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Kapitel 5

In der Küche von Blessing House herrschte ein Tumult, der einem Sturm gleichkam. Maitre Gilles' Gesicht war hochrot, und seine Stimme war heiser vom Schreien. Selbst Corpus hatte sich nicht vor der Arbeit drücken können. Mit finsterer Entschlossenheit und beachtlicher Schnelligkeit hackte er quicklebendigen Neunaugen die Köpfe ab. Einen Tritt in den Hintern hatte er bereits einstecken müssen, deshalb wollte er keinen zweiten riskieren.

In der großen Empfangshalle ging es ähnlich betriebsam zu - Knechte und Dienstmägde liefen wild durcheinander, während Jassy verzweifelt versuchte, sich in dem allgemeinen Getöse Gehör zu verschaffen, damit die Vorbereitungen für den Besuch des Königs rechtzeitig beendet sein würden. Der Boden war mit so viel frischem Binsenkraut ausgelegt worden, dass er einen Fuß höher maß als sonst, und immer noch streute Melly wie besessen weitere Binsen aus.

Die Haushälterin hatte das beunruhigende Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, und bereute bitterlich, dass es ihr nicht gelungen war, ihre Leute sofort nach der Messe von der Abtei wegzulotsen. Meine Güte! Wie einige der Küchenmägde die Höflinge angeglotzt hatten! Man hätte meinen können, sie hätten noch nie die Schamkapsel eines Mannes gesehen. Doch der Herr und der König würden in Kürze eintreffen - und wehe den Dienstboten, die dann nicht fertig waren. Das würde ein Nachspiel haben!

Als die Menschen aus der Kirche strömten, war es bitterkalt geworden. Sie stießen Atemwölkchen in die eisige Luft und richteten ihre Aufmerksamkeit auf das Almosenspenden, das nun vor der Kirche stattfinden sollte.

Zwölf alte, in Lumpen gehüllte Bettler hatten sich unter der Aufsicht eines rotnasigen Mönchs schlotternd in einer Reihe aufgestellt und warteten auf ihren Wohltäter, Master Mathew Cuttifer. Sie waren am Abend zuvor von ein paar kräftigen Laienbrüdern aufs Geratewohl aufgelesen worden und hatten ein Essen und ein Bett für die Nacht bekommen, ehe sie am Morgen nach draußen geschleppt worden waren, um den unerwarteten Spendensegen entgegenzunehmen. Sie waren gewiss gewillt, ihre Dankbarkeit zu demonstrieren, wären aber froh gewesen, wenn es endlich losginge, denn sie standen bereits seit Stunden in dem vom Fluss aufsteigenden Wind und froren bis auf die Knochen.

Vereinzelte Jubelrufe wurden laut, und die Menschen wandten die Köpfe zum Kirchenportal, wo der König erschien. Auch die alten Männer reckten die Hälse und wurden mit dem Anblick ihres Herrschers belohnt, der mit seinen Höflingen langsam auf sie zuschritt. Am Ehrenplatz zu seiner Rechten ging ihr Wohltäter, Mathew Cuttifer, Kaufmann und zunehmend wichtiger werdender, inoffizieller Bankier des Hofes.

Mathews Kehle war vor Stolz und Aufregung wie zugeschnürt. Hätten doch nur seine Eltern - mögen sie in Frieden ruhen - ihn an diesem Tag sehen können. Wie weit er es gebracht hatte nach den Anfängen in der großväterlichen Gerberei. Nun ging er zur Rechten seines Königs und war im Begriff, den Herrscher persönlich in sein Haus zu führen!

Sechs Schritte hinter ihm folgte Lady Margaret in Begleitung von Lady Daphne Rivers - einer hübschen, vornehm gekleideten Dame und entfernten Cousine der neuen Königin. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren, doch bis zu diesem Tag war Margaret von Lady Rivers in Gesellschaft stets von oben herab behandelt worden, vielleicht als Strafe dafür, dass sie unter Stand geheiratet hatte. Wie die Dinge sich doch änderten, wenn einem das Glück hold war! Nun wich Daphne nicht von ihrer Seite, flüsterte ihr Bemerkungen zu, als wären sie schon immer die besten Freundinnen gewesen, und drängte sie, zur bevorstehenden Weihnachtsfeier mit ihrer Familie an den Hof zu kommen.

Margaret sprach so wenig wie möglich, doch ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie freute sich über das ehrenvolle und sichtbare Glück ihres Mannes und über seinen öffentlich demonstrierten, gesellschaftlichen Aufstieg. Er hatte die Gunst des Königs verdient, und sie segnete Edward im Stillen dafür. In einer Ecke ihres Herzens lauerte jedoch eine große Sorge: Es hieß, bei allem Prunk sei der König ein gerissener Politiker, der nichts tue, was ihm nicht zum Vorteil gereiche. Solche Gedanken bedrückten Margaret, obwohl auch sie sich vom Glanz dieses Tages erhoben fühlte.

Dieser neue König war so ganz anders als der glücklose Henry VI., den er entmachtet hatte. Edward machte einen offenen Eindruck und schien die Nähe zu seinen Untertanen zu genießen, wohingegen Henry am Ende seiner Regierungszeit dermaßen von seiner verhassten französischen Frau beherrscht worden war, dass er schließlich, von seinem Volk isoliert, ein wahres Einsiedlerdasein geführt hatte.

Irgendwann war der Unmut vieler alter Adelsfamilien angesichts des Einflusses der französischen Königin übergekocht, die den Zugang zu ihrem Mann streng kontrollierte und das Land zu ihrem Vorteil und dem ihres Liebhabers Somerset ausbeutete. Der alte Adel verbündete sich mit dem von Edwards Vater, dem Duke of York, angeführten, alternativen Königshaus.

Die Yorkisten gewannen die Oberhand - Somerset war tot, Henry VI. hatte sich versteckt, und Margaret von Anjou war geflohen. Trotzdem waren immer noch Teile des Landes verwüstet, als wären ganze Wolfsrudel auf die Menschen losgelassen worden. Nun waren es die Adligen selbst, die das geplagte Volk und den niederen Adel ausbluteten und sich gegenseitig um ihres Vorteils willen bekämpften. Wie dieser junge König, von dem es hieß, er neige mehr dem Vergnügen als dem Regieren zu, die Angelegenheiten seines Königreichs regeln konnte oder wollte, war bisher noch nicht abzusehen.

Margaret zitterte, jedoch nicht vor Kälte. Das Ganze dauerte schon viel zu lang. Vor über zehn Jahren war ihre Familie gezwungen gewesen, sich zu entscheiden, auf welche Seite sie sich in den bevorstehenden politischen Unruhen schlagen wollte. Zu seinem großen Glück hatte ihr Vater sich zu den Yorkisten bekannt. In der Schlacht von Wakefield, wo Edwards Vater und sein jüngerer Bruder gefallen waren, hatte er sogar für sie gekämpft. In der bitteren Kälte des Jahreswechsels schien damals alles verloren zu sein.

Nun hatte es den Anschein, dass dieser neue König die Loyalität, die Margarets Familie in schwierigen Zeiten bewiesen hatte, durch die öffentliche Ehrung Mathews belohnen wollte. Indem er in seinem Haus speiste und ihm erlaubte, im Namen der Heiligen Jungfrau Almosen zu spenden, zeigte er aber auch, dass er auf die Unterstützung reicherer Untertanen angewiesen war, wenn er sein nahezu bankrottes Königreich regieren wollte. Dies allein war genug Grund zur Sorge. Margaret fürchtete, dass manche bei Hof ihnen die königliche Gunst dieser Stunde neideten.

In den Augen des Hofes musste es ein alarmierendes Vorzeichen sein, dass Mathew Cuttifer das Leben von zwölf armen Männern - zwölf wie die Anzahl der Apostel - bereichern durfte, und dies mit dem Segen des Königs und an Mariä Geburt. Ein König, der die Kaufleute über seine traditionellen Verbündeten, den Landadel, stellte, musste scharf im Auge behalten werden. Denn wer konnte wissen, wen er als Nächstes in seiner Gunst steigen ließ? Oder wen er verstieß?

