Fallbeispiel Vatermissbrauch

Der Vater der Handballerin war auch ihr Trainer, der seine Tochter nur unter Leistungsgesichtspunkten beurteilte. Er war emotional relativ kalt, unempathisch, nur an ihren sportlichen Leistungen interessiert. Dreimal wöchentlich vier bis fünf Stunden Training, das war der Mittelpunkt ihres Lebens. Sie brannte nicht gerade für den Sport, hatte aber auch keine anderen Interessen oder Hobbys. Als die Mannschaft, in der sie spielte, aus der Liga abstieg, wandte sich der enttäuschte Vater anderen Trainingsaufgaben zu und ließ die Tochter praktisch fallen. Für sie bedeutete das eher eine Befreiung aus dem strengen Leistungskorsett, das ihr zwar narzisstische Zufuhr gebracht hatte, aber für ihr Leben nicht existenziell war. Sie verließ den Sport, qualifizierte sich als Betriebswirtin und machte mit ihrer antrainierten Leistungsbereitschaft eine ansehnliche Karriere, die sie mit Hilfe therapeutisch gewonnener Einsicht später sogar zugunsten von Partnerschaft und Mutterschaft in befriedigender Weise zu begrenzen lernte.

Die Leistungsorientierung bei Vatermissbrauch lässt sich mit zunehmendem Alter relativieren, ohne dass ein existenzieller Einbruch drohen muss. Dann geht nur eine Kompensationsmöglichkeit verloren, die durch andere ersetzt werden kann. Anders als bei Muttermangel, angesichts dessen nur fortgesetzte Anstrengungen beruhigen, die Suchtcharakter annehmen, ist hier die Erinnerung an vergangene Erfolge noch narzisstisch wirksam.

Gute Väterlichkeit kann stark dazu beitragen, die aus Muttermangel herrührenden narzisstischen Strukturdefizite zu stabilisieren. Die Väterlichkeitsstörungen hingegen erschweren alle Regulationsbemühungen, die mit mangelnder Mütterlichkeit zu tun haben, zusätzlich und belasten mit ihren spezifischen Folgen die narzisstischen Regulationsmöglichkeiten.

Die unterschiedlichen Anteile der jeweiligen guten wie schlechten Mütterlichkeit und Väterlichkeit begründen die individuellen Regulationsformen der narzisstischen Störung. Wollte man eine Rangliste der größten Schwierigkeiten der narzisstischen Regulation aufstellen, dann würden die Formen des Muttermangels, die noch von Väterlichkeitsstörungen verstärkt werden, den ersten Platz einnehmen; noch am ehesten zu bewältigen sind Väterlichkeitsstörungen bei guter Mütterlichkeit.