20. Kapitel
Nur ein Dummkopfversucht, mit dem Kopf die Wege seines Herzens zu begreifen.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.
Ich muss Sie bitten, noch einmal über dieses Kostüm nachzudenken, Sir.“
„Nein.“
„Die Leute werden reden.“
„Dann lassen Sie sie reden. Mir gefällt es.“ Alexander betrachtete sich im Spiegel. Er trug kniehohe Stiefel aus dickem Fell, die mit Lederbändern geschnürt waren, und einen langen Kilt, der ihm bis über die Knie reichte. An dem breiten Ledergürtel, den er um die Taille trug, hing eine Felltasche, die den Kilt beschwerte, sodass er im Wind nicht plötzlich hochwehen konnte. Ein breiter Stoffstreifen am oberen Ende des Kilts war quer über seine Brust und über eine Schulter gelegt.
„Tragen Sie wenigstens ein Hemd zu Ihrem ...“, MacCready erschauderte, „... Rock.“
„Ich besuche Georgianas Kostümball als mein eigener Vorfahre Duncan MacLean. Er hat kein verdammtes Hemd getragen, und ich werde es auch nicht tun.“
„Er war ein Barbar, Sir.“
„Heute Abend bin ich auch einer. Öffnen Sie mir die Tür, MacCready.“
Vor Missfallen seufzend, tat der Kammerdiener, wie sein Herr ihn geheißen hatte.
Alexander hatte den ganzen Tag damit verbracht, so wild er nur konnte, über Roxburges Ländereien zu reiten. Der Ausritt hatte seine Gedanken geklärt, ihm aber keine Antworten gebracht. Wenn sie die Wette verliert, was sie wahrscheinlich tun wird, werde ich sie für zwei Wochen zu meiner Mätresse nehmen. Soll ich wirklich riskieren, die Dinge noch komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon sind? Aber kann ich der Versuchung widerstehen?
Er glaubte nicht, dass er es konnte. Die Vorstellung, die kurvenreiche Caitlyn für zwei sinnliche Wochen zu besitzen, brachte seinen Körper zum Vibrieren. Verdammt, wie sehr er sie begehrte!
Aus den Tiefen seiner Seele kam ein Flüstern: Aber ist das alles? Ist es nur Lust? Oder bist du genauso schwach wie Charles?
Er blieb auf der obersten Treppenstufe stehen und schaute hinunter in die Halle. Wo war sie überhaupt? Sie hatte kurz nach ihm das Haus verlassen. Von einem Hügel aus, auf den er geritten war, hatte er gesehen, wie sie in eine Kutsche stieg.
Er wollte zuerst dem Wagen folgen, hatte aber letztlich dieser dummen Versuchung widerstanden.
Stattdessen war er wie der Teufel geritten und hatte gehofft, durch die Anstrengung etwas von dem heißen Verlangen loszuwerden, das durch seine Adern pulsierte. Als er schließlich zum Haus zurückgekehrt war, hatte er in Erfahrung gebracht, dass Caitlyn noch nicht zurück war, während die anderen Gäste sich alle schon in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, um zu baden und sich für den Maskenball umzuziehen. Georgiana hatte eine größere Anzahl weiterer Gäste aus der Umgebung eingeladen und prophezeite, dass es sehr eng werden würde, was Alexander nur recht war. Je größer die Menge, umso leichter würde es sein, Caitlyn für ein privates Gespräch wegzuziehen, nachdem er schließlich den Wettbewerb gewonnen hatte.
Er ging die Treppe hinunter. Der Ball hatte bereits begonnen. Auf den untersten Stufen holte er die Marchioness of Treymont ein. Sie trug ein blassgrünes Kleid, das mit Seidenblumen geschmückt war. Wahrscheinlich stellte sie den Frühling dar, eine geschickte Wahl für jemanden mit ihrer hellen Haut und ihren rötlichen Haaren. Ihr Blick blieb an seinem Kilt hängen, und sie schwankte ein wenig. Ein tiefes Rot überzog ihre Wangen, bevor sie hastig wegschaute und weitereilte.
