5

 

Zürich, unten am See kauernd, zitterte unter einigen eisigen, grauen Wolke.

»Mein Name ist Leonard«, sagte Burr und stemmte sich aus Quayles Bürosessel wie jemand, der bei einer Schlägerei einschreiten will. »Ich bin für Gangster zuständig. Rauchen Sie? Hier. Vergiften Sie sich.«

Sein Angebot klang so gut gelaunt und komplicenhaft, daß Jonathan sofort darauf einging und - obwohl er nur selten rauchte und es hinterher jedesmal bereute - eine Zigarette nahm. Burr zog ein Feuerzeug aus der Tasche, klickte und schoß Jonathan die Flamme ins Gesicht.

»Ich nehme an, Sie meinen, wir hätten Sie im Stich gelassen, hab ich recht?« sagte er, um gleich den Punkt des größten Widerstands aufzugreifen. »Sie und Ogilvey sind ja, bevor Sie Kairo verlassen haben, ganz schön aneinandergeraten, wenn ich nicht irre.«

Ich habe gedacht, Sie hätten sie im Stich gelassen, hätte Jonathan fast geantwortet. Aber er war auf der Hut, und so setzte er sein Hotelierslächeln auf und sagte: »Ach, das renkt sich wieder ein, bestimmt.«

Burr hatte genau über diesen Augenblick nachgedacht und beschlossen, daß Angriff die beste Verteidigung war. Daß er, was Ogilveys Beteiligung an der Sache betraf, die schlimmsten Ahnungen hegte, war jetzt nebensächlich: Dies war nicht der Zeitpunkt, darauf hinzuweisen, daß es in seinem Haus Meinungsverschiedenheiten gab.

»Wir werden nicht fürs Zuschauen bezahlt, Jonathan. Dicky Roper hat eine Menge High-Tech-Spielzeug an den Dieb von Bagdad verscherbelt, darunter ein Kilo waffenfähiges Uran, das hinten von einem russischen Laster runtergefallen war. Freddie Hamid hat ihm eine ganze Lkw-Flotte zur Verfügung gestellt, um das Zeug nach Jordanien zu schmuggeln. Was hätten wir tun sollen? Zu den Akten und vergessen?« Burr sah mit Genugtuung, wie Jonathans Gesicht jenen Ausdruck aufsässigen Gehorsams annahm, der ihn an ihn selbst erinnerte. »Es gibt ein Dutzend Kanäle, auf denen die Sache durchgesickert sein könnte, ohne daß irgendwer Ihre Sophie verdächtigt hätte. Und wenn sie Freddie gegenüber nicht das Maul aufgerissen hätte, dürfte sie jetzt noch am Leben sein.«

»Sie war nicht meine Sophie«, warf Jonathan zu schnell ein.

Burr ging darüber hinweg. »Die Frage ist, wie können wir unseren Freund festnageln? Ich habe zu diesem Thema ein paar Ideen, falls es Sie interessiert.« Er setzte ein freundliches Lächeln auf. »Genau. Ich sehe, Sie haben's erfaßt. Ich bin aus Yorkshire, Mittelschicht. Und unser Freund, Mr. Richard Onslow Roper, ist aus der höchsten Kaste. Tja, das ist sein Pech!«

Jonathan lachte pflichtschuldig, und Burr war erleichtert, nach Sophies Ermordung wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. »Kommen Sie, Jonathan, ich lade Sie zum Essen ein. Sie haben doch nichts dagegen, Reggie? Uns läuft nämlich die Zeit davon. Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Ich werd's weitersagen.«

In der Eile vergaß Burr seine qualmende Zigarre in Quayles Aschenbecher. Jonathan drückte sie aus, der Abschied fiel ihm schwer. Quayle war ein rechtschaffener, nervöser Mensch mit seltsamen Angewohnheiten: Manchmal zog er mit einer agentenhaften Bewegung ein Taschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich den Mund damit ab, oder er bot einem plötzlich Kekse aus einer steuerfreien karierten Dose an. Ihre kuriosen, wortkargen Begegnungen hatten Jonathan während der sechswöchigen Wartezeit so etwas wie Halt gegeben. Und jetzt beim Abschied erkannte er, daß es Reggie Quayle nicht anders gegangen war.

