14. Kapitel
Eines Tages werdet ihr vielleicht irgendetwas so sehr wollen, dass ihr bereit seid, alles zu tun, um es zu bekommen. Dann seid auf der Hut, denn das ist der Augenblick, in dem der Teufel durch eure Tür tanzen wird.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.
Was müssen Sie tun?“ Muiren, die soeben damit beschäftigt war, Caitlyns bronzefarbenes Nachmittagskleid aus dem Schrank zu holen, wandte sich ungläubig ihrer Herrin zu.
Und Mrs Pruitt, die soeben sorgfältig gebügelte Unterwäsche ins Zimmer gebracht hatte und gerade in die Kommodenschublade einräumte, hob den Kopf. „Das kann nicht Ihr Ernst sein!“
Die Spätnachmittagssonne tauchte das Schlafzimmer in goldenes Licht. Caitlyn machte sich bereit für das Rasenbillard mit den anderen Gästen. Gemeinsam wollte man das milde Wetter genießen. „Ich mache absolut keine Scherze: Meine nächste Aufgabe besteht darin, Lord Dingwall dazu zu bringen, ihrer Gnaden einen Besuch abzustatten.“
Muiren und Mrs Pruitt tauschten vielsagende Blicke.
„Es tut mir leid, Miss, aber ich glaube nich, dass das jemals geschehen wird“, erklärte Muiren.
„Warum nicht?“
Mrs Pruitt atmete tief aus. „Lord Dingwall ist kein freundlicher Mann.“
„Er is ’n schrecklicher Troll, genau das isser!“, fügte Muiren hinzu.
Nun nickte Mrs Pruitt so heftig, dass ihre Wangen zitterten.
„Das ist er. Und aus vielen Gründen hasst er ihre Gnaden, aber ganz besonders, weil sie Hauspartys wie diese hier veranstaltet, wo dann alle möglichen Leute auf sämtlichen Wegen herumspazieren. Darauf legt er gar keinen Wert.“
„Aber vor allem isser böse auf ihre Gnaden, weil ihre Auffahrt so dicht an seinem Besitz vorbeiführt. Er kriegt jedes Mal ’nen Anfall, wenn sie den Rasen mähen lässt“, erzählte Muiren.
„Genau! Er kam ins Haus gestürmt und brüllte, dass sie auf seinem Land war.“
„Das war aber nur eine von den Streitereien. Sie hatten viele.“ „Genau“, stimmte Mrs Pruitt erneut zu. „Ihre Gnaden verlangte, dass er die Straße vor seinem Haus herrichten lassen sollte, weil sie sich immer, wenn es regnet, in einen Fluss verwandelt. Es gefällt ihr nicht, wie der Matsch dann auf ihre neue Kutsche spritzt. “ Muiren nickte energisch. „Dingwall wollt aber nix davon wissen und bekam fast ’nen Schlaganfall. Man hätt meinen können, sie hätt von ihm verlangt, dass er für ’ne nagelneue Straße bezahlen sollte und auch noch für ’n Haus oder zwei.“
Mrs Pruitt schnaubte. „Ich verstehe ja, dass ihre Gnaden nicht immer eine vernünftige Frau ist, aber deshalb musste er sie doch nicht so nennen.“ Die Haushälterin schaute sich um, bevor sie laut flüsterte: „Flittchen.“
„Das hat er nicht getan!“ Nun verstand Caitlyn, warum Georgiana wütend auf ihren Nachbarn war. Die Duchess war sehr bedacht auf ihre Würde. „Lord Dervishtons Mutter wohnt hier in der Nähe, und er hat mir gestern einiges über Dingwall erzählt. Ich hoffe, dass ich seine Lordschaft während des Rasenbillards noch weiter befragen kann. Hat Dingwall wirklich den Lieblingshund ihrer Gnaden gestohlen?“
„Ja, das hat er“, bestätigte Mrs Pruitt. „Aber erst nachdem sie den Männern befohlen hatte, die Grenzsteine zu versetzen.“ „Welche Grenzsteine?“
„Die auf seinem Land. Damit hat dann der Krieg wirklich angefangen. Vorher gab es nichts als böse Worte. Danach wurde es ernst.“