Alexanders Grinsen wurde breiter. Heute Abend wollte er die Menge schockieren, wollte den ganzen steifen Haufen in Aufruhr versetzen. Er hatte es satt, den höflichen Gast zu spielen, und das hier würde für Gerede sorgen. Der Gedanke gefiel ihm, und als er den Salon betrat, stolzierte er noch ein wenig steifbeiniger umher.
In dem Zimmer voller Frühlingselfen, Prinzessinnen und Eisfeen zog Caitlyn sofort seinen Blick auf sich. Er blieb stehen, seine Füße schienen wie mit dem Boden verwachsen zu sein. Sie trug ein Kleid, das aussah, als sei es aus Silberpapier genäht. Silber hätte viele blonde Frauen blass aussehen lassen, aber Caitlyn mit ihren vollen, sattgoldenen Haaren und den dunkelbraunen Augen leuchtete regelrecht darin. Ihre eigenen Farben waren auf eine Weise noch lebendiger geworden, die er nicht hätte beschreiben können.
Ihr Kleid war im mittelalterlichen Stil geschnitten, mit rundem Ausschnitt und langen Ärmeln, die bis auf ihre schlanken Finger fielen. Ihre Haare waren nicht hochgesteckt, sondern auf einer Seite ihres Kopfes nach einer Mode geflochten, die vor vielen Jahren geherrscht hatte. Der lange Zopf war auf komplizierte Art von einem schwarzen Band umwunden, und sie trug keinen Schmuck, der von ihrem herrlichen Haar ablenkte. Allein bei dem Gedanken, wie es sein würde, den üppigen Zopf zu lösen, sodass die seidigen goldenen Strähnen wieder über ihn und seine Kissen fielen, wurde er hart.
Alexander musste das Bild verscheuchen - er konnte sich in einem Kilt eine derartig unübersehbare körperliche Reaktion auf keinen Fall erlauben. Lady Elizabeth bemerkte ihn in seinem Kostüm. Sie starrte ihn so ungeniert an, dass sich ihre Gesprächspartnerin umdrehte, um festzustellen, was es zu sehen gab. Und nun starrten beide Frauen und wandten die Blicke nicht wieder ab.
Alexander verbeugte sich spöttisch in ihre Richtung und ging weiter in den Raum hinein. Dabei ignorierte er das schockierte Gemurmel und Geflüster, das immer lauter wurde; viel zu sehr war er damit beschäftigt, Caitlyn zu bewundern.
Er fragte sich, wen oder was sie darstellte. Maid Marion vielleicht? Oder ... Aha! An ihrem Gürtel hing eine Reihe bestickter Scheiben aus gestärktem Stoff, auf denen ein silberner Kamm, ein kleiner goldener Eber und andere Bilder aus der Sage um King Arthur zu sehen waren.
Alexander lachte leise in sich hinein. Sie spielte Olwen höchstpersönlich, und jeder der Anhänger stand für eine der Aufgaben.
Bis jetzt hatte sie ihn noch nicht erspäht. Sie unterhielt sich angeregt mit Miss Ogilvie, die als Milchmädchen verkleidet war. Caitlyns langer goldener Zopf schwang sanft hin und her, liebkoste ihre Hüfte und weckte in ihm den Wunsch, sie an diesem Zopf zu sich zu ziehen, damit er ihren weichen Mund küssen konnte.
Bis jetzt hatte er immer geglaubt, ihm würden ganz besonders Frauen gefallen, die ihre Weiblichkeit überlegt einsetzten. Frauen, die ihre Reize genau kannten und sie zu zeigen wussten. Nun kam er langsam zu der Ansicht, dass solche Frauen zu berechenbar waren und damit einfach nur langweilig.
Caitlyns aufrichtiger Enthusiasmus wirkte erfrischend. Sie war nicht schüchtern oder zurückhaltend und besaß einen erstaunlich bodenständigen Charakter, der ihm gefiel, den er genoss und auf den er höchst vertraut und innig reagierte.
