5. Kapitel
Wenn ihr Sorgen habt, meine Mädchen, ist es keine gute Idee, so zu tun, als würde es das Problem nicht geben. Denn wenn ihr euch umdreht, um wegzugehen, wird es euch ins Hinterteil beißen.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Winternacht zu ihren drei Enkelinnen.
Eine Stunde später saß Caitlyn auf ihrem Pferd, klammerte sich mit beiden Händen fest und fragte sich, wie sie in diese missliche Lage geraten war.
Natürlich kannte sie den Grund ganz genau. Es hatte mit dem süffisant lächelnden hochgewachsenen Mann zu tun, der knapp hinter ihr ritt. Er saß auf einem temperamentvollen schwarzen Wallach und lachte jedes Mal, wenn ihr Pferd - eine nervös tänzelnde braune Stute, die mindestens so störrisch war wie Caitlyn selbst - vor einer eingebildeten Gefahr scheute.
Bis jetzt war Caitlyn im Sattel geblieben, doch nur durch pure Willenskraft. Während sie die Zügel krampfhaft umklammert hielt, schaute sie neidisch zu Sally hinüber, die bequem auf einer kleinen, dicken Stute saß, die keinerlei Neigung zeigte, irgendetwas anderes zu tun, als sich gemächlich vorwärtszubewegen. Deshalb konnte Sally sich nebenbei mit dem Earl of Caithness unterhalten, wann immer sie Lust dazu hatte, während Caitlyn nur gelegentlich in der Lage war, verkniffen Lord Falkland zuzulächeln, der ihr nicht von der Seite wich. Sie wagte kaum, ein Wort zu sagen, denn sie brauchte all ihre Konzentration, um ihr Pferd davon abzuhalten, durchzugehen, wann immer sich ein Blatt am Baum rührte.
„Ist das da hinten ein Kaninchen?“, rief Falkland und deutete mit seiner Reitgerte in Richtung eines entfernt liegenden Feldes.
Caitlyns Pferd - dem sie inzwischen im Stillen den Namen Satan gegeben hatte - scheute in genau diesem Augenblick. Verzweifelt presste Caitlyn die Knie gegen das Pferd, beugte sich vor und zerrte an den Zügeln.
Ihr Verhalten war amateurhaft, zeigte aber dennoch Wirkung. Das Tier wehrte sich mit aller Kraft, aber es gelang Caitlyn auf diese Weise wenigstens, Satan von Falklands Peitsche abzulenken.
Verdammt, warum habe ich dem Stallburschen nicht gesagt, dass ich ein Pferd brauche, das leicht zu reiten ist, so wie Sallys? Diese Frage ging ihr zum wiederholten Mal durch den Kopf. Aber sie wusste genau, warum sie es nicht getan hatte. Sie hatte nicht anders gekonnt, als die Herausforderung, die sie in MacLeans Augen gesehen hatte, anzunehmen. MacLean hatte in Hörweite des Stallburschen gestanden und so ausgesehen, als würde er erwarten, dass sie um ein Anfängerpferd bat. Also war genau das das Letzte, was sie tun konnte und tun wollte. Mein Stolz wird mich eines Tages noch umbringen. Vielleicht sogar schon heute.
Sie warf MacLean einen wütenden Blick zu. Wie üblich schien er sie gar nicht zu wahrzunehmen, während er sich zur Seite beugte, um zu verstehen, was Lady Kinloss gerade sagte. Caitlyn sah sein Gesicht im Profil und bewunderte die feste Linie seines Kiefers, den sinnlichen Schwung seiner Lippen und die schwarzen Haare, die ihm in die Stirn fielen. Seine Haut war sehr viel gebräunter, als es die Mode unter Gentlemen momentan vorschrieb. Verglichen mit dem blassen modebewussten Lord Dervishton wirkte MacLean unzivilisiert, sogar ein bisschen wild, als stammten seine Vorfahren von den Schlachtfeldern und aus den Schmieden Schottlands und nicht von einer Burg.
Dennoch lag in der energischen Linie seines Kinns etwas Hoheitsvolles, ebenso wie in seiner kühnen Nase. Dies war kein gewöhnlicher Mann, sondern ein starker Mann aus einer alten, mächtigen Familie. Ein Mann, der sich an einem langen polierten Tisch aus Mahagoni im größten, prachtvollsten Haus, das Caitlyn jemals gesehen hatte, vollkommen zu Hause fühlte. Doch jetzt, auf dem Rücken eines kaum eingerittenen schwarzen Wallachs, ähnelte er mehr einem Wegelagerer aus den Highlands.
Selbst während er auf einem Pferd ritt, das sich so wild gebärdete, dass ihres daneben einfach nur ein wenig unhöflich wirkte, hielt er sich mit einer unnachahmlich eleganten Anmut im Sattel wie kein anderer Mann.
Verstohlen musterte Caitlyn von der Seite Viscount Falkland, der ununterbrochen berichtete, von wie vielen Pferden er schon gestürzt war. Seine Kleidung mit dem hohen Hemdkragen und dem extrabreiten Jackenkragen, den Rüschenmanschetten und den polierten Stiefeln drückte ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit aus. Sie entschied, dass das eher mitleiderregend war, und wandte sich wieder MacLean zu, der in diesem Moment in ihre Richtung schaute und seinen dunkelgrünen brennenden Blick in ihren versenkte.
In der Sekunde, in der ihre Blicke sich trafen, durchfuhr sie wie ein Pfeil die pure Sehnsucht und erhitzte sie vom Kopf bis zu den Zehen. In seinem Gesicht spiegelten sich dieselben Gefühle -Verlangen und die reine, heiße Lust.
Nie zuvor hatte Caitlyn sich etwas so sehr gewünscht. Er war ihr so nah und hätte doch nicht ferner sein können. Ihre gemeinsame Zeit war vorbei, und es gab nur noch seinen Zorn und ihre tiefe, schmerzliche Sehnsucht.
Sie zwang sich, wegzusehen, obwohl sie sich seiner Nähe so quälend bewusst war. Als sie wieder in der Lage war, etwas zu sagen, verkündete sie: „Ich habe Hunger.“
Falkland blinzelte verwirrt, erholte sich aber schnell von seiner Überraschung. „Ich auch. Seit dem Frühstück sind schon“, er zog seine Taschenuhr zurate, „zwei Stunden vergangen.“
„Ich möchte Tee“, erklärte sie. Eine riesige Menge Teekuchen würde sie vielleicht zufriedenstellen.
