Die Amerikaner haben einen Ausdruck für eine heftige Verbalattacke. Wenn man jemandem wirklich die Meinung geigen will, sagt man, man wird ihm oder ihr ein neues Arschloch reißen.
Wellewulst habe ich eins gerissen.
So:
»Wann wollten Sie mir eigentlich verdammtescheißeaberauch das mit Cathy Bellingham mitteilen?«
Ich hatte gebeten – nein, Änderung, ich hatte scheißenochmal befohlen, dass wir uns im Great Southern Hotel treffen, und den Hörer aufgeknallt, nein, -geballert.
Ich war zuerst da, ging bis ans Ende der Lounge, unter die Büste von James Joyce, starrte ihn an, rief beinah: »… gibt’s denn da, verdammtnochmal, zu glotzen?«
Ja, man schnauzt den Bronzekopf eines der berühmtesten Schriftsteller von Irland an, dann ist man entweder völlig plemplem, oder man hat gerade gehört, dass man den Booker-Preis doch nicht kriegt.
Der Portier näherte sich. Er und ich hatten eine gemeinsame Geschichte, größtenteils ungut, und er wagte sich mit einem »Lange nicht geseh’n, Jack« vor.
Seine Stimme war leise, als wäre er sich nicht sicher, ob ich gerade saufe. Wenn ja, würde er sich eilig ins Hügelland begeben. Wie ich sagte, gemeinsame Geschichte.
Ich setzte mich, sah ihn mit toten Augen an. »… Ihnen irgendwie helfen?«
Er lachte nervös. »Das ist eigentlich mein Text. Ich bin derjenige, der hier arbeitet.«
Alles leichthin, als wären wir nur zwei alte Spezis, die sich am munteren Plausch versuchen.
Ich sagte: »Na, dann gehen Sie arbeiten, halte ich Sie etwa davon ab?«
Er sah sich um – Hilfe suchend?
Keine Hilfe nahte, also fragte er: »Ich, äh, wüsste gern, ob ich Ihnen etwas bringen darf – Tee, Kaffee?«
»Machen Sie die Flatter, das wäre der Bringer.«
Er machte sie.
Wellewulst erschien, schick mit neuer Wildlederjacke, engen Jeans und so spitzen Stiefeln, die wehtun müssen wie Hölle. Der Portier sprach kurz mit ihr, ich sah, dass sie nickte, also nahm ich an, dass er sie gewarnt hatte, Kirschen wären mit mir derzeit nur ganz schlecht zu essen. Ich glaube nicht, dass sie das überraschte. Sie kam herüber, eine Entschlossenheit in der Gangart, als wäre sie nicht gewillt, sich von mir irgendeinen Scheiß bieten zu lassen.
»Ja?«
Traf sie trotzdem unvorbereitet. Sie schwankte kurz, fragte dann: »Wie haben Sie das mit Cathy Bellingham herausgefunden?«
Cathy … O Gott, unsere lange und peinigende Geschichte. Wir hatten uns kennengelernt, als sie aus London in Galway angeschwemmt wurde. Sie hatte sich gerade das Heroin abgewöhnt, war ein echter Punk, hatte das entsprechende Leben geführt. Sie sang wie ein Engel und hatte eine Zunge wie ein Fischweib. Wir verstanden uns auf Anhieb blendend. Sie hatte mir bei einer Reihe von Fällen geholfen, dann stellte ich sie meinem besten Freund Jeff vor, und, verdammt bis in die Hölle hinein, die beiden emulgierten, dass es eine Art hatte, heirateten und bekamen das kleine Mädchen mit Down-Syndrom, Serena May. Sie hatte genug Ursache, mir den Tod zu wünschen.
»Clancy hat es mir gesagt. Kennen Sie ihn? Er ist Ihr Chef.«
Das kostete sie aus, sagte dann: »Ihre Wohnung wurde durchsucht, und es wurden Projektile gefunden, die zu der Flinte passten, der … äh … Waffe … die verwendet worden war, äh.«
Sorgfältig vermied sie es, Cody beim Namen zu nennen. Das konnte ich verstehen, auch ich fand es schwierig, den Namen des Knaben auszusprechen.