Offensichtlich war er da nicht der Einzige, denn als er sich im Zimmer umschaute, stellte er fest, dass Lord Dalfour nur mit halbem Ohr Georgiana zuhörte, während sein Blick an Caitlyn hing. Lord Falkland starrte sie mit offenem Mund an, und selbst Caithness, der kein Geheimnis daraus machte, dass er Miss Ogilvie verehrte, betrachtete Caitlyn anerkennend. Außerdem strömte in diesem Moment ein halbes Dutzend weiterer Männer, die Alexander nicht kannte, zielsicher auf Caitlyn zu.
Wenn er sich nicht beeilte, würde sie von ihnen umringt sein. Er konnte es kaum erwarten, ihr die Bemerkung zu entreißen, die er unbedingt hören wollte: „Du hast gewonnen.“
Unvermittelt tauchte Georgiana neben ihm auf und umklammerte mit beiden Händen seinen Arm. „Alexander! Was für eine angenehme Überraschung!“ Der Blick ihrer eisblauen Augen glitt von Kopf bis Fuß an ihm entlang. „Wunderbar“, säuselte sie. „Du bist als Barbar gekommen. Wie vieldeutig.“
„Ich stelle meinen Vorfahren Duncan MacLean dar.“ Als er bemerkte, dass sie ebenfalls ein schottisches Plaidtuch in der Farbe Blau über der Schulter trug, kniff er die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Sie trug die Farben der MacLeans, die zu denen seines Kilts passten.
„Gefällt es dir?“, erkundigte sie sich lächelnd.
„Nein.“
Nach einem Augenblick des Erstaunens gelang es Georgiana, in ein gekünsteltes Lachen auszubrechen. „Ich bitte dich, Alexander! Es ist nur ein Zufall. Ich hatte keine Ahnung, was du tragen würdest.“
Das glaubte er ihr nicht. Zweifellos hatte eines der Hausmädchen ihr gegenüber den Kilt erwähnt, der in seinem Zimmer hing. „Wo ist Roxburge?“
Georgiana deutete mit einer Kopfbewegung in eine Ecke des Zimmers und erklärte mit geringschätzigem Gesichtsausdruck: „Er steht beim Punschtopf.“
Der Duke war als Narr verkleidet, inklusive Narrenkappe und bunter Jacke. Obwohl es erst neun Uhr abends war, wirkte er, als sei er bereit fürs Bett und für eine Tasse warme Milch. Zum ersten Mal hatte Alexander Mitleid mit ihm.
„Entschuldige mich bitte, Georgiana. Ich denke, ich werde zusammen mit deinem Mann ein Glas Punsch trinken.“
„Mit Roxburge? Warum denn das?“
Alexander verbeugte sich und ging. Er trat neben den Duke und wartete dort auf den richtigen Zeitpunkt, um Caitlyn aus der Traube der Männer zu befreien, die sie inzwischen umgab.
Schließlich erklang der Gong für das Dinner. Während die Gäste umherliefen und nach ihren Partnern Ausschau hielten, ging er zu Caitlyn, neben der zwei Gentlemen sich heftig um das Recht stritten, sie zum Tisch zu führen.
„Ah, Miss Hurst, hier sind Sie! Sind Sie bereit für das Dinner?“, erkundigte sich Alexander.
Die Gentlemen unterbrachen ihren Streit und rissen die Augen weit auf, als sie Alexanders kräftige Oberarme bemerkten.
Caitlyn zögerte, bevor sie die Hand auf seinen bloßen Arm legte. Ihre Finger fühlten sich auf seiner unbedeckten Haut kühl an. „Sicher. Es wird unser letztes gemeinsames Dinner sein.“ „Das letzte? Uns bleibt immer noch der morgige Tag, und dann noch die darauf folgenden zwei Wochen.“ Er lächelte zu ihr hinab, während sich die Menge langsam in Richtung Speisezimmer bewegte.
