„Entschuldigen Sie mich!“ Falkland hastete hinter Caitlyn her, um sie erneut zu bedrängen.

Leise vor sich hin lachend folgte Miss Ogilvie ihm zum Büfett. Dervishton kehrte zu seinem Platz am Tisch zurück. „Ich bin noch nie wegen eines Würstchens stehen gelassen worden.“ Alexander verbarg ein widerwilliges Lächeln. Er hätte verärgert sein müssen, doch das ließ sein Sinn für Humor nicht zu. Er beobachtete Caitlyn, die sich angeregt mit Falkland über die verschiedenen Früchte auf dem Büfett unterhielt, während sie den Teller belud, den dieser pflichtbewusst ihr hinhielt. Am vergangenen Abend hatte sie angesichts des Dinners ebenso geschwärmt. Ihre Reaktionen waren direkt und ungekünstelt. Während seiner vorangegangenen Begegnung mit ihr war alles so schnell gegangen und so feurig und wild gewesen, dass er kaum etwas über ihre alltäglichen Vorlieben und Abneigungen erfahren hatte. Nicht dass es eine Rolle spielte, erinnerte er sich selbst und unterdrückte einen Anflug von Unbehagen. Er kannte ihren Charakter, und mehr musste er nicht wissen.

„Falkland ist ein Narr“, unterbrach Dervishton das Schweigen. „Er geleitet Miss Hurst hierher zu uns. Ich hätte sie ans andere Ende des Tisches geführt, weit weg von der Konkurrenz.“ Alexander beobachtete, wie der Viscount mit dem fliehenden Kinn Caitlyn einen Stuhl schräg gegenüber zurechtschob. Caitlyn lachte leise über irgendetwas, das der Viscount sagte. Dabei himmelte der junge Adlige sie auf eine Weise an, die Alexander Übelkeit verursachte.

Als er sich Dervishton zuwandte, um eine Bemerkung darüber zu machen, stellte er fest, dass der Blick des jungen Lords ebenfalls an Caitlyn hing. „Sehen Sie nur“, flüsterte er Alexander zu. „Sie werden es nicht bereuen.“

„Was soll ich mir ansehen?“

Dervishton schaute Caitlyn wie hypnotisiert an und antwortete nicht.

Leise fluchend drehte Alexander den Kopf und sah zu Caitlyn hinüber. Das Licht der Morgensonne fiel auf sie, strich über ihre weiche Haut und ließ ihr goldenes Haar aufleuchten. Ihre langen, dichten Wimpern beschatteten ihre braunen Augen und ließen sie noch dunkler erscheinen. Sie wirkte frisch und reizend, genau wie er es erwartet hatte.

Irritiert zuckte Alexander mit den Schultern. „Was soll sein?“ „Sie sind ziemlich ungeduldig, wie es scheint.“ Dervishton warf Alexander einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder in Caitlyns Richtung. „Warten Sie einen Augenblick, dann werden Sie schon sehen.“

Während Alexander finster vor sich hinstarrte, beugte Caitlyn sich über ihren Teller und schloss die Augen. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefsten Glücks. Sie sah aus wie eine sehnsüchtige, sinnliche Verliebte.

Sofort wurde Alexanders Kehle eng, und sein Herzschlag geriet aus dem Takt. „Was, zur Hölle, tut sie da?“

„Sie riecht am Schinken, denke ich.“ Dervishtons Stimme war merkwürdig tief.

Alexander war sich ziemlich sicher, dass seine eigene Stimme auch nicht normal klingen würde, falls er versuchte, etwas zu sagen, während er zusah, wie Caitlyn den Duft ihres Frühstücks genoss.

Nun griff sie lächelnd nach Messer und Gabel und ... leckte sich über die Lippen.

„Gütiger Gott“, flüsterte Dervishton heiser.

Alexander spürte, wie ihm plötzlich heiß wurde, und für einen wilden, verrückten Moment wollte er diesen Blick - wollte ihn besitzen, wünschte sich, dass er auf ihn und nichts sonst gerichtet wurde.

Nun schob Caitlyn ihre Gabel unter ein kleines Stückchen Schinken und hob es an die Lippen.

Wenn er ihre Miene vorher schon für verzückt gehalten hatte, so war ihr unübersehbar sinnlicher Ausdruck nun unbeschreiblich. „Hat sie noch nie zuvor etwas zu essen bekommen?“

„Ich glaube, es ist die Raffinesse der Gerichte, die sie genießt“, erklärte Dervishton mit leiser Stimme.

