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Norris hörte das
Zufallen der Außentür und, undeutlich, das Geräusch von Sandys
anspringendem Wagen. Er stopfte sein Hemd in die Jeans, schlüpfte
in seine Schuhe und hängte seine Uniform sorgfältig auf den
Kleiderbügel. Dann roch er an den Achselhöhlen des Hemdes und kam
zu dem Schluß, daß es noch nicht in die Reinigung mußte. Das war
gut; wieder etwas gespart.
Als er die Toilette
verließ, hängte er den Kleiderbügel wieder an den Griff des
Aktenschrankes, an dem er zuvor gehangen hatte – eine Stelle, an
der er ihn beim Hinausgehen nicht übersehen konnte. Auch das war
gut, dann Alan wurde stocksauer, wenn Norris seine Klamotten in der
Polizeistation zurückließ. Er sagte, die Station sähe aus wie ein
Waschsalon.
Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber.
Jemand hatte ihm tatsächlich ein Geschenk gebracht – es war eine in
hellblaue Folie eingewickelte Schachtel mit einer großen Schleife
aus blauem Samtband obendrauf. Unter der Schleife steckte ein
quadratischer weißer Umschlag. Norris, inzwischen sehr neugierig,
zog den Umschlag heraus und riß ihn auf. Drinnen lag eine Karte,
auf der, in Großbuchstaben getippt, eine kurze, rätselhafte
Botschaft stand:
NUR ZUR ERINNERUNG
Er runzelte die
Stirn. Die einzigen beiden Menschen, die ihn ständig an etwas
erinnerten, waren Alan und seine Mutter – und die war seit fünf
Jahren tot. Er nahm das Päckchen, streifte das Band ab und legte
die Schleife behutsam beiseite. Dann wickelte er das Geschenkpapier
ab. Ein weißer Pappkarton kam zum Vorschein. Er war ungefähr
dreißig Zentimeter lang, zehn Zentimeter breit und zehn Zentimeter
hoch. Der Deckel war mit Klebeband verschlossen.
Norris schnitt das
Klebeband durch und öffnete die Schachtel. Über dem darin
befindlichen Gegenstand lag eine Schicht weißes Seidenpapier, dünn
genug, um eine flache Oberfläche mit einer Reihe von querlaufenden
Graten erkennen zu lassen, aber nicht so dünn, daß er hätte
erkennen können, um was es sich bei seinem Geschenk
handelte.
Er griff hinein, um
das Seidenpapier herauszuziehen, und sein Zeigefinger traf auf
etwas Hartes – eine vorstehende Metallzunge. Ein schwerer
Stahlbügel schloß sich um das Seidenpapier und außerdem um Norris
Ridgewicks erste drei Finger. Schmerz fuhr durch seinen Arm. Er
schrie auf und taumelte zurück, packte mit der linken Hand das
rechte Handgelenk. Der weiße Karton fiel zu Boden. Seidenpapier
knisterte.
Großer Gott, das tat
weh! Er grabschte nach dem
Seidenpapier, das in Form eines zerknitterten Bandes herunterhing,
und riß es ab. Was zum Vorschein kam, war eine große
Victory-Rattenfalle. Jemand hatte sie gespannt, in einen Karton
gestellt, unter Seidenpapier versteckt und dann in hübschem, blauem
Geschenkpapier verpackt. Jetzt war sie über den ersten drei Fingern
seiner rechten Hand zugeschnappt. Er sah, daß sie vom Zeigefinger
den Nagel abgerissen hatte; was geblieben war, war ein blutender
Halbmond aus rohem Fleisch.
»Dreckskerl!« schrie Norris. Vor Schmerzen und
Schock hieb er die Falle zuerst gegen die Seite von John LaPointes
Schreibtisch, anstatt einfach den Stahlbügel zurückzustemmen.
Alles, was er damit schaffte, war, daß er mit den schmerzenden
Fingern an die metallene Ecke des Schreibtisches stieß und eine
neuerliche Schmerzwelle durch seinen Arm schoß. Er schrie abermals,
dann bekam er den Bügel zu fassen und zog ihn zurück. Er befreite
seine Finger und ließ die Falle los. Als sie auf dem Boden landete,
schnellte der Stahlbügel wieder auf das hölzerne Gestell
herunter.
