KAPITEL SIEBZEHN
»Es ist eine Furcht einflößende, eine entsetzliche Vorstellung, dass wir vielleicht in diesem und in jedem anderen Augenblick von bösen Geistern umgeben sind.«
RICHARD WHATELY
Der Tag verflog in Windeseile, sodass ich eigentlich nicht dazu kam, mich vorzubereiten. Ich war froh darüber und bemühte mich, beschäftigt zu bleiben, nur um nicht daran denken zu müssen, dass ich Lincoln heute Abend sehen würde.
Am Nachmittag ging Phoenix weg, er versprach, gegen sieben zurückzukommen, um Steph und mich abzuholen. Es war uns erfolgreich gelungen, jedes weitere Gespräch über unseren »Moment« zu vermeiden, und ich war erleichtert, dass er es auf sich beruhen ließ … zumindest fürs Erste.
Steph kreuzte mit etwa einer Tonne Kleider im Arm auf. Sie hatte in den letzten sechs Monaten an allen Schulen in der Umgebung Einladungen zum Abschlussball gesammelt. Sie bezeichnete das als »Hobby«. Überflüssig zu erwähnen, dass sich ihre Garderobe wesentlich vergrößert hatte, und ich hatte den Verdacht, dass das die treibende Motivation war. Es war nicht das erste Mal, dass ich von den Folgen profitierte.
Nachdem wir das Kleid beiseitegelegt hatten, das sie tragen wollte, breitete sie den Rest vor mir aus, damit ich mir etwas aussuchen konnte. Die Wahl fiel mir leicht, als ich sah, dass sie das schwarze Trägerlose mitgebracht hatte, das ich schon vor Monaten ins Visier genommen hatte. Früher hatte ich versucht, dagegen anzukämpfen – zu kombinieren oder Farben zu tragen –, aber Tatsache war, dass ich Schwarz mochte, und Schwarz mochte mich auch. Das Kleid war schlicht, aber ich wusste, dass ich mit meinen Kurven und dem eleganten Schlitz an der Seite so gut aussehen würde, wie es nur ging. Als Steph dann noch ein Paar Jimmy Choos vor meinem Gesicht herumbaumeln ließ, dankte ich dem Himmel, dass wir dieselbe Schuhgröße hatten. Einer der Vorteile, einen Vater zu haben, der permanent woanders arbeitete, bestand darin, dass er bei seiner Rückkehr immer seine Chefsekretärin Geschenke für Steph und Jase besorgen ließ. Steph und die Chefsekretärin ihres Dads waren inzwischen dicke Freundinnen. Im Grunde gab sie ihr immer eine Shopping-Liste mit Designerklamotten und – schuhen und – schwupps! – wurden Pakete mit dem Besten, was die Modesaison zu bieten hatte, an ihrer Haustür abgegeben.
»Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich die trage?«, fragte ich, auch wenn ich nicht vorhatte, sie wieder herzugeben.
»Kein Problem!«, rief Steph aus dem Bad, wo sie gerade letzte Hand an ihr Make-up anlegte.
»Danke. Wie läuft es mit dir und Marcus?«, fragte ich und fühlte mich schuldig, dass ich so wenig Anteil an dem genommen hatte, was gerade in Stephs Leben passierte. Es wurde Zeit, dass ich eine bessere Freundin wurde.
Sie kam aus dem Bad in mein Zimmer gewirbelt. »Großartig! Was hast du anderes erwartet? Er ist toll, klug, sexy und erfolgreich. Ganz zu schweigen von seiner Familie – einflussreicher geht’s nicht.« Ihr Tonfall war sachlich, aber ich musste einfach lachen.
»Okay, aber ich meinte jetzt eher, ob du ihn magst.«
Sie schaute mich an, als hätte ich überhaupt nicht kapiert, um was es hier eigentlich ging. »Violet, Süße, ich habe nur gesagt, dass er attraktiv, klug und voller Potenzial ist – was will ich mehr, damit mir ganz warm ums Herz wird?«
Dagegen war nichts einzuwenden.
»Aber genug von mir. Was läuft da zwischen dir und Mr Rette-ein-Fräulein-in-Not?«
Wieder machte ich mich bereit, ihr alles zu erzählen. Ich wollte sie ins Vertrauen ziehen, aber wie beim letzten Mal konnte ich die Worte einfach nicht aussprechen.
»Wir sind Freunde«, sagte ich schließlich, als ich auf dem Bett saß und die Schnallen an meinen Schuhen schloss.
»Aha.«
»Sind wir wirklich.«
»Du willst damit sagen, dass du keinerlei warme, prickelnde Gefühle hast, wenn du bei ihm bist?«
»Nein. Okay, na ja … vielleicht.« Ich schüttelte den Kopf – sowohl über mich selbst als auch über Steph. »Ich bin sowieso nicht auf der Suche nach so etwas.«
»Na, ob du willst oder nicht – du hast etwas«, sagte Steph. Ich stöhnte und verbarg das Gesicht in den Händen.
