Kapitel 21
Es dauerte einige Wochen, bis Anne das riesige Labyrinth aus Gängen und Zimmern in Westminster durchschaute und einige Punkte fand, an denen sie sich orientieren konnte, wenn sie sich verirrte. Obwohl ihr das Gebäude zunehmend vertrauter wurde, bereitete ihr das strenge Hofprotokoll immer noch Probleme, und jeder Tag war von Ängsten begleitet: Angst, das Falsche zu sagen oder zu tun und deshalb aus dem Palast und aus dem Leben der Königin und, wenn sie ehrlich zu sich war, auch des Königs verwiesen zu werden.
Das Leben am Hof faszinierte sie. Sie lernte, wessen Stern in der Gunst des Königs und der Königin im Aufgehen oder im Sinken begriffen war, und begann, sich Gedanken über das wahre Wesen dieser mächtigen Herrschaften zu machen und wie sie selbst einen sicheren Platz unter ihnen finden konnte.
Mit der Königin war am schwierigsten auszukommen - in der einen Minute war sie freundlich und offen, in der nächsten eine eiskalte Tyrannin, die aus einer puren Laune heraus einen Untergebenen ins Unglück stürzen konnte.
Zum Glück für Anne war Elizabeth derzeit sehr zufrieden mit ihr. So zufrieden, dass sie bereits nach zwei Wochen veranlasste, dass Anne aus der Stube, die sie mit den anderen Zofen teilte, ausquartiert wurde und ein winziges eigenes
Zimmer, kaum größer als ein Schrank, neben den Gemächern der Königin zugewiesen bekam. Rose, Dorcas und Lily waren froh darüber, nur Evelyn war traurig, und Jane verzehrte sich vor Neid.
Der Grund für diese noch nie da gewesene Gunst war der herrliche natürliche Goldton von Elizabeth Wydevilles Haar, den Anne wiederhergestellt hatte. Sie hatte das Haar der Königin mit einer Spülung aus Zitronensaft behandelt und anschließend eine heiße Paste aus feiner, weißer Tonerde aufgetragen. Der Ton stammte aus einer dünnen Erdschicht, die Ziegelbrenner in dem schweren, roten Lehm nahe dem Schloss gefunden hatten. Anne hatte zufällig davon gehört, hatte damit experimentiert und herausgefunden, dass er ebenfalls bleichende Eigenschaften besaß, wenn er mit Mandelöl und dem Urin einer stillenden Frau vermengt wurde.
Jedermann bei Hof lobte das strahlende Aussehen der Königin und fand das Königspaär verliebter denn je zuvor.
An diesem Tag wollte sich Elizabeth besonders schön für den König machen und verbrachte eine volle Stunde in der tiefen Messingwanne, die neben dem Kamin ihres Ankleidezimmers aufgestellt worden war und die ihre Dienerinnen laufend mit heißer Milch auffüllten. Anne, Dorcas und Evelyn liefen unablässig zwischen Ankleidezimmer und Küche hin und her und schleppten schwere Kupferkannen herbei, bis die Königin endlich befand, dass ihre Haut von der Milch spürbar glatter geworden war. Daraufhin mussten sich die Kammerjungfern sputen, die Königin rechtzeitig für die Messe anzukleiden.
Anne wartete mit einem Körbchen Haarnadeln aus Elfenbein, bis Jane das Haar der Königin ausgebürstet hatte. Jane lächelte sogar, während sie zügig und methodisch ihrer Arbeit nachging, die einzelnen Haarsträhnen abteilte und sie mit langen, gleichmäßigen Strichen sorgfältig vom Haaransatz bis zu den Spitzen bürstete. Doch tief in ihrem Inneren dachte Jane, wie sehr sie diese Frau hasste und wie wenig die Königin von den wirklichen Wünschen ihres Mannes wusste. In diesem Augenblick wurde Doktor Moss mit einer Nachricht des Königs gemeldet.
