21

 

Daß sich während der Wochen in Crystal zwischen ihm und Roper eine Freundschaft entwickelt hatte, erwies sich für Jonathan in dem Moment, da Ropers Jet vom Nassauer Flughafen abhob. Man hätte denken können, die beiden Männer waren übereingekommen, erst diesen gemeinsamen Augenblick der Erleichterung abzuwarten, ehe sie einander ihre Sympathie offenbarten.

»Herrgott«, brüllte Roper und löste fröhlich den Sicherheitsgurt. »Weiber! Fragen! Kinder! Thomas, schön, Sie an Bord zu haben. Megs, bring uns eine Kanne Kaffee, Schätzchen. Zu früh für Schampus. Kaffee, Thomas?«

»Ja, gerne«, sagte der Hotelier. Und fügte gewinnend hinzu: »Nach Corkys Vorstellung gestern abend könnte ich eine Menge davon brauchen.«

»Was sollte eigentlich dieser Blödsinn mit Ihrem Rolls?«

»Keine Ahnung. Er hat sich wohl in den Kopf gesetzt, ich wollte Ihren stehlen.«

»Esel. Setzen Sie sich hier rüber. Brauchen den Gang nicht zwischen uns. Croissants, Megs? Rotes Gelee?«

Meg war die Stewardeß; sie stammte aus Tennessee.

»Mr. Roper, wann habe ich jemals die Croissants vergessen?«

»Kaffee, warme Croissants, Brötchen, Gelee, alles da. Haben Sie auch manchmal dieses Gefühl, Thomas? Frei zu sein? Keine Kinder, Tiere, Dienstboten, Investoren, Fragen, neugierige Weiber? Man ist wieder in seiner Welt? Hat Bewegungsfreiheit? Frauen sind eine Belastung, wenn man sie läßt. Gut drauf heute, Megs?«

»Aber sicher, Mr. Roper.«

»Wo ist der Saft? Den Saft vergessen. Typisch. Gefeuert, Megs. Entlassen. Geh auf der Stelle. Spring.«

Unbeeindruckt stellte Meg die beiden Frühstückstabletts ab und brachte dann frischen Orangensaft, Kaffee, warme Croissants und rotes Gelee. Sie war um die vierzig, hatte eine leichte Hasenscharte und wirkte auf eine lädierte, aber tapfere Art sexy. »Wissen Sie was, Thomas?« fragte sie. »Das macht er immer mit mir. Als ob er sich erst aufputschen müßte, bevor er die nächste Million verdient. Ich sitze zu Hause und koche Gelee für ihn. Ich mache nichts anderes, wenn wir nicht fliegen. Mr. Roper ißt nur mein Gelee.«

Roper gab ein heiseres Lachen von sich. »Die nächste Million? Was zum Geier redest du da, Frau? Eine Million reicht nicht mal für die Seife in diesem Flugzeug. Das beste rote Gelee der Welt. Der einzige Grund, warum sie noch hier ist.« Er zerquetschte mit allen fünf Fingern ein Brötchen in der Faust. »Gut zu leben ist eine Pflicht. Das ist der Sinn der ganzen Übung. Luxus ist die beste Rache. Wer hat das gesagt?«

»Wer auch immer es war, er hat absolut recht«, sagte Jonathan ergeben.

»Hohe Maßstäbe setzen, die Leute danach streben lassen. Die einzige Möglichkeit. Wer Geld ausgibt, hält die Welt in Gang. Sie haben in vornehmen Hotels gearbeitet. Sie kennen sich aus. Das Gelee ist schlecht, Meg. Schaumig. Stimmt's Thomas?«

»Im Gegenteil, es ist umwerfend«, erwiderte Jonathan ruhig und zwinkerte Meg zu.

Rundum Gelächter. Der Chef bester Laune. Jonathan auch. Plötzlich scheinen sie alles gemeinsam zu haben, einschließlich Jed. Goldene Spitzen säumen die Wolkenbänke, Sonnenlicht durchflutet das Flugzeug. Sie könnten auf dem Weg in den siebten Himmel sein. Tabby sitzt im Heck. Frisky hat sich vorne an der Trennwand plaziert und bewacht die Tür zum Cockpit. Zwei MacDanbies sitzen in der Mitte des Flugzeugs und klappern auf ihren Laptops herum.

