24

 

»Faberge«, sagte Roper, als Jonathan ihn nach dem Ziel ihrer Reise fragte.

»Faberge«, antwortete Langbourne aus dem Mundwinkel.

»Faberge, Thomas«, sagte Frisky mit keinem sehr freundlichen Lächeln, während sie sich anschnallten. »Sie haben doch von Faberge gehört, dem berühmten Juwelier? Tja, da geht's jetzt hin, ein bißchen Urlaub machen.«

So hatte Jonathan sich seinen eigenen Gedanken überlassen. Er wußte schon lange, daß er zu der Sorte Menschen gehörte, deren Fluch es ist, alles auf einmal denken zu müssen und nicht nacheinander. Zum Beispiel verglich er das Grün des Dschungels mit dem Grün von Irland und fand, daß Irland dem Dschungel hoffnungslos unterlegen war. Er erinnerte sich, daß es in den Armeehubschraubern üblich gewesen war, sich auf den Stahlhelm zu setzen, falls die Gegner am Boden auf die Idee kamen, einem die Eier wegzuschießen. Und daß er diesmal keinen Helm hatte - nur Jeans und Turnschuhe und völlig ungeschützte Eier. Und wie ihn damals immer das prickelnde Gefühl des Kampfes überkam, sobald er in einen Helikopter stieg, wenn er Isabelle einen letzten Abschiedsgruß nachgeschickt und das Gewehr an seine Wange gedrückt hatte. Das gleiche Prickeln verspürte er jetzt auch. Und er erinnerte sich, daß Hubschrauber, weil sie ihm angst machten, für ihn immer ein Ort besonders kitschiger, philosophischer Gedanken gewesen waren, zum Beispiel: Ich habe meine Lebensreise angetreten; ich liege hier in einer Wiege, aber die kann schnell zur Bahre werden. Oder: Gott, wenn du mich hier lebendig rausholst, weihe ich dir - nun ja, mein ganzes Leben. Oder: Frieden ist Knechtschaft, Krieg ist Freiheit - ein Gedanke, für den er sich jedesmal schämte, wenn er ihn überkam, und der ihn verzweifelt nach jemand zum Fertigmachen Ausschau halten ließ: wie zum Beispiel Dicky Roper, seinen Versucher. Und er dachte, daß er sich jetzt dem näherte, was auch immer er suchte, und daß er sich Jed nur verdienen konnte und sie nur verdient hatte und daß er Sophie nur Genugtuung verschaffen konnte, wenn er es gefunden hätte, denn er betrieb seine Suche - wie wir alten Unterzeichner sagen - einzig und allein im Namen und im Auftrag dieser beiden.

Er sah verstohlen zu Langbourne hinüber, der hinter Roper saß und ein umfängliches Vertragswerk durchlas; und wie schon in Curacao beeindruckte ihn die Art, wie Langbourne, sobald er Pulverdampf witterte, zum Leben erwachte. Nicht daß Langbourne ihm deshalb sympathischer wurde, doch freute ihn die Entdeckung, daß es abgesehen von Frauen noch etwas anderes gab, das imstande war, Langbourne aus der Rückenlage zu holen - und wenn es auch nur die fortschrittlichen Methoden des Abschlachtens von Menschen waren.

»Thomas, passen Sie mir auf, daß Mr. Roper nicht in schlechte Gesellschaft gerät«, hatte Meg von der Treppe ihres Flugzeugs gerufen, als die Männer ihr Gepäck in den Hubschrauber schleppten. »Wissen Sie, was man über Panama sagt? Es ist wie Casablanca, nur ohne die Helden. Stimmt's, Mr. Roper? Also lassen Sie es bleiben, den Helden spielen zu wollen. Niemand wird es Ihnen danken. Schönen Tag noch, Lord Langbourne. Thomas, es war mir ein Vergnügen, Sie an Bord zu haben. Mr. Roper, das war keine schickliche Umarmung.«