Die Vertreter der zwölf Apostel sahen an diesem Tag wahrlich erbärmlich aus. Dicht aneinander gedrängt standen sie da, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen. Mit eitrigen Augen und zusammengepressten, zahnlosen Münder sahen sie das königliche Gefolge auf sich zukommen, und da sie ihr langes Leben allein ihrer Durchtriebenheit zu verdanken hatten, sanken sie allesamt auf die Knie und priesen den König und ihren Wohltäter, Mathew Cuttifer.

Master Mathew musterte sie angewidert und bekreuzigte sich hastig. Fast hätte er Gott gelästert, wenn auch nur in Gedanken. Dieser erbarmungswürdige Abschaum der Menschheit stand für den Erlöser, dem er größten Dank schuldete. Er wollte sie wie seine Brüder in Christi behandeln und sich dies zur Ehre anrechnen. Also trat er vor und drückte dem ersten der stinkenden, alten Männer einen herzlichen Kuss auf die Stirn, wobei er tapfer eine aufsteigende Woge der Übelkeit unterdrückte, hervorgerufen von muffigem Altmännerfleisch und zerschlissenen Fetzen. Aber er spürte die Blicke Gottes und die seines Königs, der direkt hinter ihm stand.

Anne und Deborah standen auf den Stufen zur Kathedrale weiter hinten in der Menge, als Mathew die zwölf Alten beschenkte und segnete.

»Er ist ein guter Mann«, stellte Deborah fest.

»Ja, das ist er«, erwiderte das Mädchen abwesend.

»Ich meine deinen Herrn, Anne.«

Die junge Frau fuhr zusammen. »Ich auch«, fügte sie eilig hinzu.

Deborah runzelte die Stirn. »Du hast den König angesehen.«

Anne errötete. »Sie sehen beide gut aus.« Es gelang ihr, diese Bemerkung wie beiläufig zu machen, doch in Wirklichkeit war sie betroffen, weil Deborah Recht hatte - sie hatte tatsächlich Edward angesehen, hatte die Augen nicht von seinem Gesicht und seiner Gestalt lösen können und die ganze Zeit an jenen Moment in der Abtei gedacht, als er zu ihr emporgesehen hatte. Närrische Träumereien. Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was Mathew zu den Bettlern sagte. Was jedoch nicht ganz einfach war, denn der scharfe Wind, der vom Fluss herüberblies, trug die Worte davon.

Deborah beließ es bei ihrer Bemerkung. Anne war noch sehr jung, auch wenn sie der Verantwortung der vergangenen Monate gewachsen gewesen war. Doch diese Situation brachte ein Problem mit sich, das Deborah mit großer Sorge erfüllte. Auch mit beinahe fünfzig Jahren wusste sie, wie schnell sich junge Mädchen verliebten. Doch der König war ein gefährliches Objekt für die Zuneigung eines jungen Dings. Seine Anfälligkeit für weibliche Reize war berüchtigt, auch wenn er erst kürzlich geheiratet hatte. Es wäre eine Tragödie, wenn Anne nur eine seiner zahlreichen Geliebten würde, ein schreckliches Schicksal, wenn im Hintergrund keine mächtige Familie stand, die sie schützte.

Deborah schloss einen Moment lang die Augen und betete um Führung für das Mädchen. Vielleicht erhielt sie ein Zeichen, dass alles gut werden würde. Ihre Hände schmerzten vor Kälte, und ausnahmsweise ließ sie sich von dem Lärm der Umstehenden ablenken. Als Anne sie ungeduldig am Ärmel zupfte, schlug sie seufzend wieder die Augen auf.

»Ich muss zu Lady Margaret - sie wird sich wundern, wo ich bleibe. Kannst du heute Abend nach Blessing House kommen? Ich muss dir eine Menge erzählen. Du hattest mit so vielem Recht! Mistress Jassy sieht es nicht gern, wenn wir abends Besuch bekommen. Deshalb wäre es am besten, wenn du durch die Hoftür in die Küche kämst. Maitre Gilles wird nichts dagegen haben und sie offen lassen, wenn ich ihm vorher Bescheid sage.«

Deborah nickte, und das Mädchen küsste sie auf die Wangen. Sie wollte gerade davoneilen, als die Ziehmutter sie am Ärmel festhielt, ihr in die Augen sah und sie sanft auf die Brauen küsste. »Und jetzt weg mit dir.« Anne schlang noch einmal ihre Arme um Deborah und verschwand in der Menge.

»Hast du mich schon vergessen?« Eine kleine, gepflegte Hand berührte Piers an der Schulter. Er wirbelte herum und erblickte Aveline, die lächelnd zu ihm aufsah. Er lachte fröhlich und ließ aus Gewohnheit seine Augen über ihren Körper wandern. Sie lächelte kokett, doch als sie sah, wie seine Aufmerksamkeit sich einer Traube von Höflingen zuwandte, die sich um den König geschart hatte, verhärteten sich ihre Züge. Unter ihnen befanden sich auch sein Vater, seine Stiefmutter und ... Anne, die sich endlich wieder bis zu Lady Margaret hatte durchdrängen können. Sie stand hinter ihrer Herrin und hob die Schleppe des bildschönen Gewands aus dem Schmutz. Aveline erbleichte vor Wut, und Piers erschrak über den zornigen Ausdruck ihrer Augen. Eilig senkte sie den Blick. »Ich werde Euch nicht länger belästigen, Master«, sagte sie tonlos und eilte davon.

Piers lachte. Nun, vielleicht hatte sie endlich begriffen, woher der Wind wehte - Eifersucht hatte bei Frauen oft eine stimulierende Wirkung. Womöglich würde sie sich noch mehr anstrengen, ihm gefällig zu sein. Manchmal war Aveline auf eine anstrengende Weise eigensinnig. Natürlich wollte er sich gern weiterhin mit ihr amüsieren, aber wenn sie wegen Anne Schwierigkeiten machte, konnte er jederzeit mit Jassy sprechen und dafür sorgen, dass sie entlassen wurde. Die Dienerschaft wusste um ihre Liebelei, und sie war, wie er von seinem Leibdiener erfahren hatte, nicht besonders beliebt, weil sie sich den anderen gegenüber als Herrin aufspielte. Anne dagegen hatte unzählige Anhänger, unter anderem auch Jassy, vor allem seit der wundersamen Genesung seiner Stiefmutter, die hauptsächlich der Wirkung der Kräutertees und des Blutpuddings zugesprochen wurde, die Anne für sie zubereitet hatte. Er würde sie im Auge behalten müssen, denn er wollte nicht, dass andere sie vor ihm bekämen, schon gar nicht irgendein lüsternen Stallbursche oder Küchenknecht.

»Aus dem Weg, Platz da, Tölpel! Ich sagte, aus dem Weg!« Piers bahnte sich einen Weg zu der Gruppe von Höflingen und beobachtete amüsiert, wie Aveline Anne die Schleppe aus der Hand riss, ehe sich der Zug für den kurzen Weg nach Blessing House in Bewegung setzte.

Master Mathew war vor banger Freude wie benebelt. Mit Margaret am Arm schritt er neben seinem König einher und machte ihn darauf aufmerksam, dass er diesen Teil der Straße, der von der Abbey bis zu seinem Haus führte, zum Wohl der Allgemeinheit mit Flusskieseln hatte pflastern lassen.

Der König lachte freundlich. »Wie, Master Cuttifer, nur für die Allgemeinheit? Und gar nicht für Euer eigenes Wohl? Kommt, kommt.« Bei dem Gelächter der höfischen Speichellecker errötete Mathew - etwas, was ihm seit seiner Kindheit nicht mehr passiert war.

Margaret ergriff mutig das Wort und versuchte, den Scherz des Königs zu Gunsten ihres Mannes auszulegen. »Sicher, Sire, es geschah zum Segen unseres Blessing House, aber auch zum Segen der Allgemeinheit!«

Edward lächelte auf sie herab. »Nun, Master Mathew, Ihr könnt Euch glücklich schätzen, so viel Anmut und Geist an Eurer Seite zu haben. Und so viel Schönheit.« Dann schweifte sein Blick für einen Augenblick von Lady Margaret ab und verweilte auf den beiden Mädchen, die ihrer Herrin sittsam folgten.

Aveline errötete und knickste, ebenso wie Anne, doch als diese ihren Kopf hob, bemerkte sie, dass der König ihr erneut direkt in die Augen sah. Und wieder spürte sie diese spannungsgeladene Verbindung zwischen sich und dem König. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit schon wieder abgelenkt, diesmal von einer Schar Gaukler, die von den Stallungen hinter Blessing House hervorsprangen.

