Kapitel 19
Annes erster Tag im Palast begann in einem verwirrenden Nebel, kaum dass der Doktor sie vor die Tür der Schlafstube gebracht und dort allein stehen gelassen hatte.
Schüchtern klopfte sie an der Tür, die sogleich ungestüm aufgerissen wurde.
»Was ist?« Ein Mädchen in ihrem Alter mit rotem Gesicht und rundlichem Körper starrte sie unwillig an. »Ja? Sprich, Maid.«
»Das reicht, Rose.« Hinter dem aufgebrachten Mädchen erschien eine alte Frau. »Mach dich an die Arbeit. Die Königin wartet schon«, erklärte sie streng.
Rose schimpfte leise vor sich hin und drängte sich eilig an Anne vorbei. Die alte Frau schüttelte verärgert den Kopf und wandte sich dem Mädchen vor ihr zu. »Ja? Und wer bist du?«
Etwas Seltsames geschah, als Anne sich in einen tiefen Knicks sinken ließ: Die streng dreinblickende, imposante Frau wirkte plötzlich verunsichert, gewann aber schnell ihre Fassung wieder.
»Steh auf, Mädchen, vor mir brauchst du nicht zu knicksen. Sag mir, wie du heißt.«
Anne schluckte nervös. Alle schienen so unfreundlich zu sein. »Bitte, ich heiße Anne, Lady. Ich soll Kammerjungfer der Königin werden und hier nach Dame Jehanne fragen.«
Die alte Frau erwiderte nichts, sondern ging langsam um Anne herum, hob sogar ihr Gesicht ein wenig an, um es besser studieren zu können, ehe sie energisch den Kopf schüttelte, als wollte sie einen unerwünschten, verwirrenden Gedanken verscheuchen. Schließlich zog sie Anne am Handgelenk in die Stube.
»Nun gut. Komm herein, schnell. Ich bin Dame Jehanne. Wir haben dich schon vor einer Stunde erwartet. Es hat ziemlich lange gedauert, bis du von Blessing House herübergekommen bist. Zum Trödeln ist jetzt keine Zeit. Wo sollen wir dich nur hinstecken?«
In der Stube wimmelte es von Frauen, die sich ankleideten. Es roch streng nach Schweiß und nach verbrannten Haaren von den Brennscheren, denn das einzige, kleine Fenster war fest verschlossen. Zwischen den Kleidertruhen war kaum genug Platz für die fünf Strohlager der Mädchen, und nun sollte auch noch Anne hinzukommen.
»Hierhin«, befahl Dame Jehanne dem Soldaten, der Annes kleine Reisetruhe trug. Verlegen angesichts des Zimmers voller Frauen folgte ihr der hoch aufgeschossene Knabe.
»Flegel!«, fuhr ihn eines der Mädchen an und verzog wütend das Gesicht. Der Knabe war versehentlich auf ihren Kleidersaum getreten. Das Mädchen reichte ihm kaum bis zur Brust, doch ihre Augen glänzten beinahe schwarz im Halbdunkel des Zimmers und funkelten ihn böse an.
»Verzeihung.« Der Soldat setzte die Truhe ab und verzog sich, so schnell er konnte, doch zuvor steckte Anne ihm unerwartet noch eine Silbermünze für seine Dienste zu. Er errötete, lächelte sie an und war verschwunden.
»Also, Mädchen. Mädchen! Herhören!« Das Geplapper der Mädchen verstummte, als hätte eine Peitsche geknallt. »Das ist Anne, sie gehört jetzt zu uns und wird ebenfalls der Königin aufwarten. Sie wird hier in der Stube schlafen.« Allgemeines Stöhnen ertönte. »Nun, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Wir müssen eben Platz schaffen.«
»Aber wie?«, fragte jemand halb laut.
»Indem hier endlich aufgeräumt wird!« Dame Jehanne musterte das dunkeläugige Mädchen scharf. »Vor allem du, Jane. Deine Sachen liegen überall herum. Ich erwarte von euch, dass ihr Anne freundlich aufnehmt. Sie wird uns bei unserer Arbeit entlasten. Und nun kleidet euch fertig an. Bis zum Essen ist nicht mehr viel Zeit. Wenn ich wiederkomme, seid ihr alle anständig gekleidet und vorzeigbar - und das Zimmer ist aufgeräumt!« Dame Jehanne nickte ihrem neuen Schützling kurz zu und eilte geschäftig hinaus. Verloren stand Anne einen Augenblick da, ehe sich eines der Mädchen ihrer annahm. »Du heißt also Anne?« Sie nickte schüchtern. »Nun, Anne, so kannst du nicht auftreten.« Das Mädchen deutete auf das tintenschwarze Kleid, dass Anne nach Piers' Ermordung von Lady Margaret bekommen hatte. »Die Königin erwartet, dass wir in unseren offiziellen Kleidern erscheinen, es sei denn, es ist für irgendeine wichtige Persönlichkeit Trauer angeordnet worden. Wir werden dir etwas leihen müssen.«
»Das ist wirklich sehr freundlich.«
»Ich heiße Evelyn«, sagte das Mädchen und bahnte sich einen Weg zur gegenüberliegenden Wand, wo mehrere dunkelrote Kleider aufgehängt waren. »Und das sind Lily und Dorcas.« Ein Mädchen mit modisch ausgezupfter Stirn nickte ihr zu, und ihre Freundin, der sie beim Ankleiden half, tat es ihr nach. »Und das ist...«
»Jane.« Es klang fast wie eine Drohung. Die junge Frau mit den dunklen Augen, die den Knaben angeherrscht hatte, sorgte dafür, dass Anne sich ihren Namen gut einprägte.