»Jehanne, sieh nach, was er will. Jane! Du kratzt ja meine Kopfhaut auf!«
Die Königin war gereizt. Dame Jehanne beeilte sich, dem Wunsch der Königin zu entsprechen, und bemerkte im Hinausgehen die flammende Röte, die an Janes Hals aufstieg. Jehanne war sich sicher, dass die Königin wieder schwanger war. Seit nunmehr zwei Monaten hatten sie keine blutigen Lappen mehr aus dem Ankleidezimmer entfernen müssen, und auch die wechselhaften Launen der Königin wiesen darauf hin. Aber natürlich behielt sie ihre Vermutung für sich. Bevor die Schwangerschaft offiziell bestätigt war, wäre es riskant, sich in Spekulationen zu ergehen.
Im Empfangszimmer ging Doktor Moss auf und ab und wartete darauf, vorgelassen zu werden. Nur das gelegentliche Aufeinanderschlagen seiner schweinsledernen Handschuhe verriet seine Ungeduld.
Jehanne eilte geschäftig zu ihm. »Die Königin wird gerade angekleidet, Doktor Moss. Ich werde Eure Botschaft entgegennehmen.« Der Doktor verbeugte sich, ließ sich aber nicht abweisen. »Überaus freundlich von Euch. Ich fürchte aber, ich muss Ihre Majestät persönlich sprechen. So lautet mein Auftrag. Persönlich.«
»Der Auftrag des Königs?«, erkundigte sich Jehanne spitz. Manchmal ließ sie nicht jeden so ohne weiteres zur Königin vor, insbesondere Doktor Moss, dem sie nicht über den Weg traute.
»Auftrag von Lord Hastings. Trotzdem ... der König hat ihn darum gebeten.« Er setzte sein charmantestes Lächeln auf.
Jehanne ließ sich davon nicht beeindrucken. »Wartet hier«, sagte sie und ließ die Tür des Ankleidezimmers energisch ins Schloss fallen.
Moss lächelte matt.
Anne und Jane legten der Königin den Kopfschmuck an und wagten kaum zu atmen, aus Angst, den raffinierten, sorgfältig gesteiften Schmetterlingsschleier zu zerstören. Rose beobachtete das Ganze mit Adleraugen. Sie war die Schleier- macherin der Königin, und dieser Kopfschmuck war eines ihrer gelungensten Werke, deshalb wehe ihnen, wenn sie dieses perfekt gekräuselte Exemplar zerknitterten oder gar zerstörten. Aber dann war es geschafft, und als Evelyn die Haube mit langen, am Ende mit Perlen verzierten Nadeln über dem Schleier befestigte, atmeten die Mädchen erleichtert auf.
Vorsichtig drehte die Königin den Kopf hin und her, um das Gewicht des starren Schleierwerks zu prüfen, ehe sich völlig unerwartet ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. »Exzellent, Rose. Das hast du sehr gut gemacht.«
Alle im Zimmer lächelten - der Tag war gerettet. Von dem Stimmungswechsel ermutigt, näherte sich Jehanne und flüsterte der Königin etwas ins Ohr, so leise, dass nicht einmal Jane, die unmittelbar daneben stand, etwas verstehen konnte.
Elizabeth erhob sich mit einem strahlenden Lächeln. »Kommt. Ich möchte jetzt meinen Herrn, den König, zur Messe begleiten.« Siegessicher rauschte sie durch die reich geschnitzte Tür ihres Ankleidezimmers und betrat das Empfangszimmer.
Doktor Moss sah eine bezaubernde Erscheinung auf sich zukommen. Die Morgensonne, die durch die östlichen Palastfenster hereinströmte, drang durch den Schleier der Königin und fing sich im Glanz ihrer Juwelen. Es war kein Zufall, dass sie sich Edward geangelt hat, dachte Moss. Ihre Schönheit hatte manchmal etwas geradezu Überirdisches an sich. Verstöhlen bekreuzigte er sich und ließ sich auf ein Knie sinken. Vielleicht war an den Gerüchten etwas Wahres, und sie war tatsächlich eine Dienerin des Teufels. Diese strahlende Gestalt konnte nicht von dieser Welt sein.
Die Königin bemerkte zufrieden, welchen Eindruck sie auf den gut aussehenden Arzt machte. »Doktor Moss. Ich höre, Ihr bringt eine Nachricht des Königs für mich?«, fragte sie freundlich.
