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Kapitel 25

Die Königin fühlte sich wieder besser. Sie hatte die Stürme der vergangenen Nacht verschlafen und war nun entschlossen, die Aufmerksamkeit ihres Mannes wieder einzufordern. Edward war von so strotzender Vitalität, dass ihn körperliche Schwäche bei anderen mit Ungeduld erfüllte. Deshalb musste ihrem Erscheinungsbild an diesem strahlenden, frischen Wintermorgen besondere Sorgfalt gewidmet werden. Die Königin verlangte absolute Vollkommenheit, und keine ihrer Dienerinnen - ob von hohem oder niederem Stand - wurde von ihren Beschimpfungen verschont.

Für diesen Tag war eine ungewöhnliche Vergnügung geplant. Der König hatte angeordnet, statt der Hauptmahlzeit, die gewöhnlich im großen Saal eingenommen wurde, nach der Messe ein winterliches Picknick abzuhalten. Bei dieser Gelegenheit konnten sich die mutigsten Mitglieder des Hofes im Eislaufen versuchen, einem neuen Zeitvertreib, bei dem man mithilfe gespaltener Schienbeinknochen von Rindern, die an den Schuhen befestigt wurden, über eine Eisfläche schlitterte. Der König hatte dieses Vergnügen als Knabe in Brügge kennen gelernt.

Elizabeth verwarf ein Kleid nach dem anderen. Langsam wurde die Zeit knapp und die Stimmung immer angespannter. Sie wollte den neuen Spaß in einem möglichst schmeichelhaften Gewand erlernen. »Das rote Samtkleid mit der Biberstola, Euer Majestät? Das wäre etwas ganz Besonderes.«

»Du bist eine Närrin, Jehanne. Ich bin viel zu dick geworden.« Die Königin betrachtete sich ungehalten im Spiegel, worauf ihre Hofdamen sich beeilten, sie zu besänftigen.

»Dick? Aber nein, Majestät!«

»... eine Taille wie eine Wespe ...«

»... die Farbe steht Euch besonders gut...«

»Genug! Ich werde dieses Kleid nicht tragen. Der Stoff ist verschlissen. Sieh doch, hier - und hier.« Niemand außer der Königin konnte irgendeinen Makel auf dem glänzenden Stoff entdecken, doch keiner wagte, ihr zu widersprechen.

Anne war sehr schweigsam, während Jehanne und die anderen Frauen versuchten, die Königin zu beschwichtigen. In den wenigen Stunden, die ihr seit dem Treffen mit dem König geblieben waren, hatte sie nicht mehr geschlafen, und sie war noch vor Sonnenaufgang aufgestanden, um die Kleider der Königin rechtzeitig vor dem Ankleideritual auszubürsten. Im Bett hatte sie sich mit Bauchkrämpfen zusammengekrümmt und wieder und wieder die Szene im Zimmer des Königs vor ihrem inneren Auge abgespult. Sie glühte vor Fieber und zitterte vor Kälte, während sich ihr Magen vor Beklemmung beim Gedanken daran zusammenzog, was geschehen würde, wenn sie ihn wiedersähe. Sie schämte sich so sehr, dass sie fürchtete, ihm nie mehr unter die Augen treten zu können. Und sie hatte noch immer Angst um ihn, denn sie hatte ihm nicht sagen können, was sie in der Nacht zuvor in der Kapelle gehört und gesehen hatte. Noch immer lauerte die Gefahr, und er wusste von nichts. Das dachte sie wenigstens.

»Anne, hast du denn nichts vorzuschlagen?« Die Stimme der Königin klang frostig. Elizabeth war in letzter Zeit nicht besonders zufrieden mit Anne. Früher hatte das Mädchen ihr so fröhlich aufgewartet und ihr herrliche Cremes und andere Schönheitsmittel zubereitet, aber in den vergangenen Tagen war sie zunehmend schweigsamer und ausweichender geworden.

Die scharfen Worte der Königin rissen Anne aus ihren düsteren Gedanken, und sie bemerkte den erschrockenen Ausdruck auf Jehannes Gesicht. Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, machte sie einen tiefen Knicks, als sie eine wahrhaft göttliche Eingebung hatte. »Das weiße Brokatkleid mit dem Hermelinpelz, Euer Majestät. Und dazu das Smaragddiadem mit der Perle und ein silbernes Haarnetz. Ihr werdet aussehen wie eine Schneekönigin. Und dann reitet Ihr auf Eurem weißen Pferd mit dem silbernen Zaumzeug - der Araber, den der König Euch zum Namenstag geschenkt hat.«

Anne entwarf das Bild einer fast mystischen, märchenhaften Gestalt, dem die Königin gegen ihren Willen ihre Begeisterung zollen musste. Das Mädchen hatte Recht, denn das weiße Kleid hatte auch den Vorteil, dass sie es erst einmal, vor Monaten, getragen hatte. Daran würde sich niemand mehr erinnern, vor allem wenn sie es mit einem ihrer neuen Umhänge kombinierte - vielleicht mit dem aus weißem, venezianischem Samt.

