18 Die narzisstische Partnerschaft
Die narzisstische Partnerschaft ist immer kollusiv, das heißt, zwei Partner passen mit ihren gleichwertigen, aber einander gegenläufigen Störungen zusammen.[6] Der eine Partner verfügt über die Eigenschaften, die dem anderen fehlen – so bilden sie gemeinsam ein Ganzes und stabilisieren sich wechselseitig. Das «Ganze» ist aber keine neue Qualität, sondern eine Notgemeinschaft, die keiner verlassen kann, ohne den anderen in eine tiefe Krise zu stürzen. Beide haben ein zu schwaches Selbstwertgefühl und brauchen einander: So wird der eine vom anderen idealisiert und bewundert, und mit dieser so wichtigen Funktion stabilisiert sich auch der dienstbare Bewunderer. Beide können sich großartig fühlen: der eine durch ständige Zufuhr und der andere durch praktizierte Unterstützung sowie durch Zugehörigkeit zur vermeintlichen Größe.
Auf diese Weise passen Größenselbst und Größenklein ausgezeichnet zusammen: Die als Kind nicht erfahrene Bestätigung kommt jetzt vermeintlich vom Partner und mit dieser Aufgabe darf sich dieser als wichtig und bedeutend erleben. Diese sich ergänzende Beziehungskonstellation hat immer auch etwas Zwingendes; keiner von beiden darf seine Funktion verlassen, der «Große» muss groß bleiben und der «Kleine» klein. Doch beide Rollen sind nur Ersatz oder Kompensation. Der scheinbar Überlegene, Dominante delegiert seine verborgene Schwäche und Bedürftigkeit an den anderen, deshalb darf dieser nie wachsen und reifen. Und der scheinbar Unterlegene und Abhängige delegiert seinen narzisstischen Anspruch an den Partner, deshalb darf dieser nie wirklich schwach werden. Das führt dazu, dass man sich den anderen auch dann noch «schön» sieht und tausend Entschuldigungen und Erklärungen parat hat, wenn Fehler und Schwächen beim Großartigen nicht mehr zu übersehen sind. Alle Entwicklungsbemühungen des Unsicheren hingegen – wie sie durch Therapie in Gang gebracht werden können – werden vom Partner verhindert oder untergraben.
Die Kollusion hilft beiden, sich narzisstisch zu stabilisieren, jede Veränderung lässt die gemeinsame Abwehr labil werden und führt in die Krise. Entwickelt sich der Abhängige, wird der Größenselbst-Partner alles Erdenkliche tun, um sich selbst ganz besonders zu beweisen und den Schwachen auf seine Bewunderungspflicht zu verweisen. Das geschieht selten direkt, sondern eher versteckt: «Das musst du doch einsehen!», «Was ist bloß los mit dir?», «Wer hat dir denn das eingeredet?», «Das schaffst du nie (allein)!», «Ich kann das nicht verstehen, was willst du nur? Du hast doch alles!», «Das kann nicht gut gehen!», «Schau mal, das ist doch so …», «Du kommst ohne mich nicht zurecht!» Und wenn alles nichts mehr hilft, verlangt das Größenselbst, die Beziehung zu beenden und den Partner zu verlassen, um auf keinen Fall selbst verlassen zu werden. Verlassenwerden ist eine unannehmbare Schmach und würde das gesamte Größen-gebäude zusammenbrechen lassen. Der Größenklein-Partner hingegen braucht gewissermaßen das Erleben des Verlassenwerdens; dadurch wird sein Weltbild des schuldigen Versagens bestätigt. Zu verlassen vermittelt eine vermeintliche Souveränität und Unabhängigkeit und entspricht dem Selbstbild des Narzissten (im Größenselbst); Verlassenwerden ermöglicht traurige oder verbitterte Enttäuschung und schützt damit die schon längst erlebte frühe Verlassenheit durch Liebesmangel (im Größenklein). So bedient sich das narzisstische Paar noch in der Trennung wechselseitig. Der eine wertet alles bis dahin Gute prinzipiell ab und tröstet sich schnell in einer neuen kollusiven Partnerschaft. Der andere verfällt leicht in eine abnorm lange Trauerreaktion mit Selbstvorwürfen und verzagter Hoffnungslosigkeit, mitunter bis zur Suizidalität.
