Das Mädchen befingerte das kleine Silberkreuz, das sie um den Hals trug. Sie wusste, dass weder ihr Vater noch ihr Bruder die Bedeutung verstanden, die das Kreuz für sie und ihre Mutter gehabt hatte.

Ihre Mutter war eine glühende irische Katholikin gewesen, und dass sie einen Engländer geheiratet hatte, verstärkte ihre Leidenschaft nur noch. Immer und immer wieder hatte sie dem Mädchen gesagt: »Christus starb am Kreuz für unsere Sünden, und die Welt wird versuchen, dich zu kreuzigen, wenn du es zulässt.«

Logik spielte hierin keine große Rolle. Wenn man den irischen Glauben und dazu noch massive Schuldgefühle und eine Persönlichkeitsstörung hat, ist man reif für Symbole. Ihre Mutter war auf das Kruzifix fixiert, ihre Wohnung wimmelte von sich windenden Erlösern in allen Formen und Größen. Nur das Mädchen kannte den Ursprung dieser Besessenheit. Sie hatte es nie weitergesagt, und sie würde es auch jetzt nicht tun. Männer verstanden das sowieso nicht.

Das Mädchen stand auf. Sie hatte gekniet, gebetet, nicht zu einem katholischen Gott, sondern zu dieser neuen finsteren Macht, die ihr so viel Energie verlieh. Sie ging zum Spiegel, sah das Silberkreuz um ihren Hals glänzen, und aus dem Augenwinkel sah sie die inzwischen so vertraute Flamme, die sich in einer Ecke des Zimmers entzündete.

Whuuusch, das Rauschen.

Als sie sich umdrehte, um sie direkt anzusehen, war sie fort.

Das Mädchen lächelte.

Das Kreuz war keltisch, ihre Mutter hatte es ihr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt, und die Mutter hatte gesagt: »Vergiss nie das Kreuz.«

Das Geheimnis ihrer Mutter, der ganze Grund für das Kreuz, kam ihr lebhaft in den Sinn. Sie konnte es sehen wie eine Szene aus einem Film. Sie war zwölf gewesen, immer noch ein Mamakind, und eines Abends, als sie früh nach Hause gekommen war, hatte sie ihre Mutter schluchzend in der Küche angetroffen, eine Sherryflasche (süß) leer auf dem Spülstein. Ihre Mutter trank sonst nie, und in diesem Ausnahmezustand hatte sie ihre Tochter umarmt, ihr gesagt, wie sie, bevor sie den Vater des Mädchens kennengelernt hatte, eine Abtreibung gehabt hatte, gesagt, es sei wie eine Kreuzigung gewesen, die reine Qual der Prozedur.

Dann hatte sie hinzugefügt: »Jeden Tag meines Lebens zahle ich für diese Sünde.« Und sie hatte ihre Tochter roh am Handgelenk gepackt, ihr wehgetan und sie gewarnt: »Wenn dir jemals jemand wirklich Schaden zufügt, gibt es nur eine Art der Buße. Weißt du, welche das ist?«

Das Mädchen, in Schrecken versetzt, hatte den Kopf geschüttelt, und Tränen waren ihr das Gesicht hinuntergelaufen. Die Mutter hatte gesagt, mit einer Stimme aus purem Eis: »Du nagelst ihn ans Kreuz, wie Unseren Herrn, und schlägst die Nägel mit aller Leidenschaft ein, die Unser Heiland uns aufgetragen hat.«

Donnerstagabend habe ich einen Mann umgebracht.

Glaube ich wenigstens.

Habe auf jeden Fall mein Bestes versucht.

Ich war in den Kintopp gegangen – tut mir leid, ich liebe dieses Wort. Sideways hatte gewaltige Kritiken gekriegt – Paul Giamatti hatte diese Arme-Sünder-Fresse, mit der ich mich total identifiziere, ein Woody Allen für die neue Verzweiflung. Aber dies ständige Weintrinken auf der Leinwand ging mir auf den Wecker. Ich war nie ein großer Weinheini gewesen, wollte immer schon meinen Schnaps, was Schnelles, was Tödliches. Ich bekam bereits einen Merlot-Geschmack im Mund, und mit meinem blöden Gehör, trotz Dolby-Digital-Stereo, hatte ich Schwierigkeiten, die ganzen schönen Dialoge mitzukriegen. Also trollte ich mich.