„Schinken mit Eiern?“

„Gewürzt mit Schnittlauch, Butter und einem Hauch von Thymian - Roxburge lässt ausgezeichnete Speisen servieren. Ich habe selten ...“ Caitlyn schob sich eine mit Ei beladene Gabel zwischen die Lippen. „Verdammt!“ Dervishton verschlug es den Atem, als Caitlyn die Augen schloss und langsam kaute. Ihre Lippen glänzten feucht.

Dem musste Alexander sich anschließen. Verdammt! Diese Frau besaß ein großes Talent, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen, doch mit dem hier überspannte sie den Bogen! Alexander stellte fest, dass jeder Mann im Zimmer ihr beim Essen zusah -sogar Roxburge schaute gierig zu ihr hinüber.

Um Alexanders Mund entstand ein harter Zug. Dann beugte er sich vor und bemerkte mit klarer Stimme: „Ich habe noch nie eine Frau mit so viel Genuss essen sehen, Miss Hurst.“

Sie ließ ihre Gabel sinken. „Ich bezweifle, dass ich mein Essen mehr genieße als jeder andere.“ Sie wandte sich an Miss Ogilvie, die sich soeben gesetzt hatte. „Glauben Sie nicht auch, Miss Ogilvie?“

„Oh, wir haben alle unsere Schwächen“, erklärte Miss Ogilvie prompt. „Was mich betrifft, gibt es wohl niemanden, der Schokoladentorte so sehr liebt wie ich.“

Neben ihr verzog der Earl of Caithness den Mund zu einem breiten Grinsen. „Von mir weiß man, dass ich stets Trüffel im Haus habe.“

„Lassen Sie sich von MacLean nicht zum Narren halten“, fügte Dervishton mit einem schelmischen Zwinkern hinzu. „Er hätte sich mit unserem Gastgeber fast um die letzte Birne geprügelt.“ Caitlyn blinzelte. „Es gab Birnen?“ Sie beugte sich vor und betrachtete sehnsüchtig seinen Teller.

Neid durchfuhr Alexander, und sein Kiefer verkrampfte sich. Lieber Himmel, ich bin eifersüchtig auf eine verdammte Birne! Dieser seltsame Gedanke ärgerte ihn noch mehr. Mit grimmiger Entschlossenheit erklärte er: „Ja, ich habe die letzte Birne.“ Er schnitt ein Stück von der Frucht ab und machte eine große Sache daraus, sie zu probieren. „Hm! Zimt. Hervorragend.“

Sie senkte den Blick und presste die Lippen fest aufeinander, was zur Folge hatte, dass Alexander die Birne noch besser schmeckte.

Georgianas Stimme durchschnitt in diesem Moment mit scharfem Ton die Stille. „Lord Dervishton, Sie erwähnten gestern Abend, dass Sie heute Nachmittag gern ausreiten würden.“ Dervishton nickte, während sein Blick zurück zu Caitlyn wanderte.

„Es ist kühl heute, aber ich werde die Pferde satteln lassen.“ Georgiana schaute Alexander an, und ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. „Soweit ich mich erinnere, reiten Sie nicht nur zum Vergnügen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich reite, wenn ich mich um meine Ländereien kümmere. Normalerweise betrachte ich das Reiten nicht als entspannende Freizeitbeschäftigung.“

An Georgianas linker Seite saß Lady Kinloss, die nun in die Hände klatschte. „Ein Ausritt wäre wunderbar! Obwohl ihre Gnaden und einige andere“, sie warf Alexander einen raschen Blick zu, „nicht so viel vom Reiten halten, bin ich sicher, der Rest von uns wird es genießen. Vielleicht könnten wir Snaid besuchen. “ Miss Ogilvie schaute von der leisen Unterhaltung auf, die sie mit dem Earl of Caithness führte. „Snaid? Ist das ein Schloss?“ Lady Kinloss kicherte. „Du liebe Güte, nein! Die Leute hier in der Gegend nennen Inversnaid kurz Snaid. Es ist ein sehr kleines Dorf, aber es gibt dort ein Gasthaus mit außergewöhnlich gutem Essen und einem erstaunlichen Ausblick auf den Ben, einen wunderschönen Berg. Wir könnten heute Nachmittag nach Snaid reiten und dort Tee trinken. Nach unserer Rückkehr hätten wir noch sehr viel Zeit, uns zum Dinner umzuziehen.“

„Reiten Sie, Miss Hurst?“, erkundigte sich Dervishton.