Im Grunde genommen verhindert die narzisstische Störung eine echte Partnerschaft gleichrangiger Menschen, die ihre Gemeinschaft verhandeln und ihre Verschiedenheit respektieren, so dass jeder auch für sich selbst gut leben könnte, aber in der Partnerschaft eine hilfreiche und lustvolle Bereicherung für all die Angelegenheiten erlebt, die zu zweit einfach mehr Genuss ermöglichen: sich in wichtigen Dingen auszutauschen, sich beraten und helfen zu lassen, wo es notwendig ist, sich durch Mitteilungen zu entlasten, sich verstanden und bestätigt erleben zu können, unvermeidbare Kritik zu erfahren, die vor weiteren Fehlern oder falschen Einschätzungen und ungünstigen Entscheidungen schützt, sinnvolle Arbeitsteilung und gute Elternschaft zu praktizieren, sich in Not und Krankheit beizustehen, die Freizeit und die schönsten Dinge des Lebens gemeinsam zu gestalten: im gemeinsamen Essen die Esskultur zu steigern, sich im Sex besondere Höhepunkte zu bereiten und seelische und körperliche Zärtlichkeiten zu schenken.
Der Narzisst ist zur Empathie nicht fähig. Die ausschließliche Fixierung auf sich selbst sichert sein Überleben, da er sein Leben als nicht gesichert erlebte. Ein anderer wird nur insoweit gesehen und verstanden, als er zur Selbstbestätigung taugt. Das Gegenüber wird danach «gescannt», inwiefern es als Selbstobjekt verwendbar ist oder verwendbar gemacht werden kann. Der Wert des anderen ergibt sich nicht aus dessen Sein an sich, sondern aus dessen Nutzen für die narzisstische Regulation. Von einem Narzissten geschätzt und «gemocht» zu werden, bedeutet also nicht sehr viel – man ist auf keinen Fall wirklich gemeint, kann aber durch die Verwendbarkeit (für narzisstische Größe oder narzisstische Selbstabwertung) so lange höchste Zuneigung erfahren, wie dadurch die narzisstische Regulation gesichert wird.
Der Narzisst ist ständig damit befasst, sein beschädigtes Selbst zu schützen. Er kann sich nur um sich selbst drehen – nicht etwa aus Eitelkeit, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, sondern aus Not. So verliert der Narzisst die Mitmenschlichkeit; es bleibt für andere im Grunde nichts mehr übrig, da er permanent damit befasst ist, das eigene Selbst zu stabilisieren.