»Und wo ist sie jetzt, vermutlich mit Knarre im Anschlag für den nächsten Schuss auf mich?«
Wellewulst senkte den Kopf, murmelte etwas.
Es war mir gelungen, die Hörhilfe reparieren zu lassen. Obwohl der Polizist darauf herumgetrampelt hatte, war es ihm lediglich gelungen, das Gehäuse anzuknacksen. Hart im Nehmen, diese kleinen Schweinehunde – die Hörhilfen, klar.
Ich stellte die Lautstärke höher und sagte: »Lauter.«
»Wir wissen es nicht.«
Ich lehnte mich zurück, ließ das zwischen uns erst mal stehen, sagte dann: »Was für eine Truppe. Ich gebe euch genug Beweise, um eine ganze Familie von Psychos hochgehen zu lassen, und ihr unternehmt nichts. Ihr habt Indizien, um die Person zu verhaften, die versucht hat, mich zu erschießen, und ihr könnt sie nicht finden. Wie kommt ihr Burschen eigentlich heutzutage mit dem Straßenverkehr zurecht?«
Sie sagte das Schlimmste, was sie sagen konnte, sie sagte: »Ich verstehe Ihre Frustration.«
Ich sprang auf – soweit man mit einem schlimmen Bein aufspringen kann –, sagte: »Einen Scheißdreck verstehen Sie.«
Und stürmte hinaus.
Ich musste etwas tun, also konzentrierte ich mich auf das schwache Glied der mörderischen Familie: den Bruder Sean.
Laut der Information, die Keegan geschickt hatte, schien er sich ausschließlich für Musik zu interessieren, weshalb ich mit einer Überwachung der Plattenläden und Musikalienhandlungen begann. Langweilige, frustrierende Arbeit, aber ich hatte sonst nichts zu tun.
Drei Tage dieser anödenden Tätigkeit, und ich wollte es schon lassen, aber dann dachte ich, ich hätte ihn gesehen. Ganz in der Nähe der Dominic Street, als er in einen Laden ging, wo sie gebrauchte Gitarren verkaufen. Er bewunderte gerade eine, die an der Wand hing, als ich mich hinter ihm aufbaute.
»Schönes Instrument.«
Er fuhr herum. »Kenne ich Sie?«
Und plötzlich machte es Klick, und das Foto war, wo es hingehörte, das quälende Gefühl, dass ich ihn kannte. Er war der Grunge-Bubi, der jeden Kurt-Cobain-Ähnlichkeitswettbewerb gewonnen hätte, aus dem Coffeeshop im Einkaufszentrum am Eyre Square.
Seine Augen erhellten sich plötzlich, jetzt erinnerte er sich auch an mich. Er versuchte, an mir vorbeizudrängeln, und ich packte seinen Arm, nicht sanft, ich konnte die stockdünne Sehne fühlen, und drückte.
»Hey, das tut weh.«
Ein stämmiger Typ hinterm Ladentisch hob den Kopf und fragte: »Gibt es ein Problem?«
Ich sagte zu Sean: »Ich habe mit Ihrer Schwester gesprochen. Wollen Sie, dass ich dem Typ die Sache mit der Kreuzigung erzähle, oder wollen Sie mit mir einen Kaffee trinken? Wir können über Ihre Band reden.«
Er befreite seinen Arm und ging Richtung Ausgang.
Ich sah den Ladentischmenschen an, zeigte auf die Gitarre, sagte: »It’s only Rock and Roll.«
Sean stand draußen. Ein Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn, aber er rieb sich die Hände, als wäre ihm kalt.
Ich sagte: »Das Galway Arms, die machen guten Kaffee, und wer weiß, wenn Sie sich gut benehmen, haben die sogar ein klebriges Teilchen.«
Als wir uns auf den Weg machten, sagte er: »Ich mag keine süßen Sachen.«
Heiland, fast hätte ich gelacht.