»Genau, Jane. Gerade wollte ich dich vorstellen.«
Jane schnitt Evelyn eine Grimasse und kehrte ihr barsch den Rücken zu. Sie zerrieb einige Geranienblüten zwischen ihren Fingern und färbte sich damit die Lippen rot, dann betrachtete sie sich kritisch in einem kleinen, auf Hochglanz polierten Silbertablett.
Evelyn achtete nicht weiter auf Jane, sondern suchte nach einem passenden Kleid für Anne. »Wie wäre es mit dem hier? In der Länge scheint es zu passen.« Das war richtig, aber in der Weite war es eindeutig für eine wesentlich kräftigere Frau gedacht.
»Es gehört Rose. Das wird ihr nicht gefallen«, meinte Dorcas mit einem belustigten Kichern.
»Naja, aber wenigstens ist es sauber«, gab Evelyn fröhlich zurück. »Beeil dich, Anne, die alte Hexe kommt gleich zurück, und wenn wir nicht fertig sind, ist der Teufel los.«
Bereitwillig half sie Anne aus dem hochgeschnittenen, schwarzen Kleid und streifte ihr das rote Kleid mit dem eingestickten Wappen der Königin über. Es war viel zu weit für Anne, aber Evelyn schnürte es unter Annes Brüsten mit einem breiten, schwarzen Gürtel zusammen, so dass der feine Wollstoff in gefällige Falten fiel. Dann nahm Evelyn Anne die schlichte Haube ab, bürstete ihr dickes, glänzendes Haar aus und kämmte es straff zurück.
»Und die Kopfbedeckung?« Evelyn stöberte ungerührt in den Habseligkeiten der anderen. »Ah, das wird dir stehen.« Sie hatte einen niedrigen Hennin aus verstärktem, rubinrotem Samt sowie einen zarten Schleier gefunden, der daran befestigt wurde - beides aus Roses Truhe.
Dorcas riss beide Stücke an sich. »Hier. So etwas kannst du ohnehin nicht.« Sorgfältig setzte sie Anne den kegelförmigen Hut auf und arrangierte den Schleier so, dass er über ihre Schultern fast bis zum Boden fiel.
»Sie sieht viel zu vornehm aus für eine Zofe. Sie muss Acht geben, dass die Königin nicht eifersüchtig wird.« Jane musterte Anne kritisch.
»Achte nicht auf sie.« Evelyn streichelte freundlich den Arm ihrer neuen Freundin. »Aber sie hat Recht, du siehst wirklich hübsch aus.«
»Tatsächlich?« Evelyns freundliche Worte und ihre bewundernden Blicke überraschten Anne.
Dame Jehanne betrat eilig den Raum. »Los, ihr Mädchen. Rose ist gerade fertig mit der Königin und wird unten in der großen Halle zu uns stoßen. Beeilt euch.« Sie klatschte laut in die Hände.
Gehorsam stellten sich die Mädchen paarweise auf, nur Anne, die nicht recht wusste, was von ihr erwartet wurde, stand unsicher daneben.
»Komm, Kind, du gehst mit mir.« Jehanne winkte Anne an ihre Seite. »Denkt daran, kein unziemliches Gaffen zu den Männern und keine losen Worte. Ist das klar, Jane?«
Jane verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts. »Jane, ich rede mit dir. Was hast du mir zu sagen?« Die Autorität in Jehannes Stimme war nicht zu überhören.
Jane deutete einen Knicks an. »Sehr wohl, Mistress. Es tut mir Leid, dass Ihr so von mir denkt.«
Jehanne stieß ein leises Schnauben aus, schien aber mit Janes Antwort zufrieden zu sein. »Nun gut. Und jetzt sputet euch, Mädchen.« Sie führte ihre kleine Schar aus der Stube und schloss sich dem endlosen Strom von Höflingen und Dienstboten an, die auf den großen Saal zustrebten, wo gegen Mittag das Essen serviert wurde.
Die Mädchen waren die eigentlichen Leibdienerinnen der Königin, im Unterschied zu den Hofdamen, die der Königin ebenfalls aufwarteten, deren Hauptaufgabe aber darin bestand, ihr Gesellschaft zu leisten und sie zu unterhalten. Jehanne führte ihre Mädchenschar an ihren Platz unterhalb der hochgeborenen Dienerinnen der Königin, jedoch deutlich abgesetzt von den niederen Palastangestellten, die keinen Zutritt zu den privaten Gemächern des Königs und der Königin hatten. Die zahlreichen Soldaten und auch einige der Edelleute warfen den Mädchen anerkennende Blicke und Bemerkungen zu, als sie in den Saal einzogen.
