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»Nein«, sagte Ace
nach einem Blick auf das Buch, das Mr. Gaunt aus dem Schaufenster
geholt und ihm ausgehändigt hatte. »Das ist nicht das, was ich
haben will. Sie müssen das falsche erwischt haben.«
»Ich versichere
Ihnen, es ist das einzige Buch, das im Schaufenster lag«, sagte Mr.
Gaunt im Tonfall leichter Verwunderung. »Sie können selbst
nachsehen, wenn Sie mir nicht glauben.«
Einen Augenblick
lang war Ace gewillt, genau das zu tun, dann stieß er einen leicht
verärgerten Seufzer aus. »Nein, ist schon okay«, sagte
er.
Das Buch, das der
Ladenbesitzer ihm ausgehändigt hatte, war Die
Schatzinsel von Robert Louis Stevenson. Was passiert war,
war einleuchtend genug – er war in Gedanken bei Pop gewesen, und er
hatte sich geirrt. Der wahre Irrtum bestand jedoch darin, daß er
nach Castle Rock zurückgekehrt war. Wie war er nur auf diese blöde
Idee gekommen?
»Hören Sie, das ist
ein interessanter Laden, den Sie hier haben, aber ich muß weiter.
Wir sehen uns ein andermal, Mr....«
»Gaunt«, sagte der
Ladenbesitzer und streckte ihm die Hand entgegen. »Leland
Gaunt.«
Ace streckte
gleichfalls die Hand aus, und sie wurde verschluckt. Im Augenblick
der Berührung schien eine starke, elektrisierende Kraft in ihn
hineinzuschießen. In seinem Kopf flammte abermals dieses
dunkelblaue Licht auf: diesmal eine gewaltige, gleißende
Fackel.
Er zog seine Hand
zurück, benommen und mit weichen Knien.
»Was war
das?« flüsterte er.
»Ich glaube, man
nennt es einen ›Aufmerksamkeits-Erreger<«, sagte Mr. Gaunt.
Seine Stimme klang ruhig und gelassen. »Und Sie werden mir Ihre
Aufmerksamkeit widmen müssen, Mr. Merrill.«
»Woher wissen Sie
meinen Namen? Ich habe Ihnen nicht gesagt, wie ich
heiße.«
»Oh, ich weiß, wer
Sie sind«, sagte Mr. Gaunt mit einem kleinen Auflachen. »Ich habe
Sie erwartet.«
»Wie ist das
möglich? Ich wußte ja selber nicht, daß ich herkommen würde, bevor
ich in das verdammte Auto gestiegen bin.«
»Bitte,
entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Gaunt kehrte zur Tür zurück, bückte sich und
hob ein Schild auf, das an der Wand lehnte. Dann nahm er das Schild
ab und hängte statt dessen
auf.
GEHILFE GESUCHT
KOLUMBUS-TAG GESCHLOSSEN
»Warum tun Sie das?«
Ace fühlte sich wie ein Mann, der gerade gegen einen mit mäßig
starkem Strom geladenen Drahtzaun gestolpert ist.
»Es ist üblich, daß
Ladenbesitzer solche Schilder abnehmen, wenn sie die gesuchte Hilfe
gefunden haben«, sagte Mr. Gaunt. »Mein Geschäft in Castle Rock ist
auf sehr zufriedenstellende Weise gewachsen, und ich sehe, daß ich
einen kräftigen Rücken und ein zusätzliches Paar Hände brauche. Ich
ermüde in letzter Zeit sehr schnell.«
»Hey, ich habe nicht
vor...«
»Außerdem brauche
ich einen Fahrer«, sagte Mr. Gaunt. »Autofahren ist, glaube ich,
das, was Sie am besten können. Ihr erster Job, Ace, besteht darin,
daß Sie nach Boston fahren. Ich habe einen Wagen, der dort in einer
Garage steht. Er wird Ihnen Spaß machen – es ist ein
Tucker.«
»Ein Tucker?« Einen
Augenblick lang vergaß Ace, daß er nicht gekommen war, um eine
Stellung anzunehmen – weder als Ladengehilfe noch als Chauffeur.
