4
Albert Grendon hatte
seine Zahnarztpraxis im Castle Building, einem langweiligen
Ziegelsteinbau gegenüber dem Gebäude der Stadtverwaltung und dem
Zementkasten, in dem die Wasserwerke von Castle County residieren.
Das Castle Building hatte seinen Schatten seit 1924 über den Castle
Stream und die Tin Bridge geworfen; es beherbergte drei der fünf
Rechtsanwälte des Counties, einen Optometriker, einen Audiologen,
mehrere selbständige Grundstücksmakler, einen Kreditberater, eine
Frau, die einen Auftragsdienst versah, und eine Rahmenhandlung. Das
andere halbe Dutzend Büros in dem Gebäude stand gegenwärtig
leer.
Albert, der seit den
Tagen des alten Father O’Neil eine der getreuesten Stützen von Our
Lady of Serene Waters gewesen war, kam jetzt in die Jahre – sein
einst schwarzes Haar verwandelte sich in Salz und Pfeffer, seine
breiten Schultern sackten auf eine Art herab, wie sie es in seiner
Jugend nie getan hatten. Aber er war noch immer ein beeindruckender
Mann – mit einer Größe von einsachtundachtzig und einem Gewicht von
hundertvierzig Kilo war er der größte Mann in der Stadt, wenn nicht
gar im ganzen County.
Er stieg langsam die
schmale Treppe zum dritten und obersten Stockwerk empor, machte auf
den Treppenabsätzen halt, um wieder zu Atem zu kommen, bevor er
weiterging, eingedenk des Herzmurmelns, von dem Dr. Van Allen
gesagt hatte, daß er es jetzt hätte. Auf halber Höhe der letzten
Treppe sah er ein Blatt Papier, das an der Mattglasscheibe seiner
Praxistür klebte und die Aufschrift Albert Gendron D. D. S.
verdeckte.
Er konnte die Anrede
auf diesem Blatt lesen, als er noch fünf Stufen vom Absatz entfernt
war, und sein Herz begann heftiger zu schlagen. Nur war es nicht
die Anstrengung, die es veranlaßte, den wilden Mann zu spielen; es
war Empörung.
HÖRT ZU, IHR
MAKRELENFRESSER! stand, mit leuchtendrotem Marker geschrieben, am
Kopf des Blattes.
Albert riß den Brief
von der Tür und las ihn schnell. Dabei atmete er durch die Nase –
und was herauskam, war ein rauhes, schnaubendes Geräusch, das sich
anhörte wie ein angriffslustiger Bulle.
HÖRT ZU, IHR MAKRELENFRESSER!Wir haben versucht, vernünftig mit euch zu reden – »Wer Ohren hat zu hören, der höre!« – aber es war sinnlos. IHR SEID AUF DEM WEGE DER VERDAMMNIS, UND AN IHREN WERKEN SOLLT IHR SIE ERKENNEN. Wir haben euren papistischen Götzendienst hingenommen und sogar eure lüsterne Verehrung der Großen Hure Babylon. Aber jetzt seid ihr zu weit gegangen. ES WIRD KEIN WÜRFELN MIT DEM TEUFEL GEBEN IN CASTLE ROCK!Anständige Christen können HÖLLENFEUER und SCHWEFEL riechen in diesem Herbst in Castle Rock. Wenn ihr es nicht könnt, so liegt das daran, daß eure Nasen verstopft sind von eurer eigenen Sünde und Entartung. HÖRET UNSERE WARNUNG UND BEACHTET SIE. VERZICHTET AUF EURE PLÄNE, DIESE STADT IN EIN NEST DER DIEBE UND GLÜCKSSPIELER ZU VERWANDELN, SONST WERDET IHR DAS HÖLLENFEUER RIECHEN! IHR WERDET DEN SCHWEFEL RIECHEN!»Die Gottlosen müssen zur Hölle gekehret werden, alle Heiden, die Gottes vergessen.« Psalm 9.17.HÖRET ES UND BEHERZIGT ES, SONST WIRD EUER KLAGEGESCHREI WAHRHAFTIG LAUT SEIN.DIE BETROFFENEN BAPTISTISCHEN MÄNNER VON CASTLE ROCK.
»Scheiße auf Toast«,
sagte Albert schließlich und zerknüllte das Blatt in seiner
massigen Faust. »Dieser schwachsinnige kleine Schuhverkäufer hat
wohl endgültig den Verstand verloren.«
Seine erste
Amtshandlung nach dem Aufschließen seiner Praxis war ein Anruf bei
Father John, den er darüber informierte, daß das Spiel um die
Kasino-Nacht jetzt wohl ein wenig hitziger werden
würde.
»Keine Sorge,
Albert«, sagte Father Brigham gelassen. »Wenn der Schwachkopf uns
anrempelt, dann wird er erfahren müssen, wie hart wir
Makrelenfresser zurückrempeln können – habe ich
recht?«
»Sie haben recht,
Father«, sagte Albert. Er hielt noch immer das zerknüllte Blatt in
der Hand. Jetzt schaute er darauf herab, und unter seinem
Schnauzbart erschien ein häßliches kleines Lächeln. »Sie haben
recht.«