Das Mädchen plante, zur Beerdigung des Mädchens zu gehen, das sie verbrannt hatte.
Der Vater hatte davor gewarnt, gesagt: »Die werden jetzt an der Sache dran sein. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie den Fall durchschauen.«
Das Mädchen fragte sich, ob sein Engagement nachließ. Er fing an, alt auszusehen, und stöhnte ständig über Schmerzen in der Brust. Was erwartete er denn, scheißenochmal? Sie brachten Leute um – erwartete er sich davon den Jungbrunnen? Und der Bruder war ein Versager, winselte, als wäre er dazu geboren. Tat, was er am besten konnte – schmollte, wie die meisten Männer.
Sie sagte: »Wir wollten, dass sie leiden. Was hat es für einen verdammten Sinn, wenn wir sie nicht leiden sehen?«
Heiland, was fehlte denen denn?
Der Bruder sagte: »Ich finde, wir sollten uns bedeckt halten.«
Das Mädchen schaltete sich ein, sagte in kaltem, bemessenem Ton: »Rory, wisst ihr noch?« Sie hielt inne, stellte sicher, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Männer hatte, sagte dann: »Der, der Mum umgemangelt hat wie ein Tier, dann abgehauen ist, sie in Qualen am Straßenrand hat sterben lassen. Sollen wir den ungeschoren davontanzen lassen?«
Sie waren angemessen beschämt.
Dann sagte der Bruder: »Der kommt nicht zurück. Da müsste er verrückt sein.«
»Seine ganze Familie wurde ausgelöscht. Sogar ein Schwein wie er muss hingehen.«
Mir wurde meine Hörhilfe eingepasst. Sie war kleiner, als ich erwartet hatte, weniger auffällig, ich hatte aber trotzdem das Gefühl, seltsam zu wirken.
Ich fragte den Spezialisten: »Sieht man das Ding?«
Er lächelte.
»Kommt drauf an, wonach man Ausschau hält.«
Auch noch zu allem Überfluss ein Philosoph.
Ich schnappte: »Ich will nicht … Sie wissen schon … schwächlich wirken.«
Er lachte. »Ich glaube wirklich nicht, dass man dafür die Hörhilfe verantwortlich machen kann.«
Irland – jeder hat das Gefühl, er kann ganz frei von der Leber weg, einfach raus damit. Wenn es richtig um was geht, lügen diese Mistkerle nie. Außer natürlich, man braucht wirklich die Wahrheit.
Ich starrte ihn an. Er hatte schönes, volles Haar, also fragte ich: »Ist das ein Tipi, ein Topos oder ein Toupet? Nur eine Antwort ist richtig.«
Er war entsetzt, versuchte: »Ich bin nicht sicher, ob ich verstanden habe, was Sie meinen.«
»Klar sind Sie sicher. Eine Perücke.«
Er berührte sein Haar und sagte: »Das ist mein eigenes Haar.«
Auf dem Weg nach draußen sagte ich: »Die meisten würden Ihnen glauben.«
Als ich die Rechnung sah, tat mir meine Leichtfertigkeit sehr leid.
Die Verbände waren von meinen Händen runter, aber man sah die Striemen, blauen Flecken an den Knöcheln, und sie taten weh, aber das war ein vertrautes Gefühl. Wellewulst hatte mir weitere Infos über King, den Lagerhaus-Typen, gegeben, und ich zog meinen besten Wohltätigkeitsladen-Anzug an, fügte weißes Hemd und dunklen Schlips hinzu und war ausgehfertig.
Einschließlich Hummeln im Arsch. Kampfhummeln. Ich hatte ein paar Dokumente gefälscht. Zwischen Internet und Copyshop konnte man so ziemlich jede Akkreditierung kreieren, nach der einem der Sinn stand. Ich steckte meine in ein kleines schwarzes Lederetui und übte das rasche Aufklappen desselben. Ich sah aus wie ein verkrachter FBI-Agent und konnte nur hoffen, dass man die Hörhilfe auf eine dienstwaffenbedingte Schädigung des Innenohrs zurückführte.