Anne war zutiefst eingeschüchtert. In Blessing House hatte sie häufig Mitglieder des Hofes zu Gesicht bekommen, und große Menschenansammlungen jagten ihr auch keine Angst mehr ein, aber dieser Lärm und diese Massen waren beängstigend. Sie waren wie ein riesiger, summender Bienenschwarm, jederzeit bereit, sich auf das Futter zu stürzen und wieder auszuschwärmen. Wohin sie auch blickte, überall wogten bunte Farben. Die Gewänder der Höflinge waren prachtvoll, die der Männer oft farbenprächtiger als die der Frauen. Üppige Gobelins schmückten die Wände und lockten den Betrachter an. Die glänzenden Tafeln aus Gold und Silber, die hinter dem Baldachin des Königspaares aufgestellt waren, waren das Wertvollste, was sie je gesehen hatte. Und an Edwards Platz stand sogar ein goldenes Salzfasschen in Form einer von Riesen belagerten Burg. Auch die Musik durfte nicht fehlen: Auf einer Empore sang ein Knabenchor, begleitet von einem kleinen Orchester aus Gamben, Posaunen und Tamburins. Sie sangen eine liebliche, französische Weise über den Grünen Ritter und sein verlorenes Liebchen.
Anne wäre am liebsten stehen geblieben, um ihnen zu lauschen. Die süßen, wehmütigen Worte jagten ihr einen Schauder über den Rücken, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ein heftiges Zupfen am Ärmel holte sie in die Gegenwart zurück. Jehanne gab ihr lautlos ein Zeichen, und Anne folgte ihr eilig. Die Mädchen hatten sich neben einer langen Bank aufgestellt, auf der sie während des Essens sitzen würden. Anne nahm eilig Platz, worauf Jane hämisch lachte, aber sofort wieder verstummte, als sie Jehannes Blick auffing.
»Nicht, Anne. Wir warten auf den König.« Anne wurde puterrot und stand schnell wieder auf. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick ertönte das blecherne Schmettern der vier Trompeter, die in ihrer königlichen Uniform mit den Abzeichen von Anjou und Frankreich, dem Leoparden und der Lilie, in die Halle einmarschierten.
Sämtliche Geräusche verstummten; der ganze Hof erwartete des Eintreffen von Edward und Elizabeth. Auf ein weiteres Schmettern der Fanfaren hin sah Anne zum Podest hinauf. Der Anblick, der sich ihr dort bot, drohte sie innerlich zu verbrennen. Alles, was Deborah ihr geraten hatte, löste sich in nichts auf - sie sah nur noch Edward. Sie zwang sich, den Blick zu senken, kämpfte gegen ihr fiebriges Verlangen an und sank mit den anderen auf die Knie.
Edwards nachtblaues Samtwams klaffte vorn ein wenig auseinander und gab den Blick auf das weiße, golddurchwirkte
Futter frei. Auf seinen Schultern lag die aus verschlungenen Gliedern gefügte goldene Ordenskette, an der eine übergroße, unförmige Perle hing, die eigentümlicherweise einem weiblichen Oberkörper glich. Seine langen, muskulösen Beine steckten in pflaumenblauen Kniehosen, und unter seinem linken Knie prangte das Band des von Edward III. gegründeten Hosenbandordens. Auf seinem Kopf ruhte eine leichte, mit Topasen und Rubinen besetzte Krone.
Elizabeth Wydevilles Erscheinung übertraf noch die ihres Mannes. Obwohl sie von Natur aus eine hohe Stirn besaß, war ihr blonder Haaransatz zusätzlich gezupft worden, so dass sich ihre perlweiß schimmernde Stirn besonders hoch wölbte. Ihre zierliche Krone ruhte auf einem mit schwerem, rotem Samt unterlegten, silbergewirkten Haarnetz, das von Diamanten und Amethysten übersät war und ihr Haar vollständig bedeckte. Das Oberteil ihres silberdurchwirkten Gewands enthüllte ein gewagtes Dekollete, das durch einen Amethysten von der Größe eines Wachteleis mit ihrem hoch sitzenden Gürtel verbunden war und das makellose Weiß von Brüsten, Schultern und Hals vorteilhaft hervorhob. Das purpurrote, samtene Unterkleid ihres Gewands lief in einer langen Schleppe aus, die, als sie mit Edward durch die kniende Menge zur Ehrentafel schritt, von sechs Grafentöchtern getragen wurde.
Sie sieht aus wie die Himmelskönigin, dachte Anne tief beschämt. Und sie ist seine Frau.
»Ist sie nicht wunderschön?«, flüsterte Evelyn neben ihr. Anne nickte stumm.
»Nur schade, dass sie so bissig ist«, feixte Jane. »Sie wird ihn niemals halten können, er mag wärmeres Blut...«
Anne drehte sich erstaunt zu ihrer Gefahrtin um. Janes Bemerkung erschien ihr, als hätte sie ein Abbild der Mutter Gottes bespuckt.
Evelyn lächelte über Annes erstaunte Miene und tätschelte ihre Hand. »Hör einfach nicht hin. Sie glaubt, der König hätte ein Auge auf sie geworfen. Pure Verblendung!«
»Aber wie ...« Anne nahm allen Mut zusammen und wollte Evelyn fragen, wie Jane zu dieser Annahme kam, als sie von einem kräftigen Schlag auf die Schulter und einem wütenden Schnauben unterbrochen wurde.