Ein Narzisst kann auch Mitgefühl lernen, allerdings nur im Modus des «Als-ob», um besonders gut und überlegen zu erscheinen – eine raffinierte Kompensation, die mitunter bei Therapeuten zu finden ist, die sich als alles verstehende und gewährende Gutmenschen aufbauen, aber auch bei Politikern, die vorgeben, für «die Menschen» zu handeln, und es mitunter selbst glauben –, aber vor allem mittels Wählerstimmen durch Machterhalt ihre narzisstische Bedürftigkeit regulieren. Der vielbeschworene «Wähler» ist im Grunde nie gemeint, wird aber dringend gebraucht. Nur auf der Basis einer solchen Abwehr kann ein narzisstisch geprägter Politiker Entscheidungen treffen und handeln, ohne Skrupel zu empfinden, da ihm für das Einzelschicksal vollständig die Empathie fehlt, aber die «großen Dinge» bewältigt werden müssen. Der narzisstische Politiker gewinnt seine Bedeutung aus «der Geschichte» und kann so über Leichen gehen. Nur so lässt sich etwa die Seelenlage eines Feldherrn begreifen, der «seine» Truppen in eine Schlacht führt, in der Tausende mit Sicherheit sterben werden. Das Einzelschicksal spielt keine Rolle mehr, weil es nicht wahrgenommen wird. In einer Partnerschaft mit einem Narzissten klagen Frauen oft über das Unvermögen ihres Partners zu fühlen – sofern sie sich nicht in konarzisstischer Kollusion mit ihm befinden. Alle Vorwürfe in dieser Hinsicht bleiben jedoch sinnlos, weil die Gefühlsabwehr überlebenswichtig ist. Ein Narzisst kennt kein Mitgefühl, alle seine emotionalen Regungen betreffen das Selbstmitleid. Wenn ein Narzisst weint, ist das nicht Ausdruck echten Mangelschmerzes, sondern ein Symptom der Kränkungsverletzung, mit der das unsichere Selbst vor der wirklichen Erschütterung geschützt wird. Echte Gefühle werden durch Abwehrgefühle (Selbstmitleid, Kränkung, narzisstische Wut) verhindert.
Die häufigsten Varianten einer kollusiv-narzisstischen Partnerschaft sind:
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Beide Partner sind sich unabgesprochen einig darin, dass ihre Beziehung unbedingt harmonisch ist und bleibt. Es wird von beiden Seiten immer wieder Übereinstimmung angestrebt; der eine ist des anderen Spiegel. So werden Spannungen und Konflikte vermieden, die das Risiko beinhalten, dass im Falle einer Niederlage, Beschämung oder Kränkung das unterdrückte Minderwertigkeitsgefühl – bei dem einen oder dem anderen oder bei beiden – wiederbelebt werden könnte. So stimmt man lieber gerne zu und wird sich schnell einig. Im Laufe der Zeit haben beide sich so angenähert, dass sie sowieso das Gleiche wollen, denken, fühlen und tun. Wirkliche Subjektivität, Verschiedenheit und Andersartigkeit werden verhindert oder geleugnet. Der hohe Preis einer selbstentfremdenden Anpassung bringt einen Gewinn in Sachen Entängstigung; die narzisstische Labilität wird in Schach gehalten. Die unerlässliche Zustimmung des Partners lässt die Illusion zu, dass man richtig und gut sei.
Ein Leben in Übereinstimmung ist wie eine schmerzstillende Droge angesichts basaler Unsicherheit und Ungewissheit.
Dialoge zwischen Partnern laufen dann zum Beispiel so ab:
- A
Ich bin heute aber müde.
- B
Das ist auch gut zu verstehen, bei deinen Anstrengungen.
- A
Ja, das war wieder mal sehr viel heute.
- B
Am besten, du legst dich ein bisschen hin. Und wenn du magst, lege ich mich dazu, mir täte es auch gut.
Oder:
- A
Ich könnte mich ja so aufregen über meinen Vater.
- B
Der hat sich aber auch wieder mal so richtig gezeigt.
- A
Wenn ich nur wüsste, wie ich darauf reagieren könnte?
- B
Dir wird schon was einfallen, du hast das bisher immer gut gelöst.
- A
Du machst mir Mut – nur gut, dass ich dich habe, sonst könnte ich verzweifeln.
- B
Ja, das gebe ich gerne zurück, mir geht es auch so mit dir.
Es geht um Übereinstimmung, nicht um Lösung des Problems.
- A
Ein echt partnerschaftliches Gespräch würde hingegen etwa folgendermaßen verlaufen:
- A
Ich könnte mich ja so aufregen über meinen Vater.
- B
Du bist verletzt?
- A
Er trifft immer meine Wunde, er traut mir einfach nichts zu.
- B
Und du glaubst ihm immer noch? Machst dich abhängig von seinem Urteil?
- A
Ja, ich bin davon immer noch nicht los, das belastet mich sehr.