»Vi, es ist okay, wenn du ihn magst. Warum versuchst du nicht einfach, ein wenig Spaß zu haben? Das wird dich nicht umbringen.«
»Ja, vielleicht. Ich kann nur einfach nicht aufhören, an …«Ich konnte es noch nicht mal ertragen, seinen Namen zu sagen.
»Dann ist es vermutlich gut, dass du ihn heute Abend siehst. Du hast ihn dir in deinen Gedanken aufgebauscht, als wäre er irgendein Gott, aber das ist er nicht, Vi. Wenn du ihn heute Abend siehst, wirst du das begreifen.«
Ja, klar … genau so würde es laufen. Ich schluckte es und setzte ein tapferes Gesicht auf. »Du hast recht. Das schaffe ich.«
»Ja, das schaffst du. Außerdem wird er wahrscheinlich der Länge nach aufs Gesicht fallen, wenn er dich in diesem Kleid sieht.« Sie stand vor mir und sprühte mich ein paarmal mit Parfüm ein. »Es irritiert mich ein winziges bisschen, dass du in meinem Kleid besser aussiehst als ich.«
Ich schaute in den Spiegel. Das war nicht gelogen; das Kleid betonte eindeutig meine Vorzüge. Steph war schlank und hübsch, hatte wunderschöne, olivfarbene Haut und schulterlanges blondes Haar, das immer perfekt nach der neuesten Mode gestylt war. Aber sie hatte obenrum nichts. Sie machte immer Witze darüber, aber ich wusste, dass sie mich um meine Kurven beneidete.
»Und«, fuhr sie mit ihrer verschwörerischen Stimme fort, »wenn alle Stricke reißen, hast du mit Phoenix das perfekte Accessoire, um ihn eifersüchtig zu machen.«
Aus der Perspektive hatte ich es überhaupt noch nicht betrachtet. Ich wusste nicht, ob das gut war oder nicht, konnte aber nicht leugnen, dass mir die Idee gefiel, ein bisschen zusätzliche Munition zu haben.
Phoenix holte uns um Punkt sieben ab. Er war ekelhaft pünktlich. Als wir die Eingangshalle von Dads Gebäude betraten, war es, als wären wir im Wunderland. Der ganze Raum war mit Millionen von Lichterketten geschmückt. Sie bedeckten die Wände und fielen wie Stalaktiten schimmernd auf die Menschenmenge herunter. In der Ecke spielte eine Band, eine Frau sang mit rauchig-süßer Stimme. Kellner in weißen Smokings glitten durch den Raum und balancierten mit Champagnergläsern beladene Tabletts. Ein Meer glamouröser Menschen füllte das gesamte untere Stockwerk und ergoss sich auf die Terrassen, die sich zur Nacht hin öffneten. Alle Gäste hatten viel zu viel von allem an sich. Einen Moment war ich befangen und hoffte, dass ich mich schick genug gemacht hatte – ich fühlte mich ein wenig nackt so ganz ohne Schmuck und mit offenem Haar.
Wie aufs Stichwort flüsterte mir Phoenix ins Ohr: »Du bist so sexy, dass ich Mühe habe, meine Hände bei mir zu behalten.«
Ich wurde ruhiger und lächelte. Dieses ganze »meine Gefühle lesen«-Gedöns hatte auch seine Vorteile, dachte ich.
Steph passte gut hierher, sie trug ein atemberaubendes smaragdgrünes Seidenkleid, das ihre olivfarbene Haut umschmeichelte. Die Tatsache, dass sie sich kunstvoll eine Perlenkette um den Hals geschlungen hatte, unterstrich ihre Wirkung noch.
Phoenix sah umwerfend aus. Ohne Krawatte oder Jackett, aber das passte zu seinem Look. Er war ganz in Schwarz, deshalb sah sein Haar einfach unglaublich aus. Seine Farbe war ein ganz dunkles Pflaumenblau, fast Schwarz, dazwischen glänzend silbrige Strähnen.
Wo immer er war, drehten sich Frauen zu ihm um, geblendet von seiner jenseitigen Schönheit. Es war, als würde er eine bleibende Aura hinterlassen, die sie anzog. Er war sich dessen bewusst, gab sich aber unbeeindruckt – und während er Steph und mir genau die richtigen Komplimente machte, wandte er niemals den Blick von mir ab.
Wir mischten uns unter die Leute und Phoenix brachte uns beiden ein Glas Champagner.
Kurz nach unserer Ankunft fand uns Dad. Er sagte Steph kurz Hallo, für Phoenix hatte er kaum ein Nicken übrig, dann schleifte er mich davon, um all die Leute zu begrüßen, die ich kennenlernen sollte. Die Formalitäten dauerten nicht lange und ich konnte zu Steph und Phoenix zurück. Ich überlegte, ob ich nicht einfach mit ihnen verschwinden sollte, aber ich wusste, dass Dad wahrscheinlich später noch eine zweite Runde mit mir durch den Raum machen wollte.