Die Maschine stieg. Und mit ihr stieg die Sierra, bis sie in unruhigen Wolken gerieten. Der Helikopter hatte etwas gegen Wolken und große Höhen, und der Motor keuchte und knurrte wie ein schlechtgelaunter alter Gaul. Jonathan setzte seine Plastik-Ohrenschützer auf und wurde mit dem Kreischen eines Zahnarztbohrers belohnt. Die Temperatur in der Kabine wechselte von eiskalt zu unerträglich. Sie schlingerten über einen Hahnenkamm schneebedeckter Gipfel, trudelten abwärts wie ein Ahornsamen und flogen schließlich über eine Reihe kleiner Inseln hinweg, auf denen allen es ein halbes Dutzend Hütten und ein paar Lehmpfade gab. Dann wieder das Meer. Und noch eine Insel, die so schnell aus der Tiefe auf sie zukam, daß Jonathan überzeugt war, die dicht an dicht aufragenden Masten der Fischerboote würden den Hubschrauber entweder in Stücke schlagen oder auf den Rotoren über den Strand katapultieren.

Jetzt schneiden sie die Erde in zwei Hälften, auf einer Seite das Meer, auf der anderen der Dschungel. Über dem Dschungel blaue Hügelkuppen. Über den Hügeln weiße Pulverdampfwolken. Und unter ihnen wälzen sich die geordneten Reihen träger weißer Wogen zwischen strahlend grünen Landzungen. Der Hubschrauber geht scharf in die Kurve, als müßte er feindlichem Beschuß ausweichen. Rechteckige Bananenplantagen, Reisfeldern ähnlich, verschwimmen mit den sumpfigen Mooren von Armagh. Der Pilot folgt einem gelben Sandweg, der zu dem verfallenen Bauernhof führt, bei dem der Beobachter zwei Männer die Gesichter weggeschossen und sich damit zum Star seines Regiments gemacht hatte. Sie tauchen in ein Dschungeltal, grüne Mauern umschließen sie, und Jonathan überkommt ein furchtbares Bedürfnis nach Schlaf. Dann geht es den Hang hinauf, immer höher, über Farmen, Pferde, Dörfer, lebendige Menschen. Umkehren, das ist hoch genug. Von wegen. Es geht weiter, bis sie das Ziel erreicht haben und unter ihnen keinerlei Leben mehr erkennbar ist. Wer hier abstürzt, selbst mit einem großen Flugzeug, über dem schließt sich der Dschungel, noch ehe man am Boden aufschlägt.

»Sie scheinen die Pazifikseite zu bevorzugen«, hatte Rooke acht Stunden und ein ganzes Leben zuvor am Haustelefon von Zimmer 22 aus erklärt. »Die Karibikseite ist mit Radar zu leicht abzudecken. Aber sobald ihr im Dschungel seid, ist das sowieso egal, weil ihr dann nicht mehr existiert. Der Ausbildungsleiter nennt sich Emmanuel.«

»Der Ort ist nicht mal ein Buchstabe auf der Karte«, hatte Rooke gesagt. »Heißt Cerro Fabrega, aber Roper sagt lieber Faberge.«

Roper hatte die Schlafmaske abgenommen und sah auf seine Armbanduhr, als kontrollierte er die Pünktlichkeit der Fluggesellschaft. Sie befanden sich in freiem Fall über dem Zielpunkt. Die rotweißen Pfosten eines Hubschrauber-Landeplatzes saugten sie in den finsteren Schacht eines dunklen Waldes. Von unten starrten ihnen bewaffnete Männer in Kampfanzügen entgegen.

Wenn die Sie mitnehmen, dann nur, weil sie es nicht wagen, Sie aus den Augen zu lassen, hatte Rooke prophezeit.

Und tatsächlich hatte Roper es so begründet, bevor sie an Bord der Lombardy gegangen war. Er würde mir nicht mal in einem leeren Hühnerstall trauen, ehe ich nicht mit meiner Unterschrift mein Leben verwirkt habe.