Kein Lächeln leuchtete in ihren Augen. „Vielleicht.“
Alexanders Humor ließ ihn im Stich. Irgendetwas war heute Abend anders an ihr. Sie schien in düsterer Stimmung zu sein und ... traurig? Nachdem er ihre Hand höher auf seine Armbeuge gezogen hatte, nahm er sie zur Seite, sodass die anderen Gäste an ihnen Vorbeigehen konnten. „Was meinst du damit?“
Ihre Augen schimmerten feucht, als würde sie mühsam die Tränen zurückhalten. „Nur, dass du möglicherweise nicht derjenige sein wirst, der diese Wette gewinnt.“
Ein paar Nachzügler gingen an ihnen vorbei und warfen ihnen neugierige Blicke zu. Nachdem das letzte Paar durch die Tür verschwunden war, führte Alexander Caitlyn in den Blauen Salon. Als sie drinnen waren, schloss er die Tür.
Sie schob das Kinn vor. „Die anderen Gäste werden bemerken, dass wir nicht da sind.“
„Nicht während der kommenden zehn Minuten“, behauptete er und verzog den Mund zu einem überaus selbstsicheren Grinsen. „Gib es zu, Caitlyn: Ich habe gewonnen. Ich trage einen Rock auf dem Ball. Hast du wirklich vor, die Massen zu unterhalten, indem du nackt im Springbrunnen schwimmst?“
Ihr Kopf war hoch erhoben, ihre Lippen schmal. „Der Wettbewerb ist noch nicht zu Ende. Ich habe immer noch Zeit für meinen Zug.“
„Tatsächlich? Du hast also vor, es zu tun?“ Er lachte ungläubig. „Dein Ruf wäre vollkommen ruiniert, was du von Anfang an zu vermeiden gesucht hast.“
Ihr Blick glitt flackernd über sein Gesicht. „Vielleicht.“ „Caitlyn, du kannst doch nicht wirklich Vorhaben ...“ Gütiger Gott, sie sah wild entschlossen aus! „Es wäre verrückt, so etwas zu tun, Caitlyn, und das weißt du auch.“
„Ich muss diese Wette gewinnen. Ich weigere mich, deine Mätresse zu werden - und ich werde tun, was immer nötig ist, um sicherzugehen, dass dies niemals geschieht.“
Er presste die Zähne aufeinander. „Auch deinen Ruf ruinieren?“
„Ich habe etwas gefunden, das mir viel mehr bedeutet als mein Stolz.“
„Und was ist das?“
Ihr Blick tauchte in seine Augen, und in dieser Sekunde kannte er die Antwort. Er bedeutete ihr etwas. Schreck und Unglaube durchliefen ihn. Sie mochte ihn nicht nur, sie liebte ihn. Das sah er so deutlich in ihrem Gesicht, als hätte sie es laut ausgesprochen.
Nein. Das darf sie nicht! Ich kann das nicht zulassen! Wenn sie Gefühle für mich hat, bin ich ... Alexander schaute sie an, sah sie wirklich an. Im weichen Kerzenlicht wirkte sie noch jünger, als wäre sie höchstens achtzehn. Der Spiegel über dem Kamin warf das Bild eines reifen Mannes zurück, eines Mannes, der zu intensiv, zu gut und zu schnell gelebt hatte. Selbst wenn sie ihn jetzt liebte, was würde später sein? Könnte ich es ertragen, sie dann zu verlieren?
Die Tiefen seiner Seele kannten die Antwort.
Er schnaubte aus tiefstem bitterem Herzen. „Werde nicht rührselig, Caitlyn. In unserer Wette ging es nur um eine Sache: die Strafe für dein Verhalten in London. Heute Abend wirst du zugeben, dass du verloren hast, und du wirst zwei Wochen bei mir bleiben, wie es abgemacht war.“
Die Erinnerung daran würde alles sein, was ihm blieb, wenn sie schließlich wieder fort war, aber wenigstens die hatte er dann. Zwei kurze, köstliche Wochen - und anschließend würde er sie niemals Wiedersehen müssen. Seine Brust fühlte sich seltsam an, als würde ein Metallband die Luft aus seinen Lungen pressen. Seine Augen brannten vom Rauch der Kerzen.
Zwei Wochen. Das war nicht viel, aber mehr erlaubte ihm das Schicksal nicht, und er, verzweifelte Seele, die er war, würde sie annehmen.
