SIE WAREN SCHON EINMAL HIER
Aber sicher doch.
Sicher. Ein Gesicht wie Ihres vergesse ich nie.
Kommen Sie herüber,
lassen Sie mich Ihre Hand schütteln! Wissen Sie, ich habe Sie schon
am Gang erkannt, noch bevor ich Ihr Gesicht gesehen habe. Sie
hätten sich keinen besseren Tag für Ihre Rückkehr nach Junction
City aussuchen können, die hübscheste kleine Stadt in Iowa –
zumindest auf dieser Seite von Ames. Sie dürfen lachen – es sollte
ein Witz sein.
Können wir uns ein
Weilchen hinsetzen? Vielleicht hier auf diese Bank vor dem
Kriegerdenkmal? Die Sonne scheint warm, und von hier aus kann man
praktisch das gesamte Geschäftsviertel überblicken. Sie müssen nur
wegen der Splitter aufpassen; die Bank steht hier, seit Hektor in
den Windeln lag. Und nun schauen Sie dort hinüber. Nein – ein
bißchen mehr nach rechts. Das Gebäude, dessen Fenster zugekalkt
sind. Das war früher Sam Peebles Büro. Ein Grundstücksmakler, und
ein verdammt guter obendrein. Dann hat er Naomi Higgins von drunten
von Proverbia geheiratet, und sie sind weggezogen, so wie die
jungen Leute das heute meistens tun.
Das Gebäude hat mehr
als ein Jahr lang leergestanden – die Wirtschaftslage ist
katastrophal, seit die Geschichte im Mittleren Osten losgegangen
ist -, aber jetzt hat irgend jemand es endlich übernommen. Und es
hat deswegen eine Menge Gerede gegeben, das kann ich Ihnen
versichern. Aber Sie wissen ja, wie das so ist; in einer kleinen
Stadt wie Junction City ist die Eröffnung eines neuen Geschäfts so
etwas wie eine Sensation. Und so, wie es aussieht, kann es auch
nicht mehr lange dauern; die letzten Handwerker haben am Freitag
ihr Werkzeug zusammengepackt und sind gegangen. Also, was ich
glaube, ist...
Wer?
Ach, sie. Das ist
Irma Skillins. Sie war Direktorin der Junction City High School –
wie ich gehört habe, die erste Frau, die in diesem Teil des Staates
einen solchen Posten innegehabt hat. Sie ist vor zwei Jahren in
Pension gegangen, und wie es aussieht, hat sie sich auch von allem
anderen zurückgezogen – Eastern Star, Töchter der Amerikanischen
Revolution, Junction City Players. Sogar aus dem Kirchenchor soll
sie ausgetreten sein. Ich nehme an, das liegt zum Teil an ihrem
Rheumatismus – der macht ihr mächtig zu schaffen. Sehen Sie, wie
schwer sie sich auf ihren Stock stützt? Wenn es erst einmal soweit
gekommen ist mit einem Menschen, dann tut er so ziemlich alles, was
ihm ein wenig Erleichterung verschafft.
Sehen Sie sich das
an! Sie betrachtet den neuen Laden ganz genau, nicht wahr? Nun,
warum auch nicht? Sie mag alt sein, aber tot ist sie noch nicht,
bei weitem nicht. Außerdem kennen Sie vermutlich das Sprichwort: Es
war Neugierde, die die Katze umbrachte, aber Befriedigung, die sie
ins Leben zurückholte.
Ob ich das Schild
lesen kann? Aber sicher kann ich das! Ich habe zwar seit zwei
Jahren eine Brille, aber die brauche ich nur zum Lesen; auf größere
Entfernung sehe ich besser als je zuvor. In der obersten Zeile
steht EROFFNUNG DEMNÄCHST, und darunter ANSWERED PRAYERS – EINE
NEUE ART VON LADEN. Und die unterste Zeile – warten Sie eine
Minute, sie ist ein bißchen kleiner – die unterste Zeile lautet:
Sie werden Ihren Augen nicht trauen.
Aber ich werde ihnen wohl trotzdem trauen. Schließlich heißt es
schon beim Prediger Salomon, daß nichts Neues geschieht unter der
Sonne, und daran halte ich mich. Auch Irma wird wiederkommen. Ich
könnte mir denken, daß sie zumindest einen eingehenden Blick auf
denjenigen werfen will, der beschlossen hat, über Sam Peebles’
altem Büro diese leuchtendrote Markise anbringen zu
lassen.
Vielleicht werde ich
selbst einmal hineinschauen. Ich denke, das werden fast alle Leute
in der Stadt tun, bevor alles gesagt und getan ist.
Interessanter Name
für einen Laden, nicht wahr? Answered
Prayers. Man fragt sich wirklich, welche Art von Ware da
drinnen angeboten wird.
Nun, bei einem
solchen Namen kann das alles mögliche sein.
Alles
mögliche.
24. Oktober 1988 –
28. Januar 1991