Die Vorstellung, Lincoln zu sehen, beherrschte jeden meiner Gedanken. Mein Kopf fuhr beim kleinsten Geräusch herum. Jedesmal, wenn ich einen Mann lachen hörte oder spürte, dass jemand hinter mir vorbeiging, wirbelte ich herum. Ich hasste es, verwundbar zu sein, und noch mehr hasste ich, dass er mich sofort durchschauen würde.
Gerade als ich dachte, dass Dad vielleicht recht gehabt hatte und Lincoln gar nicht auftauchen würde, entdeckte ich ihn. Eine Gruppe von Leuten neben uns ging weiter und gab dadurch den Weg frei, der direkt zu ihm führte. Er war keine zehn Meter von mir entfernt.
Fast hätten auf der Stelle meine Knie nachgegeben. Es war, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen, und mir stockte der Atem. Auch nach allem, was passiert war, war er einfach noch immer der schönste Mensch, den ich jemals gesehen hatte.
Er hatte einen perfekt geschnittenen Anzug an. Ein frisches weißes Hemd mit offenem Kragen, eine schwarze Hose und ein Jackett. Er lehnte an einem der Träger aus poliertem Beton in der Mitte des Raumes, Hände in den Hosentaschen, und sah einfach hinreißend aus. Aber auch anders – sogar aus der Ferne konnte ich sehen, dass sein Gesicht etwas eingefallen war und seine Augen müde aussahen, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
Mein Körper begann, sich instinktiv auf ihn zuzubewegen – wie ein Magnet, der von einem anderen angezogen wird. Aber als der Rest der Gruppe sich auflöste, blieb ich wie angewurzelt stehen.
Lincoln war nicht allein.
Eine Frau war bei ihm. Während ich sie beobachtete, beugte sie sich nah zu ihm und strich ihm über die Schulter, damit er ordentlich aussah, so als wäre sie die Person in seinem Leben, der diese Rolle zukam.
Ich hasste sie.
Lincoln schaute durch die Lücke, die entstanden war, herüber und sah mich. Ich hörte auf zu atmen. Er richtete sich auf.
Ich spürte Gefühle in mir aufwallen; Eifersucht und noch etwas anderes, von dem ich nicht ganz sicher war, worum es sich handelte. Alles, was ich wusste, war, dass sie sehr heftig waren – und dass es nicht meine eigenen Gefühle waren. Ich warf Phoenix, der noch immer neben mir stand, einen Blick zu. Ich wollte ihn beschwichtigen, aber mein Blick schoss zurück zu Lincoln. Ich starrte ihn an, als auch er Phoenix anschaute und dann wieder mich. Er sagte etwas zu der Frau, die ihn begleitete, und kam dann herüber. Mein Herz schlug so heftig, dass ich es durch meinen ganzen Körper pulsieren spürte. Phoenix rückte ein bisschen näher. Ich versuchte, das Gefühl auszusperren, das er zu mir durchsickern ließ.
Ich erwartete, dass sich Lincoln geschäftsmäßig verhielt. Eigentlich weiß ich nicht, was ich erwartete, aber ich glaubte, dass es unbehaglich werden würde. Aber als er sich näherte, überschritt er den Sozialabstand, den die Höflichkeit gebot, was ich nicht erwartet hatte. Er ergriff meine Hand, zog mich an sich, umarmte mich fest. Vor Überraschung übernahmen meine natürlichen Instinkte und mein Körper schmolz dahin. Zum ersten Mal seit Wochen atmete ich vollständig aus und umarmte ihn ebenfalls. Er zog mich noch fester an sich, bis ich nicht mehr atmen konnte, aber das war mir egal. Oh Gott, nur dieser eine Moment. Ich brauche das. Ich kann nicht loslassen. Noch nicht.
»Ich habe dich vermisst«, flüsterte er mir ins Ohr. Ein Schauder durchlief meine Wirbelsäule. Ich wollte noch näher kommen, ihn fester halten, niemals mehr loslassen. Dann erinnerte ich mich. Kam einigermaßen zu Verstand und erinnerte mich an den Schmerz. Ich trat zurück und er ließ mich los.
Phoenix nahm meine Hand. Es war nicht die Hand, die ich wollte, auch wenn ich mir Mühe gab, das zu verbergen.
Lincoln richtete sich auf und riss sich sichtlich zusammen, wobei er ein wenig an seinem Jackett zupfte. Er räusperte sich. »Tut mir leid, dass ich unhöflich war«, sagte er förmlich und schaute Phoenix aus schmalen Augen an. »Ich bin Lincoln. Ich glaube, wir haben uns an Violets Geburtstag kurz gesehen.«
Shit. Das hatte ich ganz vergessen.
