11. Kapitel

Eine alte Weisheit lautet: „ Wenn du kämpfen musst, dann hefte dir deine Ehre auf den Schild und verbirg sie nicht dahinter.“

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Ich helf Ihnen, Miss.“ Muiren griff nach dem oberen Rand des langen Handschuhs und hielt ihn zum Anziehen hin.

Caitlyn schlüpfte erst in den einen Handschuh, dann in den anderen. „Danke, Muiren.“

„Gern geschehen, Miss.“ Muiren warf einen Blick auf die Uhr. „Sie haben nur noch acht Minuten Zeit, bis Sie im Blauen Salon erwartet werden.“

„Ich weiß, ich weiß. Wo habe ich nur ... ? Oh, da ist mein Tuch. Heute scheine ich keinen klaren Gedanken fassen zu können. Ich frage mich, ob Laird MacLean schon zum Dinner nach unten gegangen ist und ...“

Muiren warf ihr einen seltsamen Blick zu.

„Ja?“, fragte Caitlyn und runzelte die Stirn.

„Es is interessant, wie Sie die zwei Sätze hintereinander gesagt haben - dass Sie durcheinander sind und dass Sie wissen wollen, wo Lord MacLean is. Sie gehen doch nicht etwa vor dem Feind in die Knie?“

Caitlyns Wangen begannen zu glühen. „Natürlich nicht! Ich bin nur unkonzentriert. Das wird wohl am Wetter liegen.“ Sie schaute lieber nicht aus dem Fenster, denn sie wusste ohnehin, dass der Nachthimmel ebenso klar leuchtete, wie er den ganzen Tag über gewesen war.

Ihre Probleme hatten in der vergangenen Nacht begonnen. Als sie sich zur Ruhe begeben hatte, war sie fast euphorisch gewesen, ihre Aufgabe erledigt zu haben. Doch je länger sie in ihrem weichen Bett lag, umso intensiver musste sie daran denken, wie MacLean ausgesehen hatte, als sie aus der Bibliothek geeilt war, nachdem sie ihm die Tabakdose in die Hand gedrückt hatte. Sie wusste, er würde ihre Leistung zu schätzen wissen, wenn er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Er genoss einen Wettbewerb mit einem würdigen Gegner ebenso sehr wie sie. Caitlyn wünschte sich, sie könnte einen Blick auf den wahren Alexander MacLean erhaschen - auf den Mann hinter der zynischen Maske.

Während ihrer gemeinsamen Zeit in London waren sie so mit ihren ungeheuerlichen Gefühlen beschäftigt gewesen, dass sie keine Zeit und keine Möglichkeit gehabt hatten, die Charakterzüge des anderen kennenzulernen. Sie waren so vertieft gewesen, die Flamme, die zwischen ihnen loderte, weiter zu schüren und die Regeln des Anstands noch ein wenig mehr zu überschreiten, dass sie keine Zeit gefunden hatten, um einfach nur mal miteinander zu ... reden. Deshalb hatte am Ende dieser verrückten Zeit keiner von ihnen etwas über den anderen gewusst. Sie hatte keine Ahnung, was ihn traurig machte oder ob er Orangenmarmelade mochte oder worüber er lachte, welche Gefühle er für seine Geschwister hatte, ob er lieber Quadrille oder Scottish Reel tanzte. Sie wusste nicht einmal, ob er überhaupt gern tanzte, weil sie so sehr mit anderen, gesellschaftlich weniger akzeptablen Dingen beschäftigt gewesen waren.

Seufzend kam sie zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich nie eine entspannte Unterhaltung führen würden. Zurzeit war sie vollauf damit beschäftigt, sich mit allen Kräften zu bemühen, die Wette zu gewinnen. Und wenn sie gewann, würde er zu wütend sein und zu sehr in seinem Stolz verletzt, um jemals wieder ein normales Gespräch mit ihr haben zu wollen. Aus irgendeinem Grund machte sie das traurig.

„Oh je, schauen Sie mal, wie spät es is!“ Muiren steckte Caitlyns Tuch fest und ging zur Tür, um sie zu öffnen. „Beeilen Sie sich, sonst kommen Sie zu spät zum Dinner. Sie wissen, wie ihre Gnaden sein kann, wenn das passiert.“

Caitlyn verließ ihr Schlafzimmer. Wo war MacLean denn nur? Warum hatte sie ihn den ganzen Tag über kein einziges Mal gesehen ?

Morgens hatte sie sich darauf gefreut, ihm beim Frühstück zu begegnen. Sie hatte nicht vor, sich mit ihrer Leistung zu brüsten, aber sie wollte es genießen, dass sie ihre Aufgabe erfüllt hatte. Doch MacLean hatte ihr nicht die Möglichkeit dazu gegeben. Er war nicht mal am Frühstückstisch aufgetaucht. Tatsächlich war er ihr den ganzen Tag aus dem Weg gegangen.

Sie war jedoch nicht die Einzige, die ihn vermisst hatte. Beim Frühstück hatte die Duchess mehrere Kommentare über seine Abwesenheit fallen lassen, und beim Lunch hatte sie die erschrockene Lady Kinloss barsch angefahren, als diese den Fehler machte, sich nach Laird MacLean zu erkundigen.