Als ich ging, sagte der Eintrittskartentyp: »Hat Ihnen nicht gefallen, was?«

Er hatte eins dieser abgekochten irischen Gesichter – rote Wangen, Hummermund, bleiche Haut, und trotzdem den amerikanischen Akzent.

»Hat mir zu gut gefallen.«

Er ließ mir einen Blick zuteilwerden, den Blick, der besagt: »Sieh an, sieh an, früh vergreist, geistig verwirrt.« Und sagte, als wäre er in Louisiana geboren: »Was immer Ihren mojo reizt.«

Kack.

Jetzt nieselte es ein wenig. Nichts Größeres, nur genug, um einen daran zu erinnern, dass man im Land des báisteach, des Regens, war. Ich trug Artikel 8234, meinen alten Polizeimantel. Wie ich selbst war er verbrannt, geschlagen und zertrampelt worden und hing immer noch herum. Ich stellte den Kragen hoch und debattierte einen Mitnehm-Döner. Hat nur den Fehler, dass ein Sechserpack dazugehört.

Ein Mann fiel neben mir in Gleichschritt – großer Typ, aus den Poren drang ihm ein Geruch nach Knoblauch und Guinness. Er sagte: »Sie sind Taylor.«

Hatte Schärfe, einen Ton von Bedrohung, und ich wusste, dass dies zu nichts Gutem führen würde. Ich musste mich anstrengen, um ihn zu hören – nicht dass ich wirklich wissen wollte, was für Scheiße dieser Fiesling vorzubringen hatte. Seine ganze Körpersprache schrie Ärger.

»Und?«

Er beugte sich herüber, drängelte, sagte: »Babymörder.«

Das saß. Wenn Serena May erwähnt wurde, verkrampfte sich mir der ganze Körper.

Bevor ich reagieren konnte, sagte er: »Und jetzt ist Ihretwegen auch noch ein armer Junge umgebracht worden.«

Cody.

Ich blieb stehen. In der Nähe meiner Wohnung in der Merchant’s Road ist eine kleine Gasse, und dorthin drehte ich mich, um abzubiegen. Ich sagte: »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich will es nicht wissen. Ich nehme jetzt diese Abkürzung nach Hause, und wenn Sie wirklich schlau sind, folgen Sie mir nicht.«

Ich hatte nicht einmal die Stimme erhoben, ein echt gefährliches Zeichen – bedeutet, dass ich auf dem Weg in den Gefahrenbereich bin, das in sich geschlossene System, wo keine Regeln gelten. Ich war von einigen der bösartigsten Schweinehunde auf dem Antlitz des Planeten in hohle Gassen gelockt worden, hatte mir in ganz ähnlicher Umgebung die Zähne mit einer Eisenstange entfernen lassen. Die letzten paar Jahre war ich immer der Empfänger von Dresche gewesen, und ich hatte es schlicht satt, auf vollgespucktem Pflaster zu liegen und mir von irgendeinem Blödmann Dellen in den Schädel treten zu lassen. Die Wut, die seit Codys Tod, der Reaktion seiner Eltern auf mich – ohne zu saufen, ohne zu rauchen – in mir geschmurgelt hatte, erreichte allmählich die tödliche Marke.

Es ist eine kalte/heiße Weißglut. Wenn das keine allzu irische Beschreibung ist. Sie elektrisiert die gesamte Psyche, die gesamte Feineinstellung … Scheiße, sie wischt die ganze Kreide von der Tafel. Die reine Wucht unmittelbar bevorstehender Gewalt ist wie ein doppelter Jameson, den man sich versagt hat, und dann packt man das Glas, stürzt ihn runter und wartet, dass es knallt.

Der dämliche Hund, er lachte, sagte: »Du rennst weg, du feiges Schwein. Das machst du gern, was, du Stück Müll? Ich werde dich windelweich schlagen.«

Perfekt.

Genug geplauscht.

Es gibt einen alten Spruch:

Im Gerichtssaal wird Recht gesprochen, Gerechtigkeit findet auf der Gasse statt.