»Phoenix.«
Lincoln bot ihm die Hand an. Als er seinen Arm ausstreckte, rutschte der Ärmel seiner Jacke nach hinten und enthüllte das Silberarmband, das sich um sein Handgelenk schmiegte.
Phoenix schwieg. Er sah es auch. Ich hatte den starken Verdacht, dass Lincoln das absichtlich getan hatte.
»Lieber nicht«, sagte Phoenix.
Lincolns Blick schoss von Phoenix zu mir. »Ich wusste es! Violet, er ist ein …«
Ich fiel ihm ins Wort. »Ich weiß, was er ist. Er hat mich in Bezug darauf, wer er ist, nie angelogen, Lincoln.«
Ich schaute ihm in die Augen, die erste meiner unkooperativen Emotionen drohte überzulaufen. Steph warf mir einen fragenden Blick zu. Ich schüttelte nur den Kopf; ich konnte mich momentan nicht mit ihren Fragen befassen.
Lincoln richtete seine Aufmerksamkeit auf Phoenix. »Was machst du mit ihr? Warum ist es so schwierig, dich wahrzunehmen? Ist das alles ein Spiel für dich?« Lincolns ganzes Gebaren hatte sich verändert; seine Präsenz war jetzt stark, bedrohlich.
Phoenix drückte meine Hand. »Es ist kein Spiel. Violet brauchte jemanden, der ihr über diese Zeit hinweghalf. Ich bin mir sicher, dir ist bewusst, dass sie stärker ist als die meisten. Warst du nicht um ihre Sicherheit besorgt?« Ich konnte spüren, wie Wut in ihm aufstieg.
Lincoln schlug zurück und setzte noch eins drauf. »Natürlich war ich besorgt! Aber ich respektiere ihr Recht, in Ruhe gelassen zu werden, bis sie bereit ist.«
Die Leute begannen sich nach ihnen umzudrehen.
»Du warst unvorsichtig. Sie ist wie eine wandelnde Leuchtreklame. Du warst nicht für sie da. Ich schon.« Phoenix versuchte es auf die sachliche Tour, aber keinem von uns entging, dass seine Worte vor revierbezogenem Testosteron nur so trieften.
Lincoln lachte. »Und bei dir soll sie sich sicher fühlen? Was? Bist du in sie verknallt? Sie würde nie mit jemandem wie dir zusammen sein!«
Phoenix sagte einen Moment lang nichts; er schaute Lincoln nur direkt in die Augen und ein gefährliches Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Er schwang die Hand, in der die meine lag, ein paarmal in die Luft und zuckte die Achseln.
»Und doch …« Er neigte den Kopf und schaute auf unsere verbundenen Hände. Lincoln presste so fest den Kiefer zusammen, dass es aussah, als würde ihm gleich eine Ader platzen.
»Stopp!« Ich schrie fast. Alles hier wurde mir viel zu schnell viel zu hitzig. Es war keine gute Idee, diese beiden Jungs in denselben Raum zu stecken.
»Hör mal.« Ich zog meine Hand aus Phoenix’ Hand. »Ich brauche keinen heldenhaften Beschützer, ihr könnt also beide einfach aufhören!«
Steph, die immer noch schweigend an meiner Seite stand, sprang ein. »Ähm, Jungs, ich will euer testosterongeladenes Unentschieden wirklich nicht abbrechen, aber die Leute schauen schon.« Sie sah Lincoln an. »Und übrigens – ich freue mich auch, dich zu sehen, Lincoln.« Sie bedachte ihn mit einem schmallippigen Lächeln.
»Hi, Steph. Entschuldige«, sagte Lincoln und sah beschämt aus. Dazu hatte er auch allen Grund. Aber andererseits war er nicht der Einzige, der sich so aufgeblasen hatte.
»Ja, ja«, fuhr Steph fort. »Ich habe eindeutig keine Ahnung, was hier eigentlich vorgeht.« Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich würde noch eine Menge zu erklären haben. »Ich bin zwar offensichtlich nicht eingeweiht, aber die Sache ist die: Ihr seid zwei und Violet gibt es nur einmal, und Gott sei Dank ist sie nicht dafür gemacht, mit euch beiden gleichzeitig fertigzuwerden.«
Dieses Mal warf ich ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie lächelte nur und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Phoenix. »Warum gehen wir beide nicht einfach an die Bar und trinken etwas? Violet kommt dann später dazu, wenn sie fertig ist.«
In diesem Augenblick liebte ich Steph so sehr, dass mir die Worte fehlten. Phoenix folgte ihr widerwillig, aber nicht, bevor er sich nicht noch amüsiert hatte. Er drückte mir schön langsam einen Kuss auf die Wange, gefolgt von einem Abschiedslächeln für Lincoln. Das war nervig, vor allem weil Phoenix derjenige war, der die letzten paar Wochen darauf herumgeritten war, dass ich mich mit Lincoln treffen sollte.