„Ich könnte auch etwas Tee gebrauchen“, stimmte Sally ihr zu. Sie schaute Caithness an. „Sind Sie ...“
„Schon halb verdurstet“, erwiderte er.
Als sie sah, wie Sally den jungen Earl anlächelte, fühlte Caitlyn einen heftigen Schmerz. Plötzlich war sie ruhelos und wünschte sich, der Ausritt möge vorbei sein. Sie wandte sich an Lady Kinloss: „Sind wir bald in Snaid?“
Lady Kinloss wirkte nicht erfreut, dass ihre vertrauliche Unterhaltung mit MacLean gestört wurde. „Es sind noch fünf Meilen.“
Gütiger Himmel. Bis dahin bin ich verhungert. „Ich nehme an, es gibt keine Abkürzung?“
Während Lady Kinloss den Mund zu einer schmalen Linie zusammenpresste, huschte ihr Blick über ein steiniges Feld zu ihrer Rechten. „Ich vermute, man könnte über das Feld reiten ..." „Sehr gut!“ Caitlyn zügelte ihr Pferd.
„Warten Sie, Sie Närrin“, fuhr MacLean sie an und ließ seinen Blick über das Feld schweifen. „Dieser Acker ist voller Steine, Unebenheiten und Kaninchenlöcher. Außerdem kann ich mindestens zwei Zäune sehen.“
Krampfhaft umklammerte Caitlyn die Zügel. Der steinige Acker machte ihr keine Sorge, und sie war sich sicher, dass sie es mit Kaninchenlöchern aufnehmen konnte. Aber Zäune?
Beflissen wandte Falkland sich ihr zu. „Wenn Sie den kürzeren Weg nehmen wollen, begleite ich Sie!“
Alexander beobachtete, wie Caitlyn nachdenklich das Feld betrachtete, während sie gleichzeitig Mühe hatte, ihr Pferd ruhig zu halten.
Sie überlegte doch nicht wirklich, ob sie ...
Jetzt lächelte sie Falkland so strahlend an, dass er tief errötete und sie hocherfreut anstarrte. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern die Abkürzung nehmen. Es scheint nicht sehr weit zu sein und ...“
„Nein!“ Alexander zwang sein Pferd neben ihres. „Das werden Sie nicht tun.“
Caitlyns Augen sprühten Funken, und sie presste ihre Lippen zusammen. „Warum nicht?“
„Über ein derartig unwegsames Gelände zu reiten und zu versuchen, auf einem Pferd, das Sie kaum unter Kontrolle haben, über Zäune zu springen, ist unglaublich töricht! Sie werden stürzen und sich das Genick brechen.“
„Wenn Miss Hurst über den Acker reiten möchte, sollte sie das auch tun dürfen“, mischte Falkland sich ein.
Alexander musterte Caitlyn grimmig. „Sind Sie jemals in Ihrem Leben über einen Zaun gesprungen?“
Als sie das Kinn reckte, war ihm klar, dass es ihm gelungen war, sie nur noch mehr anzufeuern. „Natürlich bin ich schon über Zäune gesprungen“, behauptete sie.
Er musterte sie mit finsterem Blick. Du Närrin! Von allen Lügen, die du erzählen könntest, ist das ...
„Sehen Sie? Sie weiß, was sie tut.“ Eifrig sah Falkland zu Caitlyn hinüber. „Wenn Sie über Zäune springen wollen, begleite ich Sie. Ich kann Ihnen vielleicht meine Sprungtechnik zeigen, die sehr gut ist, wenn ich das selbst behaupten darf.“
Alexander lachte kurz und hart auf. „Wenn Sie Miss Hurst eine Technik beibringen wollen, sollten Sie selbst eine haben.“
Empört richtete Falkland sich kerzengerade im Sattel auf. „Ich garantiere persönlich für Ihre Sicherheit, Miss Hurst.“
„Seien Sie kein Narr“, herrschte Alexander ihn an. „Wenn sie vom Pferd stürzt, gibt es nichts, was Sie dagegen unternehmen können.“
Lady Kinloss kicherte. „Falkland könnte seinen Körper unter den von Miss Hurst werfen, damit sie weich fällt.“ Sie warf Falkland einen listigen Blick zu. „Vielleicht hofft er genau darauf.“ Das Gesicht des Viscounts wurde knallrot. „Sie unterschätzen Miss Hursts Fähigkeiten.“ Er schaute Caitlyn lächelnd an, und seine Miene wurde weich und freundlich. „Aber ich weiß, wozu sie in der Lage ist.“
Nun verzog Lady Kinloss ihren Mund zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Miss Hurst, auch ich habe volles Vertrauen in Ihre Reitkünste. Es ist Ihr Temperament, dem ich nicht ganz traue.“
Alexander konnte ganz genau den Moment erkennen, in dem Caitlyn beschloss, gegen jede Vernunft zu handeln. Sie erstarrte, ihre Augen funkelten, ihre Hände strafften die Zügel, und auf diese Weise brachte sie ihr Pferd dazu, nervös anzutraben.
Gütiger Himmel, diese Frau war eine Gefahr für sich selbst! Ein falsches Wort, und sie war sofort entschlossen, jeden Weg zu gehen, ganz gleich, was es sie kostete.
Sie warf den Kopf in den Nacken und erklärte kühl: „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie sich Sorgen um mich machen, Lady Kinloss, aber ich glaube, ich kann die Zäune bewältigen. Von hier aus wirken sie nicht besonders hoch.“
„Oh?“, machte Lady Kinloss höflich, während ihr schmales Gesicht deutlich widerspiegelte, dass sie keine Sekunde daran glaubte.
Alexander hätte Caitlyn am liebsten erwürgt. Sie lenkte ihr Pferd hinüber zum Feld. Als die Stute das offene Gelände vor sich sah, ging sie wie der Blitz durch.
Bevor Alexander nach den Zügeln greifen konnte, waren sie schon fort.
Lord Falkland blinzelte verwirrt. „Herr im Himmel! Ich dachte, sie könnte ...“
Doch Alexander donnerte bereits hinter Caitlyn über den Acker. Sie beugte sich tief über den Hals des Pferdes und klammerte sich an die Zügel und die Mähne, als hinge ihr Leben davon ab. Und angesichts der scharfkantigen Felsbrocken, die im Acker verstreut lagen, war es wohl auch so.
Gütiger Himmel, wenn sie loslässt, stürzt sie zu Tode!