Murrend stimmte Elizabeth zu, nahm sich aber vor, Annes seltsames Verhalten der jüngsten Zeit nicht zu vergessen. So etwas durfte nicht geduldet werden, doch nun war keine Zeit dafür. Sie würde mit dem König darüber sprechen, wenn sie einen Augenblick mit ihm allein war.

Schließlich waren die Königin und sämtliche Hofdamen und Dienerinnen zu einem Reiterzug versammelt, der von ausgewählten Herren begleitet wurde, darunter auch Doktor Moss. Sie ritten zu einer speziell für diesen Anlass errichteten Winterlaube im Wald, wo sie auf den König und seine Edelmänner treffen sollten. Alle waren wieder fröhlicher Dinge, auch Elizabeth.

Jehanne und Anne fuhren hinter der Gesellschaft auf einem der Ochsenkarren mit dem Proviant für das Picknick. Es war ein strahlend kalter Wintertag, der Himmel blau und wolkenlos. Allerdings sagte der Kutscher ihres Gefährts für den Abend Schneefall voraus. Er war ein alter Soldat, der von den vergangenen Schlachten des Hauses York schwer gezeichnet war. »Und wenn ich Recht hab, wird's noch viel schlimmer kommen. Zu Weihnachten werden wir eingeschneit sein, denkt an meine Worte ...«

»Aber bis dahin sind es noch zwei Tage, Mann. Woher willst du wissen, was der Herr uns zu seinem Geburtstag beschert?«, spottete Jehanne.

»Nun, meine Dame, ich denke an die Schlachten, die ich mit dem König gefochten habe, nachdem sein Vater, der gute Herzog von York, seine Seele ruhe in Frieden, in Wakefield einen so gemeinen Tod gefunden hat. Damals in Towton, als wir die Wölfin von Anjou verjagt haben, war es auch so bitterkalt. Am Tag davor sonnig und kalt wie heute und dann, drei mörderische Tage lang, ein Schneesturm. Der Schnee war rot gefärbt vom Blut, aber wir haben weitergekämpft.«

Anne zitterte und zog ihren Mantel fester um sich, während der Mann weiterschwafelte. Der rote Stoff breitete sich gleich einer Blutlache zu ihren Füßen aus, schlug und kräuselte sich wie eine Kriegsflagge. Plötzlich hörte sie Schreie, viele Stimmen, das Pfeifen und Zischen von Pfeilen und das Jaulen verwundeter Pferde. Ihre Kehle schnürte sich vor Angst zusammen, und am liebsten wäre sie vom Karren gesprungen und fortgelaufen ... Doch als sie sich umsah, war nichts zu sehen. Keine Schlacht, keine Plünderer, die sich aus den Bäumen auf sie stürzten. Nur fröhliche, unbesorgte Gesichter, die aufgeregt den kommenden Vergnügungen entgegensahen.

Anne fühlte sich benommen und schwindelig; die schrecklichen Bilder ließen sie nicht los. Ihr Herz verkrampfte sich vor Angst ... und der Gewissheit, dass Edward es war, der sich der Schlacht würde stellen müssen. Es gab keinen Ausweg, der Konflikt musste ausgetragen werden. Der König und das Königreich waren noch immer in Gefahr, das spürte sie mit all ihren Sinnen. Doch wenn sie ihm sagen wollte, was sie fühlte - auch wenn er ihr glaubte -, müsste sie ihn allein sprechen, was ihr nach der vergangenen Nacht unmöglich erschien. Verzweifelt betete sie. Ob Herr, lass die Reise ewig dauern. Mach, dass er nicht da ist. Mach, dass er mich nicht sieht ... Doch bereits wenige Augenblicke später fuhren sie um die letzte Biegung des Waldwegs und sahen einen kleinen Vergnügungspark mit Zelten und Lagerfeuern und dahinter einen See von beachtlicher Größe, auf dem sich über Nacht eine solide Eisdecke gebildet hatte.

Es war eine lebhafte, fröhliche Szene, als der Königin vom Pferd geholfen wurde und sich die bunt gekleideten, jungen Höflinge lachend und scherzend um sie scharten. Vom König keine Spur.