„Nun, Caitlyn? Was sagst du dazu?“
Er erwartete, dass sie ihn mit dem ihr eigenen Temperament wütend anfunkelte. Stattdessen sah sie ihn lange traurig an, bis sie sich schließlich umdrehte und ihn stehen ließ. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Sehr viel später stand Caitlyn in einen dicken Umhang gehüllt auf der Terrasse und erschauderte in der kühlen Nachtluft. Es war bereits nach vier Uhr morgens, und die letzten Gäste waren endlich gegangen. Alle hatten sich zu Bett begeben - außer Alexander. Wie immer war er auf ein letztes Glas Portwein in die Bibliothek verschwunden, bevor er sich in sein Zimmer zurückzog.
„Sind Sie sicher, Miss?“, erkundigte sich Muiren.
„Ja.“ Caitlyn schaute hinauf zu den Fenstern der Burg. Nur hinter wenigen von ihnen brannten noch Lichter. Nun erloschen auch diese, und die Fenster wurden schwarz. Es war Zeit.
Durchs Fenster der Bibliothek sah sie Alexander an, der sich soeben ein Glas Portwein einschenkte und es zu einem Sessel vor dem Kamin trug.
„Er sieht nich in die richtige Richtung!“, zischte Muiren.
„Ich weiß. Ich muss ihn dazu bringen, sich umzudrehen. Mam sagte, die Tropfen würden schnell wirken. “ Fragend schaute Caitlyn die Zofe an. „Sind Mrs Pruitt und die anderen auf ihren Plätzen?“ „Ja. Mrs Pruitt hat außer den Terrassentüren alle Türen abgeschlossen und bewacht jetzt das Gartentor. Das iss der einzige Weg von außen in den Garten, Miss. Und die anderen Frauen sind auch bereit.“
„Sehr gut. Ich bin gleich wieder zurück.“
Caitlyn legte die Hand auf den kalten Messingknauf der Tür, die ins Haus führte, dabei ließ sie Alexander nicht aus den Augen. Er kehrte ihr den Rücken zu, während er seinen Portwein trank, und sie sah, dass seine dichten schwarzen Haare sich im Nacken lockten. Ungeduldig wartete sie, bis er sein Glas geleert hatte. Bitte, Mam, ich hoffe, du hast dich mit den Tropfen nicht geirrt! Sie war sehr vorsichtig gewesen, damit nicht mehr als vier Tropfen ins Glas perlten.
Nun stellte er sein leeres Glas auf einen Tisch und stand auf, um sich für die Nacht zurückzuziehen.
Sie atmete tief durch, drehte den Knauf und trat ins Zimmer.
Erstaunt wandte er sich um und zog die Brauen hoch. „Caitlyn! Was machst du denn hier?“
Sie tat ein paar weitere Schritte in die Bibliothek hinein, und ihr Umhang flatterte. „Ich bin gekommen, um meinen Teil unserer Wette zu erfüllen.“
Alexander runzelte die Stirn. Sie war von Kopf bis Fuß in diesen Umhang gehüllt, doch ihr Gesichtsausdruck weckte seine Neugier am meisten. Sie sah so traurig aus, als hätte die ganze Welt sie verraten.
Sein Herz zog sich zusammen. Das hielt er keine Minute länger aus! Er hatte sich selbst etwas vorgemacht, als er sich eingeredet hatte, er könne Caitlyn als Mätresse nehmen, und sei es auch nur für eine Stunde.
Er schüttelte den Kopf und stieß mühsam hervor: „Caitlyn ... tu das nicht!“
„Was soll ich nicht tun? Soll ich aufgeben und dir den Sieg überlassen?“ Ein trauriges Lächeln legte sich um ihre Lippen. „Keine Sorge, das werde ich nicht tun.“
Die Wette war Alexander jetzt vollkommen egal. Er wünschte sich nur, die Traurigkeit aus ihren Augen vertreiben zu können. Allein dieser Anblick legte sich schwer auf seine Seele, und es kostete ihn große Anstrengung, zu sagen: „Ich erlasse dir die letzte Aufgabe.“
Wut flammte in ihrem Blick auf. „Ich brauche dein Mitleid nicht!“
Aber er hatte kein Mitleid mit ihr. Er liebte sie. Diese Erkenntnis erreichte ihn durch den seltsamen Nebel, der ihn plötzlich umgab. Er wollte es ihr sagen, wollte ihr erklären, dass er sie viel zu sehr liebte, um die Vorstellung ertragen zu können, dass sie eines Tages seiner überdrüssig werden und ihr Interesse an ihm schwinden würde.