Mit zusammengepressten Lippen holte Alexander auf und zwang sein Pferd neben ihres. Die Augen wild rollend, stürmte Caitlyns Stute vorwärts, wandte sich vom offenen Feld ab und rannte in Richtung eines dichten Waldes. Alexander musste sein Pferd zurückfallen lassen und ihr hinterherreiten, denn zwischen den Bäumen war zu wenig Platz, um neben ihr zu bleiben. „Halt dich fest, du verdammtes Weib!“, murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Direkt vor ihm klammerte sich Caitlyn verzweifelt an das Pferd. Ihr Hut war längst verloren gegangen, ihre blonden Haare hatten sich aus den Nadeln gelöst. Alexander heftete seinen Blick auf die leuchtende goldene Pracht, die im Wind wehte. „Halt dich einfach nur fest!“, rief er mit heiserer Stimme und wusste nicht, ob sie ihn überhaupt hörte.
Der Wald lichtete sich, und wie aus dem Nichts tauchte eine niedrige Natursteinmauer auf, die von Moos überwachsen und mit Herbstlaub bedeckt war. Auf der anderen Seite der Mauer strömte ein Bach dahin. Sein Plätschern war trotz der donnernden Hufe und Alexanders heftigen Atemzügen zu hören.
Wenn das Pferd über die Mauer setzte, würde Caitlyn stürzen. Und es würde kein sanfter Fall sein, sondern ein hartes Aufschlagen zwischen abgebrochenen Ästen und kalten, glitschigen Steinen.
Alexander beugte sich über den Pferdenacken und trieb seinen Wallach an. Bitte, flehte er stumm das Schicksal an. Bitte!
Langsam holte sein Pferd auf. Kurz vor der Mauer streckte er den Arm aus und griff nach den Zügeln der durchgegangenen Stute.
In allerletzter Sekunde zwang Alexander das laut wiehernde Pferd zum Abdrehen. Ein paar entsetzliche Momente war er sich nicht sicher, ob das Tier stürzen würde, doch nachdem es seitlich weggerutscht war und seinen Kopf gefährlich tief geneigt hatte, streckte es sich wieder und galoppierte neben seinem Wallach weiter, von der Mauer fort.
Caitlyn klammerte sich an die Mähne, ihr Oberkörper hing über dem Nacken des Pferdes.
Sobald Alexander begriff, dass ihr nichts geschehen war, flammte wilder Zorn in ihm auf. Die kleine Närrin hätte tot sein können! Was zur Hölle machte sie auf einem Pferd wie diesem? Doch im selben Augenblick, in dem er sich diese Frage stellte, kannte er bereits die Antwort: Seine Spötteleien waren der Grund. Er hatte sie angetrieben, und dies war das Ergebnis.
Verdammt noch mal, ich weigere mich, mich schuldig zu fühlen, nur weil sie die Gefahr nicht einschätzen konnte!
Alexander leitete die Pferde einen sanften Hügel hinab. Die Stute zerrte an den Zügeln und versuchte, von ihm wegzukommen, dabei drohte sie sich aufzubäumen, aber er hielt sie fest. Schließlich fand er eine kleine Lichtung zwischen einigen Bäumen. Er hielt an und wendete sein Pferd, damit er Caitlyn auf ihrem Braunen anschauen konnte.
Sie saß aufrecht im Sattel, doch ihr Gesicht war bleich. Das Nachmittagslicht, das durch die Blätter der Bäume drang, war grau und blass - was seinem nur mühsam unter Kontrolle gehaltenen Ärger zu verdanken war doch es schimmerte sanft in ihren goldenen Haaren. Ihre großen Augen waren dunkler als sonst. Um sie herum wurde der Wald diesig und feucht, als die ersten Regentropfen durch die wenigen noch an den Bäumen hängenden Blätter auf sie beide fielen. Die Wassertropfen hingen in Caitlyns Haaren wie Diamanten in einem aus Gold gesponnenen Netz, und seine Kehle wurde unerklärlicherweise eng. Die Vorstellung, dass ihr zarter Körper zerschmettert neben einer Steinmauer hätte liegen können ...
Langsam löste sie die Finger aus der Mähne der Stute und stieß mit zitternder Stimme hervor: „Vielen Dank für ... “ Sie schloss die Augen und hielt den Atem an, bevor sie hinzufügte: „Du kannst mein Pferd jetzt loslassen.“
„Wenn ich das tue, geht es gleich wieder durch.“
„Das werde ich nicht zulassen.“
„Verdammt noch mal, musst du wegen jeder meiner Bemerkungen mit mir streiten?“ Er war ebenso wütend auf sich selbst wie auf sie, obwohl er ihr das auf keinen Fall zeigen würde. „Dein Pferd ist direkt auf die Mauer zugerannt! Weißt du eigentlich, was du für ein Glück hattest, dass ich da war, um es aufzuhalten?“ Sie reckte ihr Kinn vor, ihre Augen sprühten Funken, und ihre Wangen fingen erneut an, zu glühen. „Vielleicht wäre ich ja über die Mauer gekommen!“
„Und hättest dir dein verdammtes Genick gebrochen!“ Er schrie sie an, und es war ihm egal. Der Wind peitschte die Äste über ihnen und ließ die Blätter rauschen, während große Regentropfen auf sie herunterfielen.
Es reichte ihm jetzt. Er stieg aus dem Sattel und befestigte die Zügel von seinem und Caitlyns Pferd an einem niedrigen Ast. Dann zog er sie ebenfalls aus dem Sattel, indem er ihr einen Arm um die Taille legte und sie mit einem harten Ruck auf den Boden stellte.
„Oh! Ich hatte nicht vor, von meinem Pferd zu steigen!“
„Zu dumm! Wenn es jetzt durchgeht, kommt wenigstens niemand zu Schaden.“
Sie ballte die Fäuste und warf den Kopf noch ein wenig mehr in den Nacken. „Schau mal, MacLean. Ich ...“
Er küsste sie. Jetzt hatte er endgültig genug von sinnlosen Worten und bedeutungslosen Gesten. Er wollte ihr zeigen, was er meinte, wollte sie seinen Zorn spüren lassen. Doch in dem Augenblick, in dem seine Lippen ihren Mund berührten, war plötzlich alles anders. Die Wut verging, und an ihre Stelle trat eine Leidenschaft, die so heftig war, dass sie drohte sie beide fortzuspülen.