»Danke, Reggie«, sagte er. »Danke für alles.«

»Mein Lieber! Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite! Gute Fahrt, Sir! Halten Sie die Ohren steif!«

»Danke. Sie auch.«

»Fahrzeug vorhanden? Ein Wagen? Oder soll ich 'ne Kutsche ranpfeifen? Schon erledigt? Na, prima. Ziehen Sie sich warm an. Wir sehn uns in Philippi.«

»Sie bedanken sich bei den Leuten, daß sie ihre Arbeit gemacht haben, stimmt's?« fragte Burr, als sie auf den Bürgersteig traten. »Nehme an, in Ihrem Beruf lernt man das so.«

»Ach, ich glaube, ich bin gern höflich«, antwortete Jonathan. »Wenn Sie das meinen.«

Wie bei jedem Einsatz hatte Burr auch diesmal alles äußerst sorgfältig geplant. Das Restaurant hatte er bereits ausgesucht und am Abend zuvor inspiziert: eine Trattoria am See, außerhalb der Stadt, bei der es unwahrscheinlich war, daß die Belegschaft von Meister auftauchen würde. Er hatte einen Ecktisch ausgewählt, dem Oberkellner zehn wohlerwogene Yorkshire-Franken zugesteckt und den Tisch auf den Namen Benton, einen seiner Arbeitsnamen, reservieren lassen. Aber er ging kein Risiko ein.

»Falls wir jemand treffen sollten, den Sie kennen und ich nicht, Jonathan, und wie Sie wissen, ist das nach Murphys Gesetz jederzeit möglich, stellen Sie mich nicht vor. Und wenn es sich nicht vermeiden läßt, bin ich Ihr alter Stubenkamerad aus Shorncliffe, und dann reden Sie übers Wetter«, sagte er und bewies damit zum zweitenmal beiläufig, daß er seine Hausaufgaben über Jonathans Vorleben gemacht hatte. »In letzter Zeit in den Bergen rumgeklettert?«

»Ein bißchen.«

»Wo?«

»Hauptsächlich im Berner Oberland.«

»Irgendwas Besonderes?«

»Während der Kälteperiode das Wetterhorn, nicht übel, wenn man Eis mag. Wieso? Klettern Sie auch?«

Falls Burr den Spott in Jonathans Frage überhaupt mitbekam, beschloß er, darüber hinwegzugehen. »Ich? Ich bin jemand, der mit dem Aufzug in die erste Etage fährt. Und wie sieht's mit dem Segeln aus?« Burr sah zum Fenster, hinter dem der See grauschwarz wie ein Sumpf lag.

»Das ist hier alles bloß Kinderkram«, sagte Jonathan. »Thun ist ganz nett. Aber kalt.«

»Und die Malerei? Sie machen Aquarelle, oder? Pinseln Sie noch gelegentlich?«

»Selten.«

»Aber ab und zu. Wie steht's mit Ihrem Tennis?«

»So lala.«

»Die Frage war ernst gemeint.«

»Na ja, guter Vereins-Durchschnitt, nehme ich an.«

»Ich denke, Sie haben in Kairo ein Turnier gewonnen.«

Jonathan errötete bescheiden. »Ach, das war doch nichts, bloß ein Spielchen unter Exilanten.«

»Machen wir erst mal die schwierige Arbeit, ja?« schlug Burr vor. Er meinte: Suchen wir uns erst mal was zu essen aus, damit wir in Ruhe reden können. »Sie kochen selbst ein bißchen, stimmt's?« fragte er, während sie ihre Gesichter hinter den übergroßen Speisekarten verbargen. »Vielseitig begabt. Ich bewundere das. Solche Renaissance-Menschen sind heutzutage selten geworden. Zu viele Spezialisten.«