»Das gehört mir! Und das auch!«
Jemand zog an ihrer Samthaube, und Anne hob instinktiv die Hand, um sie festzuhalten. Schon hatten sich einige Nadeln, mit denen die Haube an ihrem Haar festgesteckt war, gelöst.
»Dame Jehanne, sie trägt mein Kleid und meine Haube!« Es war Rose, die zu spät kam und noch unfreundlicher war als bei ihrer ersten Begegnung.
»Rose, du kommst zu spät! Hör sofort auf! Anne musste irgendetwas anziehen, und dein Kleid war als Einziges übrig. Und jetzt spute dich. Aber schnell!«, zischte Jehanne verärgert. »Euch Mädchen unter Kontrolle zu halten ist manchmal schlimmer als die Löwen des Königs im Tower zu bändigen.«
»Aber Madam«, widersprach Rose zornig. Sie war den Tränen nahe.
»Genug, Rose! Anne ist ein neues Mädchen und wird in den nächsten Tagen eingekleidet werden. Bis dahin wirst du die Güte besitzen, deine Sachen mit ihr zu teilen. Und jetzt Schluss. Knie nieder!«
Der messerscharfe Blick und der barsche Tonfall brachten die Aufsässige schließlich zum Schweigen. Sie schob sich neben Jane, die lautlos lachte, was Rose nur noch wütender machte. Sie warf Anne einen giftigen Blick zu, doch im selben Augenblick gab der Großkämmerer William Hastings ein Zeichen, worauf die Hofgesellschaft Platz nehmen durfte.
Augenblicklich schwärmten Diener durch den Saal und servierten den ersten Gang. Obwohl der Gesang der Chorknaben den Saal wie mit Weihrauchdüften durchzog, kam keine Unterhaltung auf. Anne hatte nicht gewusst, dass die Mahlzeiten bei Hof gewöhnlich schweigend eingenommen wurden.
Evelyn ahnte ihre Verwirrung. »Ha, das ist noch gar nichts. Manchmal, wenn die Königin ohne den König speist, müssen wir während des Essens alle knien und dürfen kein Wort sagen, nicht einmal die Herzoginnen und die Schwester des Königs, Lady Margaret. Heute dürfen wir wenigstens sitzen. Du wirst sehen, der König hält das nicht lange durch. Er mag es, wenn es lustig zugeht«, flüsterte sie.
Evelyn schien Recht zu behalten, denn kurz darauf sagte der König leise etwas zur Königin. Als diese mit einem Lächeln antwortete, wandte sich Lord Hastings, der zur Rechten des Königs saß, an Herzogin Jacquetta, die Königinmutter, und bald darauf wurden überall Gespräche aufgenommen. Das Festessen zog sich in die Länge. Schon zwei Stunden lang folgte ein Gang dem anderen, und Anne bemühte sich nach Kräften, nicht zum König hinzusehen, sondern die höfischen Sitten zu beobachten und dem Geschnatter der Mädchen zu lauschen.
»Dorcas, du bist an der Reihe mit der Leibwäsche der Königin. Das weißt du genau!«
»Beim Blut Gottes, das stimmt nicht. Ich bin die Seidenwäscherin Ihrer Majestät und kümmere mich nur um die Seide. Leibwäsche rühre ich nicht an!«
»Du wäscht, was ich dir sage, junge Frau. Seit wann bist du so eingebildet, dass die Leibwäsche der Königin nicht gut genug für dich ist?«
Jehanne maß Dorcas mit einem strengen Blick, worauf das Mädchen niedergeschlagen murmelte: »Das ist ungerecht.«
Evelyn zuckte die Achseln und schnitt eine dicke Scheibe von der Austernpastete ab. »Hier, Anne. Probier mal. Das ist köstlich. Du musst bei Kräften bleiben, denn wir müssen hart arbeiten, das kannst du mir glauben. Wir sind eben keine Hofdamen.«
»Anne, die Königin und ich erwarten von dir, dass du fleißig und gewissenhaft arbeitest. Der Königin zu dienen ist eine heilige Pflicht. Ich werde dich genau im Auge behalten«, ergänzte Dame Jehanne.
Die Worte klangen keineswegs unfreundlich, trotzdem war Anne beunruhigt. Lange Arbeitszeiten und vielfaltige Aufgaben fürchtete sie nicht, hatte sie doch eine gute Ausbildung genossen, aber sie hatte Angst, aus Unwissenheit das Falsche zu tun.
»Gewöhnt sie sich ein, Mistress?« Die ruhige Stimme von Doktor Moss riss Anne aus ihren Gedanken.
Das offene Lächeln des Mädchens erfüllte ihn einen Augenblick lang mit Scham. Er wusste, dass sie ihn nur deshalb so glücklich ansah, weil sie dankbar war, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Aber, dachte er bei sich, würde sie jemals ihn oder einen anderen Mann mit aufrichtiger Liebe anblicken, nun, dann läge ihr die ganze Welt, oder zumindest sein Herr, zu Füßen.