„Was hat sie denn mit den Grenzsteinen gemacht?“
„Ihre Gnaden wollte, dass die Auffahrt zum neuen Haus an der anderen Seite vom Park entlangführt, davon konnte keiner sie abbringen, auch nicht, als man ihr sagte, dass der Weg dann über das Land von Lord Dingwall führen würde. Nur ein kleines Stück, aber eben doch genug.“
„Ich kann nicht glauben, dass sie einfach die Grenzsteine versetzt hat! Kein Wunder, dass Lord Dingwall so wütend ist. Er hätte sie vor Gericht bringen können.“
Muiren schüttelte den Kopf. „Wenn der Duke den Richterstuhl besetzt? Das glaub ich nich.“
„Na ja, als das passiert ist, hätte Lord Dingwall vor Wut wohl seinen Kopf gegen eine Mauer schlagen können. Er war unglaublich zornig, als er herausfand, dass der Richter ihn nicht mal den Fall vortragen lassen wollte. Da tauchte Dingwall bei einer der Hauspartys auf und schrie herum, dass der Duke und sie ihn betrogen hätten und dass er sich das nicht gefallen lassen würde. Ihre Gnaden befahl den Dienern, ihn hinauszuwerfen, und seitdem wurde er nie mehr ins Haus gelassen.“
„Damals hat er auch den preisgekrönten Corgie ihrer Gnaden gestohlen“, warf Muiren ein. „Hat ihn gestohlen, als der Diener ihn ausführte, und will ihn nich wieder zurückgeben. Und jetzt, einfach um sie zu ärgern, führt er den Hund immer direkt am Zaun lang. Das tut er. Und wenn er ihre Gnaden sieht, winkt er wie wild und zeigt auf den Hund und springt auf und ab wie ein Troll.“ „Und was geschieht dann?“
„Oh“, machte Mrs Pruitt. „Sie hätten ihre Gnaden sehen sollen. Es ist gerade wieder passiert, kurz bevor Sie hier ankamen, Miss, und sie war vollkommen aufgelöst und nicht zu beruhigen. Lehnte sich aus dem Fenster ihrer Kutsche und schimpfte wie ein Fischweib.“
„Genau.“ Muiren riss ihre grauen Augen weit auf. „Ich hab sie noch nie so sprechen hören! Sie hätt ihn sicher erschossen, wenn sie geglaubt hätt, dass sie damit davonkommt.“
Das bezweifelte Caitlyn keine Sekunde. Die Duchess besaß eine Härte, die nicht zu übersehen war, eine Sprödigkeit, die sich deutlich in ihrer Sprache bemerkbar machte; und, wenn sie wütend war, ein Lachen, das wie der Schrei eines Esels klang. Es gelang Caitlyn nicht, auf jemanden böse zu sein, der es auf so wunderbare Weise schaffte, die Duchess zu ärgern. Das hätte sie nämlich am liebsten auch getan, besonders seit dem vergangenen Abend.
Vom gestrigen Ausritt mit Dervishton war sie mit hervorragenden Informationen über Lord Dingwall zurückgekommen. Bis vor zehn Jahren, als Dingwalls Tochter an einer Lungenentzündung gestorben war, hatte der alte Mann sich seinen Nachbarn gegenüber recht freundlich verhalten. Danach war er zum Einsiedler geworden und hatte ab da kaum ein gutes Wort für jemanden übriggehabt.
Der Mann tat Caitlyn leid. Zu seinem Kummer kam hinzu, dass der Duke und die Duchess kurz nach dem Tod seiner Tochter angefangen hatten, das neue Haus zu bauen. Soweit Caitlyn verstanden hatte, waren sie dabei in so gut wie jeder Hinsicht rücksichtslos vorgegangen. Kein Wunder, dass Dingwall sich unnachgiebig geweigert hatte, sich um seinen Teil der Straße zu kümmern oder irgendetwas anderes zu tun, was die Duchess von ihm verlangte. Es würde eine äußerst schwierige Aufgabe sein, ihn dazu zu bringen, freiwillig deren Haus zu betreten.
„Sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen?“, erkundigte sich Mrs Pruitt in zweifelndem Ton.
„Natürlich! Ich bin kein Mensch, der ins Wanken gerät, nur weil heftiger Wind aufkommt.“ Ein leidenschaftlicher Kuss ... deswegen würde sie vielleicht ein bisschen wanken. Aber nicht wegen einer kleinen Unannehmlichkeit.
„Wenn Sie entschlossen sind, Miss, sind wir’s auch“, erklärte Muiren beherzt. „Ich weiß noch nich wie, aber wir werden helfen, wenn wir können.“
„Es gibt einen Weg“, erklärte Mrs Pruitt und warf Muiren einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Oh nein, Mrs Pruitt, das kann ich nich tun!“
„Doch, das kannst du. Das hier ist ein Krieg, Mädchen! Einer von der alten Sorte - wir Frauen müssen Zusammenhalten!“ Caitlyn runzelte die Stirn. „Worüber sprecht ihr beiden eigentlich?“
„Es geht um meinen Freund. Um Sean“, erklärte Muiren und seufzte.
„Aber Muiren, du hast nie ein Wort über ihn verloren!“ Muiren lächelte schüchtern, während Mrs Pruitt verächtlich schnaubte. „Das ist, weil er ein Diener ist, und Muiren darf sich nicht auf diese Weise mit den Dienern einlassen.“
„Mrs Pruitt, ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich mich nich verlieben wollte! Aber das Gefühl hat sich einfach von hinten angeschlichen und mir den Kopf verdreht.“ Nun wandte Muiren sich an Caitlyn. „Es is wahre Liebe, Miss. Im einen Moment haben wir noch die Leintücher geholt, um die Bettwäsche zu zählen, und im nächsten ...“ Ihre Wangen hätten nicht heftiger glühen können.
Caitlyn atmete hörbar durch die Nase aus. „Ich weiß genau, was du meinst.“
Muiren und Mrs Pruitt schauten sie erstaunt an, und sie fügte hastig hinzu: „Ich habe in vielen Büchern darüber gelesen, dass die Liebe ganz unerwartet kommen kann.“
„Es gibt sicher viele dicke Bücher zu dem Thema“, stimmte Mrs Pruitt ihr zu. „Muiren, sag Miss Hurst, was du und Sean in ihrer Sache tun könnt.“
„Die Schwester von der Frau von Seans Cousin arbeitet für Lord Dingwall. Ich weiß es nich genau, bevor ich sie gefragt hab, aber vielleicht kann sie Sie in sein Haus lassen. Denn er lässt Sie ganz sicher nich rein, wenn Sie an die Haustür klopfen. Er will nich mal den Pfarrer sehen, wenn der kommt.“
„Oh, Muiren, das wäre eine große Hilfe! Wenn ich ihn nur überreden könnte, ihre Gnaden zu besuchen.“
Mrs Pruitt nickte. „Das wird eine Kunst sein, ganz sicher.“ Was für eine mühselige Aufgabe! Im Vergleich dazu schien die Sache mit der Tabakdose einfach gewesen zu sein. Der verdammte MacLean und seine teuflische Fantasie!
Gedankenverloren bereitete Caitlyn sich auf ein interessantes Rasenbillardspiel mit den anderen Gästen vor. Es würde in jeder Hinsicht aufschlussreich für sie sein, weil sie sich nicht nur bemühen würde, noch mehr Informationen von Lord Dervishton zu bekommen, sondern auch vorhatte, vom Rasen aus Lord Dingwalls Haus näher zu betrachten.
Immer ein Schritt nach dem anderen! befahl sie sich selbst. Nichts überstürzen. Mit Beharrlichkeit kommt man ans Ziel. Sie griff nach ihrer bronzefarbenen Haube, stülpte sie sich über die Locken und verknotete die Bänder an der Seite zu einer flotten Schleife. In bester Stimmung marschierte sie aus ihrem Zimmer hinaus aufs Schlachtfeld.