Jonathan schlug die Seiten um. Fleisch, Fisch, Dessert, er dachte nicht ans Essen, sondern an Sophie. Er stand vor Mark Ogilvey in dessen pompöser Dienstvilla in den grünen Vorstädten Kairos, umgeben von imitierten Möbeln aus dem achtzehnten Jahrhundert, die das Bauministerium zur Verfügung gestellt hatte, und Roberts-Radierungen, die Ogilveys Frau aufgehängt hatte. Er trug die Smokingjacke, und in seiner Vorstellung klebte noch immer Sophies Blut daran. Er schrie, doch als er seine Stimme hörte, klang sie wie ein Echolot. Er wünschte Ogilvey die Pest an den Hals, und Schweiß lief ihm über die Innenseiten der Handgelenke. Ogilvey trug einen Morgenmantel, ein mausgraues Ding mit ausgefransten goldenen Tressen an den Ärmeln, wie bei einem Tambourmajor. Mrs. Ogilvey kochte Tee, damit sie zuhören konnte.

»Hüten Sie Ihre Zunge, mein Lieber, ja?« sagte Ogilvey und zeigte auf den Kronleuchter, um ihn daran zu erinnern, daß sie womöglich abgehört wurden.

»Scheiß drauf! Sie haben sie umgebracht, hören Sie? Sie müssen Ihre Quellen doch beschützen und nicht totprügeln lassen!«

Ogilvey nahm seine Zuflucht bei der einzigen sicheren Antwort, die man in seinem Gewerbe kennt. Er nahm eine Kristallkaraffe von einem Silbertablett und zog mit geübtem Ruck den Stöpsel heraus.

»Mein Lieber. Nehmen Sie einen Schluck. Ich fürchte, Sie sind auf dem Holzweg. Wir haben damit nichts zu tun. Sie auch nicht. Wie kommen Sie darauf, daß sie sich nur Ihnen anvertraut hat? Wahrscheinlich hat sie es ihren fünfzehn besten Freunden erzählt. Sie kennen das alte Sprichwort. Zwei Leute können ein Geheimnis nur bewahren, wenn einer von ihnen tot ist? Wir sind hier in Kairo. Ein Geheimnis ist etwas, daß jeder weiß, außer einem selbst.«

In diesem Augenblick kam Mrs. Ogilvey mit der Teekanne herein. »Vielleicht trinkt er lieber $o etwas, Liebling«, sagte sie taktvoll. »Brandy kann seltsame Wirkungen haben, wenn man aufgeregt ist.«

»Taten haben Folgen, mein Lieber«, sagte Ogilvey und reichte ihm ein Glas. »Die erste Lektion im Leben.«

Ein Krüppel bewegte sich humpelnd zwischen den Tischen des Restaurants zur Toilette. Er ging an zwei Stöcken und wurde von einer jungen Frau gestützt. Sein Auftreten bereitete den Gästen Unbehagen, und sie konnten erst weiteressen, als er nicht mehr zu sehen war.

»Sie haben unseren Freund also praktisch nur am Abend seines Eintreffens gesprochen«, deutete Burr an, um das Gespräch auf Ropers Aufenthalt im Meister zu bringen.

»Ja, ansonsten bloß guten Morgen und guten Abend. Quayle meinte, ich sollte mein Schicksal nicht herausfordern, und daran habe ich mich gehalten.«

»Einmal haben Sie aber vor Ropers Abreise noch flüchtig mit ihm gesprochen.«

»Roper fragte mich, ob ich Ski fahre. Ich sagte ja. Er fragte, wo. Ich sagte, Murren. Er fragte, wie der Schnee dieses Jahr sei. Ich sagte, gut. Er sagte: >Schade, daß wir keine Zeit haben, für ein paar Tage da raufzufahren; mein Mädchen ist verrückt danach, es mal auszuprobieren< Ende des Gesprächs.«

»Sie war demnach auch dabei - seine Freundin - Jemima? - Jed?«

Jonathan tut so, als dächte er darüber nach, während er insgeheim den mädchenhaften Blick bewundert, den sie auf ihn richtet. Können Sie es richtig gut, Mr. Pine?

»Ich glaube, er nannte sie Jeds. Plural.«

»Er hat für jeden einen Namen. Damit glaubt er die Leute zu kaufen.«

Das muß absolut phantastisch sein, sagt sie mit einem Lächeln, das den Eiger zum Schmelzen bringen würde.