»Sie meinen, so einen wie in diesem Film?«
»Nicht ganz«, sagte
Mr. Gaunt. Er trat hinter den Tresen, auf dem seine altmodische
Registrierkasse stand, brachte einen Schlüssel zum Vorschein und
schloß die darunter befindliche Schublade auf. Er holte zwei kleine
Umschläge heraus. Einen von ihnen legte er auf den Tresen. Den
anderen hielt er Ace hin. »Es wurden etliche Veränderungen
vorgenommen. Hier. Die Schlüssel.«
»Hey, nicht so
hastig. Ich habe Ihnen doch gesagt...«
Mr. Gaunts Augen
hatten eine merkwürdige Farbe, die Ace nicht recht zu bestimmen
wußte, aber als sie zuerst dunkel wurden und ihn dann anfunkelten,
spürte er, wie seine Knie wieder weich wurden.
»Sie stecken in der
Klemme, Ace, aber wenn Sie nicht aufhören, sich zu benehmen wie ein
Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, dann werde ich wohl das
Interesse daran verlieren, Ihnen zu helfen. Ladengehilfen gibt es
wie Sand am Meer. Ich weiß es, das können Sie mir glauben. Im Laufe
der Jahre habe ich Hunderte von ihnen angeheuert. Vielleicht sogar
Tausende. Also hören Sie auf mit dem Quatsch und nehmen Sie die Schlüssel.«
Ace nahm den kleinen
Umschlag entgegen. Als seine Fingerspitzen die von Mr. Gaunt
berührten, erfüllte abermals dieses dunkelblaue Feuer seinen Kopf.
Er stöhnte.
»Sie werden mit
Ihrem Wagen zu der Adresse fahren, die ich Ihnen nennen werde«,
sagte Mr. Gaunt, »und ihn dort abstellen, wo jetzt meiner
untergebracht ist. Ich erwarte Sie bis spätestens Mitternacht
zurück. Ich glaube sogar, daß Sie wesentlich früher wieder hier
sein werden. Mein Wagen ist bedeutend schneller, als er
aussieht.«
Er lächelte und
entblößte seine sämtlichen Zähne.
Ace versuchte es
noch einmal.
»Hören Sie,
Mr....«
»Gaunt.«
Ace nickte, und sein
Kopf tanzte auf und ab wie der einer laienhaft geführten
Marionette. »Unter anderen Umständen würde ich Ihr Angebot
annehmen. Sie sind – interessant.« Das war nicht das Wort, das er
gesucht hatte, aber es war das beste, das seine Zunge im Moment
hergab. »Aber Sie haben recht – ich stecke tatsächlich in der
Klemme, und wenn ich nicht in den nächsten zwei Wochen einen großen
Haufen Geld auftreibe, dann...«
»Und wie wäre es mit
dem Buch?« fragte Mr. Gaunt. Sein Tonfall war amüsiert und
vorwurfsvoll zugleich. »Sind Sie nicht deshalb
hereingekommen?«
»Es ist nicht, was
ich...«
Er stellte fest, daß
er es noch immer in der Hand hielt und schaute abermals darauf. Das
Bild war das gleiche, aber der Titel hatte sich wieder in den
verwandelt, den er im Schaufenster gelesen hatte: Lost and Buried Treasures of New England von
Reginald Merrill.
»Was ist das?« fragte er mit schwerer Zunge. Aber
plötzlich wußte er es. Er war überhaupt nicht in Castle Rock; er
war daheim in Mechanic Falls, lag auf seinem schmutzigen Bett und
träumte dies alles.
»Für mich sieht es
aus wie ein Buch«, sagte Mr. Gaunt. »Und hat Ihr verstorbener Onkel
nicht Reginald Merrill geheißen? Was für ein Zufall.«
»Mein Onkel hat in
seinem ganzen Leben nichts anderes geschrieben als Schuldscheine
und Quittungen«, sagte Ace mit der gleichen schwerfälligen,
schläfrigen Stimme. Er schaute wieder zu Gaunt auf und stellte
fest, daß er den Blick nicht abwenden konnte. Gaunts Augen
wechselten nach wie vor die Farbe. Blau – grau – haselnußbraun –
dunkelbraun – schwarz.