Einen Moment lang
stand Norris zitternd da, dann eilte er zurück in die
Herrentoilette, drehte mit der linken Hand den Kaltwasserhahn auf
und hielt die rechte Hand in den Strahl. Sie pochte wie ein
entzündeter Weisheitszahn. Er stand da, mit zu einer Grimasse
verzogenem Gesicht, beobachtete, wie dünne Blutfäden in den Abfluß
wirbelten, und dachte an das, was Sandy gesagt hatte: Mr. Keeton war da -vielleicht ist es ein
Versöhnungsgeschenk.
Und die Karte: NUR
ZUR ERINNERUNG.
O ja, das war
Busters Werk. Daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Das war
genau Busters Art.
»Verdammter
Dreckskerl«, stöhnte Norris.
Das kalte Wasser
betäubte seine Finger, dämpfte das heftige Pochen, aber er wußte,
daß es, bis er zu Hause angekommen war, wieder da sein würde.
Aspirin würde vielleicht ein bißchen helfen, aber er war trotzdem
überzeugt, daß in dieser Nacht an Schlafen nicht zu denken sein
würde. Und ebenso morgen nicht an Angeln.
Aber ich tue es trotzdem – ich gehe angeln, und wenn die
verdammte Hand dabei abfällt. Ich habe es geplant, ich habe mich
darauf gefreut, und Danforth Scheißbuster Keeton wird mich nicht
daran hindern.
Er drehte den
Wasserhahn zu und benutzte ein Papiertuch, um seine Hand vorsichtig
trockenzutupfen. Keiner der Finger, die in die Falle geraten waren,
war gebrochen – zumindest glaubte er es nicht -, aber sie begannen
bereits anzuschwellen; das hatte auch das kalte Wasser nicht
verhindern können. Der Bügel der Falle hatte zwischen den ersten
und den zweiten Knöcheln einen dunkel purpurroten Striemen
hinterlassen. Das bloßgerissene Fleisch an der Stelle, an der der
Nagel seines Zeigefingers gesessen hatte, schwitzte kleine
Blutstropfen aus, und das heftige Pochen hatte bereits wieder
eingesetzt.
Er kehrte in den
leeren Dienstraum zurück und betrachtete die wieder zugeschnappte
Falle, die neben Johns Schreibtisch auf der Seite lag. Er hob sie
auf und ging damit zu seinem eigenen Schreibtisch, setzte die Falle
in den Geschenkkarton und stellte ihn in die oberste Schublade. Er
holte sein Aspirin aus der untersten Schublade und steckte drei
Tabletten in den Mund. Dann sammelte er das Seidenpapier, das
Einwickelpapier, das Band und die Schleife ein, stopfte sie in den
Papierkorb und deckte sie mit zerknülltem Abfallpapier
ab.
Er hatte nicht die
Absicht, Alan oder sonstjemandem von dem gemeinen Streich zu
erzählen, den Buster ihm gespielt hatte. Sie würden nicht lachen,
aber Norris wußte, was sie denken würden – oder glaubte es
jedenfalls: Auf so etwas konnte nur Norris
Ridgewick hereinfallen – steckt seine Hand direkt in eine gespannte
Rattenfalle, könnt ihr euch das vorstellen?
Es muß von Ihrer heimlichen Geliebten sein – Mr. Keeton
war heute abend hier – vielleicht ist es ein
Versöhnungsgeschenk.
»Darum kümmere ich
mich selbst«, sagte Norris mit leiser, grimmiger Stimme. Er hielt
die verletzte Hand vor die Brust. »Auf meine Art, und zu meiner
Zeit.«
Plötzlich kam ihm
ein neuer, bestürzender Gedanke. Was war, wenn Buster sich nicht
mit der Rattenfalle zufriedengegeben hatte? Schließlich konnte er
nicht sicher sein, daß sie funktionierte? Was war, wenn er zu
Norris’ Haus gegangen war? Dort war die Bazun-Rute, und die war
nicht einmal eingeschlossen; er hatte sie in die Ecke des Schuppens
gestellt, neben seinen Fangkorb.
Was war, wenn Buster
über die Rute Bescheid wußte und beschlossen hatte, sie zu
zerbrechen?
»Wenn er das getan
hat, dann zerbrech ich ihn«, sagte
Norris. Seine Stimme war ein leises, wütendes Grollen, das Henry
Payton – und ebenso viele seiner anderen Polizeikollegen – nicht
wiedererkannt hätte. Als er das Büro verließ, vergaß er völlig, daß
er abschließen mußte. Vorübergehend vergaß er sogar die Schmerzen
in seiner Hand. Das einzige, worauf es jetzt ankam, war, nach Hause
zu kommen. Nach Hause zu kommen und sich zu vergewissern, daß die
Bazun-Rute unversehrt war.