3. Kapitel
Ach, ihr Mädchen! Es ist eine traurige Wahrheit, dass ein Mann oft die Macht einer Frau so lange nicht erkennt, bis er ihren Zorn erregt und die Flammen ihrer Wut über ihm zusammenschlagen.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Winternacht zu ihren drei Enkelinnen.
Ist das alles, Sir?“
Alexander warf seinem Kammerdiener einen Blick zu. MacCready war in jeder Hinsicht ein wirklicher Gentleman, der einem Gentleman diente, außer in einem Punkt - er betrachtete sich als das Gewissen seines Herrn.
„Nein. Das ist nicht alles.“ Alexander brauchte kein weiteres Gewissen, er hatte sein eigenes vor langer Zeit zum Schweigen gebracht. „Da ist noch diese andere Sache. Ich hatte Sie gebeten, sich darum zu kümmern.“
Der Kammerdiener öffnete die Kleiderschranktür und tat, als würde er den Schrankinhalt betrachten. „Ah. Ich werde dafür sorgen, dass Ihre Reitstiefel geputzt werden, und ich werde mich darum kümmern, dass Ihre gute burgunderfarbene Jacke für das Dinner morgen gebügelt wird.“
„Davon rede ich nicht, und das wissen Sie sehr genau.“ MacCready ließ die Schranktür zuschnappen. „Ich nehme an, Sie beziehen sich auf die Erkundigung, die ich für Sie einziehen sollte?“ Schweigend verschränkte Alexander die Arme vor der Brust. Der Diener seufzte. „Nun gut. Ich werde herausfinden, in welchem Zimmer Miss Hurst schläft.“
„Noch heute Abend.“
„Ja, ja. Heute Abend. Das dürfte keine allzu schwierige Aufgabe sein. Sowohl Lord Dervishtons als auch Viscount Falklands Kammerdiener haben Erkundigungen zu dieser Frage eingezogen, als ich vorhin Stärke für Ihre Krawatten holte. Ich werde einen von ihnen fragen.“
„Wann hat Falkland denn Miss Hurst kennengelernt? Sie ist doch erst vor wenigen Stunden hier angekommen, und er kehrte erst vor Kurzem von seinem Ausritt zurück.“
„Er hat sie noch nicht gesehen. Lord Dervishton erwähnte ihm gegenüber, wie schön die Dame ist, und Falklands Diener erzählte, Seine Lordschaft würde nun ,seine Strategie planen.“
Alexander schaute in den Spiegel und nahm eine winzige Veränderung am Sitz seiner Krawatte vor. Also hatten beide, sowohl Dervishton als auch Falkland, bereits die Witterung aufgenommen. Ihnen stand eine Enttäuschung bevor. Caitlyn Hurst mochte sich zwar mit der Anmut einer exotischen Kurtisane bewegen, sie war aber doch nicht mehr als ein einfacher Schwindel. Wochenlang hatte sie ihn zappeln lassen. Ständig schien sie mehr zu versprechen, sie trieb ihn an und übte dann aber wieder genau das richtige Maß an Zurückhaltung. Wie ein Jüngling war er auf ihre so lüstern wirkende Unschuld hereingefallen - doch inzwischen kannte er sie. Er wusste, wie sie wirklich war, und das würde ihn davon abhalten, die gleichen Fehler noch einmal zu machen.
Dennoch war sie immer noch die schönste Frau, die er jemals getroffen hatte. Klein und wohlgeformt, mit vollen Brüsten, besaß sie eine schmale Taille und wunderbar runde Hüften. Ihr seidiges blondes Haar und die dichten braunen Wimpern ließen ihre braunen Augen dunkel und geheimnisvoll erscheinen. Etwas an dieser seltenen Kombination - die hellen Haare und die cremeweiße Haut standen in einem wunderbaren Kontrast zur dunklen, satten Farbe ihrer Augen - brachte einen Mann mit Leichtigkeit dazu, für sie in Flammen zu stehen.
Doch mehr noch als an ihrer Schönheit lag das an ihrer besonderen Art, sich zu bewegen. Selbst an diesem Nachmittag waren ihr die Blicke sämtlicher Männer bis zur Tür gefolgt, als sie das Zimmer verlassen hatte. Etwas an ihren Bewegungen war von herausfordernder Erotik, voller natürlicher Anmut, so ... weiblich.
Sie hatte sich dieser Weiblichkeit bedient, um ihn auf einen Weg zu locken, der fast sein Verderben gewesen wäre, doch an seiner Stelle hatte es seinen Bruder getroffen.
Seine Augen wurden schmal. Von all seinen Geschwistern war Hugh derjenige, auf den Alexander am meisten zählte. Gregor, Dougal und Fiona waren jünger und weniger in die Verwaltung des Familienbesitzes einbezogen. Seit dem Tod seiner Eltern lastete das Gewicht der Verantwortung sowohl für die Geschäfte des Clans als auch für seine vier Brüder und seine Schwester auf Alexanders Schultern. Hugh war immer dagewesen und hatte still seine Unterstützung angeboten, sogar während der dunklen Zeiten nach Callums Tod. Hugh war unerschütterlich und souverän, oft neigte er dazu, mehr zu tun als das, worum man ihn gebeten hatte, und überschritt damit die Grenze zwischen Hilfe und unerwünschter Einmischung. Und genau auf diese Weise war er in das Netz von Caitlyn Hursts Intrige geraten.
