1. Kapitel

Nur einer Frau, die das Wörtchen Nein nicht kennt, wird es gelingen, einen MacLean zu erobern, vor allem einen solchen mit einem Herzen aus Stein.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Eine richtige lebendige Duchess?“

Caitlyn Hurst lachte über den Aufschrei ihrer jüngeren Schwester. „Ja, eine echte lebendige Duchess, keine echte tote Duchess.“

„Du weißt genau, was ich meine.“ Mary warf sich aufs Bett ihrer Schwester neben den abgeschabten Koffer, die drei Ballkleider, einen Stapel sorgfältig gefalteter Unterwäsche und ein Paar gut eingetragener Tanzschuhe. „Ich wünschte, ich wäre zusammen mit vielen anderen Gästen für drei Wochen ins Haus einer echten lebendigen Duchess eingeladen!“

Caitlyn legte ein Paar Strümpfe, die erst ein einziges Mal gestopft waren, in eine Reisetasche, die auf dem Boden stand. „Du missgönnst mir doch nicht etwa das einzige Vergnügen, das ich seit Monaten habe?“

„Nein, ich wünschte nur, ich könnte mit dir kommen.“ Mary breitete die Arme aus. „Im Brief der Duchess steht, dass es Spaziergänge durch den Park geben wird, Ausritte, Bogenschießen, Kartenspiele ...“

„Über Letzteres ist Mutter nicht besonders begeistert.“

„Nein. Aber Papa hat dir eine Guinee zugesteckt, damit du spielen kannst. Es scheint also nicht so fürchterlich zu sein. Außerdem war es nicht das Glücksspiel, das Mutter nicht gefiel; es war der Maskenball. Ich dachte wirklich, sie würde dich nicht gehen lassen, weil die Duchess geschrieben hat, dass du ein Kostüm brauchst.“

„Ich musste versprechen, keine Maske zu tragen und mich zu benehmen, wie es sich für eine wohlerzogene junge Dame gehört.“

Mary runzelte die Stirn. „Kannst du das denn?“

„Ich werde es tun“, erklärte Caitlyn eifrig und meinte es auch so. Das tat sie immer; das Problem war nur, dass sie nicht mehr daran dachte, wenn sie die Beherrschung verlor. Es war nicht etwa ihr brennender Wunsch, die Regeln der Gesellschaft zu brechen; aber wenn jemand sie provozierte oder der Zorn sie übermannte, war ihr Temperament ausgeprägter als jede Vorsicht und Vernunft.

Mit mehr Schwung als nötig stopfte Caitlyn einen Schal in ihren Reisekoffer. Verdammt noch mal, wenn sie sich nur vor drei Monaten zusammengerissen hätte! Sie war wegen Alexander MacLeans Verhalten so unglaublich wütend geworden, dass sie Dinge gesagt und getan hatte, die sie besser gelassen hätte. Doch das konnte sie nun nicht mehr ändern, ihr blieb nur die Möglichkeit, diese unerwartete Einladung zu nutzen, um sich und ihrer Familie wieder einen Platz in der Gesellschaft zu erobern.

Mary berührte vorsichtig eines der neuen Kleider, die auf dem Bett ausgebreitet waren, damit sie in Seidenpapier gewickelt werden konnten, bevor sie in den Koffer kamen. „Ganz bestimmt hat keiner im Haus der Duchess so schöne Kleider wie diese. Du kannst besser nähen als die meisten Modistinnen in der Bond Street.“

Caitlyn lächelte. „Vielen Dank! Das ist wirklich ein Kompliment. Ich bin besonders stolz auf das silberne Kleid; es ist für den Maskenball.“

„Du siehst wundervoll darin aus, obwohl Mutter dich gezwungen hat, den Ausschnitt zu verkleinern.“ Mary verzog das Gesicht. „Wenn es nach ihr ginge, würdest du von Kopf bis Fuß in einen Kartoffelsack genäht auf dem Maskenball erscheinen. Mutter macht sich viel zu viele Sorgen, obwohl du ...“ Caitlyns Schwester errötete.

Sofort verschwand Caitlyns gute Laune. „Ich werde nie wieder zulassen, dass mein Temperament mit mir durchgeht. Wenn ich mich nicht so schlecht benommen hätte, dass Triona meinte, sie müsse nach London kommen, um mich zu retten, wäre sie nicht gezwungen gewesen, zu heiraten und ... “ Es gelang ihr nicht, fortzufahren, weil ihre Kehle plötzlich ganz eng war.

