Epilog

Oh, der Traum meines Lebens war, meine eigenen Urenkel auf meinen Knien zu wiegen.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Er ist das Ebenbild seines Vaters.“ Mam kitzelte das Baby unter dem runden Kinn mit dem Grübchen. „Seht euch nur seine blauen Augen an.“

Mary, die in einem Schaukelstuhl vor dem Kamin saß, zog den Säugling noch fester an sich. „Der kleine Ronan ist so wunderschön, Caitlyn.“

„Ebenso wie Alexandra.“ Triona, die Mary gegenübersaß, hielt auch ein kleines Bündel in den Armen. Sie strich mit den Fingerspitzen über die weiche Wange des Babys, das in ihren Augen das reinste Wunder war. „Es ist so herrlich, dass du Zwillinge bekommen hast, und noch dazu ein Pärchen - ein Junge und ein Mädchen. “ Auf dem Sofa vor dem Fenster lächelte Caitlyn zufrieden vor sich hin und zog die Decke zurecht, die Alexander ihr so sorgfältig über die Beine gebreitet hatte, bevor er fortgegangen war, um seinem Bruder Hugh mit ein paar neugeborenen Fohlen zu helfen. „Wenn ihr es mir nicht sagen würdet, wüsste ich gar nicht, wie anbetungswürdig meine Kinder sind, weil ich sie außer zum Stillen noch nie länger im Arm halten durfte.“

Mary grinste. „Mutter und ich reisen heute Nachmittag ab, dann bekommst du deine Chance.“

Triona berührte Alexandras winzige goldene Löckchen. „Ich habe Hugh gefragt, ob wir noch ein oder zwei Tage bleiben können. Ich weiß, du könntest noch etwas mehr Zeit zum Ausruhen gebrauchen.“

Caitlyn bemerkte das sanfte Leuchten in Trionas Augen, mit denen sie Caitlyns neugeborene Tochter ansah. Quer durchs Zimmer tauschte Caitlyn einen besorgten Blick mit Mary. Seit Jahren versuchten Triona und Hugh vergeblich, ein Kind zu bekommen. Es brach einem fast das Herz, mitansehen zu müssen, wie liebevoll Triona die kleine Alexandra in den Armen hielt.

Als hätte sie Caitlyns Gedanken erraten, lächelte Triona ihr ruhig zu. „Es ist gut, dass ich meine Stieftöchter habe, um sie zu umarmen und zu herzen, sonst würde ich mich um etwas betrogen fühlen!“

Triona war zur Stiefmutter von drei Mädchen geworden, nachdem Hugh die Kinder zu sich genommen und adoptiert hatte, weil sie von ihrer leiblichen Mutter vernachlässigt und schlecht behandelt worden waren. Der warme Schein in Trionas Augen sorgte dafür, dass Caitlyn sich entspannte.

„Es sind wundervolle kleine Mädchen“, stellte Caitlyn fest. „Ich werde mich oft bei euch melden, damit sie mir mit ihrem Cousin und ihrer Cousine helfen können.“

„Das wird ihnen gefallen.“ Trionas haselnussbraune Augen leuchteten liebevoll. „Als uns klar wurde, dass wir vielleicht niemals eigene Kinder haben würden, beschlossen Hugh und ich, nicht über das zu klagen, was wir nicht besitzen, sondern uns über das zu freuen, was wir haben. Unsere Töchter sind der Mittelpunkt unseres Lebens, und uns fehlt nichts.“ Triona küsste die Nase des Babys.

Mam schnaubte. „Ich glaube, es ist ziemlich übereilt, so etwas zu sagen.“

Triona warf ihrer Großmutter einen amüsierten Blick zu. „Du hast uns Tränke gegeben, aber sie haben nicht geholfen. Es soll einfach nicht sein.“

„Ach, ihr werdet schon sehen. Solche Dinge brauchen Zeit, so ist das nun mal. Meine Zaubertränke werden schon noch wirken. “ Während Caitlyn zuschaute, wie ihre Großmutter und ihre Schwestern sich den Babys zuwandten, stieg ein tiefes Glücksgefühl in ihr auf und wärmte sie von innen. Sie und Alexander führten eine Ehe, die genauso war, wie sie es sich immer erträumt hatte - sie waren in jeder Hinsicht ebenbürtige Partner. Selbst jetzt konnte sie nicht anders, als den Mund zu einem Lächeln zu verziehen, als sie daran dachte, wie er vor einiger Zeit ins Kinderzimmer gekommen war, um sich zu überzeugen, dass sie auf dem Sofa ruhte. Dann hatte er die Decke über ihr ausgebreitet, weil er meinte, es sei in der Nähe des Fensters zu kühl.

Nach fünf Jahren Ehe hatte er einen Teil seiner Härte verloren und lachte viel häufiger als früher. Alle bemerkten das, selbst seine Brüder, wenn sie zu Besuch kamen.

Auch in Wythburn hatten sich die Dinge geändert. Gegen den Wunsch seines Vaters war William zur Navy gegangen und fuhr nun zur See. Wenn er zu Besuch kam, war Caitlyn jedes Mal verwundert, wie groß, braun gebrannt und breitschultrig er geworden war.

Robert studierte in Cambridge, wo er zu den besten Studenten gehörte, wie alle es schon vorher erwartet hatten. Sein Spezialgebiet waren alte Kulturen.