Alexander starrte finster vor sich hin. Wie hatte sie es wagen können, ihre Spielchen an ihm auszuprobieren? Für diese Dummheit würde sie, bei Gott, bezahlen müssen, und er würde jede Sekunde seiner Rache genießen! Er würde ihr zeigen, was eine echte Verführung war - und wenn er sie erst einmal in seinem Bett gehabt hatte, würde er sich aufmachen und sie voll Sehnsucht zurücklassen ... genau wie sie es seiner Meinung nach mit Sicherheit für ihn geplant hatte.
Die Rache würde süß sein. Sehr süß sogar. Obwohl es vermutlich recht einfach wäre, sehr rasch vollendete Tatsachen zu schaffen, würde ihn dies jedoch nicht sonderlich befriedigen. Nein, erst wollte er mit dieser kleinen Maus spielen und die Jagd genießen. Was mit ihr geschah, nachdem er seinen Spaß gehabt hatte, war nicht mehr seine Sache. Er würde ihr seine Meinung gesagt haben.
Alexander wandte sich wieder vom Spiegel ab und musterte den Kammerdiener durchdringend. „Von jetzt an will ich jede noch so winzige Information erhalten, jedes bisschen Tratsch, das Sie über Miss Hurst hören.“
„Was, wenn es nichts von Bedeutung ist?“
„Das entscheide dann ich.“
Der Diener schürzte die Lippen. „Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, um klarzumachen, was ich meine ...“
„Bitte“, erwiderte Alexander grimmig.
„Ich habe gehört, wie eine der niederen Mägde erwähnte, dass Miss Hurst es vorzieht, dass ihre Handtücher am Feuer getrocknet werden und nicht auf einer Leine in der Nähe des Fensters. Sie wollen doch bestimmt nicht, dass ich Ihnen derart unwichtige Dinge berichte?“
„Ganz gleich, ob Sie hören, dass sie zwei Mal geniest hat oder ihren Toast trocken und ohne Butter isst - ich will es wissen.“ MacCready seufzte. „Sehr wohl, Sir.“
„Nach dem zu schließen, was Sie bereits wissen, wird in der Küche schon über sie geredet. Was haben Sie noch gehört?“ „Nur dass Lord Dervishtons Kammerdiener sagte, sein Herr würde Miss Hurst als einen Engel auf Erden betrachten.“
Ein Engel auf Erden.
Alexander griff in die Hosentasche und holte eine schwere silberne Uhr hervor. Er drehte sie um und zeichnete mit den Fingerspitzen die Gravur auf der Rückseite nach. Für Alexander. Von Eton bis lange danach! Charles.
Alexanders Herz verschloss sich. „Diese Worte habe ich schon einmal gehört - und sie richteten sich an genau so eine Frau: jung, schön und bereit, mit jedem Mann zu flirten, der sie wollte. Sie brachte nur Zerstörung.“
„Ich nehme an, Sie reden von Viscount Humbolt“, bemerkte der Kammerdiener mit leiser Stimme. „Wir vermissen ihn alle, Sir.“ Alexander schob die Uhr zurück in die Tasche und wünschte sich dabei, er könnte die Traurigkeit, die ihm das Herz schwer machte, ebenfalls irgendwo verstauen. „Sonst noch etwas?“ MacCready räusperte sich. „Lord Dervishton nennt sie nur noch Die Unvergleichliche. Außerdem scheint seine Lordschaft anzunehmen, dass es einfach ist, die Dame zu gewinnen.“
„Ach ja? Warum glaubt er das?“
„Ich denke, das hängt mit etwas zusammen, das die Dame irgendwann heute gesagt oder getan hat.“ Der Diener rümpfte die Nase. „Kann ich davon ausgehen, dass die Dame, um die es geht, ein wenig ... gewöhnlich ist?“
„Nein, das ist sie nicht. Ungestüm, ja. Dumm, ohne Frage. Aber nicht im Geringsten gewöhnlich, dafür ist sie zu vielschichtig. Allein die Art, wie sie sich bewegt...“ Alexander schüttelte den Kopf. „Es spielt auch keine Rolle. Sie ist einfach nur ein Ärgernis.“
„Das ist gut, zu hören“, stellte MacCready zufrieden fest. Spöttisch zog Alexander die Brauen hoch. „Machen Sie sich Sorgen, ich könnte meine Unschuld verlieren?“
„Soweit ich im Bilde bin, Sir, haben Sie eine solche nie besessen. “ Alexander grinste.
„Es scheint einfach nur eine schwierige Situation zu sein ... so viele Hähne und nur eine Henne.“
Es gelang Alexander nur mit Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. „So könnte man es auch sehen. Glücklicherweise habe ich kein anderes Interesse an dieser Frau, als Vergeltung für das zu üben, was sie meiner Familie angetan hat.“
„Sie hat den MacLeans geschadet?“ MacCready wurde ganz steif.
„Ja. Es ist ihre Schuld, dass mein Bruder gezwungen war, zu heiraten.“
MacCready runzelte die Stirn. „Aber ... Sir, Ihr Bruder scheint in seiner Ehe sehr glücklich zu sein.“
„Hugh macht einfach nur das Beste aus der Situation, so wie er es immer tut. Außerdem geht es darum nicht.“ Es ging darum, dass Caitlyn versucht hatte, ihn, Alexander, zum Narren zu halten. „Miss Hurst muss für ihre Unverschämtheit büßen“, blaffte er.
