Kapitel 40
Die Königin hatte eine unruhige Nacht hinter sich, und ihre neuen Kammerzofen bekamen die Auswirkungen davon zu spüren. Elizabeth war im sechsten Monat, aber erst jetzt hatte das Kind begonnen, sich zu bewegen, was ein unbestreitbarer Beweis für Hexerei war. Sie hätte das Kind schon viel früher spüren müssen.
An diesem Morgen war auch Doktor Moss nirgendwo zu finden, was ihre Verärgerung und ihre Furcht noch steigerte.
Während nach ihm gesucht wurde, mussten Hofdamen und Dienerinnen ihre Launen erdulden.
Elizabeth lag in ihrem Bett und drückte ein Kruzifix gegen ihren aufgetriebenen Leib. Ihr Selbstmitleid steigerte sich in rasenden Zorn. Noch nie hatte sie so große Angst um sich selbst gehabt. Sie war sicher, die Zuneigung des Königs verloren zu haben. Er hatte sie in den vergangenen Wochen seit seiner Rückkehr aus dem Norden kaum besucht und schob die Schwangerschaft als Entschuldigung vor! Als ihre Hofdamen sie schließlich überredeten, das neue, maulbeerfarbene Samtkleid anzuziehen - eine Farbe, die ihr besonders gut stand -, entschloss sie sich, ein offenes Wort mit Edward zu reden. Sie musste behutsam vorgehen, aber es war gewiss besser, das Eitergeschwür zu öffnen, das aus ihrer Unruhe und seinem Desinteresse erwuchs, bevor es ihrer Ehe dauerhaften Schaden zufügte. Sie nahm sich vor, mit William Hastings zu sprechen. Er würde wissen, wie sie mit Edward umgehen musste. Außerdem schadete das alles dem Kind, das musste Edward doch einsehen.
Auch Edwards Höflinge hatten den Eindruck, dass der König ungewöhnlich gereizt war, als er mit ihnen die Einzelheiten für das Turnier besprach. In zwei Tagen wollte er zwölf Ritter gegen den Grafen Warwick führen und zu Ehren seiner geliebten Elizabeth, die dem Turnier vorstehen sollte, mit ihm die Klingen kreuzen. Als er in seine Gemächer zurückkehrte, überbrachte William ihm die Nachricht, dass Anne geflohen war - und mit ihr Doktor Moss.
Edward zwang sich, Ruhe zu bewahren, und befahl William, sie zu suchen. Sie war eine Verräterin und sollte wie eine Verräterin enden. Männer wurden in solchen Fällen geköpft oder sogar gehängt und gevierteilt, sie als Frau hingegen würde verbrannt werden. William hatte den König noch nie so zornig erlebt und war entsetzt, dass er Anne des Verrats bezichtigte. Gerade als er dem Befehl Folge leisten wollte, meldete ein Herold, ein Bruder aus der Abtei bitte darum, vorgelassen zu werden. Er habe ein persönliches Schreiben des Abts für den König - ein dringendes Schreiben.
Aus einem instinktiven Gefühl heraus befahl Edward William, noch zu bleiben. Dem Mönch, der, nachdem er dem König ein Bündel Velinpapier überreicht hatte, unter zahlreichen Verbeugungen rückwärts hinausging, nickte er zerstreut zu. Dann brach er das äußere Siegel und zog zwei Dokumente hervor. Das eine war ebenfalls versiegelt, beim anderen handelte es sich um einen zusammengefalteten Brief des Abts, der ihn in knappen Worten darüber informierte, dass Anne und Doktor Moss den Schutz der Kirche gesucht hätten. Weiter hieß es, er habe mit dem König eine Angelegenheit zu besprechen, die von größter Bedeutung für die Sicherheit des Königreichs sei.
Der versiegelte Brief stammte von Anne. Sie teilte Edward darin ihre Entscheidung mit, den Schutz der Kirche zu suchen, weil sie ihm nicht traue. Ihr Ton war schlicht und direkt, und sie äußerte weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung. Es war der Brief einer Prinzessin an ihresgleichen. Sie sprach ihn als »Edward von Gottes Gnaden, König von England« an und unterzeichnete mit »Anne de Bohun von Gottes Gnaden, Tochter von Henry VI., einstiger König von England«. Sie erinnerte daran, dass Beweise für ihre Herkunft existierten und ihm vorgelegt werden würden, und sie verpflichtete ihn bei seinem Eid als Christ und König, Mathew, Lady Margaret und Jehanne gut zu behandeln, während sie selbst um Gottes Führung für ihr weiteres Tun beten wolle.
Es war ein meisterhaftes Schreiben, das keine Forderungen, sondern lediglich Feststellungen über die Pflicht eines Königs enthielt, jedem seiner von Gott befohlenen Untertanen gleichermaßen Gnade angedeihen zu lassen. Der Handschuh war geworfen.