Caitlyn hatte den größten Teil des Nachmittags auf einem langen Spaziergang zur alten Burg verbracht, den sie gemeinsam mit Lord Dervishton, Sally und dem Earl of Caithness unternommen hatte. Während sie unterwegs gewesen war, hatte sie sich bemüht, nicht an MacLean zu denken, doch das hatte sich als unmöglich herausgestellt. Wo war er?

Die ganze Sache kam ihr ein bisschen seltsam vor. Vielleicht hatte er ...

„Caitlyn!“

Sie wandte sich um und sah Sally Ogilvie durch die Halle auf sich zukommen. Die junge Frau trug ein reizendes Kleid aus weißem Krepp mit Satinbesätzen und einer Schleppe aus Sarcenet, einer feinen Seide. Im Nacken und an den Ärmeln hatte es Verzierungen aus zu Kränzchen gesteckten schwarzen Seidenblumen. Sallys braune Locken waren hochgesteckt, und ein hübsches Tuch aus chinesischer Seide lag um ihre Schultern.

Sally betrachtete Caitlyn mit einem bewundernden Blick. „Meine Güte, das ist einfach ein wunderschönes Kleid.“

Caitlyn lächelte. „Vielen Dank.“ Es war eines ihrer Lieblingskleider mit einem Überwurf aus weißem englischem Stoff, unter dem ein Unterkleid aus blauem Satin schimmerte, das am Saum mit goldfarbener Seide abgesetzt und am Ausschnitt und an den Ärmeln mit blauem Band verziert war.

Verwundert schüttelte Sally den Kopf. „Ganz im Ernst, wenn du das Kleid aus Frankreich eingeschmuggelt hättest und es dazu nötig gewesen wäre, im Schutz der Dunkelheit eine geheimnisvolle Frau in einem schwarzen Umhang zu treffen, um es von ihr zu bekommen, würde mich das kein bisschen wundern.“

Caitlyn lachte und umarmte Sally. „Das ist das Netteste, das ich seit meiner Ankunft hier zu hören bekommen habe.“

„Das heißt nun wirklich nicht viel. Die Duchess hat kaum ein Wort mit mir gesprochen, und sie kann sich immer noch nicht meinen Namen merken.“

„Ich finde einige der Damen ebenfalls ein bisschen einschüchternd.“

„Sie können mit zuckersüßer Stimme sehr beleidigend sein, und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll“, bemerkte Sally.

„Es ist ein Dilemma. Soll man die Worte überhören und nur auf den Ton reagieren? Oder sich gegen die Worte wehren und den Ton ignorieren? Ist uns das überhaupt erlaubt, wenn man bedenkt, wie niedrig unser Rang ist?“

„Lady Kinloss ist gar nicht mal so übel; sie redet nur mit mir, wenn ich ihr das Salz reichen soll. Die übrige Zeit sieht sie mich so an.“ Sally zog die Schultern nach hinten, hob das Kinn und schaute an ihrer Nase entlang, wobei sie leicht schielte.

Angesichts dieser gelungenen Darstellung brach Caitlyn in lautes Gelächter aus. „Du musst versprechen, dass du in meiner Gruppe bist, wenn wir Charade spielen.“

„Mit Vergnügen“, erklärte Sally grinsend.

„Hervorragend. Ich war nie besonders gut im Schauspielern. Meine Schwester Mary ist ziemlich geübt darin und hat oft gesagt, dass sie zur Bühne will, was meine Mutter in Angst und Schrecken versetzt.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Mutter von dieser Idee begeistert wäre.“

Sie erreichten den unteren Treppenabsatz und hörten Stimmen aus dem Empfangszimmer, wo sich die Gäste versammelt hatten.

Sally zupfte ihr Tuch über den Ellenbogen zurecht und bemerkte nebenbei: „Ich frage mich, ob Laird MacLean nach seinem Unfall am Dinner teilnehmen wird.“

Caitlyn blieb wie angewurzelt stehen. „Unfall?“

„Hast du nicht davon gehört? Nein, an deinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass du es nicht wusstest.“

„Ist er schwer verletzt?“

„Ganz sicher nicht. Ich weiß es, weil ich ihn habe ins Haus treten sehen. Das war ungefähr eine Stunde, nachdem wir von unserem Spaziergang zurückgekehrt waren.“

Caitlyn presste sich eine Hand gegen die Brust, wo ihr Herz so wild schlug, dass sie es unter ihren Fingerspitzen spüren konnte. „Gott sei Dank!“, stieß sie mit schwacher Stimme hervor. War er verletzt worden, als er versucht hatte, den Teil jenes Bienenstocks zu beschaffen? „Weißt du, was passiert ist?“

„Ja, und es ist sehr seltsam. Aus irgendeinem Grund hat er versucht, auf einen Baum zu klettern.“

Oh, nein! „Und?“, erkundigte Caitlyn sich atemlos.