„Unbedingt, Sir. Wenn es stimmt, was Sie sagen, werde ich natürlich alles tun, worum Sie mich bitten.“
„Miss Hurst ist nicht so, wie man sich eine Gegnerin vorstellt. Denjenigen, die sie gerade erst kennengelernt haben, erscheint sie sehr süß, und sie erweckt den Anschein von Sinnlichkeit und Unschuld.“
Die dünnen Brauen des Kammerdieners schossen in die Höhe. „Sinnlichkeit und Unschuld?“
„Eine aufregende Kombination, und ich wage zu behaupten, das genau ist es, was Dervishton und die anderen Männer so anziehend finden.“ Dervishton, der gern den Mann von Welt herauskehrte, würde eine Überraschung erleben! Caitlyn Hurst würde den Dummkopf mit ihren riesigen braunen Augen anschauen, mit ihren langen, dichten Wimpern klimpern und ihn dann - genau in dem Moment, in dem er dachte, er hätte sie für sich gewonnen -mit einer scharfen Bemerkung zu Fall bringen.
Alexander ließ sich von MacCready in seinen Abendmantel helfen. „Gehen Sie während des Dinners hinunter zu den Dienstboten und schauen Sie zu, was sie über Miss Hurst herausfinden können.“
„Mit Vergnügen, Sir.“
In Gedanken schon bei dem, was vor ihm lag, verließ Alexander sein Schlafzimmer. Als er den Treppenabsatz erreichte, traf er zu seiner Überraschung auf Dervishton, der am Geländer lehnte und gelangweilt sein Monokel an einem Band schwang. Der jüngere Lord lächelte und nickte zur Begrüßung, doch sein Blick war unten in der Halle an etwas haften geblieben.
Aha. So ist das also. Alexander war leicht irritiert. „Warten Sie auf jemanden, Dervishton?“
Der Lord grinste verwegen. „Tun wir das nicht alle? Im Übrigen bin ich überzeugt, dass unsere reizende Gastgeberin gerade jetzt atemlos im Salon auf Ihr Eintreffen wartet.“
„Das bezweifle ich. Georgiana und ich haben unsere kleine Affäre schon vor Monaten beendet.“
„Wirklich? Ich hatte den Eindruck, dass sie ...“ Dervishton blickte an Alexander vorbei, und er erstarrte mit halb offenem Mund.
Die glasigen Augen des Mannes verrieten Alexander ganz genau, was geschehen war.
Ein leises Rascheln war zu hören, und Alexander wandte sich um. Genau wie er es erwartet hatte, kam Caitlyn Hurst auf sie zu und bewegte sich dabei mit dieser verdammt faszinierenden Anmut. Sie trug ein Kleid in sanftem Blau, verziert mit winzigen weißen Blümchen und einer breiten weißen Schärpe unter dem Busen. Die blonden Haare waren hochgesteckt, und in ihren zarten Ohrläppchen schimmerten Perlen. Caitlyn wirkte unschuldig und einfach himmlisch.
Sie blieb stehen, knickste und verzog die weichen Lippen zu einem Lächeln. „Guten Abend.“
Dervishton - normalerweise ein gelassener und weltgewandter Mann - trat vor und bemerkte in eifrigem Ton: „Darf ich Ihnen sagen, wie entzückend Sie heute Abend aussehen, Miss Hurst! Sie überstrahlen alle anderen Schönheiten hier auf Balloch Castle.“ Um Himmels willen, warum muss dieser Mann wie ein Dummkopf herumschwafeln!
Caitlyn warf Alexander einen spöttischen Blick zu, bevor sie Dervishton sanft anlächelte. „Vielen Dank, Mylord.“
In seiner Torheit noch bestätigt, hob Dervishton eine ihrer Hände zum Mund und presste einen inbrünstigen Kuss darauf. „Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir gestatten würden, dass ich Sie zum Speisezimmer geleite. Dieses Haus ist sehr unübersichtlich, und ich bezweifle, dass man Sie bei Ihrer Ankunft mit einer Landkarte oder einem Kompass ausgestattet hat.“
„Unglücklicherweise nicht. Ich würde mich über Ihren Beistand freuen.“
„Nichts könnte mir größere Freude bereiten.“ Dervishton strahlte, als hätte ihm jemand einen Schrankkoffer voll frisch geprägter Guineen überreicht. „Ich tue mir selbst einen ebenso großen Gefallen wie Ihnen. Wenn ich mit einer so schönen Frau an meinem Arm ins Speisezimmer trete, kann das in den Augen der übrigen Gäste meinen Ruf nur verbessern.“
Alexander verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen das Treppengeländer. „Sie müssen Miss Hurst nicht ständig versichern, wie schön sie ist, Dervishton. Sie trägt dieses Wissen mit sich herum wie ein Dieb einen Dietrich.“
Caitlyn erstarrte, ihre schönen Augen funkelten vor Wut.
Eine kleine Ewigkeit schauten sie sich an. In dieser Zeit erinnerte sich Alexander an andere, sehr viel privatere Augenblicke - Augenblicke, in denen er sich törichterweise gestattet hatte, diese süßen Lippen zu spüren und ihr leises Stöhnen mit seinem Mund verstummen zu lassen. Augenblicke, in denen er auch gespürt hatte, wie sie vor Verlangen erschauderte, während er seine Hände über ihre üppigen Rundungen gleiten ließ. Augenblicke, in denen die Welt um ihn herum versunken war, weil er Caitlyns köstlichen Geschmack genossen und gefühlt hatte, wie sie sich in seinen Armen unruhig bewegte, zwischen ihren Leibern nichts als Seide und Satin.