Der Doktor erhob sich anmutig und trat nicht minder elegant auf die Königin zu, wo er sich neuerlich verbeugte und ihr schweigend das kostbare Lackkästchen überreichte. Neugierig nahm es die Königin entgegen, klappte den Deckel auf - und hielt den Atem an. Darin lag, auf schwarzen Samt gebettet, ein großer Smaragdring. Der riesige Edelstein leuchtete märchenhaft. Triumphierend streifte sich die Königin den Ring über den Zeigefinger und hielt ihn hoch, damit die Umstehenden ihn bewundern konnten. »Dies ist die Botschaft Eures Königs, Majestät. Grün ist die Farbe wahrer Liebe, und ich bin beauftragt, Euch zu sagen, dass die Schönheit dieses kleinen Andenkens«, erklärte er, während die Königin den Ring gegen das Licht hielt, so dass der große Stein glühte, »im lodernden Glanz des strahlendsten Juwels dieses Königreichs verblasst. Der König ist zudem der Meinung, der Stein passe perfekt zu den Augen Ihrer Majestät.«
Die Königin lachte begeistert. »Schön habt Ihr das gesagt, Doktor Moss. Schön gesprochen. Aber nun müssen wir eilen.« Sie rauschte hinaus, umringt von ihren Hofdamen, die wetteiferten, dieses Zeugnis der Liebe des Königs zu seiner Königin zu bewundern. Doktor Moss aber blieb zurück. Er wartete, bis die Damen an ihm vorbeigegangen waren und blickte nicht ohne Mitgefühl zu Jane Füller hinüber, die mit Dame Jehanne und den anderen Zofen das Ankleidezimmer aufräumte.
Dann trat er zu Jehanne, sagte leise etwas zu ihr und nickte in Janes Richtung, die unwirsch durchs Zimmer fegte, die Kleidungsstücke in Waschkörbe stopfte und allen im Weg stand.
»Sir, vielleicht hat das Zeit, bis wir hier fertig sind.«
»Nein, ich glaube nicht.«
Etwas an seinem Tonfall machte Jehanne stutzig. Sie sah ihn beklommen an und kniff die Lippen zusammen, als er eine Augenbraue hob. »Jane, komm her«, rief sie. Schmollend gehorchte das Mädchen.
»Mit Eurer Erlaubnis, Dame.« Doktor Moss packte Jane am Arm und führte sie auf den Gang hinter den königlichen Gemächern.
»Steht nicht da und glotzt, Mädchen. Die Arbeit wartet nicht«, erklärte Jehanne barsch.
Einen Augenblick später, als Anne und Evelyn die Kannen mit der kalten Milch aus der Badewanne fortschleppten, hörten sie Jane schreien. »Nein!«, rief sie, ehe verzweifelte Schluchzer folgten, in denen die leise Stimme des Doktors fast unterging. Und als die Zofen ihre Arbeit im Ankleidezimmer beendet hatten und schnatternd hinauseilten, um zu frühstücken, sahen sie, dass Jane und der Doktor verschwunden waren.
Den Rest des Tages gab es jede Menge zu tun. Die fünf Mädchen - Jane war noch immer verschwunden - packten unter der Aufsicht von Dame Jehanne sämtliche Kleider der Königin, Schuhe und Kopfbedeckungen, ihre Mäntel und Schönheitsmittel, Bettwäsche, Lieblingsmöbel und sogar ihr Wappenschild zusammen, damit alles am Nachmittag fluss- aufwärts nach Windsor geschafft werden konnte. Im Lauf des Vormittags wurde ihnen mitgeteilt, die Königin habe entschieden, Anne mit auf die Reise zu nehmen, damit sie ihr unterwegs aufwarte. Falls die anderen Mädchen neidisch waren, ließen sie es sich nicht anmerken; außer Rose natürlich.