Kings Lagerhaus war riesig, und es herrschte eine Atmosphäre heftigen Treibens. Jede Menge Lastwagen kamen und fuhren wieder weg. Das Geschäft blühte, aber war es auch, wenn das Wort erlaubt ist, koscher? Eine Empfangsdame Anfang zwanzig begrüßte mich wärmstens.
Ich klappte meinen Identitätsnachweis auf, sagte: »Gesundheitsamt, ich möchte Mr King sprechen.«
Es ist mir ein stetiger Quell des Erstaunens, wie jede Art offiziellen Dokuments die Menschen beeindruckt.
Auch die Empfängerin war entsprechend baff und sprach: »Ich klingle ihn kurz an, damit er weiß, dass Sie da sind.« Dann, mit beunruhigtem Stirnrunzeln: »Ist doch aber alles in Ordnung, oder?«
Ich beließ meinen Gesichtsausdruck auf »neutral«.
»Um das herauszufinden, bin ich hier.«
Sie sprach kurz ins Telefon, gab dann bekannt: »Mr King erwartet Sie. Gehen Sie einfach hinein.«
Ich sagte: »Verlassen Sie die Stadt nicht.«
Freud hat gesagt: »Das Gefährlichste auf der Welt ist ein zorniges Baby.«
King sah aus wie ein zorniges Baby, obschon ein sechzig Jahre altes. Er war vollkommen kahl und schien keine Augenbrauen zu haben. In seinem Gesicht war keine einzige Falte, und doch wirkte er, als wäre er schon ein paarmal um den Block gegangen und hätte dabei jedes Mal Dresche bezogen. Er saß hinter einem massiven Schreibtisch, und ich wette, dass er ein massives Auto fuhr. Er erhob sich nicht, um mich zu begrüßen, gab mir nicht die Hand, bleckte mich einfach an. Ich wusste, dass es nicht persönlich gemeint war, noch nicht. Er bleckte einfach gern. Die Welt hatte ihm die Spielsachen geklaut, und er hatte, bei Gott, vor, sie wiederzukriegen.
Ich schnickte mein Identitätsdings auf und zu. »Gesundheitsamt.«
Er holte einen kleinen Behälter aus seiner eindrucksvollen Jackentasche, rammte sich Schnupftabak in die Nase, zumindest glaube ich, dass es das war. Wenn es Koks sein sollte, konnte er sich meiner vollen Bewunderung sicher sein. Dann kam das irritierende Schniefen mit den Nasenlöchern, und ich wartete.
Er plärrte, falls man das mit einem so feinen, dünnen Stimmchen kann: »Wo liegt das Problem?«
Ich seufzte. Hilft immer, besonders, wenn man es sowieso satt hat, sagte: »Bei uns ist eine Beschwerde eingegangen.«
Schon war er auf den Beinen, wollte wissen: »Von wem? Weshalb?«
Ich holte mein Notizbuch hervor.
»Es steht selbstverständlich nicht in meiner Macht, unsere Quelle preiszugeben, aber ich kann Ihnen sagen, dass es zu gewissen Besorgnissen im Hinblick auf das, was Sie exportieren, gekommen ist.«
Er sah aus, als könnte er jetzt jederzeit explodieren.
»Wir exportieren Fischdelikatessen, in Dosen versiegelt. Ich lasse mir die Dosen fertig liefern und schicke sie weiter zu unseren Märkten.«
Ich sann darüber nach und sagte dann: »Es wurde die Vermutung geäußert, Ihr Erzeugnis enthalte … örm, noch etwas anderes als Fisch.«
Jetzt sah es nach einer größeren Explosion aus.