Die grell geschminkten Männer und Knaben zogen einen großen, niedrigen Karren mit sich, auf dem sich ein kleines, burgähnliches Gebäude aus Gips befand. Es war sehr realitätsnah angestrichen und sah aus wie aus Steinen gemauert. Es verfügte sogar über mehrere Türmchen und einen märchenhaften Drachen, der zusammengerollt vor einem hölzernen Fallgitter lag. Der Karren hielt vor Blessing House an und versperrte den Eingang, worauf die Menge jubelte und klatschte. Einer der Gaukler, ein riesiger, ganz in Grün gekleideter Mann, der mit Efeu und Stechpalmen behangen war, sprang auf den Karren und rief laut um Ruhe, wobei er auf eine große Blechtrommel einschlug. Der König drehte sich freundlich lächelnd seinem Gastgeber zu, offenbar gewillt, alles, was er sah, gutzuheißen. »Und nun, Master Mathew?«

»Sire, dieser Gaukler bittet um Erlaubnis, Euch ein Wunder vorführen zu dürfen«, antwortete Mathew Cuttifer mit lauter, klarer Stimme. Die Menschen verstummten neugierig, und diejenigen, die hinten standen, riefen dem Gaukler Zu, er möge lauter sprechen.

Wieder schlug er wild auf seine Trommel ein, bis den Leuten der Kopf dröhnte. »Großer König«, hob er an. »Ihr steht hier vor der Burg der Verzweiflung. Sie wurde von diesem Ungeheuer gebaut, das auch hier lebt!« Das Ungeheuer - ein in Sackleinen gehüllter Mann, dessen Kostüm kunstvoll mit vergoldeten Holzschuppen besetzt war - öffnete seinen riesigen, rot ausgemalten Schlund, streckte seine lange Zunge heraus und züngelte damit in Richtung der Höflinge, wobei es, zum Entzücken der Zuschauer und begleitet vom fröhlichen Kreischen der Kinder, ein mächtiges Brüllen ausstieß.

»Wir bitten Euch, Eure kriegerische Hand zur Rettung dieser hübschen Maid zu erheben!« Und dann geschah etwas höchst Anstößiges, mit dem niemand gerechnet hatte. Auf dem Wehrgang der Gipsburg erschien eine fette, junge Frau mit schwellenden Brüsten. Sie schwenkte die Arme, heulte laut auf und schlug sich so auf ihren beinahe entblößten Busen, dass die wackeligen Segeltuchwände erbebten. Worauf die Zuschauer, entzückt von der schmachvollen Zurschaustellung nackten Fleisches, ein fasziniertes »Oooh« ausstießen. Eigentlich wurden Frauenrollen stets von Knaben gespielt, und dieser Traditionsbruch würde zweifellos am nächsten Sonntag von sämtlichen Kanzeln der Stadt gegeißelt werden!

In diesem Augenblick schnippte der Grüne mit den Fingern, worauf ein lauter Knall ertönte und eine grüne Rauchwolke den Karren verhüllte. Als der Rauch sich verzogen hatte, kam eine rot verkleidete Treppe zum Vorschein. Die Menschenmenge kreischte vor Entzücken, und der grüne Mann bedeutete dem König, näher zu treten.

Edward wandte sich an seinen Gastgeber. »Nun, soll ich mein Glück probieren, Master Cuttifer?«

»Sire, Euer Volk möchte sehen, wie Ihr den Drachen der Verzweiflung erschlagt und die brave Maid errettet.« Und damit machte Mathew die tiefste Verbeugung, die er zustande brachte.

Der König besah sich die schwankende Gipskonstruktion - die »Maid« legte sich mächtig ins Zeug, und das Ganze lief Gefahr, vom Karren zu stürzen -, dann lächelte er. Er winkte der begeisterten Menge zu und schickte sich an, das Spiel mitzuspielen. Feierlich nahm er ein stumpfes Bühnenschwert aus den Händen des Grünen entgegen und rannte leichtfüßig die Stufen hinauf, um den schrecklichen Drachen zu erschlagen.

Oben auf dem Karren gab der König eine gekonnte Vorstellung und erlegte das grässliche Ungeheuer mit drei pantomimischen Schlägen in Kehle, Leib und Rücken. Die Menge jubelte und kreischte, während der Drache jaulte, künstliches Blut spie und sich alle Mühe gab, mit dem größtmöglichen Effekt sein Leben auszuhauchen. Der Grüne bearbeitete unterdessen schwitzend seine Trommel, der König schwenkte siegreich sein Schwert, hob das hölzerne Fallgatter hoch und betrat die Gipsburg. Kurz darauf kam er wieder heraus und hielt, zum lautstarken Entzücken der Leute, die nun fast »ohnmächtige« Heldin galant in den Armen.

»Drum sterbe, wer des Königs Feind, für Blessings Herr wird's Frühlingszeit«, schrie der Grüne, als Edward die ohnmächtige Maid absetzte, woraufhin diese so tief knickste, wie es der begrenzte Platz ermöglichte. Der König nahm das Gelächter und den Jubel der Menge freundlich entgegen, ehe er wieder zu seinen Höflingen hinunterstieg, deren Applaus eher zurückhaltend ausfiel.

»Sire, das war fast wie in der Schlacht von Towton!«

»So, so, Warwick, meint Ihr das wirklich?«, sagte der König kühl zu dem kräftigen, dunkelhaarigen Mann in den Dreißigern, der neben dem strahlenden Mathew und seiner Frau stand.

»Schwerter und ... äh, Herzen, das waren schon immer die stärksten Waffen Eurer Majestät«, gab Warwick mit kaum verborgener Häme zurück.

Edwards fröhliche Miene verzog sich zu einer zornigen Grimasse. Er schwieg einen Augenblick, ehe er dem anderen den Rücken zuwandte. »Mir scheint, Master Mathew, es gibt Mitglieder meines Hofes, die nicht wissen, wann die Unterhaltung zu Ende ist. Für diesen Mangel an ... Einsicht muss ich Euch um Vergebung bitten.«

Mathew Cuttifer schluckte, als er den eisigen Tonfall des Königs vernahm. Vielleicht endete dieser Tag des Triumphes doch noch in einer Katastrophe. Offensichtlich waren der König und der Earl von Warwick wieder im Zwist, und das kleine Schauspiel war der Auslöser dafür.

Lady Margaret sprang noch einmal in die Bresche. »Sire, Ihr müsst hungrig sein - ich gestehe offen, ich bin es. Würde es Euch belieben, dieses bescheidene Haus zu betreten und das Brot mit uns zu brechen?«

Edward registrierte die würdevolle Ruhe, mit der Margaret ihn ansprach, und da er ahnte, welchen Mut eine solche Bemerkung in dieser Situation erforderte, zog er seinen flachen Samthut vor ihr und lächelte zuvorkommend. »Lady, es würde mir sehr wohl belieben, doch zuerst...« Er drehte sich zu den Schauspielern um, die verlegen grinsten, mit den Füßen scharrten und darauf warteten, abtreten zu dürfen. »Euch meinen Dank und dies ... Almosenpfleger!«

Ein kleiner Mann in einer altmodischen, in Brokat gefassten Houppelande eilte nach vorn und reichte dem König einen Lederbeutel, in dem dieser seine Finger versenkte. In hohem Bogen flogen kleine Münzen durch die Luft und prasselten mit einem verlockenden Klirren auf die Pflastersteine. Die Komödianten kratzten ihre Belohnung zusammen, allen voran die »Maid«, die mit schief sitzender Blondperücke verbissen den Grünen und den Drachen beiseite stieß und auf allen vieren die Münzen von der Erde klaubte. Die Höflinge und die übrigen Zuschauer lachten angesichts dieser zur Schau gestellten Gier, während der Karren mit der Burg von einer Hand voll kräftiger Diener vom Eingang zu Blessing House weggeschoben wurde.