Jehanne eilte mit Anne ihrer Herrin zu Diensten. Nichts, weder eine Haarsträhne noch ein Schmutzfleck, durfte das strahlende Erscheinungsbild der Königin in ihrem glänzend weißen Kostüm verderben. Anne lächelte wehmütig. Das weiße Kleid war eine hervorragende Wahl. Inmitten der rotwangigen, bunt gekleideten Höflinge wirkte Elizabeth geradezu engelsgleich, beinahe wie nicht von dieser Welt - und das wusste sie. Das Wissen um ihre Schönheit verlieh ihrem Lächeln ein ganz besonderes Strahlen, als sie sich vor ihrem Zelt auf einem vergoldeten italienischen Klappstuhl niederließ, wo sie den König erwartete. Doch als Anne ihre siegesgewisse Herrin betrachtete, schauderte sie, denn mit einem Mal sah sie unter Elizabeths liebreizendem Gesicht den Totenschädel durchscheinen, genauso wie damals bei Piers. Das Bild verschwamm, und sie erblickte wieder die Königin, diesmal jedoch viel älter, als Nonne gekleidet. Ihre Schönheit war vergangen, und tiefe Hoffnungslosigkeit beugte ihre Gestalt. Anne wurde von Furcht und Elend erfasst. Warum sah sie solche Dinge? Verzweifelt wandte sie sich ab und fand sich plötzlich Doktor Moss gegenüber.

»Warum so traurig, junge Maid?«

Bei dem Wort »Maid« verzog sie unwillkürlich das Gesicht. »Nichts, Sir. Ich bin nur müde. An einem fremden Ort schläft es sich schlecht.«

Moss' Augen verengten sich. Also nahmen die Dinge ihren Lauf. Gut zu wissen. »Ja. Am Königshof lässt es sich kaum ruhen. Edward scheint keinen Schlaf zu brauchen.«

Seine Stimme klang beiläufig, doch Anne, hellhörig für jede Nuance im Tonfall, vernahm darin etwas, das ihren Widerspruchsgeist erregte. »Nicht jeder ist für so ein Leben geschaffen, Sir«, entgegnete sie trotzig.

Sie knickste und kehrte stolz und zufrieden mit ihrer Antwort zu der Hofgesellschaft zurück, auch wenn sie vor Verzweiflung am liebsten geweint hätte. Moss sah ihr gedankenvoll nach und spürte zu seiner Überraschung einen Hauch von Bekümmerung, den er sogleich ungeduldig verscheuchte. Sie war an den Hof gebracht worden, um der Königin zu dienen. Und dem König. Nun, beide sollten ihre Freude an ihr haben, dann war beiden gedient - und ihm ebenfalls.

Als er sich zum Gehen wandte, fiel ihm auf, mit welchen Blicken die Männer Anne verfolgten. Er sah, wie sie einander anstießen und das gierige Aufflackern von Begierde in ihren Gesichtern. Einen Augenblick lang ließ er sich von ihren Gefühlen anstecken, ehe ihn eine Woge der Verärgerung erfasste. Und Neid.

Doch als Mann, der sich auch in Situationen unter Kontrolle hatte, in denen andere Männer ihre Selbstbeherrschung verloren, wandte er entschlossen den Blick ab und verdrängte jegliches Gefühl. Den Körper einer Frau zu begehren war eine Sache, ihn sich zu nehmen eine ganz andere. Er konnte es sich nicht leisten, in Anne etwas anderes als ein nützliches Werkzeug zu sehen. Daran wollte er sich halten, bis er die Kraft fand, ihren Verlockungen zu widerstehen.

Etwas später schickte Jehanne Anne nach der Kosmetik-

Schatulle der Königin. Anne wühlte gerade in den unzähligen Habseligkeiten, die ihre Herrin bei jedem noch so kleinen Ausgang bei sich haben musste, als sich die behandschuhte Hand eines Mannes auf ihre Schulter legte. Sie wirbelte herum und blickte in die kühlen Augen von William Hastings.

»Ich bin beauftragt, dich zu einer gewissen Person zu bringen. Er möchte mit dir sprechen.«

Seine Worte versetzten ihr einen solchen Schrecken, dass ihre Knie nachzugeben drohten, doch ihre Vernunft verließ sie zum Glück nicht. »Sir, die Königin hat mich gebeten ...«

»Du bist in erster Linie dem König Untertan, Mädchen«, unterbrach Hastings sie und nahm ihr die kleine Holzschatulle aus der Hand und reichte sie einem Soldaten, der untätig neben ihm stand. »Für Dame Jehanne. Sie ist bei der Königin. Beeil dich«, befahl er, ehe er seinen Blick wieder auf Anne heftete. »Komm, Mädchen.«

Anne blieb nichts anderes übrig, als dem obersten Kammerherrn zu folgen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals.