Mary griff nach der Hand ihrer Schwester. „Am Ende ist doch alles gut geworden. Triona ist schrecklich verliebt in ihren Mann, und sie hat gesagt, sie hätte es dir zu verdanken, dass sie ihn kennengelernt hat. Und du hast unsere Großmutter zu einer ganz glücklichen Frau gemacht. Sie ist sehr, sehr froh über die Hochzeit.“

„Großmutter glaubt, dass alles, was mit den MacLeans zu tun hat, wunderbar ist - ganz besonders, wenn es bedeutet, dass sie ein paar großartige Urenkel bekommt.“

„Oh, das wäre wirklich ...“

Vom Flur her war gewaltiger Lärm zu hören. Es klang, als würde eine Herde Kälber dort herumtoben. Gleich darauf wurde nach einem kurzen Anklopfen die Tür aufgerissen, und ins Zimmer stürmte William, ihr ältester Bruder, gefolgt von einem erstaunlich elegant gekleideten Robert und dem viel zu dünnen Michael.

Sie waren alle sehr groß, ganz besonders William, der seine Brüder noch deutlich überragte und dessen Schultern beeindruckend breit waren.

Michael, der erst vor Kurzem von einem heftigen Husten genesen war, warf sich schlaksig in den Sessel vor dem Kamin. „Nun?“, erkundigte sich der Sechzehnjährige und betrachtete die Kleider und Schuhe und die anderen Kleinigkeiten, die überall im Zimmer verteilt waren. „Ich dachte, du hättest inzwischen fertig gepackt.“ Mary grinste. „Caitlyn hatte nur zwei Wochen Zeit zum Packen. Du weißt genau, dass das viel zu kurz ist.“

Caitlyn starrte Michael mit zusammengekniffenen Augen an. „Seid ihr alle nur gekommen, um uns auf die Nerven zu gehen? Ich kann euch versichern, wir haben auch so genug zu tun und haben nicht vor, euch zu unterhalten.“

Robert betrachtete die Sachen, die auf dem Bett herumlagen, durch ein Monokel, das er neuerdings benutzte. „Gütiger Gott, Mädchen! Was willst du denn bloß alles mitnehmen?“

Caitlyn richtete den Blick auf ihren anderen Bruder. „Musst du dieses schreckliche Augenglas benutzen?“

„Das ist modern“, erklärte er in energischem Ton, wirkte dabei jedoch unsicher.

„Für einen kurzsichtigen Zyklopen vielleicht.“

Mary kicherte, während Michael und William laut schnaubten. Robert ließ das Monokel in die Jackentasche gleiten und bemerkte hochmütig: „Nur weil du keine Ahnung von Mode hast...“

„Hat sie wohl!“, unterbrach ihn Mary. „Du hast doch die Kleider gesehen, die sie genäht hat.“

Caitlyn strich ein blaues Vormittagskleid auf dem Bett glatt. „Falls man der Liste der Vergnügungen, die die Duchess plant, Glauben schenken kann, habe ich weniger Kleider, als ich brauchen werde. Aber diese müssen reichen. Ich kann die Schultertücher und Schuhe austauschen und ein paar kleine Änderungen vornehmen, sodass die Kleider immer wieder anders aussehen.“ „Caitlyn hat sogar ihr altes Reitkostüm geändert.“ Mary schob die Hand in den offenen Koffer und strich liebevoll über das braune Reitkleid aus Samt. „Hilfst du mir dabei, auch so eins zu nähen, wenn du zurückkommst?“

Michael schnaubte erneut. „Und wo willst du das tragen? Das einzige Reittier, das wir haben, ist die alte, fette Stute des Gutsherrn.“

„Es ist egal, wie das Pferd aussieht, auf den Reiter kommt es an“, fauchte Mary.

„Du hast Stunden damit zugebracht, ein Reitkostüm zu nähen, das du nur ein oder zwei Mal im Monat tragen wirst?“ Dieser Gedanke schien Michael zu erstaunen.

„Falls ich gut darin aussehe, ist es die Mühe wert.“

„Eitelkeit ist eine Sünde. Das hat uns Vater schon eine Million Mal gesagt.“

„Wenn man den Wunsch hat, gut auszusehen, ist man nicht eitel. Eitelkeit ist viel eher, wenn du meinst, du siehst so gut aus, dass es egal ist, was du anhast.“

Diese Bemerkung löste eine Diskussion zwischen Mary und

Michael aus, die an Lautstärke gewann, als Robert und William die beiden noch weiter anfeuerten.