Im Haus war wie durch ein Wunder alles für den Empfang der königlichen Gesellschaft gerichtet. Mathew ließ sich nichts von seiner Freude anmerken, seine gesamte Dienerschaft kniend und mit gesenktem Kopf vorzufinden, als er mit den hohen Gästen eintrat. »Mein ärmliches Haus wird durch Eure Anwesenheit geehrt, mein Herr und König. Wir möchten Euch unsere Dankbarkeit bezeigen«, erklärte er mit fester Stimme, während er und Margaret sowie die beiden Mädchen hinter ihr unter den Augen der versammelten Dienerschaft auf die Knie sanken und demütig die Köpfe beugten. Es war eine erhebende Geste.

Die Bescheidenheit seines reichen Gastgebers war Balsam für das Herz des Königs und vertrieb augenblicklich seine schlechte Stimmung. Lächelnd ging er auf seine Gastgeber zu, zog Lady Margaret galant empor und gab ihr einen Friedenskuss, ehe er ihrem Gatten hoch half und auch ihn auf beide Wangen küsste. Und zum Entzücken der versammelten Dienerschaft und zum Entsetzen der Höflinge reichte er auch Aveline und Anne die Hand.

War es Einbildung, oder ruhten die Finger des Königs tatsächlich etwas länger in Annes Hand und strichen leicht über ihre Handfläche? Als er sie hochzog und sie einige Sekunden lang unmittelbar vor ihm stand, war ihr so schwindelig und eng um die Brust, dass ihre Beine nachzugeben drohten und sich von ihrer Hand eine prickelnde Wärme ausbreitete, die sich durch ihren Körper bis tief in den Bauch hinunterzog - eine verwirrende und zugleich köstliche Empfindung. Anne versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu halten, und heftete die Augen starr auf die Binsen. Der König unterdessen machte eine elegante Verbeugung vor Mathew.

»Genug der Förmlichkeiten, Master Mathew. Ich gratuliere Euch zum Namenstag. Kommt! Lasst uns speisen!« Der König schritt mit Lady Margaret am Arm zum Speisesaal, und die Diener sprangen auf, um den nachfolgenden Höflingen Platz zu machen.

Piers befand sich mitten im Strudel der hungrigen Gäste, die zum Speisesaal strömten, wo sich unter dampfenden Fleischplatten und riesigen Soßenschüsseln die langen Tafeln bogen. Das Gedränge war so groß, dass Piers beinahe kopfüber auf den Binsenboden stürzte, als er über einen seiner langen Schleppärmel stolperte. Corpus wollte ihm zu Hilfe eilen und packte ihn mit einer Hand hinten am aufwändig gearbeiteten Wams, was jedoch schreckliche Folgen hatte, denn in der anderen Hand trug er eine Schüssel, aus der er in seiner Hast Bratensaft über den kostbaren Brokat schüttete.

»Trottel! Dieses Gewand ist mehr wert als dein Leben!«

»Master, verzeiht, verzeiht! Hier, soll ich ...?«

»Nein! Nimm deine Fettfinger von mir!«

Piers brannte innerlich vor Scham. Nicht nur wäre er vor den Augen des Königs beinahe der Länge nach hingefallen, sondern nun war auch noch seine neue zweifarbige Cotehardie verdorben. Und er hörte das Kichern der Damen, die den Vorfall beobachtet hatten. Er drehte sich zu dem unseligen Corpus um und versetzte ihm einen Tritt, dass dieser kopfüber in die Binsen fiel. Die Mehrzahl der Umstehenden lachte, als sie den alten Mann, über und über mit Bratensaft verschmiert, daliegen sahen - und sie lachten umso mehr, als er auf seine Füße sprang und kreischend aus der Halle stürzte.

Mathew blickte stirnrunzelnd von der erhöhten Tafel, zu der er den König und die wichtigsten Adligen, darunter auch Warwick, geleitet hatte, durch den Saal. Trotzig erwiderte sein Sohn den Blick und verschwand, um sein Gewand zu wechseln.

Auch der König hatte die Szene beobachtet und lachte herzlich über das kleine Drama. Anne, die hinter Lady Margarets Stuhl stand, wunderte sich, dass der König auf Kosten eines anderen lachte, doch dann schüttelte sie den Kopf über ihre Zimperlichkeit. Edward war der König, und Könige waren von Gott dazu bestimmt, das Volk zu regieren und über dessen Wohl und Wehe zu wachen. Also musste er viel mehr wissen, als sie jemals wissen könnte. Außerdem war er ein Mann, und Männer machten vieles, was sie nicht verstand. Möglicherweise hatte Corpus diesen Tritt in seinen krummen Rücken wirklich verdient und passte in Zukunft besser auf.

Plötzlich spürte sie ein schmerzhaftes Kneifen im Oberarm. Sie drehte sich um und sah sich Auge in Auge mit Aveline. »Du bleibst hier, Mädchen, und gibst gut Acht. Wenn unsere Herrin nach mir fragt, ich bin nur schnell zur Kleiderkammer gegangen«, zischte sie, schlich vom Tisch und schlängelte sich durch den Strom von Dienstboten, die aus der Küche frische Speisen herbeischafften und deftige Flüche ausstießen, weil sie ihnen im Weg stand. Sie duckte sich in eine Wandnische und hielt nach einer Lücke Ausschau, um von ihrer Herrin unbemerkt aus dem Saal zu gelangen.

»Lady Margaret, ich gratuliere Euch!« Die Stimme des Königs lenkte Annes Aufmerksamkeit wieder zur Tafel. »Prost!« Mit einem einzigen heldenhaften Zug leerte der König den Silberbecher, den er zuvor seiner Gastgeberin angeboten hatte, die ihn jedoch lediglich mit den Lippen berührt hatte. Anne beobachtete Edwards Schluckbewegungen, und als er den kostbaren Becher auf die Tischplatte knallte und ein zufriedenes Rülpsen ausstieß, ermahnte sie sich zur Wachsamkeit, denn ihr oblag die ehrenhafte Pflicht des Nachschenkens.

Eilig stürzte sie nach vorn, ergriff den mit Silber beschlagenen Krug, der zwischen dem König und ihrer Herrin stand, und schenkte so vorsichtig wie möglich von dem schweren, süßen Hippocraswein ein. Die Nähe des Königs hatte eine geradezu berauschende Wirkung auf sie, und ihre Hände zitterten, als sie beim Einschenken seinen Geruch einatmete. Am liebsten hätte sie die langen Finger berührt, die der König anmutig auf den Tisch gelegt hatte, während er angeregt mit seinen Gastgebern plauderte.

»Master Mathew, ich suche Euren Rat als geachteter Kaufmann in dieser Stadt - genug, Mädchen!«

Anne errötete, denn sie hatte den Becher fast bis zum Überlaufen gefüllt.

Der König lachte. »Dieses schöne Kind wird mich im Nu unter die Festtafel bringen, wenn sie mir weiterhin so großzügig einschenkt, Master Mathew!« Doch sein warmherziger Blick nahm seinen Worten jegliche Schärfe und machte sie noch verwirrter und atemloser als zuvor. Der König war entzückt über diese Reaktion. »Komm, komm, so ein bescheidenes Mägdelein - und ganz bestimmt ein echtes, im Gegensatz zu der blonden Jungfrau mit dem Drachen dort draußen.«

Inmitten des herzhaften Gelächters, in das sogar Lady Margaret einstimmte, gelang es Anne, sich wieder auf ihren Platz hinter dem Stuhl ihrer Herrin zurückzuziehen, wo sie ihr brennendes Gesicht zu Boden senkte und um ihre Fassung rang. Warum nur sehnte sie sich so nach den süßen Qualen, die ihr König ihr bereitete?

Aveline hatte fast das Ende der Halle erreicht, als sie den König lachen hörte. Sie drehte sich um, und bei Annes Anblick, die sich mit gesenktem Kopf hinter den Stuhl zurückzog, frohlockte sie über die Verlegenheit dieser dummen Gans. Doch dann sah sie den warmherzigen, nachdenklichen Blick, den der König dem Mädchen zuwarf. Anne konnte ihn nicht sehen, da sie die Augen verschämt auf den Boden geheftet hatte - Aveline aber zitterte vor Wut und Rachegelüsten. Warum nur waren alle Männer von diesem Milchgesicht so angezogen? War sie selbst mit einem Mal unsichtbar geworden? Verzweifelt eilte sie weiter, um nach Piers zu suchen. Im Grunde war sie sich ihrer Wirkung auf Männer sehr sicher, doch nun nagte plötzlich Unsicherheit an ihrem Selbstbewusstsein. Sie schüttelte den Kopf, um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Nein, sie hatte sich heute etwas vorgenommen und würde sich nicht davon abbringen lassen.