Alexander biss die Zähne zusammen. Das alles gehörte der Vergangenheit an, und nun hatte sich das Blatt gewendet. Er würde ihr nie wieder vertrauen.
Er zwang sich zu einem unverschämten Grinsen und blockierte weiterhin die Treppe, während er sie verwegen von oben bis unten musterte. Er gestattete seinem Blick, an Stellen zu verharren, wo er eigentlich nicht hätte hinschauen dürfen, und wurde augenblicklich belohnt, als sich ihre Wangen röteten. Sie öffnete den Mund, wohl um ihn barsch anzufahren, verschluckte dann aber im letzten Moment ihre Bemerkung.
Befriedigt spürte er Wärme in sich aufsteigen. Oh ja, Caitlyn Hurst! Ich weiß ganz genau, was ich tun muss, um dich zu unbedachten Handlungen zu bringen.
Verunsichert ließ Dervishton seinen Blick zwischen Caitlyn und Alexander hin und her wandern und trat schließlich einen Schritt nach vorn. „Es ist nicht zu übersehen, dass Sie beide einander von früher kennen.“
Caitlyn schnaubte verächtlich. „Laird MacLeans Bruder ist mit meiner Schwester verheiratet.“
„Wie bitte?“ Verwirrt runzelte Dervishton die Stirn. „Ach ja. Kursierten nicht Gerüchte, dass ...?“ Er warf Alexander einen Seitenblick zu, bevor er Caitlyn unsicher anlächelte. „Ich bin ... ich bin sicher, das ist alles längst vergessen.“
„Mehr, als Sie ahnen“, erwiderte sie kühl, während sie ihre Hand auf Dervishtons Arm legte und ihn auf eine Weise anlächelte, die Alexander schmerzhaft die Kiefer aufeinanderpressen ließ. „Würden Sie mich bitte dorthin führen, wo wir uns zum Dinner versammeln sollen, Lord Dervishton? Ich wollte eigentlich mit Miss Ogilvie gehen, aber sie hat die Spitze am Saum ihres Kleides mit ihrem Absatz zerrissen und musste in ihr Zimmer zurückkehren. Sie bat mich, der Duchess auszurichten, dass sie so bald wie möglich nach unten kommen wird.“
„Die arme Miss Ogilvie! Wir werden es Georgiana sofort sagen; ich bin sicher, sie wird mit dem Dinner ein wenig warten.“ Dervishton legte seine Hand auf die von Caitlyn. „Erlauben Sie bitte. Die Treppe ist ein wenig steil.“
Unter hochgezogenen Brauen hervor betrachtete Alexander die breite geschwungene Treppe. Prachtvoll war sie, doch etwas Steiles war an ihr nicht zu entdecken. „Ich bitte Sie inständig, Miss Hurst, halten Sie sich gut an Dervishtons Arm fest. Ich weiß, wie unsicher Sie sind, wenn Sie zu viel Sherry getrunken haben.“
Dervishton blinzelte verwirrt. „Sherry? Mir war nicht klar, Miss Hurst, dass Sie schon ...“
„Das habe ich auch nicht.“ Caitlyn warf Alexander einen wutentbrannten Blick zu. „Ich habe heute kein einziges Tröpfchen Sherry zu mir genommen.“
„Ich erinnere mich an einen Abend, an dem Sie viel, sehr viel, zu viel getrunken haben. Sie erzählten mir, Sie wollten schon immer ...“
„Können wir dann gehen, Lord Dervishton? “, unterbrach Caitlyn ihn hastig. „Miss Ogilvie verlässt sich darauf, dass ich ihre Nachricht überbringe.“
Dervishton wirkte enttäuscht darüber, dass er nicht noch mehr von Alexander erfahren würde. „Natürlich“, erwiderte er dennoch.
Nachdem Caitlyn noch einmal voller Zorn zu Alexander hinübergeblickt hatte, rauschte sie an ihm vorbei, hoheitsvoll wie eine Königin.
Alexander grinste. Es war beim Ball der Lingefelts geschehen, wo es unglaublich steif und langweilig zugegangen war. Die Limonade, das einzige Getränk, das für die jüngeren Damen angeboten wurde, war ausgegangen. Durstig vom Tanzen hatte Caitlyn mehrere kleine Gläser mit Sherry geleert. Gegen Ende des Abends war sie dann oben an der Treppe, die vom Ballsaal zum Speisesaal führte, gestolpert. Alexander hatte sie im letzten Moment aufgefangen und auf diese Weise verhindert, dass sie die Stufen hinunterstürzte.
Während er sie an sich gepresst und ihren Busen an seiner Brust gespürt hatte, war heftiges Verlangen in ihm aufgestiegen. Offenbar hatte die unerwartete körperliche Nähe eine ähnliche Wirkung auf sie gehabt. Mit unsicherer Stimme vertraute sie ihm an, dass sie sich nichts mehr wünschte, als von ihm geküsst zu werden -und zwar hingebungsvoll.
Im Laufe der vergangenen Jahre war Alexander mit vielen erfahrenen Kurtisanen zusammengewesen, die ihm ihre erotischen Wünsche anvertraut hatten, die er ihnen immer gern erfüllte. Auch andere Frauen, die meisten von ihnen verheiratet, waren ihm nahegekommen. Oft wollten sie wilde Leidenschaft erleben, und er hatte ihnen diesen Gefallen mit Vergnügen getan. Doch nie zuvor hatte ihn eine Frau um etwas so Schlichtes wie einen Kuss gebeten und ihre Bitte mit einer so heiseren, erregten Stimme geäußert, die ihn heftiger entflammt hatte als all die anderen Wünsche, die schon an ihn gerichtet worden waren.
