„Ja, und jetzt geh ans andere Fenster!“, befahl er.
Caitlyn riss der Geduldsfaden. „Wenn du nur hier bist, um mich wütend anzublaffen, kannst du dir jede Mühe sparen.“
„Ich bin ohne Pause durch diesen furchtbaren Schneesturm geritten und werde jetzt nicht... “
Sie knallte das Fenster zu, und noch mehr Glasscherben klirrten auf den Fußboden. Dann stapfte sie zum Bett hinüber, schüttelte ihre Stiefeletten von den Füßen und schlüpfte unter die Decke, ohne vorher ihren Morgenmantel auszuziehen. Warum war er den ganzen weiten Weg hierhergekommen, wenn er sie nur anschreien wollte? Und warum hatte er so verdammt lange dafür gebraucht?
Der Wind wurde stärker und blies durch die zerbrochene Scheibe. Wenn MacLean sich nicht bald einen Unterschlupf suchte, würde er da draußen erfrieren. Sie dachte darüber nach, die Decke zurückzuschlagen und aus dem Fenster zu schauen, zwang sich aber, im Bett zu bleiben.
Was machte es ihr schon aus, wenn er mit einem Umhang als einzigem Schutz im eisigen Wind herumstand und sich eine tödliche Erkältung holte? Auch wenn sie ihn noch so sehr liebte, es war offensichtlich, dass er nicht ebenso für sie empfand, also war es vielleicht besser, wenn er sich einfach irgendwo zusammenrollte und starb.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie er schwach und hustend im Bett lag und seine Brüder sich um ihn versammelten. Es würde ihn zu Tode erschrecken, dass jemand an seinem Krankenlager wachte, auch wenn er tatsächlich krank war. Doch das würde ihm recht geschehen. Dennoch rollte bei dem Gedanken, dass Alexander tot sein würde, eine Träne über ihre Wange. Verdammt noch mal, sie war nicht einmal in der Lage, den Mann anständig zu hassen, selbst nachdem er ihr das Herz gebrochen ...
Von draußen war Lärm zu hören, und sie richtete sich erschrocken auf und starrte zum Fenster. Eine mit einem Schal umwickelte Hand schob sich durch die zerbrochene Scheibe und tastete nach dem Riegel. Gleich darauf schwang der Fensterflügel auf.
Dann stand MacLean in ihrem Zimmer, und sein Umhang umwehte ihn, während er die Fensterläden vor die kaputte Scheibe klappte und das Fenster verriegelte.
Schließlich wandte er sich ihr zu, hochgewachsen und Furcht einflößend. „Du musstest unbedingt ein Zimmer im dritten Stock haben, nicht wahr?“ Sein hungriger Blick glitt über ihren Körper.
Sie zog sich die Decke bis zum Kinn, während es sie gleichzeitig heiß und kalt durchlief.
In Alexanders Körper rauschte das Blut. Er hatte gemeint, auf ein Wiedersehen mit ihr vorbereitet zu sein, doch das war ein Irrtum gewesen. Nichts hatte ihn auf ihren Anblick vorbereiten und ihn wappnen können, als sie sich aus ihrem Fenster gelehnt hatte, mit tanzenden Schneeflocken um die goldenen Haare, die über die Schultern fielen, die braunen Augen weit aufgerissen und voller Gefühl - Verwirrung, Erstaunen, Neugier, Besorgnis.
„Was willst du?“ Ihre leise bebende Stimme wärmte ihn mehr als das schwach glimmende Feuer im Kamin.
„Es ist kalt hier drinnen“, stellte er stirnrunzelnd fest.
„Erst seit du meine Fensterscheibe zerbrochen hast. War das nötig?“
Es lag an seinem ungeduldigen Wesen. „Ich wollte nichts kaputt machen, sondern nur erreichen, dass du mir öffnest.“
„Ich war auf dem Weg. Ich dachte, es sei einer meiner Brüder. Manchmal schleichen sie sich aus dem Haus, und wenn sie zurückkommen, sind die Türen abgeschlossen.“
Sie erschauderte, und er ging sofort zum Kamin, legte ein Scheit nach und stocherte in den Flammen, bis sie heller brannten. Dann trat er zur Tür und schob eine Stuhllehne unter den Griff.
„Was machst du da?“
„Ich verschaffe uns ein bisschen Zeit.“
„Gut! Ich will mit dir reden.“
„Ich will nicht mit dir reden. Jedenfalls nicht jetzt.“
„Was meinst du damit?“, erkundigte sie sich und zog die Brauen zusammen.
Statt einer Antwort ging er zu ihrem Kleiderschrank und riss die Türen auf. „Du brauchst einen schweren, warmen Umhang. Hier ist einer.“ Er brachte das Kleidungsstück zu ihrem Bett.
„Ich werde keinen Umhang anziehen, MacLean.“
„Doch, das wirst du tun.“ Er grinste, und ihr fiel auf, dass er müde aussah; rechts und links von seinem Mund hatten sich tiefe Falten eingegraben.
Ihr Herz wurde für einen kurzen Moment weich, doch gleich darauf verschloss sie sich wieder.
„Womit, um alles in der Welt, hast du mich betäubt, Caitlyn, dass ich mich zwei Stunden lang nicht bewegen konnte?“
„Ich weiß es nicht. Mam hat mir ein Mittel gegeben. Sie sagte, es sei ungefährlich, wenn ich dir nicht zu viele Tropfen einflöße.“ „Ich werde ein ernstes Gespräch mit deiner Großmutter führen müssen. Am nächsten Morgen hatte ich schreckliche Kopfschmerzen.“
So war es ihr auch ergangen; ihr Kopf hatte allerdings vom Weinen wehgetan. Die Erinnerung daran sorgte dafür, dass sie umso entschlossener war, ihm Widerstand zu leisten. „Nun, du hattest die verachtenswerte Aufgabe ausgesucht, nicht ich.“
„Das habe ich getan, und ich habe mir schon hundert Mal gesagt, was für ein verdammter Idiot ich war.“ Er streckte die Hand aus und zog ihr die Decke weg. „Zieh den Umhang an und lass uns gehen.“
„Warum?“
„Weil wir heiraten werden.“
Caitlyns Herz erbebte. „Du willst mich heiraten?“
„So bald wie möglich.“
„Weil...?“ Sie hob den Blick, und all ihre Gefühle waren in ihren Augen zu lesen.
„Weil ich dich in meinem Leben brauche. Ohne dich bin ich nicht derselbe, Caitlyn. Wenn du nicht in meiner Nähe bist, dann ...“ Er fuhr sich mit der Hand durch die feuchten Haare, und auf seinem Gesicht lag ein verwirrter Ausdruck. „Ich kann es nicht erklären. Ich bin einfach nicht... ich bin nur ein halber Mensch ohne dich.“
Die Hoffnung leuchtete hell auf, aber sie drängte sie zurück. „Und was ist mit Georgiana?“
Er zog die Brauen zusammen. „Was soll mit ihr sein?“
„Sie war deine Geliebte.“
„Vor langer Zeit. Ich habe sie schon seit fast einem Jahr nicht mehr angefasst.“
„Sie hat mir gesagt...“ Caitlyn brachte die Worte nicht über die Lippen.
„Verdammt noch mal, Caitlyn! Ich weiß nicht, was sie dir erzählt hat, die einzige Wahrheit ist jedoch, dass ich mich damals von ihr in ihr Bett habe locken lassen, aber es schnell wieder für immer verlassen habe.“
Caitlyn spürte, wie sie sich entspannte. „Sie hat ein paar furchtbare Dinge gesagt.“
„Sie ist eine grausame Frau. Ich verspreche, wenn wir erst einmal verheiratet sind, werden wir nie wieder mit ihr reden. Wir werden sie sogar offen schneiden, wenn du das möchtest.“ Dieser Gedanke gefiel Caitlyn sehr. „Wir könnten Lord Dingwall häufig zu uns einladen. Das würde Georgiana wütend machen.“
Alexander verzog den Mund zu einem Grinsen. „Ich habe zwar das Gefühl, dass es mir nicht so wahnsinnig gut gefallen würde, ihn ständig um mich zu haben, aber wenn es dich glücklich macht, tue ich es.“
Ihr Herz wurde warm. Caitlyn suchte seinen Blick und fragte mit leiser Stimme: „Warum bist du hergekommen, Alexander?“ „Weil ich nicht anders konnte. Du ...“ Er schien um die richtigen Worte zu ringen, bis er sich schließlich mit einem unterdrückten Fluch auf ein Knie niedersinken ließ, ihre Hand nahm und sie gegen sein Herz presste. „Seit ich dir begegnet bin, habe ich alles falsch gemacht, Caitlyn. Ich war so verrückt nach dir, dass ich die wirklich wichtigen Dinge vollkommen aus den Augen verloren habe.“
„Welche zum Beispiel?“, erkundigte sie sich atemlos.
„Ich liebe dich.“ In seiner tiefen Stimme schwang ein kaum hörbares Zittern mit.
Tränen stiegen ihr in die Augen.
Er küsste ihre Finger. „Ich bin kein junger Mann mehr, Caitlyn. Ich bin schon fast vierzig. Und du bist dreiundzwanzig.“
„Was spielt das für eine Rolle?“
„Wenn ich fünfzig sein werde, wirst du dreiunddreißig sein und immer noch genauso schön wie jetzt.“
„Ist es etwa die ganze Zeit darum gegangen, MacLean? Glaubst du, du bist zu alt für mich?“
„Jetzt noch nicht. Aber ich hatte Angst vor der Zukunft, vor dem Altersunterschied, durch den zwischen uns eine Kluft entstehen kann. Ich wollte nicht zusehen müssen, wie du das Interesse an mir verlierst und mir entgleitest.“
Sie lächelte sanft. „Das wird niemals geschehen.“
„Falls es doch passiert, wird es den Schmerz wert sein, wenn ich vorher eine gemeinsame Zeit mit dir hatte. Ich liebe dich, und es tut mir leid, dass ich es mir nicht eingestanden habe, bevor du fort warst.“ Er legte die Finger um ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. „Ich liebe dein ungestümes Wesen und den Glanz in deinen Augen, wenn du lachst. Ich liebe es, wie du jeden Bissen von deinem Essen genießt. Ich liebe es sogar, wie du mich anfauchst, wenn du ärgerlich bist. Die Wahrheit ist, dass ich dich schlicht und ergreifend liebe. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
Caitlyns Kehle war so eng, dass sie ihm nicht antworten konnte. Er liebte sie - er liebte sie wirklich. Sie konnte nur ...
Es klopfte an der Tür, dann kam Marys Stimme von draußen: „Ist alles in Ordnung, Caitlyn? Ich habe etwas zerbrechen hören.“ „Es geht mir gut“, rief Caitlyn. „Mir ist nur meine Tasse hinuntergefallen.“
„Und ... ich dachte, ich hätte eine Männerstimme gehört.“ „Nein. Du hast dich getäuscht.“ Caitlyn sah Alexander verschwörerisch an, dann griff sie nach ihrem Umhang, warf ihn über und flüsterte: „Ich muss ihr eine Nachricht hinterlassen und ...“
„Nein, das tust du nicht“, erwiderte er mit gesenkter Stimme, während er ihre Stiefeletten unter dem Bett hervorholte. „Deine Eltern werden morgen früh zurückkehren, und sie wissen bereits, dass ich gekommen bin, um dich zu holen.“
„Meine Eltern? Aber wieso ...“
Leise lachend schob er ihr die Stiefeletten über die Füße. „Ich ...“
„Caitlyn!“ Der Türknauf wurde bewegt. „Was ist mit der Tür los?“
„Sie ist verschlossen. Gute Nacht, Mary!“
MacLean öffnete das Fenster und stieg auf den nächstgelegenen Ast hinaus, dann streckte er die Arme nach Caitlyn aus.
Sie folgte ihm, ohne zu zögern. Ihr Herz tanzte in ihrer Brust. Vorsichtig kletterten sie an dem Baum hinab. Als sie unten angekommen waren, zog er sie in seine Arme und küsste sie lange.
„Wohin gehen wir?“, erkundigte sie sich lächelnd.
„Zu deiner Großmutter. Sie erwartet uns.“ Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Deine Großmutter ist zu mir gekommen.“
Caitlyn starrte ihn mit offenem Mund an.
„Sie hatte mir eine Menge zu sagen, wovon ich nichts wiederholen kann, da ich ein Gentleman bin.“
„Sie besitzt eine scharfe Zunge.“
„Ich bezweifle, ob du auch nur annähernd ahnst, wie scharf ihre Zunge ist. Als sie damit fertig war, mich in Stücke zu zerlegen, sagte ich ihr, dass du ihren Worten über mein Verhalten nicht nur zustimmen, sondern behaupten würdest, es sei noch schlimmer gewesen.“
„Ich habe mich auch nicht gut benommen, Alexander.“
Er griff nach ihren behandschuhten Händen und presste sie gegen seinen Körper. „Aber ich war derjenige, der dich in eine Lage gebracht hat, in der du dich beweisen musstest. Ich hatte kein Recht dazu, dich so sehr herauszufordern, dass du meintest, mit mir wetten zu müssen. Meine einzige Entschuldigung lautet, dass ich ein Dummkopf war. Ich konnte dich einfach nicht in Ruhe lassen.“
„Alexander, bitte, lass das ... “
„Hör mich bis zum Schluss an, Caitlyn. Ich habe dich nicht mit dem Respekt behandelt, den du verdienst. Darin hat deine Großmutter recht. Es tut mir leid, und ich werde so etwas nie wieder machen.“
Caitlyn blickte ihn fragend an. „Hat Mam dich schlimm ausgeschimpft?“
Er lachte leise, und das Geräusch brachte seine Brust zum Vibrieren. „Du hast keine Vorstellung. Nachdem sie sich beruhigt und ich ihr meine Gefühle dargelegt hatte, verlangte sie, dass ich die Dinge in Ordnung bringe. Also habe ich es getan. Auf dem Weg hierher machte ich in London halt, um deine Eltern zu besuchen und ... “
„Das hast du nicht getan!“
„Doch. Deine Großmutter hat mir gesagt, wo ich sie finde. Deine Mutter war sehr charmant, und nachdem dein Vater sich erst einmal über den Trick beruhigt hatte, mit dem ich dich dazu gebracht hatte, mit mir zu wetten ... “
„Das war kein Trick.“
Er küsste sie auf die Nase. „Eigentlich haben wir beide mit Tricks gearbeitet, aber das spielt keine Rolle mehr. Jetzt geht es nur noch darum, dass ich reinen Tisch gemacht und meine Sünden gestanden habe. Deine Eltern haben mir verziehen und mir ihren Segen erteilt.“
Verwirrt blinzelte sie ihn an. „Sie haben gestattet, du dürftest mich durchs Fenster entführen?“
Er lachte leise. „Nein, darüber werden sie wahrscheinlich ein wenig schockiert sein. Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich vorhabe, dich zu holen und zu deiner Großmutter zu bringen, damit wir Pläne schmieden können. Sie werden in zwei Wochen mit deinen Brüdern und deiner Schwester zu unserer Hochzeit nachkommen.“
„Hochzeit? Unsere Hochzeit?“
Er hob Caitlyn hoch, schwang sie durch die Luft, und ein tiefes Lachen dröhnte durch seinen Körper. „Ach, Caitlyn, meine Liebste!“
Ihr Herz sang in ihrer Brust. Es sang wirklich, und ihre Ohren klangen mit. Er liebte sie! Dieser eine herrliche Moment war all den Kummer wert, den sie ertragen hatte.
MacLean machte einen tiefen, verdächtig zittrigen Atemzug, dann umschlang er sie so fest, dass sie sich gezwungen sah, zu protestieren. Er brachte sie mit einem leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen, und mehr hatte sie sich niemals erträumt.
Doch sie wusste, dass dieser Augenblick erst der Anfang war. Später würden sie sich neuen Aufgaben, neuen Herausforderungen und vielleicht auch neuen Schwierigkeiten stellen müssen. Doch von nun an würden sie sie gemeinsam lösen - Hand in Hand.