Zum Glück hatte Piers seine schlechte Laune schon an seinem Leibdiener John ausgelassen, der Prügel bezogen hatte. Der letzte Knopf an seiner zweitbesten Cotehardie aus rotem Samt war gerade zugeknöpft, als es an seiner Tür klopfte. Obwohl er sich wieder ein wenig beruhigt hatte, sah er Aveline finster entgegen und sprach unfreundlicher als beabsichtigt. »Was gibt's?«

Das Mädchen errötete und warf John einen raschen Blick zu.

»Steh nicht herum und glotz, du Idiot. Verschwinde!«, schrie Piers. John, ein schmächtiger Junge, dem dank eines früheren Wutausbruchs seines Herrn ein Schneidezahn fehlte, floh dankbar aus dem Zimmer und schloss mit übertriebener Sorgfalt die Tür hinter sich.

Aveline stand unschlüssig da, während Piers sich bewundernd vor der polierten Oberfläche seines silbernen Waschkruges drehte. Er genoss es, Herr der Lage zu sein, und zudem versprach er sich noch einigen Spaß mit ihr, denn sonst wäre sie nicht gekommen und würde ihn so flehend anschauen.

Langsam drehte er sich um und musterte sie dreist. »Du siehst sehr hübsch aus in diesem Kleid, Aveline. Rotbraun passt gut zu deinem Teint.«

Aveline sah ihn erst verwirrt, dann voller Hoffnung an.

»Schließ die Tür, Mädchen.« Seine Stimme hatte einen seidenweichen Ton angenommen. Aveline lächelte. Schon viel besser. Geschmeidig ging sie auf ihn zu, während sein Blick über ihren Körper wanderte, vor allem über das Mieder, das sie bis zur Grenze des Anstands nach unten gezogen hatte. Sie wusste, dass sie wie eine Dame aussah und gleichzeitig aufreizend liederlich wirkte.

»Ich habe etwas für dich, Aveline. Eine Überraschung.« Inzwischen stand sie vor ihm, und er legte seinen Arm um ihre Mitte. »Komm, ich möchte es dir bei Licht zeigen.« Er führte sie ans offene Fenster, während seine eine Hand ihr Gesäß suchte und die andere über ihr Mieder glitt, bis sie ihre Brust umfing. Plötzlich kniff er sie und beobachtete, wie der Schmerz in ihren Augen aufflackerte. Das erregte ihn. Aveline zwang sich, verliebt zu ihm aufzuschauen. Sie wusste, dass ein Hauch von Furcht ihn aufpeitschte, und sie spürte, wie er hart wurde.

Unterdessen war er mit der einen Hand grob in ihr Mieder gefahren und hob mit der anderen ihre voluminösen Röcke hoch, unter denen sie nichts als einen Unterrock trug.

Er stieß sie vor das Fenster und zwang sie, sich über die Brüstung zu lehnen. Dann fasste er von hinten zwischen ihre nackten Schenkel. Sie war feucht, schlüpfrig und heiß und keuchte ebenso wie er.

Aveline lag halb über der Brüstung. Sie schloss die Augen und ließ ihren Körper erschlaffen - so mochte er es am liebsten -, während er ihr ungeduldig die Röcke über Schenkel und Bauch zog und dabei fast den Stoff zerriss. Im bleichen Licht der Wintersonne entblößte er ihren glatten, weichen

Körper, so weit es ging. Doch sie presste ihre Schenkel um seine suchenden, wühlenden Finger und wimmerte leise, denn sie wusste, dass er ihre Schenkel gewaltsam auseinanderreißen wollte. Er drückte sie so fest nach unten, dass sie sich noch weiter in die Kälte hinauslehnen musste. Hastig nestelte er an seiner Schamkapsel, ehe er brutal ihre Beine auseinander stemmte und sich grunzend in ihren Leib rammte. Sie rang nach Luft und versuchte sich abzustützen, weil das kalte Steingesims in ihren Bauch schnitt.

»Mach die Beine breiter - breiter, sag ich! Ja! Ganz hinein. So magst du es doch, Aveline. So, und so, und so. Los, sag mir, was du fühlst.« Sie wusste, dass sein Gesicht ziegelrot angelaufen war, und hatte plötzlich das Bedürfnis zu lachen. Was, wenn jemand sie von unten sehen konnte?

»Oh, Master, seid behutsam. Ihr reißt mich ja entzwei. Oh, so tief, so hart... oh ... aber wenn ich schreie, kommen womöglich die Leute und sehen uns. Ich bin fast nackt, Piers.« Aveline wusste genau, was sie sagen musste, dass das Risiko seine Lust anfeuerte.

»Dann schrei, Mädchen. Sollen sie kommen. Ich will, dass sie dich sehen.« Er biss ihr in den Hals, und Aveline schrie auf.

»Au, nicht so hart - oh, oh, ah, Ihr seid so riesig, Herr, Ihr werdet mich entzweibrechen. Habt Erbarmen.«

Er knurrte und biss wieder zu. Diesmal war ihr Schrei echt, denn der Biss war tief. Ihr Schmerzensschrei ließ ihn köstlich erschaudern. Er liebte dieses Gefühl absoluter Beherrschung, doch dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten und explodierte in krampfhaften Zuckungen. Wie immer zu früh. Keuchend lag er über ihr und rang nach Luft, während sie sich an ihn presste und ihre Hüften sanft vor und zurück schaukelte. Vor und zurück.

»Was wolltet Ihr mir zeigen, Master?«, fragte das Mädchen sachlich. Grunzend glitt er aus ihr heraus und wischte sich mit ihrer Schleppe ab. Rasch drehte sie sich um. Sie ärgerte sich darüber, dennoch hoffte sie, dass der aufgelöste Zustand ihrer Kleidung, ihr nackter Unterleib und ihr wirres Haar immer noch eine aufreizende Wirkung auf ihn hatten.

»Bedecke dich, Mädchen.« Sein gereizter Ton ließ sie aufhorchen. Jetzt war ihre ganze Raffinesse gefordert.

»Ach, kommt zu mir, Master Piers - wir haben doch etwas Zeit, das Fest wird noch Stunden dauern.« Sie breitete verführerisch die Arme aus, musste aber enttäuscht feststellen, dass er bereits wieder vollständig bekleidet war und mit ungeduldiger Miene seine eng anliegende Cotehardie glättete.

»Mein Vater wünscht meine Anwesenheit - und deine ebenfalls, Aveline. Komm schon, zum Reden werden wir auch später noch Zeit finden, heute Abend zum Beispiel.« Bei der Betonung dieses Wortes lächelte.er dünn.

Sein Lächeln beruhigte sie. Verführerisch öffnete sie den Mund und fuhr sich mit ihrer Zunge über die roten Lippen, damit sie glänzten. Es fiel ihr schwer, freundlich oder dankbar zu klingen. Sie ärgerte sich über das kleine Zwischenspiel am Fenster, bedeutete es doch, dass ihre Neuigkeiten warten mussten. Aber sie wusste auch, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu drängen.

Vielleicht hatten sie später tatsächlich mehr Zeit füreinander - und vielleicht verbrachten sie sogar einen Teil der Nacht zusammen in seinem Bett. Das wäre jedenfalls besser als noch so eine flüchtige Begegnung wie gerade eben. Und sie musste behutsam vorgehen, wollte sie von ihm bekommen, was sie wollte.

Er wandte sich zum Gehen, drehte sich an der Tür aber noch einmal zu ihr um. Sie gab ein recht appetitliches Bild ab, wie sie gleichgültig und mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen ihr Mieder zuknöpfte. Ja, beide Mädchen eine

Zeit lang zu besitzen, wäre gewiss recht vergnüglich. Aveline und Anne. Anne, die Jungfrau, würde ihn zunächst nicht zu befriedigen wissen - aber es wäre eine Lust, ihr Lehrer zu sein. Daneben hätte er noch Aveline, die genau wusste, was sie zu tun hatte und die ihn jederzeit erregen konnte, auch wenn er zwischen ihren Zusammentreffen so gut wie nie an sie dachte. Er hatte ihren Geruch noch an seinen Fingern. Das erregte ihn, und zu seinem Erstaunen spürte er, wie er erneut hart wurde.

Er schüttelte den Kopf. »Pass gut auf. Deine Herrin wird sich schon wundern, wo du bleibst.«

Er öffnete die Tür und warf ihr ein kurzes Lächeln zu, das sie mit einem umso breiteren Lächeln erwiderte. Dann war er fort, und ihr Lächeln erstarb. Ja, sie brauchte wirklich etwas mehr Zeit mit ihm - wenigstens ein paar Stunden -, und das nächste Mal würde sie ihn auch dazu bringen, ihr Genuss zu verschaffen. Und danach, nun, dann würde sie es ihm erzählen.

Piers war höchstens fünfzehn Minuten fort gewesen, doch die Stimmung im Speisesaal war mittlerweile erheblich gelöster. Das mochte an dem vorzüglichen Wein seines Vaters liegen, denn überall im Saal sah er rote Gesichter, selbst unter den Herrschaften an den erhöhten Tischen, die sich ein Beispiel an ihrem König nahmen. Piers Vater blickte ihn stirnrunzelnd an und winkte ihn mit einer knappen Geste zu sich. Piers setzte eine pflichtschuldige Miene auf und eilte zur Mitte der Tafel, wo er sich vor seinem Vater und dem König anmutig auf ein Knie sinken ließ.

»Piers, mein ungeratener Sohn, Eure Majestät.«

»Ein neuer Umhang, wie ich sehe, junger Mann.«

Piers errötete, doch es gelang ihm, seine Verstimmung zu verbergen. »Sire, alles wird neu im Glanz Eurer Gegenwart in meines Vaters Haus.«

Der König lachte herzlich. »Nun, Master Mathew, Ihr habt nicht nur ein wohl bestelltes Haus, sondern auch einen anmutigen Sohn.« Mit einer routinierten Geste schwenkte der König ein Hühnerbein und entließ Piers.

Dieser zog sich mit tiefen Verbeugungen zurück, sorgsam darauf bedacht, nicht auf die Ärmelschleppen seiner neuen Cotehardie zu treten. Unmittelbar unter dem Podest, auf dem der Tisch des Königs stand, fand er einen freien Platz.

Einen Augenblick später schlüpfte Aveline wieder an ihren Platz hinter Lady Margarets Stuhl. »Du kannst gehen«, zischte sie Anne zu. »Ich werde Lady Margaret weiter aufwarten.« Anne wollte protestieren, doch Aveline kniff sie so fest in den Arm, dass sie einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken konnte, worauf ihre Herrin sich umdrehte und sie beide ansah.

»Aveline, da bist du ja. Bring mir bitte mein Riechfläschchen, mir ist ganz schwindelig in dieser stickigen Luft.«

»Aber, Mistress, kann nicht Anne ...?«

Lady Margaret musterte das ältere der beiden Mädchen streng. »Nein, Aveline, ich möchte, dass du es holst. Anne hat hier zu tun.«

Piers konnte von seinem Platz aus genau beobachten, wie sich zwischen den beiden Mädchen Spannung aufbaute. Er beobachtete Aveline, die kurz knickste und schmollend davoneilte. Er beobachtete Anne, die von Gast zu Gast ging und auf ein Zeichen ihrer Herrin die Becher nachfüllte.

Auch der König erfreute sich an dem Mädchen, das sich mit reizend geröteten Wangen auf seine Aufgabe konzentrierte. Er fand Gefallen an ihren anmutigen Bewegungen und war bezaubert von ihrer Schönheit. Unterdessen plauderte er mit seinem Gastgeber.

»Master Mathew, mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr Lady Margarets Genesung, wofür wir an diesem Tag alle danken wollen, der Einnahme von Heilkräutern zuschreibt. Sie müssen eine gewaltige Kraft besitzen. Vielleicht solltet Ihr sie für unser aller Wohl an die Arzte verkaufen.«

»Oh, Sire, es ist wahrlich ein Wunder, und niemand, nicht einmal die studierten Ärzte, die mein Weib behandelt haben, haben eine Erklärung für ihre Genesung. Sie können es selbst kaum glauben.«

»Und was sagt Lady Margaret dazu?«, erkundigte sich Edward, ohne Anne aus den Augen zu lassen. Das Mädchen hatte wirklich reizende Hände, und sie war sehr sauber, was man von so manchen Damen seines Hofes nicht behaupten konnte.

»Sire, ich glaube, es waren die Gebete meines Mannes und des ganzen Hauses, aber auch die Wirkung der Kräutertees und der besonderen Speisen, die ich zu mir genommen habe, dass ich heute an diesem Tisch sitzen kann«, erklärte Lady Margaret. »Anne, erzähl dem König, wie du die Heiltränke und die Speisen für mich bereitet hast.« Anne blickte von ihrer Arbeit auf und erschrak, als König Edward sich verwundert an seine Gastgeberin wandte.

»Dieses Mädchen hat zu Eurer Genesung beigetragen?«

»In der Tat, ich glaube, das hat sie, Sire. Anne kam vor kaum acht Monaten in unser Haus. Damals breitete schon der Todesengel seine Flügel über mich aus. Doch bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft, nachdem ich den aus selbst gesammelten Kräutern bereiteten Tee getrunken hatte, bekam ich wieder genug Kraft, um zu essen. Sie hat mir auch besondere Puddingspeisen aus frischem Blut und Eiern zubereitet, und dann - nun, Ihr seht ja selbst...«

»Komm her, Mädchen.« Der König winkte Anne zu sich, und sämtliche Würdenträger an der Tafel schauten interessiert zu. »Glaubst du wirklich, dass deine Medizin deiner Herrin geholfen hat?«

Anne öffnete den Mund, um dem König zu antworten, brachte aber keinen Ton heraus. Der König, dem nicht entging, dass die Beachtung, die er und die Magnaten ihr schenkten, ihr die Sprache verschlagen hatte, nahm ihre Hand, tätschelte sie freundlich und lächelte ihr aufmunternd zu. Das Mädchen atmete mit einem tiefen Seufzer aus und nahm allen Mut zusammen. »Sire, meine Ziehmutter besitzt einen Kräutergarten und hat mir schon als Kind die Zubereitung von Heilmitteln beigebracht. Sollte Lady Margaret wirklich von meiner bescheidenen Hilfe profitiert haben, dann nur, weil unser guter Herr es so gewollt hat«, erklärte sie mit bebender Stimme, ehe sie in einen tiefen Knicks sank und den Blick auf den Boden heftete.

Die kleine Rede war so anmutig und gefällig vorgetragen worden und so aufrichtig gemeint, dass der König und die Gäste um ihn herum applaudierten. Dann streckte er die Hand aus, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. »Bravo«, sagte er leise, »eine ausgezeichnete und kluge kleine Ärztin. Wir werden dafür sorgen, dass deine Talente angemessen genutzt werden.«

Anne versenkte sich in die tiefblauen Augen des Königs und spürte wieder dieses köstliche Schaudern, das sich prickelnd über ihr Rückgrat zog und in einem berauschenden Hitzeschwall in ihren Brustwarzen und Lenden mündete, der sie zusammenzucken ließ, was sie eilig zu verbergen suchte. Bebend sah sie zu Edward auf, senkte den Blick jedoch augenblicklich wieder, als er sie hochzog.

Lady Margaret, die dem Mädchen helfen wollte, sich wieder zu fassen, lächelte sie herzlich an und äußerte eine Bitte, um sie abzulenken. »Anne, würdest du bitte für Lord Warwick noch ein paar Neunaugen in Safran holen - und dann Jassy für einen Augenblick zu mir bitten.«

Unterhalb des Podests wurde Piers Aufmerksamkeit von der reizenden Lady Rivers gefesselt, die ein Paar bemerkenswerter Brüste besaß, die so üppig aus dem tief geschnittenen, eng geschnürten Mieder quollen, dass er seine Augen kaum davon lassen konnte. Trotzdem entging ihm nicht, was an der Tafel vor sich ging.

Er schäumte innerlich vor Wut, dass der kleinen Zofe seiner Stiefmutter durch die Aufmerksamkeit des Königs der Kopf verdreht wurde. Nach allem, was man von Edward wusste, war das heutige Getändel gewiss nicht das Ende dieser Angelegenheit. Er würde rasch handeln müssen, vielleicht schon sehr bald. Dieser Gedanke entlockte ihm ein Lächeln. Es würde trotz allem eine süße Jagd werden.

Sein Lächeln entzückte Lady Rivers. Das frisch aufgetragene Karmesinrot ihres Dekolletes war ein voller Erfolg. Dieser gut aussehende junge Mann würde sich später vielleicht auch an ihren frisch vergoldeten Brustwarzen erfreuen dürfen!

Nach einer weiteren Stunde war dem König anzumerken, dass er aufbrechen wollte. Margaret suchte den Blick ihres Gatten und ließ ihm durch Anne ausrichten, dass das Fest bald zum Ende kommen sollte und dass sie, wenn er nichts dagegen hätte, einen geeigneten Anlass dafür schaffen würde.

Er erwiderte ihren Blick und nickte diskret. Er war stolz auf den gelungenen Auftritt seiner Frau und seines Hausstandes. Von der rüpelhaften Hofgesellschaft hingegen hatte er ehrlich gesagt genug. Auch wenn er den Wunsch hatte, gesellschaftlich aufzusteigen, war er doch kein höfischer Speichellecker. Und obwohl er sicher war, dass sich die Bewirtung dieses bunt gemischten Haufens aus Aristokraten und Magnaten durchaus geschäftsfördernd auswirken würde, hatte er genug von ihrer überheblichen Art - vor allem gegenüber seiner wunderschönen, kultivierten Frau, die, wie er sich mit einem Schnauben in Erinnerung rief, von edlerer Herkunft als die meisten von ihnen war. Bewundernd beobachtete er, wie sie Anne unauffällig signalisierte, dem König erneut einzuschenken. Offensichtlich wollte sie ihm so Gelegenheit geben, sich mit Anstand zu verabschieden.

»Darf ich Euer Majestät noch etwas Konfekt anbieten oder noch etwas vom Süßwein?« Anne hielt den Kopf demütig gesenkt, als sie Edward vom Zuckerwerk anbot.

»Nein, liebes Kind - ich habe mich am Tisch deines Herrn vorzüglich satt gegessen und getrunken.« Edward gab seinem Herold, der das ganze Fest über reglos hinter ihm gestanden hatte, ein Zeichen.

Der Herold, ein hübscher Knabe, in dessen rosigem Gesicht der erste Flaum spross, rief mit einer für sein Alter überraschend tiefen und klaren Stimme: »Bitte Ruhe. Ruhe für Seine Majestät.«

»Freunde, es ist Zeit für uns zu gehen und Master Mathew und Lady Margaret Cuttifer ihren Freudentag ohne diesen gierigen Schwärm von Heuschrecken beschließen zu lassen!« Die Damen lachten hinter vorgehaltener Hand über diese scherzhafte Ansprache ihres Königs - offenkundig wollte er, dass sie lachten, jedenfalls lächelte er selbst bei diesen Worten. »Für Euch, Sir, und für Euch, Lady, habe ich Geschenke mitgebracht, zum Namenstag und zur Feier der wundersamen Genesung von Lady Margaret.«

Bei diesen Worten trat William Hastings, Oberkammerherr und bester Freund des Königs, vor. Mit tiefen Verneigungen reichte er dem König einen Beutel aus blauem Samt, auf dem die Leoparden von Anjou eingestickt waren. Edward erhob sich und zog eine prächtige, schwere Goldkette aus dem Beutel. In ihre S-förmigen Glieder waren Karneole, Kristalle und kleine kunstvolle Emaille-Münzen eingearbeitet.

Behutsam legte er die Kette um Master Mathews Hals. Es war ein besonders schön gearbeitetes Stück und ein fürstliches Geschenk. Doch damit nicht genug. Ernst trat der König vor Lady Margaret, die neben ihrem Ehemann auf die Knie gesunken war, und legte ihr einen kleinen Gegenstand in die Hände, ein kostbares kleines Stundenbuch, reich illustriert in leuchtenden Farben und Blattgold, mit goldgeprägtem Ledereinband und ebenfalls mit Edelsteinen besetzt, nur dass es diesmal in Gold gefasste Granate und Topase waren.

Lady Rivers war nicht der einzige Höfling, der diese großzügige Geste des Königs gegenüber Master Mathew und seiner Frau mit großem Interesse beobachtete. Auch Earl Warwick war überrascht. Diese Geschenkzeremonie hatte in der Tat etwas Faszinierendes und konnte einen Richtungswechsel signalisieren. Vielleicht brauchte der König Geld; viel Geld - warum sonst sollte er plötzlich einen neureichen Kaufmann auf diese Weise auszeichnen, auch wenn dessen dritte Frau aus den besten Kreisen stammte?

Master Mathews Freude kannte keine Grenzen. Dieser deutliche Gunstbeweis des Königs und seine fürstlichen Geschenke brachten ihn beinahe aus der Fassung. Langsam erhob er sich - der König gewährte ihm eine weitere Ehre, indem er ihm die Hand reichte - und half seiner Frau beim Aufstehen. »Sire, niemals soll mir und den meinen dieser Tag in Vergessenheit geraten. Und seid für immer versichert, dass dieses Haus und alles, was mir gehört, zu Eurer Verfügung steht, solange noch Blut durch meine Adern fließt.«

Der König lachte belustigt. »Nun, Master Mathew, das ist ein bemerkenswertes und höchst großzügiges Angebot, dazu noch vor Zeugen! Aber ich werde nicht darauf bestehen, zumindest noch nicht. Doch ich warne Euch: Sollte die Königin mir jedes Jahr ein Kind schenken, was sie mir treulich versprochen hat, und die Kinder mir womöglich die Haare vom Kopf essen, muss ich mich vielleicht Eurer heutigen Worte erinnern.«

Es war ein Scherz, aber warum war Anne so enttäuscht, als Seine Majestät die neue Königin erwähnte? War es nicht ganz natürlich, dass sich ein verheirateter Mann eine Familie wünschte und seine ehelichen Rechte in Anspruch nehmen wollte? Aber warum hatte er sie dann so interessiert angesehen? Hatte sie sich seine freundlichen Blicke nur eingebildet? Sie wusste, dass es eine Todsünde war, fleischliche Gelüste für einen verheirateten Mann zu hegen. Wenn sie beichtete, würde Vater Bartolph ihr zu Recht eine Buße auferlegen.

Ihre Gedanken wurden vom allgemeinen Aufbruch unterbrochen. Schwatzend strömte die Gesellschaft hinter dem König, Master Mathew und Lady Margaret zur großen Pforte von Blessing House.

Wieder hielten Anne und Aveline die Schleppe, und Anne bemerkte besorgt, wie erschöpft ihre Herrin wirkte. Stoisch stand sie neben ihrem Ehemann und wünschte jedem einzelnen Mitglied des Hofes Lebewohl.

Auch Mathew war besorgt - Margarets Müdigkeit war ihm nicht entgangen -, deshalb fielen seine Abschiedsworte ein wenig harsch aus, als er versuchte, ein paar Sitzenbleiber aus dem Haus zu komplimentieren, ohne dabei seine Gastgeberpflichten zu verletzen.

Als auch die letzten Nachzügler endlich gegangen waren und das Haupttor geschlossen wurde, berührte Mathew zart die Hand seiner Frau. »Kommt, Frau. Dieser Tag hat seinen Tribut gefordert. Aveline! Sorg dafür, dass das Bett vorgewärmt wird, während ich deine Mistress in ihr Gemach führe«, sagte er.

Aveline drehte sich zu Anne um. »Hol Kohlen, aber schnell. Und sieh zu, dass sie für zwei Bettpfannen reichen. Spute dich, alles muss fertig sein, bevor Lady Margaret ins Bett steigt«, befahl sie giftig, wandte sich wieder um und hob die Schleppe des blauen Kleides auf. Anne eilte auf dem schnellsten Weg in die Küche.

Natürlich kannte sich Anne in Blessing House mittlerweile ebenso gut aus wie in Deborahs Küchengarten. Deshalb raffte sie, kaum war sie außer Sichtweite, ihre Röcke und rannte los. Trotzdem brauchte sie mehrere Minuten, bis sie die große Tür zu Maitre Gilles' Reich erreichte.