»Worauf zum Teufel wollen Sie hinaus?«
Ich hätte versuchen können, ihn zu beschwichtigen, seinen Druck einen Strich niedriger zu fahren, aber wissen Sie was, ich mochte den Fiesling nicht, er war ein arrogantes Arschloch, gewohnt zu schreien, Wutanfälle zu haben – also beschloss ich, noch ein bisschen weiter zu heizen.
»Unsere Quelle erwähnte, Sie könnten vielleicht – wie drück ich das jetzt aus? – auf Hunden basierende Bestandteile verwenden?«
Er brauchte etwas Zeit, bis er das geschluckt hatte, und dann lachte er. Klang nicht wie ein durchschnittliches Gelächter, eher wie ein Mix aus Gegacker und Bosheit.
»Ich verstehe. Jesus H. Christus, dieser Suffkopp, der hier war, ein total ausgebrannter Fall, hat uns weiszumachen versucht, dass Hunde geklaut wurden und wir sie für unsere asiatischen Märkte verwenden.«
Ich spielte an der Hörhilfe herum, bemüht, den Typ leiser zu stellen. Er klagte an: »Stellen Sie was anderes ein?«
Als wenn ich das könnte.
Also stichelte ich weiter, fragte: »Und verwenden Sie solcherlei Material?«
Er schien mich physisch angreifen zu wollen, überlegte es sich anders und sagte: »Das ist Rufschädigung. Wie war noch mal Ihr Name? Das kostet Sie Ihren Job.«
Ich blieb mit der Stimme sachlich, sagte: »Ich habe Ihnen gar nichts vorgeworfen, lediglich eine simple Frage gestellt. Wenn Sie sauber sind, warum regen Sie sich dann so auf?«
Er machte mit der rechten Hand eine »Und Schnitt!«-Geste, sagte: »Die Scharade ist vorbei. Wenn Sie wieder mit mir reden wollen, sprechen Sie mit meinem Anwalt. Jetzt machen Sie, dass Sie aus meinem Büro kommen.«
Ich stand auf.
»Danke für den Kaffee.«
Er schwankte, sammelte sich.
»Klugscheißer, was? Sie werden weniger selbstgefällig sein, wenn ich Ihre Planstelle überprüfen lasse. Und diesem Suffkopp, dem können Sie ausrichten, er soll sich hier nicht mehr blicken lassen.«
An der Tür sagte ich: »Das könnte sich ein Weniges schwierig anlassen.«
Wollte immer schon mal »ein Weniges« in einem Satz unterbringen – ob es sich wohl so hochnäsig anhörte wie erwartet.
Hörte es sich.
Er unterbrach sein Auf-und-ab-Wandern, fragte: »Warum? Ist er so schwerhörig wie Sie?«
Dies ließ ich widerhallen, sagte dann: »Nein, er ist tot. Aber ich werde seiner Familie Ihre Anteilnahme ausrichten.«
Im Empfang lächelte die Sekretärin, und ich sah ein schadenfrohes Glitzern in ihrem Auge.
Ich sagte: »Netter Mann, Ihr Chef. Muss eine Freude sein, für ihn zu arbeiten.«
Sie sah sich nach seinem Büro um. Die Tür war zu, und sie flüsterte: »Wissen Sie, wie wir ihn nennen? Rabäh-das-Baby.«
Das Fax von Keegan in London war angekommen, und ich nahm es mit in einen Coffeeshop, bestellte ein Stück Plunder und einen doppelten Espresso, begann die Daten zu sichten.
Das Beste waren die Fotos.
Der Vater, Bob Mitchell, bekannt als Mitch, war ein kleiner Gauner – bisschen was als gedungener Schläger, Kreditkartenbetrug, Schutzgeld, aber nichts Größeres. Sein Sohn war neunzehn, und da gab es etwas über den Jungen, das versetzte mir einen Schubs des Wiedererkennens, konnte ihn aber nicht unterbringen. Die Tochter, Gail, war zwanzig, angenehm aussehendes Gesicht, nichts Besonderes.