»Frauen stellen zu viele Fragen, stimmt's, Megs?«

»Ich nicht, Mr. Roper. Niemals.«

»Erinnern Sie sich noch an diese Nutte, Megs? Ich sechzehn, sie dreißig. Wissen Sie noch?«

»Aber natürlich, Mr. Roper. Sie hat Ihnen Ihre erste Lektion im Leben erteilt.«

»War nervös, verstehen schon. Jungfrau.« Sie aßen Seite an Seite, konnten Geständnisse machen, ohne sich in die Augen sehen zu müssen. »Nicht sie. Ich.« Wieder eine Lachsalve. »Kannte mich nicht aus, also hab ich den ernsten Studenten gespielt. Meinte, sie müsse ein Problem haben - >Sie Ärmste, was ist denn schiefgelaufen?< - dachte, jetzt erzählt sie mir was in der Richtung, ihr alter Vater hätte Krebs gehabt und ihre Mutter sei mit dem Klempner durchgebrannt, als sie zwölf war. Sieht mich an. Durchaus kein freundlicher Blick. >Wie heißt du?< sagt sie. Kleiner Staffordshire-Terrier. Breiter Arsch. Höchstens eins fünfzig. >Dicky<, sagte ich. >Jetzt hör mir gut zu, Dicky<, sagt sie. >Du kannst meinen Körper ficken, das kostet dich einen Fünfer. Aber meinen Kopf kannst du nicht ficken, der ist nämlich privat.< Hab ich nie vergessen, was Megs? Wunderbare Frau. Hätte sie heiraten sollen. Nicht Megs. Die Hure.« Wieder stieß er seine Schulter an Jonathans. »Wollen Sie wissen, wie es funktioniert?«

»Wenn's kein Staatsgeheimnis ist.«

»Operation Feigenblatt. Sie sind das Feigenblatt. Der Strohmann. Der Witz ist bloß, Sie sind nicht mal Stroh. Sie existieren gar nicht. Um so besser. Derek Thomas, Spekulant, Spitzenmann, schlagfertig, sympathisch, tüchtig. Anständiger Ruf in der Branche, keine Leichen im Keller, gute Kritiken. Dicky und Derek. Vielleicht haben wir schon mal Geschäfte gemacht. Geht niemand was an. Ich sage diesen Clowns - den Maklern, den Spekulanten, den flexiblen Banken: >Habe hier einen ausgekochten Burschen. Brillanter Plan, schnelle Profite. Braucht Geldgeber, aber kein Wort nach draußen. Geht um Traktoren, Turbinen, Maschinenteile, Erze, Grundstücke und weiß der Teufel was. Wenn ihr mitmacht, stell ich ihn euch später vor. Er ist jung, er hat Beziehungen, fragt mich nicht, wo, sehr raffiniert, politisch auf der Höhe, umgänglich, wenn's die richtigen Leute sind, einmalige Gelegenheit. Wollte euch da nicht ausschließen. Könnt in maximal vier Monaten euer Geld verdoppeln. Ihr kauft Papier. Wenn ihr kein Papier haben wollt, verschwendet nicht meine Zeit. Geht um Inhaberobligationen, keine Namen, kein Strafexerzieren, keine Verbindung zu irgendeiner anderen Firma, einschließlich meiner. Es ist mal wieder ein Geschäft, bei dem ihr Dicky vertrauen müßt. Ich bin beteiligt, aber nicht dabei. Sitz der Gesellschaft in einem Gebiet, wo man keine Geschäftsbücher führen muß, keine Verbindung nach England, keine unserer Kolonien, nicht unser Bier. Wenn das Ding gelaufen ist, wird die Firma aufgelöst, der Stecker rausgezogen, die Konten geschlossen, und dann bis später mal. Sehr enger Kreis, so wenig Beteiligte wie möglich, keine dummen Fragen, macht mit oder laßt es, ihr seid die Auserwählten. < Soweit alles klar?«

»Glauben diese Leute Ihnen?«

Roper lachte. »Falsche Frage. Ist die Geschichte überzeugend? Können sie sie ihren Börsenspekulanten unterjubeln? Gefällt ihnen Ihre Visage? Machen Sie auf dem Prospekt ein nettes Gesicht? Wenn Sei die richtigen Karten ausspielen, lautet die Antwort jedesmal ja.«

»Sie meinen, es gibt einen Prospekt?«

Wieder lachte Roper laut auf. »Schlimmer als eine blöde Frau, dieser Kerl!« bemerkte er zufrieden zu Meg, die gerade Kaffee nachschenkte. »Warum, warum, warum? Wie, wann, so?«

»So etwas tu ich nie, Mr. Roper«, sagte Meg streng.