Der Pilot stellte den Motor ab, und nun war der Lärm der Vögel zu hören. Ein untersetzter Latino in Dschungeluniform kam ihnen zur Begrüßung entgegen. Hinter ihm sah Jonathan sechs gut getarnte Bunker, bewacht von je zwei Männern, die offensichtlich Befehl hatten, nicht aus dem Schatten der Bäume zu treten.

»Hallo, Manny«, brüllte Roper, als er gut gelaunt auf das Rollfeld sprang. »Ich komme um vor Hunger. Kennst du Sandy noch? Was gibt's zum Mittagessen?«

 

Behutsam schritten sie den Dschungelpfad entlang; Roper ging voran, und der stämmige Oberst schnatterte auf ihn ein, drehte den dicken Körper ganz zu ihm herum und hob die gewölbten Hände, als wollte er Roper schütteln, um seinen Erklärungen Nachdruck zu verleihen. Dahinter kam Langbourne, der geduckt durch den Dschungel trabte; nach ihm die Ausbilder. Jonathan erkannte die beiden schlaksigen Engländer aus dem Hotel Meister wieder, wo sie als Forbes und Lubbock aufgetreten waren, für Roper hießen sie die Brüsseler. Anschließend zwei sich zum Verwechseln ähnliche Amerikaner mit rotbraunen Haaren, tief ins Gespräch vertieft mit einem flachsblonden Mann namens Olaf. Ihnen folgten Frisky und zwei Franzosen, die Frisky offenbar aus einem anderen Leben kannte. Und hinter Frisky kamen Jonathan und Tabby und ein narbengesichtiger Junge namens Fernandez, der an einer Hand nur zwei Finger hatte. Wenn das hier Irland wäre, würde ich vermuten, du gehörst zu einem Sprengkommando, dachte Jonathan. Das Geschrei der Vögel war ohrenbetäubend. Immer wenn der Weg durch die Sonne führte, wurden sie von der Hitze erschlagen.

»Wir hier in steilste Teil von Panama, bitte«, sagte Fernandez mit sanfter, begeisterter Stimme. »Niemand hier gehen kann. Dreitausend Meter hoch, sehr steile Berge, nur Dschungel, keine Straße, kein Weg. Terebeno-Farmer kommen, brennen Bäume, pflanzen Bananen einmal, wieder weg. Kein Terror.«

»Großartig«, sagte Jonathan höflich.

Kurzes Rätselraten, und diesmal kam Tabby schneller auf die Lösung als Jonathan. »Boden, Ferdie«, korrigierte er ihn freundlich. »Nicht terra. Boden. Der Boden ist zu dünn.«

»Terebeno-Farmer sehr traurig, Mr. Thomas. Früher kämpfen mit alle. Jetzt müssen heiraten mit Stämme, die sie hassen.«

Jonathan gab seinem Mitgefühl Ausdruck.

»Wir sagen, wir sein Prospektoren, Mr. Thomas, Sir. Wir sagen, wir suchen Öl. Wir sagen, wir suchen Gold. Wir sagen, wir suchen huaca, golden Frosch, golden Adler, golden Tiger. Wir friedliche Leute, Mr. Thomas.« Lautes Gelächter, an dem Jonathan sich beflissen beteiligte.

Von jenseits der Dschungelmauer hörte Jonathan eine Maschinengewehrsalve und dann den trockenen Knall einer Granate. Es folgte ein kurzes Schweigen, bevor das Stimmengewirr des Dschungels wieder einsetzte. So war es in Irland auch, erinnerte er sich: Nach einem Knall hielten die gewohnten Geräusche den Atem an, bis die Gefahr vorbei war und man wieder sprechen konnte. Die Vegetation schloß sich über ihnen, und er war im Tunnel auf Crystal. Trompetenförmige weiße Blüten, Libellen und gelbe Schmetterlinge streiften seine Haut. Er dachte an einen Morgen, an dem Jed eine gelbe Bluse getragen und ihn mit den Augen berührt hatte.