Wortlos reichte der König die Briefe an William weiter, dessen Gesicht abwechselnd weiß und rot wurde, als er sie las.
»Ihr müsst mit ihr sprechen, William. Wenn sie ihre Zuflucht nicht verlässt ... nun, dann muss etwas geschehen.« Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Sein Ton ließ keinen Irrtum zu. Sie musste dem König gehorchen, oder der Schutz der Kirche würde gewaltsam gebrochen werden. Trotz seiner verächtlichen Haltung gegenüber der Kirche bekreuzigte sich William eilig. Das wäre Gotteslästerung.
In der Jerusalemkammer versuchte Anne unterdessen, sich in stille Gebete zu versenken, als der Diener des Abts, Bruder Walter, einen Besucher ankündigte. Sie klappte das kleine Stundenbuch zu, das der Abt ihr geliehen hatte, erhob sich vom Gebetsstuhl und erwartete in ruhiger Haltung William Hastings. Hinter den Fenstern des schönen Empfangszimmers fiel der Schnee in dicken Flocken, und an den Scheiben blühten Eisblumen, doch der niedrige Raum selbst war wohlig warm.
William hatte Anne seit mehreren Wochen, seit den Weihnachtsfeierlichkeiten, um genau zu sein, nicht mehr gesehen. Er staunte, wie grundlegend sechs Wochen das Leben eines Menschen verändern konnten. Bei ihrer letzten Begegnung war sie eine Kammerjungfer gewesen, die der König begehrte. Nun stand sie vor ihm, beherrscht und elegant, in zurückhaltenden, dunkelblauen Samt gekleidet, wie es sich für eine Königstochter gebührte.
»Lord William, es geht Euch gut, hoffe ich.« Selbst ihre Stimme hatte sich verändert. Wie war es möglich, dass ein siebzehnjähriges Mädchen mit solcher Entschiedenheit und natürlichen Autorität sprechen konnte? Nervös riss er seinen Hut vom Kopf und verneigte sich tief, um sein Unbehagen zu verbergen.
»Danke, Mistress. Sehr gut.« Sie setzte sich, als wäre es die natürlichste Sache der Welt - und wieder war er verblüfft. Er war der Großkämmerer Englands und stand somit über beinahe allen Mitgliedern des Hofs, außer dem König und seiner Familie - und den Bischöfen natürlich. Gewöhnlich warteten die anderen, bis er Platz genommen hatte. Blitzte in ihren Augen etwa der Schalk auf, als sie ihn mit einer Geste aufforderte, sich auf einen Stuhl zu setzen, der ein klein wenig niedriger war als ihr eigener?
»Kommt Ihr vom König?« Ihre Stimme klang ruhig, als sie mit einer Hand die Falten ihres Kleides glatt strich, so dass der Glanz des üppigen Tuchs sich im Feuerschein brach.
Ihre Direktheit ließ ihm keine Ausflucht. »Ja, Mistress. Ich bringe Euch dies hier.« Er hätte aufstehen müssen, um ihr den Brief zu geben, da sie keinerlei Anstalten machte, sich selbst zu erheben, um ihn entgegenzunehmen. »Ich werde es beizeiten lesen. Darf ich Euch Glühwein anbieten, Lord William? Der Abt hat einen ausgezeichneten Weinkeller. In dieser Abtei lässt es sich gut leben ...«
»Danke. Das ist sehr freundlich - es ist kalt heute.«
Anne griff nach einer kleinen Glocke und läutete, und noch bevor der letzte Ton verklungen war, eilte Bruder Walter herbei. Er war entzückt, diesem schönen, geheimnisvollen Gast des Abts dienen zu dürfen.
»Bruder Walter, bitte bringt Glühwein für den Obersten Kammerherrn. Und bittet Deborah, mir hier zu Diensten zu sein.« Eine nachdenkliche Stille folgte dem Abgang des Mönches. Anne starrte in die Flammen und machte keinen Versuch, sie zu überbrücken.
William erkannte, dass er den Anfang machen musste. »Lady, es ist nicht gut, sich dem Willen des Königs zu widersetzen.«
»Nicht gut, Lord William? Wie das, wenn der Wille des Königs göttlichem Gesetz widerspricht?«
Der Kämmerer war von ihrer Ruhe so erstaunt, dass er vergaß, über ihre Worte erzürnt zu sein. »Anne, der König ist ohne Arg gegen Euch, aber er muss sein Königreich vor weiteren Unruhen schützen. Das seht Ihr doch ein. Es ist seine Pflicht gegenüber seinem Volk. Er ist der von Gott gesalbte König.«
»Und mein Vater? War nicht auch er gesalbt?«, entgegnete sie scharf.