»Das stimmt, Megs. Du bist ein feines Mädchen.«

»Mr. Roper, Sie tätscheln mir schon wieder den Hintern.«

»Entschuldige, Megs. Muß gedacht haben, ich bin zu Hause.« Wieder zu Jonathan. »Nein, es gibt keinen Prospekt. Redewendung. Mit etwas Glück ist die Firma schon aufgelöst, bis wir den Prospekt gedruckt haben.«

Roper erklärte ihm weitere Details, Jonathan hörte zu und antwortete aus dem Kokon seiner Überlegungen. Er dachte an Jed und sah sie so lebendig vor sich, daß es ein Wunder war, daß Roper, der nur wenige Zentimeter von ihm entfernt saß, keine telepathischen Eindrücke davon empfing. Jonathan spürte ihre Hände auf dem Gesicht, während sie ihn musterte, und er fragte sich, was sie dort sehen mochte. Er dachte an Burr und Rooke in dem Londoner Ausbildungszentrum, und als er hörte, wie Roper den energischen jungen Manager Thomas schilderte, wurde ihm klar, daß er wieder einmal willig seinen Charakter manipulieren ließ. Er hörte Roper sagen, Langbourne sei vorausgefahren, um den Weg zu ebnen, und fragte sich, ob dies vielleicht der Augenblick sei, ihn darauf hinzuweisen, daß Caroline die Sache hinter seinem Rücken ausplauderte, und so einen weiteren Pluspunkt bei Roper zu verbuchen. Er kam aber zu dem Schluß, daß Roper dies ohnehin wußte: Wie sonst hätte Jed ihn wegen seiner Sünden zur Rede stellen können?

Er dachte, wie er es unablässig tat, über das hartnäckige Geheimnis von Ropers Ansichten über Recht und Unrecht nach, und erinnerte sich daran, daß Sophie den schlimmsten Mann der Welt für einen Moralisten gehalten hatte, der in seinen Augen um so mehr Format hatte, je mehr er seine eigenen Einsichten mißachtete.

Er zerstört, er macht ein großes Vermögen, also hält er sich für göttlich, erklärte sie in zorniger Verwirrung.

»Apo wird Sie natürlich erkennen«, sagte Roper gerade, »hat den Typ in Crystal gesehen - früher bei Meister - Freund von Dicky. Sehe da kein Problem. Apo ist sowieso auf der anderen Seite.«

Jonathan fuhr zu ihm herum, als hätte Roper ihn an etwas erinnert.

»Das wollte ich schon längst fragen: Wer ist die andere Seite? Ich meine, es ist prima, was zu verkaufen, aber wer ist der Käufer?«

Roper gab einen künstlichen Schmerzensschrei von sich. »Hör dir das an, Megs! Traut mir nicht! Muß überall seine Nase reinstecken!«

»Ich kann ihm das nicht übelnehmen, Mr. Roper. Sie können sehr gemein sein, wenn Ihnen danach ist. Ich hab's selbst erlebt, das wissen Sie. Gemein und hinterlistig, und sehr, sehr charmant.«

Roper döste, also döste Jonathan auch und lauschte dem Gezirpe der Laptops der MacDanbies über dem Dröhnen der Motoren. Als er aufwachte, kam Meg mit Schampus und Räucherlachs-Canapes; wieder wurde geredet, gelacht, gedöst. Als er das nächstemal aufwachte, kreiste das Flugzeug über einer in der Hitze flimmernden holländischen Spielzeugstadt. Durch den Dunst erkannte er träge Stöße von Artilleriefeuer, es waren die Schornsteine der Ölraffinerie von Willemstad, die Gas abfackelte.

»Ich behalte Ihren Paß, falls Sie nichts dagegen haben, Tommy«, sagte Frisky ruhig, als sie über die flirrende Rollbahn gingen. »Bloß vorübergehend, okay? Wie sieht's eigentlich mit Bargeld aus?«

»Ich habe keins«, sagte Jonathan.

»Ah, geht schon in Ordnung. Keine Sorge. Bloß, diese Kreditkarten, die der alte Corky Ihnen gegeben hat, die sind mehr was fürs Auge, wissen Sie, Tommy. Sie hätten nicht viel Freude dran, sie nicht zu gebrauchen, alles klar?«

Roper war bereits durch den Zoll und schüttelte den Leuten die Hand, die ihn respektierten. Rooke, mit einer Hornbrille, die er nur für größere Entfernungen brauchte, saß auf einer orangefarbenen Bank und las die Innenseiten der Financial Times. Eine Reisgruppe junger Missionarinnen sang, dirigiert von einem Einbeinigen, mit piepsigen Stimmen >Jesus, Freude aller Menschen<. Ropers Anblick brachte Jonathan halbwegs auf die Erde zurück.

Das Hotel war ein Hufeisen aus Häusern mit roten Dächern am Rand der Stadt; es hatte zwei Strände und ein Gartenrestaurant mit Blick auf ein unruhiges, windgepeitschtes Meer. Die Roper-Gesellschaft nahm Quartier im mittleren und stattlichsten Gebäude, in einer Flucht großer Zimmer auf der obersten Etage; Roper bezog die eine Ecksuite, Derek S. Thomas, der Manager, die andere. Jonathans Empfangszimmer hatte einen Balkon mit einem Tisch und Stühlen; das Bett im Schlafzimmer bot Platz genug für vier, die Kopfkissen rochen nicht nach Holzrauch. Eine Flasche von Herrn Meisters Gratis-Champagner stand bereit, daneben eine Schale mit weißen Weintrauben, die Frisky verschlang, während Jonathan sich einrichtete. Und er hatte ein Telefon, das nicht einen halben Meter tief im Boden vergraben war und bereits klingelte, als Jonathan noch auspackte. Frisky beobachtete, wie er den Hörer abnahm.

Rooke verlangte Thomas zu sprechen.

»Thomas am Apparat«, sagt Jonathan mit seiner besten Managerstimme.

»Nachricht von Mandy, sie ist unterwegs zu Ihnen.«

»Ich kenne keine Mandy. Wer spricht da?«

Pause, während Rooke am anderen Ende der Leitung den Verdutzten spielt. »Mr. Peter Thomas?«

»Nein. Derek. Sie haben den falschen Thomas erwischt.«

»Entschuldigen Sie. Muß der in 22 sein.«

Jonathan legte auf und brummte »Idiot«. Er duschte, zog sich an und kam ins Empfangszimmer zurück, wo Frisky in einem Sessel hing und die Hauszeitschriften nach erotischen Stimulanzien durchforstete. Er wählte Zimmer 22 an und hörte Rooke hallo sagen.

»Hier spricht Mr. Thomas in 319. Schicken Sie bitte jemand vorbei, der meine Wäsche abholt. Ich lege sie vor die Tür.«

»Kommt sofort«, sagte Rooke.

Jonathan ging ins Bad, nahm ein Päckchen handschriftlicher Notizen, die er hinter dem Spülkasten versteckt hatte, wickelte sie in ein schmutziges Hemd, stopfte das Hemd in den Wäschesack aus Plastik, fügte Socken, Taschentuch und Unterhose dazu, kritzelte eine Wäscheliste, legte die Liste in den Sack und hängte den Sack an die Außenklinge seiner Suite. Beim Schließen der Tür sah er Millie von Rookes Londoner Ausbildungsteam durch den Flur stapfen; sie trug ein strenges Baumwollkleid, an das ein schlichtes Schildchen mit dem Namen >Mildred< gesteckt war.

Der Chef sagt, bis weitere Anweisungen kommen, sollen wir die Zeit totschlagen, sagte Frisky.

Und so schlugen sie zu Jonathans Freude die Zeit tot - Frisky bewaffnet mit einem Funktelefon, und um der Zeit gar keine Chance zu lassen, zockelte auch noch Tabby mürrisch hinterher. Aber Jonathan war trotz aller Befürchtungen leichter ums Herz als je, seit er vom Lanyon zu seiner Odyssee aufgebrochen war. Die alten Gebäude waren so unwahrscheinlich hübsch, daß ihn freudiges Heimweh erfüllte. Der Markt auf dem Wasser und die Schiffsbrücke übten den beabsichtigten Zauber auf ihn aus; staunend und hingerissen wie jemand, den man gerade aus dem Gefängnis entlassen hatte, betrachtete er die lärmenden Scharen von Touristen und lauschte dem Papiamento der Einwohner, das mit dem aufgeregten Tonfall der Niederländer vermischt war. Er befand sich wieder unter echten Menschen. Menschen, die lachten und gafften und einkauften und drängelten und auf der Straße süße Brötchen aßen. Und nichts, absolut nichts von seiner Tätigkeit wußten.

Einmal sah er Rooke und Millie in einem Straßenrestaurant Kaffee trinken und hätte ihnen im neuen Gefühl seiner Verantwortungslosigkeit um ein Haar zugezwinkert. Einmal erkannte er einen Mann namens Jack, der ihm im Ausbildungszentrum in Lisson Grove beigebracht hatte, wie man imprägnierte Kohle für Geheimschrift verwenden konnte, Jack, wie geht's dir? Als er sich umblickte, bewegte sich in seiner Phantasie nicht Friskys oder Tabbys Kopf neben ihm her, sondern der von Jed: Ihr kastanienbraunes Haar flatterte im Wind.

Ich kapier das nicht, Thomas. Liebt man jemanden für das, womit er sein Geld verdient? Mir ist das egal.

Und wenn er Banken ausraubt?

Jeder raubt Banken aus. Die Banken rauben jeden aus.

Und wenn er deine Schwester umgebracht hat?

Thomas, um Gottes willen.

Wenn du doch Jonathan zu mir sagen könntest, sagte er.

Wieso?

Weil ich so heiße, antwortete er. Jonathan Pine.

Jonathan, sagte sie. Jonathan. Ach Scheiße! Das ist, als ob man bei einem Pferderennen zurückgepfiffen wird und noch einmal neu starten soll. Jonathan ... Gefällt mir noch nicht mal... Jonathan ... Jonathan ...

Vielleicht gewöhnst du dich noch dran, meinte er.

 

Als sie ins Hotel zurückkamen, trafen sie Langbourne im Foyer, umringt von einer Gruppe Geldmenschen in dunklen Anzügen. Er sah wütend aus, etwa so, als habe sein Wagen sich verspätet oder irgendwer sich geweigert, mit ihm zu schlafen. Jonathans gute Laune steigerte seine Gereiztheit noch.

»Habt ihr Apostoll hier irgendwo herumlungern sehen?« kläffte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Der blöde Zwerg hat sich in Luft aufgelöst.«

»Keine Menschenseele«, sagte Frisky.

Aus Jonathans Empfangszimmer waren die Möbel entfernt worden. Einige Flaschen Dom Perignon standen in einem geräumigen Eiskübel auf einer Art Tapeziertisch. Zwei sehr langsame Kellner entluden Tabletts mit Canapes von einem Servierwagen.

»Sie werden Hände schütteln«, hatte Roper gesagt. »Streicheleinheiten verteilen, einen guten Eindruck machen.«

»Und wenn sie mit mir übers Geschäft reden wollen?«

»Die Clowns werden genug damit zu tun haben, das Geld zu zählen, bevor sie es bekommen haben.«

»Könnten Sie wohl ein paar Aschenbecher bringen«, bat Jonathan einen der Kellner. »Und die Fenster aufmachen, wenn's recht ist. Wer hat die Verantwortung hier?«

»Ich, Sir«, sagte der Kellner mit dem Namensschildchen >Arthur<.

»Frisky, geben Sie Arthur zwanzig Dollar, bitte.«

Widerwillig reichte Frisky ihm das Geld.

Es war Crystal, nur ohne die Amateure. Crystal, nur daß nirgends Jeds Blick aufzufangen war. Crystal, nur daß die Öffentlichkeit zugelassen war, alles überschwemmt von dynamischen Notwendigen Übeln - nur daß der Star dieses Abends Derek Thomas hieß. Unter Ropers gütigem Blick nahm der geschniegelte ehemalige Nacht-Manager seine Aufgaben wahr: schüttelte Hände, lächelte strahlend, erinnerte sich an Namen, plauderte geistreich.

»Hallo, Mr. Gupta, was macht das Tennis? Ach, Sir Hector, welch eine Freude, Sie wiederzusehen! Mrs. Del Oro, wie geht es Ihnen, wie kommt Ihr glänzender Sohn in Yale voran?«

Ein schmieriger englischer Banker aus Rickmansworth nahm Jonathan beiseite und hielt ihm einen Vortrag über den Nutzen des Handels für die aufstrebenden Länder. Zwei bimssteingesichtige Wertpapierhändler aus New York hörten teilnahmslos zu.

»Ich sag es Ihnen ganz offen, ich schäme mich nicht dafür, ich habe es diesen Herren bereits gesagt, und ich sage es jetzt noch einmal. Für die Dritte Welt zählt heutzutage nur eins, nämlich, wie sie das Zeug investieren, nicht, wie sie es machen. Reinvestieren. Das ist die einzige Spielregel. Infrastruktur verbessern, Lebensstandard anheben. Und danach ist alles erlaubt. Ich meine das ernst. Brad hier sieht das genauso. Sol auch.«

Brad hielt die Lippen beim Sprechen so fest zusammen, daß Jonathan zunächst gar nicht mitbekam, daß er überhaupt sprach. »Sie, äh, sind mit der Sache vertraut, Derek? Sie, äh, sind Ingenieur, Sir? Experte? So was in der, äh, Richtung?«

»Mit Booten kenne ich mich am besten aus«, sagte Jonathan fröhlich. »Nicht solche Schiffe, wie Dicky sie fährt. Segelboote. Zwanzig Meter, länger brauchen sie für mich nicht zu sein.«

»Boote, ja? Phantastisch. Er, äh, mag Boote.«

»Ich auch«, sagte Sol.

Eine zweite Händeschüttel-Orgie beendete die Party. Derek, das war sehr anregend. Alles Gute, Derek. Und ob, Derek, Sie können jederzeit in Philly einen Job haben ... Derek, wenn Sie das nächste Mal nach Detroit kommen ... Und ob ... Entzückt von seiner Vorstellung, stand Jonathan auf dem Balkon, lächelte die Sterne an und roch das Öl im dunklen Seewind. Was tust du jetzt? Abendessen mit Corkoran und dem Clan aus Nassau - mit Cynthia, die Sealyhamterrier züchtet, mit Stephanie, die aus der Hand liest? Wieder einmal werden Menüs für die Winterkreuzfahrt diskutiert, mit Delia, der begehrten und fast nicht bezahlbaren Köchin der Iron Pasha? Oder liegst du mit dem Kopf auf dem weißen Seidenkissen deiner Arme und flüsterst: Jonathan, um Himmels willen, was soll ein Mädchen denn machen?

»Zeit für den Futtersack, Tommy, können das Volk nicht warten lassen.«

»Ich habe keinen Hunger, Frisky.«

»Hat wohl keiner von uns, Tommy- Das ist wie in die Kirche gehen. Kommen Sie.«

Das Essen findet in einem alten Fort auf einem Hügel über dem Hafen statt. Bei Nacht wirkt Willemstad von dort oben so groß wie San Francisco, und selbst die blaugrauen Zylinder der Raffinerie haben etwas magisch Imposantes. Die MacDanbies haben einen Tisch für zwanzig Personen bestellt, doch nur vierzehn lassen sich auftreiben. Jonathan macht sich unbekümmert über die Cocktailparty lustig. Meg und der englische Banker samt Gattin lachen sich krank. Aber Roper ist mit seinen Gedanken woanders. Er starrt auf den Hafen hinunter, wo sich ein großes, mit bunten Lämpchen geschmücktes Kreuzfahrtschiff zwischen vor Anker liegenden Lastkähnen hindurch auf eine ferne Brücke zubewegt. Möchte Roper es haben? Will er die Pasha verkaufen, um sich etwas von anständiger Größe anzuschaffen?

»Der Ersatzanwalt ist unterwegs, verdammte Bande«, verkündet Langbourne, als er wieder einmal vom Telefon zurückkommt. »Schwört, daß er rechtzeitig zur Besprechung hier sein wird.«

»Wen schicken sie?« sagt Roper.

»Moranti aus Caracas.«

»Dieser Gangster. Was zum Teufel ist mit Apo?«

»Man hat mir gesagt, ich soll Jesus fragen. Sollte wohl ein Witz sein.«

»Sonst noch jemand, der nicht kommen will?« fragt Roper, ohne den Blick von dem Kreuzfahrtschiff abzuwenden.

»Alle anderen stehen auf der Matte«, erwiderte Langbourne knapp.

Jonathan hört ihre Unterhaltung ebenso wie Rooke, der mit Millie und Amato am Tisch gleich neben den Leibwächtern sitzt. Die drei brüten über einem Reiseführer durch die Insel und scheinen unschlüssig, wohin es morgen gehen soll.

Jed trieb dahin wie immer, wenn ihr Leben aus dem Takt geriet: Sie trieb dahin und ließ sich treiben, bis der nächste Mann, die nächste verrückte Party oder das nächste Unglück in der Familie ihr die Gelegenheit zu einem Richtungswechsel bot, was sie dann sich selbst gegenüber je nach Umständen als Schicksal, in Deckung gehen, Erwachsenwerden, Amüsement oder - in letzter Zeit nicht mehr so angenehm - als Selbstverwirklichung bezeichnete. Zu diesem Treibenlassen gehörte es auch, alles auf einmal zu tun, wie der Whippet, den sie als Kind besessen hatte: Dieser Rennhund hatte geglaubt, er müsse nur schnell genug um eine Ecke stürmen, dann werde man schon auf etwas stoßen, das man jagen konnte. Andererseits hatte sich der Whippet damit zufriedengegeben, daß das Leben eine Abfolge zusammenhangloser Ereignisse war, während Jed sich schon viel zu lange fragte, wohin die Ereignisse ihres Lebens sie führen würden.

Daher machte sich Jed, sobald Roper und Jonathan abgereist waren, in Nassau daran, alles auf einmal zu tun. Sie ging zum Friseur und zum Schneider, sie lud schlichtweg jeden ins Haus ein, sie meldete sich beim Damenturnier des Windermere-Cay-Tennisclubs an, sie nahm jede Einladung an, sie kaufte Aktenordner, in die sie den ganzen Papierkram für die Haushaltsplanung der Winterkreuzfahrt heftete, sie telefonierte mit der Köchin und der Wirtschafterin der Pasha und arbeitete Menüs und Tischordnungen aus, obwohl sie genau wußte, daß Roper, weil er letztlich doch alles gern allein machte, ihre Anweisungen widerrufen würde.

Aber die Zeit wollte kaum vergehen.

Sie bereitete Daniel auf seine Rückkehr nach England vor, sie ging mit ihm einkaufen und lud gleichaltrige Freunde in, auch wenn Daniel sie nicht ausstehen konnte und dies auch sagte; sie organisierte eine Grillparty für sie am Strand, wobei sie ständig so tat, als sei Corky genauso unterhaltsam wie Jonathan - also ehrlich, Dans, ist er nicht zum Schreien? -, und sich die größte Mühe gab, die Tatsache zu ignorieren, daß Corkoran seit ihrer Abreise aus Crystal nur noch geschmollt und gestöhnt und sie mit finsteren Blicken bedacht hatte, genau wie ihr älterer Bruder William, der auch jedes Mädchen, einschließlich aller ihrer Freundinnen, vögelte, aber meinte, daß seine kleine Schwester als Jungfrau in die Grube fahren sollte.

Aber Corkoran war sogar noch schlimmer als William. Er hatte sich zu ihrem Aufseher, Wachhund und Gefängniswärter ernannt. Er schielte nach ihren Briefen, noch bevor sie sie geöffnet hatte; er belauschte ihre Telefonate und versuchte sich in jeden verdammten Winkel ihre Tages zu drängen.

»Corky, Lieber, du gehst mir wirklich auf die Nerven. Bei dir komme ich mir vor wie Maria Stuart. Ich weiß, Roper will, daß du auf mich aufpaßt, aber könntest du nicht ab und zu mal ein bißchen mit dir allein spielen?«

Aber Corkoran blieb hartnäckig an ihrer Seite; er saß mit seinem Panamahut im Empfangszimmer und las die Zeitung, während sie telefonierte; er trieb sich in der Küche herum, wenn sie mit Daniel herumalberte; sie schrieb die Adressen auf Daniels Gepäck für England.

Bis Jed sich schließlich, wie Jonathan, ganz in sich selbst zurückzog. Sie plauderte nicht mehr, gab sich keine Mühe mehr - es sei denn, sie war mit Daniel allein -, stets allem gewachsen zu erscheinen, zählte nicht mehr die Stunden. Statt dessen unternahm sie lange Streitzüge durch ihr Inneres. Sie dachte über ihren Vater nach und das, was sie immer für sein sinnloses und altmodisches Ehrgefühl gehalten hatte, und kam zu dem Schluß, daß ihr das in Wirklichkeit mehr bedeutet hatte als all die schlimmen Dinge, die sich daraus ergeben hatten: etwa der Verkauf des überschuldeten Familienwohnsitzes und der Pferde, der Umzug ihrer Eltern in den scheußlichen, kleinen Bungalow auf dem alten Grundstück und der nie mehr zu besänftigende Zorn Onkel Henrys und all der anderen Treuhänder.

Sie dachte an Jonathan und versuchte zu ergründen, was es ihr bedeutete, daß er an Ropers Untergang arbeitete. Ganz wie ihr Vater es getan hätte, wägte sie mühsam Recht und Unrecht ihres Dilemmas ab, gelangte aber eigentlich nur zu dem Ergebnis, daß Roper für eine verhängnisvoll falsche Wende in ihrem Leben stand und daß Jonathan so etwas wie einen brüderlichen Anspruch auf sie hatte, etwas, das ihr bisher vollkommen fremd gewesen war, und daß sie es sogar als freundschaftlich empfand, wenn er sie durchschaute, vorausgesetzt, er war sich auch ihrer guten Seiten bewußt, denn gerade diese Seiten wollte sie hervorholen, entstauben und wieder in Betrieb nehmen. Zum Beispiel wollte sie ihren Vater zurückhaben. Und sie wollte ihren Katholizismus zurückhaben, auch wenn jeder Gedanke daran sie zur Verzweiflung brachte. Sie wollte festen Boden unter den Füßen haben, aber diesmal war sie bereit, dafür zu arbeiten. Sogar ihrer blöden Mutter würde sie brav zuhören.

Schließlich kam der Tag von Daniels Abreise, und es kam ihr vor, als hätte sie ihr Leben lang darauf gewartet. So fuhren Jed und Corkoran mit Daniel und seinem Gepäck im Rolls zum Flughafen, und kaum waren sie angekommen, mußte Daniel schon unbedingt allein am Zeitungsstand herumtrödeln, um sich mit Süßigkeiten und Lesestoff einzudecken und all das zu tun, was kleine Jungen eben machen, wenn sie zu ihren blöden Müttern zurückgeschickt werden. Jed und Corkoran warteten auf ihn in der Abflughalle, und die Aussicht auf seine Abreise machte sie beide plötzlich traurig, und dies um so mehr, als Daniel selbst kaum noch die Tränen zurückhalten konnte. Und dann hörte sie überrascht, wie Corkoran ihr verschwörerisch etwas zuflüsterte: »Hast du deinen Paß dabei?«

»Corky, Daniel reist ab, nicht ich. Hast du das vergessen?«

»Hast du ihn oder nicht? Schnell!«

»Ich hab ihn immer dabei.«

»Dann flieg mit dem Jungen«, bat er und wischte sich umständlich mit dem Taschentuch an der Nase herum, damit man nicht sah, daß er redete. »Ergreif die Gelegenheit. Corks hat nie ein Wort gesagt. Alles dein Werk. Massenhaft Platz. Ich hab mich erkundigt.«

Aber Jed packte die Gelegenheit nicht beim Schopf. So etwas wäre ihr nie in den Sinn gekommen, und sie war deshalb sehr zufrieden mit sich. Früher hatte sie meist zuerst gepackt und später Fragen gestellt. Aber an diesem Vormittag erkannte sie, daß sie die Fragen bereits beantwortet hatte: Sie würde nirgendwo hingehen, wenn das bedeutete, sich noch weiter von Jonathan zu entfernen.

Jonathan träumte, als das Telefon klingelte, und träumte noch immer, als er den Hörer abnahm. Dennoch reagierte der Beobachter prompt: Er erstickte schon das erste Läuten, machte Licht und nahm Block und Bleistift, um Rookes Anweisungen zu notieren.

»Jonathan«, sagte sie stolz.

Er kniff die Augen zu. Er preßte den Hörer ans Ohr, damit ihre Stimme nicht ins Zimmer drang. Alle Instinkte rieten ihm »Jonathan, wer? - verwählt« zu sagen und aufzulegen. Du dumme kleine Gans! wollte er sie anschreien. Ich habe dir gesagt: Ruf nicht an, versuch niemals Kontakt aufzunehmen, warte einfach ab. Und du? Rufst an, nimmst Kontakt auf und brabbelst den Lauschern meinen richtigen Vornamen ins Ohr.

»Um Himmels willen«, flüsterte er. »Leg auf. Schlaf.«

Aber seine Stimme klang wenig überzeugend, und jetzt war es zu spät, »verwählt« zu sagen. Also ließ er sich mit dem Telefon am Ohr zurücksinken und hörte zu, wie sie immer wieder seinen Namen sagte, Jonathan, Jonathan: Sie übte ihn, erfaßte ihn in allen Nuancen, damit niemand sie mehr an den Start zurückschicken und von vorn beginnen lassen konnte.

Jetzt holen sie mich.

Es war eine Stunde später. Jonathan hörte vorsichtige, leise Schritte vor seiner Tür. Er richtete sich auf. Er hörte einen Schritt von einem feuchten, nackten Fuß auf den Keramikfliesen. Er hörte einen zweiten Schritt, diesmal auf dem Teppich in der Mitte des Flurs. Er sah in seinem Schlüsselloch die Flurbeleuchtung an- und ausgehen, als jemand vorbeischlich, von links nach rechts, wie er meinte. Nahm Frisky Anlauf, um bei ihm hereinzuplatzen? Hatte er Tabby als Verstärkung dabei? Brachte Millie die Wäsche zurück? Sammelte ein barfüßiger Page Schuhe zum Putzen ein? In diesem Hotel werden keine Schuhe geputzt. Er hörte auf der anderen Seite des Flurs ein Türschloß klicken und wußte, es war eine barfüßige Meg, die aus Ropers Suite kam.

Er empfand nichts. Er verurteilte nicht, sein Gewissen war auch nicht leichter. Ich bumse gern, hatte Roper gesagt. Also bumste er. Und Jed führte das Rudel an.

Er sah den Himmel vor seinem Fenster hell werden und stellte sich vor, wie sie zärtlich ihren Kopf an sein Ohr schmiegte. Er wählte Zimmer 22, ließ es viermal klingeln und wählte noch einmal, sagte aber nichts.

»Sie sind voll auf Kurs«, sagte Rooke leise. »Und jetzt hören Sie zu.«

Jonathan, dachte er, während er Rookes Anweisungen lauschte. Jonathan, Jonathan, Jonathan ... wann fliegt dir das alles ins Gesicht?