- B
Was könntest du tun?
- A
Ich werde mit ihm sprechen?
- B
Was willst du sagen?
- A
Er soll mich endlich in Ruhe lassen.
- B
Ich finde das gut, wenn du dich abgrenzt, aber dass er deinen Forderungen nachkommen wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.
- A
Du hast recht, ich werde ihn nicht verändern, aber ich muss ihn nicht mehr zum Maßstab machen.
- B
Ja, du hast doch längst eigene Maßstäbe, die mir auch nicht alle gefallen.
- A
Ich weiß, aber wir können uns wenigstens verständigen.
Partnerschaft lebt vom Zuhören, von Einfühlung, Verstehen und von der Akzeptanz anderer Positionen – das setzt bei den Einzelnen ein intaktes Selbstwertgefühl voraus, um das Identitätserleben auszugestalten und wirklichen Kontakt zum anderen herzustellen.
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2.
Eine zweite Form narzisstischer Partnerschaft besteht in der «klassischen» Verbindung eines bewunderten und idealisierten Partners mit dem dienenden, sich aufopfernden Unterstützer. Der eine nährt sich von der Bewunderungsenergie des anderen, wie ein Vampir von dessen Blut. Zustimmung, Stolz und Respekt des Partners betäuben alle Zweifel am eigenen Wert. Der Bewunderer überspielt ständig das eigene Minderwertigkeitsgefühl, indem er Teil der Größe des anderen wird. Im Konflikt oder sogar im Scheidungsverfahren hört man dann gar nicht selten die Fehleinschätzung, dass der eine nur so erfolgreich werden konnte, weil der andere ihm «den Rücken frei gehalten» habe. Die einzelnen Rollen mögen gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden und ökonomisch erhebliche Differenzen mit sich bringen, doch psychodynamisch sind sie gleichwertig im Dienste der Abwehr der individuellen Minderwertigkeit. Zum erfolgreichen Narzissten gehört die Anerkennung und Bewunderung, denn seine Leistungen dienen nicht der Tätigkeit oder der Sache an sich, sondern der Kompensation. Der Fan meint nicht den Bewunderten, sondern er braucht und benutzt den Anerkannten, um sich selbst mit dessen Erfolgen aufzuwerten. Liebe ist das nicht, aber ein «Sichbrauchen zur wechselseitigen Stabilisierung».
Ein Dialog unter solchen Partnern verläuft beispielsweise folgendermaßen:
- A
Das hast du aber wieder toll gemacht!
- B
Meinst du? Aber bei der Rückfrage nach der Quelle meiner Behauptung war ich ganz schön irritiert.
- A
Das hat man gar nicht gemerkt, du warst sehr souverän.
- B
Ich habe mir auch richtig Mühe gegeben – das Lampenfieber bleibt, aber ich glaube, ich habe eine gute Figur abgegeben.
- A
Du warst großartig. Ich bin so stolz.
- B
Komm, lass uns was Gutes trinken.
Die Kommunikation dient der gegenseitigen Bestätigung und Stabilisierung.
Ein partnerschaftliches Gespräch hingegen würde anders aussehen:
- A
Bist du zufrieden mit deiner Leistung?
- B
Ja, schon, aber an einer Stelle war ich richtig irritiert, da wusste ich die Quellenangabe nicht mehr.
- A
Das passiert schon, war auch nicht so schlimm. Gibt es einen Grund für den Lapsus?
- B
Ich weiß nicht. Das ist mir schon einmal passiert. Ich zitiere nicht gern, ich möchte lieber mit eigenen Argumenten überzeugen.
- A
Aber das reicht nicht immer.
- B
Du hast recht. Ich muss mir die wichtigsten Zitate mit ihren Quellen aufschreiben. Dann kann ich auch antworten.
Das Problem wird nicht vertuscht, sondern beide ringen um ein mögliches Verständnis und eine Lösung.