Ich ging in die Gasse, und er lief mir nach, machte: »Hey.«

Ich bückte mich tief, holte mit dem linken Ellbogen aus und erwischte ihn in den Nieren, klassischer Idiotenhieb, und während er noch keuchte, drehte ich mich um und trat ihm hart gegen das rechte Knie. Auf dem Weg nach unten bekam er die Faust verpasst, ich hörte, wie der Knochen Schluss machte. Dann trat ich zurück, damit er kapierte, dass dies bloß das Vorspiel war. Ich machte nur Lockerungsübungen, die gesamte Wut war weg, spielen gegangen, und, bei Jeso Christo, ich freute mich darauf, wie’s weiterging.

Es gelang ihm zu quengeln: »Du hast mir die Nase gebrochen. Warum hast du das getan?«

Er hatte dies lange, strähnige Haar, wo etwas drin wohnt, etwas Hinterhältiges. Ich packte eine Strähne und schmetterte seinen Kopf gegen die Mauer, hörte ein weiches Knirschen.

»Siehst du schon Sterne? Denn Sterne wirst du sehen, und zwar ganz schön lange.«

Er hatte die Hand oben und stöhnte: »Okay, genug, ich bin fertig.«

Fertig?

Ich beugte mich vor, ganz nah ran, echote: »Fertig? Spinnst du? Wir haben noch gar nicht angefangen. Das war bloß der Vorspann, demnächst in diesem Theater.«

Dann verdrosch ich ihn systematisch mit jedem faulen und dreckigen Trick, den ich sowohl als Polizist als auch auf der Straße gelernt hatte, und als ich durch war, schwitzte ich aus jeder Pore. Blut troff mir von den Händen, und die Zähne taten mir weh, so heftig hatte ich sie zusammengebissen.

Ich starrte auf den eingekringelten Haufen und machte Anstalten, wegzugehen. Und dann, nennen Sie es reine Bosheit, blieb ich stehen, kam zurück und trat ihm zweimal mit dem Stiefel seitlich gegen den Kopf und sagte: »Jetzt sind wir fertig.«

In meiner Wohnung riss ich mir den Mantel vom Leibe. Normalerweise wäre nach so einer Episode der erste Tagesordnungspunkt ein großer Jameson. Ich verputzte zwei von Stewarts Pillen, machte Tee, ordentlich mit Zucker, auf Wirkung, und untersuchte meine Hände. Sie waren in schlechtem Zustand. Die linke war hauptsächlich Blut, abgefetzte Haut. Dagegen half Wasser, eiskalt. Die rechte war ernster. Die Finger könnten gebrochen sein, dachte ich. Sie waren schon ein paarmal gebrochen gewesen, das Lied kannte ich also.

Ich versuchte, eine Schiene zu bauen, bekam sie aber nicht zusammen, und während ich herumwühlte, fand ich eine Visitenkarte.

Gina De Santio

Und Telefonnummern drunter.

Was hatte sie gesagt? Wenn ich Hilfe brauchte? Na, dann wollten wir doch mal sehen, wie ernst das gemeint gewesen war.

Ich wählte unter Schwierigkeiten die Nummer, wartete, hörte dann:

»Sì?«

Beschloss, es drauf ankommen zu lassen.

»Hier ist Jack Taylor. Sie haben mir in der Kantine des Krankenhauses Ihre Karte gegeben und gesagt, wenn ich mal Hilfe brauche?«

Daran, wie sie »Sì?« gesagt hatte, merkte ich, wie schläfrig sie war. Ja, das Merken ist mein Geschäft. Ich bin nämlich Detektiv.

Sie brauchte einen Moment, dann: »Ah ja, Mr Taylor. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie anrufen.«

Ich wollte erwidern: »Und warum haben Sie mir dann Ihre Scheißvisitenkarte gegeben?«

Sagte aber: »Ich brauche Hilfe, jetzt.«

Zu meiner Verblüffung sagte sie: »Ich werde kommen.«

So ist das Leben. Oder so sind die Menschen. Wenn man gerade alle Hoffnung aufgegeben hat, überraschen sie einen. Wahrscheinlich stand ich deshalb immer noch morgens auf. Ich gab ihr meine Adresse und sagte: »Bringen Sie irgendwas mit, ich habe gebrochene Knochen.« Ich dachte, dann überlegt sie es sich noch mal.

Tat sie auch, sagte dann aber: »Ich werde in zwanzig Minuten da sein.«

Werde einer schlau draus.

Als sie kam, hatten Stewarts Pillen angefangen zu wirken. Sie sah nicht nur aus, sie strahlte aus, und ich spürte etwas, was ich seit, oh, so langer Zeit nicht mehr gespürt hatte. Eine Regung.