„Ein wenig. Ich habe es in London gelernt, als ...“ Ihr Blick verirrte sich zu Alexander, und als sie bemerkte, dass er sie ebenfalls anschaute, errötete sie. „Natürlich kann ich reiten.“

Amüsiert über ihre rosig leuchtenden Wangen, zog er die Brauen hoch. Er wusste, wenn sie an ihre gemeinsamen Ausritte im Park dachte, erinnerte sie sich auch an die Küsse, die darauf zu folgen pflegten. Genau wie er in diesem Moment ebenfalls daran denken musste.

Es freute ihn, zu wissen, dass die Erinnerung an diese Augenblicke sie immer noch verwirrte. Er gestattete sich, ihre Lippen zu betrachten. „Miss Hurst ist eine hervorragende ... Reiterin.“ Sie errötete noch tiefer, während sie seinen Blick suchte. „Vielen Dank, Laird MacLean, aber ich würde meine Reitkunst nicht als hervorragend bezeichnen.“

„Ach, kommen Sie! Seien Sie nicht so schüchtern, was Ihre Talente betrifft.“

Alle Blicke richteten sich auf Caitlyn. Sie schaute Alexander kühl an. „Obwohl ich reiten kann, so kenne ich doch nicht die Pferde im Stall ihrer Gnaden, und ... “

„Sie haben natürlich Bedenken, dass die Tiere nicht Ihrem üblichen Standard entsprechen“, erklärte Alexander in gedehntem Ton. „Da ich Sie schon habe reiten sehen, kann ich Ihre Sorge verstehen.“

„Sie sind schon zusammen ausgeritten?“, erkundigte sich Dervishton erstaunt und zog die Brauen hoch.

„Ich hatte das Privileg, Miss Hurst Stunden zu geben, als sie während der vergangenen Saison in London weilte.“

Es folgte eine deutliche Pause in der Konversation.

Caitlyns Wangen hätten nicht röter sein können. „Glücklicherweise konnte ich in der Zwischenzeit mehr Unterricht nehmen.“ Alexanders gute Laune schwand. Was, zur Hölle, meinte sie damit? Sprach sie vom Reiten oder vom Küssen? Verdammt, sie war während der vergangenen drei Monate auf dem Land verschwunden gewesen! Hatte irgendein Bauernlümmel gewagt, sie anzufassen?

Wenn er sich Caitlyns rosigweiße Vollkommenheit in den Händen eines groben Farmers vorstellte, kochte in Alexander das Blut.

„Euer Gnaden“, wandte Miss Ogilvie sich an Georgiana. „Ich fürchte, meine Reitkünste sind nicht der Rede wert. Ich werde ein sehr sanftes Pferd brauchen.“

Georgiana schien von diesem schnörkellosen Geständnis amüsiert zu sein. „Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Ogilvie. Aus genau diesem Grund habe ich eine ganze Anzahl kleinerer, freundlicher Pferde im Stall stehen.“

Erleichtert seufzte Miss Ogilvie auf. „Vielen Dank, Euer Gnaden.“

„Gern geschehen.“ Georgiana warf Alexander unter ihren Wimpern hervor einen Blick zu und erklärte in trägem Ton: „Während die meisten von Ihnen einen Ausritt genießen werden, habe ich vor, hierzubleiben und mich um meine Korrespondenz zu kümmern. Das wird eine angenehme Art sein, den Nachmittag zu verbringen.“

Alexander wünschte sich, sie würde versuchen, ein wenig geschickter vorzugehen, doch er nahm an, dass sie dazu nicht in der Lage war. Um deutlich zu machen, wie wenig interessiert er war, wandte er sich wieder seinem Teller zu, um seine Birne zu genießen. Doch als er die Gabel hob, bemerkte er, dass die Frucht verschwunden war.

Ihm gegenüber spießte Caitlyn soeben das letzte Stückchen der Birne auf. Das Frauenzimmer hatte ihm seine Birne vom Teller gestohlen!

Während sie sich das Obst zwischen ihre Lippen schob, lächelte sie Alexander an und kaute dann mit offensichtlichem Genuss. Ihre Augen funkelten verschmitzt, und einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem schiefen, amüsierten Lächeln, das er jedoch sofort unterdrückte.