In der Behaglichkeit der rückwärtigen Terrasse saß Georgiana auf einem der tiefen gepolsterten Stühle, die die Diener nach draußen getragen hatten. Über ihren Beinen lag eine leichte Decke, und die Bäume bildeten einen Baldachin, der sie vor dem unvorteilhaften Tageslicht schützte. Auf der anderen Seite des Rasens setzte sich Miss Hurst, strahlend und in einem bronzefarbenen Kleid mit blauen Bändern besonders reizend anzusehen, gegen die gleichzeitige Belästigung durch die Lords Falkland und Dervishton zur Wehr.
Während Georgiana zu ihr hinübersah, lachte Caitlyn über etwas, das einer der Männer gesagt hatte, und das fröhliche Geräusch schallte über den Rasen.
Alexander hatte sich in Georgianas Nähe mit Diane Kinloss unterhalten und höflich so getan, als habe er Interesse an ihrem bösartigen Hund, doch als er Caitlyns Lachen hörte, schaute er auf. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht und verlieh seiner Haut einen goldenen Schimmer, während er beobachtete, wie Caitlyn zwischen den beiden modisch gekleideten Lords dahinspazierte.
Georgiana schaute Alexander genau an. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, und obwohl sie nicht das leiseste Anzeichen von Bewunderung entdeckte, bemerkte sie doch, wie intensiv er Caitlyn musterte.
Sie biss die Zähne zusammen und unterdrückte das höchst undamenhafte Bedürfnis, Miss Hurst das viel zu kecke Gesicht zu zerkratzen. Während der vergangenen Woche hatte Alexander sich mehr und mehr von Georgiana distanziert. Gleichzeitig schien er ungewöhnlich viel Zeit mit Caitlyn Hurst zu verbringen. Und wenn er nicht mit ihr zusammen war, beobachtete er sie.
Georgiana wartete, bis Diane ihre Ausführungen, dass ihr Hund nur klein geschnittene Leber und Eier fraß, beendet hatte, bevor sie in ruhigem Ton einwarf: „Ich glaube nicht, dass Alexander sich für die Diätprobleme des armen Muffin interessiert, Diane.“
„Oh doch, ich interessiere mich durchaus dafür.“ Zu Georgianas Überraschung kniete Alexander sich hin, als wollte er das Hündchen aus der Nähe begutachten.
Muffin entblößte seine schiefen, schartigen Zähne, stellte die Haare auf seinem Rücken auf, und seine Augen traten aus ihren Höhlen.
Alexander zog die Brauen hoch. „Er sieht aus, als würde ihn gleich der Schlag treffen.“
„Oh nein! Er ist nur sehr wachsam“, erklärte Lady Kinloss stolz.
„Was will er denn beschützen?“
„Mich!“
„Unsinn!“ Georgiana wünschte sich, Alexander würde aufhören, von dem verdammten Hund zu reden. „Er knurrt genauso, wenn jemand versucht, ihm seinen Ball wegzunehmen, oder wenn jemand einen Schal umhat oder ihn etwas erschreckt oder ...“ „Wirklich, Georgiana!“ Dianes Lächeln wirkte gezwungen. „Muffin knurrt nicht annähernd so laut, wenn er seinen Ball beschützt, wie er knurrt, wenn es um mich geht.“
Georgiana zog die Brauen hoch und zuckte mit den Schultern. Währenddessen schaute Alexander den Hund noch eine Weile an, doch der knurrte immer weiter. Langsam richtete Alexander sich wieder auf. „Beißt dieser Hund?“
„Oh nein!“, behauptete Diane. „Niemanden außer den Stallburschen und den Neffen von Lady Charley.“
„Und Lord Burgdorf“, ergänzte Georgiana, die sich so sehr langweilte, dass sie hätte schreien können. „Nicht zu vergessen Mr Melton und Sir Roland. Ganz besonders Sir Roland, dessen Wunde genäht werden musste.“
Alexander zuckte zusammen. „Gütiger Himmel!“
„Sir Roland hatte es verdient“, schnaubte Diane, und in ihrer Stimme schwang Stolz mit. „Muffin kann den Charakter von Menschen sehr gut einschätzen.“
Mit vor der Brust verschränkten Armen starrte Alexander den Hund mit seinen lächerlichen Haarbüscheln und der ebenso lächerlichen Schleife zwischen den Ohren finster an. „Es wundert mich, dass ihn noch niemand erschossen hat.“
Als hätte er verstanden, dass jemand schlecht über ihn redete, fletschte Muffin die Zähne.