„Ich habe ihn gefragt, warum er auf einen Baum gestiegen ist, aber seine Antwort war ziemlich vage, und selbst sein Hinken ...“ „Er ist gehumpeltl“

„Allerdings. Es war offensichtlich, dass er einiges hinter sich hatte, denn er war völlig durchnässt und mit Matsch und Blättern bedeckt, und sein Gesicht war geschwollen, und ...“

„Du liebe Güte!“

„Er sagte, es habe damit begonnen, dass er von Bienen angegriffen wurde.“

„Aber ... sind die Bienen zu dieser Jahreszeit nicht fort oder halten Winterruhe? Das hat er jedenfalls ...“ Caitlyn stockte. „Das habe ich jedenfalls mal gehört.“

„Ja, aber es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Ich kann mir vorstellen, dass die Bienen ziemlich wütend darüber waren, gestört zu werden.“

Entsetzt presste Caitlyn sich die Hand gegen die Stirn.

Sallys Grinsen verblasste. „Ich dachte, du würdest es lustig finden.“

„Oh, das tue ich auch! Ich habe nur Kopfschmerzen.“ Einen mehr als ein Meter zweiundachtzig großen Kopfschmerz, schwarzhaarig und grünäugig, und das war wirklich der schlimmste Kopfschmerz ihres Lebens. „Schien Laird MacLean sehr zornig zu sein, als er zurückkam?“

„Er schäumte jedenfalls vor Wut.“ Sally verzog den Mund zu einem breiten Grinsen, und ihre Augen funkelten. „Du hast den besten Teil der Geschichte noch gar nicht gehört. Als MacLean zurückkehrte, saß er auf Dervishtons Pferd.“

„Wie ist das denn passiert?“

„Nach unserem Spaziergang wollte Dervishton sein neues Pferd bewegen. Laird MacLeans Pferd ging durch, als die Bienen ausschwärmten, und er war gezwungen, zu Fuß zum Haus zurückzukehren. Aber irgendwo zwischen dort und hier hat MacLean sich Dervishtons Pferd ,ausgeliehen.“

„Du glaubst, MacLean nahm sich einfach Dervishtons Pferd?“

Sallys Augen glitzerten vor Vergnügen. „Dervishton kam erst viel später zurück, und zwar zu Fuß. Außerdem war er ebenfalls sehr wütend.“

Wen interessierte Dervishton? „Wie verletzt war Laird MacLean?“

„Er hat mehrere Bienenstiche davongetragen, die anzuschwellen begannen. Als wir sahen, in welchem Zustand er war, boten Lord Caithness und ich natürlich an, aus der Küche einige Hausmittel zu besorgen, aber MacLean lehnte unsere Hilfe sehr unhöflich ab, schickte nach seinem Kammerdiener und zog sich in sein Schlafzimmer zurück.“

„Ich nehme an, du weißt nicht, wie schlimm er gestochen wurde?“

„Oh, er hat ein Dutzend Stiche abbekommen und außerdem noch mehrere blaue Flecke und Kratzer. Bei seinem Sturz hat er sich wohl am Hinterteil wehgetan, denn das rieb er sich ständig.“

„Er ist vom Baum gefallen?“

„Ich habe keine Ahnung. Als ich ihn sah, war er nicht in der Stimmung, sich mit mir zu unterhalten.“ Sally runzelte die Stirn.

„Allerdings frage ich mich, wie es kam, dass er so nass war. Er sah aus, als wäre er in einen Regenguss geraten, dabei war der Himmel heute vollkommen klar.“

Caitlyn wünschte sich, dass Sally ihr mehr hätte erzählen können. „Du bist sicher, dass er nicht ernsthaft verletzt wurde?“ „Ich wage zu behaupten, dass sein Stolz verletzter war als alles andere.“

Das konnte Caitlyn sich gut vorstellen. „Ich wundere mich, dass das Wetter nicht umgeschlagen ist, wo er doch so wütend war.“

Sobald die Worte über ihre Lippen waren, wünschte sie sich, sie zurücknehmen zu können. Sallys Augen weiteten sich, sie zog die Brauen hoch und nahm Caitlyns Hand zwischen ihre beiden Hände. „Du weißt von dem Fluch der MacLeans?“

„Ich habe ein paar Geschichten gehört, aber wer weiß, ob sie wahr sind?“

„Wahrscheinlich ist das alles Übertreibung und Klatsch, aber manchmal frage ich mich doch, ob etwas daran ist.“ Sally hakte sich bei Caitlyn unter. „Wir sollten uns besser beeilen, sonst kommen wir zu spät zum Dinner.“

Die Duchess runzelte bereits die Stirn, als sie ins Zimmer traten, und ihre Miene wurde noch finsterer, als Dervishton, der neben ihr gestanden hatte, sich von ihrer Seite löste, sobald er Caitlyn sah.

„Himmel!“, flüsterte Sally. „Ihre Gnaden scheint wegen irgendetwas wütend zu sein.“

Dervishton erreichte sie gleichzeitig mit Lord Falkland. Beide Männer verbeugten sich, und Falkland bemerkte hastig: „Miss Hurst, es tut mir sehr leid, dass ich den Spaziergang heute versäumt habe.“

„Versäumt? Lord Dervishton sagte mir, Sie hätten sich entschieden, nicht mitzukommen.“

„Wusste ich es doch!“ Falkland warf Dervishton einen anklagenden Blick zu.