Caitlyn ignorierte sie und packte ein mit Sternen bedrucktes Schultertuch ein, das sie vor drei Monaten während ihres Aufenthalts in London gekauft hatte. Ist das wirklich erst so kurz her? Die ganze Episode erschien ihr inzwischen wie ein verblasster Albtraum.

Sie konnte sich nicht mehr genau an die Bälle und die Kleider erinnern oder an die opulenten Speisen oder die Attraktionen Londons, doch in ihrem Gedächtnis war noch jede einzelne Sekunde ihres gefährlichen Flirts mit Alexander MacLean bewahrt. Sie wusste noch ganz genau, wie er ihr das Reiten beigebracht hatte. Obwohl sie dafür gesorgt hatte, dass sich aus Gründen der Schicklichkeit ein Reitknecht in der Nähe aufhielt, war es MacLean gelungen, den Mann anderweitig zu beschäftigen. Er hatte ihn nach „heruntergefallenen“ Handschuhen suchen lassen oder auch nach einem Schal, den der Wind angeblich weggeweht hatte, obwohl sich an diesem Tag kein Lüftchen regte.

Wenn sie daran dachte, wie sie selbst dabei mitgemacht hatte, die Diener abzulenken, wurden ihre Wangen heiß. Damals hatte sie an nichts anderes denken können als an ihren Wunsch, von MacLeans starken Armen umschlungen zu werden. Oder daran, wie sehr sie sich nach seinen heißen Küssen sehnte und ... Sie verscheuchte die Erinnerungen. Das war ein für alle Mal Vergangenheit und noch unbedeutender als der nicht vorhandene Wind, von dem MacLean damals gesprochen hatte.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich Mary zu. „Wenn ich zurückkomme, nähe ich dir ein Reitkostüm. Wir können den blauen Samt von deinem alten Mantel benutzen und den goldfarbenen Abendumhang, den Mutter in dem großen Koffer auf dem Dachboden aufbewahrt. Die Farben passen perfekt zusammen, und an den Stellen, wo der Stoff abgetragen ist, nähen wir ein paar silberne Blumen auf; dann fallen sie niemandem auf. So habe ich es auch bei einem meiner neuen Kleider gemacht.“

Robert vergaß für einen Augenblick sein gelangweiltes Mann-von-Welt-Gehabe und schnaubte: „Du hast also vor, die hohe Gesellschaft mit ein paar klug platzierten Stoffblumen zum Besten zu halten? Sie werden deinen Trick innerhalb von Sekunden durchschaut haben.“

Caitlyn faltete einen dunkelblauen Seidenschal zusammen und legte ihn in die Reisetasche. „Oh, sie werden es nie herausfinden. Das ist ihnen schon früher nicht gelungen.“ Nun stellte sie ein Paar Satinschuhe in den Reisekoffer neben die anderen. „Nur drei Paar Abendschuhe. Ich wünschte, ich hätte noch mindestens zwei Paar mehr.“

William, der im Türrahmen lehnte, zog die Brauen hoch und erkundigte sich mit einem Funkeln in den Augen: „Wie viele Paar Abendschuhe braucht man denn für eine schlichte Einladung aufs Land?“

„Es ist keineswegs eine schlichte Einladung!“, protestierte Mary. „Caitlyn ist in das Schloss einer echten lebendigen Duchess eingeladen!“

„Ich sollte mindestens ein Paar Schuhe für jede Farbe haben, in der ich ein Kleid besitze. Aber ich werde eben so zurechtkommen müssen.“ Caitlyn legte das letzte Kleid in den Koffer und zupfte es sorgfältig zurecht, bevor sie den Deckel zuklappte. „Ich befürchte immer noch, dass Mutter jeden Moment hereinkommt und verkündet, sie hätte es sich anders überlegt.“

„Das wird sie nicht tun“, erklärte Robert in überlegenem Ton. Caitlyn musterte ihn erstaunt. „Woher willst du das wissen?“ „Ich habe gehört, wie sie mit Vater gesprochen hat. Mutter glaubt, dass es dir gelingen wird, dich die paar Wochen zu benehmen. Sie meint, du hättest wunderbare Fortschritte gemacht, was dein Temperament betrifft. Obwohl du es wohl kaum während der letzten drei Monate verloren haben dürftest. Und“, er grinste, „sie hofft, dass du einen passenden Mann kennenlernst.“

Caitlyns Wangen glühten. „Ich will keinen passenden Mann kennenlernen. “ Sie wollte einfach nur eine Gelegenheit haben, den Namen ihrer Familie reinzuwaschen und ihren Eltern zu beweisen, dass sie aus ihrem schrecklichen Fehler gelernt hatte.