Sofort hatte er sie in eine versteckte Nische, die hinter einem langen Seidenvorhang verborgen war, geführt und sie stürmisch geküsst. Sie erwiderte seinen Kuss mit einer Glut, die sein Blut zum Kochen brachte. Zum ersten Mal verstand er, wieso sein Freund Charles den Reizen dieser sehr gewinnenden, doch kaltherzigen Frau erlegen war, die er geheiratet hatte. Es war absoluter Wahnsinn - angefeuert von Leidenschaft, genährt von flammender Erregung und blindem Verlangen, dazu besonders töricht, weil man glaubte, man habe alles unter Kontrolle. Kein Wunder, dass Charles diesem Wahn zum Opfer gefallen war.
Jener Kuss war der erste in einer Reihe riskanter Begegnungen zwischen Alexander und Caitlyn gewesen, und jede einzelne von ihnen führte sie beide einen Schritt weiter auf einem Weg, den sie offenbar sorgfältig geplant hatte. Er hatte sehr lange nicht bemerkt, dass er an der Nase herumgeführt wurde.
Verdammt, ich hätte es besser wissen müssen! Ich bin nicht mehr grün hinter den Ohren, kein Junges, das gerade aus dem Nest gefallen ist. Aber irgendwie hat sie sich in mein Leben gedrängt, und ich ... habe es einfach zugelassen.
Es kochte ein unbändiger Zorn in ihm hoch, und undeutlich nahm er wahr, dass in der Ferne leises Donnergrollen auf seine Wut antwortete. „Miss Hurst!“, rief er ihr hinterher. „Nur eine Warnung: Der Weinkeller hier ist bekannt für seine große Auswahl. Vielleicht sollten Sie sich zum Dinner Limonade bestellen. Nicht dass Sie später in irgendwelche starken Arme taumeln!“ Caitlyns braune Augen funkelten vor Wut, doch ihr Gesicht war ausdruckslos. „Vielen Dank, dass Sie sich um meine Sicherheit sorgen, Laird MacLean, aber ich werde nicht mehr trinken, als ich vertrage. Das tue ich nie.“
„Nie?“, erkundigte er sich leise.
Er und Caitlyn starrten einander an, und fassungslos spürte er, wie ihn pulsierende Hitze durchströmte, wenn ihre Brüste sich hoben und gegen das Ballkleid aus zarter Seide pressten. Es gab nur wenige Frauen, die so schön aussahen, wenn sie wütend waren. Irgendwie war es ihm gelungen, zu vergessen, wie hinreißend sie war, und es war etwas verwirrend, ihr erneut gegenüberzustehen. Sein Körper war weit davon entfernt, auf ihren Anblick keine Reaktion zu zeigen.
Dervishton räusperte sich. „Miss Hurst, soll ich ...“
Sie wandte endlich ihren Blick von Alexander ab und lächelte blind in Dervishtons Richtung. „Lassen Sie uns bitte endlich nach unten gehen, wo die Duchess und die anderen Gäste warten.“ „Natürlich“, murmelte Dervishton und warf Alexander einen neugierigen und freundlichen Blick zu.
Alexander schaute hinter ihnen her. Dabei klammerte er sich so fest an das Treppengeländer, dass seine Finger taub wurden. Als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, wandte Caitlyn sich um, und ihre Augen blitzten noch immer wütend. Alexander hatte den Eindruck, wenn er sie noch ein bisschen mehr reizte, würde sie mit geballten Fäusten auf ihn losgehen.
Das war genau das, was er wollte. Bei diesem Gedanken entspannte er sich. Er musste sich nur besser zusammennehmen und seine Gefühle im Zaum halten. Ihre größte Schwäche kannte er bereits: die Eitelkeit. Er musste ihr nur weiter zusetzen, sie weiter verspotten, den Rest würde sie selbst erledigen. Himmel, er würde den Kampf genießen! Er würde seine Freude daran haben, sie zu provozieren und am Ende seinen Sieg zu feiern.
Dennoch hatte er plötzlich das Gefühl, dass sich seit seinem letzten Zusammentreffen mit ihr vor drei Monaten etwas geändert hatte. Hätte er sie damals so offensichtlich gereizt, wäre sie sofort außer sich gewesen. Ihr lebhaftes Temperament hatte ihn damals ganz besonders angezogen. So viele junge Frauen in London waren wie abgestandene Limonade und fader Kuchen; Caitlyn Hurst war wie pikant gewürzter Glühwein und knuspriges Gebäck.
Er beobachtete, wie sie an Dervishtons Arm auf die Tür zum Salon zuschritt. Ihre Hüften wiegten sich unter ihrem sanft fließenden Kleid. Ein zufälliger Beobachter hätte geglaubt, dass die Unterhaltung mit ihm sie vollkommen kaltgelassen hatte, doch Alexander wusste es besser. Er konnte sehen, dass sie aufgeregt war, denn als Dervishton sie in den Salon führte, waren ihre Schultern hochgezogen, und ihre Bewegungen hatten etwas von ihrer bezaubernden Anmut verloren.