Ein Trupp Soldaten, die im leichten Laufschritt an ihm vorbei bergab trabten, holte ihn in die Gegenwart zurück; die Männer schwitzten unter der Last von tragbaren Raketenwerfern, Raketen und Macheten. Ihr Anführer war ein Junge mit kalten blauen Augen und Guerillamütze. Aber die Blicke seiner spanisch-indianischen Soldaten waren in wütendem Schmerz auf den Pfad gerichtet, so daß alles, was Jonathan von ihnen wahrnahm, als sie an ihm vorbeirannten, die flehende Erschöpfung auf ihren mit Tarnfarbe beschmierten Gesichtern, die Kreuze um ihren Hals und der Geruch von Schweiß und schlammgetränkten Uniformen war.

Die Luft wurde frisch wie in den Alpen, und Jonathan fühlte sich in die Wälder oberhalb von Murren zurückversetzt, durch die er einmal eine eintägige Bergtour zum Fuß des Lobhorn unternommen hatte. Ein tiefes Glücksgefühl überkam ihn. Auch der Dschungel ist eine Heimat. Der Pfad führte an brausenden Stromschnellen entlang, der Himmel war bedeckt. Als sie ein ausgetrocknetes Bachbett durchquerten, erspähte der Veteran vieler Nahkampfbahnen Seile, Stolperdrähte, Geschoßhülsen und Tarnnetze, geschwärzte Pampas und Baumstämme mit Sprengnarben. Sie kletterten zwischen Gras und Felsen einen Hang hinauf, erreichten einen Vorsprung und sahen hinunter. Auf den ersten Blick schien das Lager unter ihnen verlassen. Aus dem Kamin des Küchenhauses stieg Rauch auf, von irgendwo kam ein wehklagender spanischer Gesang. Alle tauglichen Männer sind im Dschungel. Nur die Köche, Kader und Kranken haben Erlaubnis zurückzubleiben.

»Unter Noriega hier viel Paramilitär ausgebildet«, erklärte Fernandez auf seine methodische Art, als Jonathan sich wieder auf ihn einstellte. »Panama, Nicaragua, Guatemala, Amerikanos, Kolumbien, Spanier, Indios, alle hier sehr gut ausgebildet. Gegen Ortega zu kämpfen. Gegen Castro. Gegen viele böse Leute.«

Erst als sie den Hang hinuntergingen und das Lager betraten, wurde Jonathan bewußt, daß Faberge ein Irrenhaus war.

Ein Podest beherrschte das Lager, hinter dem sich eine dreieckige, mit Slogans beschmierte weiße Wand befand. Unterhalb davon ein Kreis aus Schlackensteinhäusern; wozu sie dienten, zeigten obszöne Pinseleien auf den Türen: eine nackte Köchin für das Küchenhaus; nackte Badende für das Badehaus; blutende Leiber für das Krankenhaus, eine Schule für die technische Unterweisung und politische Aufklärung, ein Tigerhaus, ein Schlangenhaus, ein Affenhaus, ein Vogelhaus und, auf einer kleinen Anhöhe, eine Kapelle, deren Gemäuer eine untersetzte Jungfrau mit Kind zierte, die von Dschungelkämpfern mit Kalaschnikows beschützt wurde. Zwischen den Häusern standen hüfthohe bemalte Puppen, die mit wilden Blicken auf die zementierten Wege starrten: ein dickbäuchiger Kaufmann mit Dreispitz, blauem Frack und Halskrause; eine geschminkte feine Dame aus Madrid in einer mantilla; ein indianisches Bauernmädchen mit bloßen Brüsten, das, Mund und Augen aufgerissen, den Kopf voll Angst nach hinten gedreht, verzweifelt an der Pumpe eines magischen Brunnens zerrt. Aus den Fenstern und falschen Schornsteinen der Häuser ragen fleischfarbene Gipsarme, Beine und verzerrte Gesichter, blutbespritzte Gliedmaßen, die aussehen, als wären sie den Opfern bei Fluchtversuchen abgeschnitten worden.