Schweigend gingen wir hinaus auf die hintere Terrasse. Frische Luft war bestimmt eine gute Idee, und den Abstand zwischen Lincoln und Phoenix zu vergrößern, eine noch viel bessere.
»Du siehst hübsch aus mit offenen Haaren«, sagte er, ohne mich anzuschauen.
Seine Stimme berührte den Teil von mir, den nur sie berühren konnte, und ich wollte kapitulieren, hineintauchen, aber ich ermahnte mich, dass diese Zeiten vorüber waren.
»Du hast es schon Millionen Male offen gesehen.« Ich wich ihm aus und klemmte mir die Haare hinter das Ohr.
»Und Millionen Male wollte ich dir schon sagen, wie schön es aussieht.« Er wandte sich um und schaute mir in die Augen, dann senkte er den Blick bewusst zum Ausschnitt meines Kleides. Verglichen damit, wie Phoenix mir seine Emotionen aufzwang, war das subtil, aber es traf mich trotzdem wie eine Abrissbirne. Ich wollte so gern auf ihn zugehen. Er hatte sich noch nie zuvor erlaubt, mich so anzuschauen.
»Lass das«, sagte ich stattdessen.
»Okay«, sagte er, und es klang, als müsse er sich verteidigen. »Wenn du gleich wieder zu deinem Freund zurückmöchtest«, er schwenkte seinen Arm in Richtung Tür, »dann lass dich von mir nicht aufhalten.«
»Er ist nicht … du hast nicht das Recht … verdammt!« Ich bekam nicht einmal einen Satz zustande, wenn er vor mir stand.
Lincoln steckte die Hände in die Taschen und blickte zu Boden. Solange er nicht herschaute, holte ich ein paarmal tief Luft, um mich zu beruhigen.
»Entschuldige«, murmelte er. »Aber es hat mich wahnsinnig gemacht, dich nicht zu sehen und nicht zu wissen, wie es dir geht. Ich habe versucht, deinen Freiraum zu respektieren, aber dann kreuzt du hier mit ihm auf.«
»Tut mir leid, dass es so schwer für dich war«, antwortete ich sarkastisch. »Was machst du überhaupt hier?«
»Die Organisation hat mich eingeladen. Ich bin einer ihrer wichtigsten Spender.«
»Noch etwas, wovon ich nichts wusste«, sagte ich leise.
»Es ist ein Treuhandfonds, der eingerichtet wurde, als meine Mutter starb. Es ist nichts, worüber ich oft nachdenke. Ich habe es nicht vor dir geheim gehalten.«
Er hatte nie viel über seine Eltern gesprochen. Alles, was ich wusste, war, dass sein Vater eine Woche, nachdem Lincoln geboren worden war, bei einem Autounfall umkam, und dass seine Mutter an Krebs starb, als er siebzehn war. Offensichtlich war sie eine Art Unternehmerin, und da Lincoln Einzelkind war, hatte er eine ganze Menge Geld geerbt, soweit ich mitbekommen hatte – zumindest genug, um sich die Lagerhalle zu kaufen. Das Gästezimmer in seiner Wohnung war bis zur Decke mit Schachteln gefüllt, in denen sich alte Firmendokumente seiner Mutter befanden. Er betrat dieses Zimmer nie, sagte aber immer, dass er es aufräumen und einen Fitnessraum daraus machen würde, allerdings wusste ich genau, dass er das nie tun würde.
Er senkte die Stimme. »Du solltest ihm nicht trauen.«
»Ich hätte dir nicht trauen sollen«, sagte ich im gleichen Ton zu ihm.
Über meinen Worten verzog er schmerzlich das Gesicht, was echt aussah, aber es überzeugte mich nicht.
»Hast du entschieden, was du tun willst?«, fragte er; er wandte sich von mir ab und stützte die Hände auf das Geländer. »Ob du ein Grigori werden willst?«
»Nein. Um ehrlich zu sein, muss ich über die ganze Sache noch eine Menge herausfinden.«
»Lässt du mich dir dabei helfen?« Er bettelte fast.
Die Wahrheit war, dass das, was mit Claudia passiert war – wie der Verbannte sie gezwungen hatte, sich niederzuknien und um ihren Tod zu bitten – etwas in mir angerichtet hatte. Zu sehen, wie ihr völlig reulos der eigene Wille entrissen wurde. Ich wusste nicht mehr, ob ich mich wirklich von meinem Schicksal abwenden konnte, wenn mir klar war, dass ich eines Tages möglicherweise in der Lage sein würde zu verhindern, dass das einem anderen unschuldigen Menschen passierte.
Außerdem wusste ich, dass ein Teil von mir noch immer so unglaublich danach hungerte, bei Lincoln zu sein, dass ich seinem Angebot nicht widerstehen konnte. Ich legte die Hände auf das Geländer und wir schauten beide in die Nacht hinaus, Schulter an Schulter.