Der ältere Lord zuckte mit den Schultern. „Alles ist erlaubt, Falkland. Alles ist erlaubt.“

„Was Sie betrifft, greifen Sie ausschließlich zu unerlaubten Mitteln. Ich sollte ...“ Falklands Aufmerksamkeit wurde durch eine Bewegung an der Tür abgelenkt, und sein Blick blieb daran hängen. Alle anderen schauten ebenfalls dorthin.

MacLean trug seine übliche elegante Abendgarderobe, doch seine Unterlippe war geschwollen und auf seinem Wangenknochen prangte ein großer roter Fleck. Als er ins Zimmer trat, war sein Hinken unübersehbar, ebenso die Tatsache, dass er bei jedem Schritt schmerzlich das Gesicht verzog.

Bevor sie es selber bemerkte, bewegte Caitlyn sich auf ihn zu, doch die Duchess war schneller. Sie eilte vorwärts und befahl dabei einem Diener, einen Stuhl zu bringen, den MacLean jedoch barsch ablehnte. Lady Kinloss und Lady Elizabeth traten hinzu, boten ihren Rat an und stellten zahllose Fragen.

MacLean suchte über die Köpfe der Frauen hinweg Caitlyns Blick und schaute sie kühl an.

Offenbar gab es nichts, was sie tun konnte. Sie verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln. Als sie sich umwandte, um zu Sally zurückzukehren, bemerkte sie, dass Lord Dervishton sie prüfend ansah.

Dann schaute er an ihr vorbei in MacLeans Richtung, und als sein Blick wieder zu ihr wanderte, wirkte er nachdenklich.

Caitlyn spürte, dass ihre Wangen glühten, und sie erklärte hastig: „Ich habe gehört, dass Umschläge mit Salzwasser bei Bienenstichen helfen.“

Dervishton zuckte mit den Schultern. „MacLeans Kammerdiener hat genau das versucht, aber die schlimmsten Verletzungen rühren von den Disteln her.“

„Disteln?“

Der Viscount zog die Brauen hoch und wirkte plötzlich amüsiert. „Haben Sie die Geschichte nicht gehört?“

„Ich habe ihr erzählt, was ich wusste, aber das war nur sehr wenig“, mischte Sally sich ein.

„Tatsächlich?“ Dervishton warfeinen amüsierten Blick in MacLeans Richtung, bevor er in spöttischem Ton bemerkte: „Dann sollen Sie alle erfahren, was geschehen ist. Aus irgendeinem Grund war MacLean auf einen Baum geklettert und machte sich an einem Bienenstock zu schaffen, als die Bienen ausschwärmten und sich auf ihn stürzten. Er sprang auf den Boden ...“

„Vom Baum herunter? Wurde er beim Sprung verletzt?“, erkundigte Caitlyn sich erschrocken.

„Nein, nein, dabei ist ihm nichts passiert. So einfach ist die Geschichte nicht. Er rannte zu seinem Pferd, doch das edle Tier ging beim Anblick des Bienenschwarms durch, sodass unserem Helden keine andere Wahl blieb, als zum See zu laufen.“

„Gütiger Himmel!“

„Genau. Er stürzte sich ins eisige Wasser und blieb dort eine gute halbe Stunde, bis die Bienen ihn endlich in Ruhe ließen. Als er schließlich aus dem Teich stieg, musste er seine Stiefel ausziehen, weil sie voller Wasser waren. Und dann stellte er fest, dass er mit den durchnässten Stiefeln, die an seiner Haut rieben, ohnehin nicht laufen konnte, und er warf sie in den See.“

„Wie verschwenderisch!“, stellte Sally fest.

„Meine liebe Miss Ogilvie, man taucht die Art Stiefel, die Laird MacLean trägt, nicht ins Wasser, trocknet sie anschließend und zieht sie wieder an. Sie waren ruiniert, und ich kann seinen Ärger vollkommen verstehen. Er hatte jedoch nicht daran gedacht, wovor die Ledersohlen ihn schützen konnten.“ Dervishton lächelte, und ein fast zufriedener Ausdruck streifte seine Züge. „Nämlich vor Disteln.“

Caitlyn zuckte zusammen. In Schottland wuchsen ganz besonders kräftige Disteln mit dicken, spitzen Stacheln. „Kein Wunder, dass er humpelt.“

Falkland lachte in sich hinein. „Ich wünschte, ich hätte ihn sehen können.“

Caitlyn warf dem jungen Lord einen strafenden Blick zu. Als sie gerade etwas sagen wollte, trat der Earl of Caithness, den Blick auf MacLean geheftet, zu ihrer kleinen Gruppe.

Wenigstens würde jetzt endlich ein vernünftiger Mann das Wort ergreifen.