Der Besitzer begrüßte mich mit großer Wärme, und Sean sagte mit höhnischem Lächeln: »Kennen hier jeden, was?«
Sein Akzent war viel mehr Brixton als bei seiner Schwester – ihr Tonfall hatte eine intellektuelle Politur verpasst gekriegt. Ich nehme an, wenn man sich neu erfindet, ist ein frischer Akzent das geringste der Probleme.
Ich sagte: »Die Sache ist nämlich die, Kumpel, dass ich Sie kenne.«
Der Besitzer brachte eine Kanne Kaffee und Tassen und sagte: »… bekomm’s.«
Sean wartete, bis der Typ weg war, sagte dann: »Sie kennen mich nicht.«
Er holte Zigarettenpapier und Tabak hervor und begann, sich eine zu wickeln.
»Hier darf man nicht rauchen, das ist gegen das Gesetz. Sie sind lange genug hier, um das zu wissen.«
Er packte sich den Tabak in die Jacke, sagte: »Blödes Scheißgesetz.«
Ich lächelte. »Und das Gesetz gilt natürlich nicht für Sie oder Ihre Familie, stimmt’s?«
Ich schenkte den Kaffee ein, sah ihn an. Er hatte die Körpersprache eines geprügelten Hundes, führte sein Leben, indem er auf die nächste Tracht wartete, und zu warten brauchte er nie lange. Und ich war lediglich einer von vielen Prüglern. Sein Gesicht war von Akne gesprenkelt, und seine Lippen waren aufgesprungen, wund, weil er sie ständig nervös leckte. Er hatte feine, zerbrechliche Hände. Wer weiß, vielleicht hätte er Musiker werden können. Dazu würde es nun nicht mehr kommen.
»Ich glaube, Sie sind nicht mit dem Herzen bei diesem … Gig. Sie haben sich einfach mitreißen lassen, und nun raten Sie mal. Wenn es anfängt, Dünnschiss zu regnen, wer steht dann ohne Schirm da? Gaaanz bestimmt nicht Ihr Fräulein Schwester, die ist viel zu schlau für keine Schirme.«
Er hob seine Tasse, die Hand zitterte, er machte ein schlürfendes Geräusch, was eher wie ein Stöhnen klang, und sagte dann: »Ich habe keine Angst vor Ihnen.«
Hatte er doch. Und nicht nur vor mir. Vor allem, was da über unseren schönen Erdenball kreuchte und fleuchte. Er war ein naturwüchsiges Opfer. Er tat mir fast leid.
Fast.
Ich wagte: »Vor mir brauchen Sie auch keine Angst zu haben. Ich bin vielleicht Ihre einzige Hoffnung.«
Er versuchte es mit harter Bursche, hatte wahrscheinlich sein ganzes Leben darauf gewartet, brachte nur die schwächliche Andeutung eines spöttischen Kicherns zustande. »Aber genau.«
Zeit, an seinem Käfig zu rütteln. Einmal versucht, tollkühn zu sein, und nun machte ich es zunichte.
»Eins von zwei Dingen wird Ihre Zukunft bringen. Entweder werden Sie geschnappt, oder Sie suchen weiter nach dem schwer dingfest zu machenden Bruder, hinter dem Ihre Familie so verzweifelt her ist. Rory, so heißt er doch? Sie wissen die Antwort darauf wahrscheinlich besser als ich, aber schön dürfte sie kaum ausfallen. Darüber sind wir uns doch einig, oder? Als ich den kleinen Plausch mit Ihrer Schwester hatte, habe ich nichts von schwesterlicher Zuneigung gespürt.«
Er starrte mich an. »Ich weiß nicht, was Zuneigung bedeutet.«
Heiland.
Ich seufzte. Die Demontage dieses jungen Menschen gestaltete sich schwieriger als angenommen. Himmel, er war wie ein Hündchen in einer verkehrsreichen Straße, das hofft, ein Auto hält an und nimmt es mit. Ich machte weiter, nunmehr ohne jeden Eifer.