Evelyn gab ihrer Freundin zahlreiche praktische Ratschläge mit auf den Weg. »Pack ein paar Zuckermandeln ein, Anne, und die kandierten Veilchen - die mag sie besonders, und die besänftigen sie vielleicht. Vor allem, wenn sie tatsächlich wieder schwanger ist.« Zügig packten die beiden Mädchen die letzten, in Seide geschlagenen Juwelen ein und legten sie in eine schlichte Eisenkassette, zu der Dame Jehanne den Schlüssel hatte. »Oh, und nimm ein paar Muffs mit. Im Moment trägt sie am liebsten die aus Fell, aber man kann nie wissen.«
Schließlich, als Dame Jehanne außer Hörweite war, nahm Anne all ihren Mut zusammen und stellte die Frage, die ihr schon den ganzen Tag auf der Zunge brannte. »Evelyn, was glaubst du, wo Jane ist?«
Evelyn sah sie einen Moment ernst an. »Fort. Sie wird nicht wiederkommen.«
»Warum?«
Evelyn fühlte sich ein wenig unbehaglich. Es gab so viele Dinge, die für sie selbstverständlich waren und von denen Anne noch nichts wusste. »Der König. Er ...« - sie unterbrach sich, weil Jehanne auftauchte.
»Beeilt euch, ihr zwei. Ihr habt genug Zeit mit den Juwelen vergeudet. Macht Platz.« Jehanne sah den Schlüsselbund an ihrem Gürtel durch und überprüfte, ob der kleine Schlüssel für die Schmuckkassette noch daran hing. Schließlich hatte sie ihn gefunden und legte beruhigt die Eisenschnalle über den Bügel, ehe sie ihn mit einem Vorhängeschloss verschloss. »Fertig. Und jetzt müssen sämtliche Truhen nach unten zu den Ochsenkarren gebracht werden. Evelyn, ruf die Männer. Die Kassette trage ich selbst.«
In dem nun folgenden Trubel des Aufbruchs gelang es Anne nicht mehr, eine Antwort auf ihre Frage zu bekommen.
In der zweiten Nachmittagsstunde dieses trüben Novembertags wartete Anne inmitten der dicht gedrängten Schar von Höflingen und Dienstboten an der Anlegestelle des Palasts. An ächzenden Ulmenpfosten lag die rot und golden herausgeputzte, königliche Barke mit ihren flatternden Leopardenwimpeln. Die zwanzig Mann starke Besatzung wartete frierend, endlich ablegen zu dürfen. Hinter der Barke des Königs war noch ein weiteres Boot vertäut, dessen Wände das königliche Wappen zierte, das ansonsten aber eher schlicht wirkte. In diesem Boot sollten das Gepäck und einige Leibdiener reisen.
»Anne? Da bist du ja.« Sie drehte sich um und sah Doktor Moss vor sich stehen. »Aufgeregt?«
»O ja, Sir. Ich bin noch nie in Windsor gewesen. Es heißt, die Landschaft dort sei wunderschön. Ich freue mich schon auf Spaziergänge im Park, wenn mir das gestattet ist.«
»Ich werde sehen, was ich machen kann, damit dein Wunsch in Erfüllung geht.« Unwillkürlich sprach der Doktor herzlicher als beabsichtigt. Das Mädchen wurde langsam erwachsen. Auch verlieh ihr das Leben am Hof einen gewissen Schliff und eine größere Gewandtheit in der Konversation. Mittlerweile schien sie ihm unbefangener gegenüberzutreten, was für sie beide von Nutzen sein könnte. Sie machte eine durchaus gute Figur: Ihr rotes Dienstkleid stand in hübschem Kontrast zu dem Grau ihres Mantels. Sie gehörte zu jenen Mädchen, denen fast jede Farbe gut stand. Moss tätschelte ihr onkelhaft die Schulter, wobei ein kurzes Aufflackern von Begehrlichkeit seine Gedanken durchzuckte.
Anne lächelte schüchtern, obwohl sie ein wenig überrascht war. Doktor Moss war meist eher abweisend, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen, weshalb ihr seine Herzlichkeit und sein aufrichtiges Interesse etwas ungewöhnlich erschienen.
»Doktor Moss, kennt Ihr eine Anne? Eine der Leibdienerinnen der Königin?« Ein junger Knappe mit dem Wappen und der Uniform von Lord Hastings war neben den Doktor getreten.
»Das ist sie, junger Mann.«
Wichtigtuerisch drehte sich der Knabe zu Anne um - und errötete. »Ah, mein Master, also Lord Hastings, hat im Auftrag der Königin angeordnet, dass du ... dass du ...«, stammelte er verlegen. Niemand hatte ihm gesagt, dass er nach einer solchen Schönheit suchen sollte.