Georgiana lachte. „Es mag sein, dass du an Muffin interessiert bist, er interessiert sich aber nicht für dich.“
Das schien Alexander nicht zu amüsieren. „Gibt es irgendwelche Leute, außer Ihnen, Lady Kinloss, die er mag?“
„Nein.“ Sie zuckte mit den Achseln, und ihr Blick wanderte über das Gras, wo Rasenbillard gespielt wurde. „ Er schläft bei mir im Bett und lässt sich von keinem der Hausmädchen anfassen.“ „Dann muss Lord Kinloss ihn sehr lieben“, murmelte Alexander vor sich hin.
„Wie bitte?“
Er wedelte mit der Hand. „Nichts, ich habe nur laut gedacht.“ Wieder wehte Lachen vom Rasen herüber. Dieses Mal stammte es von Miss Ogilvie, die gerade die Kugel des Earl of Caithness gegen die von Lord Dervishton geschossen hatte. Die beiden Männer taten so, als würden sie sich mit ihren Schlägern duellieren und machten sich auch sonst nach Kräften zum Narren.
Georgiana rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. „Die arme Miss Hurst wird Sommersprossen bekommen, wenn sie sich weiter so viel in der Sonne aufhält, wie sie es heute getan hat.“ Diane schnaubte. „Miss Hursts Verhalten ist beklagenswert.“ Mit einem Seitenblick in Georgianas Richtung wandte sie sich Alexander zu. „Meinen Sie nicht auch, Laird MacLean, dass Miss Hurst eine betrübliche Neigung hat, sich wild und ungebärdig aufzuführen?“
„Zweifellos“, erwiderte er mit erfreulicher Hast.
Georgiana konnte ihr Lächeln nicht verbergen. Das war ermutigend. Während der vergangenen Tage hatte sie mehrmals
geglaubt, in MacLeans Gebaren einen Hinweis auf aufrichtiges Interesse an Miss Hurst entdeckt zu haben. Es war so schwierig, die Wahrheit herauszufinden, denn MacLean war verschlossen wie eine Auster. Sie würde ihn sehr genau beobachten müssen. Als sie Dianes fragenden Blick bemerkte, nickte sie.
Daraufhin wurden Dianes harte Züge noch strenger. „Meine liebe Georgiana, ich weiß wirklich nicht, warum du so ein gewöhnliches Mädchen zu unserer Hausparty eingeladen hast. Die Kleine passt überhaupt nicht hierher.“
Alexander zuckte mit den Schultern. „Sie scheint ihren Platz gefunden zu haben. Fragen Sie doch Dervishton oder Falkland.“ „Ich bezweifle, dass deren Absichten so ehrenhaft sind, wie sie sein sollten“, stellte Diane kichernd fest. „Dennoch wünschte ich, dass Miss Hurst sie nicht ständig ermutigen würde. Sie macht sich selbst zum Narren.“
Alexander zog die Brauen zusammen. „Sie ermutigt niemanden. Im Gegenteil, sie wird gnadenlos verfolgt, und Dervishton kann sich glücklich schätzen, dass kein männlicher Verwandter von Miss Hurst zugegen ist, der ihn Höflichkeit lehren könnte.“ Du lieber Himmel, er hatte das Gefühl, das junge Ding beschützen zu müssen! Georgianas Finger krallten sich unbewusst in die weich gepolsterten Armlehnen ihres Stuhls. Was war aus dem tödlichen Hass geworden, von dem er früher gesprochen hatte?
Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen; er war interessiert an dem Hurst-Mädchen. Am liebsten hätte Georgiana laut geschrien, doch zu einem Kampf mit dem Florett trat man nicht mit einem Hammer an. Wenn sie sich aufregte, würde MacLean sie einfach stehen lassen. Sie musste einen Weg finden, das Mädchen so schlechtzumachen, bis es ihm nicht mehr gefiel. Am besten war es, ihn auf offenkundige Charakterfehler aufmerksam zu machen und dies so erscheinen zu lassen, als habe er sie selbst entdeckt.
Um sich zu beruhigen, atmete Georgiana tief durch, dann gelang es ihr, in einem angemessen gleichgültigen Ton zu äußern: „Es ist gut, dass die jungen Leute ein Spiel gefunden haben, mit dem sie sich beschäftigen können.“
MacLeans Lächeln erstarb. „Junge Leute?“
„Dervishton und Falkland sind beide gut zehn Jahre jünger als wir, und Miss Hurst ist... oh, ich erinnere mich nicht an ihr Alter. Sie benimmt sich so sehr wie ein Kind, dass sie für mich ein Kind ist.“ Diane schaute Alexander listig an. „Miss Hurst und Miss Ogilvie sind tatsächlich sehr jung. Das habe ich gerade heute Morgen beim Frühstück zum Duke gesagt. Mit meinen dreißig Jahren komme ich mir vor, als hätte ich mich in ein Kinderzimmer verlaufen, wenn die beiden in der Nähe sind und kichern und sich wie zwei Schulmädchen benehmen.“
„Genau“, säuselte Georgiana. „Ich bin sicher, sie betrachten uns als altes Eisen.“
„Wenn man bedenkt, dass Sie neun Jahre älter sind als ich, Laird MacLean, müssen Sie sich in der Nähe der beiden Mädchen ganz besonders alt Vorkommen!“, fügte Diane hinzu.
Alexander antwortete nicht, zog jedoch die Brauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, während er dem Spiel zusah.
Ah, das tut weh, nicht wahr? Georgiana suchte Dianes Blick und deutete unauffällig zur Terrassentür.
Diane hob ihr Hündchen hoch. „Na komm, Muffin. Entschuldige mich bitte, Georgiana. Ich sehe gerade Mrs Pruitt. Meine Zofe hat mein neues Kleid zum Bügeln geschickt, und ich will mich vergewissern, dass es rechtzeitig zum Dinner fertig ist.“ Mit ihrem Hund unter dem Arm verschwand sie im Haus.
Georgiana zwang sich, den Griff um die Armlehnen ihres Stuhls zu lockern. Der Wind war aufgefrischt und wehte MacLean die schwarzen Haare in die Stirn. Endlich waren sie ungestört, und sie erinnerte sich an andere Gelegenheiten, bei denen sie allein gewesen waren - wirklich allein. Sie sehnte sich nach diesen Momenten, in denen er sie leidenschaftlich genommen hatte.
Sie liebte ihn, doch Alexander schien das nicht zu bemerken. Seit sie aus dem Elend ihrer Kindheit errettet worden war, hatte sie alles bekommen, was sie sich wünschte, und nun wollte sie Alexander MacLean - ganz für sich allein, für immer.
Sein Blick war auf das Spielfeld auf dem Rasen geheftet, und sie sah sein Profil als kühnes Relief vor dem sonnenbeschienenen Horizont. Gierig starrte Georgiana ihn an und sehnte sich nach seiner Berührung.
Ein leichtes Lächeln legte sich um seine Lippen, und sein Blick wurde wärmer. Georgiana erstarrte. Noch nie hatte sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen. War es ... Zärtlichkeit?