»Oder Sie gehen ins Gefängnis. Und ein Junge wie Sie, langes Haar, Persönlichkeit weich wie Scheiße, die rammen Ihnen noch vor dem Abendessen einen Güterzug den Arsch hoch, und das nur als Ouvertüre.«
Schwer zu sagen, welches Szenario ihn mehr verschreckte. Ein Schaudern ging durch seinen Körper, und er sagte: »Ich will nach Hause, das ist alles. Nur weg.«
Kein Protest, keine Unschuldsbeteuerungen, kein Getöne, ich hätte unrecht, überhaupt kein Getöne.
Ich sagte: »Dazu wird es nicht kommen, Kleiner.«
Er fing an zu weinen. Alles – heiligescheiße, alles – wäre mir lieber gewesen als das. Beinah hätte ich die Hand nach ihm ausgestreckt – und dann?
Ich ließ es ihn ausflennen, sagte dann: »Geben Sie’s auf. Ich werde Ihnen helfen, damit Sie so günstig davonkommen wie möglich.« Er betupfte sich die Augen, sagte dann: »Ich muss eine rauchen.«
Ich ließ ein paar Scheine auf dem Tisch und folgte ihm nach draußen. Er wartete nicht, begann wegzugehen, und ich folgte ihm.
»Was soll nun werden, Kleiner? Helfen Sie mir? Es ist Zeit, Zeit, sich zu entscheiden.«
Er blieb stehen, drehte sich um, bedachte mich mit einem dermaßen gequälten Blick, dass ich woandershin sehen musste, und dann sagte er: »Ich kann nicht, die würden mich umbringen.«
»Die bringen Sie sowieso um.«
Er sah die Straße entlang, Entsetzen in den Augen, aber ich konnte niemanden sehen. Er sagte: »Das hoffe ich.«
Als ich endlich nach Hause kam, war ich, Entschuldigung noch mal, hundemüde, aber nicht zu erschöpft, um den Rauch zu riechen. Vorsichtig betrat ich mein winziges Wohnzimmer. Jemand hatte all meine Bücher auf einen Haufen gestapelt und angezündet, und nun schmurgelten sie behaglich vor sich hin.
Ich ging ins Badezimmer, ließ eine Waschschüssel mit kaltem Wasser volllaufen und wässerte meine wertvollsten Besitztümer.
Dann bemerkte ich den Tisch. Auf dem Tisch stand eins dieser Spielzeugautos, auch verbrannt, und auf dem Fahrersitz konnte ich eine winzige Knetmassefigur sehen, ziemlich verkohlt, aber noch zu erkennen. Sollte ein Mädchen darstellen, nahm ich mal an. Und unter dem winzigen Auto war ein Zettel:
Na? Heiß genug?
Gail
Gottverdammtes Scheißmiststück.
Und dann, in einem dieser seltsamen Momente des Wahnsinns, dachte ich: »Mädchen, du hast mir die Entscheidung erspart, was mit den Büchern geschehen soll. Ich hatte nicht gewusst, welche ich mit nach Amerika nehme. Eine Sorge weniger.«
Aber Wut baute sich auf. Sie war nicht nur zu mir nach Hause gekommen, sondern sie hatte mir das Wenige genommen, was noch irgendwelche Bedeutung hatte. Bücher waren das einzig Verlässliche, die einzige Trostzone gewesen, und ich schwör’s, diese gottverdammte irrsinnige Psychotusse, sie wusste, sie wusste scheißenochmal, wie man mich treffen konnte.
Atmete mehrmals tief ein, versuchte, mich in einem Monat in diesem Flugzeug zu sehen, wenn all das hinter mir lag. Milderte den Aufruhr puren Hasses nicht, und ich schwor: »Bevor ich abreise, mach ich dich alle, Mädchen, ich schwöre bei allem, was heilig ist, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde deinen galoppierenden Wahnsinn zum Halten bringen.«