»Sie wird sich gewiss bald eingefunden haben, Doktor Moss.« In Jehannes Stimme lag ein Anflug von Schärfe. Sie mochte den Doktor nicht, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Für sie war er ein Mann, der zu schnell aufgestiegen und für seine Position zu gut gekleidet war, ein Mann von zweifelhaftem Charakter, trotz seiner würdevollen Art und seines freundlichen Blicks. Und sie war in seinen Augen eine alte Frau mit scharfen Gesichtszügen, die ihr drahtiges, graues Haar unter einer nonnenhaften Haube verbarg und viel zu viel über den Hof und seine Mitglieder wusste. Sie hatten beide ihren Einflussbereich, der Unterschied zwischen ihnen aber bestand darin, dass er noch mehr wollte. Viel mehr.
Bei Hof hieß es, Dame Jehanne sei die Vertraute von Henry VI. und seiner Frau, der Französin Margaret von An- jou, gewesen. Sie kannte die Geheimnisse zweier Könige und nun auch zweier Königinnen, denn nachdem Edward den Thron erobert hatte, war sie entgegen allen Brauchs bei Hof belassen worden, obwohl man viele Anhänger des Hauses Lancaster mitsamt ihrer Dienerschaft des Hofes verwiesen hatte. Doch nachdem Jehanne zunächst eine Zeit lang der Königsmutter Cicely, der Herzogin von York, gedient hatte, war sie der neuen Königin zugewiesen worden.
Bei genauerem Überlegen jedoch war dies vielleicht gar nicht so verwunderlich. Elizabeth war die Witwe eines undurchsichtigen Ritters der Lancasters und wollte wahrscheinlich jemanden aus der alten Garde, der sich bei Hof auskannte. Aber während Moss bei der Königin im Augenblick hoch angesehen war, insbesondere weil sie ihm ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter, der Prinzessin Elizabeth, verdankte, war der Einfluss dieser alten Frau seiner Meinung nach immer noch unverhältnismäßig groß.
Vielleicht ist ihre Zeit bald vorbei, dachte er und rieb sich verstohlen die Hände. Und dieses Mädchen könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen, falls die Königin Gefallen an ihr fand - und natürlich auch der König. Er würde dafür sorgen, dass er als ihr Förderer anerkannt wurde, aber solche Dinge mussten mit Vorsicht und Diskretion angegangen werden. »Mistress Anne, ich bin gebeten worden, Euch mit der gütigen Erlaubnis von Lady Jehanne der Königin vorzustellen.«
Jehanne runzelte die Stirn. Um ihr zu schmeicheln, hatte er sie mit einem Titel angesprochen, doch sein Anliegen war höchst ungewöhnlich. Natürlich hätte sie Anne der Königin nach dem Festmahl vorgestellt, wenn Elizabeth in ihren Gemächern für den Nachmittag eingekleidet wurde. Das Kind war keine Adlige, nicht irgendeines Edelmanns Tochter, die von einem einflussreichen Förderer bei Hof eingeführt werden musste. Seltsam, dass sie trotzdem der Königin in aller Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. »Und wer hat Euch darum gebeten, Doktor Moss?«
»Lord Hastings, Madam. Doch ich glaube, es ist der Wunsch der Königin.« Natürlich wusste die Königin von nichts. Es war der König, der dieses Treffen mithilfe von Moss veranlasst hatte. Moss war von Annes Erscheinung sehr angetan. Sie sah reizend aus in ihrem maulbeerfarbenen Kleid - eine Farbe, die bei den meisten Frauen eher heikel war...
»Nun gut, Anne, dann geh mit Doktor Moss. Und wenn du den Hofknicks machst, denke daran, dass du nur sprechen darfst, wenn sie dich anspricht. Halte die Augen gesenkt, außer sie befiehlt dir aufzuschauen.«
Mit einem dicken Kloß im Hals und weichen Knien stolperte Anne hinter Moss zur königlichen Tafel. Es war, als zöge sie der König, der unter einem reich bestickten Baldachin saß, geradezu magnetisch an. Näher und immer näher kam sie. Das Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie glaubte, jeder, an dem sie vorbeikam, müsse es hören. Und dann stand sie vor der Ehrentafel, hinter der die prächtig gekleideten Herren und Damen thronten. Gesenkten Hauptes, den Schleier vor das Gesicht gezogen, beugte sie die Knie und sank in das Binsenkraut.
Richard Wydeville, der Schwiegervater des Königs, langweilte sich und war verärgert. Er war mehrere Plätze vom König entfernt platziert worden, und seine Frau, die Herzogin Jacquetta, saß neben William Hastings, jenem Mann, der sich zunehmend gegen die Interessen seiner Familie zu stellen schien. Darüber hinaus hatte er unglücklicherweise, während er dumpf vor sich hin brütete, viel zu reichlich gegessen und getrunken und fühlte sich nun entsprechend unwohl. Sein eng anliegendes, elegantes Wams aus pelzbesetztem Brokat spannte um seine Körpermitte, die, wie er sich gestand, in letzter Zeit reichlich erschlafft war. Wenn er sein gutes Aussehen behalten wollte, würde er die Fastentage sorgfaltiger einhalten müssen. Doch Spannungen machten ihn stets hungrig; er brauchte mehr Abwechslung, dann würde er schon aufhören zu schlemmen.
In diesem Moment geschah etwas Merkwürdiges. Seiner Tochter, der Königin, wurde ein Dienstmädchen vorgestellt. Diese ungewöhnliche Verletzung des Protokolls machte ihn stutzig, doch da bemerkte er den Ausdruck auf Edwards Gesicht. Dieser schien sich sehr - zu sehr - für das Mädchen zu interessieren, auch wenn er es zu verbergen suchte.
