27
Abseits der Hektik des hoch aufragenden Coruscants, in einer tiefen Schlucht der Stadtwelt, die man gemeinhin als »den Abgrund« bezeichnete, saß ein Dutzend Angehöriger verschiedener Spezies nervös an einem langen Tisch in einem fensterlosen und gut bewachten Raum. Dieser Raum befand sich im Herzen des unterirdischen Hauptquartiers des Geheimdienstes der Neuen Republik und war ausschließlich Angehörigen der höchsten Befehlsebene zugänglich. In diesem sterilen Reich, in dem sich Kunstlicht mit Sonnenstrahlen mischte, die durch ein System von Schächten über Spiegel nach unten gelenkt wurden, stand in der Ecke ein Gewächs mit großen Blättern, das aus seiner Umgebung herausragte wie eine Oase, und so hatte man ihm den Namen Fata Morgana gegeben.
Die verschiedenen Gespräche verstummten abrupt, als ein Signal an der Tür ertönte und Direktor Dif Scaur mit einem Stapel Durafolien und optischer Ausdrucke unter dem Arm eintrat. Ihm folgte ein metallgrauer modifizierter Protokolldroide. Als Scaur seinen Stuhl am Kopfende des Tisches erreichte, hatten sich bereits alle erhoben, doch diese offensichtliche Bekundung von Hochachtung ließ seine Miene nur noch finsterer werden, und mit einer barschen Geste bat er die Anwesenden, wieder Platz zu nehmen. Scaur, ehemals Admiral der Vierten Flotte, war ein großer und hagerer Mann und hatte tränende blaue Augen und ausgeprägte Geheimratsecken.
»Den ganzen Morgen habe ich in einer Sitzung mit dem Kommandostab der Verteidigungsstreitkräfte verbracht«, begann er mürrisch, »und der Rat erwartet noch heute Nachmittag einen vollständigen Bericht. Je eher wir die Sache also über die Bühne bringen, desto besser.«
Scaur blickte seine Stellvertreterin, die für solcherlei Einsätze zuständig war, verärgert an. »Colonel Kalenda, da Sie von Anfang an mit diesem Fiasko befasst waren, würde ich Sie bitten, mir zunächst einmal zu erklären, welche Teile von Han Solos Bericht auf Tatsachen beruhen und welche man für Auswüchse eines akuten Anfalls von Raumschwindel halten darf. Offen gestanden verstehe ich nicht recht, wie die Überläufer ihm überhaupt in die Hände gefallen sind.«
Belindi Kalenda setzte sich zurecht. »Sir, nachdem Major Showolter und sein Team in einen Hinterhalt der Friedensbrigade geraten waren, machten sich Showolter und die Überläufer auf die Suche nach den anderen Geheimagenten, die sich zu ihrer Unterstützung an Bord der Queen of Empire befinden sollten. Als der Major dann auf Solo stieß, nahm er an, Solo würde an der Operation teilnehmen…«
»Wann hat Han Solo denn je für uns gearbeitet?«
Kalenda räusperte sich. »Nun, Sir, ich habe seine Hilfe während der Centerpoint-Station-Krise in Anspruch genommen.«
Scaur blähte die Nasenflügel auf. »Das war vor sieben Jahren, Colonel.«
Kalenda hielt seinem Blick stand. »Major Showolter befand sich in äußerst schlechter Verfassung, Sir.«
Die Miene des Direktors wurde milder. »Wie geht es ihm?«
»Er hat eine hässliche Verbrennung an der Brust erlitten, befindet sich jedoch auf dem Weg der Besserung.«
Scaur nickte und blickte in die Runde. »Ich möchte allen mein Beileid aussprechen, die mit den Agenten Jode Tee und Saiga Bre’lya oder mit Dr. Yintal vom Geheimdienst der Flotte zusammengearbeitet haben. Ihr Tod – und auch der Tod der Agenten, die zu Showolters Hilfe abgestellt waren und die offensichtlich gefoltert wurden, damit sie das Losungswort preisgaben – ist nicht nur eine Katastrophe, sondern zudem eine Tragödie.« Erneut wandte er sich an Kalenda. »Die Überläufer fielen also Solo in die Hände, der sie anschließend der Friedensbrigade übergab.«
»Die Friedensbrigade besaß die Mittel, die Überläuferin mit Namen Elan zu enttarnen. Sie und ihre Begleiterin wurden an Bord eines Shuttles gebracht, mit dem sie zum Yuuzhan-Vong-Kriegsschiff überstellt werden sollten. Allerdings wurde die gesamte Mannschaft vermutlich von Elan vergiftet.«