»Sie soll ja sehr gut aussehen«, sagte Burr.

»Wenn man diesen Typ mag.«

»Ich mag jeden Typ. Was für ein Typ ist sie?«

Jonathan gab sich weltverdrossen. »Ach, ich weiß nicht... mittlere Reife, guter Durchschnitt... schwarze Schlapphüte... typische Millionärsbiene... Wer ist sie denn eigentlich?«

Burr schien es nicht zu wissen, oder es war ihm egal. »Irgendeine Geisha aus der Oberschicht. Klosterschule, nimmt an Fuchsjagden teil. Jedenfalls sind Sie gut mit ihm ausgekommen. Er wird Sie nicht vergessen.«

»Der vergißt niemanden. Er hatte die Namen aller Kellner parat.«

»Aber er fragt bestimmt nicht jeden nach seiner Meinung über italienische Bildhauerei, oder? Ich fand das ermutigend.« Ermutigend für wen oder warum, das erklärte Burr nicht; und Jonathan war nicht zum Fragen aufgelegt. »Gekauft hat er es aber doch. Der Mann oder die Frau sind noch nicht geboren, die Roper davon abbringen könnten, sich etwas zu kaufen, das er sich in den Kopf gesetzt hat.« Er schob sich zum Trost ein großes Stück Kalbfleisch in den Mund. »Übrigens danke«, fuhr er fort. »Danke für Ihre Mühen. In Ihren Berichten an Quayle gibt es einige exzellente Beobachtungen, wie ich sie besser noch nicht gesehen habe. Ihr linkshändiger Schütze, Uhr am rechten Handgelenk, vertauscht Messer und Gabel, wenn er sich übers Essen hermacht - also das ist wirklich Spitze.«

»Francis Inglis«, rezitierte Jonathan. »Fitneßberater aus Perth, Australien.«

»Er heißt weder Inglis, noch kommt er aus Perth. Frisky ist Brite, ehemaliger Söldner, und auf seinen miesen, kleinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt. Er war es, der Idi Amins Leuten beigebracht hat, wie man jemand mit Hilfe von Elektroschockstäben zu freiwilligen Geständnissen bringen kann. Unser Freund mag die Engländer, und am liebsten hat er welche mit Dreck am Stecken. Aus Leuten, die er nicht in der Hand hat, macht er sich nichts«, fügte er hinzu, während er sorgfältig sein Brötchen aufschnitt und mit Butter bestrich. »Also los«, fuhr er fort und stieß sein Messer in Jonathans Richtung. »Wie sind Sie an die Namen seiner Besucher gekommen, wenn Sie nur nachts arbeiten?«

»Jeder, der heutzutage in die Turmsuite will, muß sich anmelden.«

»Und wieso hängen Sie abends im Foyer herum?«

»Herr Meister erwartet das von mir. Ich hänge da herum und kann fragen, was ich will. Ich habe präsent zu sein, dafür bin ich da.«

»Dann erzählen Sie uns mal von seinen Besuchern«, forderte Burr Jonathan auf. »Zum Beispiel dieser Österreicher, wie Sie ihn nennen. Drei einzelne Besuche in der Turmsuite.«

»Dr. Kippel, Adresse Wien, grüner Lodenmantel.«

»Weder Österreicher noch Kippel. Sondern ein bescheidener Pole, falls Polen je bescheiden sind. Soll zu den neuen Zaren der polnischen Unterwelt gehören.«

»Warum in aller Welt sollte Roper sich denn mit der polnischen Unterwelt abgeben?«

Burr setzte ein bedauerndes Lächeln auf. Er hatte nicht vor, Jonathan aufzuklären, sondern ihn zappeln zu lassen. »Und der untersetzte Bursche mit dem glitzernden grauen Anzug und den grauen Augenbrauen? Nannte sich Larsen. Schwede.«