Doch das konnte er nicht.
Sie schien seine Bedrängnis zu erkennen, denn sie kam durchs Zimmer auf ihn zu, und ihr süßer Duft wehte ihm entgegen. Als sie vor ihm stand, schubste sie ihn sanft in den Sessel, der hinter ihm stand.
Er musste sich gesetzt haben, doch er spürte es nicht. Seine Knie und seine Arme waren bleiern, obwohl er hellwach war und mit glasklaren, fast noch schärferen Sinnen als sonst alles wahrnahm. Verschwommen wurde ihm bewusst, dass er hätte entsetzt sein müssen, weil er seine Glieder nicht bewegen konnte, aber er war einfach nur froh, dass Caitlyn bei ihm war.
Sie beugte sich zu ihm hinab, bis ihre Lippen direkt neben seinem Ohr waren. „Ich bin eine Frau, die ihr Wort hält. Wenn ich sage, dass ich etwas tun werde, tue ich es auch. Ich wünschte, unsere gemeinsame Zeit wäre anders gewesen.“ Ihre Stimme brach, und sein Herz brach ebenfalls. „Aber wir sind nun einmal die, die wir sind, und das Schicksal erfüllt uns nicht jeden Wunsch.“
Er versuchte, ihren süßen Duft einzuatmen und es zu genießen, wie ihr Haar sanft über seine Wange strich, als sie sich wieder aufrichtete.
„Schau mir zu, Alexander - denn du wirst mich zum letzten Mal sehen.“ Mit diesen Worten kehrte sie zur Terrassentür zurück, öffnete sie und schlüpfte hinaus in den Garten.
Sie ging zum Springbrunnen, und durch die offene Tür sah er, wie vier weibliche Dienstboten erschienen. Sie entfalteten ein großes Laken und hielten es in die Höhe, sodass man von den oberen Fenstern der Burg den Springbrunnen nicht sehen konnte. Dann wandten sie sich um, ohne das Laken loszulassen, sodass sie mit den Rücken zur Fontäne standen. Caitlyn glitt neben das Becken des Springbrunnens, wo eine schemenhafte Gestalt zu ihr trat, um ihr zu helfen, die Pantoffeln auszuziehen und durch ein Hochziehen der Schultern den Umhang zu Boden gleiten zu lassen.
Sie war von herrlicher Nacktheit, das silberne Mondlicht liebkoste ihre Kurven, betonte die Wölbung ihrer Brüste und den Schimmer ihrer Schultern und ließ ihr langes Haar wie Mondstaub leuchten.
Er war verzaubert, und sein Blick hing wie gebannt an ihr, während sie ins schwarze Wasser des Springbrunnens tauchte und erschauderte, weil es so kalt war. Ihre Brustwarzen richteten sich sofort auf, als das Wasser auf ihre Brüste spritzte, an ihrem flachen Bauch hinablief und über den herrlichen Schwung ihrer Hüfte rann. Leises Plätschern klang durch die Nacht, als sie schließlich vollständig untertauchte. Dann richtete sie sich, in seine Richtung schauend, im Becken auf wie einst Venus aus der Flut, und das Wasser glitzerte wie ein silberner Schleier auf ihrer Haut.
Alexander umklammerte die Armlehne seines Sessels, bis seine Finger schmerzten.
Die schemenhafte Gestalt brachte den Umhang und wickelte Caitlyn hinein, bevor sie ihr wieder in die Schuhe half. Caitlyn musste jetzt eiskalt sein und zitterte wahrscheinlich am ganzen Körper.
Alexander konnte nur noch an die letzten Worte denken, die sie zu ihm gesagt hatte: dass er sie nie Wiedersehen würde. Hilflos schaute er zu, wie sie sich umdrehte und aus seinem Blick verschwand. Ihre Dienerinnen folgten ihr, und ihm blieben nur die kalte Luft, die durch die offene Terrassentür wehte, und die einsame Fontäne, die in der Ferne fast höhnisch vor sich hinplätscherte.