Sie wehrte sich nicht gegen seine Umarmung. In dem Moment, in dem er seinen Mund auf ihren legte, schlang sie sofort die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Sie war klein und zart, und sie gehörte ganz ihm, als er sie umfasste und hochhob, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor.
Der Kuss war fordernd und brennend und wurde zu einer Umarmung, die nach immer mehr verlangte. Caitlyns weiche Lippen versetzten ihn in einen Rausch, und als ihre Zunge über seinen Mund glitt, stöhnte er auf, und seine Leidenschaft wurde grenzenlos.
Je heißer der Kuss wurde, umso lauter befahl ihm seine innere Stimme, aufzuhören, sie loszulassen und das Weite zu suchen. Etwas wie das hier war Charles’ Ruin gewesen. So hatte es auch bei ihm angefangen. Diese Gedanken kühlten seine Hitze, aber er brauchte dennoch all seine Willenskraft, um sie schließlich wieder auf den Boden zu stellen und zurückzuweichen.
Sie löste die Arme von seinem Hals, ließ sie aber weiter auf seinen Schultern ruhen. Dabei starrte sie ihn von unten an, die braunen Augen weit aufgerissen, die Lippen halb geöffnet und leicht geschwollen, ihr Blick war benommen. Er wusste ganz genau, wie sie sich fühlte.
Was hatte diese Frau an sich, dass sie seine Leidenschaft so heftig entfachte? Es war nicht nur ihre Schönheit - er hatte schon viele schöne Frauen gehabt, wenn auch keine von so hinreißendem Aussehen. Doch da war mehr. Es fühlte sich an, als würde ein unsichtbares Feuer zwischen ihnen lodern, das sich entzündete, sobald er ihre Haut berührte.
Plötzlich schien ihr bewusst zu werden, dass er sie losgelassen hatte. Sie machte hastig einen Schritt rückwärts und umschlang sich dabei mit den Armen wie ein verlorenes Kind.
Alexanders erster Impuls war, sie wieder an sich zu ziehen, doch er kämpfte dagegen an. Hatte Charles sich auch so gefühlt, als er zum ersten Mal der Hexe gegenübergestanden hatte, die später seine Frau wurde? Hatte auch er eine so heftige Anziehung gespürt?
Große Regentropfen klatschten durch das Laub hernieder, das Wasser kühlte seine Leidenschaft ab, und er konnte wieder einen klaren Gedanken fassen. Charles hat genauso gefühlt, und aus diesem Grund wirst du nicht zulassen, dass es auch dir geschieht. Er presste die Kiefer zusammen. „Das hätte nicht passieren dürfen.“
„Nein.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig, als wäre sie sich nicht sicher.
„Du hast mich wütend gemacht und ich ...“ Schulterzuckend stockte er. „Ich habe nur reagiert.“
Sie atmete tief durch. „Du ... du hattest recht. Nicht was den Kuss betrifft, aber ... du hattest recht wegen des Pferdes. Ich hätte dem Stallburschen sagen müssen, dass ich nicht genug Erfahrung für solch ein Pferd habe.“
Der Regen, der von den Zweigen auf das trockene Laub und das Moos am Boden tropfte, war das einzige Geräusch in der Stille. Alexander wusste nicht, was er sagen sollte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er vollkommen sprachlos.
„Ich habe nicht nachgedacht, und ich ließ zu, dass mein Temperament mein Urteilsvermögen trübte. Das hätte ich nicht geschehen lassen dürfen.“
Er hörte die Aufrichtigkeit in ihrer Stimme und wusste, er hätte es endlich genug sein lassen sollen. Zum Teil trug er die Schuld an diesem Debakel, und das wusste er auch. Dennoch wollte er mehr von ihr. Sie schuldete ihm mehr. „Du glaubst, du könntest tun, was immer dir, verdammt noch mal, in den Kopf kommt, und dann einfach eine Entschuldigung hervorstoßen, und die Sache ist vergessen?“
Sie errötete und schob sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nein, aber es ist ein Anfang. Entschuldigst du dich nicht, wenn du etwas falsch gemacht hast?“
Er wünschte sich, sie würde nicht so anbetungswürdig zerzaust aussehen, so als wäre sie gerade eben leidenschaftlich geliebt worden, was ja auch fast der Wahrheit entsprach. Selbst jetzt noch pochte seine Männlichkeit bei der Erinnerung daran, wie sie sich in seinen Armen angefühlt hatte, während ihre üppigen Brüste sich an ihn pressten, ihre weichen Lippen sich unter seinem Kuss öffneten ... Er unterdrückte ein Stöhnen, als ihn heißes Verlangen durchfuhr. Die Hitze fachte seine Wut erneut an. „Wenn ich eine Entscheidung treffe, dann tue ich das, weil ich über die Dinge nachgedacht habe. Auf diese Weise muss ich mich nie für den Entschluss, den ich gefasst habe, entschuldigen.“
„Oh! Du bist unerträglich! Und ich dachte, ich hätte zu viel Stolz. Sieh dich vor, MacLean! Erklärungen wie diese könnten das Schicksal herausfordern, dir eine Lektion zu erteilen, die du absolut verdient hast.“
Er musste lächeln, während er mit den Schultern zuckte. „Ich sage einfach nur die Wahrheit, Caitlyn Hurst. Wenn du innehalten und nachdenken würdest, bevor du etwas tust, müsstest du dich nicht so oft entschuldigen. Du hast auf keinem Pferd gesessen, seitdem du London verlassen hast, nicht wahr?“
„Doch, das habe ich getan. Ich bin auf dem überzähligen Pferd des Gutsherrn geritten.“
„Ach ja? Und ist das ein lebhaftes Pferd? So lebhaft wie Milk?“ „Milk?“
„Das ist der Name deines Pferdes, was du wissen würdest, hättest du dem Stallknecht zugehört.“
Sie schaute zu der braunen Stute hinüber, die zufrieden graste. „Das Pferd des Gutsherrn ist vielleicht nicht ganz so lebhaft wie Milk.“
Alexander zog eine Augenbraue hoch.