Niemand außer Jehanne sah sie gehen, und auch das nur rein zufällig. Sie war damit beschäftigt, die silbernen Haarnetze der Königin zu richten, als sie den Kopf hob und sah, wie Hastings das Mädchen hinter sich auf sein Schlachtross hob und in leichtem Galopp in Richtung Schloss ritt. Gleich darauf waren sie hinter einer Biegung verschwunden. Bestürzt und verängstigt schloss sie einen Moment die Augen und flehte die heilige Jungfrau an, Anne zu beschützen. Die Königin scherzte unterdessen mit einem grauhaarigen Verehrer, einem Baron aus der Gegend von York, der Hochburg ihres Gemahls.

Anne klammerte sich an Hastings' schmale Taille und versuchte, ihrer Verlegenheit und Aufregung Herr zu werden. In Gedanken übte sie bereits, was sie dem König über Warwick und Herzog George erzählen wollte. Mithilfe dieses Fantasie-Gesprächs versuchte sie, jeden Gedanken an das, was sie Edward in Wahrheit sagen wollte, aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Aber der Ritt war zu schnell zu Ende. William war vom Hauptweg auf einen kleinen Pfad eingebogen und brachte nun sein Pferd am Rand einer Lichtung zum Stehen, wo eine Hütte aus Lehm und Flechtwerk stand. Vor der Hütte war ein Ross festgebunden, das sich am harten Wintergras gütlich tat. Hastings glitt von dem riesigen Pferd und streckte die Arme nach Anne aus. »Los, Mädchen. Spring.«

Plötzlich hatte sie Angst. Hastings lächelte. »Komm schon, nichts ist so schlimm, wie es aussieht.« Diese Worte entlockten ihr ein Lächeln. Sie nahm ihren Mut zusammen und ließ sich entschlossen in seine wartenden Arme fallen. Er spürte den kleinen, unerwartet üppigen Frauenkörper, während sie die festen Arme und die breite Brust eines Kriegers registrierte.

»Ich danke für Eure Hilfe, Sir«, erklärte sie würdevoll, und William Hastings erkannte nicht zum ersten Mal die ungewöhnlichen Tugenden dieses Mädchens.

»Nun, denn«, sagte er und deutete zur Hütte hinüber. Dann schwang er sich in den Sattel, wendete sein Pferd und ritt davon.

Das Geräusch der schlagenden Hufe auf dem gefrorenen Boden verklang. Unentschlossen stand Anne auf der Lichtung, dann holte sie tief Luft und ging auf die halb geöffnete Bohlentür des Häuschens zu. Instinktiv hob sie die Hand, um anzuklopfen, doch ihr Stolz ließ sie innehalten, und bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieß sie die verzogene Tür auf und trat unangemeldet ein.

Er stand an einem unruhig flackernden Feuer, das direkt auf dem Boden entfacht war und dessen Rauch durch ein Loch im Dach abzog. Er drehte sich um, lächelte ihr zärtlich zu und breitete die Arme aus. »Meine kleine Geliebte.«

Sie wollte zu ihm gehen, nichts lieber als das, doch mit Tränen in den Augen schüttelte sie den Kopf.

»Dann werde ich zu dir kommen.« Die Stimme des Königs war sanft, und er lachte leise. Obwohl er erst vierundzwanzig Jahre alt war, hatte er eine Menge Erfahrung mit Frauen. Er war gefährlich, weil er ihre Gefühle verstand und diese Waffe auch zu nutzen wusste.

Er stand unmittelbar vor ihr, und im Halbdunkel der kleinen Hütte wirkten seine Pupillen riesengroß.

»Das ist sehr illoyal von dir. Immerhin bin ich dein König.« Sein Ton war scherzhaft - doch er wollte ihr nichts anderes damit sagen, als dass es gefährlich war, mit einem König zu spielen.

»Nein, Sire. Ich bin loyal. Ihr seid verheiratet, und ich war eine gottlose Närrin. Und ich muss Euch noch etwas sagen ...«

Lachend schnitt er ihr das Wort ab. »Ach, diese Prinzipien. Und so ernst. Aber ... wenn ich jetzt meine Hand ausstrecke ...« - er streifte einen Handschuh ab und berührte sanft ihre Wange -, »wo bleibt dann diese Stärke?« Er zog sie mit einer abrupten Bewegung an sich und presste seinen Mund auf ihre Lippen. Sie ließ ihn gewähren, einen süßen Augenblick lang versank sie in strahlender Dunkelheit, dann riss sie sich los.

»Nein, Sire. Das ist nicht recht. Ich darf das nicht zulassen.«

Er hörte die unerträgliche Qual in ihrer Stimme, doch es war keine Bitte, sondern eine Feststellung. Ihre Worte machten ihn einerseits ungehalten - sie war weiß Gott nicht die Erste, die sich widersetzte doch er hörte auch etwas darin, das ihm neu war. Bestimmtheit, Zielstrebigkeit. Und sie hatte nicht die Arme um ihn gelegt.