„Eine Kutsche? Jetzt?“ Die Duchess blickte verwundert drein.
Caitlyn, die froh war, dass sie die Duchess vor dem Frühstück allein angetroffen hatte, nickte und zwang die Worte an den Tränen vorbei, die in ihrer Kehle lauerten. „Ja, bitte. Ich ... ich möchte umgehend abreisen. Ich ... ich habe soeben einen Brief von zu Hause bekommen und ... Es ist sehr wichtig, dass ich sofort zurückkehre.“
Ein zufriedener Ausdruck trat in die blauen Augen der Duchess, und sie stellte keine Fragen zu dieser vermutlich erfundenen Geschichte, sondern säuselte: „Natürlich. Ich werde sofort eine Kutsche Vorfahren lassen.“
„Vielen Dank.“
„Sie werden packen wollen ..."
„Muiren kümmert sich bereits darum.“
Georgiana fragte sich, was der Grund für eine so überstürzte Abreise sein konnte, kam aber zu dem Ergebnis, dass es sie eigentlich nicht interessierte. Es spielte keine Rolle, ob das Mädchen einen Zusammenstoß mit MacLean gehabt oder endlich die verzweifelte Hoffnung aufgegeben hatte, ihn in eine engere Verbindung zu locken. Einzig und allein die Tatsache, dass sie bald fort sein würde, zählte. Natürlich würde es nicht schaden, ihr zum Abschluss noch eine ordentliche Lektion zu erteilen, damit das dumme Ding verstand, wie die Wirklichkeit aussah.
Georgiana lächelte süßlich. „Armes Kleines, Sie sehen aus, als wären Sie am Boden zerstört. Darf ich ...? Meine Liebe, ich weiß, dass wir keine Gelegenheit hatten, uns während Ihres Aufenthalts häufig zu unterhalten, aber hätten Sie gern einen Rat von einer älteren, erfahrenen Frau von Welt?“
Caitlyn erstarrte, aber Georgiana sah geflissentlich darüber hinweg. „Ich weiß, was zwischen Ihnen und MacLean vorgegangen ist, und es ist vollkommen natürlich, dass jemand wie Sie -so unschuldig und dann noch vom Lande - einen weltgewandten Mann wie ihn unglaublich attraktiv findet.“
„Ich weiß nicht, was Sie glauben, Euer Gnaden, aber ...“ „Lassen Sie mich ausreden! Ich tue Ihnen einen Gefallen. MacLeans Vorlieben reichen von erfahrenen bis hin zu unschuldigen Frauen. Es ist normal für einen Mann mit seinem ... nennen wir es Appetit, dass er Abwechslung sucht. Deshalb gebe ich diese kleinen Partys. Auf diese Weise kann er seine Sehnsüchte stillen.“ „Sie haben mich eingeladen, damit er ...“
„Und andere vor Ihnen, ja.“
Der Rücken des Mädchens hätte nicht steifer sein können, sein Gesicht war totenbleich. Befriedigung durchlief Georgiana. „Das erscheint Ihnen vielleicht seltsam in Anbetracht dessen, wie es zwischen ihm und mir steht...“ Sie lachte leise. „Aber wir verstehen und schätzen einander. Aus diesem Grund werden Alexander und ich heiraten, wenn der Duke gestorben ist.“
„Das hat er Ihnen schon versprochen?“
„Ja.“
Caitlyns Herz schmerzte noch mehr als zuvor, während sie sich mit einem ruckartigen Knicks von der Duchess verabschiedete. „Ich freue mich für Sie, Euer Gnaden. Ich ... ich glaube, die Kutsche ist schon vorgefahren. Ich finde allein hinaus.“
Viel zu schnell waren Caitlyns Koffer hinten auf den Wagen geschnallt, und sie saß neben Muiren in der Kutsche und fuhr in der Morgendämmerung davon.
