Acht
Campion kam zu mir
herübergeflitzt und berichtete, was er soeben vom Aquatiker
erfahren hatte. Ich hatte so meine Zweifel an der Glaubwürdigkeit
des Doktors in seiner Eigenschaft als Augenzeuge, wusste aber, dass
wir keine andere Wahl hatten, als die Aussprache mit Hesperus zu
suchen. Als wir zur Bummelant
hinüberflitzten, klopfte mir bei dem Gedanken an die bevorstehende
Auseinandersetzung das Herz bis zum Hals.
Zufällig machte
Hesperus es uns leicht. Als wir aus der Flitzkabine traten,
erwartete er uns bereits, als hätten wir uns
verabredet.
»Wollten Sie mich
sprechen?«, fragte ich in möglichst beiläufigem Ton.
»Ich hätte Sie
aufgesucht, wenn Sie mir nicht zuvorgekommen wären.« Er stand mit
hängenden Armen in der Tür. »Ich hoffe, das kommt Ihnen nicht
ungelegen.«
»Natürlich nicht«,
sagte ich.
»Es gibt etwas,
worüber ich mit Ihnen sprechen muss.« Hesperus blickte zwischen mir
und Campion hin und her. »Ich hätte es Ihnen schon eher sagen
sollen, doch ich muss gestehen, dass ich nicht wusste, was ich von
der Angelegenheit halten sollte. Ich wollte Sie nicht unnötig
beunruhigen.«
»Beunruhigen,
Hesperus? Weshalb sollten wir beunruhigt sein?«, fragte
ich.
Campion hüstelte.
»Wir wollten ebenfalls etwas mit Ihnen besprechen.«
»Geht es um meinen
Arm?«
Campion sah mich an,
als erwartete er, dass ich die Initiative übernahm. Dabei hatte er
mir die Neuigkeit überbracht.
»Sag es ihm«,
flüsterte ich.
»Wir haben uns
gefragt …«, setzte Campion an.
»Ich nehme an,
Doktor Meninx hat mit Ihnen gesprochen?« Obwohl wir beide schwiegen
und uns jeder sichtbaren Reaktion enthielten, nickte Hesperus, als
hätten wir die Frage bejaht. »Das habe ich befürchtet. Ich wusste
nicht genau, ob er genug gesehen hatte, um misstrauisch zu werden,
doch anscheinend war das der Fall. Ich an seiner Stelle hätte ganz
ähnlich reagiert. Allerdings hätte er zunächst mit mir darüber
sprechen können.«
»Doktor Meninx war
ein wenig erschrocken«, sagte Campion.
»Was wollten Sie uns
sagen?«, fragte ich.
»Ich wollte Ihre
Fragen bezüglich meines Arms beantworten.«
Campion sagte:
»Doktor Meninx hat gesehen, dass Sie etwas untersucht haben, doch
er konnte nicht genau erkennen, was es war.«
»Das muss ihm ebenso
peinlich gewesen sein wie mir«, erwiderte Hesperus.
»Weswegen sollte
Ihnen das peinlich gewesen sein?«
»Ich war von meiner
Entdeckung ebenso überrascht wie Doktor Meninx. Ich weiß noch immer
nicht, was ich davon halten soll.« Die Metallmaske seines Gesichts
wirkte gelassen und wachsam, so als hätte Hesperus sich bereits in
sein Schicksal gefügt. »Möchten Sie sehen, was unter der
Verkleidung meines linken Arms verborgen ist? Die Metallteile
lassen sich leicht abnehmen.« Ohne abzuwarten, was Campion und ich
dazu zu sagen hatten, beugte Hesperus den linken Arm und fasste mit
der Rechten ein Stück Verkleidung. Es löste sich und fiel klirrend
zu Boden. Er nahm ein weiteres Stück ab und dann noch eins, bis nur
noch die Hand verkleidet war. Dann packte er die Hand und zog die
mit Gelenken versehene Umhüllung wie einen Handschuh
ab.
Der Unterarm wirkte
vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen vollkommen menschlich. Er war
muskulös und maskulin, bedeckt mit dunkler, schweißglänzender Haut.
