7 Die narzisstischen Beziehungsangebote

Die narzisstische Störung zwingt zu spezifischen Beziehungsformen und schließt andere aus. Weil der pathologische Narzissmus eine bestimmte Abwehrform frühen Liebes- und Bestätigungsmangels ist, müssen alle realen Beziehungsformen eine Schutzfunktion gegen den frühen Schmerz erfüllen. Dazu müssen wir uns lediglich klarmachen, was der Narzisst im Größenselbst und im Größenklein besonders mag, braucht und gut kann und was er nicht mag und schlecht aushalten kann.

Der Größenselbst-Narzisst muss immer Sieger sein, dominieren und gewinnen, er braucht Selbstdarstellung, Prahlerei, Übertreibungen von Leistungen und Fähigkeiten, er muss brillieren und sich gegenüber der Konkurrenz behaupten, er will Anführer sein und den Ton angeben (auch wenn die Kompetenz dafür nicht vorhanden ist). Auf der anderen Seite möchte er auf keinen Fall kritisiert und belehrt werden, er kann keine Fehler zugeben und keine Schwäche zulassen. Er möchte sich auf keinen Fall hilflos oder gar ohnmächtig erleben, er verträgt es nicht, abgelehnt oder verlassen zu werden, er kann nicht nachgeben, etwas einsehen, Verlierer sein und hat es besonders schwer, wenn er durch Krankheit, Alter oder die soziale Situation bedürftig und abhängig wird und auf Hilfe angewiesen ist.

Der Größenklein-Narzisst will klagen und jammern, er braucht die Erfahrung, Opfer zu sein, nicht zu genügen, nicht gut genug zu sein, er braucht immer wieder die Bestätigung, abgelehnt und kritisiert zu werden, er muss verlieren, er will belehrt werden und muss beweisen, dass er etwas nicht kann, dass man ihn überschätzt oder ihm etwas zumutet, was er natürlich nicht schaffen kann. Er sieht Fehler ein, übt gerne Selbstkritik bis hin zu schweren Selbstvorwürfen, er kann erlebte Schmach und Verluste über Jahre hin als besonderes Leid kultivieren, die Depression ist seine Welt, da er nicht wirklich trauern kann. Er trägt die Einstellung: «Das kann ich nicht, das schaffe ich nicht, das ist mir zu viel, das wird sowieso nichts» wie ein Plakat vor sich her, und wehe, man will ihm das ausreden.

Ich betone die Zwanghaftigkeit dieser negativen Selbst- und Lebenseinstellungen. Natürlich sind das keine angenehmen und durchaus sehr leidvolle Erfahrungen, aber gemessen am frühen Leid des Liebesmangels sind sie immer noch das kleinere Übel, so dass daran zum Schutze festgehalten wird.

Macht man sich diese wesentlichen Seiten der narzisstischen Beziehungsangebote klar, fällt es nicht mehr schwer zu verstehen, wie es einem als Gegenüber ergeht, weigert man sich, kollusiv mitzuspielen: Gegenüber dem Größenselbst-Narzissten fühlt man sich immer klein, unbedeutend, mit dem Gefühl, nichts zu sagen zu haben (obwohl man sehr wohl etwas zu sagen hätte). Manchmal wird man verleitet, den Kampf um die Dominanz aufzunehmen, mitzumischen und sich auch mitzuteilen, das gibt man aber schnell wieder auf, weil im Meinungsstreit die intellektuelle und rationale Argumentation des Größenselbst-Narzissten immer überlegen bleibt und es keine Chance gibt, dass eine andere Meinung daneben bestehen könnte. So wird der Disput anstrengend und lästig und man verliert schnell die Freude an der Kommunikation. Sie bleibt eine Einbahnstraße. Internale und emotionale Mitteilungen, die eine Beziehung persönlich und spannend machen würden, sind sowieso nicht zu erwarten, höchstens die aufgesetzten Als-ob-Stimmungen, die immer unangenehm sind. Es gibt für den Narzissten nur Sieg oder Niederlage, und wer sich auf dieses «Spiel» einlässt, ist selbst in der narzisstischen Abwehr befangen. Man erlebt also einen starken Sog zur Zustimmung, zur Übereinstimmung. Der Narzisst setzt als selbstverständlich voraus, dass man so empfindet und denkt wie er. Wer widerspricht oder auch nur anderer Meinung ist, der verdirbt die ersehnte Harmonie. So fängt man an, sich selber zu zensieren und nur noch das mitzuteilen, was der Narzisst hören will, damit keine Missstimmung entsteht (es sei denn, man braucht den Zwist zur eigenen Abwehr). Das Großspurige, das Angeberische löst natürlich auch leicht Widerwillen aus, man fühlt sich schnell angewidert, auch gelangweilt und wird bemüht sein, den Kontakt zu beenden, was dann meistens als Erleichterung erlebt wird.

Gegenüber einem Menschen mit Größenklein wird man hingegen zur Unterstützung und Hilfe verführt. Man möchte erklären und beraten. Das Weinerliche wird rasch lästig, die negative Weltsicht zieht hinab, bei den Selbstbeschuldigungen möchte man beschwichtigen, trösten und Hoffnung machen. Das ist aber das Falscheste, was man tun kann, weil der Selbstwertgestörte dadurch nur angestachelt wird, noch mehr zu beweisen, dass er doch nichts wert ist und alles sowieso keinen Sinn macht. Der Helfer wird in die Verzweiflung gedrängt, bis er schließlich – wie ehemals die ablehnende Mutter – den anderen abwertet oder ihn verachtet. Dann hat das Größenklein endlich wieder seinen Frieden, alle Verbesserungsvorschläge sind zunichtegemacht.

Wenn man nicht kollusiv mitspielt, fühlt man sich im Kontakt mit narzisstisch gestörten Menschen bald unwohl, entweder klein gemacht oder im hilfreichen Bemühen zur Ergebnislosigkeit verurteilt. Der Narzisst wiederholt und reinszeniert mit seinen Beziehungsangeboten die frühen Erfahrungen von Lieblosigkeit und mangelnder Bestätigung, die er sich durch Großspurigkeit oder demonstratives Klagen und Selbstabwertung reorganisiert. Man darf nicht glauben, dass dies leicht zu überwinden wäre; eine Abmilderung der ewig sich wiederholenden Beziehungsprobleme kann nur über Annahme und Verarbeitung des frühen Schmerzes gelingen.