Verblüfft lehnte er sich zurück, ohne sie loszulassen, und musterte sie. Und was er sah, erstaunte ihn, denn er erkannte einen Willen, der seine eigene Entschlusskraft widerspiegelte. Das Mädchen hatte nichts als ihren Körper zu bieten, und dennoch war es, als stünde er einem Gegner im Turnier gegenüber. Das machte die Angelegenheit für ihn noch interessanter. Er liebte eine Menge Dinge an Frauen, doch weder Mut noch Intelligenz gehörten zu den Eigenschaften, die er gewöhnlich bei ihnen suchte.

Er ließ sie los, wandte sich ab und wärmte seine bloße Hand an dem kleinen Feuer, um Zeit zu gewinnen. »Ich glaube, ich bin kein grausamer Mann. Ich würde dich niemals zwingen, aber ... ich möchte mit dir einen Handel abschließen.« Er drehte sich um und beobachtete sie liebevoll, als wären sie Gefährten in der Schlacht um die Liebe.

Sie wusste nicht, ob sie aus Erleichterung lachen oder aus Enttäuschung weinen sollte.

»Ich glaube, du liebst mich, Anne.« Sie schwieg, und das gefiel ihm - Strategie hatte ihn schon immer fasziniert. »Und ich glaube auch, dass du bald aus freien Stücken zu mir kommen und mir deinen Körper schenken wirst. Lass uns einen Zeitpunkt vereinbaren. Am ersten Tag des Turniers, dem Valentinstag?«

Anne zitterte bei dem Gedanken an das, was sie über Warwick wusste. Wenn zwischen den zwei Parteien am Hof ein offener Krieg ausbrach, würde das Turnier abgesagt werden.

»Aber wenn du nicht zu mir kommst und mir nicht gibst, was ich begehre - und ich verspreche dir, dass ich keinen Druck auf dich ausüben werde -, sollst du mich am Tag nach unserem vereinbarten Termin um etwas bitten dürfen, was innerhalb der Grenzen meines Königreichs liegt, und es soll dir gewährt werden. Was immer es auch sein mag.«

Er lächelte, und als Anne den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, war er mit einem Schritt bei ihr. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war so stark, dass sie erstarrte und sich jeder Gedanke, ihn vor dem zu warnen, was sie in der Zukunft gesehen hatte, verflüchtigte. Atemlos sahen sie einander an, näher und näher kam sein Mund, doch als sie die Hand hob, nur einen einzelnen Finger, um ihn aufzuhalten, packte er ihren Unterarm und küsste die Innenseite ihrer Hand - oh, süßer Schmerz.

Dann war er fort. Anne zitterte am ganzen Leib, als sie sein Angebot überdachte, und war von einem Gefühl der Dankbarkeit erfüllt. Eigentümlicherweise hatte er mit seinem Vorschlag ihre Neugier geweckt, und sie fühlte sich geschmeichelt. Sie hatte nie Gelegenheit gehabt, an den ausgiebigen Spielen des gegenseitigen Umwerbens bei Hof teilzunehmen, und nun hatte er sie gerade dazu eingeladen. Anne lachte, doch gleich darauf wallten wieder Angst und Entsetzen in ihr auf, und sie taumelte tränenblind in die gleißende Wintersonne hinaus, direkt in die Arme von Doktor Moss.

Unwillkürlich barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter und weinte. Er sagte nichts, hielt nur, teils widerstrebend, teils zärtlich, ihren kleinen, zitternden Körper in seinen Armen und wiegte sie hin und her.

»Ich bin gekommen, um dich zu holen. Dame Jehanne schickt nach dir«, sagte er schließlich.

Sie starrte ihn entsetzt an. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet, ihr Gesicht von Tränen verschmiert. »Nein. Der König wird dort sein ... und die Königin.«

»Trotzdem. Man wird dich sonst vermissen.«

»Aber Doktor Moss, Ihr versteht nicht. Es ist alles so schrecklich verwirrend.«

Moss konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich bin schon so lange bei Hof, Anne. Ich versichere dir, ich verstehe ...«

»Nein, Ihr versteht nicht.«

Sie sprach die Worte mit einer Vehemenz aus, die er von ihr nicht kannte und die ihn faszinierte. Mit solcher Kraft sprach eine Frau, kein Mädchen. »Du kannst mir alles erzählen. Ich bin dein Freund, Anne. Du kannst mir vertrauen.«

Anne seufzte tief. Was sollte sie tun? Wenn sie das, was sie wusste, aussprach, nähme dies einen Teil der Last von ihren Schultern. Ja, Doktor Moss war ihr Freund, daran hatte sie keinen Zweifel. Ihm hatte sie ihre Stellung bei Hof zu verdanken. Trotzdem ... dem König gehörte ihr Wissen, nicht einem Höfling.