Eine Sache machte sie an der ganzen Angelegenheit besonders wütend: Niemand schien MacLean auch nur die geringste Mitschuld zu geben, dabei hatte er genauso großen Anteil an Trionas zerstörtem Ruf wie Caitlyn. Wäre er nicht in vollem Bewusstsein so faszinierend gewesen, hätte sie ihm nicht die geringste Beachtung geschenkt. Doch von dem Moment ihrer ersten Begegnung an hatte er sie verspottet und provoziert, und sie besaß nun einmal nicht die Selbstbeherrschung, darauf nicht einzugehen.

Eines war sicher: MacLean war entschlossen gewesen, sie zu küssen. Das wusste sie, weil er es ihr gesagt hatte, als sie sich zum dritten Mal begegnet waren. Natürlich hatte sie darauf völlig unangemessen geantwortet, nämlich: „Versuchen Sie es nur!“ Und damit hatte alles angefangen.

Zwischen ihnen hatte unverkennbar eine starke Anziehung geherrscht, heiß und drängend, die in Caitlyn Gefühle auslöste, wie sie sie nie zuvor empfunden hatte. Ein Kuss von Alexander MacLean verwandelte sie in ein bebendes Etwas, das nur aus wilder Leidenschaft bestand. Schlimmer noch, sie war süchtig nach ihm wie nach Schokolade, und ehe sie sich’s versah, bemühte sie sich, mehr und mehr von diesen Küssen zu bekommen. Deshalb nahm sie immer größere Risiken auf sich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, forderte ihn immer weiter heraus, obwohl er sie schon von sich aus provozierte, bis sie sich beide gefährlich nah an jener Grenze bewegten, die sie nicht überschreiten durften.

Seltsamerweise war es die Erinnerung an diese Küsse, die Caitlyn am meisten quälte. Jeden Abend, wenn sie die Augen schloss, träumte sie von ihnen - heiß, leidenschaftlich, entschlossen und ...

Nein! Das ist alles Vergangenheit. Sie stellte den Koffer neben die lederne Reisetasche. „Das war’s. Ich bin fertig mit dem Packen.“

Michael beäugte die Reisetasche. „Hast du da auch Kleider drin?“

„Du hast nicht geglaubt, dass sie all ihre Kleider und ein Reitkostüm in einen Koffer bekommen würde, nicht wahr?“, erkundigte sich Mary und runzelte die Stirn. „Hilf jetzt, die Sachen in die Halle zu bringen. Die Duchess schickt ihre Kutsche, um Caitlyn abholen zu lassen, und die wird jeden Augenblick hier sein.“

Robert griff nach dem Reisekoffer und eilte aus dem Zimmer. Dabei rief er über die Schulter: „Ich wette, die Pferde sind edelsten Geblüts!“

Als wäre sie federleicht, hob William die Ledertasche vom Boden auf und warf sie sich über die Schulter. „Ich will die Pferde auch sehen.“

Grinsend schlenderte Michael zur Tür. „Soll ich Mutter sagen, dass du gleich nach unten kommst, Caitlyn?“

„Mach das bitte. Ich will nur sichergehen, dass ich nichts vergessen habe.“

„Gut.“ Er winkte und ging.

Mary trödelte noch an der Tür herum. „Du schreibst mir doch?“

„Jeden dritten Tag.“

„Das wird wohl reichen müssen“, stellte Mary mit einem Seufzer fest. „Ich wünsche so sehr, ich könnte dich begleiten.“ Mit einem sehnsüchtigen Blick verließ sie ebenfalls das Zimmer.

Caitlyn griff nach ihrem abgetragenen Wollmantel und einem dicken Schal. Das würde sie zusammen mit ihren vernünftigen Stiefeletten tragen. Wenn sie in zwei Tagen Bailoch Castle erreichten, würde sie kurz vorher anhalten lassen und ihre modischeren Sachen anziehen, die schöner, aber nicht so warm waren.

Sie schaute sich ein letztes Mal in ihrem Zimmer um. Dann, als sie sicher war, dass sie nichts vergessen hatte, verließ sie den Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloss.