28

 

Der zweite Stellvertretende Justizminister Ed Prescott fühlte sich, wie so viele Yale-Absolventen seiner Generation, am wohlsten unter Männer, und als Joe Strelski, nachdem man ihn eine halbe Stunde im Vorzimmer hatte warten lassen, sein großes weißes Büro in Downtown Miami betrat, verkündete Ed ihm die Neuigkeit so, wie es unter Männern sein sollte, ohne großes Gefasel, offen und geradeheraus, wie ein Mann es eben gern hat, ganz gleich, ob er wie Ed aus einer alten Neuengland-Familie kommt, oder wie Strelski ein schlichter Hinterwäldler aus Kentucky ist. »Denn um ehrlich zu sein, Joe, mich haben diese Typen auch verarscht: haben mich von Washington hierher beordert, um diesen Job zu machen, mich gezwungen, eine sehr attraktive Arbeit abzulehnen, und das zu einer Zeit, wo jeder, und ich meine jeder, selbst die da oben, diese Arbeit braucht - Joe, ich muß es ihnen sagen, diese Leute sind nicht fair zu uns gewesen. Ich möchte, daß Ihnen bewußt ist, daß wir zusammen da drinstecken, es ist ein Jahr Ihres Lebens gewesen, aber bis ich mein Haus wieder in Ordnung gebracht habe, wird es auch ein Jahr meines Lebens gewesen sein. Und in meinem Alter, Joe - na, zum Teufel, wie viele Jahre bleiben mir noch?«

»Es tut mir leid für Sie, Ed«, sagte Strelski.

Falls Ed Prescott den Unterton mitbekam, ließ er sich lieber nichts anmerken; schließlich waren hier zwei Männer zusammen, die ein gemeinsames Problem zu lösen hatten.

»Joe, wieviel genau haben die Briten ihnen über diesen Undercover-Agenten erzählt, diesen Pine, diesen Burschen, der so viele Namen hatte?«

Das Imperfekt entging Strelski nicht.

»Nicht allzu viel«, sagte Strelski.

»Nun, wieviel?« fragte Prescott von Mann zu Mann.

»Er war kein Profi. Eher so eine Art Freiwilliger.«

»Ein Sponti? Solchen Leuten habe ich nie vertraut, Joe. Früher, als die CIA mir noch die Ehre erwies, mich hin und wieder um Rat zu fragen, in der Zeit des Kalten Kriegs, der mir ein Jahrhundert weit zurückzuliegen scheint, habe ich stets zur Vorsicht gegenüber diesen sowjetischen Möchtegern-Überläufern geraten, die uns mit viel Geschrei ihre Ware aufhalsen wollten. Was haben die Ihnen sonst noch über ihn erzählt, Joe, oder haben sie bloß geheimnisvolle Andeutungen gemacht?«

Strelski stellte sich bewußt dumm. Bei Männern wie Prescott blieb einem nichts anderes übrig: ausweichen, bis man herausgefunden hatte, was er von einem hören wollte, dann es entweder sagen oder sich auf das fünfte Gebot berufen oder ihn auffordern, sich um seinen eigenen Scheiß zu kümmern.

»Man hat mir gesagt, sie hätten ihn irgendwie aufgebaut«, antwortete er. »Hätten ihm einen zusätzlichen Hintergrund verschafft, um ihn für die Zielperson attraktiver zu machen.«

»Wer hat Ihnen das gesagt, Joe?«

»Burr.«

»Hat Burr Ihnen irgend etwas über die Art dieses Hintergrunds erzählt, Joe?«

»Nein.«

»Hat Burr angedeutet, wieviel Hintergrund es bereits gab und wieviel sie aus dem Schminkkoffer dazugetan haben?«

»Nein.«

»Das Gedächtnis ist eine Hure, Joe. Denken Sie nach. Hat er Ihnen gesagt, daß der Mann angeblich einen Mord begangen hat? Womöglich mehr als einen?«

»Nein.«

»Drogen geschmuggelt? In Kairo und in Großbritannien? Vielleicht auch in der Schweiz? Wir überprüfen das gerade.«

»Er hat keine konkreten Einzelheiten genannt. Er sagte, sie hätten den Mann mit diesem Hintergrund ausgestattet, und mit Hilfe dieses Hintergrunds könnten wir Apostoll dazu bringen, einen von Ropers Stellvertretern anzuschwärzen, und uns ausrechnen, daß Roper den neuen Mann als Unterzeichner nehmen würde. Roper läßt unterzeichnen. Also gaben sie ihm jemand, der das macht. Roper hat gern ausgeflippte Leute um sich. Also haben ihm so jemand gegeben.«

»Demnach wußten die Briten von Apostoll. Ich glaube, das ist mir neu.«

»Natürlich. Wir haben uns mit ihm getroffen. Burr, Agent Flynn und ich.«

»War das klug, Joe?«

»Es war Zusammenarbeit«, sagte Strelski mit plötzlich festerer Stimme. »Wir hatten doch Zusammenarbeit vereinbart, erinnern Sie sich? Ist jetzt an den Rändern ein bißchen ausgefranst. Aber damals hatten wir eine gemeinsame Planungsgruppe.«

Die Zeit blieb stehen, während Ed Prescott eine Runde durch sein riesengroßes Büro machte. Die verdunkelten Fenster bestanden aus zolldickem Panzerglas, das den Morgen in Nachmittag verwandelte. Die Doppeltür war aus verstärktem Stahl und zum Schutz gegen Störenfriede verschlossen. Strelski erinnerte sich, daß Miami zur Zeit eine Welle von Hausüberfällen erlebte. Banden maskierter Männer drangen in Häuser ein, hielten die Bewohner in Schach und sackten alles ein, was ihnen in die Finger fiel. Strelski überlegte, ob er am Nachmittag zu Apos Beerdigung gehen sollte. Der Tag ist noch jung. Abwarten, wofür ich mich entscheide. Dann überlegte er, ob er zu seiner Frau zurückkehren sollte. Das fragte er sich immer, wenn die Dinge so beschissen liefen wie im Augenblick. Wenn er nicht mit ihr zusammen war, kam er sich manchmal vor wie jemand, den man auf Bewährung entlassen hatte. Er war nicht richtig frei, und manchmal fragte er sich ernstlich, ob dies tatsächlich die bessere Alternative sei. Er dachte an Pat Flynn und wünschte, er besäße dessen Gemütsruhe. Pat fand Gefallen am Dasein eines Außenseiters wie andere an einem Leben in Ruhm und Reichtum. Als Pat gesagt wurde, er solle sich nicht mehr im Büro blicken lassen, bis diese Sache in Ordnung gebracht wäre, bedankte er sich, schüttelte allen die Hand, nahm ein Bad und trank eine Flasche Bushmills. An diesem Morgen hatte er, noch immer betrunken, Strelski angerufen und ihn vor einer neuen Form von AIDS gewarnt, die in Miami grassierte und Gehör-Aids heiße. Man bekomme sie, sagte Pat, wenn man zu vielen Arschlöchern aus Washington zuhöre. Als Strelski ihn fragte, ob er zufällig etwas Neues über die Lombardy gehört habe - zum Beispiel, ob irgend jemand sie geentert, versenkt oder abgeschleppt habe -, gab Flynn die schönste Imitation eines schwulen Elitestudenten von der Ostküste zum besten, die Strelski je gehört hatte: »Aber aber, Joe, Sie Böser, wollen Sie wohl Ihre Zunge hüten, etwas so Geheimes dürfen Sie in Ihrer Position doch gar nicht wissen wollen.« Wo zum Teufel nimmt Pat nur all diese Stimmen her? fragte er sich. Vielleicht könnte ich das auch, wenn ich täglich eine Flasche Irischen trinken würde. Der Zweite Stellvertretende Justizminister Prescott versuchte ihm noch mehr Worte in den Mund zu legen, also war es wohl besser, aufzupassen.

»Burr war über seinen Mr. Pine offensichtlich nicht so mitteilsam wie Sie über Ihren Dr. Apostoll, Joe«, sagte er gerade, und es schwang ein Vorwurf darin mit, der Strelski traf.

»Pine und Apostoll waren als Quellen ganz verschieden. Die konnte man in keiner Weise miteinander vergleichen«, erwiderte Strelski und stellte zufrieden fest, daß er lockerer wurde. Das mußte Flynns Scherz über das Gehör-Aids bewirkt haben.

»Könnten Sie das mal ein wenig erläutern, Joe?«

»Apostoll war ein dekadenter Fiesling. Pine war - Pine war ein rechtschaffener Mann, der für die richtige Seite etwas riskiert hat. Burr war davon sehr angetan. Pine war Agent, er war ein Kollege, er gehörte zur Familie. Apo hat nie zur Familie gehört. Nicht mal für seine Tochter.«

»War dieser Pine derselbe, der Ihren Agenten fast in Stücke gerissen hat, Joe?«

»Er stand unter nervlicher Anspannung. Es war schon eine ziemlich große Inszenierung. Vielleicht hat er übertrieben reagiert, seine Anweisungen ein wenig zu sehr beherzigt.«

»Hat Burr Ihnen das so erklärt?«

»Wir haben versucht, es so zu deuten.«

»Wie großzügig von Ihnen, Joe. Einer Ihrer Agenten bezieht solche Prügel, daß er für zwanzigtausend Dollar behandelt werden muß, drei Monate krankgeschrieben wird und einen Prozeß anstrengt, und Sie erzählen mir, sein Angreifer habe vielleicht ein wenig übertrieben reagiert. Manche dieser in Oxford ausgebildeten Engländer können sehr überzeugend argumentieren. Hatten Sie den Eindruck, Leonard Burr sei ein unehrlicher Mensch?«

Alle reden in der Vergangenheitsform, dachte Strelski. Und ich auch. »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, log er.

»War er unaufrichtig? Falsch? Moralisch irgendwie nicht ganz einwandfrei?«

»Nein.«

»Bloß nein?«

»Burr macht gute Arbeit, und er ist ein guter Mensch.«

Prescott drehte eine weitere Runde durchs Zimmer. Da er selbst ein guter Mensch war, schien es ihm schwerzufallen, mit den unangenehmeren Tatsachen des Lebens fertig zu werden.

»Joe, wir haben zur Zeit einige Probleme mit den Briten. Ich rede jetzt von der Enforcement. Was Ihr Mr. Burr und seine Ermittler uns versprochen haben, war ein blitzsauberer Zeuge in Gestalt von Mr. Pine, eine ausgeklügelte Operation und ein paar große Köpfe auf einem Tablett. Womit wir durchaus einverstanden waren. Wir hatten auf Mr. Burr und Mr. Pine große Hoffnungen gesetzt. Nun muß ich ihnen sagen, daß die britischen Ermittler die auf dieser Ebene in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben. Diese Leute haben in ihrem Umgang mit uns eine Doppelzüngigkeit an den Tag gelegt, die manche von uns nicht erwartet haben dürften. Andere, die ein besseres Gedächtnis haben, allerdings vielleicht doch.«

Strelski vermutete, er sollte sich Prescott in einer allgemeinen Verurteilung der Briten anschließen, hatte aber keine Lust dazu. Er mochte Burr. Burr war ein Typ, mit dem man Pferde stehlen konnte. Auch Rooke hatte er schätzengelernt, obwohl der reichlich stur war. Die beiden waren ein anständiges Gespann und hatten eine gute Operation durchgeführt.

»Joe, Ihr Supermann - Verzeihung, Burrs Supermann -, dieser rechtschaffene Mensch, dieser Mr. Pine, hat ein ellenlanges Vorstrafenregister. Barbara Vandon in London und Freunde von ihr in Langley haben ziemlich beunruhigendes Hintergrundmaterial über Mr. Pine ausgegraben. Offenbar ist er ein verkappter Psychopath. Leider haben die Briten seinen Gelüsten noch Vorschub geleistet. Es hat da in Irland einen Toten gegeben, ziemlich üble Geschichte, irgendwas mit einer Halbautomatik. Wir sind nicht ganz dahintergekommen, weil die Sache vertuscht wird.« Prescott seufzte. Die Wege der Menschen waren wahrlich krumm. »Mr. Pine ist ein Mörder, Joe. Ein Mörder, Dieb, Drogenschmuggler; und es ist mir ein Rätsel, warum er das Messer, mit dem er Ihren Agenten bedroht hat, nicht auch benutzt hat. Außerdem ist Mr. Pine Koch, Nachteule, Nahkampfexperte und Maler. Joe, das ist das klassische Muster eines psychopathischen Phantasten. Mr. Pine gefällt mir nicht. Ich würde ihm meine Tochter nicht anvertrauen. Mr. Pine hatte in Kairo eine psychopathische Beziehung zu der Nutte eines Drogenhändlers, die er am Ende totgeprügelt hat. Ich hätte kein Vertrauen zu ihm, wenn er vor Gericht als mein Zeuge auftreten würde, und ich habe die schwersten, wirklich die schwersten Bedenken, was die bisher von ihm gelieferten Informationen betrifft. Ich habe alles gesehen, Joe. Ich habe die vielen Punkte untersucht, wo seine Aussage allein und unbestätigt dasteht, aber für die Glaubwürdigkeit unserer Sache unentbehrlich ist. Männer wie Mr. Pine sind die heimlichen Lügner der Gesellschaft. Sie verkaufen ihre eigene Mutter und halten sich dabei noch für Jesus Christus. Ihr Freund Burr mag ein fähiger Mann sein, aber er war ehrgeizig, er hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um seinen eigenen Laden auf die Beine zu stellen, damit er mit den großen Mackern konkurrieren konnte. Solche Männer fallen naturgemäß auf jeden Schwindler rein. Ich glaube nicht, daß Mr. Burr und Mr. Pine ein ideales Paar gebildet haben. Ich will nicht sagen, daß sie bewußt Konspiration betrieben haben, aber Männer in geheimer Isolation können sich gegenseitig so hochputschen, daß ihnen die Wahrheit gleichgültig wird. Würde Dr. Apostoll noch unter uns weilen - nun, er war Anwalt; und selbst wenn er ein bißchen verrückt war, glaube ich doch, daß er im Zeugenstand eine ganz gute Figur gemacht hätte. Geschworene haben in ihrem Herzen immer einen Platz für jemand, der zu Gott zurückgefunden hat. Daraus wird nun freilich nichts. Dr. Apostoll steht als Zeuge nicht mehr zur Verfügung.«

Strelski versuchte Prescott aus der Klemme zu helfen. »Das Ganze ist nie geschehen, richtig, Ed? Sollten wir uns nicht darauf einigen, daß die ganze Sache bloß ein Stück Scheiße gewesen ist? Es gibt weder Drogen noch Waffen. Mr. Onslow Roper hat nie was mit den Kartellen zu tun gehabt, alles eine Verwechslung, und so weiter.«

Prescott lächelte bedauernd, als wollte er sagen, so weit würde er nun doch nicht gehen wollen. »Es geht um das, was beweisbar ist, Joe. So was muß ein Anwalt machen. Der Laie kann sich den Luxus leisten, an die Wahrheit zu glauben. Ein Anwalt muß sich mit dem Beweisbaren zufriedengeben. Sehen Sie es von dieser Seite.«

»Sicher.« Auch Strelski lächelte. »Ed, darf ich etwas sagen?« Strelski beugte sich auf seinem Ledersessel vor und breitete in einer edelmütigen Geste die Hände aus.

»Reden Sie nur, Joe.«

»Ed, entspannen Sie sich, bitte. Nur keinen Streß. Operation Klette ist gestorben. Langley hat sie abgeschossen. Sie sind nur der Leichenbestatter. Ich verstehe das. Operation Flaggschiff ist am Leben, aber ich gehöre nicht zur Mannschaft. Im Gegensatz zu Ihnen, wie ich vermute. Sie wollen mich fertigmachen, Ed? Hören Sie, ich bin schon oft fertiggemacht worden, Sie brauchen mich nicht vorher zum Essen einzuladen. Ich bin schon so oft und auf so viele verschiedene Weisen fertiggemacht worden, daß ich ein alter Hase bin. Diesmal ist es Langley zusammen mit ein paar bösen Briten. Ganz zu schweigen von ein paar Kolumbianern. Das letztemal war es Langley zusammen mit irgendwelchen anderen bösen Typen, vielleicht waren es Brasilianer, nein, verdammt, Kubaner, die uns in den finsteren Zeiten den einen oder anderen Gefallen getan hatten. Und davor war es Langley zusammen mit ein paar stinkreichen Venezolanern, aber ich glaube, es waren auch ein paar Israelis dabei; um ehrlich zu sein, ich hab's vergessen, und die Akten sind verlorengegangen. Und ich meine, es gab eine Operation Surefire, aber auch da war ich nicht zugelassen.«

Er war wütend, fühlte sich aber ausgesprochen wohl. Prescotts tiefer Ledersessel war ein Traum, er könnte wenig darin liegenbleiben und im Luxus dieses schönen Penthouse-Büros schwelgen; hier konnte ihm niemand ungesehen in die Quere kommen, nicht einmal ein nackt auf einem Bett kniender Schnüffler, dem man die Zunge durch den Hals gezogen hatte.

»Und dann wollten Sie mir noch sagen, Ed: Ich darf aussteigen, aber nicht reden«, fuhr Strelski fort. »Denn wenn ich rede, wird man mich in die Pfanne hauen und meine Pension streichen. Oder falls ich wirklich rede, könnte sich jemand schweren Herzens verpflichtet fühlen, mir eine Kugel in den verdammten Kopf zu jagen. Ich verstehe das, Ed. Ich kenne die Regeln. Ed, tun Sie mir einen Gefallen?«

Prescott war es nicht gewohnt, jemandem zuzuhören, ohne ihn zu unterbrechen, und er tat niemals irgendwem einen Gefallen, wenn er nicht mit einer Gegenleistung rechnen konnte. Aber er konnte erkennen, wenn jemand wütend war, und er wußte, daß sich Wut mit der Zeit bei Mensch und Tier legt, also sah er seine Rolle darauf reduziert, abzuwarten, weiterzulächeln und vernünftig zu antworten, ganz so, als habe er es mit einem tobsüchtigen Irren zu tun. Er wußte auch, daß es wichtig war, nicht alarmiert zu wirken. Notfalls hatte er immer noch den roten Knopf an der Innenseite seines Schreibtischs.

»Wenn ich kann, Joe, für Sie immer«, erwiderte er großzügig.

»Bleiben Sie fest, Ed. Amerika braucht Sie so, wie Sie sind. Trennen Sie sich von keinem Ihrer Freunde in höheren Positionen, behalten Sie Ihre Verbindungen zur CIA, machen Sie weiteren Gebrauch von den lukrativen Aufsichtsratsposten Ihrer Frau in gewissen Unternehmen. Hören Sie nicht auf, die Dinge für uns in Ordnung zu bringen. Der anständige Bürger weiß schon zu viel, Ed. Noch mehr Wissen könnte ernstlich seiner Gesundheit schaden. Denken Sie an das Fernsehen. Fünf Sekunden über ein Thema sind für jeden genug. Die Leute müssen normalisiert, nicht destabilisiert werden, Ed. Und Sie sind der Mann, der das für uns tun kann.«

Vorsichtig fuhr Strelski durch die Wintersonne nach Hause. Seine Wut ließ alles noch deutlicher erscheinen. Hübsche weiße Häuser an der Küstenstraße. Weiße Segeljachten am Ende smaragdgrüner Rasenflächen. Der Postbote machte seine Mittagsrunde. In Strelskis Einfahrt parkte ein roter Ford Mustang; er gehörte Amato, der mit einem schwarzen Begräbnisschlips auf der Veranda saß und Cola aus der Kühlbox trank. Neben ihm lag auf Strelskis Rattansofa ein apathischer Pat Flynn, er trug einen schwarzen Bogside-Anzug mit Weste und schwarzem Bowler und hielt eine leere Flasche zehn Jahre alten Bushmills Single Malt Whiskey an den Busen gedrückt.

»Pat hat sich mal wieder mit seinem früheren Boß getroffen«, erklärte Amato mit einem Seitenblick auf seinen ruhenden Kameraden. »Die beiden haben so was wie ein frühes Frühstück eingenommen. Leonards Schnüffler ist an Bord der Iron Pasha. Zwei Männer haben ihm in Antigua aus Ropers Jet geholfen, zwei andere haben ihn in das Wasserflugzeug begleitet. Pats Freund zitiert aus Berichten, die von der Zentralen Nachrichtenauswertung zusammengestellt wurden, von Leuten, die die Ehre haben, zur Flaggschiff-Mannschaft zu gehören. Pat meint, Sie würden das vielleicht gern an Ihren Freund Lenny Burr weiterleiten. Pat läßt Lenny herzlich grüßen. Es habe ihn gefreut, Mr. Burrs Bekanntschaft gemacht zu haben, trotz der späteren Schwierigkeiten, sollen Sie ihm ausrichten.«

Strelski sah auf die Uhr und ging schnell ins Haus. Es war riskant, von diesem Apparat aus zu telefonieren. Burr nahm sofort ab, als hätte er auf den Anruf gewartet.

»Ihr Mann ist mit seinen reichen Freunden segeln gegangen«, sagte Strelski.

Burr war dankbar für den Wolkenbruch. Zweimal hatte er das Auto auf den Grasstreifen gelenkt, dem Trommeln des Regens auf dem Dach zugehört und gewartet, daß es aufhörte. Der Schauer gewährte ihm zeitweiligen Aufschub und versetzte den Weber in seine Dachstube zurück.

Er war später dran, als er geplant hatte. »Paß auf«, hatte er vage zu Rooke gesagt, als er den elenden Palfrey seiner Obhut übergeben hatte. Paß auf Palfrey auf, dachte er vielleicht. Oder auch: Lieber Gott, paß auf Jonathan auf.

Er ist auf der Pasha, mußte er beim Fahren immerzu denken. Er ist am Leben, auch wenn er es womöglich lieber nicht wäre. Eine Zeitlang konnte Burrs Gehirn nicht mehr für ihn tun: Jonathan lebt, Jonathan leidet Qualen, in diesem Augenblick setzen sie ihm zu. Erst im Anschluß an diese Phase angemessener Besorgnis, so schien es Burr, war er in der Lage, sein beträchtliches Denkvermögen anzuwenden und Stück für Stück die wenigen Bröckchen Trost abzuzählen, die ihm noch geblieben waren.

Er lebt. Folglich muß Roper daran liegen, daß es so bleibt. Sonst hätte er Jonathan sofort umbringen lassen, nachdem er das letzte Stück Papier unterschrieben hatte: eine weitere nicht identifizierte Leiche irgendwo an einer Straße in Panama; wen kümmert's?

Er lebt. Ein Gangster vom Schlage Ropers bringt niemanden auf seine Vergnügungsjacht, um ihn dort umzubringen. Er nimmt ihn mit, weil er ihm Fragen zu stellen hat, und wenn er ihn hinterher umbringen muß, erledigt er das in schicklicher Entfernung von seinem Schiff und mit gebührender Rücksicht auf die örtliche Hygiene und das Feingefühl seiner Gäste.

Also: Was weiß Roper noch nicht, wozu er Jonathan Fragen stellen muß?

Vielleicht: Wie viele Einzelheiten der Operation hat Jonathan verraten?

Vielleicht: Mit welchem Risiko genau muß Roper jetzt rechnen - Strafverfolgung, Vereitelung seines grandiosen Plans, Entlarvung, Skandal, Protest?

Vielleicht: Wieviel Schutz genieße ich noch bei denen, die mich schützen? Oder werden sie sich alle leise durch die Hintertür davonstehlen, sobald die Alarmsirenen losgehen?

Vielleicht: Für wen hältst du dich eigentlich, dich in meinen Palast einzuschleichen und mir meine Frau unter mir wegzuschnappen?

Ein Dom aus Bäumen wölbte sich über dem Auto, und Burr mußte an das Haus am Lanyon denken, und wie er dort an dem Abend, an dem sie ihn auf den Weg geschickt hatten, mit Jonathan zusammengesessen hatte. Er hält Goodhews Brief ins Licht der Öllampe: Ich bin sicher, Leonard. Ich, Jonathan. Und ich werde auch morgens früh sicher sein. Wie soll ich unterschreiben?

Du hast viel zu viel unterschrieben, verdammt, schnauzte Burr ihn in Gedanken an. Und ich habe dich dazu angestachelt.

Beichte, flehte er Jonathan an. Verrate mich, verrate uns alle. Haben wir dich etwa nicht verraten? Dann zahl es uns heim und rette dich. Der Feind ist nicht da draußen. Er ist hier, mitten unter uns. Verrate uns.

Er war nur fünfzehn Kilometer außerhalb von Newbury und sechzig Kilometer außerhalb von London, aber mitten im tiefsten ländlichen England. Er fuhr einen Hügel hinauf und gelangte auf eine von kahlen Buchen gesäumte Allee. Links und rechts frisch gepflückte Äcker. Der Geruch von Silage erinnerte ihn an winterliche Teenachmittage vor dem Ofen in der Küche seiner Mutter in Yorkshire. Wir sind rechtschaffene Leute, dachte er, in Gedanken bei Goodhew. Rechtschaffene Engländer mit Selbstironie und einem Gefühl für Anstand, Leute, die praktisch denken und ein gutes Herz haben. Was zum Teufel ist mit uns schiefgelaufen?

Ein kaputtes Wartehäuschen an einer Bushaltestelle erinnerte ihn an den Blechschuppen in Louisiana, wo er sich mit Apostoll getroffen hatte. Apostoll, von Harry Palfrey an Darker verraten, von Darker an die Vettern, von den Vettern an Gott weiß wen. Strelski hatte eine Pistole dabei, dachte er. Flynn, der uns vorauswatete, trug seine Haubitze im Arm. Wir waren bewaffnet und fühlten uns sicher mit unseren Waffen.

Aber Waffen sind nicht die Antwort, dachte er. Waffen sind ein Bluff. Ich selbst bin ein Bluff. Ich bin nicht zugelassen und nicht geladen, eine leere Drohung. Ich selbst bin alles, was ich habe, womit ich diesem verdammten Sir Anthony Joyston Bradshaw vor der Nase rumfuchteln kann.

Er dachte daran, wie Rooke und Palfrey jetzt schweigend, das Telefon zwischen ihnen, in Rookes Büro zusammensaßen. Zum erstenmal mußte er beinahe lächeln.

Als er einen Wegweiser erblickte und ihm nach links in eine unbefestigte Einfahrt folgte, überkam ihn die falsche Gewißheit, schon einmal hiergewesen zu sein. Bewußtes und Unbewußtes treffen zusammen, hatte er in einer superklugen Zeitschrift gelesen: Aus dieser Begegnung entsteht das Gefühl des deja vu. Er glaubte nicht an diesen Mist. Schon die Sprache machte ihn aggressiv, und der bloße Gedanke daran reizte ihn jetzt bis aufs Blut.

Er hielt den Wagen an.

Er war einfach viel zu aggressiv und wartete, bis das Gefühl sich gelegt hatte. Allmächtiger Gott, was wird aus mir? Ich hätte Palfrey erwürgen können. Er kurbelte das Fenster runter, legte den Kopf zurück und sog die Landluft ein. Er schloß die Augen und wurde Jonathan. Jonathan im Todeskampf, den Kopf nach hinten gelegt, unfähig zu sprechen. Jonathan ans Kreuz geschlagen, halb tot, von Ropers Frau geliebt.

Vor ihm tauchten zwei steinerne Torpfosten auf, aber kein Schild, auf dem Lanyon Rose stand. Burr hielt den Wagen an, nahm das Telefon, wählte Geoffrey Darkers Direktanschluß im River House und hörte Rookes Stimme: »Hallo.«

»Bloß zur Kontrolle«, sagte Burr und wählte die Nummer von Darkers Haus in Chelsea. Wieder Palfreys Stimme; knurrend legte er auf.

Er wählte die Nummer von Darkers Landhaus, wieder mit demselben Ergebnis. Die Vollmacht zum Intervenieren war wirksam.

Burr fuhr durch das Tor und kam in einen verwilderten Park. Über den kaputten Zaun starrten ihn stumpfsinnig Rehe an. Der Weg war mit Unkraut überwuchert. Ein schmutziges Schild: JOYSTON BRADSHAW ASSOCIATES; BIRMINGHAM; das BIRMINGHAM war durchgestrichen. Darunter hatte jemand das Wort AUSKUNFT und einen Pfeil gepinselt. Burr fuhr an einem kleinen Teich vorbei. Auf der anderen Seite zeichneten sich vor dem unruhigen Himmel die Umrisse eines großen Hauses ab. In der Dunkelheit dahinter standen mehrere kaputte Gewächshäuser und verwahrloste Ställe. Einige der Ställe waren früher Büros gewesen. Eiserne Außentreppen und Galerien führten zu Reihen von Türen mit Vorhängeschlössern. Vom Hauptgebäude waren nur das Portal und zwei Parterrefenster beleuchtet. Er stellte den Motor ab und nahm Goodhews schwarze Aktentasche vom Beifahrersitz. Dann schlug er die Wagentür zu und ging die Treppe hinauf. Aus dem Mauerwerk ragte eine Eisenfaust. Er zog, er drückte, aber sie rührte sich nicht. Dann packte er den Türklopfer und hämmerte an die Tür. Der Widerhall ging im Lärm jaulender Hund unter, den eine heisere Männerstimme noch übertönte: »Whisper, sei still! Runter, verdammtes Biest! In Ordnung, Veronica, ich mach schon. Sind Sie das, Burr?«

»Ja.«

»Allein?«

»Ja.«

Rasseln einer Kette, die aus der Halterung gezogen wird. Knarren eines schweren Schlosses.

»Bleiben Sie stehen. Die müssen Sie erst beschnuppern«, befahl die Stimme.

Die Tür ging auf, zwei große Doggen schnüffelten an Burrs Schuhen, besabberten seine Hosenbeine und leckten ihm die Hände. Er trat in eine riesige dunkle Eingangshalle, in der es nach Feuchtigkeit und Holzasche stank. Bleiche Rechtecke kennzeichneten die Stellen, an denen einst Bilder gehangen hatten. Am Kronleuchter brannte eine einzige Glühbirne. In ihrem Schein erkannte Burr die verlebten Züge von Sir Anthony Joyston Bradshaw. Er trug eine verschlissene Smokingjacke und eine kragenloses City-Hemd.

Veronica stand abseits von ihm in einer gewölbten Tür; die Frau war grauhaarig und von unbestimmbarem Alter. Ehefrau? Kindermädchen? Mätresse? Mutter? Burr hatte keine Ahnung. Neben ihr stand ein Mädchen. Die Kleine mochte neun Jahre alt sein und trug einen marineblauen Bademantel mit Goldstickereien am Kragen. Ihre Pantoffeln waren an der Spitze mit goldenen Kaninchen verziert. Mit den langen, nach hinten gebürsteten blonden Haaren sah sie aus wie ein Kind des französischen Adels auf dem Weg zum Schafott.

»Hallo«, sagte Burr zu ihr. »Ich heiße Leonard.«

»Ab ins Bett, Ginny«, sagte Bradshaw. »Veronica, bring sie ins Bett. Habe wichtige Geschäfte zu besprechen, Liebling, will nicht gestört werden. Es geht um Geld. Na komm. Gib uns einen Kuß.«

Wen meinte er mit >Liebling<: Veronica oder das Kind? Während Ginny und ihr Vater sich küßten, stand Veronica in der Tür und sah zu. Burr folgte Bradshaw durch einen langen, schlecht beleuchteten Korridor in ein Empfangszimmer. Er hatte vergessen, wie schwerfällig es in großen Häusern zuging. Für den Weg zum Empfangszimmer brauchte man so lange wie zum Überqueren einer Straße. Zwei Sessel vor einem brennenden Kamin. Feuchte Stellen an den Wänden. Von der Decke tropfte Wasser in viktorianische Puddingschalen, die auf dem Holzboden standen. Die Doggen gruppierten sich vorsichtig vor dem Feuer. Wie Burr hielten sie ihren Blick auf Bradshaw gerichtet.

»Scotch?« fragte Bradshaw.

»Geoffrey Darker steht unter Arrest«, sagte Burr.

Bradshaw steckte den Schlag ein wie ein alter Boxer. Er fing ihn auf und verzog kaum eine Miene. Unbewegt, die verquollenen Augen halb geschlossen, berechnete er den Schaden. Er sah Burr an, als erwarte er einen weiteren Angriff, aber als der nicht kam, schob er sich einen halben Schritt vor und teilte eine Serie unpräziser Gegenschläge aus.

»Quatsch. Völliger Blödsinn. Scheiße. Wer soll Darker verhaftet haben? Sie? Sie könnten nicht mal eine besoffene Nutte verhaften. Geoffrey? Das wagen Sie nicht! Ich kenne Sie. Und ich kenne das Gesetz. Eine Schranze wie Sie! Sie haben nicht mal Polizeibefugnisse. Sie können Geoffrey ebensowenig verhaften wie« - ihm wollte kein Vergleich einfallen - »wie eine Fliege«, endete er schwach. Er versuchte zu lachen. »Saublöder Trick«, sagte er, drehte Burr den Rücken zu und widmete sich einem Tablett mit Getränken. »Herrgott.« Und schüttelte bekräftigend den Kopf, während er sich aus einer prächtigen Karaffe, die zu verkaufen er offenbar vergessen hatte, einen Scotch einschenkte.

Burr stand noch immer. Die Aktentasche hatte er neben sich auf den Boden gestellt. »Palfrey haben sie noch nicht, aber es wird schon nach ihm gefahndet«, sagte er vollkommen gelassen. »Darker und Marjoram bleiben bis zur Anklageerhebung in Haft. Höchstwahrscheinlich wird es morgen früh bekanntgegeben, vielleicht auch erst nachmittags, falls wir die Presse hinhalten können. Sofern ich keine gegenteiligen Anweisungen gebe, werden in genau einer Stunde uniformierte Polizeibeamte mit großen, glänzenden Wagen sehr geräuschvoll vor diesem Haus vorfahren und Sie vor den Augen Ihrer Tochter und aller Leute, die sich sonst noch hier aufhalten mögen, in Handschellen zur Polizeiwache in Newbury bringen und dort in Gewahrsam nehmen. Sie bekommen ein getrenntes Verfahren. Wir klagen Sie zusätzlich noch wegen Betrugs an. Doppelte Buchführung, vorsätzliche und systematische Umgehung von Zoll- und Steuervorschriften, ganz zu schweigen von betrügerischer Absprache mit korrupten Regierungsbeamten und einigen anderen Anklagepunkten, die wir uns noch ausdenken werden, während Sie im Gefängnis schmachten und versuchen werden, sich seelisch auf sieben Jahre Haft vorzubereiten, falls Sie so bald begnadigt werden sollten, und die Schuld auf andere abzuwälzen, auf Dicky Roper, Corkoran, Sandy Langbourne, Darker, Palfrey oder wen Sie sonst noch bei uns verpfeifen können. Aber wir sind auf diese Zusammenarbeit nicht angewiesen. Roper haben wir nämlich auch im Sack. In jedem Hafen der westlichen Welt steht zu seinem Empfang ein großer kräftiger Mann am Kai und wartet mit fertig ausgestellten Auslieferungspapieren, und es fragt sich eigentlich nur noch, ob die Amerikaner die Pasha schon auf See hochgehen lassen oder ob sie den Passagieren noch einen netten Urlaub gönnen; denn es wird wahrscheinlich für sehr lange Zeit ihr letzter sein.« Er lächelte. Rachsüchtig. Fair. »Sir Anthony, ich fürchte, die Mächte des Lichts haben ausnahmsweise einmal den Sieg davongetragen. Soll heißen, ich und Rex Goodhew und ein paar sehr kluge Amerikaner, falls Sie neugierig sein sollten. Langley hat Bruder Darker hinters Licht geführt. Das Ganze war, wie sagt man, eine Scheinoperation. Ich nehme an, Sie kennen Goodhew nicht. Nun, Sie werden ihn zweifellos im Zeugenstand kennenlernen. Rex ist der geborene Schauspieler, wie sich gezeigt hat. Hätte auf der Bühne ein Vermögen machen können.«

Burr sah zu, wie Bradshaw wählte. Erst hatte er zugesehen, wie er in einem riesigen Intarsienschreibtisch herumwühlte und Rechnungen und Briefe beiseite schleuderte. Dann hatte er zugesehen, wie er ein zerfleddertes Telefonbuch ins trübe Licht einer Stehlampe hielt, den Daumen befeuchtete und die Seiten umschlug, bis er bei D angekommen war.

Dann sah er, wie er sich versteifte, wie er sich wütend aufpumpte und wichtigtuerisch ins Telefon bellte.

»Ich verlange Mr. Darker zu sprechen, bitte. Mr. Geoffrey Darker. Sir Anthony Joyston Bradshaw möchte in einer dringenden Angelegenheit mit ihm sprechen. Also machen Sie mal ein bißchen fix!«

Burr sah, wie die Wichtigtuerei ihn verließ und sein Mund immer weiter aufging.

»Wer spricht da? Inspektor wie? Na, was ist? Geben Sie mir Darker, es ist dringend. Was?«

Und als Burr dann am anderen Ende der Leitung Rookes sichere, leicht dialektgefärbte Stimme hörte, konnte er die Szene vor sich sehen: Rooke in seinem Büro, am Telefon stehend, wie er es gern tat, den linken Arm gerade an die Seite gepreßt, das Kinn fest nach unten gedrückt - die Exerzierplatz-Haltung zum Telefonieren.

Und neben ihm der kleine Harry Palfrey, wie er käsebleich und furchtbar kooperativ auf seinen Auftritt wartete.

Bradshaw legte auf und gab sich zuversichtlich. »Hatte Einbrecher im Haus«, erklärte er. »Polizei bereits da. Routinesache. Mr. Darker arbeitet noch in seinem Büro. Man hat ihn benachrichtigt. Alles vollkommen normal. Hat man mir gesagt.«

Burr lächelte. »Das sagen sie doch immer, Sir Anthony. Oder erwarten Sie vielleicht, daß man Ihnen sagt, Sie sollten die Koffer packen und abhauen?«

Bradshaw starrte ihn an. »Quatsch«, murmelte er und kehrte zur Lampe und seinem Telefonbuch zurück. »Ist doch alles Scheiße. Irgendein blödes Spiel.«

Diesmal wählte er die Nummer von Darkers Büro, und wieder sah Burr die Szene vor sich: Palfrey, wie er in seiner Sternstunde als Rookes loyaler Agent den Hörer abnahm; Rooke, wie er sich über ihn beugte und am Nebenanschluß mithörte, wie er seine große Hand hilfsbereit auf Palfreys Arm legt; und der klare, unkomplizierte Blick, mit dem er Palfrey Mut machte, seinen Text aufzusagen.

»Geben Sie mir Darker, Harry«, sagte Bradshaw. »Ich muß sofort mit ihm sprechen. Absolut lebenswichtig. Wo steckt er?... Was soll das heißen, Sie wissen es nicht?... Verdammte Scheiße, Harry, was haben Sie denn?... In sein Haus wurde eingebrochen, die Polizei ist da, sie haben mit ihm gesprochen, wo steckt er?... Lassen Sie den Scheiß von wegen Operation. Ich gehöre zur Operation. Das ist die Operation. Finden Sie ihn!«

Für Burr folgt ein langes Schweigen. Bradshaw hat sich den Hörer fest ans Ohr gepreßt. Er ist vor Entsetzen blaß geworden. Palfrey sagt seinen großartigen Text auf. Flüsternd, wie Burr und Rooke es ihm einstudiert haben. Aus tiefstem Herzen, denn für Palfrey ist es die Wahrheit.

»Tony, gehen Sie aus der Leitung, um Gottes willen!« drängt Palfrey verschwörerisch, während er sich mit den Knöcheln der freien Hand die Nase reibt. »Die Sache ist aufgeflogen. Geoffrey und Neal sind erledigt. Burr und Konsorten wollen uns fertigmachen. Überall Leute in den Fluren. Nicht wieder anrufen. Überhaupt keinen anrufen. Polizei in der Eingangshalle.«

Und dann kommt das beste: Palfrey legt auf - oder Rooke tut es für ihn - und läßt Bradshaw erstarrt stehen, wo er steht, den toten Hörer am Ohr, den Mund offen, um besser hören zu können.

»Ich habe die Papiere mitgebracht, falls Sie sie sehen wollen«, sagte Burr tröstend, als Bradshaw sich zu ihm umwandte. »Ich sollte das eigentlich nicht tun, gebe aber zu, daß es mir ein gewisses Vergnügen bereitet. Als ich vorhin etwas von sieben Jahren sagte, war ich pessimistisch. Wir aus Yorkshire neigen von Haus aus nicht zu Übertreibungen, nehme ich an. Vermutlich werden Sie eher zehn bekommen.«

Seine Stimme war lauter geworden, aber nicht schneller. Während er sprach, zog er schwerfällig, mit den anzüglichen Bewegungen eines Zauberers, ein zerknittertes Bündel nach dem anderen aus der Aktentasche. Manchmal schlug er eine Akte auf und hielt inne, um einen bestimmten Brief zu studieren, ehe er ihn hinlegte. Manchmal schüttelte er lächelnd den Kopf, als wollte er sagen: Kann man das glauben?

»Komisch, wie ein Fall wie dieser sich plötzlich, an einem einzigen Nachmittag, um hundertachtzig Grad drehen kann«, grübelte er, während er weiter auspackte. »Meine Leute und ich, wir rackern uns ab, und kein Mensch interessiert sich dafür. Stoßen andauernd auf Granit. Hieb- und stichfeste Beweise gegen Darker haben wir schon, seit na« - wieder gestattete er sich ein Pause, um zu lächeln - »jedenfalls so lange, wie ich zurückdenken kann. Und was Sir Anthony angeht, na ja. Sie hatten wir schon im Visier, als ich noch ein kleiner grüner Junge auf der Grammar School war, möchte ich meinen. Verstehen Sie, ich hasse Sie wirklich. Es gibt viele Leute, die ich hinter Gitter bringen will, was mir freilich nie gelingen wird. Aber Sie sind wahrhaftig eine Klasse für sich, schon immer gewesen. Aber das wissen Sie ja selbst, wie?« Eine weitere Akte fiel ihm ins Auge, und er erlaubte sich ein paar Sekunden lang, sie durchzublättern. »Und plötzlich geht das Telefon - wie üblich zur Mittagspause, aber zum Glück mache ich gerade eine Diät -, und da spricht jemand, den ich kaum kenne, jemand von der Staatsanwaltschaft - >He, Leonard, wollen Sie nicht mal zu Scotland Yard rüberspringen, sich ein paar ehrgeizige Polizeibeamte schnappen und diesen Geoffrey Darker hochnehmen? Wird Zeit, daß wir in Whitehall mal aufräumen, Leonard; müssen endlich alle diese korrupten Beamten und ihre zwielichtigen Kontaktleute draußen loswerden - Männer wie Sir Anthony Joyston Bradshaw, zum Beispiel - und für die Außenwelt ein Exempel statuieren. Die Amerikaner machen das, warum nicht auch wir? Wir müssen endlich beweisen, daß es uns Ernst damit ist, zukünftigen Feinden keine Waffen liefern zu wollen - und diesen ganzen Mist.<« Er zog die nächste Akte heraus: STRENG GEHEIM, ACHTUNG VERSCHLUSSSACHE, und tätschelte sie zärtlich. »Zur Zeit steht Darker, wie wir das nennen, unter freiwilligem Hausarrest. Zeit für Geständnisse, nur daß wir das nicht so nennen. Wenn wir es mit Leuten aus der eigenen Branche zu tun haben, nehmen wir's nicht so genau mit den Vorschriften. Ab und zu muß man das Gesetz schon beugen, sonst kommt man nie ans Ziel.«

Kein Bluff gleicht dem anderen, aber eins ist für jeden Bluff unerläßlich: die Komplizenschaft zwischen Betrüger und Betrogenem, die mystische Verflechtung gegensätzlicher Bedürfnisse. Bei dem, der auf der falschen Seite des Gesetzes steht, mag der unbewußte Wunsch mitspielen, auf die richtige Seite zurückzukommen; beim einsamen Kriminellen das heimliche Verlangen, wieder ins Rudel aufgenommen zu werden, irgendein Rudel, Hauptsache, er darf wieder dabeisein. Und was einen abgetakelten Playboy und Schurken wie Bradshaw veranlaßte, Burr bereitwillig auf den Leim zu gehen - dies hoffte zumindest der Dachstubenweber, während er zusah, wie sein Gegner las, vorblätterte, zurückblätterte, die nächste Akte nahm und weiterlas -, war das gewohnheitsmäßige Streben nach exklusiver Behandlung um jeden Preis, nach dem endgültigen Geschäft, nach Rache an jenen, deren Leben erfolgreicher verlief als seins.

»Um Gottes willen«, murmelte Bradshaw schließlich und gab die Akten zurück, als ob ihm davon schlecht würde. »Kein Grund für eine Staatsaktion. Es gibt doch sicher einen Mittelweg. Muß es geben. Sie sind doch immer ein vernünftiger Mann gewesen.«

Burr war weniger entgegenkommend. »Ich würde das wohl kaum einen Mittelweg nennen, Sir Anthony«, sagte er mit von neuem aufflammender Wut, als er die Akten nahm und in die Tasche zurückstopfte. »Eher ein Spiel, das bis zum nächstenmal verschoben wird. Sie werden jetzt nämlich für mich die Iron Pasha anrufen und mit unserem gemeinsamen Freund ein paar Takte reden.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Folgendes. Sagen Sie ihm, die Kacke ist am Dampfen. Sagen Sie ihm, was ich Ihnen gesagt habe, was Sie gesehen haben, was Sie getan haben, was Sie gehört haben.« Er warf einen Blick aus dem vorhanglosen Fenster. »Kann man von hier aus die Straße sehen?«

»Nein.«

»Schade, inzwischen sind sie nämlich da draußen. Ich dachte, wir könnten auf der anderen Seite des Teichs vielleicht ein paar Blaulichter blinken sehen. Nicht mal von oben?«

»Nein.«

»Sagen Sie ihm, daß wir Sie durchschaut haben, und zwar komplett; Sie sind zu leichtsinnig gewesen; wir sind Ihren windigen Endabnehmen bis zur Quelle nachgegangen und verfolgen die Kurse der Lombard]/ und der Horatio Enriques mit Interesse. Es sei denn. Sagen Sie ihm, die Amerikaner heizen in Marion schon eine Zelle für ihn vor. Sie wollen selbst Anklage erheben. Es sei denn. Sagen Sie ihm, seine einflußreichen Freunde bei Gericht sind keine Freunde mehr.« Er gab Bradshaw das Telefon. »Sagen Sie ihm, Sie ängstigen sich zu Tode. Weinen Sie, falls Sie das noch können. Sagen Sie ihm, Sie könnten es nicht ertragen, ins Gefängnis zu gehen. Bringen Sie ihn dazu, Sie für Ihre Schwäche zu hassen. Sagen Sie ihm, daß ich Palfrey beinahe mit bloßen Händen erwürgt hätte, aber das kam nur daher, weil ich ihn kurzfristig mit Roper verwechselt habe.«

Bradshaw leckte sich die Lippen, er wartete. Burr schritt durchs Zimmer und setzte sich auf der anderen Seite in ein dunkles Fenster.

