Kapitel 34
Noch am selben Nachmittag wurde Mathew in einen kleinen Audienzsaal geführt, dessen Fenster auf das Westtor der Abtei blickten. Er dachte kurz daran, dass am nächsten Tag sein Abendmahlskelch - sein Schlüssel zur Schatzkammer - eingeweiht werden sollte, als Edward und William Hastings auch schon eintraten.
Mathew verbeugte sich tief, doch der König gab nur einen grunzenden Laut von sich und setzte sich auf seinen Thron. Schweigend nahm William seinen Platz neben ihm ein und gab Mathew ein Zeichen vorzutreten. Der distanzierte, eisige Gesichtsausdruck des Königs jagte dem Kaufmann gehörig Angst ein.
»Sir Mathew, seid Ihr mir untreu geworden?« Beim scharfen Klang der königlichen Stimme fuhr Mathew erschrocken zusammen, dass er ein Bild der Unschuld abgab. Doch der König gab ihm keine Gelegenheit zu antworten. »Die Londoner Kaufleute! Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie mir nicht die gewünschte Unterstützung zukommen lassen wollen. Dies missfallt mir außerordentlich! Außerordentlich!« Der König war aufgestanden und ging zornig auf und ab. »Nie zuvor, Sir Mathew, hat sich die Krone so weit herabgelassen, um an Geld zu gelangen, Geld, das ich in Zeiten wie diesen dringend benötige! Was habt Ihr ihnen erzählt?«
Mathew unterdrückte einen erleichterten Seufzer. »Aber Majestät, ich habe gute Neuigkeiten. Ich weiß nicht, woher Ihr Eure Informationen habt...«
»Welche guten Neuigkeiten?«
Mathew riss sich den Hut vom Kopf und verneigte sich abermals. »Sire, wenn Ihr einer Erweiterung des Nadelmonopols zustimmt und ...«
»Und? Was und? Wir sprachen in Windsor doch nur von Nadeln.«
»... und einem königlichen Freibrief an die City of London, die dem Bürgermeister ein wenig mehr Freiheiten zugunsten der Stadt einräumt.« Mathew schluckte, denn als seine Kaufmannskollegen diese Forderung erhoben hatten, hatte er gleich geahnt, dass der König darüber nicht erfreut sein würde. Und genau diesen Verdacht bestätigte die Miene des Königs. »Dann, Majestät, wird es Euren treuen Untertanen, den Kaufleuten von London, eine Ehre sein, der königlichen Schatzkammer ein Darlehen von fünfzehntausend Pfund auszuzahlen, um Euren ... Feldzug zu finanzieren.« Um ein Haar hätte er »Euren Krieg im Norden« gesagt, doch Krieg war ein hässliches Wort, ein böses Omen, das, wenn es ausgesprochen wurde, seiner Furcht einflößenden Bedeutung ungewollte Macht verlieh.
Als er geendet hatte, breitete sich eine angespannte Stille aus.
»Mehr Freiheiten für die Stadt London?«, fragte der König schließlich. Wenigstens brüllte er nicht.
Mathew wagte es, in das unnachgiebige Antlitz des Königs zu blicken. »Geringfügig mehr, Sire. Nur das Recht, im Herbst, am ersten Sonntag nach Crispin, regelmäßig eine Tuchmesse abhalten zu dürfen - ohne dafür Abgaben entrichten zu müssen.«
»Keine Abgaben! Welch eine Anmaßung! Wie soll der Hof seine Aufgaben erfüllen, wenn er kein Geld bekommt?«
Mathew sah wieder zu Boden. Der König war ungehalten, aber nicht wütend. Einen Vorschlag dieser Art musste er erwartet haben. Die Londoner Kaufleute begriffen, dass der König Geld brauchte, sich die Finanzierung seiner Armee aber nicht durch das Parlament bewilligen lassen wollte. Die Vertreter der Grafschaften waren konservativ und hatten genug vom Krieg. Mit ihrer Unterstützung konnte er nicht rechnen.
William Hastings mischte sich mit ruhiger Stimme ein. »Darf ich sprechen, Sire?«
Der König nickte missmutig. »Sir Mathew, bis wann wird das Darlehen der Kaufleute bereitgestellt sein?«, fragte Hastings.