»Okay«, gab ich nach. »Aber das heißt nicht, dass alles okay ist.«
»Okay«, sagte Lincoln.
Großartig. Alles war okay.
Die Frau, die mit Lincoln gekommen war, tauchte an seiner Schulter auf. Ihre groß gewachsene, anmutige Gestalt und das gewellte blonde Haar wurden durch ein hautenges, cremefarbenes Designerabendkleid ergänzt. Ich knirschte mit den Zähnen. Perfekt, jetzt hatte ich auch noch das Vergnügen, wegen dieser schönen Kreatur einen Korb zu bekommen.
Sie machte ihm ein Zeichen, dass sie mit ihm unter vier Augen sprechen wollte. Statt darauf einzugehen, sagte Lincoln: »Violet, das ist Magda. Sie ist Griffins Partnerin.«
Magda schaute mich an und lächelte, aber es war die Art von Lächeln, das eine Frau einer anderen schenkt, wenn sie sie abcheckt. Ihre Augen waren kalt. Sofort fiel es mir leichter, sie nicht zu mögen. Sie streckte ihren langen, schlanken Arm vor, der zum Rest ihrer perfekten Figur passte.
»Grigori-Partner«, stellte sie klar. Dreimal darf man raten, warum. »Schön, dich endlich kennenzulernen, Violet. Ich bin mir sicher, dass wir bald die Gelegenheit haben werden, uns besser kennenzulernen. Es tut mir leid, dass wir jetzt gehen müssen.« Sie hatte einen leichten Akzent. Keinen fremden, sondern eher einen »Du-bistunter-meiner-Würde«-Akzent.
»Warum?« Lincoln klang ein wenig irritiert.
Magda schaute vielsagend von Lincoln zu mir und dann wieder zurück.
»Schon gut, Magda. Du kannst vor ihr sprechen. Es wird keine Geheimnisse mehr geben.«
Ich stieß ein höhnisches Lachen aus, und beide schauten mich an. Wenn sie glaubten, ich würde mich dafür entschuldigen, konnten sie lange warten.
Sie zögerte, dann nickte sie knapp. »Die Gruppe, die heute unserem Hinweis gefolgt ist, ist in einen Hinterhalt geraten. Griffin erwartet uns.«
Lincoln biss die Zähne zusammen. Er schaute mich an. »Ich muss gehen, es tut mir leid.«
Aus dem Nichts platzte ich heraus: »Ich möchte mitkommen.«
Nun war es an Lincoln, seinen Blick von mir zu Magda wandern zu lassen. Sie schüttelte leicht den Kopf. Tja, sie und ich würden niemals beste Freundinnen werden.
Zu meiner Überraschung ignorierte Lincoln sie. »Sie hat das Recht, es zu sehen, um zu verstehen.« Er wandte sich mir zu. »Okay, aber du musst mir versprechen, die ganze Zeit bei mir zu bleiben.«
Ich nickte. Ich war mir eigentlich nicht sicher, was ich da gerade tat, aber ich hatte den schuldbewussten Verdacht, dass ich diesen Schritt aus purer Eifersucht unternommen hatte.
Auf dem Rücksitz von Magdas Wagen lehnte ich den Kopf an die Fensterscheibe. Da ich keine Zeit hatte, mich zu verabschieden, schickte ich Steph eine SMS, um ihr und Phoenix mitzuteilen, dass ich wegmusste. Insgeheim war ich froh, einen Vorwand zu haben. Ich hatte mich nicht gerade darauf gefreut, mich heute Abend noch mit einem von ihnen befassen zu müssen. Zweifellos würde ich morgen dafür bezahlen.
Vorne sprachen Magda und Lincoln über Dinge, die ich nicht verstand, und über Menschen, die ich nicht kannte. Prickelnde Eifersucht überkam mich. Wieder wurde ich mit der harten Realität konfrontiert, dass es einen großen Teil in Lincolns Leben gab, von dem ich keine Ahnung hatte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich so dumm gewesen war, so naiv.
Ein paar andere Dinge wurden dafür nur allzu deutlich, wenn man die beiden beobachtete. Er war entspannt und fühlte sich in ihrer Gegenwart eindeutig wohl. Obwohl sie fuhr, fuchtelte sie dauernd mit ihren Händen herum, strich sich über das Haar, spielte mit ihrer Halskette. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit rückte sie näher an die Mittelkonsole heran, an ihn. Es war klar, was sie empfand. Die Frage war, was empfand er für sie?
Was ich – außer meiner komplexen Analyse ihrer Körpersprache – ihrem Gespräch entnehmen konnte, war, dass es zu einer Konfrontation zwischen einigen verbannten Engeln und Grigori gekommen war. Die Grigori hatten die Verbannten zu ihrem Unterschlupf verfolgt, waren aber in einen Hinterhalt gelockt worden und zahlenmäßig unterlegen.