An der Handfläche und an der Unterseite der Finger war die Haut
etwas heller gefärbt. Als er den Arm drehte und die Finger krümmte,
sah ich die Härchen am Handrücken, das Nagelhäutchen und die Adern
unter der Haut.
»Es ist das, was es
scheint«, sagte Hesperus, während wir beide schwiegen. »Das ist
menschliche Haut, darunter befinden sich menschliche Muskeln.«
Langsam und vorsichtig kratzte er mit dem rechten Daumen am Gelenk
seines organischen Arms, bis ein Blutstropfen austrat. »Sie blutet.
Und heilt auch. Das habe ich gerade untersucht, als ich von Doktor
Meninx gestört wurde. Ich hatte mich zuvor gekratzt und wollte
nachschauen, wie weit die Wunde inzwischen verheilt
war.«
Campion fand als
Erster die Sprache wieder. »Sie reden so, als wüssten Sie nicht,
was das ist.«
»Habe ich Ihnen
nicht gesagt, dass ich selbst überrascht über meine Entdeckung
war?«
»Wie war es möglich,
dass Sie das nicht eher entdeckt haben?«
»Ich habe Ihnen
bereits gesagt, dass ich so gut wie nichts über mich weiß. Es
grenzt schon an ein Wunder, dass ich überhaupt meinen Namen kenne.
Glauben Sie, ich hätte vorgehabt, das hier vor Ihnen geheim zu
halten?«
»Aber Sie haben es
geheim gehalten«, sagte Campion.
»Nur deshalb, weil
ich mir zunächst selbst darüber klar werden wollte. Von dem Moment
an, da ich mich wieder bewegen konnte, habe ich mir Gedanken über
meine unterschiedlichen Arme gemacht. Ich habe versucht, durch die
Verkleidung zu spähen, doch die ist undurchdringlich für meine
Sensoren. Schließlich wappnete ich mich und nahm einen Teil der
Verkleidung ab, um das Geheimnis zu lüften. Ich traute meinen Augen
nicht …« Es war das erste Mal, dass er ins Stocken geriet. »Sie
werden es mir hoffentlich nachsehen, wenn ich gestehe, dass ich
zunächst entsetzt war über das, was man mir angetan hat. Nicht
deshalb, weil das Organische mich abstößt, sondern weil es keinen
Platz in mir hat. Ich glaube, Sie wären nicht minder entsetzt, wenn
Sie sich kratzen und unter der Haut funkelndes Metall entdecken
würden. Ich sagte mir jedoch, es müsse eine vernünftige Erklärung
dafür geben, die auch Sie zufriedenstellen würde.« Hesperus ließ
den Arm langsam sinken. »Doch es gibt keine. Ich kann mir das
Vorhandensein des Arms nicht erklären.«
»Könnte es sein,
dass Sie beschädigt wurden?«, fragte ich. »Vielleicht ist der
ursprüngliche Arm ja verloren gegangen, und als Ersatzteil stand
nur der Arm eines menschlichen Toten zur Verfügung. Sie haben ihn
sich aufgepfropft, um die Reparatur später durchzuführen, und dann
haben Sie den Vorfall vergessen.«
»Wir hätten keinen
Grund, eine solche Operation durchzuführen. Sollte ich einen Arm
verlieren, könnte ich ihn in kurzer Zeit wiederherstellen,
vorausgesetzt, ich könnte auf die erforderlichen Grundstoffe
zurückgreifen – Metall, Plastik, Maschinenaspik. Stünden nicht
genügend Grundstoffe zur Verfügung, könnte ich einen Teil meiner
Grundmasse abzweigen, ohne dass es zu größeren Beeinträchtigungen
kommen würde. Ich hätte keinen Grund, in Kadavern zu
wühlen.«
»Dann hat das
Ateshga getan, nicht Sie«, sagte Campion. »Er hat Sie beschädigt
und Ihnen ein organisches Ersatzteil eingesetzt, da er nicht
wusste, dass Sie sich selbstständig wiederherstellen
können.«
»Ich wünschte, dem
wäre so, doch bedauerlicherweise weiß ich, dass diese Erklärung
nicht stichhaltig ist. Der Arm ist ein integraler Bestandteil
meiner selbst. Als die Verkleidung entfernt war, konnte ich tiefer
in die Struktur hineinblicken. Ich fand heraus, das unter dem
Fleisch und dem Muskelgewebe im Wesentlichen das gleiche
mechanische Skelett zu finden ist wie bei meinem anderen Arm.« Er
krümmte erneut die Finger. »Ich könnte damit noch immer großen
Schaden anrichten, wenn das meine Absicht wäre. Das Skelett wurde
allerdings dahingehend modifiziert, dass es dem Bau der
menschlichen Knochen ähnelt und eine Stützmatrix für das organische
Gewebe bildet. Außerdem wurde es mit Geräten ausgestattet, deren
Funktion mir ein Rätsel ist, doch anscheinend dienen sie dazu, die
organischen Stoffe bereitzustellen, die das Gewebe zum Leben
braucht.« »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte ich. »Dass der Arm
von innen nach außen gewachsen ist?« »Eine andere Erklärung sehe
ich nicht, Portula. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mich
selbst reparieren kann. Außerdem läge es durchaus im Bereich meiner
Möglichkeiten, einen solchen Arm hervorzubringen.« »Weshalb hätten
Sie das tun sollen?«, fragte ich. Hesperus schaute betrübt drein.