»Wir sind dabei, den Vertrag aufzusetzen, Sire ...«
»Vertrag? Einen Vertrag! Von einem Vertrag habe ich nichts gesagt. Geldverleih ist nach der Bibel verboten, Mathew. Nehmt Euch in Acht!«, brüllte der König.
Sir Mathew trat von einem Fuß auf den anderen und sah dem König standhaft in die Augen, doch sein Puls raste.
»Bringt mir den Vertragsentwurf, sobald er fertig ist, dann werde ich ihn dem König vorlegen. Das ist aber keine Gewähr, dass Seine Majestät bereit ist, Euch mehr als sein Ehrenwort zu geben«, erklärte William.
Mathew verbeugte sich geistesgegenwärtig und schwieg. Ihm und den anderen Kaufleuten widerstrebte es zunehmend, mit dem hoch verschuldeten Hof Geschäfte zu machen, ohne Sicherheiten dafür zu bekommen - oft wurden Forderungen in Form von Landbesitz beglichen, die den neuen Eigentümer zu einem vermögenden Mann machten.
William gab Mathew zu verstehen, dass die Audienz beendet sei, worauf dieser sich tief verbeugte und rückwärts aus dem Audienzzimmer zu buckeln begann. Doch bevor er die Tür erreicht hatte, rief der König: »Wartet. Dieses Dienstmädchen, das Ihr mir geschickt habt. Kämmerer, wie hieß sie doch gleich?«
»Ich glaube, sie hieß Anne, Sire«, antwortete William mit ausdrucksloser Miene.
»Anne. Natürlich. Meine Frau erwartete sie bei ihrer Ankunft aus Windsor zurück und ist äußerst ungehalten über ihre fortgesetzte Abwesenheit. Sie war doch Eure Dienerin - vielleicht habt Ihr ja Nachricht von ihr? Ihr werdet verstehen, dass dies einen ernsthaften Makel für ihren Leumund bei Hofe darstellt.«
Mathew verbeugte sich noch tiefer, um sein Gesicht zu verbergen. »Sire, zufällig sprach meine Frau kürzlich von ihr. Ich glaube, eine unserer Dienerinnen, die die Familie kennt, erwähnte, die Mutter des Mädchens liege noch immer krank darnieder. Todkrank, sagte meine Frau, wenn ich mich recht entsinne.« Er sandte ein Stoßgebet an die heilige Jungfrau, sie möge ihm die Lüge vergeben.
Der König verzog das Gesicht. William jedoch war hoch erfreut, denn sein Herr sollte sich ganz auf den kommenden Feldzug konzentrieren. Wenn alles gut ging, wären sie binnen drei Tagen aus London abgereist, bevor das Mädchen zurückkehren und ihn ablenken konnte. »Danke, Sir Mathew. Der König wird es zu schätzen wissen, wenn Ihr ihm gegebenenfalls weitere Informationen zukommen ließet.«
Mathew verharrte in seiner Verbeugung und schob sich rückwärts durch die mit Schnitzwerk verzierte Tür, bevor der König ihn erneut zurückrufen konnte.
Im Audienzzimmer trat der König ans Fenster und starrte auf das kalte, graue Gemäuer der Abtei hinunter.
»Sire, ich wusste gar nicht, dass Eure Frau über die Abwesenheit des Mädchens ungehalten ist. Ich werde mich bemühen, Ihre Majestät in diesem Punkt zu besänftigen.« Williams bissiger Spott würde ihm eines Tages noch ernsthafte Probleme bereiten, aber er konnte es sich nicht verkneifen.
Widerstrebend brach der König in Gelächter aus. »Das kommt nicht in Frage, William, keinesfalls - das wisst Ihr genau.«
Er war derjenige gewesen, der sich geärgert und beschwert hatte, als er bei seiner Rückkehr nach London Anne nicht vorgefunden hatte. Zugegeben, er war bei der Vorstellung, sie wiederzusehen, seiner Erregung kaum Herr geworden. Die Kammerzofen hatten nichts zu lachen gehabt, als er feststellte, dass keine von ihnen wusste, wann sie zurückkam. Und im Gegensatz zu früher gab es im Moment auch keine andere Frau bei Hofe, die ihn fesselte. Er sah nur Anne, wie sie nach dem Krippenspiel trotzig zu ihm aufgesehen, ihm abrupt die Hände entzogen hatte und davongelaufen war. Bei den Gebeinen des Herrn! War es zu viel verlangt, wenigstens einen Augenblick allein mit dem Mädchen sein zu wollen, bevor er in den Krieg zog?