»Kannst du mir noch mal erklären, warum sie die Grigori so hassen?«, fragte ich von den vornehmen Ledersitzen hinten im Audi. Natürlich fuhr Magda ein teures europäisches Auto.
Lincoln wandte sich zu mir um und beugte sich dabei über die Mittelkonsole. Ich merkte, dass sich Magda nicht rührte, um ihm Platz zu machen. Stattdessen berührten sich ihre Arme jetzt von der Schulter bis zum Ellbogen. Ich rollte innerlich mit den Augen. Konnte sie bitte noch ein wenig eindeutiger werden?
»Weil wir das Einzige sind, was ihnen im Weg steht«, sagte er.
»Ihrem Weg wohin genau?«
»An die Macht.« Er lächelte schief. »Sie wollen über die Menschheit herrschen. Sie wollen Macht und sie wollen uns unser Recht auf einen freien Willen nehmen, uns zu Sklaven machen. Sie können Menschen fast zu allem zwingen. Manche sind unberechenbar, irrational … Andere sind organisierter. So oder so – mit dieser Art von Macht ist das übel. Sie wollen uns vernichten, weil wir die Einzigen sind, die sie aufhalten können, und … wir sind die Einzigen, die stark genug sind, gegen sie zu kämpfen.« Er schüttelte den Kopf, während er sprach. »Das ist manchmal das Schlimmste daran. Zu wissen, dass sie es so sehr genießen, Grigori zu jagen … dass es zu einer Unterhaltung für sie geworden ist, zu einem Sport.«
»Aber nicht alle wollen Schaden anrichten«, sagte ich. »Griffin hat gesagt, dass es auch Ausnahmen gibt.«
Lincoln wusste sofort, auf wen ich damit anspielte. Er drehte sich wieder in seinem Sitz um und schaute mich nicht länger an. »Hin und wieder möchte ein Engel, der beschlossen hat, in die Verbannung zu gehen, einfach in Frieden unter den Menschen leben. Wir nennen sie ›die Stillen‹ und lassen sie gewähren, solange sie keine Schwierigkeiten machen. Die meisten Verbannten sind jedoch von Stolz, Verlangen und Machthunger erfüllt. Nicht ohne Grund haben sie das Engelreich verlassen, um hierherzukommen, und für Menschen endet das meistens nicht gut.«
Magda parkte vor einem alten Lagerhausblock. Die Gegend kam mir bekannt vor. Ich war mir sicher, dass wir nicht weit von Lincolns Wohnung entfernt waren. Ganz plötzlich erlitt ich einen akuten Anfall von so etwas wie Heimweh. Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt.
Ich folgte ihnen langsam in das verlassene Gebäude. Es sah aus, als würde es bald abgerissen werden. Die schmutzigen Fensterscheiben waren fast alle zerbrochen. Einige alte, platt gedrückte Kartons lagen herum, die offensichtlich als provisorische Betten benutzt worden waren.
Am anderen Ende der Lagerhalle war eine kleine Gruppe von Leuten, sie hatten sich um etwas zusammengedrängt. Wir gingen auf sie zu, wobei meine Absätze klapperten. Der Fußboden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, auf der frische Fußabdrücke zu sehen waren und Spuren, als wäre etwas über den Boden geschleift worden. Steph würde mich umbringen, wenn sie den Zustand ihrer Jimmy Choos sah.
Ich fühlte mich fehl am Platz, wie ein Kind, das gerade in einen nicht jugendfreien Film geschmuggelt wurde. Ich erwartete, dass jemand auf mich aufmerksam würde. Magda schaute mich aus den Augenwinkeln an. Ganz offensichtlich hielt sie es nicht für richtig, dass ich hier war.
Griffin löste sich aus der Gruppe und kam auf uns zu. Als er mich sah, lächelte er und ich atmete aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
»Ich hatte mich allmählich schon gefragt, ob ich erst einen Suchtrupp aussenden muss«, sagte er.
Ich lächelte. Seine Versuche, witzig zu sein, waren irgendwie ungeschickt.
»Also, hier bin ich«, erwiderte ich.
»Ja.« Griffin warf Lincoln einen Blick zu. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass es nicht nötig wäre, dich gleich ins kalte Wasser zu werfen …« Er starrte noch immer Lincoln an. »Aber ich fühle mich geschmeichelt, dass du dich so schick gemacht hast.«
Ich nahm ihn ins Visier. »Es war meine Idee, mitzukommen, du kannst also mit den vorwurfsvollen Blicken aufhören.«
Auf Griffins Gesicht zeichnete sich Schockiertheit ab. Wahrscheinlich war ich ein bisschen zu weit gegangen, aber ich hatte das Gefühl, mich behaupten zu müssen. Das letzte Mal, als er mich gesehen hatte, war ich ein heulendes Elend gewesen. Ich konnte nicht zulassen, dass er glaubte, ich sei ein solches Mädchen.