„Na gut!“ Sie funkelte ihn wütend an. „Es war lahm wie eine Schnecke, es wollte nicht traben, ganz zu schweigen von galoppieren. Bitte! Bist du jetzt glücklich?“
„Das bin ich, wenn es die Wahrheit ist.“
Sie erstarrte. „Ich bin keine Lügnerin, MacLean.“ '
„Nein. Du bist ein Mensch, der bereit ist, zu tun und zu sagen, was immer nötig ist, um das zu bekommen, was du haben willst.“ Ihre Wangen röteten sich noch mehr. „So bin ich überhaupt nicht!“
„Ich habe nie gesehen, dass du etwas ohne Eigennutz getan hast. Du hättest verletzt werden können!“
Sie starrte ihn finster an. „Ich weiß. Und dem Pferd hätte auch etwas passieren können. Deshalb werde ich nie wieder etwas so Dummes machen. Hörst du bitte auf, mir Vorträge zu halten? Du klingst wie mein Vater!“
Alexander blinzelte verwirrt. „Dein Vater? Der Pfarrer?“ Plötzlich funkelten ihre Augen belustigt, während sie seine Frage mit einem Nicken beantwortete. „Du klingst ganz genau wie er. Caitlyn, lehn dich nicht so weit aus dem Fenster, sonst fällst du noch raus“, ahmte sie ihren Vater nach. „Caitlyn, renn nicht im Haus herum, du wirfst irgendetwas um. Mein Vater ist sehr lieb, aber ein bisschen überbesorgt.“
Überbesorgt! Alexander wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Niemand durfte ihn mit ihrem oder seinem Vater vergleichen oder gar mit einem alten Pfarrer. Die Leute sollten ihn für gefährlich halten! „Du bist verdammt unverschämt!“
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Genau das würde mein Vater jetzt auch sagen - außer dem Verdammt. Er benutzt solche Worte nicht.“
„Verdammt oder nicht verdammt, genau das würde jeder sagen, der über einen Funken Verstand verfügt“, erklärte Alexander in scharfem Ton. Der Wind frischte auf, brachte das Laub zum Rauschen, und eine Fülle nasser Blätter fiel zu Boden.
Caitlyn zupfte sich ein großes, feuchtes Blatt von der Schulter. „Du bist gar nicht wütend auf mich, weil ich auf ein Pferd gestiegen bin, mit dem ich nicht umgehen kann, MacLean. Es geht überhaupt nur um das, was vor drei Monaten in London passiert ist.“ Er erstarrte. „Es geht sehr wohl um dein Verhalten und um die Tatsache, dass du dich und dein Pferd in Gefahr gebracht hast.“
Ihre Augen wurden dunkel. „Ich wollte niemanden in Gefahr bringen - jetzt nicht, und ganz besonders auch vor drei Monaten nicht. MacLean, ich ..."
„Das werden wir jetzt nicht besprechen. Falls du es nicht bemerkt hast: Es wird gleich heftig regnen. Diese Tröpfchen sind nur der Anfang.“
Durch eine Lücke im Geäst spähte sie zum Himmel hinauf. „Du hast das Unwetter heraufbeschworen.“
Er antwortete nicht, sondern erwiderte nur ruhig ihren Blick. Dabei wartete er darauf, dass wie üblich Angst oder Neid aufflackerte, wie er es in ähnlichen Situationen schon so oft bei seinen Mitmenschen gesehen hatte. Doch er entdeckte nichts als ruhige Gelassenheit. Sie ist mutig, das muss man ihr lassen. „Verglichen mit anderen Unwettern ist das hier nur eine Kleinigkeit, aber es wird trotzdem feucht werden.“
„Ich habe keine Angst vor ein bisschen Wasser“, erwiderte sie gefasst. „Welche Fehler auch immer in London geschehen sind, MacLean, das ist lange her. Inzwischen liegt es drei Monate zurück!“
„Ja, aber Hugh und deine Schwester zahlen jetzt dafür“, erklärte er und kniff die Augen zusammen.
Sie seufzte. „Sie sind ineinander verliebt. Obwohl sie durch mein gedankenloses Verhalten in eine unglückliche Situation geraten sind, durch die sie gezwungen waren, zu heiraten, sind sie jetzt glücklich, und das ist alles, was zählt.“
Finster starrte Alexander sie an. „Nein, das ist nicht alles, was zählt. Du hast mir eine Falle gestellt, um mich zu zwingen, dich zu heiraten.“
„Ich hatte nie den Wunsch, dich zu heiraten, MacLean“, behauptete sie und ihre Lippen wurden schmal. „Ich wollte mich nur in deiner Kutsche verstecken, als du die Stadt verlassen hast, und mich erst zeigen, wenn es zu spät zur Rückkehr war.“
„Wodurch ich gezwungen gewesen wäre, dir einen Antrag zu machen.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, aber ich hätte ihn abgelehnt.“
Inzwischen regnete es wesentlich heftiger, doch Alexander war zu erstaunt, um darauf zu achten. „Du ... du wolltest meinen Antrag ablehnen?“
Sie nickte.
„Warum, in drei Teufels Namen, wolltest du, dass ich dich frage, wenn du gar nicht Ja sagen wolltest?“
„Weil du gesagt hattest, du würdest mir niemals einen Antrag machen“, erklärte sie mit einem leisen Anflug von Unsicherheit. „Du erinnerst dich doch daran, nicht wahr?“
Stirnrunzelnd überlegte er. Hatte er jemals ... Oh Gott! Das war ihm nicht klar gewesen. Er hatte sie mit seinen Küssen um den Verstand gebracht, was unglücklicherweise auf ihn ähnlich gewirkt hatte. Sonst hätte er sich sicher an eine solch arrogante Bemerkung erinnert.
Sie schob sich ihr wirres Haar aus dem Gesicht, und ein Regentropfen glitzerte auf ihrer Wange. „Ich hatte vor, deinen Antrag abzulehnen und dabei jede Sekunde zu genießen. Ich dachte, nachdem du erkannt hast, dass ich es nicht wirklich darauf anlege, deine Frau zu werden, würdest du es mit Humor nehmen.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich nehme an, das war ein bisschen naiv. “ Als wäre es ihr auf die Stirn geschrieben, konnte er an ihrem Gesicht erkennen, dass sie die Wahrheit sagte. Und ihr Plan wäre fast aufgegangen. Seine Kiefermuskulatur spannte sich an, als die Hitze des Fluchs durch seine Adern strömte. Eine heiße Welle, berauschend und beängstigend zugleich, weil er wusste, welchen Schaden er anrichten konnte. Als er noch sehr jung gewesen war, hatte er dieses Gefühl geliebt, hatte sich danach gesehnt. Doch älter geworden, hatte er erlebt, welches Unglück der Fluch verursachte, und er hatte gelernt, dagegen anzukämpfen. Es gab nur ein Gefühl, das diesem einzigartigen puren Rausch glich - die Berührung der heißen Lippen einer Frau. Und in seinem ganzen Leben hatte ihn keine Frau so sehr erregt wie Caitlyn.