Mist.

Sie trug ein altes College-Sweatshirt mit der Aufschrift TRINITY, abgewetzte Jeans, Turnschuhe und einen braunen Regenmantel. Ihr Haar war zurückgestrichen, und sie sah wunderschön zerzaust aus.

»Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass Sie kommen, besonders, wenn man bedenkt, dass Sie mich eigentlich gar nicht kennen.«

Sie begutachtete meine Wohnung, wie nur Frauen das können. Nicht gerade kritisch, obwohl das auch mitschwang, sondern eher im Gesamtüberblick, dem nichts entging. Ihr Blick verweilte etwas länger auf meinen Vorhängen, und ich wusste, dass sie dachte: »Und wann sind die jemals gewaschen worden?«

Typen denken: »Wo steht der Alk?«

Sie trug ein Arztköfferchen, und das sah aus, als hätte es durchaus den einen oder anderen Einsatz gesehen.

Sie sagte: »Vielleicht kenne ich Sie besser, als Sie glauben. Ich bin zwar praktische Ärztin, arbeite aber hauptsächlich als Therapeutin.«

Eine leichte Spur von Akzent war sehr anziehend, als müsste sie sich die richtige Aussprache herausschnitzen.

Ich fragte: »… was haben – Tee, Kaffee? Oh, und Jameson und Wodka habe ich auch.«

Sie bedachte mich mit einem Blick, der sagte: »Ist dies ein geselliges Beisammensein?«

Sie selbst sagte: »Setzen Sie sich, dann sehen wir uns an, was Sie sich angetan haben.«

Sie war gründlich. Sie wusch und reinigte die Wunden, machte diese Hmmm-Geräusche, wie sie nur Angehörige der Ärzteschaft beherrschen, versah dann die Finger meiner rechten Hand mit einer Schiene.

»Diese Finger wurden schon einmal gebrochen, ich bin aber ziemlich sicher, dass sie diesmal nicht gebrochen sind. Um ganz sicher zu sein, müssten wir sie jedoch röntgen lassen, und ich glaube nicht, dass Sie es damit eilig haben?«

Nachdem sie meine Hände verbunden und mit leichter Gaze umwickelt hatte, trat sie einen Schritt zurück.

»Sie werden leben, aber gehen Sie morgen ins Krankenhaus.«

Ich fühlte mich sehr entspannt, nichts tat mir weh, und ich war fähig, ihren Duft zu genießen – den Duft einer Frau und noch von etwas anderem, worauf ich nicht kam, aber es gefiel mir.

Sie sah auf ihre Uhr, eine sehr schlanke Rolex, und sagte: »Jetzt nehme ich auch gern den Drink, Wodka mit Tonic. Morgen habe ich frei, da kann ich ausschlafen.«

Da wäre ich gern dabei gewesen. Lag bestimmt an Stewarts Pillen.

Sie fragte, ob ich große Schmerzen hätte, und der Suchttyp in mir sagte: »Lüg sie an.«

Ich log sie an.

Sie holte einige Pillen aus ihrem Köfferchen, rationierte sie nach Ärzteart, mit dieser bedächtigen Konzentration, damit sie einem bloß nicht eine mehr geben, als man braucht.

Sie sagte: »Die sind sehr stark. Nehmen Sie sie bloß nicht zusammen mit Alkohol.«

Ich versuchte, sie mir nicht gierig zu schnappen. Ich baute mir einen hübschen kleinen Vorrat für den Verteidigungsfall auf. Ich holte ihr den Drink, fragte: »Warum sind Sie gekommen? Ich meine, das ist doch – wie lautet der Ausdruck? – höchst ungewöhnlich?«

Sie seufzte, und dann erkannte ich den Duft. Patschuli-Öl, was sich die Hippies immer draufmachten. Weiß nicht, warum, aber es ließ mich hoffen. Worauf … ich weiß es nicht, ich hatte so lange nichts mehr gehofft. Da nahm ich den Duft einfach ohne Analyse wahr.

Sie starrte in ihr Glas. Ich wusste, dass da drin keine Antworten waren. Deren Illusion, klar, aber nichts, was einem die Wahrheit sagen würde.