»Ich fürchte, jetzt betreten wir das Reich der Spekulation. Könnte
ich Ihnen eine aufrichtige, unzweideutige Antwort geben, würde ich
nicht zögern, es zu tun. So aber bin ich ebenso wie Sie auf
Mutmaßungen angewiesen.« »Könnte Ihnen jemand die Transformation
aufgezwungen haben?«, fragte Campion. »Sie aus irgendeinem Grund
dazu genötigt haben?« »Ich wüsste nicht, welchen Grund es dafür
hätte geben sollen. Desgleichen kann ich mir kaum vorstellen, wie
man mich zu irgendetwas zwingen sollte.« »Sie werden gewiss
verstehen, weshalb es mir lieber wäre, wenn jemand Sie genötigt
hätte.« »Weil ich die Transformation absichtlich durchgeführt haben
muss, wenn kein Zwang im Spiel war? Ja, daran habe ich auch schon
gedacht.« Hesperus betrachtete seinen Arm mit neu erwachtem
Widerwillen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich die
Verkleidung gern wieder anbringen.«
»Sie finden die
Entdeckung anscheinend ebenso verstörend wie wir«, meinte ich
erstaunt.
»Doktor Meninx’
Bestürzung war vollkommen berechtigt.«
»Wenn Sie möchten,
können Sie den Arm wieder verstecken«, sagte ich, »doch ich finde
ihn nicht abstoßend. Der Arm ist halt ein Teil von Ihnen. Wenn es
ihn gibt, dann aus einem bestimmten Grund – auch wenn wir den nicht
kennen.«
Campion bedachte
mich mit seinem Sprich-für-dichselbst-Blick.
Hesperus streifte
sich den Handschuh über die Finger, dann kniete er nieder und hob
die herabgefallenen goldenen Verkleidungsteile auf. Er setzte sie
mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein, als wollte er sich des
Anblicks so rasch wie möglich entledigen. Der Arm sah wieder so aus
wie vorher, doch nun, da ich wusste, was sich darin verbarg, konnte
ich mich der Vorstellung nicht erwehren, die Haut und die Muskeln
wollten durch das Metall hindurch an die Oberfläche
dringen.
»Was nun?«, fragte
Campion leise.
»Hesperus und Doktor
Meninx müssen sich noch aussprechen.« Ich blickte mich argwöhnisch
um, als erwartete ich, der Papieravatar des Doktors könnte sich
unbemerkt an uns angeschlichen haben. Als ich sah, dass wir unter
uns waren, lächelte ich verlegen. »Vielleicht sollte erst Campion
mit ihm sprechen, Hesperus. Ich schlage vor, dass Meninx Sie
anschließend in Ihrer Kabine aufsucht und Sie ihm aus erster Hand
Bericht erstatten.«
»Abgesehen davon,
dass es nichts zu berichten gibt«, meinte Hesperus.