„MacLean!“, rief der Earl of Caithness. „Ein Hurra dem siegreichen Helden! Ziehen Sie Ihre Stiefel aus und zeigen Sie den Damen Ihre Füße!“ An Sally gewandt erklärte er mit einem unterdrückten Lachen: „Seine Fußsohlen sind total zerstochen.“ MacLean wandte sich um, sein Blick huschte über die kleine Gruppe und blieb an Caitlyn hängen.

Ihr Gesicht wurde heiß, doch sie schob trotzig das Kinn vor. Der alte Duke, der in einem Sessel neben dem Feuer geschlafen hatte und erst aufgewacht war, als Caithness seinen Gruß durch den Raum gerufen hatte, lachte. „Ah, MacLean! Ich hörte, Sie haben einen Kampf gegen einen wütenden Bienenschwarm ausgefochten und verloren.“

Gütiger Himmel, musste jeder Mann in Jubel ausbrechen, weil einem von ihnen ein Missgeschick passiert war? Ihre Brüder hätten ... Caitlyn runzelte die Stirn. Tatsächlich hätten sie genau dasselbe getan. Männer!

„Ich hörte, dass Sie auch ein erfrischendes Bad genommen haben“, stellte Caithness grinsend fest.

MacLean verzog die Lippen zu einem schmalen Strich und schaute in Dervishtons Richtung. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, woher Sie das wissen.“

Dervishton lächelte freundlich. „Ich konnte nicht widerstehen, die Geschichte zu erzählen. Sie waren so eine tragische Figur, als Sie zurück ins Haus kamen, vollkommen erledigt...“

„Voller Schnitte und blauer Flecke, aber nicht erledigt“, verbesserte ihn MacLean und schaute wieder Caitlyn an. Seine Augen funkelten, während er die Hand in die Tasche steckte und einen kleinen grauen Gegenstand hervorzog. „In Wahrheit war ich absolut siegreich.“

Während er diese schlichten Worte aussprach, ertappte Caitlyn sich dabei, dass sie ebenfalls lächelte, und für einen Moment fühlte es sich an, als wären sie ganz allein im Zimmer.

Ihr wurde warm ums Herz, und sie beschloss, obwohl sie eigentlich nicht wollte, dass er seine nächste Aufgabe erfüllte, dafür zu sorgen, dass diese nicht gefährlich war.

Dervishtons Lächeln wurde listig. „Siegreich worin, MacLean? Mir scheint fast, als wüsste Miss Hurst, worum es geht.“

Es gelang Caitlyn, gleichgültig mit den Schultern zu zucken.

„Ich versichere Ihnen, dass ich Laird MacLean niemals gebeten habe, barfuß zwischen Disteln spazieren zu gehen oder in einem eiskalten See zu schwimmen.“

MacLeans Blick leuchtete, als er - zwar nur widerwillig - anerkennen musste, wie geschickt sie die Gesellschaft irreführte.

Dervishton schien nicht ganz überzeugt zu sein, doch bevor er etwas erwidern konnte, legte die Duchess besitzergreifend die Hand auf MacLeans Arm. „Es ist Zeit für das Dinner. Wollen wir gehen?“

Schon bald saßen sie am Tisch. Während der vergangenen Tage hatte Caitlyn beobachtet, dass der ihr zugewiesene Platz nach und nach immer weiter von der Duchess entfernt und immer näher beim Duke lag. Inzwischen saß sie direkt an der linken Seite des Dukes, und da er häufig während des ganzen Dinners schlief, war er nicht gerade der ideale Tischherr.

Zum Glück befand sich Sallys Platz ganz in der Nähe. Sie bestimmte während der Mahlzeit das Gespräch, das von einem Thema zum nächsten wechselte, wobei es unter anderem auch um das unerwartet warme Wetter an diesem Tag ging und um die Hoffnung, es möge so bleiben. Sally schlug vor, am nächsten Tag Rasenbillard zu spielen, falls sich das Wetter hielt. Die anderen Damen und Lord Falkland griffen diesen Einfall sofort auf.

Nach dem Dinner folgten die Männer dem Duke in die Bibliothek, um dort ihren Portwein zu sich zu nehmen. Die Damen ließen sich im Blauen Salon nieder, um sich zu unterhalten, am Likör zu nippen und auf die Rückkehr der Gentlemen zu warten. Lady Kinloss holte ihren schlecht gelaunten Hund und erklärte, „das arme Ding“ sei krank gewesen und ihm sei nun nach Gesellschaft.

Caitlyn betrachtete das kleine Tier mit Widerwillen. Zwischen seinen großen Ohren hatte das winzige Hündchen ein Haarbüschel, das mit einer großen Schleife geschmückt war. Seine Augen waren trübe und schielten, und in seinem Maul standen nur noch wenige Zähne kreuz und quer durcheinander. Es knurrte jeden außer Lady Kinloss bösartig an.

Noch nie hatte Caitlyn einen so hässlichen, unfreundlichen Hund gesehen. Doch Lady Kinloss tat, als sei er die bezauberndste Kreatur auf Erden, nannte ihn „süßer Liebling“ und küsste ihn auf die Schnauze, was einer echten Heldentat gleichkam, da der Hund dazu neigte, immer wieder unvermittelt heftig zu niesen.