William bemerkte den Stimmungswandel des Königs, der mit geballten Fäusten abwesend aus dem Fenster starrte. Ablenkung, das war jetzt das Richtige. Etwas, das den König dieses unbedeutende Mädchen vergessen ließ.
Die Ablenkung tauchte zum Glück in Gestalt eines herbeieilenden Palastboten auf, kaum dass der König das Audienzzimmer verlassen hatte, um sich zum Marstall zu begeben und nachzusehen, wie seine französischen Wanderfalken die Reise von Windsor nach London überstanden hatten. Der Bote war in Begleitung eines in einen schweren, schlammverspritzten Reisemantel gehüllten Soldaten mit blutigen Sporen, der das Wappen von Edwards jüngerem Bruder Richard, des Herzogs von Gloucester, trug. Richard sicherte trotz seiner jungen Jahre die Stellung des Hauses von York in Englands Norden. Der erschöpfte Reiter ging vor dem König auf ein Knie und hielt ihm ein versiegeltes Dokumentenbündel entgegen. »Sire, es ist dringend. Mein Herzog befahl mir, es nur in Eure Hände zu übergeben.«
Edward griff eilig nach dem Päckchen und bedeutete William, dem Mann eine Belohnung auszuzahlen. Seufzend zog William einen Engelstaler aus seiner Gürteltasche. So machte es der König immer. Daraufhin eilte Edward zu seinen Gemächern, zuvor aber befahl er William, dafür zu sorgen, dass der Mann etwas zu essen und ein Ruhelager bekäme.
Nachdem der Soldat in die Küche gebracht worden war, machte sich William auf die Suche nach dem König und stellte erleichtert fest, dass Edward den Brief seines Bruders mit beinahe fröhlicher Miene überflog. Der Soldat hatte seine Sache gut gemacht. Keine drei Tage zuvor war er von Richards Festung in York losgeritten und war dank der frostigen Kälte schneller vorangekommen als gewöhnlich, denn der Boden war steinhart.
Der Inhalt des Briefes rechtfertigte die Eile, denn Richard wusste zu berichten, dass Graf Warwick seine Verwandtschaft in Warwick Castle zusammenrief, jedoch nicht, um einen Krieg vorzubereiten, sondern um eine Hochzeit zu feiern - die Hochzeit ihres Bruders George, des Herzogs von Ciarence, und Isabelles, der Tochter des Grafen von Warwick. Nach der Feier würde sich die große Schar der Gäste möglicherweise einem neuen Ziel zuwenden - einem Marsch auf London zum Beispiel, um Edward vom Thron zu vertreiben. William wunderte sich über Edwards fröhliche Stimmung.
»So, Warwick macht also endlich seinen Zug.«
»Ja. Und mein dummer Bruder George ebenso. Aber jetzt sind auch wir am Zug. Wir müssen schnell handeln. Für eine Armee ist keine Zeit mehr. Wir packen die besten Kleider in die Satteltaschen und reiten noch heute Abend mit einem kleinen Trupp los.«
»Feine Kleider, mein Herr?«, fragte William verwundert.
»Aber ja, als Hochzeitsgäste dürfen wir auf keinen Fall in schlichter Kleidung erscheinen! Kommt, ich muss mit der Königin sprechen.«
Der übrige Tag verging in geschäftiger Heimlichkeit. Ein Grüppchen vertrauenswürdiger Männer - die berittene Garde des Königs - machte sich zum Aufbruch bereit. Der König verfolgte einen verwegenen Plan. Er wollte so schnell wie möglich nach Norden reiten und in der Nähe von Warwick Castle auf Richard stoßen, der ebenfalls von einem kleinen Trupp Soldaten begleitet werden würde. Wenn sie - als Überraschungsgäste, die schwerlich abgewiesen werden konnten - erst einmal ins Innere der Burg vorgedrungen wären, würden sie George entführen und zurück nach London bringen. So einfach war das.
William stöhnte. Nicht dass er dem König diesen Streich nicht zugetraut hätte, aber das Risiko war sehr groß, denn sie müssten sich direkt in die Höhle des Löwen begeben. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken, dass das Überraschungsmoment auf ihrer Seite stand und Warwick kritische Situationen längst nicht so gelassen meisterte wie der König.
Edward konnte es schaffen, und was hatten sie schon zu verlieren? Ein Königreich?