Dies brachte William für einen Moment zum Schweigen, ehe er es mit einer anderen Taktik versuchte. »Lady, wollt Ihr nicht den Brief des Königs lesen?«
Walter kam mit einem Holztablett herein, auf dem Speisen angerichtet waren und ein großer Krug mit dampfendem Wein stand, der nach Nelken und Zimt von den fernen Gewürzinseln duftete.
Sie dachte einen Augenblick nach und sah ihn nachdenklich an. Dann nickte sie. »Gut. Wie Ihr wünscht.«
Er erhob sich und reichte ihr den Brief, und während er aß und trank, brach sie das rote Siegel und strich das Blatt auf ihren Knien glatt. William sah ihr aus halb geschlossenen Augen zu. Sie gab ein sehr ansprechendes Bild ab in ihrem dunklen Kleid und den weißen Händen auf dem cremefarbenen Velin. Wie herrlich es wäre, diese Haut, weich und klar und weiß, einmal zu streicheln. Vielleicht, wenn der König des Mädchens überdrüssig war, könnte er ... er schüttelte den Kopf. Dies war keine gewöhnliche Frau mehr, keine Frau für Liebesgetändel. Diese Figur, diese Augen, dieser Mund - sie lenkten nur von der Gefahr ab, die sie verkörperte. Je schneller ein königstreuer Gemahl für sie gefunden wäre oder ein Nonnenkloster, desto sicherer wäre es für alle.
Der Brief des Königs war knapp und distanziert. »Madam, Eure Entscheidung, den Schutz der Kirche zu suchen, war unbedacht. Ihr helft Eurer Sache damit nicht weiter, denn Ihr werdet Euren Zufluchtsort bald verlassen müssen. Und wohin wollt Ihr dann gehen? Wenn Ihr Euch einsichtig zeigt, sollt Ihr noch eine Chance bekommen. Sobald ich die Briefe, die Eure Identität bestätigen, erhalten habe, wird eine ehrbare Ehe mit einem vermögenden Mann für Euch arrangiert werden. Die Cuttifers werden in Frieden leben können, und Jehanne wird die Erlaubnis erhalten, auf ihren Familiensitz zurückzukehren. Dies alles unter der Bedingung, dass Ihr einen Vertrag unterzeichnet, in dem Ihr Euch verpflichtet, Zeit Eures Lebens zu niemandem von dem Blutband, das Euch mit dem einstigen König verbindet, zu sprechen, auch nicht im Beichtstuhl.
Solltet Ihr bis zum Turnier am Valentinstag Euer Einverständnis mit den oben genannten Bedingungen verweigern, werdet Ihr kein weiteres Angebot dieser Art erhalten, und Ihr und die Euren werdet des Verrats beschuldigt und gefangen gesetzt werden. Sobald Ihr den Schutz der Kirche verlasst, werdet Ihr des Landes verwiesen werden, und es wird Euch verboten sein, jemals in das Königreich von England zurückzukehren. Darüber hinaus werdet Ihr für den Tod Eurer Freunde verantwortlich sein, die nach Recht und Gesetz verbrannt werden.« Unterzeichnet war der Brief mit »Edward R«.
Anne musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um die Worte des Königs ohne sichtbare Erregung zu lesen. Viel von dem, was sie in ihrem eigenen Brief geschrieben hatte, hatte er unbeachtet gelassen. Seine knappe, klare Sprache und gefühllosen Sätze ließen sie erst recht als Feindin erscheinen. Sorgfältig faltete sie den Brief zusammen und erhob sich. Sie wartete einen Augenblick, bis William ebenfalls aufgestanden war. »Bitte richtet dem König aus, dass ich über seine Worte nachdenken werde. Ihr könnt ihm allerdings sagen, dass eine Heirat derzeit von mir nicht erwogen wird.«
Williams Herz zog sich zusammen. Sie sprach höflich und distanziert, aber bestimmt. Die Botschaft war unmissverständlich: Edward konnte so lange warten, wie er wollte, sie beabsichtigte nicht, sich seinen Plänen für ihre Zukunft zu beugen.
Als Soldat wusste William, wie wichtig es war, dem Feind gegenüber niemals Schwäche zu zeigen - Härte war wichtiger als die Wahrheit. Und dieses Mädchen besaß einen stahlharten Kern. Von ihrem Vater hatte sie ihn nicht geerbt, wohl aber von ihrem Großvater, der ihn auch zu nutzen gewusst hatte.
Und was Mathew, Margaret und auch Jehanne betraf, riskierte sie eindeutig, dass Edward sich gegen sie stellte. Dieses Mädchen kannte weiß Gott keinen Gehorsam.