»Nun«, gab Mr. Gaunt
zu, »vielleicht ist der Name auf dem Buch ein Pseudonym. Vielleicht
habe ich es selbst geschrieben.«
»Sie?«
Mr. Gaunt legte die
Fingerspitzen unter dem Kinn zusammen. »Vielleicht ist es überhaupt
kein Buch. Vielleicht sind all die Sachen, die ich verkaufe,
überhaupt nicht das, was sie zu sein scheinen. Vielleicht sind es
in Wirklichkeit einfach graue Dinge mit nur einer bemerkenswerten
Besonderheit – der Fähigkeit, die Formen derjenigen Dinge
anzunehmen, die Männer und Frauen in ihren Träumen verfolgen.« Er
hielt einen Moment inne, dann setzte er nachdenklich hinzu:
»Vielleicht sind sie selbst nur Träume.«
»Ich verstehe kein
Wort.« Gaunt lächelte. »Ich weiß. Und es spielt auch keine Rolle.
Wenn Ihr Onkel ein Buch geschrieben hätte – wäre es dann nicht eines über vergrabene
Schätze gewesen? Würden Sie nicht sagen, daß Schätze – ob in der
Erde vergraben oder in den Taschen seiner Mitmenschen – ein Thema
waren, das ihn faszinierte?«
»Von Geld konnte er
nicht genug bekommen«, sagte Ace bitter.
»Und was ist damit
passiert?« rief Mr. Gaunt. »Hat er Ihnen ein Teil davon vermacht?
Bestimmt hat er das getan; sind Sie nicht sein einziger
überlebender Verwandter?«
»Er hat mir nicht
einen roten Heller hinterlassen!« schrie Ace wütend. »Jedermann in
der Stadt sagte, der alte Mistkerl besäße noch den ersten Groschen,
den er eingesackt hatte. Aber als er starb, waren nicht einmal
viertausend Dollar auf seinem Konto. Das reichte gerade aus, um ihn
zu begraben und das Chaos aufzuräumen, das er hinterlassen hat. Und
wissen Sie, was man gefunden hat, als man sein Schließfach
öffnete?«
»Ja«, sagte Mr.
Gaunt, und obwohl sein Mund ernst war – und sogar mitfühlend –
lachten seine Augen. »Rabattmarken. Sechs Alben mit Plaid-Marken
und vierzehn mit Gold Bond-Marken.«
»Genau!« sagte Ace.
Er blickte haßerfüllt auf Lost and Buried
Treasures of New England herab. Im Augenblick war er zu
wütend, um nervös zu sein oder sich in Träume zu verlieren. »Und
wissen Sie was? Man kann Gold Bond-Marken nicht einmal mehr
einlösen. Die Firma existiert nicht mehr. Jedermann in Castle Rock
hatte Angst vor ihm – sogar ich hatte
ein bißchen Angst vor ihm -, und alle Leute glaubten, er schwämme
in Geld, aber als er starb, war er pleite.«
»Vielleicht hat er
den Banken nicht getraut«, sagte Mr. Gaunt. »Vielleicht hat er
seinen Schatz vergraben. Halten Sie das für möglich,
Ace?«
Ace öffnete den
Mund. Schloß ihn wieder. Öffnete ihn. Schloß ihn.
»Lassen Sie das«,
sagte Mr. Gaunt. »Sie sehen aus wie ein Fisch in einem
Aquarium.«
Ace betrachtete das
Buch in seiner Hand. Er legte es auf den Tresen und durchblätterte
die in einer kleinen Schrift eng bedruckten Seiten. Und dann fiel
etwas heraus. Es war ein großes Stück braunes Papier, unregelmäßig
zusammengefaltet, und er erkannte es sofort – es war aus einer der
Tragetaschen von Hemphill’s Market herausgerissen worden. Wie oft
hatte er als kleiner Junge beobachtet, daß sein Onkel ein Stück
braunes Papier von einer der Taschen abriß, die er unter seiner
uralten Tokeheim-Registrierkasse aufbewahrte? Wie oft hatte er
beobachtet, wie er Zahlen auf einen solchen Fetzen addierte – oder
einen Schuldschein darauf schrieb?
Er entfaltete es mit
zitternden Händen.
Es war eine Karte,
soviel war klar, aber zuerst konnte er nicht das geringste damit
anfangen – es war nur ein Haufen Linien und Kreuze und schnörkelige
Kreise.