»Ich nahm einfach an, daß er ein Schwede mit dem Namen Larsen war.«

»Er ist Russe. Bis vor drei Jahren ein hohes Tier im sowjetischen Verteidigungsministerium. Heute betreibt er eine florierende Stellenvermittlung für Physiker und Ingenieure aus dem Ostblock. Manche kassieren zwanzigtausend Dollar im Monat. Ihr Mr. Larsen macht seinen Profit auf beiden Seiten. Nebenher verschiebt er militärische Hardware. Wer hintenrum bei den Russen ein paar hundert T-72-Panzer oder ein paar Scud-Raketen kaufen will, ist bei Larsen genau richtig. Biologische Gefechtsköpfe kommen extra. Und was ist mit Ihren zwei militärisch aussehenden Briten?«

Jonathan erinnerte sich an zwei schlaksige Männer in britischen Blazern. »Was ist mit denen?«

»Die kommen tatsächlich aus London, heißen aber nicht Forbes und Lubbock. Operieren von Belgien aus, beliefern die führenden Verrückten dieser Welt mit militärischen Ausbildern.«

Die Brüsseler, dachte Jonathan, während er allmählich die Fäden aufnahm, die Burr bedächtig vor seiner Erinnerung ausbreitete. Soldat Boris. Wer kommt als nächster dran?

»Klingelt's jetzt vielleicht? Sie haben ihn nicht sehr ausführlich beschrieben, aber ich dachte, er könnte einer von den Herren im Anzug gewesen sein, mit denen sich unser Freund unten im Konferenzzimmer getroffen hat.«

Burr nahm ein kleines Foto aus seiner Brieftasche und schob es Jonathan zur Begutachtung über den Tisch. Es zeigte einen Mann in den Vierzigern mit verkniffenen Lippen, traurigen, trüben Augen und künstlich gewelltem Haar; vor seinem Adamsapfel hing völlig unpassend ein goldenes Kreuz. Das Bild war bei heller Sonne aufgenommen worden, und den Schatten nach zu urteilen, hatte die Sonne senkrecht gestanden.

»Ja«, sagte Jonathan.

»Ja, was?«

»Er war halb so groß wie alle anderen, aber alle haben sie vor ihm gekuscht. Trug eine schwarze Aktentasche, die zu groß für ihn war. Und Schuhe mit Plateausohlen.«

»Schweizer? Brite? Beschreiben Sie ihn.«

»Irgendwie eher ein Lateinamerikaner.« Er gab das Foto zurück. »Könnte alles mögliche sein. Vielleicht ein Araber.«

»Ob Sie's glauben oder nicht, er heißt Apostoll, kurz Apo genannt.« Und lang Appetito, dachte Jonathan, der sich wieder daran erinnerte, wie Major Corkoran mit seinem Chef gesprochen hatte. »Grieche, Amerikaner in erster Generation, Doktor juris an der Michigan State University, magna cum laude, Gauner. Büros in New Orleans, Miami und Panama City, alles Plätze von einwandfreiem Ruf, wie Ihnen zweifellos bekannt sein dürfte. Erinnern Sie sich an Lord Langbourne? Sandy?«

»Sicher«, antwortete Jonathan und rief sich den verwirrend schönen Mann mit dem Pferdeschwanz und der schlechtgelaunten Frau ins Gedächtnis zurück.

»Auch so ein verdammter Anwalt. Nämlich der von Dicky Roper. Apo und Sandy Langbourne machen Geschäfte miteinander. Sehr lukrative Geschäfte.«

»Verstehe.«

»Wohl kaum, aber Sie ahnen, worum es geht. Wie sieht's übrigens mit Ihrem Spanisch aus?«

»Nicht schlecht.«

»Sollte besser sein als nicht schlecht. Achtzehn Monate im Ritz in Madrid, da sollten Sie bei Ihrer Begabung absolut perfekt sein.«

»Ich hab's ein bißchen vernachlässigt, das ist alles.«

Eine Unterbrechung, während Burr sich in seinen Stuhl zurücklehnte und den Kellner die Teller abräumen ließ. Jonathan spürte überrascht, wie die Aufregung wiederkehrte: das Gefühl, sich ganz langsam dem geheimen Zentrum zu nähern, der Reiz zu handeln, nachdem man zu lange außerhalb gestanden hat.

»Sie werden mich doch nicht mit dem Nachtisch allein lassen?« fragte Burr aggressiv, als der Kellner ihnen die mit Plastik beschichteten Karten reichte.