Einen gefährlichen Moment lang hatte er fast vergessen, weshalb sie hier war. Verdammt, er musste auf der Hut sein, damit sie ihn nicht auf die gleiche Weise betörte, wie sie schon die Mehrheit der Männer hier bezirzt hatte.

Er wandte sich Dervishton zu. „Wir haben Nordwind. Das wird ein kühler Ritt heute Nachmittag.“

Dervishton blickte die Tafel hinunter zu Caitlyn. „Es würde mich nicht einmal stören, wenn es schneite. Diesen Ausritt möchte ich um nichts in der Welt versäumen.“

Ärger machte sich in Alexander breit, und er bedachte den jüngeren Lord mit einem skeptischen Blick. Er wusste ganz genau, was geschehen würde: Dervishton und Falkland würden während des gesamten Ritts nach Snaid versuchen, sich gegenseitig in ihren Reitkünsten zu übertrumpfen, und auf diese Weise Caitlyns Eitelkeit nur noch mehr anstacheln. Zu dumm, dass er nicht mit von der Partie sein würde! Wenn jemand in der Lage war, die beiden vertrottelten Lords in Schach zu halten, dann war er das.

Hm ... vielleicht sollte er doch mitreiten. Er musste an all die Gelegenheiten denken, sie während des Ausritts verspotten zu können, denn es würde leicht möglich sein, sich ungestört zu unterhalten. Ganz zu schweigen davon, dass er wusste, wie es in Wahrheit um ihre Fähigkeiten im Umgang mit Pferden bestellt war, nämlich nicht sonderlich gut. Es war eine Sache, auf einem ebenen, geraden Weg im Hyde Park entlangzureiten, und eine ganz andere, einen schmalen, holprigen Pfad auf dem Land auf dem Pferderücken zu bewältigen.

Alexander lächelte. „Ich glaube, ich werde doch an dem Ausritt teilnehmen.“

Sofort wandte Georgiana den Kopf in seine Richtung, ihr harter Blick aus ihren blauen Augen durchbohrte ihn, und einen Moment befürchtete er, sie würde eine indiskrete Bemerkung fallen lassen. Doch dann riss sie sich zusammen und stieß ein unsicheres Lachen hervor. „Also wirklich, Laird MacLean! Ich habe noch nie erlebt, dass Sie an so einer banalen Beschäftigung teilnehmen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Die frische Luft wird mir guttun.“ Ein Ausdruck von Unmut huschte über Georgianas Gesicht. „Da Sie nicht hier sein werden ... Lord Dervishton, wären Sie so nett, hierzubleiben? Ich hätte gern Gesellschaft.“

Lord Dervishton wirkte betrübt, verbarg aber seine Enttäuschung rasch. „Natürlich, Euer Gnaden. Es ist mir ein Vergnügen.“

Zufrieden beobachtete Caitlyn die Blicke, die die Duchess über den Tisch hinweg Alexander zuwarf. Muirens Geschichte über die Duchess und MacLean stimmte offenbar. Aus dem Augenwinkel schaute Caitlyn zum Duke hinüber, der zufrieden seine Schnupftabakdose polierte. Da es ihn nicht zu stören schien, sollte es ihr vielleicht auch gleichgültig sein. Schließlich hatte sie keinerlei Ansprüche an MacLean.

Wäre er allerdings ihr Ehemann gewesen, hätte sie solche Dummheiten nicht hingenommen. Wenn sie einmal heiratete, würde sie jedoch dafür sorgen, dass ihr Mann ihre Verbindung und sie selbst respektierte, so wie ihre Eltern einander Respekt entgegenbrachten.

Der Gedanke an ihre Mutter ließ Caitlyn innehalten. Sie hatte schon wieder zugelassen, dass MacLeans Spötteleien die gleiche Reaktion bei ihr hervorriefen wie früher bereits. Dieses Oh-ja-ich-kann-und-Sie-können-mich-nicht-davon-Abhalten, das sie schon einmal in so große Schwierigkeiten gebracht hatte. Wegen seiner sarkastischen Bemerkungen hatte sie nichts über ihre bescheidenen Fähigkeiten als Reiterin gesagt, sondern hatte sogar behauptet, sie habe inzwischen mehr Erfahrung auf dem Pferderücken, was eine glatte Lüge war.

Sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass er sie in einen Streit verwickelte.

Die Art, wie MacLean sie ansah, hatte etwas Verletzendes, als würde er immer wieder feststellen, dass sie einen entscheidenden Mangel besaß. Dieser Blick stachelte sie zu unbesonnenen Handlungen an. Deshalb hatte sie ihm die Birne gestohlen. Der aufgeblasene Kerl war ihr gegenüber so herablassend gewesen, dass sie den dringenden Wunsch verspürte, es ihm zu zeigen. Zum Glück hatte lediglich der Earl of Caithness den Diebstahl beobachtet, und er hatte nur gegrinst und sich wieder seinem eigenen Frühstück zugewandt.

Caitlyn verstand, warum Sally Ogilvie ihn für einen bemerkenswerten Mann hielt. Er verfügte über eine unerschütterliche, gelassene Ausstrahlung. Zu dumm, dass Caitlyn sich für solche Männer nicht interessierte. Sie fühlte sich unweigerlich zu den unberechenbaren, unsteten Charakteren hingezogen.

Unter ihren gesenkten Wimpern hervor betrachtete sie MacLean und wünschte sich, er würde nicht so schrecklich gut aussehen. Er erinnerte sie viel zu sehr an einen Romanhelden, auch wenn er sich kein bisschen so benahm. Sie fragte sich, was er im Schilde führte. Offensichtlich legte er es darauf an, sie in Verlegenheit zu bringen. Aber warum? Was wollte er damit erreichen?

Vielleicht konnte sie es während des Ausritts herausfinden. Sie würde eine Gelegenheit finden, sich unter vier Augen mit ihm zu unterhalten und ...

Die Duchess beugte sich vor und sagte mit gesenkter Stimme etwas zu MacLean. Er hörte ihr zu, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich von ihr ab. Nun wirkte die Duchess erbost, während MacLean einfach nur gelangweilt dreinblickte.

Ein schwacher Funke glomm in Caitlyns Herz auf.

Sally lehnte sich ihr über den Tisch entgegen. „Anstatt mitzureiten, sollte ich vielleicht lieber hierbleiben und mir die Ahnengalerie anschauen, Caitlyn.“ Sie blickte die Tafel hinunter, bevor sie wisperte: „Ich werde zählen, auf wie vielen Porträts das fliehende Roxburge-Kinn zu sehen ist.“

„Nein, nein! Du musst mit uns reiten!“, beschwor Caitlyn sie, musste aber gleichzeitig über Sallys Bemerkung lachen.

„Oh ja!“, mischte sich Lord Falkland ein. „Sie dürfen auf keinen Fall die herrlichen Ausblicke versäumen. Es gibt im Umkreis von vielen Meilen nichts Vergleichbares.“

Sally wirkte verunsichert. „Wenn Sie denken, dass ich mitkommen sollte ...“

„Wir beide werden um die langsamsten, dicksten Pferde aus dem Stall bitten, und dann ist alles in bester Ordnung“, erklärte Caitlyn energisch nickend. „Und wenn es Ponys gibt, nehmen wir die.“

Nun lachte auch Sally. „Ein Pony wäre genau das Richtige für mich, aber nicht für dich, obwohl es sehr nett von dir ist, anzubieten, auch auf einem zu reiten.“

Caitlyn tat diese Bemerkung mit einem Schnauben ab und war froh, als die Duchess sich von ihrem Stuhl erhob. Da inzwischen alle ihr Frühstück beendet hatten, schlug Lady Kinloss vor, sich in einer Stunde in der Halle zu ihrem Ausritt zu treffen. Die anderen Gäste stimmten zu und verschwanden, um ihre Reitkostüme anzuziehen. Caitlyn wurde von Dervishton und Falkland in die Halle begleitet, während Alexander auf seinem Platz sitzen blieb und sein dunkler Blick ihr zur Tür folgte.

Georgiana beobachtete, wie sehr Miss Hurst die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog und mit einem begehrten Junggesellen an jedem Arm das Zimmer verließ. Wie erbärmlich! Männer sind so schwache Kreaturen. Es ist für eine junge Schönheit viel zu leicht, sie zu beeinflussen.