»Was zum Teufel soll
das bedeuten?«
»Sie brauchen etwas,
das Ihre Konzentration fördert, das ist alles«, sagte Mr. Gaunt.
»Dies könnte helfen.«
Ace schaute auf. Mr.
Gaunt hatte einen kleinen Spiegel in dekorativem Silberrahmen auf
die Vitrine neben seiner Registrierkasse gelegt. Jetzt öffnete er
den anderen Umschlag, den er aus der verschlossenen Schublade
geholt hatte, und schüttete eine großzügig bemessene Menge Kokain
auf den Spiegel. Für Ace’s nicht ungeschultes Auge sah es aus wie
Stoff von unwahrscheinlich guter Qualität; der Punktstrahler über
der Vitrine zauberte Tausende von Fünkchen aus den sauberen
Flocken.
»Jesus, Mister!«
Ace’s Nase begann erwartungsvoll zu kribbeln. »Ist das
kolumbianisches?«
»Nein, das ist eine
Spezialmischung«, sagte Mr. Gaunt. »Sie kommt von den Ebenen von
Leng.« Er holte einen goldenen Brieföffner aus der Innentasche
seines rehfarbenen Jacketts und verteilte das Häufchen Stoff in
lange, rundliche Linien.
»Wo liegt
das?«
»Hinter den Bergen
und weit weg«, erwiderte Mr. Gaunt, ohne aufzusehen. »Stellen Sie
keine Fragen, Ace. Männer, die anderen Geld schulden, tun gut
daran, die guten Dinge, die ihnen begegnen, einfach zu
genießen.«
Er steckte den
Brieföffner wieder weg und zog ein kurzes Glasröhrchen aus
derselben Tasche. Er gab es Ace. »Bedienen Sie sich.«
Das Röhrchen war
erstaunlich schwer – offenbar war es nicht aus Glas, sondern aus
irgendeiner Art Bleikristall. Er beugte sich über den Spiegel, dann
zögerte er. Was war, wenn der alte Kerl AIDS hatte oder etwas
dergleichen?
Stellen Sie keine Fragen, Ace. Männer, die anderen Geld
schulden, tun gut daran, die guten Dinge, die ihnen begegnen,
einfach zu genießen.
»Amen«, sagte Ace
und zog hoch. Sein Kopf füllte sich mit dem vagen
Bananen-Zitronen-Geschmack, den wirklich gutes Kokain immer mit zu
bringen schien. Es war mild, aber es war auch stark. Er spürte, wie
sein Herz zu hämmern begann. Gleichzeitig schärfte sich sein
Denkvermögen. Er erinnerte sich an das, was ihm einmal ein Mann
gesagt hatte, nicht lange, nachdem er sich in dieses Zeug verliebt
hatte. Die Dinge haben mehr Namen, wenn du
voll bist. Wesentlich mehr Namen.
Damals hatte er das
nicht verstanden, aber jetzt glaubte er es zu
verstehen.
Er bot Gaunt das
Glasröhrchen an, doch der schüttelte den Kopf. »Niemals vor fünf«,
sagte er, »aber Sie können sich gern bedienen.«
»Danke«, sagte
Ace.
Er schaute wieder
auf die Karte und stellte fest, daß er sie jetzt mühelos lesen
konnte. Die beiden parallelen Linien mit dem X dazwischen standen
ganz offensichtlich für die Tin Bridge, und sobald man das erst
einmal begriffen hatte, ergab sich alles andere von selbst. Die
Schlangenlinie, die zwischen den Linien und durch das X hindurch
bis an die Oberkante der Karte führte, war die Route 117. Bei dem
kleinen Kreis mit dem größeren Kreis dahinter mußte es sich um die
Meierei der Gavineaux handeln; der große Kreis stand für den
Kuhstall. Alles ergab einen Sinn. Es war so klar und sauber und
funkelnd wie das prächtige Häufchen Stoff, das dieser unglaublich
irre Typ aus dem kleinen Umschlag herausgeschüttet
hatte.
Ace beugte sich
wieder über den Spiegel. »Feuer frei«, murmelte er und zog weitere
zwei Linien ein. Bang! Zap! »Himmel, ist das ein toller Stoff!«
sagte er mit keuchender Stimme.