Richard Wydeville hatte ein ausgeprägtes Gespür dafür, woher der Wind bei Hofe blies, denn die Zukunft seiner weit verzweigten, kostspieligen Familie hing davon ab, dass die Königin weiterhin in der Gunst des Königs stand. Richard musterte das Mädchen vor ihnen kalt. Mit seinem nonnen- haft gebeugten Haupt machte es einen unschuldigen Eindruck, aber das sagte nichts aus. So etwas brachten auch die gewieftesten Dirnen zustande. Auf ein Zeichen der Königin hob das Mädchen den Kopf und stand auf. Wydeville schnalzte mit der Zunge. Ein reizvolles Mädchen, sehr reizvoll. Er würde Lizzy - er korrigierte sich - der Königin einen Wink geben müssen.
Seine Tochter jedoch nahm die Gestalt vor ihr kaum wahr, wunderte sich jedoch, dass Moss gebeten hatte, ihr das Mädchen vorstellen zu dürfen. Wichtig war nur, dass Anne sich auf Heilmittel und Cremes verstand, die den wenigen, sehr wenigen Linien, die sich auf ihrem Gesicht zeigten, Einhalt gebieten konnten. Heute Morgen erst hatte sie im unbarmherzigen Licht der aufgehenden Sonne einige davon entdeckt, als ihre Dienerinnen ihr beim Baden den großen Spiegel - eine mit kostbarem Muranoglas überzogene Silberplatte - vorgehalten hatten, damit sie Gesicht und Dekollete untersuchen konnte.
Kaltes Entsetzen hatte sie ergriffen. Sie hatte drei Kinder zur Welt gebracht - ihr Glück konnte nicht ewig währen. Sie würde hart an sich arbeiten müssen, wenn sie ihren Körper so in Form halten wollte, dass der König weiter das Lager mit ihr teilen wollte. Natürlich war ihr zu Ohren gekommen, er hätte im letzten Teil ihrer Schwangerschaft andere Frauen gehabt, aber vielleicht war das nur dummes Gerede. Das jedenfalls behaupteten ihre Hofdamen. Außerdem wusste sie, dass er sie immer noch leidenschaftlich begehrte. Wenn er sie berührte, lief nach wie vor ein Zittern durch ihren Körper, und das gefiel ihm außerordentlich. Elizabeth musterte das Mädchen abschätzig, das mit niedergeschlagenen Augen darauf wartete, angesprochen zu werden. »Tritt näher, Anne. So, Doktor Moss, das also ist Eure Konkurrentin.«
Der Arzt lachte herzlich, doch Wydeville beobachtete mit kühler Distanz, wie ein wachsamer Ausdruck über das Gesicht der Mannes huschte. »Euer Gnaden, aus diesem Grunde habe ich sie Euch empfohlen. Anne hat nie eine richtige Ausbildung erhalten, einer Frau wird so etwas natürlich auch nie möglich sein, dennoch betrachte ich sie als eine Art Kollegin. Sie besitzt, wie Ihr sicher wisst, außerordentliche Kenntnisse über Kräuter und Heilmittel. Sie wird Euch gute Dienste leisten.«
Während sich die Aufmerksamkeit der Königin auf das Gespräch mit dem Arzt richtete, ließ der König seine Augen über den Körper des Mädchens wandern. Es erheiterte ihn, dass es vor Verlegenheit bis zu den Haarwurzeln errötet war.
Obwohl sie der Königin zugewandt war, wusste er, dass Anne seine Blicke spürte, denn sie hatte unwillkürlich für den Bruchteil einer Sekunde zu ihm aufgesehen, und er hatte gelächelt. Ganz leicht nur. Fast hätte sie das Lächeln erwidert, aber dann hatte sie sich wieder gefangen und starrte nun schrecklich verwirrt und ernst auf ihre Füße, während die Königin weiter mit dem Doktor plauderte. Der König, der das kleine Spiel genoss, lachte laut auf. Reflexartig stimmte die Königin in das Lachen ein, worauf die ganze königliche Tafel lachte, denn alle wollten dem König gefällig sein. Dann wurde der König ungeduldig, denn er hatte sich noch um andere Dinge zu kümmern. Er musste in den königlichen Marstall, um einen seiner geliebten Geierfalken zu inspizieren, der dahinsiechte, und danach galt es einen Abgesandten aus Burgund empfangen. Das Mädchen konnte warten. Nun, da sie im Palast wohnte, hatte er keine Eile.
»Meine Liebe, vielleicht...«, begann er, worauf die Königin Anne und Moss mit einer kurzen Geste entließ. Bedächtig entfernte sich der Arzt unter zahlreichen Verbeugungen, und Anne gab sich alle Mühe, ihm zu folgen. Sie hatte schreckliche Angst, sich in ihrem Kleid zu verheddern und wie eine Närrin zu stürzen. Doch es gelang ihr, auf den Füßen zu bleiben, und bald fühlte sie sich auch nicht mehr so bloßgestellt wie vor der königlichen Tafel, denn auf einen weiteren Tusch der Fanfaren verstummte der Chor, und das Königspaar verließ den Saal. Das Mahl war beendet.