Die Mutter der beiden, Nora, war auf Urlaub in Galway gewesen, als sie überfahren wurde und der Fahrer Fahrerflucht beging.
Dreimal durfte ich raten.
Rory Willis, Bruder des gekreuzigten Jungen. Verhaftung, Prozess – er wartete auf das Urteil, als er abhaute. Früher, wenn man verurteilt war, ging man schnurstracks in den Knast, aber jetzt hatte man etwas Zeit, bevor der Urteilsspruch zugestellt wurde, und konnte sich meist auf seine Einkerkerung vorbereiten. Das lag nicht etwa an unserem aufgeklärten Justizsystem, sondern es war reine Mathe – die Gefängnisse waren überfüllt, und sogar Verurteilte liefen frei herum.
Man nahm an, dass Rory nach England gegangen war. Keegan hatte seine eigenen Gedanken dazugefaxt: Die Familie zeichnete sich durch großes Zusammengehörigkeitsgefühl aus, und das Mädchen hatte nach dem Tod der Mutter eine Art Selbstmordversuch unternommen. Der Vater war vom Radar verschwunden, und aktuell wusste niemand, wo sich die Familie aufhielt.
Mein Kaffee kam, und ich biss in das Plundergebäck. Sehr süß, aber ich begrüßte den Zuckerschock. Dazu noch den doppelten Espresso, und mir hüpfte das Blut.
Die Mitchells mussten es sein, aber die schiere Gewalttätigkeit bei den beiden Morden – eine Kreuzigung und eine Verbrennung – machte mir Sorgen. Da spielte ein hochgradiger Wahnsinn hinein, den ich nicht auszuloten vermochte. Das ging mir im Kopf herum und herum und herum. Bei der Brutalität der Taten war ich überfordert, aber sie waren es, die Mitchells, oder? Und wenn ja?
Fall gelöst.
Mir drehte sich bei der Vorstellung, was sie dem Jungen angetan hatten, echte Nägel usw., der Magen um … Heiland.
Richtiggehend schlecht wurde mir. Diese rohe Gewalt, einen Jungen zu kreuzigen, ein Mädchen im Auto zu verbrennen. Ich schob das Plundergebäck beiseite. Sogar der Kaffee hatte all seinen Geschmack eingebüßt. Die Beerdigung, darauf lief es hinaus. Wenn ich hinging, würde ich mehr erfahren, davon war ich absolut überzeugt.
Einstweilen würde ich Wellewulst anrufen, ihr das Material geben, sehen, was sie damit machte.
Wie ich sagte, vielleicht bekam ich diese ganze blöde Ermittlung doch noch in den Griff. Meine Instinkte, frei von den Einflüsterungen des Kokses, des Alks und des Nikotins, setzten endlich wieder ein.
Wurde aber auch allmählich Zeit.
Und zu schade, zu irisch schade, dass es so lang gedauert hatte.
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass die Beerdigung die Mitchells anlocken würde, auf jeden Fall das Mädchen. Je gründlicher ich Keegans gefaxte Notizen las, desto überzeugter war ich davon, dass sie die große Motiviererin war, der dunkle Engel. Was mir wieder mal bewies, dass man, wenn man jemanden mit genug Kummer zuschüttet, einem im Grunde anständigen Menschenwesen genug physischen Schaden zufügt, ein Monster erschaffen kann. Ich war bereit, meine Passage nach Amerika zu wetten, dass sie aufkreuzen würde.
Sie kreuzte auf.
»Nass« beschreibt das Wetter nicht. Wie Bob Ward sagt, vier Sorten Regen, alle schlimm. Das richtige mitten-ins-Gesicht-persönlich-gemeinte Zeugs, es will einen durchnässen, bis einschließlich Seele einweichen, und, Heiland, das schafft es auch. Die Galwegianer nehmen den Regen als Gottes eigene Formulierung der Aussage: »Die Briten sind mir lieber.« Ich bereitete mich darauf vor: meinen Polizei-Allwettermantel, Gore-Tex-Stiefel, die ich beim Räumungsverkauf eines Sportgeschäfts ergattert hatte – die irische Fischermütze war ein Fundstück aus meiner Wohnung.
Es war nicht genug. Der Regen von Galway weiß, wie er sich einschleicht, den Nacken heruntertröpfelt, in die Ohren, und die blind machenden Ausfälle auf die Augen erwähne ich gar nicht. Meine Hauptsorge war, würde er den Batterien meiner Hörhilfe etwas anhaben?
Nein. Aber nicht, weil er’s nicht versucht hätte.
Das Begräbnis war gut besucht.
Ich entdeckte ein Mädchen in einem tristen schwarzen Mantel, mit schwarzer Baskenmütze, um die Haare zu verstecken, in gutem Abstand hinter den Trauernden, damit sie niemand anplauschte. Den Regen, der ihr gegen das Gesicht haute, bemerkte sie nicht.
Ich hörte gleich sofort, dass Marias Vater einen Schlaganfall gehabt und die Mutter sich in die Katatonie zurückgezogen hatte, und wer wollte es ihnen verdenken?
Das Mädchen musste sich geprellt vorkommen – sie bekam nicht zu sehen, wie die Williams litten. Sie waren nicht mehr im Spiel, und, noch schlimmer, kein Zeichen von Rory, dem ältesten Sohn.
Die Beerdigung ging schnell, und danach näherte ich mich ihr, sagte leise: »Gail.«
Ich sah, dass sie glaubte, es wäre eine Stimme in ihrem Kopf, aber sie drehte sich um, und ich wusste, dass sie einen Typ mittleren Alters sah, mit dünnem Lächeln und, okay, schlampigem Aussehen. Es hatte sie kalt erwischt, die Nennung ihres Namens hatte sie aus der Bahn geworfen.
»Ich bin Jack Taylor, und, ja, ich weiß, wer Sie sind. Kommen Sie, ich kaufe Ihnen einen Kaffee.«
Sie schätzte ihre Stärke ein, tat mich als ausgebrannten Penner ab, egal, was ich gesagt hatte.
Sie sagte: »Ich kenne Sie nicht. Verpissen Sie sich.«
Der Stahl in ihren Augen – jetzt konnte ich mir problemlos vorstellen, dass sie vielleicht die Taten begangen hatte. Ich verbreiterte mein Lächeln, ließ rasch den Blick über den Friedhof schweifen.
»Was für eine Ausdrucksweise auf einem Gottesacker, aber hier ist der Deal. Sehen Sie sich diese Leute an, alle aus dem Claddagh, alle im Clan, und sie kennen mich. Sie … Sie sind nicht nur Engländerin – wenn ich denen sage, dass Sie ihre Verwandten umgebracht haben, reißen die Ihnen Arme und Beine aus.«
Sie riskierte einen Blick, und, tatsächlich, einige der Männer starrten sie feindselig an, hatten keinerlei Wärme in den Augen.
Sie versuchte: »Sie bluffen.«
Ich streckte die Arme aus, Hände geöffnet, Handflächen nach vorn. »Probieren Sie’s aus.«
Ich packte sie am Arm, sagte: »Ich verstehe das als Ja.«
Ich spürte, dass sie um sich schlagen wollte, aber sie spürte die Schwingungen an dem Ort und wollte sie nicht testen.
Sie sagte, TROTZ quer übers Gesicht geschrieben: »Den Kaffee zahle ich aber nicht.«
Ich nickte, zeigte, dass ich vernünftig war.
»’türlich nicht. Aber für alles andere werden Sie zahlen. Das ist kein Versprechen, das ist eine Garantie.«
Am Rande des Claddagh gibt es ein kleines Café, einen Laden ohne Rüschen. Sie machen keinen latte oder sonstiges Designer-Koffein, sie brühen einem große Pötte mit richtig starkem Java, und wenn einem das nicht passt, dann, tja, Scheiße. Wir gingen hinein, zogen unsere durchnässten Mäntel aus, setzten uns hin, eine Frau Ende sechzig kam und fragte nicht, sondern sagte: »Zwei Kaffee.«
Ich nickte.