Als die beiden verschwunden waren, stieß Alexander sich vom Treppengeländer ab und folgte seiner Beute. Für Caitlyn Hurst würde sich das Dinner sehr, sehr lange hinziehen.
„Gütiger Himmel, ich bin vollkommen erschöpft! Ich kann kaum noch meine Füße vom Boden heben“, stöhnte Caitlyn.
Miss Ogilvie schob Caitlyns Hand in ihre Armbeuge, als sie den Treppenabsatz erreichten. „Es ist kein Wunder, dass Sie müde sind; es ist nach Mitternacht, und Sie waren fast den ganzen Tag noch auf Reisen.“
„Außerdem sind wir schon vor Tagesanbruch losgefahren. Und das Dinner hat ewig gedauert.“
„Es müssen zehn Gänge gewesen sein.“
„Es waren zwölf! Ich habe mitgezählt.“ Und jeder einzelne war köstlich gewesen. Das Essen, das die Köchin im Pfarrhaus zubereitete, war gute, ländliche Hausmannskost, und niemand stand hungrig vom Tisch auf. Doch die Köstlichkeiten, die an der Tafel der Duchess gereicht wurden, waren mehr als außergewöhnlich. Gleich morgen früh würde Caitlyn einen Brief an Mary schreiben und ihr alle Einzelheiten über ihre erste Nacht auf Balloch Castle schildern. Mit dem aufwendigen Essen, der luxuriösen Einrichtung und der aufregenden Gesellschaft gab es mehr als genug, um ihre Familie zu unterhalten, wenn sie sich abends zur Lektüre versammelte.
Natürlich würde sie weder Alexander noch die Duchess erwähnen. Es gab Dinge, die konnte man schriftlich nicht mitteilen. Caitlyn verscheuchte ihre Gedanken und lächelte Miss Ogilvie müde an. „Ich glaube nicht, dass ich je zuvor ein so köstliches Dinner hatte. Dieses Essen ... mmmh!“ Es gab keine passenden Worte für den gebratenen Lachs, den lecker pochierten Fisch, die gefüllte Wachtelbrust oder die anderen erstaunlichen Köstlichkeiten, die zum Dinner serviert worden waren.
Miss Ogilvie hatte ein paar zarte Sommersprossen auf ihrer blassen Haut. „Der Hummer war göttlich. Das ist mein Lieblingsgericht.“
„Ich hätte gern mehr davon gehabt, aber er war schon weg.“ Miss Ogilvie warf Caitlyn ein listiges Lächeln zu. „Laird MacLean hat eine Bemerkung darüber gemacht, als Sie sich zum zweiten Mal davon nahmen.“
„Ja, das hat er, nicht wahr?“ Der schreckliche Kerl. Er hatte gespottet, weil ihr Teller so voll gewesen war, und sich erneut zu Wort gemeldet, als sie alles aufgegessen hatte. Den übrigen Gästen war das wahrscheinlich wie eine freundliche Neckerei vorgekommen, aber Caitlyn hatte den Stachel in seinen Anspielungen gespürt und auch seinen dunklen, humorlosen Blick bemerkt.
Sie schnaubte. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass MacLean ihr den Abend verdarb. „Wie auch immer mir der Hummer gefallen haben mag, Lady Elizabeth war höchst entzückt von den Cremetörtchen.“
„Sie muss mindestens fünf davon gegessen haben. Sie ist eine gute Esserin, nicht wahr?“
„Man sagt, Lord Dalfour wollte sie heiraten, aber ihr Vater war nicht einverstanden, und nun weigert sie sich, sich auf irgendeinen anderen Mann einzulassen.“
„Das ist so traurig“, seufzte Miss Ogilvie. „Sie sind trotz der ablehnenden Haltung ihres Vaters zusammen, so häufig es geht, indem sie beide an Einladungen wie dieser teilnehmen. Das ist sehr romantisch, doch für mich hat die wahre Romanze heute Abend am Tisch zwischen den Treymonts stattgefunden.“
„Der Marquess und seine Marchioness schienen tatsächlich nur Augen füreinander zu haben. Sie erinnerten mich an meine Eltern. “ Eines Tages würde auch Caitlyn in einer solchen Verbindung leben.
Miss Ogilvie musterte den Diener, der einige Schritte vor ihnen herging, beugte sich zur Seite und flüsterte: „Miss Hurst... finden Sie nicht, dass der Duke ein wenig seltsam ist?“
Nickend erwiderte Caitlyn ebenfalls im Flüsterton: „Er hat während des ganzen Dinners kaum ein Wort gesagt. Und was war das eigentlich für ein Ding, mit dem er die ganze Zeit herumgespielt hat?“
„Seine Schnupftabakdose. Ich glaube, er liebt sie mehr als sein Leben.“
„Wenn ich wie er eine Frau hätte, die die ganze Zeit mit anderen Männern flirtet, würde ich vermutlich genauso empfinden.“ „Sie war schrecklich während des Dinners, nicht wahr?“
„Ich konnte nicht herausfinden, wem sie den Vorzug gab -Laird MacLean, Lord Dervishton oder dem Diener, der die Suppe servierte!“
Das Lächeln, zu dem Miss Ogilvie ansetzte, verging rasch wieder. „Und was sie über Ihr Haar gesagt hat, dass es kein natürlicher Farbton sein könne, und anzudeuten, Sie hätten ... Noch nie in meinem Leben war ich so wütend.“
„So ging es mir auch. Zum Glück hatte ich meine kleine Rache.“ Caitlyn lächelte. „Ich habe zwei Stücke von dem Kuchen mit Zuckerguss gegessen, und für sie blieb nichts mehr übrig.“ Nun kicherte auch Miss Ogilvie. „Ich bin froh, dass Sie nicht böse auf mich sind, weil ich mich nicht in die Sache mit den Haaren eingemischt habe.“
Der Diener blieb vor Caitlyns Tür stehen, und Miss Ogilvie entließ ihn mit einer Handbewegung. „Vielen Dank. Von hier aus finden wir den Weg allein.“
Er verbeugte sich und ging. Erst als er verschwunden war, fuhr Miss Ogilvie fort: „Ich hoffe, Sie finden mich nicht zu aufdringlich, Miss Hurst. Obwohl wir uns heute zum ersten Mal getroffen haben, kommt es mir vor, als würde ich Sie schon viel länger kennen und ...“
„Nenn mich bitte Caitlyn.“
„Und du kannst Sally zu mir sagen“, erwiderte Miss Ogilvie strahlend.