Rasch kehrte Anne zu ihren Kameradinnen zurück und ging mit ihnen zu den dem Fluss zugewandten Gemächern der Königin hinauf, während die Diener die Reste des Essens abräumten, die vor den Toren des Palasts an die Armen verteilt werden würden.
Jehanne eilte in das Ankleidezimmer der Königin und gab den Mädchen Anweisungen. »Dorcas, bring mir ein frisches
Hemd. Jane, beeil dich und bring das rotbraune Samtkleid und auch das grüne. Die Handschuhe, wo sind sie bloß ... Evelyn! Steh nicht da herum - Wasser, hol das Wasser. Und Rose, du hilfst ihr dabei, jede nimmt zwei Krüge, aber heiß muss es sein. Anne, du bist still und lernst.«
Kaum hatte sie geendet, rauschte die Königin ins Zimmer, umringt von einer Schar vornehm gekleideter Damen, die sich munter auf Französisch unterhielten. Unter ihnen befanden sich auch die Königinmutter und zwei ihrer jüngeren Schwestern. Jehanne knickste mit der Unbefangenheit einer routinierten Dienerin, dann trat sie, begleitet von Jane, vor die Königin. Jane brachte ein Samtgewand mit langer Schleppe in der Farbe von Eichenlaub herbei und breitete es gefallig auf einer großen Ruhebank aus.
»Was ist das?« Die Königin funkelte Jehanne böse an. »Ich sagte, ich möchte heute das grüne Samtkleid tragen.«
»Sehr wohl, Eure Majestät. Jane!« Das Mädchen eilte wieder nach vorn. Diesmal hielt sie ein Gewand aus tiefgrünem Samt im Arm, dessen Unterkleid mit roten und cremeweißen Damaststreifen abgesetzt war.
Die Königin musterte das Kleid, ehe sie langsam auf Jane zuging. Alle im Raum verstummten. »Jehanne, komm her. Sieh dir das an.« Die alte Frau besah sich sorgfältig die Stelle, auf die die Königin mit dem Finger zeigte. »Wer ist dafür verantwortlich?« Am Saum des Unterkleides war ein Lehmspritzer von der Größe einer kleinen Silbermünze zu sehen. Die Stimme der Königin war unheilvoll leise.
»Ich, Euer Gnaden«, antwortete Jehanne ruhig. »Ich werde sofort danach sehen lassen.«
Einmal und noch einmal schlug die Königin Jehanne mit der flachen Hand ins Gesicht, wobei ihre beringten Finger lange, blutige Kratzer hinterließen. »Zu spät«, bemerkte Elizabeth Wydeville beiläufig.
Anne war vor Schreck wie gelähmt, ebenso wie die anderen Frauen im Raum. Abgesehen vom Geräusch scharf eingezogenen Atems war es totenstill.
»Dann werde ich eben das Rotbraune tragen, aber so etwas wird nicht mehr vorkommen.«
Die alte Frau schüttelte den Kopf und begann mit ruhiger Hand, das silberne Gewand der Königin am Rücken aufzuschnüren. »Wollt Ihr Euch waschen, Majestät?«, fragte sie mit einer Stimme, fest wie ein Fels.
»Nein.«
Still gingen Rose und Evelyn mit ihren Krügen rückwärts zur Tür hinaus, sorgsam darauf bedacht, kein Wasser zu verschütten. Die Hofdamen scharten sich um die Königin und betonten, wie vorteilhaft das rotbraune Kleid ihre weiße Haut hervorhebe. Mit unerschütterlicher Miene entfernte Jehanne die silberne Netzhaube und die Krone und machte sich daran, das Haar der Königin auszubürsten. Anne stockte beinahe der Atem, als sie sah, wie lang es war. Die fein gewellte, goldene Pracht fiel fast bis zu ihren Füßen.
»Mädchen, komm her.« Die Königin hatte Anne angesprochen. »Bist du blind oder taub?« In der Stimme der Königin schwang ein gefährlicher Unterton mit. Hastig packte Jehanne Annes Arm und zog sie vor die Königin, wo das Mädchen glücklicherweise reflexartig in einen tiefen Knicks sank. »Hier, sieh dir das an ...«
Ängstlich sah Anne auf. Elizabeth hatte eine Strähne ihres Haares ergriffen und hielt sie ins Licht. »Schau, hier - und hier. Es dunkelt nach. Bald wird es die Farbe von Flachs haben.« Sie hatte Recht. Bei näherem Hinsehen sah man, dass die feinen Strähnen nicht ganz gleichmäßig golden waren - vor allem am Haaransatz, wo sich eine deutlich dunklere Farbe zeigte.
»Nun, Tochter, du hast drei Kinder geboren. Es ist allgemein bekannt, dass blondes Haar nach Geburten dunkler wird ...«
Elizabeth brachte ihre Mutter mit einem eisigen Blick zum Schweigen. Herzogin Jacquetta klappte den Mund hörbar zu. Die Königin wandte sich wieder Anne zu. »Nun? Was meinst du?«
Anne wagte zu sprechen. »Ich könnte eine Spülung zubereiten, die das Nachdunkeln aufhält, Euer Majestät.« Anne blickte auf und brachte vor Angst kein Wort mehr heraus. Die Königin musterte sie kalt.