Bis zu diesem Tag hatte sie es vermieden, die steinerne Frau zu betrachten, die sich behaglich auf dem Türsturz räkelte, denn sie hatte Avelines Warnung nicht vergessen und wollte ihr Ansehen unter den Knechten nicht verlieren. Heute aber blieb sie kurz stehen und sah zu der Gestalt empor. Der Gesichtsausdruck der Frau fesselte sie: Die Augen waren halb geöffnet, die leicht geteilten Lippen zu einem Lächeln verzogen, sie genoss augenscheinlich das Ziehen des Säuglings an ihrer Brust und öffnete mit einer Hand das Oberteil ihres Kleides, als wollte sie, zum Ergötzen des Knaben oder des Betrachters, auch noch ihre zweite Brust entblößen.

Vielleicht lag es an den aufregenden Ereignissen dieses Tages, jedenfalls war Anne vom Lächeln der Frau und der unübersehbaren Freude an ihrer eigenen Sinnlichkeit auf eine ihr gänzlich neue und unbekannte Weise berührt. Der Bildhauer war offensichtlich ein großer Könner, denn auch die beiden kraftstrotzenden Männer, die die Frau trugen, waren bis ins Detail ausgearbeitet, so dass jeder einzelne Muskelstrang lebendig erschien. Zaghaft streckte das Mädchen die Hand aus, um die Stelle zu berühren, wo sich unter dem Lendentuch der Riesen eine mächtige Wölbung abzeichnete.

»Gute Arbeit, nicht wahr, Anne?«

Schuldbewusst wirbelte Anne herum. Piers lehnte direkt hinter ihr an der Wand und betrachtete sie amüsiert. Ihr Gesicht brannte vor Scham. Ängstlich deutete sie einen Knicks an und machte sich daran, die schwere Küchentür zu öffnen. Doch sie war nicht schnell genug. Piers packte sie am Handgelenk, zog ihre Hand von der eisernen Türklinke fort und zwang sie, ihm ins Gesicht zu schauen.

»Weißt du, dass manche Männer in diesem Haus diese Stelle berühren, so wie du es eben tun wolltest«, sagte er, zog ihre Hand zum Türpfosten und strich mit ihren Fingern über das gespannte Lendentuch des ersten Riesen, »bevor sie ihre Weiber besteigen?«

»Lasst mich gehen, Ihr tut mir weh, und ich muss ...«

Doch inzwischen hatte er auch ihre andere Hand gepackt und zog sie von der Küchentür fort. Er schob sie an die Wand und drückte sie mit den Schultern gegen die Mauer. »Ich könnte dir zeigen, warum sie das tun, Anne - soll ich? Spürst du das? Hart, nicht wahr?«

Mit einer Hand hielt er ihre Handgelenke fest, mit der anderen tastete er unter ihre Röcke. Sein Mund lag an ihrem Hals, ehe seine Zunge nach unten zu ihren Brüsten zu wandern begann.

»Piers. Lasst mich gehen - sofort!«

Er war sehr stark. Er presste sie an die Wand, schob ihr Kleid bis über die Hüften, drängte sich mit gespreizten Beinen an ihren Körper und rieb sich keuchend an ihrem Bauch.

Anne nahm noch einmal alle Kraft zusammen und rammte ihm verzweifelt ihr Knie in die ungeschützten Leisten. Er jaulte vor Schmerzen auf und ließ sie los. Sie flüchtete.

Schluchzend vor Zorn und Furcht wuchtete sie die Tür zur Küche auf und warf sie, kaum dass sie eingetreten war, hinter sich zu. Ihre Gedanken rasten, trotzdem war ihr klar, dass sie sich so schnell wie möglich wieder fassen musste. In der Küche herrschte Chaos. Die Knechte und Mägde räumten immer noch die Spuren des Festes weg. Viele waren betrunken, weil sie beim Aufräumen die Weinreste aus den Bechern auf nüchternen Magen geleert hatten. Fröhliche Rufe schallten ihr von da und dort entgegen, aber alle waren so beschäftigt, dass niemand ihre Verzweiflung bemerkte. Verstohlen zog sie das Oberteil ihres Kleides zurecht und stopfte ein Stück abgerissenen Stoff unter den Kragen.

Maitre Gilles zählte die Muskatnüsse, als Anne ihn endlich fand. Er sah sofort, dass mit ihr etwas nicht stimmte, unterbrach sie aber nicht, als sie stammelnd um die Kohlen für das Sonnenzimmer bat.

»Natürlich, Liebes. Aber jetzt setz dich erst einmal hin. Ich lasse sie dir bringen«, sagte er und drückte sie sanft auf eine Bank neben seinem Arbeitstisch. Bei seiner Berührung zuckte sie zusammen. »Corpus, zwei Eimer Kohlen für Lady Margaret. Ja, sofort!«, schrie er.

Nachdenklich betrachtete Gilles Anne, die am ganzen Leib zitterte, obwohl sie direkt am Feuer saß. Er bemerkte auch, dass sie versuchte, das dünne Schultertuch in Ordnung zu bringen, das ein wenig schief aussah. Der Küchenmeister trat vor den schwarzen Eisentopf, der über dem Feuer hing, und schöpfte eine große Kelle brodelnder Flüssigkeit in einen Hornbecher. »Hier - Glühwein.«

Anne lächelte Maitre Gilles dankbar an und legte die Hände um das warme Gefäß, sah aber gleich wieder zu Boden. Doch dem besorgten Koch war nicht entgangen, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.

»Willst du mir nicht sagen, was passiert ist?«

Anne nahm einen Schluck von dem kochend heißen Gebräu und schüttelte den Kopf. »Vielleicht will Gott mich für meine Sünden strafen.« Sie sah so unglücklich aus, dass der Küchenmeister einen Moment lang verlegen wurde. Aber er konnte zwei und zwei zusammenzählen und sich ausrechnen, was geschehen sein musste - und wer dafür verantwortlich war. »Soll ich für dich mit Jassy sprechen?«

»Nein! Oh, nein, bitte nicht. Es war bestimmt nur ... er wollte bestimmt nicht...«, stotterte sie.

Der Koch spürte einen Anflug lüsternen Verlangens, den er jedoch augenblicklich unterdrückte. Er mochte Anne, konnte aber nicht verleugnen, dass ihre Jugend - und ihr Körper - ihm von Zeit zu Zeit wollüstige Gedanken bescherten. Schließlich siegte die Freundlichkeit über die Fleischeslust. Seufzend wandte er sich der vor ihm liegenden Aufgabe zu - er musste dem Mädchen helfen und die Dinge nicht noch schlimmer für sie machen.

»Corpus! Du fauler Hund! Schaff die Kohlen hinauf. Aber sofort«, brüllte er.

Der alte Mann stolperte mit zwei schweren Eiseneimern, die an einem Holzjoch über seinen Schultern hingen, durch die verborgene Tür und schimpfte leise vor sich. Maitre Gilles reichte Anne die Hand und half ihr auf die Füße. »Hör gut zu. Ich bin hier, und ich bin dein Freund. Solltest du deine Meinung ändern, werde ich für dich mit Mistress Jassy sprechen. Fürs Erste aber gebe ich dir den Rat, nicht mehr allein durchs Haus zu gehen.«

Mit hoch erhobenem Kopf durchquerte Anne die Küche, schluckte ihre Tränen hinunter und folgte Corpus die Treppe zum Sonnenzimmer hinauf, ohne seinem ungebrochenen Strom von Schmähworten Beachtung zu schenken. Alles war anders geworden. Wieso waren Männer manchmal so verwirrend? Und wieso verhielten sie sich Frauen gegenüber so eigenartig?

Piers und Aveline - und Piers und Anne: die Initialen waren dieselben, doch die Bedeutung eine ganz andere. Sie verstand nicht, warum Aveline sich mit Mathews Sohn einlassen wollte. Der Gedanke an Piers Hände auf ihrem Körper verursachte ihr eine körperliche Übelkeit - und trotzdem, wenn sie an den König dachte, verspürte sie eine geradezu Schwindel erregende Hitze ...

Heute früh war sie noch unschuldig wie ein Kind aufgewacht, und nun, am Ende dieses Tages, war ihr, als würde sie von Wellen ihres eigenen aufgewühlten Blutes fortgespült werden. Wie war das möglich? Mit Deborahs Hilfe wollte sie heute Abend beten - zu den alten Göttern des Waldes und zur Mutter Jesu. Sie brauchte alle Hilfe, die sie ihr geben konnten.