Der Wind bauschte ihre Röcke und wehte ihr die goldenen Haare ins Gesicht. Verdammt, was war es nur, was diese Frau an sich hatte? Es brachte sein Blut zum Kochen, sie einfach nur anzusehen, wie sie, gekleidet in ein strenges, überkorrektes Reitkostüm in Dunkelbraun, auf dem laubbedeckten Waldboden stand, während sich die feuchten Haare um ihr Gesicht kringelten. Sie schaute hinauf in den Regenhimmel, der zwischen den Baumkronen zu sehen war, und das Licht umspielte ihre weichen, vollen Lippen.
Wieder einmal begriff er, welchen Verlockungen Charles ausgesetzt gewesen war, als er dieser Anziehung einer überaus sinnlichen, jedoch nicht zu ihm passenden Frau erlag und in sein Verderben lief. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte Alexander sich um und schlenderte zu den Pferden. Caitlyn war die Frau, die für das Unglück seines Bruders verantwortlich war, und hier stand er, voller Begierde nach ihr wie ein lüsterner Jüngling.
Von sich selbst angewidert, nahm er die Zügel der Pferde und führte sie zu ihr. „Wir reiten los.“
„Aber ich ...“
Er hob sie hoch, packte sie auf den Sattel und hielt dabei die Zügel fest. Sie warf ihm einen wilden, wütenden Blick zu, dann legte sie ihr Knie über den Knauf und ordnete die Röcke. Ihre Bewegungen waren nicht so fließend und anmutig wie sonst, und er nahm mit grimmiger Befriedigung wahr, dass sie ebenso durcheinander war wie er.
Er schwang sich ebenfalls auf sein Pferd, wandte es zurück in die Richtung, wo sie in den Wald hineingeritten waren, zwang seinen Wallach in einen raschen Trab und zog ihre Stute hinter sich her.
Caitlyn blieb nichts anderes übrig, als sich festzuhalten. Da er losgeritten war, bevor ihr Fuß fest im Steigbügel steckte, fand sie nicht den nötigen Halt, um sicher zu sitzen. Folglich rutschte sie auf dem harten Ledersattel hin und her. „ M... M... MacLean, an... anhalten!“ Ihre Zähle klapperten beim Rufen laut.
Doch MacLean ritt einfach weiter. Entweder hörte er sie nicht oder es interessierte ihn nicht, dass sie Mühe hatte, auf dem Pferd zu bleiben. Die heftigen Stöße waren schmerzhaft, und durch das rasche Tempo wurden ihre Haare noch mehr zerzaust. Sie wagte nicht, ihren Griff am Sattelknauf zu lockern, um sich die Locken zurückzustreichen, bis sich eine störrische Strähne in ihre Stirn schob, ihre Nase kitzelte und ihr die Sicht nahm. Wütend löste sie eine Hand vom Knauf.
Doch als sie den Arm hob, lockerte sie unbewusst den Griff der zweiten Hand und glitt zur Seite. Sofort brachten zwei starke Arme sie in Sicherheit.
Alexander war in seine dunklen Gedanken versunken gewesen, als er aus den Augenwinkeln sah, dass Caitlyn abrutschte. Instinktiv hielt er sein Pferd an, lehnte sich zurück, packte sie am Arm und zog sie hinüber auf sein Pferd.
Der Rock ihres Reitkostüms flatterte wild, während sie versuchte, sich aufzurichten. Fluchend schlang er einen Arm um ihre Taille, hob sie hoch und setzte sie auf seinen Schoß, wobei er sie gegen seine Leiste presste. Sein Körper reagierte umgehend, und er fluchte erneut, als der Regen noch heftiger wurde und sie beide durchnässte.
Caitlyn klammerte sich an ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Warm strich ihr Atem über seinen Hals. Sein Leib schmerzte vor Verlangen, und ein kurzes Donnergrollen erinnerte ihn daran, dass Regen nicht die einzige Gefahr war, die ihnen drohte.
Hastig lehnte er sich noch einmal zurück, band eilends Caitlyns Stute hinten an seinen Sattel, gab seinem Pferd die Sporen und lenkte dann beide Tiere durch das kleine Wäldchen, während der Regen auf sie niederprasselte. Bei jedem Schritt, den das Pferd tat, schaukelte Caitlyn auf seinem Schoß hin und her. Der Rosenduft ihrer feuchten Haare reizte seine Nase, vermischte sich mit dem frischen Geruch des Regens, und er ertappte sich dabei, wie er gegen den absurden Wunsch ankämpfte, sie noch dichter an sich zu ziehen, bis ihr fester Busen sich gegen seine Brust presste. Wie ein Pfeil durchfuhr in die Lust, heiß und rau, und er schlang die Arme fester um sie.
Als ein leichter Schauer sie schüttelte, lockerte er sofort seinen Griff. Er versuchte, seinen Körper zu zwingen, sich ebenfalls zu entspannen. Doch selbst der kalte Regen half ihm nicht dabei, seine Erregung zu unterdrücken.
Sie im Arm zu haben, war ein verdammt sinnliches Gefühl, und es wurde langsam zur Qual, sie so zu halten. Sobald sie das Wäldchen durchquert hatten, ließ der Regen nach und wurde zu einem
Nieseln. Alexander brachte seinen großen Rappen zum Stehen und erlaubte Caitlyn, vom Pferd zu rutschen. Als ihre vollen Brüste sich gegen seinen Schenkel drückten, wurde seine Kehle eng.
„Wir sollten dafür sorgen, dass du wieder auf deinem eigenen Pferd sitzt.“ Er schwang sich herab und band ihre Stute von seinem Sattel los. „Der Weg ist schmal und glitschig, und es ist sicherer, wenn jeder auf seinem eigenen Pferd reitet.“
Sie raffte den langen Rock ihres Reitkostüms und blinzelte ihn durch den Regen an, die Wimpern feucht über den großen braunen Augen. „Ich hoffe, wir erreichen den Gasthof bald. Mir ist kalt.“ „Wir reiten nicht zum Gasthof.“
„Aber ... dorthin ist die Gruppe geritten und ...“
„Wir sind näher beim Haus, und ich will mir kein Fieber holen.“ Er packte sie bei der Taille und hob sie auf ihr Pferd. Sie legte ihr Knie über den Sattelknauf, und er schob ihren Fuß in den Steigbügel und wartete, bis er sicher war, dass sie den Stiefelabsatz hinter den metallenen Steg gehakt hatte.