Lady Elizabeth bat Sally, etwas auf dem Piano zu spielen. Zögernd erfüllte Miss Ogilvie ihr den Wunsch. Caitlyn vermutete, dass Sally lieber bei der Gruppe um den Kamin sitzengeblieben wäre. Auf diese Weise hätte sie die Aufmerksamkeit des Earl of Caithness wecken können, sobald er mit den anderen Gentlemen aus der Bibliothek zurückkehrte. Doch nun blieb ihr nichts anderes übrig, als sich anmutig vor dem Piano niederzulassen und eine schlichte Melodie zu spielen. Während Lady Kinloss die Duchess mit Geschichten über Muffins Tapferkeit bei der Spinnenjagd erfreute, schlenderte Caitlyn zum Kamin, um ihre Füße zu wärmen.

Schon bald gesellte sich die Marchioness of Treymont zu ihr. Sie war eine hochgewachsene Frau mit schöner Haut und einer ziemlich ausgeprägten Nase. Bisher hatte sie auf Caitlyn immer ein wenig einschüchternd gewirkt, doch ihr warmes Lächeln ließ sie nun zugänglicher erscheinen.

„Ich hoffe nur, dieser Hund steckt uns nicht alle mit seinem Schnupfen an. Normalerweise bin ich nicht sehr anfällig für Krankheiten, aber mir kommt es so vor, als sei die Erkältung dieses Hundes ganz besonders bösartig.“

„Ich fürchte mich mehr davor, gebissen zu werden.“

„Das Tier hat einen abscheulichen Charakter.“

„So wie seine Besitzerin.“ Die Worte kamen über ihre Lippen, bevor Caitlyn es überhaupt bemerkte, und sie schlug sich die Hand vor den Mund.

Lady Treymont lachte leise. „Darin stimmen wir vollkommen überein. Aber die arme Lady Kinloss hängt so sehr an dieser Kreatur. Ich bin nicht sicher, ob der Hund ihre ergebene Hingabe verdient, aber sie scheint glücklich mit ihm zu sein - also soll sie ihn haben!“

„Lady Treymont...“

„Nennen Sie mich doch bitte Honoria.“

„Und ich bin Caitlyn.“

„Vielen Dank. Sie erinnern mich an eine meiner jüngeren Schwestern.“ Sie lächelte. „Wenn Sie auch nicht ganz so ein Wildfang zu sein scheinen. Sie möchte zur See fahren.“

„Ich habe auch Schwestern, aber keine von ihnen ist bisher durchgebrannt, um auf einem Schiff anzuheuern“, erklärte Caitlyn und kicherte.

„Kommen Sie aus einer großen Familie?“

„Ich habe zwei Schwestern und drei Brüder.“

„Auch ich habe eine Reihe von Brüdern und Schwestern.“ Honoria legte den Kopf auf die Seite. „Wir scheinen etliches gemeinsam zu haben. Ich hätte mir schon früher die Mühe machen sollen, mich mit Ihnen zu unterhalten.“

„Manchmal ist es schwierig, bei einer Hausparty alle Gäste kennenzulernen.“

„Dies ist keine so große Gesellschaft, und es gibt keine Entschuldigung für meine Unaufmerksamkeit. Ich kann dazu nur sagen, dass mein Mann und ich einen ganzen Monat getrennt waren, bevor wir hierherkamen. Ich war so froh, wieder mit ihm zusammen zu sein, dass ich alle anderen Leute vernachlässigt habe.“

„Entschuldigen Sie, dass ich so direkt bin, aber Sie scheinen ihn sehr zu lieben“, stellte Caitlyn lächelnd fest.

„Wir sind ziemlich altmodisch, nicht wahr?“ Ein abwesender Ausdruck trat in Honorias Augen, und ihre Gesichtszüge wurden weich.

Caitlyn kannte diesen Blick; ihre Eltern hatten ihn, wenn sie voneinander sprachen. Ihr Herz zog sich zusammen, und sie fühlte sich plötzlich einsam. Das war die Art von Verbindung, die sie sich wünschte. Eine, in der sie ihr Leben mit ihrem Gefährten teilen konnte. Eine, in der die gemeinsam verbrachte Zeit so süß und erfüllt war, dass sie das Leben beider erhellte.

Es war eigentlich eine schlichte Sehnsucht, und doch schien es so schwierig zu sein, dieses Ziel zu erreichen.

Der Butler öffnete die Tür, und die Gentlemen traten ein. Beim Anblick ihres Mannes strahlte Honoria, entschuldigte sich bei Caitlyn und ging ihm entgegen. Lord Falkland eilte direkt zur Anrichte, wo noch mehr Portwein bereitstand, während Dervishton und Caithness die Duchess begrüßten. Der Duke begab sich zu Lady Elizabeth und machte dabei einen großen Bogen um Lady Kinloss’ Hund.

MacLean wirkte durch seine Verletzungen ziemlich draufgängerisch. Er schaute sich im Zimmer um und ging auf Caitlyn zu, wobei ihm sein leichtes Hinken die Verwegenheit eines Piraten verlieh.