Sie schaute in die Richtung, in die er sah, und ihr Herz sank. Die kleine Hurst hatte Dervishtons Kugel in einen Busch geschlagen und nun lachte sie herzhaft. Die Sonne liebkoste ihr goldenes Haar, und der Wind spielte mit ihren bronzefarbenen Röcken. Dervishton war unterwegs, um seine Kugel zurückzuholen, dabei hielt er seinen Schläger im Spaß drohend in die Höhe.
Georgiana kniff die Augen zusammen. „Sie sind ein hübsches Paar, nicht wahr?“
Alexanders Lächeln verschwand. „Paar?“
„Nun, wahrscheinlich hätte ich dieses Wort nicht benutzen sollen; Dervishton will nur seinen Spaß haben. Er ist wild entschlossen, unter diese Röcke zu gelangen, und ich gehe davon aus, dass er Erfolg haben wird.“
Alexanders Blick wurde kühl. „Vorsicht, meine Liebe. Du verrätst deine Herkunft.“
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Was meinst du damit?“
„Es ist sehr vulgär, so etwas zu sagen.“ Seine Stimme war leise und sanft, fast ein Säuseln. „Aber das weißt du auch, nicht wahr, Georgiana? Roxburge hat dich sehr sorgfältig alle Regeln der guten Gesellschaft gelehrt, stimmt’s?“
Georgianas Gesichtsausdruck gefror, und sie fragte in giftigem Ton: „Was ist aus deinem Plan für die Hurst geworden, Alexander? Warum ruinierst du nicht ihren Ruf, und fertig?“
„Das habe ich dir doch schon erklärt. Ich will diesen Augenblick genießen.“
Und sie willst du auch genießen? „Ich glaube, sie hat dich in ihren Bann gezogen.“
Langsam wandte er sich ihr zu, seine grünen Augen brannten lichterloh. Er sah energisch und männlich aus, und sie spürte ihren Herzschlag bis in ihre Kehle. „Ich stehe unter niemandes Bann, auch nicht unter deinem.“
Georgianas Wangen brannten. Sie hätte aufgeben sollen, das wusste sie, aber das konnte sie nicht. Als wäre sie nicht sie selbst, hörte sie sich sagen: „Als sie hier ankam, warst du entschlossen, dich an ihr zu rächen, doch etwas hat sich geändert. Gestern Abend beim Dinner hast du dich tatsächlich für sie eingesetzt, als Diane eine vollkommen harmlose Bemerkung über ihr Benehmen machte.“
„Lady Kinloss’ Zunge ist so scharf wie die Zähne ihres Hundes, und du weißt ganz genau, dass es keineswegs harmlos gemeint war, was sie gesagt hat.“
Georgiana konnte sich nicht an den genauen Wortlaut von Dianes Bemerkung erinnern, aber sie wusste noch, wie Alexanders Augen plötzlich gefunkelt hatten, als er Dianes Versuch, sich auf Kosten des Hurst-Mädchens zu amüsieren, ein jähes Ende gesetzt hatte. „Deine Pläne haben sich geändert, Alexander.“ Sie beugte sich vor. „Gib es zu!“
„Meine Pläne sind noch genau dieselben.“
„Du hast immer noch vor, den Ruf des Mädchens zu ruinieren? “ Sein dunkler Blick wanderte wieder zu dem Spielfeld auf dem Rasen. „Letztendlich, ja. Aber vorher ...“Er lächelte und wirkte dabei ein wenig wie ein Wolf, der die Zähne fletschte. „Vorher muss ich noch einige Aufgaben zu Ende bringen.“
Was meinte er damit? Georgiana wünschte sich, sie könnte es wagen, ihn zu fragen.
Wieder schaute er zum Rasen hinüber. „Alles läuft hervorragend. Du wirst es schon bald sehen. Caitlyn hat sich als würdigere Gegnerin entpuppt, als ich erwartet hatte.“
Seine unübersehbare Bewunderung traf Georgiana sehr. Verdammt, das Mädchen ist klüger, als ich dachte. Es gaukelt ihm etwas vor, und er, geblendet von der scheinbaren Unschuld der Kleinen, fällt wie ein Dummkopf darauf herein. „Du lässt dich von diesem ... diesem Niemand an der Nase herumführen. Ruiniere ihren Ruf, und dann ist alles erledigt.“
MacLean richtete sich kerzengerade auf, und in der Ferne hallte leiser Donner über den klaren, sonnigen Horizont.