Aber das Wahnsinnigste an Faberge waren nicht die Wandmalereien oder die Voodoo-Statuen, nicht die magischen Indiowörter zwischen den spanischen Slogans oder der binsengedeckte Crazy Horse Saloon mit Barhockern, Musikbox und den nackten Tänzerinnen an den Wänden. Sondern der Zoo. Der stumpfsinnige Bergtiger neben einem Batzen faulen Fleischs in seinem viel zu engen Käfig. Die angebundenen Rehböcke und die in Kisten gehaltenen Sumpflurche. Die Sittiche, Adler, Kraniche, Falken und Geier, die in ihrem verdreckten Vogelhaus mit den gestutzten Flügeln schlugen und bei Einbruch der Dunkelheit immer unruhiger wurden. Die verzweifelten Affen, die stumm in ihren Käfigen hockten. Die Reihen grüner, mit engem Maschendraht abgedeckter Munitionskisten, von denen jede eine andere Schlangenart enthielt, damit die Dschungelkämpfer den Unterschied zwischen Freund und Feind studieren konnten.

»Oberst Emmanuel hat sehr gern die Tiere«, erklärte Fernandez, als er seine Gäste zu ihrer Unterkunft führte. »Zum Kämpfen wir müssen sein Kinder des Dschungels, Mr. Thomas.«

Die Fenster ihrer Hütte waren vergittert.

Kasinoabend in Faberge, man trägt Orden. Ehrengast ist Mr. Richard Onslow Roper, unser Patron, Regimentchef h. c, unser geliebter Waffenbruder. Alle Blicke sind auf ihn und den jetzt nicht mehr trägen kleinen Lord an seiner Seite gerichtet.

Dreißig Mann, sie essen Huhn mit Reis und trinken Coca Cola. Kerzen, die in Töpfen, nicht in Paul-de-Lamarie-Kerzenhaltern stecken, beleuchten ihre Gesichter um den Tisch. Es ist, als hätte das zwanzigste Jahrhundert seinen Müllwagen übriggebliebener Krieger und obsoleter Angelegenheiten in ein Lager namens Faberge gekippt: amerikanische Veteranen, die erst den Krieg und dann den Frieden satt hatten; russische Spetsnaz, ausgebildet zum Beschützen eines Landes, das in ihrer Abwesenheit aufgehört hatte zu existieren; Franzosen, die de Gaulle noch immer haßten, weil er Nordafrika aufgegeben hatte; ein junger Israeli, der nichts als Krieg erlebt hatte, und ein junger Schweizer, der nichts als Frieden erlebt hatte; Engländer, die nach militärischer Größe strebten, weil ihre Generation aus irgendeinem Grund den Spaß versäumt hatte (gäbe es doch bloß ein britisches Vietnam!); ein Haufen grüblerischer Deutscher, hin- und hergerissen zwischen der Schuld am Krieg und der Verlockung des Kriegs. Und Oberst Emmanuel, der Tabby zufolge jeden schmutzigen Krieg von Kuba über Salvador und Guatemala bis Nicaragua und allem, was dazwischenliegt, mitgemacht hatte, um den verhaßten Yankees einen Gefallen zu tun: na, jetzt würde Emmanuel das Konto mal ein bißchen ausgleichen!

Und Roper selbst - der diese gespenstische Legion zum Fest geladen hatte - schwebte über all dem wie ein mächtiger Genius, Kommandant und Impresario, Skeptiker und guter Geist in einer Person.