»Durch Elans Atem, nehme ich an.«
»Jawohl, Sir. Solo konnte sie und Vergere befreien, war jedoch inzwischen davon überzeugt, dass die beiden Teil eines ausgeklügelten Komplotts waren, das allein dem Zweck diente, möglichst viele Jedi zu ermorden. Wie Sie wissen, hatte Elan um ein Treffen mit den Jedi gebeten, um ihnen Einzelheiten über eine Krankheit mitzuteilen, die angeblich Agenten der Yuuzhan Vong freigesetzt hatten. Wir konnten inzwischen in Erfahrung bringen, dass Elan sich dabei wahrscheinlich auf eine Molekularkrankheit bezog, die im vergangenen Jahr über hundert Todesopfer gefordert hat – obwohl bislang unklar ist, was die Jedi mit dieser Krankheit zu tun haben.
Auf jeden Fall glaubte Solo, er solle mit in dieses Komplott hineingezogen werden, und deshalb wollte er die Überläuferinnen in den Rettungskapseln seines Schiffes aussetzen, wobei er beinahe Elan zum Opfer gefallen wäre – oder besser, ihrem Atem, Sir.«
Scaur starrte sie einen Augenblick lang an, ehe er antwortete. »Aufgrund welcher Überlegungen entschied sich Solo, die beiden für Attentäter und nicht für politische Flüchtlinge zu halten?«
»Wie gesagt, Sir, war Solo davon überzeugt, dass Elan die Söldner der Friedensbrigade ermordet hatte, um ihre Rückkehr zu den Yuuzhan Vong zu verhindern. Die Rückstände, die in dem Shuttle gefunden wurden, gleichen denen an Bord von Solos Schiff. Die an den Männern vorgenommenen Autopsien – einschließlich eines Yuuzhan-Vong-Agenten – offenbarten, dass sie an einem Hämoglobinschock gestorben sind, der durch ein eingeatmetes, ätzendes und uns unbekanntes Toxin – ein Blutgift – ausgelöst wurde.«
Scaur fand Solos Bericht in dem Dokumentenstapel, den er mitgebracht hatte, überflog ihn, dann tippte er mit dem Zeigefinger darauf. »Solo behauptet, dass das, was Sie als Rückstände bezeichnen, ursprünglich lebendig war. Er beschrieb die Wesen als eine Art Milben, die aus der leeren Luft auftauchten.«
Kalenda presste die Lippen aufeinander. »Sir, ich will hier nicht behaupten, ich hätte das Wesen des Toxins oder die Art und Weise seiner Ausbringung verstanden. Ich weiß nur, dass Han Solo offenbar sterben sollte.«
»Und stattdessen wurde diese Elan selbst Opfer ihres eigenen Giftes.«
»Vermutlich. Und zwar in der Rettungskapsel, mit der Elans Begleiterin später floh.«
»Ist bekannt, was aus der Kapsel wurde?«
»Bislang nicht. Wir haben den Planetoiden abgesucht, aber nichts gefunden. Möglicherweise ist die Kapsel irgendwo dort draußen, verborgen in einer Spalte oder einer Höhle; genauso gut könnte sie von der feindlichen Fregatte aufgenommen oder während des Gefechts zwischen der Fregatte und der Thurse zerstört worden sein.«
»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb Solo den Versuch unternehmen musste, sie zurückzuschicken«, schimpfte Scaur. »Nein, lassen Sie nur. So wie ich Solo kenne, erklärt sich sein Handeln aus seinem unverfrorenen Charakter.«
»Zu Solos Verteidigung muss man sagen, dass er von einem feindlichen Kriegsschiff verfolgt wurde.«
»Ja, aber anscheinend wollte der Feind die Überläufer nicht zurückhaben.«
»Solo war überzeugt davon, dass Elan bereits einmal gemordet hatte und dies wieder tun würde – ihn sogar umbringen würde, um ihr Geheimnis zu wahren, und tatsächlich hat sie es ja versucht. Wäre Solo gestorben und wäre Elan zu uns gebracht worden, wer weiß, was sie noch angestellt hätte. Außerdem war uns diese Überläuferin von Beginn an verdächtig. Der Commander des Kreuzers Soothfast wird das bestätigen.«
Scaur nickte Kalenda zu. »Also einmal angenommen, Colonel, Solos Handeln sei gerechtfertigt gewesen, dann würden der Erfolg der Neuen Republik im Meridian-Sektor und der Sieg bei Ord Mantell in einem ganz neuen Licht erscheinen.« Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Wir hätten diese Sache dem militärischen Geheimdienst übergeben sollen. Sehen Sie nicht, wie wir jetzt dastehen?«
»Sir?«, fragte Kalenda.