Lincoln fing an zu lachen. Ich wirbelte herum und sah, wie er den Kopf schüttelte.
»Was?«, fauchte ich ihn an. Auch Griffin wirkte verunsichert.
»Nichts, ich habe Griffin nur noch nie so verdutzt gesehen. Normalerweise kann er die Leute immer schon einschätzen, wenn sie noch Meilen entfernt sind.«
Ich drehte mich wieder zu Griffin um, aber er fing selbst an zu lachen.
Magda schnaubte. »Ist das jetzt wirklich der richtige Ort für solche Scherze, Leute?« Dann stolzierte sie davon.
Ich weiß nicht, ob es ihre Worte oder ihre Haltung waren, die mich zum Lachen brachten, aber wie dem auch sei – einen kurzen Augenblick lang lächelten wir alle.
Lincoln erinnerte sich als Erster wieder daran, weshalb wir gekommen waren. Er runzelte die Stirn und wandte sich an Griffin. »Was ist passiert? Ich dachte, heute Abend sollte es nur um Auskundschaften gehen.«
Ein bedauernder Blick huschte über Griffins Gesicht. Seine Augen sahen müde aus und hatten dunkle Ringe. Es war ihm anzusehen, dass die Verantwortung für die Gruppe schwer auf ihm lastete.
»Sollte es auch. Wir wissen immer noch nicht, was passiert ist. Wie es passieren konnte, dass sie … Es ergibt keinen Sinn, Linc.« Fassungslos schüttelte er den Kopf.
»Wie viele haben wir verloren?«, fragte Lincoln und schaute zum anderen Ende des Werftgebäudes, wo all die anderen Grigori versammelt waren.
Griffin fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Drei. Wir dachten, es könnte vielleicht dieselbe Gruppe sein, die wir verfolgt haben, aber jetzt … sind wir uns da nicht mehr so sicher. Tom ist tot, Linc. Sie waren vorbereitet, organisiert.«
Lincoln erstarrte. Ich wollte ihn trösten, ihm wenigstens die Hand auf die Schulter legen, aber ich hielt mich zurück.
»Warum glaubst du nicht, dass es dieselbe Gruppe war?«, knurrte er. »Sie müssen es gewesen sein! Warum verfolgen wir sie nicht?«
»Weil unsere Leute von Kräften der Lichts und der Finsternis getötet wurden. Wir dachten zuerst, sie wären in ein Scharmützel zwischen den beiden Seiten geraten. Aber es trägt die Handschrift der Verbannten der Finsternis. Es kann sein, dass sie Verbannte des Lichts dazu zwingen, ihnen zu dienen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die eine Seite von der anderen Geiseln nimmt.«
»Könnte es sein, dass sie zusammenarbeiten?«, hakte ich ein.
»Licht und Finsternis? Nein. Sie arbeiten nicht zusammen«, sagte Griffin.
»Warum nehmen sie Geiseln?«, fragte ich.
»Weil ihre Kräfte, wenn sie sie über einen längeren Zeitraum hinweg einsetzen müssen, schwächer werden. Wenn sie andere Verbannte dazu zwingen können, die Drecksarbeit für sie zu machen, steht ihnen immer die volle Kapazität zur Verfügung«, erklärte Lincoln.
Griffin rieb sich wieder das Gesicht. »Ich weiß, es ist schwer zu glauben, Violet, aber Verbannte töten, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Wir verlieren gute Leute.«
»Ich weiß. Ich habe es selbst gesehen.« Ich biss mir auf die Lippe. Zeit für ein Geständnis.
»Was?«, riefen Griffin und Lincoln gleichzeitig.
»Ein Mädchen, das ich kannte. Sie wurde von einem Verbannten getötet.« Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen, sobald ich daran dachte, wie Claudia in meine offenen Arme gefallen war. »Er hat ihr das Genick gebrochen, direkt vor meinen Augen.« Ich schaute Lincoln an. »Ihr Name war Claudia. Du hast sie an meinem Geburtstag kennengelernt.«
Er machte einen Schritt auf mich zu und legte mir sanft die Hand unter den Ellbogen. »Was ist passiert? Wie bist du entkommen?«
»Phoenix. Er … hat ihn umgebracht.«
Lincoln und Griffin wechselten einen Blick. Lincoln schaute mich ein paar Momente lang nicht an, aber Griffin lächelte entschuldigend und nickte.
»Du siehst also, es gibt gute Gründe, weshalb wir in unterschiedlichen Reichen leben sollten, die räumlich getrennt sind.«
Ich nickte, weil ich immer besser verstand, dass Verbannte keine richtigen Engel mehr waren. Sie waren fehlgeleitete Egos mit Macht. Und zwar mit unglaublich viel Macht.
In diesem Moment stieg mein Respekt für Griffin … und Lincoln, und vielleicht sogar für meine Mum.
»Verstehe«, sagte ich.