Caitlyn sah zu, wie die Landschaft an ihr vorbeiglitt. Alles huschte an ihr vorbei, ohne dass sie etwas genau erkennen konnte. In ihrem Kopf tönten die letzten Worte der Duchess und, noch aufdringlicher, es erschienen die Bilder von Alexander.
Sie schloss die Augen und sah Alexander im Gewand eines schottischen Laird aus längst vergangenen Zeiten. Seine breite Brust war entblößt, sodass die harten Muskeln zu sehen waren, die deutlich hervortraten und ihr die Kehle eng werden ließen. Um seine Hüften gewickelt und über eine Schulter geworfen trug er ein Tuch im karierten Muster eines schottischen Clans. Eine Felltasche hing um seine Taille und sorgte dafür, dass der Kilt nicht hochwehen konnte. Fellstiefel, die mit Lederbändern geschnürt waren, betonten seine muskulösen Beine.
Ihr ganzer Körper vibrierte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie sich vorstellte, ihn wieder zu lieben. Obwohl ihr vor Kurzem noch sehr kalt gewesen war, brach ihr nun der Schweiß aus, als sengende Hitze sie durchlief, während sie sich an MacLeans große Hände erinnerte, an seinen festen Mund und das fordernde Drängen zwischen ihren Schenkeln, wenn er sich dort an sie presste. All diese Dinge hätte sie niemals genießen dürfen, doch sie hatte es getan.
Dann durchzuckten sie wieder die letzten vergifteten Worte der Duchess. Caitlyn war sich nicht sicher, ob sie der Frau glauben sollte, doch sie konnte den Schmerz, den ihre Worte in ihr ausgelöst hatten, kaum ertragen. Ein Teil der Behauptung stimmte auf jeden Fall, denn Alexander hatte es ihr selbst erzählt: dass die Duchess Caitlyn auf seinen Wunsch hin eingeladen hatte. Die Vorstellung, wie er mit einer so kalten, oberflächlichen Frau gemeinsame Sache machen konnte, tat Caitlyn weh. Wieso war er in der Lage, eine wie auch immer geartete Beziehung mit so einer entsetzlichen Person zu haben?
Ihr ganzer Besuch im Haus der Duchess war nichts als Manipulation und Täuschung gewesen. Tränen quollen unter ihren Lidern hervor, und sie suchte nach einem Taschentuch, froh, dass Muiren fest schlief.
Während sie sich die Augen trocknete, wurde ihr klar, wie naiv es von ihr gewesen war, sich einzubilden, sie könne Alexander dazu bringen, seine Meinung über sie zu ändern.
Die Wette war von Anfang an ein Fehler gewesen. Ein schrecklicher Fehler, der sie immer näher zusammengeführt hatte, während es viel besser gewesen wäre, einander aus dem Weg zu gehen. Verdammt, warum war sie nur immer wieder unfähig, die Dinge zu tun, die ihr Sicherheit boten! Musste sie stets den riskanten Weg wählen?
Durchs Fenster schaute sie zurück zur Burg, die in der Ferne verschwand. MacLean würde sich bald wieder bewegen können. Vielleicht würde er sich dann ins Schlafzimmer der Duchess begeben. Dieser Gedanke tat Caitlyn weh, aber sie ließ ihn zu. Sie musste sich solche Dinge vorstellen, um sich selbst davon abzuhalten, um das zu trauern, was hätte sein können.
Dennoch füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen. Warum konnte Alexander kein Mann sein, mit dem es möglich war, eine normale Ehe zu führen?
Am vergangenen Abend, als sie quer durchs Zimmer seinen heißen Blick gespürt hatte, hatte in den Tiefen ihrer Seele ein Funke geglüht: der Drang, jede Vorsicht in den Wind zu schlagen und sich in seine Arme zu werfen. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, mit der Hand über seine warme Haut zu streichen, seinen wunderbar harten, muskulösen Bauch unter ihren Fingern zu spüren, und wilde, leidenschaftliche Küsse auf sein Gesicht zu hauchen, bis er erschauderte.
Das Problem war, dass all diese Berührungen niemals reichen würden. Sie wollte ihn ganz oder gar nicht. Und während sie aus dem Fenster hinausblickte, rannen wieder Tränen über ihre Wangen.