„Mit Vergnügen.“
„Wunderbar! Ich muss sagen, dass ich mich heute Abend beim Dinner gefragt habe, ob Laird MacLean nicht vielleicht eine kleine Schwäche für dich hat!“
Vollkommen überrascht starrte Caitlyn sie an. „Wie um alles in der Welt kommst du denn darauf?“
„Er konnte den ganzen Abend seine Blicke nicht von dir losreißen.“
„Doch nur, weil er die ganze Zeit nach Möglichkeiten suchte, mich zu ärgern.“
„Und - ist es ihm gelungen?“, erkundigte sich Sally und blinzelte verwirrt.
„Ja. Mehrmals, um genau zu sein. Einige der Dinge, die er sagte, klangen harmlos, aber ...“ Caitlyn presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
„Und warum sollte er das wollen?“ Ratlos schüttelte Sally den Kopf. „Männer sind so verwirrend.“
„Nicht alle.“ Einige von ihnen waren leicht zu durchschauen in dem, was sie zu erreichen versuchten. Alexander wollte sie offensichtlich verleiten, irgendetwas Dummes zu tun. Aber warum? Was hoffte er damit zu erreichen? Morgen würde sie es herausfinden. Wenn sie sich jemals einer Sache sicher gewesen war, dann jener, dass Alexander MacLean ein ...
„Darf ich dich etwas fragen, Caitlyn?“
Mühsam kehrte Caitlyn mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. „Natürlich.“
„Was hältst du vom Earl of Caithness?“
„Von wem?“
Sallys Wangen röteten sich. „Du hast ihn vielleicht nicht bemerkt, denn er ist sehr still und saß neben der Countess Dumfries am anderen Ende der Tafel.“
„Ach ja. Er scheint ein netter Mann zu sein.“
Diese Bemerkung freute Sally offensichtlich. „Das glaube ich auch.“ Dann unterhielten sie sich noch ein wenig über das Dinner und die Kleider, die die anderen Frauen getragen hatten, aber schon bald war Sally nicht mehr in der Lage, ihr Gähnen zu unterdrücken, und sie wünschten einander eine gute Nacht.
Muiren erwartete Caitlyn hinter der Tür ihres Schlafzimmers. „Nun, wie war Ihr Abend, Miss?“
„Sehr schön.“ Caitlyn öffnete die Bänder ihres Kleides und ließ sich von Muiren dabei helfen, es auszuziehen, dann aus ihrem Unterrock zu steigen und in ihr Nachthemd zu schlüpfen.
Zum Schluss legte Muiren ein Tuch um Caitlyns Schultern. „Setzen Sie sich vor den Waschtisch, Miss, dann bürst ich Ihnen die Haare.“
Caitlyn folgte Muirens Vorschlag und beobachtete die Zofe im Spiegel, während sie ihr die Nadeln aus den Haaren zog.
Muiren lächelte. „Haben Sie das Dinner genossen?“
Schläfrig vom Rhythmus der Bürstenstriche erwiderte Caitlyn: „Das Essen war hervorragend, und fast alle waren sehr nett.“ „Fast alle?“
„Alle außer Laird MacLean und der Duchess, die ...“ Caitlyn fing im Spiegel Muirens Blick auf. „Ich wollte sagen ...“
„Ach, das iss keine Überraschung“, stellte Muiren fest, während sie weiter die Bürste durch Caitlyns Haare gleiten ließ. „Ich würd sagen, Laird MacLean hat ’ne Schwäche für Sie, weil Sie so hübsch sind und all das, und wenn es eins gibt, was ihre Gnaden nich leiden kann, iss das, wenn ihr Liebhaber ’ne andre Frau anguckt.“
„Ihr Liebhaber?“, erkundigte sich Caitlyn stirnrunzelnd.
„Na ja, nich mehr. Sie waren letztes Jahr ganz eng miteinander, aber dann hörte er auf, zu Besuch zu kommen. Ich glaub nich, dass der Duchess das gefiel, denn sie war furchtbar zänkisch, bis er vor ’n paar Monaten zurückkam. Nun isser wieder da, aber ..."