»Nun, Junge, komm zur Sache.« Der Doktor war belustigt.
»Die Königin naht, Mädchen.« Unwillkürlich machte der Knabe eine Verbeugung, ehe er sich im Stillen einen Narren schalt. Er war Roger de Lascelles, ein Mann aus guter Familie, und dieses Mädchen war nur eine Dienerin. Sie kam vielleicht für eine Tändelei in Frage, verdiente aber kaum die höfischen Formen, die er einer Ritterstochter oder einer Lady erweisen würde. Sein wiedergefundener Stolz und das Gefühl seiner gesellschaftlichen Überlegenheit verliehen seinen nächsten Worten einen barschen Klang. »Sieh zu, dass du auf die königliche Barke kommst.«
Anne machte schweigend einen Knicks vor dem rotgesichtigen Knaben, der sich bereits zum Gehen wandte. Sein veränderter Tonfall hatte sie ein wenig verwirrt, aber da sie die Fahrt auf dem Fluss kaum erwarten konnte, schenkte sie seinem merkwürdigen Benehmen keine weitere Beachtung. Der Doktor lachte, worauf sie sich zu ihm umdrehte. »Warum lacht Ihr?«
»Über uns, Anne, über uns. Wir sind schon eine seltsame Spezies.«
In diesem Augenblick strömte eine große Menschenmenge zum Flusstor, in ihrer Mitte der König und die Königin.
William Hastings geleitete sie auf ihre Barke. Im Gedränge wurden Doktor Moss und Anne getrennt. Anne, die von recht zierlicher Gestalt war, wurde von der Menge immer näher an die Stufen zum Wasser gedrängt. Als mehr und mehr Höflinge durch das Tor drängten, glitt sie plötzlich auf den Stufen aus und verlor das Gleichgewicht. Unter ihr wogte das schwarze Wasser der Themse, und einen kurzen, Schwindel erregenden Augenblick lang fürchtete sie, zwischen Kai und Barke zu stürzen - als sie von einer starken Hand zuerst am Arm, dann um die Hüfte gepackt und energisch wieder hochgezogen wurde.
Als Anne den Kopf hob, blickte sie direkt in die Augen des Königs. Er lächelte auf sie herab, während sein Körper von der Menge gegen ihren gepresst wurde. Mit einer eleganten Bewegung drehte er sie vom Treppenabsatz fort und ließ sie los. »Das war gefährlich, Mädchen. Du hättest zerquetscht werden können.« Mit diesen Worten verschwand er im Gedränge.
Doktor Moss schob sich neben Anne und lächelte grimmig. »Der König hat Recht. Erlaube mir, dass ich dich auf die Barke geleite.«
Waren die Stufen so rutschig, oder gaben ihre Beine nach? Anne war froh über den Arm des Doktors, als sie mit unsicheren Schritten über den Steg zur Königsbarke ging. Der stürmische Augenblick ging ihr nicht aus dem Kopf: Edwards Mund war so nah gewesen, dass sie gedacht hatte ... ja, was? Dass er sie küssen würde? Hatte sie tatsächlich diese Absicht in seinen Augen gelesen? Schrecken und Wonne sickerten durch ihren Körper, und sie schloss einen Moment lang ihre Augen. In der Ferne grollte Donner. Bald würde der Regen einsetzen, und die Reise nach Windsor würde kalt und unwirtlich werden. Anne jedoch schwitzte, und ihr Herz raste, als wäre sie den ganzen Weg vom Palast bis zum Kai gerannt.
Die Königin, die von Hastings auf die Barke geleitet wurde, fragte sich, was der plötzliche Lärm hinter ihr zu bedeuten hatte, doch in diesem Augenblick erschien der König an ihrer Seite. »Nichts, mein Liebes. Eine deiner Dienerinnen ist beinahe ins Wasser gestürzt. Dummes Ding.«
Doktor Moss hatte Anne kaum auf die Barke gebracht, als die Bootsleute ungeduldig die Leinen losmachten und ihre bunt bemalten Ruder ins kalte Wasser des Flusses tauchten. Der Hof zog flussaufwärts in Richtung Windsor.