»Die Mooj?« wiederholt Roper in die lachende Runde; er bezieht sich auf eine Bemerkung Langbournes über den Erfolg der amerikanischen Stinger-Geschosse in Afghanistan. »Die Mudschaheddin? Mutig wie die Löwen, aber total verrückt!« Wenn Roper vom Krieg spricht, ist seine Stimme so ruhig wie sonst nie, und er benutzt auch wieder Pronomen. »Die sind vor den sowjetischen Panzern aus dem Boden aufgetaucht, haben mit zehn Jahre alten Armalites rumgeballert und mitangesehen, wie ihre Kugeln wie Hagelkörner davon abgeprallt sind. Erbsenpistolen gegen Laserkanonen, denen war das egal. Die Amerikaner sehen sich das an und sagten: Die Mooj brauchen Stingers. Also besorgt Washington ihnen Stingers. Und die Mooj drehen voll auf. Zerstören die Panzer der Sowjets, schießen ihre Kampfhubschrauber ab. Und, was dann? Ich sag es euch! Die Sowjets sind abgezogen, keine mehr da, und die Mooj mit ihren Stingers wollen unbedingt weiterballern. Und weil die Mooj Stingers haben, wollen alle anderen auch welche. Als wir nur Pfeil und Bogen hatten, waren wir Affen mit Pfeil und Bogen. Jetzt sind wir Affen mit Mehrfachsprengköpfen. Weißt du, warum Bush Krieg gegen Saddam geführt hat?«

Die Frage ist an seinen Freund Manny gerichtet, aber die Antwort kommt von einem amerikanischen Veteranen.

»Wegen dem Öl, ist doch klar.«

Roper gibt sich nicht zufrieden. Nun versucht sich ein Franzose.

»Wegen Geld! Die Souveränität des kuwaitischen Goldes!«

»Wegen der Erfahrung«, sagte Roper. »Bush hat Erfahrung sammeln wollen.« Er zeigt mit einem Finger auf die Russen. Ihr hattet achtzigtausend kampferprobte Offiziere in Afghanistan, wo sie die moderne, flexible Kriegsführung erproben konnten. Piloten, die echte Ziele bombardierten. Soldaten, die unter echten Beschuß gerieten. Und was hatte Bush? Abgewrackte Generäle aus Vietnam und junge Helden aus dem triumphalen Feldzug gegen Grenada, Bevölkerung drei Mann und eine Ziege. Also ist Bush in den Krieg gezogen. Hat sich reingekniet. Hat seine Leute an dem Spielzeug ausprobiert, das er Saddam selbst angedreht hatte, als noch die Iraner die Bösen waren. Großer Beifall von der Wählerschaft. Stimmt's, Sandy?«

»Stimmt, Chef.«

»Regierungen? Schlimmer als wir. Die machen die Geschäfte, wir kriegen nur die Reste ab. Immer und immer dasselbe.« Er schweigt, vielleicht denkt er, daß er genug gesagt hat. Aber die anderen sehen das nicht so.

»Erzähl ihnen von Uganda, Chef! Da warst du der Größte. Einfach unschlagbar. Idi Amin hat dir aus der Hand gefressen«, ruft Frisky vom anderen Ende des Tischs, wo er unter alten Freunden sitzt.

Roper zögert wie ein Musiker, der nicht weiß, ob er eine Zugabe geben soll; schließlich willigt er ein.

»Tja, Idi war ein wilder Bursche, keine Frage. Aber er hatte jemand nötig, der ihn unterstützte. Jeder andere außer mir hätte ihn angeschmiert, hätte ihm alles angedreht, wovon er je geträumt hat, und noch ein bißchen mehr. So was mache ich nicht. Ich passe den Schuh dem Fuß an. Idi wäre mit Atombomben auf Fasanenjagd gegangen, wenn er gekonnt hätte. Sie waren ja auch dabei, McPherson.«

»Idi war ein Irrer, Chef«, sagt ein wortkarger Schotte an Friskys Seite. »Ohne Sie wären wir erledigt gewesen.«

»Heikle Gegend, Uganda, hab ich recht, Sandy?«

»Das einzige Mal, daß ich gesehen habe, wie jemand unter einem Erhängten ein Sandwich gegessen hat«, bestätigt Lord Langbourne zur allgemeinen Belustigung.