»Der Kommandostab ist davon überzeugt, wir hätten die Sache versaut. Obwohl Elan eine Bedrohung darstellte, hätte man aus ihr großes Kapital schlagen können. Darüber hinaus hat jemand mit Zugang zur höchsten Geheimhaltungsstufe unsere Pläne zur Verlegung Elans der Friedensbrigade verraten.«
Scaur holte ein weiteres Durafoliendokument aus dem Stapel und sah es sich an. »Sechs Mitglieder des militärischen Geheimdienstes, vierzehn hausinterne Agenten, ein halbes Dutzend Senatoren des Rates für Sicherheit und Geheimdienst… Irgendjemand von ihnen hat die Information weitergegeben – entweder direkt an die Friedensbrigade oder an eine dritte Partei, die dies dann übernommen hat.« Erneut blickte er in die Runde. »Kommt eine dieser Personen als mögliche undichte Stelle in Frage?«
»Alle hatten Zugang zu den gleichen Informationen«, erklärte Kalenda. »Doch wer auch immer den Kontakt zur Friedensbrigade herstellte – es ist ihm ebenfalls gelungen, unser Netzwerk zu zerschlagen und die Überwachung unserer Gruppe zeitweise zu unterbrechen. Die dementsprechenden Spuren verfolgen wir noch.«
»Alles schön und gut«, meinte Scaur, »doch die eigentliche Frage lautet, ob wir einen Verräter oder einen Maulwurf in unserer Mitte haben – einen feindlichen Agenten?«
»Jemanden mit einer Ooglith-Maske?«, fragte ein Mon-Calamari-Offizier vom hinteren Ende des Tisches.
»Nicht unbedingt. Die Yuuzhan Vong haben sich auch die Dienste der Friedensbrigade erkauft. Das Gleiche könnte auch auf denjenigen zutreffen, der die Information weitergegeben hat. Selbst Mitglieder der Regierung könnten mit dem Feind gemeinsame Sache machen.«
»Aber Elan zu den Yuuzhan Vong zurückzubringen, stellte deren gesamten Plan in Frage«, gab der bothanische stellvertretende Direktor des Geheimdienstes zu bedenken.
Scaur zupfte an seiner Unterlippe. »Möglicherweise kannte der Verräter den Plan nicht, sondern hielt sie für echte Überläufer. Unser scheinbarer Sieg bei Ord Mantell überzeugte ihn vielmehr, dass Elan zurückgebracht werden musste, ehe sie weiteren Schaden anrichten konnte.«
»Könnte da nicht jemand die Fühler ausgestreckt haben?«, grübelte Kalenda laut. »In Richtung Friedensbrigade, ohne direkten Draht zu den Yuuzhan Vong.«
»Vielleicht hatte die Friedensbrigade etwas gegen den Verräter in der Hand«, schlug ein anderer Offizier, ein Mensch, vor. »Möglicherweise stand er in ihrer Schuld.«
Scaur stemmte die Ellbogen auf den Tisch. »Haben wir von den gefangen genommenen Angehörigen der Friedensbrigade nichts erfahren?«
»Zwei der dreizehn, die wir verhaften konnten, behaupten, allein Reck Desh habe Kontakt mit dem Verräter gehabt, und der wurde an Bord des Shuttles getötet. Der Kontakt sei, so die Aussagen, zunächst über Komlink hergestellt worden, und das einzige Treffen zwischen der Quelle und Desh habe auf Kuat stattgefunden, wo sich Desh anscheinend mit einer Telbun getroffen habe.«
Scaur verzog das Gesicht. »Mit einer Telbun?«
»Die Telbun könnte lediglich als Vermittlerin gedient haben«, sagte Kalenda.