Gail fragte: »Haben Sie vielleicht Apfelkuchen?«
Am frühen Morgen?
Sage einer was. Na ja, Engländerin, denke ich mal.
Sie sah mich an, und ganz kurz war sie ein junges Mädchen, fast naiv. »Ich liebe Apfelkuchen.« Die flüchtige Andeutung eines süßen Naturells, und dann saß die Maske wieder.
Der Kaffee kam, der Apfelkuchen kam, mit Schlagsahne beladen, und die Frau sagte: »Nettes junges Mädchen wie Sie hat doch mal was Süßes verdient.«
Ja, nett … bis sie einen jungen Mann gekreuzigt und seine Schwester verbrannt hat.
Sie grub sich in den Kuchen, sagte zwischen zwei Mundvoll: »Ich würde Ihnen was anbieten, aber ich geb total ungern ab.«
Das ließ ich erst mal stehen, sagte dann: »Ich bin nicht wirklich überrascht.«
Sie hatte ihren Kuchen in null Komma nix Gott sei Dank verputzt, wischte sich den Mund mit einer überraschend sanften Bewegung ab und stürzte etwas Kaffee herunter. Sie warf einen kurzen Blick in eine Ecke des Cafés, als sähe sie dort etwas. Was es auch war, es schien ihr Mut zu machen.
Dann sah sie mich schnell wieder an und fragte brüsk: »Und Sie, Arschgesicht, was wollen Sie?«
Der Wechsel war rasant. Im einen Augenblick Frollein Zierlich, und einen Lidschlag später Psycho City.
Ich untersuchte ihr Gesicht. Sie mochte einmal hübsch gewesen sein, aber das schwere Make-up, die massige Kinnpartie neutralisierten alle Attraktivität. Ihre Augen waren das interessante Merkmal. Niemand hat im Wortsinn schwarze Augen, aber sie kam der Sache so nah wie verdammich. Von ihr ging eine Energie aus, wie ein Feuerschwall aus dem Hochofen, und die gesamte Energie war bösartig. Ich zog mich ein paar Zollweit zurück. Wenn man so nah am Bösen sitzt, ist das ansteckend.
Ich fragte: »Was ist als Nächstes geplant? Der ältere Bruder lässt sich nicht blicken, wie werden Sie sich die Zeit vertreiben? Jetzt haben Sie Geschmack daran gefunden – am Umbringen von Menschen, meine ich. Sie werden nicht mehr aufhören können, und wissen Sie was? Sie werden nicht aufhören wollen.«
Das schien sie zu amüsieren. Sie beobachtete mich mit ihren schwarzen Augen, zuckte dann die Achseln.
»Sie wissen nichts über mich.«
Ich wünschte, ich hätte eine Zigarette gehabt, es wäre eindeutig mal wieder Zeit gewesen.
»Was gibt es da zu wissen? Sie sind eine sadistische Zicke, ein feiges Schwein, das sich leichte Beute geholt hat. Sie glauben, Ihre Mutter wäre stolz auf Sie? Anspucken würde sie Sie.«
Und der Blitz in ihren Augen, ganz kurz sah ich die Bestie, tödlich.
Sie beugte sich vor, zischte: »Sie Schweinehund, Sie lassen meine Mutter aus dem Spiel.«
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, sagte: »Ihre Mutter hat mit dem hier nichts mehr zu tun, Sie tun das, weil es Sie spitz macht.«
Daraufhin änderte sich ihre gesamte Körpersprache, und sie schlüpfte in eine Pose träger Sinnlichkeit, starrte in ihre bereits leere Tasse, schnurrte: »Ich will noch Kaffee.«
Verarschte mich, ein Terrain, auf dem ich besser spielen konnte. Ich sagte: »Holen Sie sich welchen.«
Sie holte sich keinen, bedachte etwas, sagte: »Das war interessant, aber na und? Sie haben keinen Beweis. Wenn Sie irgendwas tun könnten, wäre ich längst verhaftet. Sie sind bis oben hin voll Scheiße.«
Nichts gegen zu sagen.