»Sir, ich brauche Zeit zum Nachdenken, denn es handelt sich um eine heikle Angelegenheit, um beängstigende Dinge ... Dürfte ich vielleicht ein wenig später um Euren Rat bitten?«

Mit dieser Antwort musste Moss sich zufrieden geben, obwohl er darauf brannte, Näheres zu erfahren, denn bei Hof bedeutete Wissen Macht.

»Woher wusstet Ihr, dass Ihr mich hier findet?« Anne hatte sich wieder gefasst und ihre verwirrenden Gefühle fest in ihrem Herzen verschlossen. Sie musste sich wieder zeigen, dem Hof, der Königin ... und dem König. Und das konnte sie nur, wenn sie fest blieb.

»Dame Jehanne sah dich mit dem obersten Kammerherrn fortreiten. Sie bat mich, ihm nachzureiten, also bin ich in einigem Abstand gefolgt. Der König hat mich nicht gesehen.«

Jehanne machte aus ihrer Ablehnung gegenüber Doktor Moss kein Geheimnis. Warum hatte sie also ausgerechnet ihn um Hilfe gebeten?, fragte Anne sich verwundert.

Moss bemerkte Annes Verwirrung und schimpfte sich einen Narren. Auch wenn er sich eingestehen musste, dass er mehr als rein väterliche Zuneigung für das Mädchen empfand, hätte er sich niemals auf eine so riskante Unternehmung einlassen dürfen. Wenn der König ihn und Anne nun doch zusammen gesehen hatte? Das könnte die geduldige Arbeit von Monaten mit einem Schlag zunichte machen.

Moss deutete zum Rand der Lichtung, wo sein Pferd hinter einem dichten, entlaubten Weißdorngestrüpp festgebunden war. »Kommst du jetzt mit?«

Er klang nervös, und Anne wollte gerade zu einer weiteren Frage ansetzen, als aus der Richtung des Sees fröhlicher Lärm drang.

»Der König ist eingetroffen. Ich glaube, wir sollten jetzt gehen.«

Anne nickte. Moss hatte Recht. Wenn sie noch länger warteten, würde ihr Fehlen womöglich bemerkt werden.

Sie war dankbar, dass er ihr keine Fragen stellte, als sie zum Picknick zurückgaloppierten. Als sie um die Wegbiegung kamen, bot sich ihnen ein großartiges Bild: Der König schlitterte mit wehendem Samtmantel und flatternden, bunten Ärmeln anmutig über den gefrorenen See. Gerade als sie zu der Gesellschaft stießen, blieb er mit einer schwungvollen Bewegung stehen und verbeugte sich tief vor der Königin, die ihm stolz applaudierte.

Anne schlüpfte zwischen die Hofdamen, die die Königin umringten. Sie hatte eine Schale mit Zuckerwerk dabei, die Doktor Moss ihr gegeben hatte: in veilchenfarbenen Zuckerstreuseln gewälzte Marzipankugeln und kandierte Rosenblüten, Elizabeths Lieblingssüßigkeit. Jehanne nahm ihr die Schale ab und bot sie knicksend der Königin dar. »Hier, Euer Majestät, das Mädchen ist wieder da und hat, wie ich ihr befohlen habe, das frisch zubereitete Marzipankonfekt vom Schloss gebracht. Es ist meine Schuld, dass es heute früh vergessen wurde.«

Die Königin dankte mit einer knappen Geste und suchte abwesend eine Süßigkeit aus, ohne ihre Aufmerksamkeit vom König zu lösen, der gerade die Schnüre losband, mit denen die Knochenkufen an den spitz zulaufenden Schuhen befestigt waren. Ihr Gesicht verzog sich zu einem lieblichen Lächeln, als er lachend auf sie zukam. Er war etwas außer Atem, und seine Wangen waren von der Bewegung in der frischen Luft gerötet. »Hungrig, mein Gebieter?«

Der rauchige Unterton in ihrer Stimme ließ den König lächeln. Es gefiel ihm, wenn die Königin so raffiniert mit ihm scherzte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Anne sich sehr geschäftig gab und mit scheinbar gleichmütiger Miene den Lieblingsdamen der Königin Zuckerwerk anbot. Vergnügt erhob er die Stimme, damit sie ihn auch bestimmt hörte. »Oh, verehrte Königin, nicht nach Essen hungert mich. Ich bin ein armer Ritter, der sich verirrt hat und erst wieder irdische Speisen zu sich nehmen darf, wenn er sein Gelübde erfüllt hat, das seine Geliebte ihm auferlegt.« Zum Ergötzen seines Hofstaats warf sich der König seiner Königin stöhnend zu Füßen, doch von den anderen unbemerkt traf sein Blick Anne, die eilig wegsah.