Scaur schnaubte. »Sie wollen mir also erklären, dass wir eigentlich keine heiße Spur haben?«
Kalenda nickte. »Dank Elan hat Reck sein Geheimnis mit ins Grab genommen.«
Im hoch aufragenden Coruscant warteten die Mon Calamari-Jedi Cilghal, der ithorianische Heiler Tomla El und der Ho’Din-Arzt Ism Oolos gespannt darauf, dass der MD-1-Techniker die Analyse der Tränen von Vergere, die sie an Bord des Millennium Falken aufgefangen hatte, abschloss.
Schließlich projizierte der menschenähnliche Droide die Ergebnisse als bewegtes Hologramm, das die Reaktion der Flüssigkeit mit einer Speichelprobe von Mara Jade Skywalker zeigte.
»Die chemische Struktur ähnelt dem, was man bei Tränen erwarten sollte«, sagte Tomla El und beugte sich auf seinen großen Füßen vor, »aber wir können natürlich unmöglich feststellen, ob diese tatsächlich typisch für Vergeres Spezies ist.«
»Ja, nur sehen Sie hier«, sagte Oolos aufgeregt und deutete auf das Hologramm der Reaktion. »Sehen Sie, wie die Substanz in die Zellen gezogen wird, fast als würde sie aufgesaugt. Und schauen Sie nur, wie die Zelle reagiert! Wie auf die Infusion von Nährstoffen!«
Oolos, der größer war als ein Wookiee und dabei knochendürr, hatte einen breiten, lippenlosen Mund und eine schlangenartige Krone aus Stummellocken, die rot und violett leuchteten. Wie Tomla El trug er einen langen weißen Kittel, was die beiden von Cilghal unterschied, deren Hemd und Hose sandfarben waren.
»Mich ermutigt das«, sagte Oolos zu den zwei weiteren Anwesenden im Laboratorium. »Kommen Sie, sehen Sie selbst.«
Hand in Hand traten Luke und Mara näher an die Holoprojektion des Droiden heran und gaben vor, sie mit dem gleichen wissenschaftlichen Interesse zu betrachten wie der Ithorianer und der Ho’Din. Luke bemerkte durchaus, dass eines der vorstehenden Augen von Cilghal auf Mara ruhte.
Tomla El wandte Luke den gewundenen Kopf zu und sagte aus beiden Mündern. »Mir ist unbehaglich dabei zumute.«
Alle warteten, was er als Nächstes sagen würde.
»Die Priesterin Elan war eine Waffe, mit der die Yuuzhan Vong die Jedi ermorden wollten. Warum sollte Vergere nicht ihre Komplizin gewesen sein? Han Solo hielt sie anscheinend dafür, sonst hätte er sie ja nicht dem Feind aushändigen wollen.«
»Was Vergere betrifft, war Han sich nicht sicher«, sagte Cilghal und antwortete damit für Luke.