»Großer Gott, nein.«

Sie einigten sich auf Maronenpüree mit Schlagsahne.

»Und Corky, Major Corkoran, Ihr Regimentskamerad, sein Laufbursche«, sagte Burr mit dem Tonfall eines Mannes, der sich das Beste bis zum Schluß aufgespart hatte. »Wie schätzen Sie den ein? Warum lachen Sie?«

»Er war amüsant.«

»Was sonst noch?«

»Laufbursche, wie Sie sagen. Majordomus. Er unterschreibt.« Burr stürzte sich auf dieses letzte Wort, als habe er während des ganzen Essens darauf gewartet. »Was unterschreibt er?«

»Anmeldeformulare, Rechnungen.«

»Rechnungen, Briefe, Verträge, Verzichtserklärungen, Bürgschaften, Geschäftsberichte, Ladescheine, Schecks«, sagte Burr aufgeregt. »Frachtbriefe, Zollpapiere und jede Menge Dokumente, aus denen hervorgeht, daß jedes Unrecht, das sein Arbeitgeber je begangen hat, nicht von Richard Onslow Roper, sondern von seinem ergebenen Diener Corkoran begangen wurde. Ein sehr reicher Mann, dieser Major Corkoran. Hunderte von Millionen auf seinem Namen, nur daß er die alle auf Mr. Roper überschrieben hat. Und es gibt nicht ein schmutziges Geschäft von Roper, unter das Corky nicht seine Unterschrift gesetzt hat. >Corks, komm mal eben her! Du brauchst es nicht zu lesen, alter Junge, unterschreib einfach. So ist's brav, damit hast du dir zehn weitere Jahre Sing-Sing verdiente«

Burr sprach mit solchem Nachdruck, er ahmte Ropers abgehackte Sprechweise so drastisch nach, daß der leichte Fluß ihres Gesprächs ins Stocken geriet.

»Es gibt nichts Schriftliches, das uns irgendwie weiterhelfen könnte«, vertraute Burr ihm an, das bleiche Gesicht dicht vor Jonathans. »Und wenn Sie zwanzig Jahre zurückgehen oder von mir aus noch mehr: So ziemlich das Verwerflichste, das Roper je selbst unterschrieben hat, dürfte eine Kirchenspende sein. Schon gut, ich hasse ihn. Ich geb's ja zu. Und Sie sollten das auch tun, nach dem, was er Sophie angetan hat.«

»Oh, ich habe damit keine Schwierigkeiten.«

»Tatsächlich?«

»Nicht die geringsten.«

»Gut so, bleiben sie dabei. Bin gleich zurück. Halten Sie die Stellung.«

Burr knöpfte sich den Hosenbund zu und ging pinkeln, während Jonathan von einer seltsamen Hochstimmung erfaßt wurde. Ihn hassen? Haß zählte nicht zu den Gefühlen, denen er sich bisher hingegeben hatte. Er konnte Zorn empfinden; und er konnte sicherlich trauern. Aber Haß, wie Begierde, war so lange etwas Niedriges, wie der erhabene Kontext fehlte, und den hatte Roper mit seinem Sotheby-Katalog und seiner schönen Geliebten bis jetzt noch nicht geliefert. Dennoch fand Jonathan Gefallen an der Vorstellung, Haß zu entwickeln, der durch den Mord an Sophie Würde bekam - einen Haß, der vielleicht zur Rache werden würde. Es war wie die Verheißung einer fernen, großen Liebe, und Burr selbst hatte sich zum Kuppler ernannt.

»Also warum?« fuhr Burr behaglich fort, als er wieder Platz nahm. »Das habe ich mich immer wieder gefragt. Warum macht er das? Warum setzt der distinguierte Hotelier Jonathan Pine seine Karriere aufs Spiel, warum klaut er Faxe und verpfeift einen geschätzten Kunden? Erst in Kairo, jetzt in Zürich. Besonders, nachdem Sie sauer auf uns waren. Schon gut. Ich war auch sauer auf uns.«

Jonathan tat so, als widmete er sich dieser Frage zum erstenmal. »Man tut es einfach«, sagte er.