Elizabeth, die von dem kleinen Nebenspiel nichts mitbekam, ließ ein helles und stolzes Lachen hören. Mochte der Hof sich das Maul zerreißen, dies war einmal mehr ein Beweis, wie sehr der König sie liebte. »Edler Ritter, ich bin die Königin dieses Winterlandes, und ich besitze die Macht, Euch von dem Gelübde Eurer grausamen Geliebten zu erlösen. Sprecht, und ich werde Euch erhören ...«

Begeistert beteiligten sich die Höflinge an dem Spiel und riefen: »Sprecht, edler Ritter. Nicht umsonst sollt Ihr gedarbt haben ...«

Hastings beobachtete die neckische Scharade mit einem Anflug von Zynismus. Mit seinem Spiel lenkte der König geschickt die Aufmerksamkeit des Hofes von Anne ab. Wie gewohnt verfolgte Edward sein neues Liebesabenteuer mit lustvollem Jagdeifer. William war wahrscheinlich der Einzige, dem der Blick auf Anne nicht entgangen war. Der König fände gewiss noch mehr Gefallen an dem Liebesspiel, wenn sein getreuer Großkämmerer für die notwendige Abgeschiedenheit sorgte. Trotzdem konnte es nicht schaden, die Hunde auf eine falsche Fährte zu führen und dem Hofstaat die frisch erwachte Zuneigung für die Königin vorzugauckeln - und genau das tat Edward in diesem Moment. William verstand sehr wohl, was vor sich ging. Angesichts der bevorstehenden schwer wiegenden Ereignisse war die Unterhaltung der Damen eine angenehme Zerstreuung.

Der König lag noch immer stöhnend am Boden. »Ah, oh. Ich durste, und doch darf ich nicht trinken. Ich hungere, und doch darf ich nicht essen, bevor ich nicht mein Gelübde erfüllt habe.«

Die Höflinge nahmen bereitwillig das Stichwort auf. »Das Gelübde, das Gelübde. Wie lautet das Gelübde?«, riefen sie.

Der König kniete vor Elizabeth, doch jenen, die Augen hatten zu sehen, erschien es, als schielte er über die Schulter der Königin und suchte jemand ganz anderen. »Ich habe geschworen, die wundervollste Frau im ganzen Land zu finden, neben deren Schönheit der Mond und der weiße Schnee verblassen, und ihre lieblichen Lippen zu küssen ...«

Nur Hastings bemerkte, dass Anne sich ein ganzes Stück vom Königspaar entfernt hatte. Niemand sonst, der sie fortgehen sah, würde sich etwas dabei denken. Sie war eine Dienerin, die möglicherweise nichts als einen Befehl der Königin auszuführen hatte.

»... und von ihr ein Zeichen entgegenzunehmen, zum Beweis, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe. Lange habe ich gesucht, bin durch weite Länder gereist und vielen wahrhaft schönen Maiden begegnet, aber keine war so strahlend wie der Mond und der fallende Schnee. Dünner und dünner und schwächer und schwächer bin ich geworden und habe die Hoffnung aufgegeben, sie jemals zu finden ... doch nun bäumt sich mein Herz vor Hoffnung auf, denn ich glaube, dass sie, die ich gesucht, vor mir steht.«

Da war er wieder, dieser suchende, fast unverfrorene Blick, und die Königin runzelte für den Bruchteil einer Sekunde missbilligend die Stirn. War der König abgelenkt? Doch ihre Sorge verflog, als Edward freudig lachte und durch Gebärden ausdrückte, wie geblendet er von ihrer Schönheit war.

»Oh, die tückische Schönheit der Schneekönigin - kaum wage ich es, dieses unvergleichliche Antlitz zu betrachten! Erlaubt mir, diese schöne, weiße Hand zu küssen. O Lady, verhängnisvoll ist Eure Anmut.«

Die Königin kicherte vergnügt und hielt ihm eine Hand entgegen, die der König liebevoll küsste. Das war Hastings' Stichwort. Leise trat er neben die Königin und reichte ihr ein Päckchen. Sie war entzückt, wickelte es eilig aus und schwenkte es hin und her, damit alle es sehen konnten.

»Oh, edler Ritter, Ihr habt Euer Gelübde erfüllt. Nehmt dies als mein Zeichen.« Die Königin überreichte Edward eine goldene Kette mit einem ovalen Medaillon, auf dem kunstvoll ihr Profil eingraviert war. Unter dem Medaillon hing ein Kristallfläschchen mit einem rubinroten Stöpsel, das eine Locke ihres goldenen Haars enthielt.