»Vielleicht war Vergere nicht, was sie zu sein vorgab«, sagte Luke, »nicht einmal für Elan.« Er zögerte kurz und fügte schließlich hinzu: »Han räumt ein, er habe den Kolben zunächst zerstören wollen, bis er über das nachdachte, was Vergere zu ihm sagte, ehe sie die Rettungskapsel startete. Sie dankte ihm dafür, ihr die Chance gegeben zu haben, zu ihrem Volk zurückzukehren.«
»Natürlich«, sagte Tomla El in singendem Stereoton. »Zu den Yuuzhan Vong.«
»Aber Han erzählte auch, Vergere habe zuvor seltsam auf meinen Namen reagiert. Und Droma behauptet, dass er sich erinnere, im Korporationssektor einen Angehörigen von Vergeres Spezies gesehen zu haben.«
»Das hat nicht viel zu bedeuten«, argumentierte Tomla El. »Agenten der Yuuzhan Vong haben die ganze Galaxis infiltriert, und das schon seit fünfzig Standardjahren. Vergeres Spezies könnte eine außergalaktische Dienerrasse der Yuuzhan Vong sein.«
»Bei einer Sache hat Tomla El Recht«, sagte Oolos und wandte sich von dem Hologramm ab. »Wir können jedenfalls nicht sicher sein, ob dieses scheinbare Geschenk nicht Teil eines Planes ist, der in uns falsche Hoffnungen wecken soll, so dass wir unwillentlich Mara noch größeren Schaden zufügen.«
Sämtliche Blicke richteten sich auf die Patientin. So schwach sie auch während der vergangenen Wochen geworden war, legte sie dennoch weiterhin Trotz und Mut an den Tag. »Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass die Yuuzhan Vong solchen Aufwand treiben würden, um einen einzigen Jedi zu töten – nämlich mich –, während Elan uns alle umbringen sollte.«
Oolos befahl dem MD-Droiden, die Hologramme abzuschalten; dann dachte er eine Weile intensiv nach. »Wir sollten vorsichtig vorgehen.« Er betrachtete den Kolben. »Schließlich wissen wir nicht einmal, ob die Flüssigkeit injiziert, geschluckt oder äußerlich aufgetragen werden soll.«
»Wir haben einen Anhaltspunkt«, meinte Luke. »Vergere benutzte ihre Tränen, um eine Blasterwunde zu heilen, die ein Geheimdienstagent an Bord der Queen of Empire erlitten hatte. Dazu hat sie die Tränen mit der Hand aufgetragen.«
»Örtlich, also«, stellte Oolos klar.
Cilghal sah ihn mit einem Auge an. »Aber Maras Krankheit kann nicht örtlich behandelt werden; sie hat das ganze Körpersystem befallen.«
Plötzlich hatte Luke den Kolben mithilfe der Macht zu sich geholt. Er drehte ihn hin und her, hielt ihn an die Lippen und machte sich bereit, einen Tropfen auf seine Zunge fallen zu lassen. Doch Mara schnappte ihm das Gefäß weg und nahm einige Tropfen zu sich, ehe Luke sie aufhalten konnte.
»Mara!«, sagten Oolos und Tomla El gleichzeitig.
Mara hingegen wirkte keineswegs beunruhigt. Sie holte tief Luft, dann öffnete sie weit die Augen. »Ach, Luke«, sagte sie ein wenig ängstlich. »Ich kann nicht erklären, wie ich mich fühle, aber es ist, als bekäme ich nach Tagen des Durstes endlich Wasser.« Sie betrachtete ihre Hände, erst die Innenseiten, dann den Handrücken, und berührte ihr Gesicht. »Meine Finger und mein Gesicht kribbeln.«
Sanft nahm ihr Luke den Kolben aus der Hand und ließ sich einen Tropfen auf die Zunge fallen. »Ich spüre nichts«, stellte er kurz darauf fest.
Mara nahm den Kolben zurück und hielt ihn sich ans Herz. »Es gibt auch keinen Grund, weshalb du etwas spüren solltest.«
Luke sah seiner Frau in die Augen. »Mara, eines möchte ich noch klären: Showolter sagte, der Heileffekt sei nur zeitweilig gewesen. Vergere hat es ihm erzählt, als sie ihm half. Er stand kurz vor einem Schockzustand, bevor er Han traf.«
»Bei mir kann es ganz anders wirken«, erwiderte Mara entschlossen. »Außerdem würde ich im Augenblick selbst eine zeitweise Linderung akzeptieren.« Sie atmete tief durch und ergriff Lukes Hand. »Du musst es mir erlauben, Luke. Ich weiß, du und Cilghal, ihr versucht mich mithilfe der Macht zu heilen, und ich weiß, ich habe es euch nicht leicht gemacht, indem ich mich so sehr in mich selbst zurückgezogen habe. Aber diese Krankheit ist nun schon über ein Jahr ein Teil von mir. Sie ist eine Herausforderung für mich, und ich habe sie auf jede Weise, die ich kenne, bekämpft. Trotzdem siegt sie, Luke. Langsam siegt sie.«
Sie hielt sich den Kolben vor die Augen. »Wenn es alles noch schlimmer macht, so muss ich eben noch härter kämpfen. Allerdings sagt mir mein Gefühl, dass dies nicht der Fall sein wird. Verstehst du?«
»Lassen Sie wenigstens zu, dass wir Sie überwachen«, riet Tomla El. »Wenn etwas schief geht, können wir geeignete Maßnahmen ergreifen.«
»Nein«, entgegnete Luke und sah Mara weiter in die Augen. »Wir machen es so, wie Mara möchte.«
Sie drückte seine Hand, dann trat sie an einen der Tresen und tröpfelte vorsichtig etwas von den Tränen in ihre rechte Hand. Ehe sie die transparente Flüssigkeit an die Lippen oder ins Gesicht bringen konnte, war sie verschwunden.