»Nun gut. Ich werde den König auf die Falkenjagd begleiten, sobald er mit dem Gesandten aus Burgund fertig ist. Wenn ich wiederkomme, wirst du mir die Spülung machen, und dann werden wir weitersehen. Jehanne!«
Sogleich brach hektische Betriebsamkeit aus. Die Königin wurde in das rotbraune Samtgewand gekleidet, das anstößige Haar unter einem mit Silberdraht verstärkten Turban aus goldener Seide von der Größe eines kleinen Kürbisses versteckt, der mit langen, grünen Bändern am Kopf und unter dem Kinn befestigt wurde. Als die sechs Kammerjungfern Jehanne beim Einschnüren und Einkleiden zur Hand gingen, staunte Anne über den festen, schlanken Körper der Königin. Sie besaß zierliche Brüste und Arme, und ihr Bauch war sanft gewölbt wie eine umgedrehte Schale. Gott hatte der Königin wahrhaft viele natürliche Reize geschenkt. Als die plappernde Schar der Hofdamen mit der Königin das Ankleidezimmer verließ und die Kammerjungfern aufzuräumen begannen, berührte Jehanne vorsichtig ihre Wange. Die Ringe der Königin hatten sich beinahe bis zu den Wangenknochen eingeschnitten.
»Kommt, zum Plaudern ist jetzt keine Zeit. Anne, such die Wäsche zusammen und sieh in der großen Truhe nach, ob es etwas zu flicken gibt. Jane, sorgt dafür, dass kein Krümchen Lehm auf dem grünen Kleid mehr ist. Bürste es gründlich aus.« Sie warf Jane einen strengen Blick zu, worauf diese genug Anstand besaß zu erröten. Der Ausbruch der Königin war ihrer Unaufmerksamkeit zu verdanken. »Rose, Dorcas, Lily, ihr wischt überall Staub. Und diese Kacheln dort müssen frisch gewachst werden. Evelyn, du benachrichtigst die Wäscherinnen, dass wir ihre Dienste benötigen. Los, geh schon.«
Die Mädchen arbeiteten schweigend und zügig. Keines hatte den Mut, Jehanne seine Hilfe anzubieten, aber Anne spürte die unausgesprochenen Dinge, die in der Luft lagen. Unter Jehannes wachsamen Augen wurde alles wieder hergerichtet, und schließlich verkündete sie, die Arbeit sei beendet. Das Zimmer war auf Hochglanz poliert und duftete lieblich nach Wachs und den weißen Rosen und Levkojen aus dem Palastgarten, die Jehanne in einem silbernen Krug arrangiert hatte.
»Gut gemacht, Mädchen. Rose, hier sind die drei Seidenhemden, die geflickt werden müssen. Damit wirst du beschäftigt sein, bis wir die Königin zum Abendessen umziehen müssen. Die anderen können gehen, aber ich werde diesen Schweinestall, den ihr Schlafstube nennt, noch vor dem Nonnengeläut inspizieren.«
Schweigend gingen die Mädchen eins nach dem anderen zur Tür hinaus, und Anne wartete, dass sie angesprochen wurde. Nun endlich erlaubte sich Jehanne ein Seufzen, verzog das Gesicht und berührte erneut vorsichtig ihre Wange. »Was brauchst du für die Haarspülung der Königin, Anne?«
»Ich habe alles bis auf Zitronen, Dame Jehanne. Ich werde viele Zitronen brauchen, weil das Haar der Königin so lang und dick ist.«
»Gut, ich will sehen, was ich machen kann.« Die alte Dame schien keine Eile mehr zu haben, sondern zog mit Annes Hilfe sorgfaltig die Überdecke auf dem Bett der Königin zurecht. Sie schien Annes Abgang beinahe ein wenig hinauszögern zu wollen. »Nun ... erzähl mir ein bisschen von dir. Wie lange hast du Lady Margaret Cuttifer gedient?«
Anne erzählte von ihrer Zeit in Blessing House, und da sie jung und unerfahren war, erzählte sie Jehanne mehr, als sie wollte, obwohl sie sich alle Mühe gab, nichts Persönliches von ihrer ehemaligen Herrschaft preiszugeben.
»Du bist also im großen Wald im Westen aufgewachsen?« Die Frage kam unerwartet scharf, und Anne zuckte zusammen.
»Ja, ich war ...«
Doch die alte Dame beendete die Unterhaltung mit einer abrupten Handbewegung, als könnte sie es nicht ertragen, mehr zu hören. Anne wunderte sich. Wieso hatte sie Jehanne erzürnt? Noch einen Augenblick zuvor hatte sie so interessiert gewirkt. Vielleicht hatte sie Schmerzen. Die alte Frau hatte Anne den Rücken zugewandt. »Erlaubt, dass ich Euch helfe, Dame Jehanne. Ich könnte die Wunde an Eurer Wange säubern«, erbot sie sich schnell, ehe sie der Mut verließ.
Jehanne drehte sich würdevoll zu ihr um. »Das ist sehr freundlich, aber ich werde sie einfach mit etwas warmem Wein ausspülen. Das muss genügen.« Da Jehanne offensichtlich nichts an ihrem Mitgefühl oder ihrer Hilfe lag, sagte Anne nichts mehr, als die beiden hinausgingen und die Gemächer der Königin in ungewohnter Stille zurückließen.