Roper imitiert den Tonfall des schwärzesten Afrikas. »>Kommen Sie, Dicky, wolln Ihren Gewehren mal bei der Arbeit zusehen.< Nichts zu machen. Hab mich geweigert. >Ohne mich, Herr Präsident, verzichte dankend. Tun Sie mit mir, was Sie wollen. Gute Männer wie ich sind selten.< Wäre ich einer seiner eigenen Leute gewesen, hätte er mich auf der Stelle umgelegt. Wildes Augenrollen. Schreit mich an. >Es ist Ihre Pflicht, mich zu begleiten<, sagt er. >Nein, ist es nicht<, sag ich. >Wenn ich Ihnen Zigaretten statt Spielzeug verkaufe, nehmen Sie mich dann vielleicht auch ins Krankenhaus mit, damit ich Leuten die Hand halte, die an Lungenkrebs sterben?< Der gute Idi hat sich kaputtgelacht. Nicht daß ich seinem Lachen getraut hätte. Lachen ist lügen, meistens. Die Wahrheit beugen. Ich hab kein Vertrauen zu jemand, der dauernd Witze macht. Ich lache, aber ich trau ihm nicht. Mickey war so ein Witzbold. Erinnerst du dich noch an Mickey, Sands?«

»Ah, nur zu gut, vielen Dank«, schnarrt Langbourne, was die Runde erneut zum Lachen bringt: Diese englischen Lords, das muß man ihnen lassen, die sind schon was Besonderes! Roper wartet, bis das Gelächter verklungen ist: »Diese ganzen Kriegswitze, die Mickey draufhatte und über die sich alle krankgelacht haben? Söldner, die Ketten mit den Ohren ihrer erlegten Feinde um den Hals tragen und so was? Weißt du noch?«

»Hat ihm nicht viel genützt, wie?« sagt der Lord zum Entzücken seiner Bewunderer.

Roper wendet sich wieder Oberst Emmanuel zu. »Ich habe ihm gesagt: >Mickey, treib es nicht zu weit.< Zuletzt habe ich ihn in Damaskus gesehen. Die Syrier hatten ihn zu gern. Dachten, er wäre ihr Medizinmann, könnte ihnen alles besorgen, was sie brauchten. Wenn sie Lust bekämen, den Mond abzuknallen, würde Mickey ihnen die nötigen Kanonen beschaffen. Hatten ihm eine tolle Luxuswohnung mitten in der Stadt gegeben, mit dicken Samtvorhängen, kein bißchen Tageslicht, weißt du noch, Sandy?«

»Sah aus wie ein Aufbahrungssalon für marokkanische Schwule«, sagte Langbourne zu allgemeinem Gelächter. Und wieder wartet Roper, bis es sich gelegt hat.

»Wenn man von der sonnigen Straße in dieses Büro kam, war man blind. Bodyguards im Vorzimmer. So sechs bis acht.« Eine ausladende Handbewegung. »Sahen noch schlimmer aus als manche von euch hier, falls ihr das glauben könnt.«

Emmanuel lacht herzlich. Langbourne, der für sie den Dandy spielt, zieht eine Augenbraue hoch. Roper fährt fort:

»Und Mickey an seinem Schreibtisch, drei Telefone, diktiert einer dümmlichen Sekretärin. >Mickey, mach dir nichts vor<, hab ich ihn gewarnt. >Heute bist du ein Ehrengast. Aber wenn du sie einmal enttäuscht, bist du ein toter Ehrengast. < Das war die goldene Regel damals: Nie ein Büro haben. Sobald du ein Büro hast, bist du eine Zielscheibe. Die bauen überall Wanzen ein, lesen deine Papiere, durchsuchen jeden Winkel, und wenn sie dich nicht mehr leiden können, wissen sie, wo du zu finden bist. Hatten die ganze Zeit nie ein Büro, als wir da auf dem Markt waren. Nur in miesen Hotels gewohnt, weißt du noch, Sands? Prag, Beirut, Tripolis, Havanna, Saigon, Taipeh, das Scheißkaff Mogadischu? Weißt du noch, Wally?«

»Aber sicher, Chef«, sagt eine Stimme.