»Meine Hand hat sie aufgesaugt«, verkündete sie erstaunt und zeigte die Handfläche.
Oolos trat zu ihr und sah auf sie herunter. »Mara, erzählen Sie uns wenigstens, was Sie empfinden.«
Angestrengt holte sie Luft. »Ich bin nicht sicher. Schwindel, Hitze. Alles ist plötzlich so hell…« Sie zuckte zusammen. »Es löst etwas in mir aus. Ich kann…«
Maras Arme und Beine begannen zu zittern. Sie legte den Kopf in den Nacken, als würde sie um Luft ringen. Hätte Luke sie nicht gehalten, wäre sie vermutlich zu Boden gesunken.
»Rasch, Luke, auf die Liege«, sagte Oolos.
Luke trug sie zu der Untersuchungsliege und legte sie dort ab. Mit geschlossenen Augen stöhnte Mara und umklammerte ihren zitternden Leib.
»Die Ergebnisse kommen sofort«, sagte Tomla El von der Konsole her.
Luke wandte den Blick nicht von seiner Frau ab. »Mara«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Mara…«
Erneut stöhnte sie und zuckte, dann starrte sie Luke mit großen Augen an. »Ich weiß nicht«, sagte sie heiser wispernd. »Ich kann nicht erklären, was ich empfinde. Habe ich die falsche Entscheidung getroffen, mein Liebster?« Sie setzte eine flehende Miene auf. »Sieh mich an, Luke. Sieh mich an…«
Ihre Stimme versagte, und sie verfiel in einen halb bewusstlosen Zustand. Luke suchte in Cilghals, Tomla Els und Oolos’ Blicken nach Ermutigung, konnte jedoch keine finden. Somit richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Mara und griff mit der Macht nach ihr.
Daraufhin ließen die spastischen Zuckungen ihrer Glieder nach, und ihre ganze Körperhaltung veränderte sich. Ihr Gesicht wurde ruhiger, Tränen rannen aus den Augenwinkeln. Lukes Gesicht wurde warm, und vor Erleichterung und Freude kamen auch ihm die Tränen.
Mara blinzelte, schlug die Augen auf und lächelte schwach. »Ich glaube, es funktioniert«, sagte sie leise und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Danach schloss sie die Augen wieder, als wollte sie ausgiebig das genießen, was sie gerade erlebte. »Ich spüre, wie es mich durchströmt. Als würde jede einzelne Zelle meines Körpers in Licht gebadet.« Blind tastete sie nach Lukes Hand und zog sie an ihre Brust. »Ich glaube, ich werde gesund, Luke. Ich bin mir sicher.«
»Oh, Mara«, sagte Cilghal, den Tränen nahe, trat an die Untersuchungsliege und legte ihre Hand mit den Schwimmhäuten auf Maras Schulter.
Luke bemerkte die skeptischen Blicke, die Tomla El und Oolos wechselten, sagte allerdings nichts dazu. Stattdessen wandte er sich Mara wieder mit der Macht zu und sah sie hell leuchten.
Vor Freunde lächelte er breit. Vorsichtig schob er die Hand unter ihre Schultern und zog sie in seine Arme. Sie wiederum schlang die Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und weinte leise vor Freude.
»Da haben wir unseren Sieg«, flüsterte Luke.