»Nein, das tut man nicht. Sie sind kein Tier, das nur seinen Instinkten folgt. Sie beschließen, es zu tun. Was hat Sie dazu gebracht?«

»Es hat sich etwas geregt, nehme ich an.«

»Was hat sich geregt? Wie hört es wieder auf? Wodurch könnte es wieder anfangen?«

Jonathan holte Luft, sprach dann aber einen Augenblick lang nicht. Er hatte entdeckt, daß er wütend war, wußte aber nicht, warum. »Wenn jemand ein geheimes Waffenlager an einen ägyptischen Gauner verkauft - und dieser jemand ist Engländer - und man selbst ist Engländer - und es braut sich ein Krieg zusammen - und die Engländer werden auf der anderen Seite kämpfen...«

»Und wenn man selbst Soldat gewesen ist...«

»...dann tut man es einfach«, wiederholte Jonathan und fühlte, wie sich ihm die Kehle zusammenschnürte.

Burr schob seinen leeren Teller zur Seite und beugte sich über den Tisch. »Der Ratte Futter geben, sagt man das nicht unter Bergsteigern? Der Ratte, die in uns nagt und uns drängt, das Risiko einzugehen? Nehme an, Ihre Ratte ist ziemlich groß, mit dem Vater als Vorbild. Der war doch auch ein Undercover-Agent? Na, das wissen Sie ja selbst.«

»Nein, das habe ich nicht gewußt«, sagte Jonathan höflich, während sich ihm der Magen umdrehte.

»Man mußte ihn wieder in seine Uniform stecken, nachdem er erschossen worden war. Hat man Ihnen das nicht erzählt?«

Jonathans Hotelierslächeln, knallhart von einer Wange zur anderen. Seine Hoteliersstimme, falsch und weich. »Nein. Hat man nicht. Wirklich nicht. Merkwürdig. Sollte man nicht meinen, daß sie einem so was sagen?«

Burr schüttelte den Kopf über die rätselhaften Verhaltensweisen von Beamten.

»Ich meine, Sie haben recht früh Ihren Abschied genommen, wenn man es genau betrachtet«, fuhr Burr bedacht fort. »Mit fünfundzwanzig eine vielversprechende Karriere bei der Armee aufgeben, bloß um Nachtportier zu werden, das tut nicht jeder. Nicht, wenn man auf Segeln, Bergsteigen und alles verzichten muß, was man sonst noch so in der Welt treiben kann. Wie sind Sie bloß auf die Hotelbranche gekommen, um Himmels willen? Sie hätten so vieles machen können, warum ausgerechnet das?«

Um mich zu unterwerfen, dachte Jonathan.

Um zu entsagen. Um Ruhe zu finden.

Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.

»Also, ich weiß es nicht«, gestand er mit selbstverleugnendem Lächeln. »Vermutlich, weil ich meine Ruhe haben will. Ehrlich gesagt, habe ich Stille sehr gern.«

»Na, na, das nehme ich Ihnen nicht ab, Jonathan. Ich habe Sie in diesen Wochen sehr genau beobachtet und viel über Sie nachgedacht. Reden wir noch etwas über die Armee, ja? Einiges von dem, was ich über Ihre Karriere dort gelesen habe, hat mich nämlich sehr beeindruckt.«

Großartig, dachte Jonathan, der nun wieder ganz präsent war. Wir reden über Sophie, also reden wir über Haß. Wir reden über Haß, also reden wir über die Hotelbranche. Wir reden über die Hotelbranche, also reden wir über die Armee. Sehr logisch. Sehr vernünftig.

Trotzdem hatte er an Burr nichts auszusetzen. Burr hatte Herz, und das machte ihn einnehmend. Er mochte verschlagen sein. Er mochte die Kunst der Intrige beherrschen, er hatte einen Blick für menschliche Stärken und Schwächen. Aber er ließ sich noch von seinem Herzen leiten; Goodhew wußte das, und Jonathan spürte es, deshalb gestattete er Burr, in seiner Privatsphäre herumzustreifen, und deshalb begann Burrs Sendungsbewußtsein wie eine Kriegstrommel um Jonathans Ohr zu dröhnen.