Der König sprang auf und küsste das Medaillon und die Königin. »Gott sei gedankt. Und nun können- wir endlich essen!«

Rundum brandete heiteres Gelächter auf, und der König geleitete Elizabeth zu den mit »einfacher Landkost« überladenen Tischen. Warme Wildpastete mit verzierten Teighauben, Hechtfilet an Safran und Pfeffer, geschmorte Ente und frisches Weißbrot, um die Soßen aufzutunken, und zum Nachspülen heißes, gewürztes Bier und gewärmter Wein.

Die Diener liefen zwischen den Lagerfeuern und den Tischen hin und her, und die ausgehungerten Höflinge stürzten sich wie die Heuschrecken über die Köstlichkeiten, die ihnen dieses winterliche Märchenreich darbot.

Auch Anne hatte viel zu tun, so dass ihr weder Zeit zum Essen noch zum Nachdenken blieb. Jehanne hatte dafür gesorgt, dass sie nicht den Tisch mit Elizabeth und Edward bedienen musste, sondern an einer der niedereren Tafeln aufwartete, wo sich die Verwandtschaft der Königin drängte. Anne war ihr sehr dankbar dafür, denn obwohl sie vermied, Edward anzusehen, spürte sie unablässig seinen Blick im Rücken. Er setzte auf Zeit und würde seine Rolle geduldig spielen. Doch sie wollte und durfte ihm nicht nachgeben. Er war gerissen, das spürte sie mit jedem seiner Blicke.

Sie musste über ihre eigene Naivität lachen. Hatte sie tatsächlich Angst um ihn gehabt? Die entsetzlichen Träume, ihre Schreckensvisionen am Morgen - all das war doch nur Ausdruck ihres überhitzten Verlangens und würde durch harte Arbeit, fleißiges Beten und Buße gewiss vertrieben werden! Irgendwann hob sie mitten in der Arbeit den Kopf und bemerkte, dass er sie beobachtete. Seine verliebte Miene machte all ihre guten Vorsätze beinahe zunichte. Nein! Sie musste sich auf andere Dinge konzentrieren. Sie musste es schaffen!

Lord Richard Wydeville wunderte sich über die aufmerksame Bedienung. Er brauchte kaum aufzusehen, schon wurde ihm nachgeschenkt. Er musste nur die leckere Speise betrachten, die seinem Tischnachbarn serviert wurde, schon wurde sie ihm vorgesetzt. Verantwortlich dafür war ein ungewöhnlich hübsches Mädchen, das die Livree der Königin trug und es als Lebensaufgabe zu betrachten schien, ihre Gäste zufrieden zu stellen. Darüber hinaus war sie ein Bild der Anmut. Entzückt beobachtete er, wie sie sich mit der Gewandtheit einer Tänzerin in einer komplizierten Choreographie um seinen Tisch bewegte.

Er war so von ihr angetan, dass er beschloss, seine Tochter zu bitten, sie ihm nach Weihnachten zu überlassen. Vielleicht als Geschenk zum neuen Jahr. Seine Frau war nicht leicht zufrieden zu stellen, eine Eigenschaft, die Elizabeth gewiss von ihr geerbt hatte - aber die Herzogin war wegen der bösen Gerüchte am Hof in letzter Zeit recht unleidlich geworden, und das würde sie vielleicht aufheitern. Vielleicht wäre es klüger, zuerst den König darauf anzusprechen? Ja, so wollte er es machen, dachte er zufrieden und sah zu Edward und seiner Tochter hinüber, während ihm ein weiteres Stück Lerchen- und Gänsepastete aufgelegt wurde. Und da fiel ihm auf, dass auch der König das Mädchen beobachtete.

Schlagartig kam ihm wieder das seltsame Gefühl in den Sinn, das ihn beschlichen hatte, als Moss dieses Mädchen eines Abends der Königin vorgestellt hatte. Moss stand in dem Ruf, dem König auf dem Gebiet der Liebe in nichts nachzustehen - natürlich vor dessen Heirat mit seiner Tochter. Aber wenn er sich recht entsann, war es ihm fast so vorgekommen, als wollte der Doktor seinem Schwiegersohn dieses Mädchen zum Geschenk machen. Rivers verzog missbilligend das Gesicht. Schon wieder sah der König das Mädchen mit diesem Blick an. Er schien sich allzu sehr für sie zu interessieren. Das Ganze muss schnell bereinigt werden, dachte er. Nicht dass irgendetwas Unziemliches Elizabeths triumphalen Erfolg trübte.