Und Michael war endlich gesund genug, um gemeinsam mit dem Sohn des Gutsherrn eine jahrelange Reise zu den Ruinen des Altertums in Italien, Griechenland und Afrika zu unternehmen. Vater war grün vor Neid wegen des Glücks, das Michael hatte, und sie warteten alle begierig auf die Briefe, in denen er von seinen Abenteuern erzählte.

Obwohl Mutter sich wegen Michaels schwacher Lunge Sorgen gemacht hatte, war durch das warme Klima geschehen, was die zahlreichen Medikamente im nasskalten England nicht erreicht hatten. Falls man seinen Briefen Glauben schenken konnte, war Michael inzwischen erstaunlich robust.

Mary rieb ihre Wange an Ronans Köpfchen. „Warum sind Babys so hinreißend?“

„Gott hat sie so geschaffen, damit du es ihnen nicht übel nimmst, wenn sie ihre Windeln schmutzig machen.“ Mam strich mit ihrer knochigen Hand über den winzigen Kopf. „Der hier ist stark. Das ist gut, weil er eines Tages den Clan anführen wird.“

Mary runzelte die Stirn. „Was ist mit dem Fluch, Mam? Ist er gebrochen? Jeder aus der Familie hat eine gute Tat getan. Fiona hat einen Krieg zwischen den Clans beendet, indem sie Jack heiratete. Gregor und Venetia sind an so vielen Wohltätigkeitsunternehmungen beteiligt, dass ich nicht mal den Versuch machen würde, sie alle aufzuzählen. Hugh hat drei Mädchen adoptiert und ihnen ein wunderschönes Zuhause gegeben. Dougal rettete Triona, als sie fast ertrunken wäre ...“

„Und er hat mehr als das getan“, fügte Triona hinzu. „Er und Sophia haben das verlassene Haus der MacGullochs gekauft, lassen es jetzt in Ordnung bringen, und anschließend bekommt es die Kirche, die es als Waisenhaus nutzen wird. Das jetzige Waisenhaus steht kurz vor dem Einsturz.“

Mary nickte. „Und Alexander kümmert sich um alle Bedürftigen, die auf seinem Land leben.“

„Genau. Und er tut mehr als die meisten Lairds für sie“, stimmte Mam ihr zu.

„Ist der Fluch also gebrochen?“

„Ich fürchte, nein“, erwiderte Caitlyn.

Alle Blicke richteten sich auf sie. „Gestern hat irgendein Dummkopf seinen preisgekrönten Bullen entwischen lassen. Und das Tier rannte durch die ganze Stadt. Jemand wurde fast zu Tode getrampelt und erst in letzter Minute gerettet. Als Alexander davon erfuhr, wurde er fuchsteufelswild.“

„Das hat also das kleine Unwetter ausgelöst“, stellte Triona fest.

„Ja“, gestand Caitlyn mit einem Seufzer. „Ich hoffte, dass der Fluch gebrochen ist, aber ...“

„Nun, das ist das Problem mit Flüchen“, mischte Mam sich ein. „Sie haben ihren Ursprung in einem Mythos, und es ist möglich, dass wir uns täuschen.“

„Täuschen?“ Mary blinzelte verwirrt. „Dann ist die Sache mit der guten Tat gar nicht wahr?“

„Vielleicht doch“, antwortete Mam. „Wir werden es nicht erfahren, bevor die Kinder erwachsen sind. Bis dahin wird der Fluch nicht enden.“

„Er könnte also gebrochen sein, doch das wird sich erst in der nächsten Generation zeigen. Das ist immerhin etwas.“ Mary stand auf, trug Ronan zu Caitlyn und legte ihr das süß duftende Baby in die Arme.

Caitlyn streichelte lächelnd die Wange des Säuglings. „Fluch oder nicht, das hier werden glückliche Kinder sein. Mehr kann ich im Moment nicht tun.“

Mam lächelte. „Das ist mehr als genug, mein Kind. Liebe ist eine große Macht, viel mächtiger als ein einfacher Fluch.“ Caitlyn schob einen Finger in Ronans winzige Faust und freute sich, als er fest zupackte. Mit oder ohne Fluch - die MacLeans waren eine starke und glückliche und liebende Familie.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung vor dem Fenster, und als sie den Kopf wandte, sah sie Alexander über das Moor aufs Schloss zureiten. Der Wind zerzauste seine dichten schwarzen Haare. Hugh ritt auf einem goldfarbenen Pferd hinter ihm, und die weiße Strähne in seinen Haaren leuchtete.

Wenn sie den Fluch nicht in dieser Generation besiegt hatten, würden sie es in der nächsten tun. Die Zähigkeit der MacLeans, ihre Intelligenz und ihre Fähigkeit, andere zu lieben und zu unterstützen, kannten keine Grenzen. Gemeinsam mit denen, die sie liebten, konnten sie jedes Hindernis überwinden, das sich ihnen in den Weg stellte.

Caitlyn küsste die Stirn ihres Sohnes und lächelte in seine verschlafenen grünen Augen. „Ich verspreche dir, dass du ein glückliches, gesundes Leben führen wirst, mein Sohn.“ Denn mit Alexander an ihrer Seite würde ihr alles gelingen.

Ende