Muiren schaute zur Tür, bevor sie sich vorbeugte und in lautem Flüsterton fortfuhr: „Er bleibt nich über Nacht in ihrem Schlafzimmer, wie er das früher gemacht hat.“
„Ich kann mir vorstellen, dass der Duke auch eine Meinung dazu hat! “
„Ich glaub nich, dass es ihn besonders interessiert. Solang die Duchess seine Tafel schmückt und dafür sorgt, dass sein Haus ordentlich geführt wird, machen ihm ihre Verwicklungen mit andren Männern nix aus. Ich glaub, so isses bei vielen vom Adel - und das iss ’ne traurige Sache, wenn Sie mich fragen.“
Caitlyn erinnerte sich daran, wie die Duchess heute Abend MacLean angeschaut hatte, wenn sie davon ausging, dass niemand es bemerkte, und wie das Gesicht der älteren Frau immer grimmiger geworden war, je länger das Dinner andauerte. „Also war er derjenige, der die Affäre beendet hat?“
„So isses, obwohl die Zofe ihrer Gnaden mir heut Morgen gesagt hat, dass ihre Gnaden hofft, sie kann ihn zurückbekommen.“ Als Caitlyn bemerkte, dass sie ihre Hände im Schoß verkrampft hatte, löste sie sie rasch und zwang sich, zu entspannen. Es war ihr vollkommen egal, mit wem MacLean schlief. Er war eine Irritation für sie, mehr nicht. „Es fällt mir schwer, zu glauben, dass der Duke kein Problem mit den ... Vorlieben der Duchess hat.“ „Ach, Miss! Haben Sie ihn heut Abend beim Dinner gesehen?“ „Ja, aber ...“
„War er überhaupt wach?“
„Na ja, teilweise.“
„Und iss Ihnen aufgefallen, dass er gut dreißig Jahre älter iss als ihre Gnaden? Sie war praktisch noch ’n Kind, als er sie gesehen und zur Frau genommen hat.“ Muiren senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Die Zofe ihrer Gnaden war letzten Sommer vom Stachelbeerwein beschwipst und hat mir erzählt, dass die Duchess keine geborene Lady iss.“
„Jetzt scheint sie jedenfalls ganz sicher eine zu sein.“
„Genau, und das iss ihr auch sehr klar. Sie war Weberin in einer von den Fabriken vom Duke. Und als er sie erst mal gesehen hatte, wollt der Duke sie haben. Doch schon als Mädchen war sie ’ne ganz Schlaue, und sie wollt ’nen Ring. Und als er sie geheiratet hatte, besorgte er alle möglichen Tutoren, Schneiderinnen und Tanzlehrer - eine Armee von Leuten, um ihr beizubringen, wie sie sich benehmen und reden musste.“
„Gütiger Himmel! Wissen ... wissen alle Leute davon?“
„Nur sehr wenige. Aber ich weiß, dass es wahr iss, denn am Tag, nachdem ich es gehört hatte, hat die Zofe ihrer Gnaden alles versucht, mich zu überzeugen, dass kein Wort wahr war, von dem, was sie gesagt hatte.“
Caitlyn konnte sich die elegante, herablassende Frau, die am Kopf der Dinnertafel gesessen hatte, nur als Duchess und als nichts anderes vorstellen.
„Sind Sie bereit fürs Bett, Miss?“, erkundigte sich Muiren, nachdem sie die silberne Bürste auf den Waschtisch gelegt hatte. „Es iss spät, und ich weiß, dass Sie schrecklich müde sein müssen.“ Caitlyn kletterte ins Bett, kuschelte sich in die warmen Laken und hörte zu, wie Muiren die Lichter löschte und im Feuer stocherte. „Gute Nacht, Muiren.“
„Gut Nacht, Miss. Schlafen Sie gut.“ Die Zofe verließ das Zimmer und zog sanft die Tür hinter sich ins Schloss.
Caitlyn gähnte und rutschte tiefer unter die Decke, während in ihrem müden Kopf die Gedanken durcheinanderwirbelten. Die Duchess war also früher eine Fabrikarbeiterin gewesen und Alexander MacLean der Geliebte der Duchess. Wenn sie sich die schöne rothaarige Frau zusammen mit MacLean vorstellte, krampfte sich Caitlyns Magen zusammen. Sie schüttelte ihr Kissen auf, versuchte, an etwas anderes zu denken - und scheiterte kläglich. Natürlich hatte sie nicht erwartet, dass MacLean ein Heiliger war. Der Himmel wusste, er hatte sich nie als etwas anderes dargestellt als einen sinnlichen Freigeist. Das Problem war vielmehr, dass sie nicht in der Lage war, an etwas anderes zu denken. Sobald sie die Augen schloss, stellte sie sich vor, wie sich MacLeans dunkler Kopf dem blassen, schönen Gesicht der Duchess näherte und ...
„Oh, verdammt noch mal!“ Sie setzte sich aufrecht im Bett hin und bearbeitete ihr Kissen mit den Fäusten. Es war offensichtlich zu zerknäuelt, um gut darauf schlafen zu können. Sie ließ sich wieder zurück auf die Matratze fallen, starrte in die Dunkelheit und wünschte sich verzweifelt, sie könnte die Bilder aus ihrem Kopf löschen. Sie hatte nicht den leisesten Anspruch an MacLean - und wollte auch keinen haben! Sie war schlicht übermüdet. Ja, das war es, was mit ihr nicht stimmte; sie war übermüdet, und dass sie so überraschend MacLean hier angetroffen hatte, bedeutete eine zusätzliche Anspannung für ihre Nerven.
Sie seufzte. Zu dumm, dass sie nicht daran gedacht hatte, ein Buch aus der Bibliothek ihres Vaters mitzubringen. So müde sie auch war, es würde sehr lange dauern, bis sie würde einschlafen können.