Dann stieg Alexander auf sein eigenes Pferd, griff nach den Zügeln ihrer Stute und trieb seinen Wallach an. Dabei achtete er darauf, nicht zu schnell zu reiten, weil durch den Regen jeder mit nassem Laub bedeckte Felsen zu einem Risiko werden konnte. Während der folgenden zwanzig Minuten suchten sie schweigend ihren Weg durch einen schmalen bewaldeten Streifen, aus dem sie an einer oberhalb des Hauses gelegenen Stelle auftauchten. Im selben Moment, in dem sie in die Auffahrt ritten, eilten Diener herbei, um ihnen zu helfen. Hay kam mit einem großen Regenschirm aus dem Haus, den er über Caitlyns tropfnassen Kopf hielt.
Bevor sie durch die Tür trat, blieb Caitlyn stehen, griff in ihre Haare, drehte sie fest zusammen und wrang sie der Länge nach aus. Erst danach ging sie mit Hay ins Haus. Alexander folgte ihr und bemühte sich dabei, sie nicht anzusehen, was ihm allerdings misslang. Ihre Haare waren jetzt straff aus dem Gesicht gestrichen, und diese strenge Frisur hob ihre zarte Gesichtsform hervor, ihre vollen Lippen und die rosige Farbe ihrer Haut. Ihr vollkommen durchnässtes Reitkostüm schmiegte sich eng an ihren Körper und überließ nichts der Fantasie. Der sanfte Abwärts-schwung ihrer Schultern, die Rundung ihrer Brüste, ihr flacher Bauch waren auf reizende Weise von eng anliegendem, feuchtem braunem Samt umhüllt. Noch nie hatte eine nasse Frau besser ausgesehen.
Sie erschauderte, verschränkte die Arme und verbarg auf diese Weise ihre Brüste vor seinen Blicken, was eine gute Idee war, denn Alexander war sicher, dass nicht nur er, sondern auch jeder der anwesenden Diener durch den nassen Samt ihre aufgerichteten Brustwarzen gesehen hatte.
„Sie frieren, Miss“, stellte Mr Hay fest. „Wir müssen sofort dafür sorgen, dass Sie trockene Kleider bekommen.“
Oder dass sie ihre nassen Sachen auszieht und in ein großes, warmes Bett steigt - am besten in meines.
Mr Hay erteilte den Dienern ein paar Befehle, und schon bald kehrte einer von ihnen mit einer rothaarigen Zofe zurück, die eine dicke Wolldecke mitbrachte. Während sie ununterbrochen redete, wickelte sie Caitlyn in die Decke und führte sie fort, wobei Wassertropfen wie eine Spur auf den Stufen zurückblieben.
„Gütiger Himmel!“
Als Alexander sich umwandte, sah er Dervishton aus dem Salon kommen. Er starrte die Treppe hinauf hinter Caitlyn her, und sein Gesicht spiegelte unverhohlene Bewunderung wider.
Ärger stieg in Alexander auf. Er streifte seinen nassen Mantel ab und reichte ihn einem wartenden Diener. „Ich brauche ein heißes Bad in meinem Zimmer.“
Mr Hay verbeugte sich. „Sehr wohl, Sir.“
Dervishton wandte sich an Alexander. „Ihre Haare waren nicht hochgesteckt. Haben Sie gesehen, wie herrlich ...?“
„Ja“, erwiderte Alexander einsilbig und marschierte an Dervishton vorbei zur Treppe, die er jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend hinaufeilte, wobei seine Stiefel unangenehm quietschten.
Er hörte Schritte hinter sich, als Dervishton ihm folgte, um Seite an Seite mit ihm nach oben zu hasten. „Wie war Ihr Ausritt, Laird MacLean? Oder sollte ich besser nicht fragen?“
Alexander blieb vor der Tür seines Schlafzimmers stehen. „Er war nass, wie Sie sehen.“
„Und wo ist der Rest der Gesellschaft?“
„Miss Hursts Pferd entpuppte sich als schwierig, und ich musste ihr helfen.“
Belustigung blitzte in Dervishtons Augen auf. „Sie haben Kindermädchen gespielt, MacLean? Das sieht Ihnen aber gar nicht ähnlich.“
„Ich sehe nicht gern tatenlos zu, wenn ein gutes Pferd durch die Unfähigkeit seines Reiters zu Schaden kommt“, erklärte Alexander in scharfem Ton, während er hoffte, dass der Dummkopf ihn endlich in Ruhe ließ. Kaltes Wasser lief ihm den Nacken hinab, und das war verdammt unangenehm.
„Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die nach einem Regenguss so gut aussah wie Miss Hurst.“ Mit hungrigem Blick schaute Dervishton den Korridor entlang in die Richtung, wo die Schlafzimmer der Damen lagen. „Ich bin froh, dass Sie kein Interesse an ihr haben, denn ich beabsichtige, mich um sie zu bemühen.“ Alexander wischte sich Wasser aus dem Gesicht. „Ich dachte, Sie interessieren sich für die Duchess.“
„So war es auch, aber heute Nachmittag zeigte sie sich geneigt, und ...“ Dervishton zuckte mit den Schultern. „Der Reiz war dahin. Was ich wirklich brauche, ist eine echte Herausforderung. Ich denke, Miss Hurst wird mir eine bieten.“
„Oh, sie ist eine Herausforderung, das stimmt! Wenn ich für jedes Mal, das ich den Wunsch spürte, diese Frau zu erdrosseln, einen Penny bekäme ...“ So wie gerade jetzt, weil er ihretwegen in dieses ärgerliche Gespräch mit Dervishton verwickelt war. Bis vor einigen Tagen hatte Alexander geglaubt, Dervishton sei ein unbekümmerter, recht intelligenter Mann. Nun jedoch wurden die Schwächen des Mannes überdeutlich.
Dervishton zog eine Braue hoch. „Sie sollten ehrlich sein und zugeben, dass Sie ebenfalls an Miss Hurst interessiert sind.“ „Würden Sie aufhören, ihr nachzustellen, wenn dem so wäre?“, erkundigte Alexander sich unverblümt.