Doch das Wissen, was für Dummköpfe Männer waren, linderte nicht den Schmerz, den sie empfand. Georgiana war es nicht gewohnt, die Aufmerksamkeit der Männer mit anderen Frauen zu teilen. Es störte sie nicht im Geringsten, dass der Earl of Caithness Interesse an Miss Ogilvie zeigte, denn jeder wusste, dass er auf der Suche nach einer bodenständigen, vernünftigen Ehefrau war. Doch es ärgerte sie, zuzuschauen, wie ein gut aussehender Gentleman wie Lord Dervishton eine blässliche Unschuld vom Land wie Miss Hurst umschmeichelte. Noch mehr aber störte sie die Tatsache, dass MacLean mit seinen Blicken jeder Bewegung des Mädchens folgte, in seinen grünen Augen einen nachdenklichen ... abwägenden ... interessierten Ausdruck.

Lady Kinloss nahm eine Serviette und wickelte eine kleine Scheibe Schinken ein. „Muffin liebt Schinken. Ich darf ihm allerdings nicht zu viel davon geben, er bekommt Blähungen davon. Muffins Bauch ist so empfindlich! Er beklagt sich nicht, aber ich bemerke es, wenn er ...“

„Würde es dir etwas ausmachen, Laird MacLean und mich für einen Augenblick allein zu lassen, Diane? Ich möchte ihn nach seiner Meinung zu den beiden Grauschimmeln fragen, die ich gerade gekauft habe. Einer davon lahmt, und ich weiß nicht, ob ich ihn behalten soll.“

Mit einem nervösen Kichern sprang Diane von ihrem Stuhl auf. „Oh! Natürlich.“

Georgiana wartete, bis Diane das Zimmer verlassen hatte, dann ging sie an dem langen Tisch entlang bis dorthin, wo Alexander saß. Sein Blick war immer noch gedankenverloren auf die offene Tür gerichtet.

Nachdem sie sich neben ihm auf einem Stuhl niedergelassen hatte, folgte Georgiana seinem Blick in den Flur, wo Miss Hurst sich mit ernster Miene mit Lord Dervishton unterhielt. Georgiana verzog die Lippen. Das dumme Mädchen hatte keine Ahnung von Dervishtons wankelmütigem Wesen, was sehr nützlich für Georgiana war, um MacLean eifersüchtig zu machen. Der jüngere Lord besaß ein attraktives Äußeres, aber nichts von der Männlichkeit und der Sinnlichkeit des Mannes, der gerade neben ihr saß.

Sie beobachtete MacLean unter ihren gesenkten Wimpern hervor, und die Sehnsucht durchbohrte wie ein Pfeil ihr Herz. Für die meisten Mitglieder der Gesellschaft war sie die Duchess of Roxburge, die schönste und reichste Frau Schottlands, vielleicht sogar von ganz England. Nur sie und ihr tattriger Ehemann wussten, dass er sie im zarten Alter von vierzehn Jahren kennengelernt hatte. Sie war Arbeiterin in einer Baumwollfabrik gewesen, in Lumpen gekleidet, schmutzig und barfuß, das uneheliche Kind einer Kleinstadthure.

Roxburge, ein gelangweiltes Mitglied des Hochadels, war übersättigt vom Leben und den Launen der Gesellschaft; er wurde allgemein als leicht schwachsinnig betrachtet, weil er ein wenig lispelte und häufig knallrot wurde, wenn jemand ihn anschaute. Aber Roxburge war kein Dummkopf, und er hatte einen ausgeprägten Sinn für Schönheit in all ihren Facetten - selbst wenn sie ihm in Form eines Mädchens begegnete, das Lumpen am Leib trug und keine Schuhe besaß.

Am selben Tag nahm er Georgiana mit zu sich nach Hause, und nachdem es ihm gelungen war, ihr eine gefälschte Geburtsurkunde zu besorgen, heiratete er sie. So war die Duchess of Roxburge „geboren“ worden. Während der ersten zwei Jahre ihrer Ehe hatte er sie auf seinem nördlichsten Besitz versteckt, wo sie geschrubbt, poliert und unterrichtet worden war, bis selbst er manchmal vergaß, woher sie kam. Die Ehe war keine leidenschaftliche Angelegenheit; sie liebte ihn nicht, und er empfand ebenfalls keine Liebe für sie. Es war eine schlichte Zweckehe. Roxburge hatte eine junge, schöne Frau, um die die anderen adligen Männer ihn beneideten. Im Gegenzug erhielt Georgiana einen Titel und eine großzügige monatliche Zuwendung. Die Geburt eines gesunden, gut aussehenden Sohnes mit dem familientypischen Leberfleck am linken Ellenbogen machte den Handel perfekt.