»Sagen Sie ihm das
Gleiche, was Sie uns gesagt haben, dann hat er keinen Anlass, sich
zu beklagen. Schließlich haben Sie das Thema von sich aus
angeschnitten. Ich finde, das spricht für Sie.«
»Falls meine
Anwesenheit nicht länger erwünscht sein sollte, begebe ich mich
gern wieder in den Käfig.«
»Nein, das wird
nicht nötig sein.«
Campion hob langsam
die Hand. »Einen Moment – wir sollten nichts überstürzen. Auch wenn
wir Hesperus keines vorsätzlichen Fehlverhaltens verdächtigen, gibt
der Arm gleichwohl Anlass zur Sorge. Ich muss gestehen, solange
Hesperus keine vernünftige Erklärung geben kann, behagt mir die
Vorstellung nicht, dass er ungehindert im Schiff umherläuft.
Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee, wenn er freiwillig
wieder in den Käfig gehen würde …«
»Ich habe nicht die
Absicht, Ihnen Schaden zuzufügen. Das galt in der Vergangenheit und
gilt auch jetzt, da ich diese Entdeckung gemacht habe«, sagte
Hesperus.
»Ich weiß – und ich
glaube Ihnen. Aber was ist, wenn der Arm andere Pläne
hat?«
Ich schüttelte
enttäuscht den Kopf. »Das ist doch nur ein Fleischklumpen, Campion
– er kann nicht unabhängig von Hesperus handeln. Nur weil du das
Ding verstörend findest, wird es doch nicht gleich nachts in deine
Kabine geschlichen kommen und dich erwürgen. Hesperus geht nicht in
den Käfig zurück. Wenn du ihn nicht an Bord der Bummelant haben willst, ist er auf den Silberschwingen herzlich willkommen.«
»So habe ich das
nicht gemeint.«
»Aber so hat es sich
angehört. Er ist unser Gast, und wir haben uns bereiterklärt, ihm
dabei zu helfen, seine Vergangenheit zu rekonstruieren. Der Arm ist
nur ein weiterer Puzzlestein.«
»Ich möchte
keinesfalls einen Keil zwischen Sie treiben«, sagte
Hesperus.
»Ach, davon kann
nicht die Rede sein«, beeilte ich mich zu erklären. »Das ist nur
eine Kabbelei. Campion und ich sind einer Meinung – Sie gehen nicht
wieder in den Käfig. Aber da wir ohnehin bald alle in Stasis gehen,
ist diese Frage eher hypothetischer Natur. Sie können sich doch
abschalten oder wie man das nennt?«
»Ich kann die
Hauptfunktionen abschalten, die Grundfunktionen müssen jedoch aktiv
bleiben.« Er bedachte seinen wieder verkleideten Arm mit einem
schiefen Blick. »Mir ist klar, dass ich den Arm am Leben erhalten
muss, was nicht möglich wäre, wenn ich mich völlig abschalten
würde. Ohne frischen Sauerstoff würde er absterben.«
Ich nickte und
versuchte die Vorstellung abzuschütteln, der Arm könnte sich an
seinem Körper in eine verwesende, faulige Masse
verwandeln.
»Nein, wenn wir –
beziehungsweise Sie – mehr darüber herausfinden wollen, muss der
Arm erhalten werden.«
»Ich vermute
ebenfalls, dass der Arm den Schlüssel zu meiner wahren Identität
und meinem Auftrag darstellt«, sagte Hesperus. »Allerdings begreife
ich nicht, weshalb ich nicht einmal den Versuch unternommen habe,
die Transformation zu verbergen, indem ich beide Seiten von mir
symmetrisch gestaltet habe. Man könnte fast meinen, ich hätte
keinen Grund zur Heimlichtuerei gehabt. Die Verkleidung, welche die
Haut umhüllt, könnte man auch als Schutzhülle betrachten, die das
ungestörte Wachstum des Arms gewährleisten soll.«
»Wir werden der
Angelegenheit schon noch auf den Grund gehen«, sagte ich energisch,
obwohl ich gar nicht so zuversichtlich war. Wenn ich in all den
Jahren als Splitterling etwas gelernt hatte, dann dies: Dass es
nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt. Es hatten sich schon ganze
Zivilisationen in radioaktiven Staub verwandelt, nur weil sie diese
unangenehme Wahrheit geleugnet hatten.
Splitterlinge
sollten es eigentlich besser wissen.