Sie sagte: »Ich bin aus Napoli. Wir sind arm aufgewachsen. Ich habe einen irischen Arzt geheiratet, es ist eine lange Geschichte, jetzt ist er weg, und wir hatten eine Tochter, Consuelo, das schönste, beste Mädchen der Welt. Sie ist vor drei Jahren gestorben.«

Sie nahm einen anständigen Hieb von dem Wodka und fuhr fort.

»Dadurch wurde ich Mitglied im exklusivsten Klub der Welt – der Familie der Opfer. Niemand möchte dazugehören, wir teilen den Schmerz, der nie vergeht, und wir können einander erkennen, auch ohne Worte. Sein Kind zu überleben, das ist die schlimmste Qual, die die Welt zu bieten hat. Und als ich Sie sah, den Ausdruck in Ihren Augen sah, da wusste ich, dass wir ein neues Mitglied hatten.«

Ich wollte sagen: »Bockmist, gehen Sie mit Ihrer Therapie in einem anderen Stadtteil hausieren.« Nicht einmal die Pillen konnten meinen Ärger besänftigen.

Ich sagte: »Ich weiß natürlich Ihre Hilfe sehr zu schätzen, aber stellen Sie bitte keine Theorien über mich und irgendwelche Verluste auf.«

Es klang so wild, wie es hatte klingen sollen.

Sie ließ ein winziges Lächeln sehen und nickte. »Ich verstehe Wut.«

Ich wollte sie schütteln, schreien: »Ach ja? Einen Scheiß verstehen Sie.«

Sie sagte in ruhigem Tonfall: »Wut ist eins der fünf Stadien des Kummers.«

Ich war aufgesprungen. »Ich? Ich habe sie auf zwei reduziert – Zorn und Saufen.«

Sie stand auf, sagte: »Ich muss los. Ich würde gern etwas Zeit mit Ihnen verbringen, Mr Jack Taylor.« Und berührte mit einem Finger mein Gesicht. Das brannte stärker als die Spucke von Codys Vater.

Ich sagte stockend: »Sie meinen im Sinne einer Verabredung?«

Sie war schon an der Tür.

»Nein, ich meinte im Sinne von Trost.«

»Ich brauche keinen Trost.«

Als sie treppab ging, warf sie mir über die Schulter zu: »Ich hatte gar nicht von Ihnen gesprochen.«

Nachdem sie gegangen war, fand ich keine Ruhe, wusste nicht, was ich denken sollte. Ich griff mir ein Buch, schlug es wahllos auf, las:

… wenn einer sich erst aufs Morden einlässt, dann verfällt er auch bald aufs Rauben; Saufen und Sabbatschänden sind die nächsten Laster, und von da ist es nicht mehr weit zu Frechheit und Saumseligkeit …

Was zum Teufel war das? Sah nach dem Autor: Thomas de Quincey.

Vinny, aus Charly Byrnes Buchhandlung, hatte neulich einen Stapel Bücher bei mir abgeladen. Viele sahen alt aus, und Vinny hatte gesagt: »Ein paar dieser Schwarten sind so alt wie du.«

Ich legte den Band beiseite und berechnete, dass das Einzige auf der Liste, was mir noch fehlte, Saumseligkeit war. Aber wenn man mein totales Unvermögen gelten ließ, mich wirklich damit zu befassen, wer eigentlich Cody abgeknallt hatte, hatte ich, fand ich, die Saumseligkeit auch ganz gut hingekriegt. Ich wusste, dass ich da draußen sein musste, um mit geballter Aufmerksamkeit den Schützen zu finden, aber ich hatte Angst. Wenn es nämlich Cathy war, Jeffs Frau? Ich hatte ihre Tochter und ihren Mann auf dem Gewissen, hatte ihr ganzes Leben zerstört.

Ich nahm eine von Ginas Pillen und wartete, mein Geist im toten Winkel, und dachte: »Diese Pillen taugen einen Scheiß.«

Beschloss, mich sowieso hinzulegen, und schlief achtzehn Stunden lang. Falls ich Träume hatte, erinnere ich mich nicht an sie, man kann aber davon ausgehen, dass sie nicht von der Falleri-fallera-Sorte waren. Waren sie nie.

Davon zeugten die pitschnassen Laken, als ich aufwachte. Normaler Betrieb.

Während ich schlief, hatten sie Eoin Heatons Leiche aus dem Kanal gefischt. Seine Tage der Ermittlungen in Hundesachen waren vorüber.

Jack Taylor auf dem Kreuzweg
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