Ihre Hand krampfte sich um ihr Likörglas, als ihre Blicke sich begegneten. Ein seltsames Gefühl der Erwartung durchlief sie, als er immer näher kam und ...

„Alexander!“ Die Duchess schnurrte seinen Namen fast und legte ihm die Hand auf den Arm. „Komm und erzähle Lord Caithness von den neuen ägyptischen Funden. Er glaubt, das seien alles Fälschungen, die nur erstellt wurden, um mehr Eintrittskarten für das Britische Museum zu verkaufen.“

Wenn er kein Aufsehen erregen wollte, musste MacLean der Bitte nachkommen. Caitlyn zwang sich, so zu tun, als wäre ihr das alles egal, was schon ohne Lord Dervishtons Auftauchen schwierig genug war. Doch dieser Mann heftete sich mehr und mehr an ihre Fersen, und sie begann, sich über ihn zu ärgern. Es war nicht so, dass sie ihn nicht mochte, doch wenn er und Falkland ständig um sie herumschlichen, war es schwierig, sich auch nur einen Augenblick mit MacLean zu unterhalten.

Gerade jetzt stritten Dervishton und Falkland galant darüber, wer von ihnen ihr ein neues Glas Likör holen durfte.

Trotz des Spektakels, den die beiden Männer veranstalteten, konnte sie mit halbem Ohr zuhören, wie MacLean seine Meinung zu den ägyptischen Funden darlegte und, als man ihn danach fragte, auch etwas über die Ereignisse des Tages zu sagen wusste. Irgendwann und irgendwie schien er seinen Sinn für Humor wiedergefunden zu haben und schmückte sein Erlebnis mit Einzelheiten aus, die seine Zuhörer abwechselnd lachen und zusammenzucken ließen.

Caitlyn musste sich auf die Unterlippe beißen und ein Kichern unterdrücken, als sie hörte, wie MacLean ihrer Gnaden erzählte, dass er „aus einem Impuls heraus, wie von einer wilden Nymphe gelockt“ auf den Baum gestiegen sei. Er hatte wirklich einen seltsamen Sinn für Humor und ...

«... und so ritt ich auf den Elefanten durch ganz Vauxhall.“ „Wie bitte?“ Sie schaute Dervishton an und stellte fest, dass er es Falkland überlassen hatte, den Likör zu besorgen.

Dervishtons Augen funkelten vor Vergnügen. „Ah, Sie sind wieder anwesend.“

„Ich war gar nicht fort.“

Er warf einen bedeutungsvollen Blick zu MacLean hinüber. „Nein? Ich hätte schwören können, Sie seien nicht hier gewesen.“ Wenn Dervishton sie nicht am Handgelenk festgehalten hätte, hätte sie ihn empört stehen gelassen. „Es tut mir leid“, entschuldigte er sich erstaunlich zerknirscht.

Sie schaute hinunter auf ihr Handgelenk, und er ließ es los. „Miss Hurst... Caitlyn... bitte! Es tut mir wirklich leid. Ich meinte gar nichts Bestimmtes damit.“

„Ich glaube, dass Sie sehr wohl etwas meinten“, erwiderte sie und zog eine Braue hoch.

„Vielleicht meinte ich eine winzige Kleinigkeit. Ich gehe davon aus, dass MacLean die Zeit, die er beim Dinner stumm geblieben ist, genutzt hat, um im Geiste sein kleines Abenteuer auszuschmücken, damit er nun zur allgemeinen Erheiterung darüber berichten kann.“

Obwohl sie immer noch ein wenig beleidigt war, lächelte Caitlyn. „Ich wünschte, wir könnten auch eine so interessante Geschichte erzählen. Aber wir haben nur einen Spaziergang gemacht.“

„Es war ein recht ausgedehnter Spaziergang“, widersprach Dervishton. „Und wir wären noch viel weiter gekommen, wenn Caithness und Miss Ogilvie nicht so getrödelt hätten.“

Caitlyn musste lachen, was Dervishton als Ermutigung auffasste. Die nächste halbe Stunde unterhielt er sie mit einigen lustigen und ein klein wenig schlüpfrigen Geschichten über die verschiedenen Mitglieder der Adelsgesellschaft, von denen Caitlyn während ihres Aufenthalts in London einige kennengelernt hatte.

Obwohl er ihr auf diese Weise recht nett die Zeit vertrieb, wünschte Caitlyn sich immer noch, sie könnte ein paar Worte mit MacLean wechseln. Doch aufgrund der Anhänglichkeit Dervishtons und der Tatsache, dass die Duchess sich immer noch an MacLeans Arm klammerte, ergab sich keine Gelegenheit dazu.

Schließlich entschuldigte sich MacLean bei der Duchess und ihren Freunden und erklärte, er sei wegen seines Abenteuers sehr müde. Auf seinem Weg aus dem Zimmer blieb er bei Caitlyn stehen.

„Dervishton, Miss Hurst.“ Grüßend senkte MacLean den Kopf.