»So ist es«,
pflichtete Mr. Gaunt ihm bei.
Ace schaute auf,
plötzlich ganz sicher, daß der Mann ihn auslachte, aber Mr. Gaunts
Gesicht war gelassen, und er hatte keine Miene verzogen. Ace beugte
sich wieder über die Karte.
Jetzt waren es die
Kreuze, die seinen Blick einfingen. Es waren sieben – nein, sogar
acht. Eines schien auf dem öden Sumpfland zu liegen, das dem alten
Treblehorn gehörte. Der alte Treblehorn war tot, schon seit vielen
Jahren; und hatte es damals nicht irgendwelches Gerede gegeben, daß
sein Onkel Reginald den größten Teil seines Landes als Rückzahlung
für ein Darlehen erhalten hatte?
Hier noch eins, am
Rande des Naturschutzgebietes an der anderen Seite von Castle View,
wenn ihn seine geographischen Kenntnisse nicht täuschten. Zwei
waren draußen an der Town Road Nr. 3, in der Nähe eines Kreises,
der wahrscheinlich für die alte Bude von Joe Camber stand, Seven
Oaks Farm. Zwei weitere auf dem Land, das angeblich Diamond Match
gehörte, am Westufer des Castle Lake.
Ace starrte Gaunt
mit blutunterlaufenen Augen an. »Hat er sein Geld vergraben? Ist es
das, was die Kreuze bedeuten? Sind das die Stellen, an denen er sein Geld vergraben hat?«
Mr. Gaunt zuckte
elegant die Achseln. »Ich weiß es wirklich nicht. Es erscheint
logisch, aber Logik hat oft nur wenig damit zu tun, wie Leute sich
in Wirklichkeit verhalten.«
»Aber es
könnte sein«, sagte Ace. Er war fast
von Sinnen vor Aufregung und einer Überdosis Kokain; etwas, das
sich anfühlte wie steife Bündel von Kupferdrähten, explodierte in
den dicken Muskeln seiner Arme und seines Bauches. Sein
normalerweise bleiches Gesicht, gezeichnet von den Narben seiner
Pubertäts-Akne, war dunkel gerötet. »Es könnte sein! All die
Stellen, an denen die Kreuze stehen – sie alle
könnten zu Pops Grundbesitz gehört haben! Ist Ihnen das
klar? Vielleicht hat er seinen ganzen Grundbesitz in eine blinde
Stiftung eingebracht oder wie zum Teufel man das nennt – so daß
niemand ihn kaufen kann – und daß niemand finden kann, was er da
versteckt hat...«
Er schnupfte den
Rest des Kokains auf dem Spiegel, dann beugte er sich über den
Tresen. Seine hervorgequollenen Augen flackerten.
»Ich könnte mehr
sein als nur aus der Scheiße heraus«, sagte er leise und mit
zitternder Stimme. »Ich könnte stinkreich sein.«
»Ja«, sagte Mr. Gaunt. »Ich würde sagen, es
ist möglich. Aber vergessen Sie das hier nicht, Ace.« Er deutete
mit dem Daumen zur Wand und auf das Schild, auf dem stand
UMTAUSCH UND GELDRÜCKGABE AUSGESCHLOSSEN CAVEAT EMPTOR
Ace betrachtete das
Schild. »Und was bedeutet das?«
»Es bedeutet, daß
Sie nicht der erste sind, der jemals geglaubt hat, in einem alten
Buch den Schlüssel zu großen Reichtümern gefunden zu haben«, sagte
Mr. Gaunt. »Es bedeutet außerdem, daß ich nach wie vor einen
Gehilfen und einen Chauffeur brauche.«
Ace sah ihn an, fast
schockiert. Dann lachte er. »Sie machen wohl Witze?« Er deutete auf
die Karte. »Ich habe eine Menge Buddelei vor mir.«
Mr. Gaunt seufzte
bedauernd, faltete das Blatt Papier zusammen, legte es wieder in
das Buch und packte das Buch in die Schublade unter der
Registrierkasse. All das tat er mit unglaublicher
Schnelligkeit.
»Hey!« rief Ace.
