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Das silberne
Glöckchen bimmelte.
Cora Rusk kam
herein, fest entschlossen, das Foto von The King zu kaufen, und
fassungslos, als Mr. Gaunt ihr mitteilte, daß es bereits verkauft
war. Cora wollte wissen, wer es gekauft hatte. »Tut mir leid«,
sagte Mr. Gaunt, »aber die Dame kam von außerhalb. Der Wagen, den
sie fuhr, hatte ein Nummernschild von Oklahoma.«
»Das ist doch nicht
zu fassen!« rief Cora voller Verdruß
und echter Pein. Ihr war nicht bewußt gewesen, wieviel ihr an dem
Foto lag, bis Mr. Gaunt ihr gesagt hatte, daß es nicht mehr da
war.
Zu jener Zeit
befanden sich Henry Gendron und seine Frau Yvette im Laden, und Mr.
Gaunt bat Cora, eine Minute zu warten, während er sie bediente. Er
hätte etwas, erklärte er ihr, von dem er glaubte, daß es sie
ebensosehr oder sogar noch mehr interessieren würde. Nachdem er den
Gendrons einen Teddybären – ein Geschenk für ihre Tochter –
verkauft und sie zur Tür begleitet hatte, fragte er Cora, ob sie
noch einen Moment länger warten könnte, während er etwas im
Hinterzimmer suchte. Cora wartete, aber ohne großes Interesse oder
sonderliche Erwartungen. Eine dunkelgraue Depression hatte sie
befallen. Sie hatte Hunderte von Fotos von The King gesehen,
vielleicht sogar Tausende, und besaß
selbst ein halbes Dutzend, aber dieses eine hatte irgendetwas
Besonderes an sich gehabt. Sie haßte die Frau aus
Oklahoma.
Dann kam Mr. Gaunt
mit einem kleinen Brillenetui aus Echsenleder zurück. Er öffnete es
und zeigte Cora eine Fliegerbrille mit dunkel rauchgrauen Gläsern.
Der Atem blieb ihr im Halse stecken, ihre rechte Hand fuhr zu ihrem
zitternden Hals empor.
»Ist das...« begann
sie, dann brachte sie nichts mehr heraus.
»Die Sonnenbrille
von The King«, pflichtete Mr. Gaunt ihr feierlich bei. »Eine von
sechzig. Aber ich habe mir sagen lassen, daß dies seine
Lieblingsbrille war.«
Cora kaufte die
Sonnenbrille für neunzehn Dollar und fünfzig Cents.
»Außerdem brauche
ich noch ein paar Informationen.« Mr. Gaunt musterte Cora mit einem
Blinzeln. »Nennen wir es eine Art Aufpreis.«
»Informationen?«
fragte Cora zweifelnd. »Was für Informationen?«
»Sehen Sie aus dem
Fenster, Cora.«
Cora tat, wie ihr
geheißen war, aber ihre Hände ließen die Sonnenbrille keine Sekunde
los. Auf der anderen Straßenseite parkte Castle Rocks Streifenwagen
Nummer 1 vor The Clip Joint. Alan Pangborn stand auf dem Gehsteig
und unterhielt sich mit Bill Fullerton.
»Sehen Sie den Mann
dort?« fragte Gaunt.
»Wen? Bill
Ful...«
»Nein, Sie dumme
Person«, sagte Gaunt. »Den anderen.«
»Sheriff
Pangborn?«
»Richtig.«
»Ja, ich sehe ihn.«
Cora fühlte sich dumpf und benommen. Gaunts Stimme schien aus
großer Ferne zu kommen. Sie konnte nicht aufhören, an ihren Kauf zu
denken – die wundervolle Sonnenbrille. Sie wollte nach Hause und
sie ausprobieren – aber natürlich konnte sie nicht gehen, bevor es
ihr erlaubt wurde, denn der Handel war erst abgeschlossen, wenn Mr.
Gaunt sagte, daß er abgeschlossen
war.
»Er sieht aus wie
etwas, was die Leute in meiner Branche einen zähen Brocken nennen«,
sagte Mr. Gaunt. »Was halten Sie von ihm, Cora?«
»Er ist auf Draht«,
sagte Cora. »Er wird nie ein Sheriff sein, wie der alte George
Bannermann einer war – das sagt jedenfalls mein Mann -, aber er ist
mächtig auf Draht.«
»Ach wirklich?« Mr.
Gaunts Stimme hatte wieder diesen mißfälligen, nörgelnden Beiklang.
Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und ruhten unverwandt
auf Alan Pangborn. »Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten, Cora?
Ich habe nicht viel übrig für Leute, die auf Draht sind, und ich
hasse zähe Brocken. Zähe Brocken sind mir ein Greuel. Ich traue Leuten nicht, die alles umdrehen
und nach Sprüngen suchen, bevor sie sich zum Kauf entschließen. Sie
etwa?«
Cora erwiderte
nichts. Sie stand nur da, hielt das Etui mit der Sonnenbrille von
The King in der linken Hand und starrte leeren Blickes aus dem
Fenster.
»Wenn ich nach
jemandem suchen würde, der Sheriff Pangborn im Auge behält, wer
käme da in Frage?«
»Polly Chalmers«
sagte Cora mit ihrer benommenen Stimme. »Sie hat eine Menge für ihn
übrig.«
Gaunt schüttelte
sofort den Kopf. Seine Augen ruhten unverwandt auf Alan, als er zu
seinem Streifenwagen ging, einen kurzen Blick über die Straße auf
Needful Things warf und dann einstieg und davonfuhr. »Geht
nicht.«
»Sheila Brigham?«
fragte Cora zweifelnd. »Sie sitzt im Büro des Sheriffs in der
Telefonzentrale.«
»Ein guter Gedanke,
aber sie ist auch ungeeignet. Auch ein zäher Brocken. Von denen
gibt es in jeder Stadt ein paar – traurig, aber wahr.«
Cora dachte nach,
auf ihre benommen-abwesende Art. »Eddie Warburton«, sagte sie
schließlich. »Der Hausmeister im Gebäude der
Stadtverwaltung.«
Gaunts Gesicht
hellte sich auf. »Der Hausmeister!« sagte er. »Hervorragend! Einer
von der grauen Kolonne! Wirklich hervorragend!« Er beugte sich über den Tresen und
pflanzte einen Kuß auf Coras Wange.
Sie fuhr zurück,
verzog das Gesicht und rieb heftig über die Stelle. Aus ihrer Kehle
kam ein kurzer, würgender Laut, aber Mr. Gaunt schien es nicht zu
bemerken. Auf seinem Gesicht lag ein großes, strahlendes
Lächeln.
Cora ging (nach wie
vor mit dem Handrücken ihre Wange reibend), als Stephanie Bonsaint
und Cyndi Rose Martin vom Ash Street Bridge Club hereinkamen. Cora
hätte Steffie Bonsaint in ihrer Eile fast umgerannt; sie verspürte
das dringende Verlangen, so schnell wie möglich nach Hause zu
kommen. Nach Hause zu kommen und diese Brille auszuprobieren. Doch
bevor sie das tat, wollte sie ihr Gesicht waschen und diesen
widerwärtigen Kuß loswerden. Sie spürte, wie er in ihrer Haut
brannte wie ein leichtes Fieber.
Über der Tür
bimmelte das silberne Glöckchen.