibt es ausreichend Platz für
sie.«
»Und was ist mit den
anderen?«, warf Portula ein. »Womit haben wir es hier zu tun? Mit
Naszenten? Verschollenen Sternenfahrern aus untergegangenen
Kulturen?«
Ateshgas Stimme
schwankte am Rande einer gefährlichen Wahrheit. »Auf die meisten
trifft das zu.«
»Wir werden
Folgendes tun«, sagte ich. »Machen Sie ein Schiff bereit, das groß
genug ist, um alle Subliminale aufzunehmen. Packen Sie sie hinein
und statten Sie sie mit ausreichend Geräten aus, um ihren Zustand
so lange aufrechtzuerhalten, bis sie irgendwo angekommen sind. Dann
starten Sie das Schiff und programmieren es darauf,
vielversprechende Sonnensysteme anzulaufen, bis die Insassen einen
Ort zum Leben gefunden haben. Wir werden das Schiff im Auge
behalten.«
»Natürlich,
natürlich«, sagte Ateshga, als verstünde sich das alles von
selbst.
»Und jetzt zeigen
Sie uns die anderen Raumschiffe«, sagte ich.
Portula hob den
Zeigefinger. »Warte einen Moment. Wen haben wir vergessen, Ateshga?
Wenn die Angehörigen der Häuser und die Untergänger versorgt sind,
wer bleibt dann noch übrig? Und denken Sie daran, welche Folgen Sie
zu gegenwärtigen haben, wenn Sie uns etwas
verschweigen.«
Ich spürte das
Zögern in seiner Stimme. »Da ist noch einer. Er befindet sich schon
seit einer ganzen Weile in meiner Obhut.«
»Wir
hören.«
»Er heißt Hesperus.
Er ist ein Gesandter des Maschinenvolks.«
Ich schüttelte
verwundert den Kopf. »Sie haben einen Angehörigen des
Maschinenvolks gefangen genommen, und er lebt noch?«
»Das Ganze war ein
Irrtum. Um nicht aufzufallen, gab Hesperus sich als biologischer
Reisender aus. Hätte ich gewusst, mit wem ich es zu tun habe, hätte
ich ihn niemals festgehalten. Ich brauche wohl nicht extra zu
erwähnen, dass ich keine andere Wahl hatte, als die Sache
durchzuziehen, nachdem ich meine Absichten erst einmal kundgetan
hatte. Ich durfte nicht zulassen, dass Hesperus nach Hause
zurückkehrte.«
»Weil Sie das
Maschinenvolk noch mehr fürchten als die Familien«, sagte Portula.
»Und das mit Fug und Recht. Sie wollen sich uns nicht zu Feinden
machen, aber sich mit dem Maschinenvolk anzulegen … daran wollen
Sie gar nicht erst denken.«
»Sie haben mit dem
Feuer gespielt«, sagte ich. »Und jetzt übergeben Sie uns Hesperus,
bevor Sie alles nur noch schlimmer machen.«