Dervishtons Blick verdunkelte sich, und ein feines Lächeln legte sich um seinen Mund. „Nein.“
„Warum sollte ich mir dann die Mühe machen?“
„Es würde die Fronten klären.“ Dervishton wedelte mit einer Hand durch die Luft. „Aber Sie werden ohnehin tun, was Sie wollen; so wie immer. Genau wie ich.“ Er verbeugte sich und wandte sich ab, um zu gehen.
„Dervishton?“
Der Mann blieb stehen und drehte sich um. „Ja?“
„Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht allzu sehr um Miss Hurst bemühen.“
Mit verschlossener Miene schaute Dervishton ihn an.
„Ich stimme Ihnen darin zu, dass sie schön ist“, fuhr Alexander fort.
„Außergewöhnlich schön.“
Alexander nickte. „Sie besitzt keine Mitgift und wird auch nie eine besitzen.“
„Ich habe nicht vor, das Mädchen zu heiraten“, erklärte Dervishton und lachte in sich hinein. „Ebenso wenig wie Sie, als Sie während der vergangenen Saison in London Ihren kleinen Flirt mit ihr hatten.“
„Wie ich sehe, haben Sie heute Nachmittag keine Zeit verloren.“ Alexander spannte die Kiefermuskulatur an.
„Ja. Georgiana hat mir erzählt, dass Miss Hurst den MacLeans keinen guten Dienst erwiesen hat. Ich werde mich vorsehen müssen, um nicht in die gleiche Falle zu tappen“, erklärte Dervishton lächelnd. „Ich muss zugeben, ich finde sie faszinierend. Sie ist eine Pfarrerstochter ohne jedes Vermögen und mit einem lästigen Hang zur Anständigkeit. Doch hinter ihrer Prüderie und ihrer sittsamen Art, sich in der Gesellschaft zu bewegen, blitzt immer wieder etwas Wildes, Verruchtes auf.“ In Dervishtons Augen trat ein hungriger Ausdruck. „Sie sehen also, sie ist genau mein Fall.“
Alexander schob die Hände in die Taschen, um zu verhindern, dass seine Faust nicht unversehens in Dervishtons Gesicht landete. Caitlyn war impulsiv und von natürlicher Sinnlichkeit, und in den Händen eines skrupellosen Mannes konnte eine solche Kombination sehr gefährlich sein.
Als hätte er Alexanders Gedanken gelesen, fügte Dervishton hinzu: „Wer auch immer sie erobert und dafür sorgt, dass diese
Flamme der Leidenschaft auflodert, wird die Erfüllung seiner wildesten Träume finden.“
„Sie wird erwarten, geheiratet zu werden“, gab Alexander zu bedenken und starrte den anderen finster an.
„Sie könnte die Ehe durchaus wert sein.“ Dervishton hielt Alexanders Blick stand. „Meinen Sie nicht?“
Hinter Alexanders Augen baute sich schmerzhafter Druck auf, und sein Zorn erreichte das Ausmai?, das den Fluch weckte. Ein plötzlicher Windstoß pfiff über das Dach, rüttelte an den Ziegeln, und der gleichmäßige Regen wurde zu einer reißenden, alles verschlingenden Flut.
Dervishtons Lächeln schwand, während er Alexander streng ansah. „Vorsicht, MacLean! Sie wollen doch wohl nicht Georgianas neue Kamine unter Wasser setzen! Sie mag glauben, dass ihr Haus vor dem Fluch der MacLeans sicher ist, doch sie irrt sich.“
„Sie haben keine Ahnung, wozu der Fluch in der Lage ist.“ „Das stimmt nicht; ich habe gesehen, was geschah, als Callum gestorben war.“
Diese Worte ließen Alexander bis auf den Grund seiner Seele erzittern. Callum war sein jüngster Bruder gewesen, das Nesthäkchen seiner großen Familie. Eine dumme Wirtshausschlägerei hatte ihnen Callum genommen. Blind vor Trauer und zornig hatten Alexander und seine Geschwister dem Fluch gestattet, zu wüten. Das Ergebnis war tödlich gewesen. Das Tal unter der Burg wurde überflutet, die Blitze setzten Scheunen und Häuser in Brand, und Hagelkörner so groß wie Fäuste verwüsteten die Felder und vernichteten die Ernte. Nachdem der Fluch erst einmal freigesetzt worden war, konnte ihn niemand mehr aufhalten. Jedenfalls hatten sie das zu jener Zeit geglaubt.
„Gut“, brummte Alexander. „Dann wissen Sie ja, dass Sie mich nicht provozieren sollten.“
„Indem ich Ihnen nicht sage, wie schön und aufregend ich Miss Hurst finde?“
Die Dachziegel klapperten noch lauter, und irgendwo in der Ferne krachte eine Tür zu.
Dervishton zuckte mit keiner Wimper. „Sie machen also Ihren Anspruch geltend.“ Er warf die Hände in die Luft, doch sein Lächeln war spöttisch. „Wenn Sie beabsichtigen, die Dame zu der Ihren zu machen, trete ich natürlich zurück.“ Er ließ seine Hände wieder fallen. „Für den Moment.“
Alexander runzelte die Stirn. „Für den Moment?“
„Wenn die Sache Sie irgendwann langweilt, werde ich die Pirsch wieder aufnehmen. Ich bin bereit, zu warten, bis ich an der Reihe bin. Wie ich schon sagte, das ist sie mir wert.“ Lächelnd wandte Dervishton sich ab. „Lassen Sie es mich einfach wissen, wenn die Angelegenheit für Sie ihren Reiz verloren hat. Ich werde warten.“ Alexander ging in sein Zimmer, während draußen der Wind wirbelte und heulte, rüttelte und rasselte. Der Regen klatschte heftig und laut aufs Dach.
Er schloss die Augen, ballte die Fäuste und zwang seinen Zorn nieder ... nieder ... drängte ihn fort. Langsam normalisierte sich Alexanders Atmung wieder. Noch immer strömte unablässig Wasser vom Himmel, denn der Sturm war zum Leben erweckt worden und würde sich an den Hügeln und Bergen brechen müssen. Aber wenigstens würde seine Wut ihm keine neue Nahrung mehr geben.
Seufzend durchquerte Alexander das Zimmer und ging zu dem knisternden Feuer. Während er in die Flammen starrte, dachte er nur an eines: Obwohl er Caitlyn Hurst nicht für sich haben wollte, wollte er doch auch nicht, dass Dervishton oder irgendein anderer Mann sie bekam.