»Gerechtigkeit findet nicht immer im Gerichtssaal statt«, sagte ich.
Das gefiel ihr sehr, sie fragte: »Sie glauben, Sie können es mit mir aufnehmen, ein abgewrackter alter Zausel wie Sie? Sie tragen eine Hörhilfe, Sie humpeln, Sie könnten Ihren Pimmel nicht mal mit dem Stadtplan finden.«
Vielleicht war es die Arroganz, oder wie sehr ich den Typ verabscheute, dem das Lagerhaus gehörte, oder nur ihr Virus, das auf mich abfärbte, aber plötzlich beschloss ich, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Es schien mir aus dem Nichts zuzufliegen, und vielleicht passieren so die schlimmsten Sachen, aus ganz spontaner Bosheit.
Ich sagte: »Meinetwegen brauchen Sie sich auch eigentlich keine Sorgen zu machen.«
Hatte ihre volle Aufmerksamkeit, und sie fragte, was ich meinte.
Ich sagte langsam, gemessen: »Es gibt da einen Mann namens King, besitzt ein Lagerhaus in der Father Griffin Road, hatte eine Schwäche für Maria, und anscheinend kann er irgendwie beweisen, dass Sie der Feuerteufel sind.«
Ich konnte buchstäblich sehen, wie sie den Namen mit den Lippen bildete, dann: »Sagen Sie ihm, er soll sich scheißenochmal aus meinen Angelegenheiten raushalten.«
Mit Behagen sah ich, dass ich zu ihr durchgedrungen war, legte noch ein bisschen nach.
»Hat nichts mit mir zu tun, aber dieser Typ hat Einfluss. Ich, ich bin niemand, wie Sie ganz richtig sagten. Aber der Bursche, der hat die Mittel, dafür zu sorgen, dass Sie zur Strecke gebracht werden.«
Ihre Augen schlossen sich kurz, und Gott sei Dank konnte ich nicht sehen, was sie dort sah.
Sie kam zurück, sagte: »Ich gehe jetzt.«
Ich starrte sie an, sie wirkte fast normal.
Dann: »Sie halten sich verdammtescheiße von mir fern, Taylor, und, wer weiß, vielleicht verliere ich das Interesse an Ihnen.«
Ich hielt ihrem Starren stand, sagte: »Da sitzt der Haken, Mädchen. Ich habe nicht die Absicht, das Interesse an Ihnen zu verlieren. Stattdessen werde ich mich als Nächstes mit Ihrem Bruder unterhalten. Und ich weiß, wo Sie wohnen, haben Sie das gewusst?«
Ihre Hand fuhr hoch, und sie konnte sie nur mit allergrößter Anstrengung zügeln.
»Schlafen Sie nicht zu tief, Taylor. Irgendwann bin ich bei Ihnen am Bett, Sie wachen auf und hören, wie ein Streichholz über die Reibfläche ratscht.«
Ich ließ mein Gesicht auf »neutral« eingerastet, sagte: »Ich werde Sie erwarten. Vielleicht komme ich dann sogar dazu, Ihnen die irische Version eines Kreuzes zu zeigen.«
Sie kapierte es nicht, musste es dringend erfahren, spuckte fast: »Wie zum Teufel ist die?«
»Och, so ziemlich wie das, was Sie dem Jungen angetan haben, mit einem Unterschied.«
Sie verdrehte die Augen abschätzig, fragte: »Und der wäre?«
»Mehr Nägel.«
Und weg war sie, wie ein Schreckgespenst, das eigentlich bei Tageslicht hier nichts zu suchen hat.