Als die Zeit dafür gekommen war, präsentierte der Duke seine reizende Duchess der Londoner Gesellschaft, die sie im Sturm einnahm, wie er es erwartet hatte. Wenn jemand nach Georgianas Erbe fragte - was nur wenige taten -, ließ er verlauten, dass seine Frau aus einer alten Familie aus dem höchsten Norden Schottlands stammte, und deutete eine entfernte Verwandtschaft zur zarten tragischen Schönheit Mary, Königin der Schotten, an.

Georgiana bewegte sich mit sicherem Schritt durch die trüben Gewässer der Gesellschaft, mit offenen Armen wurde sie aufgenommen wegen ihrer Schönheit und ihres überlegenen Auftretens, das sie sich angewöhnt hatte, um Neugierige auf Abstand zu halten. Diese faszinierende Kombination öffnete ihr mehr Türen, als die Stellung und der Reichtum ihres Ehemanns es jemals hätten tun können. Sie begriff schnell, dass sie, um vorwärtszukommen, ihre Liebhaber und Freunde sorgfältig auswählen und einen Ruf größter Diskretion wahren musste. Genau das tat sie

und war schon bald eine der tonangebenden Persönlichkeiten der Gesellschaft.

Sie besaß alles, was sie sich wünschte, und sogar noch mehr. Und sie genoss es. Doch in letzter Zeit fühlte sich irgendetwas nicht mehr ganz richtig an. Ihre Schönheit welkte zusehends dahin, und ihr Mann war inzwischen ein tattriger alter Dummkopf, der nach den Hausmädchen schielte und mit offenem Mund am Esstisch einschlief.

Georgiana stellte fest, dass sie sich rastlos fühlte, weil ihr etwas fehlte: die eine Sache, die sie noch nie besessen hatte - wahre Liebe. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte, dieses tiefe Gefühl bei Alexander MacLean gefunden zu haben, jenem geheimnisvollen, zum Verrücktwerden gut aussehenden und verdammt schwer zu packenden schottischen Laird; einem Mann mit schwarzen Haaren, einer noch schwärzeren Seele und dunkelgrünen Augen, in denen sich brennende Leidenschaft und die Fähigkeit zu kalter Grausamkeit spiegelten.

Als hätte er ihre Gedanken gespürt, riss er seine Aufmerksamkeit endlich vom Flur los und wandte sich ihr zu. „Ja?“

Seine Stimme klang gelangweilt. Seine mangelnde Aufmerksamkeit hatte sie bereits gereizt gemacht, doch jetzt flammte in Georgiana Ärger auf. „Beobachtest du Miss Hurst und ihre Eroberungen? Oder wünschst du dir, selbst einer dieser Männer zu sein?“

Seine Augen wurden schmal und schimmerten wie grünes Eis. „Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich, MacLean“, fauchte sie. „Ich habe dich nie für einen Mann gehalten, der Schulmädchen hinterherläuft. Bisher war ich der Meinung, Humbolts Ableben sei dir eine Lehre gewesen.“

Ein kühles Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Was ist los, Georgiana? Bist du eifersüchtig, weil Dervishton nicht vor dir auf den Knien liegt?“

Georgiana erschauderte unter dem eisigen Glanz seiner Augen und schluckte eine scharfe Erwiderung hinunter.

Alexanders Blick wanderte bereits wieder zur offenen Tür. Auch Georgiana beobachtete Caitlyn Hurst, die absolut entzückend aussah, während sie Dervishton anlachte. Die Kleider des Mädchens waren von einer irreführenden Schlichtheit, der man sofort ansah, dass sie von einer erstklassigen Modistin stammten. Woher hatte sie eine solche Garderobe?

Georgiana klopfte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. „Du hast mir gesagt, dass du Caitlyn Hurst eine Lehre erteilen wolltest, MacLean.“

Er warf ihr einen gelangweilten Blick zu. „Was ich tue oder nicht tue, geht dich nichts an.“

„Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn ich mir die Mühe mache, das Mädchen in mein Haus einzuladen, und dann dasitzen und zuschauen muss, wie du genau wie die anderen Männer um sie herumscharwenzelst. Du bist betört von ihr! Gib es zu!“ Seine Augen sprühten grüne Funken, seine Lippen waren bleich vor Zorn. Draußen pfiff ein heftiger Wind ums Haus; die Sonne verschwand hinter einer Wand dunkler Wolken.