Aus der Nähe konnte sie in seinem Gesicht keine Bienenstiche entdecken, nur Prellungen. Sie zuckte voller Mitleid zusammen.

Dervishton lachte in sich hinein. „Der Anblick Ihrer Verletzungen scheint Miss Hurst sehr betroffen zu machen, MacLean. Vielleicht sollten Sie beim nächsten Mal, wenn Sie in gemischter Gesellschaft erscheinen, Ihre Wunden verbinden.“

„Ich wollte mich bei Ihnen bedanken, dass ich Ihr Pferd leihen durfte, auch wenn es eher lahm wie eine Schnecke war“, erklärte MacLean mit einem kühlen Lächeln. „Ich nehme an, der Fußweg zurück zum Haus hat Sie nicht zu sehr ermüdet? Erst jetzt habe ich gehört, dass Sie gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt waren, als ich mir Ihr Pferd geborgt habe. Wenn ich das nur gewusst hätte!“

Dervishton wurde rot. „Ich bin nur die Auffahrt etwas hinab und wieder hinauf geritten, um meine Stute in Form zu halten. Sie wurde erst vor Kurzem zugeritten, und ich bin sicher, Sie haben bemerkt, dass sie noch ziemlich ungebärdig ist.“

„Bei mir war sie lammfromm“, erklärte MacLean in sanftem Ton. „Aber sehr langsam. Ich hoffe, Sie haben nicht zu viel für sie bezahlt.“

Als sie sah, wie Dervishton die Lippen zusammenpresste, mischte Caitlyn sich hastig ein: „Es tat mir sehr leid, von Ihrem Missgeschick zu hören, Laird MacLean.“

Ungläubig zog er eine Braue hoch. „Vielen Dank. Es ist nicht so schlimm, der eine oder andere Schnitt und ein oder zwei Prellungen. Wenn ich mit meinen Brüdern ringe, trage ich oft schlimmere Verletzungen davon.“

Das lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema. „Sie ringen mit Ihren Brüdern? Sogar jetzt noch?“

Seine grünen Augen funkelten vor Vergnügen. „Nur um sie daran zu erinnern, wer der Älteste ist.“

Zu gern hätte sie diese kleine Vorstellung gesehen. „Miss Ogilvie sagte, dass ein Bienenschwarm hinter Ihnen her war. Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte, da wir doch Herbst haben. Jemand hat mir erzählt, Bienen würden ihre Winterruhe halten.“ „Es ist ein warmer Herbst“, stelle Dervishton achselzuckend fest. „Ich würde sagen, die Bienen waren noch recht lebendig.“ „Offensichtlich“, stimmte MacLean ihm trocken zu. „Ich hatte zumindest das Glück, dass sie wegen der niedrigen Temperatur träge waren, sonst wäre ich in größere Schwierigkeiten geraten.“ Dervishton schüttelte den Kopf. „Warum wollten Sie sich überhaupt diesen Bienenstock anschauen?“

MacLeans Blick senkte sich für einen Moment in Caitlyns Augen. „Ich liebe Herausforderungen.“

„Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie aus bloßer Neugier und Langeweile auf einen Baum geklettert“, erklärte Dervishton.

„Haben Sie Angst, Ihre Stiefel zu ruinieren?“, spottete MacLean.

Dervishton kniff die Augen zusammen. „Ich habe kein so großes Talent für die darstellenden Künste wie Sie. Ich wünschte, wir hätten sehen können, wie Sie vor den Bienen davongelaufen sind. Das muss sehr spaßig gewesen sein.“

„Dessen bin ich mir sicher“, erklärte MacLean mit sanfter Stimme. „Aber der Heimritt auf Ihrem Pferd hat mich entschädigt.“ Er klopfte Dervishton so heftig auf die Schulter, dass der jüngere Mann nach Luft schnappte. „Gütiger Himmel, Dervishton, Sie klingen, als hätten Sie eine Lungenentzündung! Ich schlage vor, dass Sie es mal mit Bäumeklettern versuchen; das ist sehr gesund.“ Caitlyn unterdrückte ein Lächeln, während Dervishton sich bemühte, so zu tun, als habe er das Redegefecht gegen MacLean nicht eindeutig verloren.

Nun wandte MacLean sich ihr zu, nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Seine Lippen waren warm. „Gute Nacht, Miss Hurst. Wir sehen uns morgen.“

Das Versprechen in seiner tiefen Stimme ließ Caitlyn erschaudern.

Misstrauisch beobachtete Dervishton, wie MacLean sich verbeugte und sich dann entfernte.

Während er zur Tür ging, bemerkte Caitlyn, dass er ihr etwas in die Hand geschoben hatte. Sie schloss die Finger um einen kleinen, ungleichmäßig geformten Gegenstand. Ihr war klar, um was es sich handelte: Es war ein Stück von einer Bienenwabe.

Lächelnd schob sie es in die Tasche und lenkte Lord Dervishton ab, indem sie ihn nach seinem neuen Pferd fragte. Morgen würden MacLean und sie die zweite Runde beginnen, und dieses Mal würde es kein Unentschieden geben. Dafür würde sie sorgen.