»Es sei denn?« fragte Bradshaw nervös.

»Dann sagen Sie ihm folgendes«, fuhr Burr äußerst widerwillig fort. »Ich lasse alle Anklagepunkte fallen. Gegen Sie und gegen ihn. Dies eine Mal. Seine Schiffe können weiterfahren. Darker, Marjoram, Palfrey - die wandern dorthin, wo sie hingehören. Aber er und Sie und die Schiffsladungen bleiben unbehelligt.« Er hob die Stimme. »Und sagen Sie ihm, ehe ich mich geschlagen gebe, werde ich ihn und seine schreckliche Sippschaft bis ans Ende der Welt verfolgen. Sagen Sie ihm, bevor ich sterbe, ich will noch einmal reine Luft atmen können.« Er geriet kurz ins Stocken, fing sich aber wieder. »Er hat einen Mann namens Pine an Bord. Sie haben vielleicht von ihm gehört. Corkoran hat Sie aus Nassau angerufen und Ihnen von ihm erzählt. Die Flußratten haben seine Vergangenheit für Sie ausgegraben. Wenn Roper ihn binnen einer Stunde nach Ihrem Anruf freiläßt« - wieder zögerte er -, »werde ich den Fall vergessen. Er hat mein Wort.«

Bradshaw starrte ihn an, ebenso verblüfft wie erleichtert. »Donnerwetter, Burr. Dieser Pine muß ja eine große Nummer sein!« Ihm kam ein glücklicher Gedanke. »Mensch, Alter - Sie stecken nicht rein zufällig mit in der Sache?« fragte er. Aber die Hoffnung schwand, als er Burrs Blick bemerkte.

»Und sagen Sie ihm, ich will auch das Mädchen haben«, sagte Burr noch im nachhinein.

»Welches Mädchen?«

»Das geht Sie einen Scheißdreck an. Pine und das Mädchen. Lebendig und unversehrt.«

Burr konnte sich selbst nicht ausstehen, als er ihm die Satcom-Nummer der Iran Pasha diktierte.

Spät am selben Abend. Palfrey ging zu Fuß, ohne den Regen wahrzunehmen. Rooke hatte ihn in ein Taxi gesetzt, aber er war bald wieder ausgestiegen. Jetzt befand er sich irgendwo in der Nähe der Baker Street: London war zu einer arabischen Stadt geworden. In den neonhellen Fenstern der kleinen Hotels standen dunkeläugige Männer in zwanglosen Gruppen, sie gestikulierten und ließen ihre Gebetsschnüre durch die Finger laufen, während die Kinder mit ihren neuen Spielzeugeisenbahnen spielten und abseits verschleierte Frauen miteinander sprachen. Zwischen den Hotels standen Privatkliniken, und vor den beleuchteten Eingangsstufen von einem dieser Häuser blieb Palfrey stehen, überlegte vielleicht, ob er hineingehen sollte, entschied sich dagegen und ging weiter.

Er trug weder Hut noch Mantel und hatte auch keinen Schirm dabei. Ein Taxi wurde langsamer, als es an ihm vorbeifuhr, aber seine verzweifelte Miene machte Palfrey unansprechbar. Er glich einem Mann, der irgend etwas Wichtiges nicht mehr wiederfinden konnte, sein Auto vielleicht -in welcher Straße hatte er es abgestellt? -, seine Frau, seine Geliebte - wo hatten sie sich verabredet? Einmal klopfte er die Taschen seiner durchnäßten Jacke ab, nach Schlüsseln, Geld oder Zigaretten. Einmal betrat er einen Pub, der gerade schließen wollte, legte eine Fünf-Pfund-Note auf die Theke, trank einen doppelten Whisky ohne Wasser, vergaß das Wechselgeld und ging, laut den Namen »Apostoll« vor sich hin murmelnd - obwohl der einzige Zeuge, der später eine Aussage dazu machen konnte, ein Theologiestudent war, der verstanden zu haben glaubte, Palfrey habe sich selbst als Apostaten bezeichnet. Auf der Straße setzte er seine Suche fort, sah sich alles an und verwarf es wieder - nein, hier bin ich falsch, hier nicht, hier nicht. Aus einem Hauseingang sprach ihn gutmütig eine alte blondgefärbte Hure an, aber er schüttelte den Kopf - auch du bist nicht die Richtige. Er betrat einen anderen Pub, gerade als der Wirt die letzte Runde ausrief.

»Pine heißt der Kerl«, sagte Palfrey zu einem Mann und hob sein Glas zu einem verzweifelten Trinkspruch. »Sehr verliebt.« Der Mann trank ihm schweigend zu, denn er meinte, Palfrey mache einen ziemlich beklagenswerten Eindruck. Dem muß jemand seine Freundin weggeschnappt haben, dachte er. Kein Wunder, bei so einem Zwerg.

Palfrey entschied sich für die Verkehrsinsel, ein Dreieck aus erhöhtem Straßenpflaster, von einem Geländer umgeben, bei dem nicht klar ersichtlich war, ob es Passanten ein- oder aussperren sollte. Anscheinend aber war die Insel noch immer nicht das Richtige; vielleicht suchte er eher so etwas wie einen Aussichtspunkt, ein vertrautes Wahrzeichen.

Und er ging nicht hinter das schützende Geländer. Einem Zeugen zufolge machte er das gleiche wie ein Kind auf dem Spielplatz; er stellte sich mit den Absätzen auf den Rand des Bordsteins und schlang die Arme nach hinten um das Geländer; es war, als stünde er nachdenklich auf der Außenseite eines fahrenden Karussells, das nicht fuhr, und sehe den leeren nächtlichen Doppeldeckerbussen zu, die in ihrer Eile, nach Hause zu kommen, an ihm vorbeirasten.

Schließlich richtete er sich auf wie jemand, der endlich die Orientierung wiedererlangt hat, zog die ziemlich strapazierten Schultern zurück, bis er aussah wie ein alter Soldat am Waffenstillstandstag, wählte einen besonders schnell herankommenden Bus und warf sich darunter. Und auf dieser speziellen Strecke und zu dieser nächtlichen Stunde, auf dieser Straße, die der Dauerregen in eine Rutschbahn verwandelt hatte, konnte der bedauernswerte Fahrer nun wahrlich absolut nichts mehr machen. Und Palfrey wäre der letzte gewesen, der ihm einen Vorwurf daraus gemacht hätte.

In Palfreys Tasche fand man sein Testament, handgeschrieben, aber rechtsgültig aufgesetzt, allerdings ein wenig lädiert. Darin erließ er alle Schulden und bestimmte Goodhew zu seinem Testamentsvollstrecker.