Erregt und erschrocken erschauderte Georgiana. Einen Mann wie diesen zu besitzen ... Wie hatte sie ihn gehen lassen können? Er war hinreißend und überwältigend männlich, doch es war seine Energie, die ihre Knie weich werden ließ. Sie berührte seinen Arm und beugte sich vor. Ihr Vormittagskleid aus blauer Seide war aufreizend tief ausgeschnitten. „Alexander, bitte ... ich wollte dich nicht wütend machen. Ich bin nur neugierig auf deinen Plan. Und ich bin ein Teil davon, weil ich diejenige bin, die sie hierher eingeladen hat.“

Er betrachtete sie lange. Draußen legte sich langsam der Wind; die Wolken huschten nicht mehr so schnell über den Himmel, verschwanden aber auch nicht. „Ich spiele nur mit ihr. Sie hat das Leben meines Bruders nicht in einem einzigen Moment ruiniert; er musste seinem Schicksal eine ganze Weile ins Auge blicken. Ich will, dass es ihr genauso geht. Sie weiß, dass ich Pläne geschmiedet habe, aber sie hat keine Ahnung, welcher Art diese Pläne sind. Sie ist neugierig und besorgt, das lese ich in ihrem Gesicht.“ Sein strenger Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. „Wenn die Zeit gekommen ist, wird sie erfahren, was ihr bevorsteht. Bis es so weit ist, möchte ich, dass sie sich Sorgen macht.“

Georgiana war erleichtert. „Du quälst sie! Ich befürchtete schon, dass du ihr erliegst wie dieser Dummkopf Falkland und die anderen Männer. Aber wie willst du das Mädchen bestrafen, wenn es ständig von Bewunderern umringt ist? Du wirst dir eine Doppelzüngigkeit zu eigen machen müssen, um der Kleinen Angst zu machen.“

„Das werde ich.“ Er stand auf und zwang sie auf diese Weise, seinen Arm loszulassen. „Für den Moment möchte ich, dass die Ungewissheit sie quält. Ich bin ihretwegen hier, und sie fängt an, das zu begreifen. Mehr musst du nicht wissen.“

Georgiana öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er kam ihr zuvor, indem er stirnrunzelnd verkündete: „Ich muss mich für den Ausritt umziehen.“

Mehr würde sie heute nicht in Erfahrung bringen. Georgiana erhob sich ebenfalls. „Natürlich. Ich werde den Dienern sagen, wie viele Pferde sie satteln sollen. Und ... Alexander?“

„Ja?“

„Wenn du zurückkommst, würde ich gern hören, wie die Dinge sich entwickelt haben.“ Sie hielt den Atem an. Es war riskant, ihn darum zu bitten, ganz besonders in einem Ton, der klang, als würde sie voraussetzen, dass seine Antwort Ja lauten würde.

Zu ihrer Erleichterung zuckte er nur mit den Schultern. „Wenn ich wieder da bin, schaue ich in deinen Gemächern vorbei.“

Ihr Herz machte einen Sprung. Nach seiner Rückkehr würde sie ihn zu mehr verführen als nur zu einem Bericht. Es gelang ihr, ihren Triumph zu verbergen. „Ich freue mich auf unsere Unterhaltung.“ Er verbeugte sich und verließ das Zimmer. Dabei bewegte er sich mit der Anmut eines Raubtiers, was sie erneut erschaudern ließ. Sie schaute ihm nach, bis er auf der Treppe verschwunden war, dann wandte sie sich um und blickte aus dem Fenster. Die Gewitterwolken hingen immer noch tief am Himmel, und es roch nach Regen.

Fröstelnd rieb sie sich die Arme. Alexander MacLean war eine Herausforderung; eine herrliche, reizvolle und schwierige Herausforderung. Aber sie war keine gewöhnliche Dame der Gesellschaft; sie war sehr viel mehr. Und sie kannte, anders als die meisten anderen Menschen, nicht die Bedeutung des Wortes „aufgeben“. Sie würde einen Weg finden, ihn zu erobern. Auf die eine oder andere Art würde er der Ihre werden.

Hoch erhobenen Hauptes verließ sie ebenfalls das Frühstückszimmer.