»Was machen Sie da?«
»Mir ist gerade
eingefallen, daß ich das Buch bereits einem anderen Kunden
versprochen habe. Tut mir leid, Mr. Merrill. Außerdem habe ich
heute ohnehin geschlossen – es ist Kolumbus-Tag, wie Sie
wissen.«
»Warten Sie eine
Minute!«
»Natürlich, wenn Sie
geneigt gewesen wären, den Job anzunehmen, wären wir ins Geschäft
gekommen. Aber ich sehe, daß Sie sehr beschäftigt sind; Sie wollen
zweifellos Ihre Angelegenheit in Ordnung bringen, bevor die Brüder
Corson Sie tranchieren.«
Ace’s Mund hatte
wieder begonnen, sich zu öffnen und zu schließen. Er versuchte sich
zu erinnern, wo die kleinen Kreuze gewesen waren, und stellte fest,
daß er es nicht konnte. In seinem aufgepeitschten, fliegenden
Verstand schienen sie sich alle zu einem einzigen Kreuz zu
vereinigen – einem Kreuz von der Art, wie man sie auf Friedhöfen
sah.
»All right!« schrie
er. »All right. Ich nehme den Scheißjob an!«
»In diesem Fall
steht das Buch, glaube ich, doch zum Verkauf«, sagte Mr. Gaunt. Er
holte er aus der Schublade und warf einen Blick auf das
Vorsatzblatt. »Es ist mit anderthalb Dollar ausgezeichnet.« Seine
schiefen Zähne kamen in einem breiten Haifischgrinsen zum
Vorschein. »Das macht einen Dollar und fünfunddreißig Cents – mit
Mitarbeiter-Rabatt.«
Ace zog die
Brieftasche aus der Gesäßtasche, ließ sie fallen und wäre, als er
sich bückte, um sie aufzuheben, fast mit dem Kopf gegen die Kante
der Vitrine geschlagen.
»Aber ich muß auch
ein bißchen Freizeit haben«, erklärte er Mr. Gaunt.
»So ist
es.«
»Weil ich wirklich
eine Menge buddeln muß.«
»Natürlich.«
»Die Zeit ist
knapp.«
»Wie klug von Ihnen,
das zu wissen.«
»Wenn ich aus Boston
zurückkomme?«
»Werden Sie dann
nicht müde sein?«
»Mr. Gaunt, ich kann
es mir nicht leisten, müde zu sein.«
»In dieser Beziehung
könnte ich Ihnen vielleicht helfen«, sagte Mr. Gaunt. Sein Grinsen
wurde noch breiter, und seine Zähne ragten daraus heraus wie die
Zähne eines Totenschädels. »Es könnte sein, daß ich eine kleine
Aufmunterung für Sie habe, das will ich damit sagen.«
»Was?« fragte Ace
mit geweiteten Augen. »Was haben Sie gesagt?«
»Wie
bitte?«
»Nichts«, sagte Ace.
»Lassen wir das.«
«Also gut. – Haben
Sie noch die Schlüssel, die ich Ihnen gegeben habe?«
Ace stellte
überrascht fest, daß er den Umschlag mit den Schlüsseln in die
Hosentasche gesteckt hatte.
»Gut.« Mr. Gaunt
tippte 1.35 Dollar in die alte Registrierkasse ein, nahm die
Fünf-Dollar-Note, die Ace auf den Tresen gelegt hatte, und gab ihm
drei Dollar und fünfundsechzig Cents Wechselgeld heraus. Ace nahm
es wie ein Mann in einem Traum.
»Und nun«, sagte Mr.
Gaunt, »werde ich Ihnen ein paar Anweisungen erteilen, Ace. Und
denken Sie daran, was ich gesagt habe: ich will, daß Sie bis
Mitternacht wieder hier sind. Wenn Sie nicht bis Mitternacht wieder
hier sind, werde ich traurig sein. Und wenn ich traurig bin,
verliere ich manchmal die Beherrschung. Und Sie wären bestimmt
nicht gern in der Nähe, wenn das passiert.«
»Werden Sie dann zum
Wilden Mann?« fragte Ace grinsend.
Mr. Gaunt blickte
auf – mit einer Wildheit, die Ace veranlaßte, einen Schritt
zurückzuweichen. »Ja«, sagte er. »Genau das tue ich, Ace. Ich werde
zum Wilden Mann. Und nun hören Sie gut zu.«
Ace hörte gut
zu.