Die Billardspieler hielten inne und schauten alle in die Richtung, aus der das unerwartete Geräusch gekommen war. Alle bis auf Caitlyn, die sich stattdessen zur Terrasse umwandte.
Alexander schlenderte zu Georgiana und blickte auf sie hinab. „Ich sage das nur ein einziges Mal, Georgiana: Ich werde diese Angelegenheit so handhaben, wie ich es für richtig halte. Wenn ich beschließe, dass die Zeit reif ist, um Caitlyn Hursts Ruf zu ruinieren, wird mich nicht einmal der Teufel persönlich davon abhalten können. Doch bis dieser Zeitpunkt gekommen ist, wirst du dich aus der Sache heraushalten und deine Meinung für dich behalten. Hast du mich verstanden?“
Weil ihr nichts anderes übrig blieb, nickte Georgiana. Sie spürte gleichzeitig Erleichterung und ein Gefühl des Verlusts, während sie ihm dabei zusah, wie er sich von ihr abwandte und an das Ende der Terrasse trat. Georgiana blinzelte die Tränen fort. Bei Gott, wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch niemand anderes haben!
Wenn MacLean es nicht tat, würde sie den Ruf des Mädchens ruinieren. Es würde ganz einfach sein. Sieh sie dir doch nur an, wie sie schamlos flirtet und Dervishton gegen Falkland ausspielt, als wäre sie wahrhaftig jemand.
Alexander hatte seinen Blick jetzt auf Caitlyn geheftet und beobachtete, wie der Wind sich ihrer Haube bemächtigte und sie über das grüne Gras davonwehte. Sofort ließen sämtliche anwesenden Männer ihre Schläger fallen und rannten hinter der Kopfbedeckung her. Caitlyn lachte, als Falkland, Dervishton und Caithness sich gegenseitig anrempelten, während sie um das Recht kämpften, die Haube einzufangen und sie ihrer Besitzerin zurückzubringen.
Nun trat Miss Ogilvie neben Caitlyn und schlang ihr den Arm um die Taille. So standen die beiden Arm in Arm da und lachten darüber, wie die Männer sich in ihrer Galanterie versuchten, zu übertreffen.
Georgianas Magen zog sich vor Abscheu zusammen. Der kleine Dummkopf genießt es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen! Darum werde ich mich kümmern!
Georgiana bemerkte, wie Alexanders Lippen schmal wurden, als Dervishton triumphierend zurückkehrte und Caitlyn feierlich die Haube überreichte. Als Caitlyn sie wieder auf ihren Kopf setzte, bot Dervishton an, das Band unter ihrem Kinn zu binden -was ihm gestattet wurde.
„Wenn du mich bitte entschuldigst, Georgiana. Ich verlasse dich jetzt, damit du in Ruhe deine Terrasse genießen kannst“, erklärte Alexander.
Georgiana konnte plötzlich kaum noch schlucken. „Vielleicht sollten wir gemeinsam ausreiten und den Tag genießen. Wenn du möchtest, kann ich schnell in mein Reitkostüm schlüpfen und ...“ „Nein, vielen Dank.“ Er lächelte, und seine Augen glänzten kalt. „Ich glaube, ich sollte vielleicht ein bisschen Rasenbillard spielen. Das habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gemacht.“ Er verbeugte sich, wandte sich um und verließ die Terrasse. Kurz darauf gesellte er sich zu der Gruppe auf dem Rasen.
Georgiana hatte mehr als genug gesehen. Sie warf ihre Decke beiseite, stürmte ins Haus und ließ ihre Wut an dem erstbesten Dienstboten aus, der ihr über den Weg lief.
Es war an der Zeit, dass sie die Angelegenheit selbst in die Hand nahm! Und Caitlyn Hurst würde nicht mehr die geringste Chance haben.