»Die einzige Zeit in meinem Leben, als ich es ertragen konnte, ein Buch zu lesen: wenn ich in diesen Käffern festsaß. Kann Passivität grundsätzlich nicht ausstehen. Zehn Minuten mit einem Buch, dann muß ich los und was tun. Aber da draußen, wenn man in miesen Städten die Zeit totschlägt, während man auf ein Geschäft wartet, bleibt einem bloß die Kultur. Kürzlich hat mich jemand gefragt, wie ich meine erste Million verdient habe. Du warst dabei, Sands. Du weißt, wen ich meine. >Während ich in Bad Nirgendwo auf meinem Arsch gesessen habe<, hab ich geantwortet. >Man wird nicht für das Geschäft bezahlt. Sondern dafür, daß man seine Zeit verschwendete«

»Und was ist aus Mickey geworden?« fragte Jonathan über den Tisch.

Roper sieht an die Decke, als wollte er sagen: »Da oben.«

Es bleibt Langbourne überlassen, das Ende der Geschichte zu erzählen. »So eine Leiche habe ich noch nie gesehen«, sagt er mit gewissermaßen unschuldiger Geheimnistuerei. »Die müssen sich tagelang mit ihm beschäftigt haben. Er hatte natürlich alle Seiten gegeneinander ausgespielt. Junge Dame in Tel Aviv, in die er sich ein bißchen zu sehr verknallt hatte. Man könnte sagen, geschieht ihm recht. Trotzdem, ich finde, sie sind ein bißchen zu hart mit ihm umgesprungen.«

Roper steht auf und streckt sich. »Das Ganze ist wie eine Hirschjagd«, verkündet er zufrieden. »Man zieht herum, man strengt sich an. Man stolpert, man kommt zu Fall, man stürmt weiter. Und eines Tages bekommt man kurz zu sehen, wohinter man her ist, und wenn man großes Glück hat, kann man einen Schuß abgeben. Der richtige Ort. Die richtige Frau. Die richtige Gesellschaft. Andere Leute lügen, zaudern, betrügen, fälschen ihre Spesen, kriechen rum. Wir handeln - also zum Teufel damit. Gute Nacht, Leute. Danke, Koch. Wo ist der Koch? Schon im Bett? Kluger Mann.«

»Soll ich Ihnen was wirklich ganz Komisches erzählen, Tommy?« fragte Tabby, als sie sich schlafen legten. »Etwas, das Ihnen wirklich Spaß machen wird?«

»Nur zu«, sagte Jonathan entgegenkommend.

»Also, Sie wissen doch, die Yanks haben außerhalb von Panama City, auf der Howard Air Base, diese AWACS stationiert, um die Drogenleute zu schnappen. Fliegen in sehr großer Höhe und beobachten die kleinen Flugzeuge, die drüben in Kolumbien zwischen den Koka-Plantagen hin und her brummen. Aber die Kolumbianer sind auch nicht auf den Kopf gefallen, die haben nämlich so ein Kerlchen in einer Kneipe gegenüber vom Flugplatz sitzen, der trinkt den ganzen Tag Kaffee, und jedesmal, wenn die Yankees ihre AWACS aufsteigen lassen, sagt er es seinen Leuten in Kolumbien telefonisch durch. So was gefällt mir.«

Sie flogen in einen anderen Teil des Dschungels. Nach der Landung zog das Bodenpersonal den Hubschrauber unter die Bäume, wo unter Tarnnetzen ein paar alte Transportflugzeuge abgestellt waren. Der Landestreifen war längs eines Flusses angelegt und so schmal, daß Jonathan bis zum letzten Augenblick sicher war, sie würden mit einem Bauchklatscher in die Stromschnellen krachen; aber die geschotterte Rollbahn war so lang, daß auch ein Flugzeug darauf landen konnte. Ein militärischer Mannschaftswagen holte sie ab. Sie passierten einen Kontrollpunkt und eine Warntafel mit der englischen Aufschrift SPRENGUNG, doch wer das jemals lesen oder verstehen sollte, blieb rätselhaft. Die Morgensonne machte aus jedem Blatt ein Juwel. Sie überquerten eine Pionierbrücke und fuhren dann zwischen zwanzig Meter hohen Felsbrocken zu einem natürlichen Amphitheater, in dem die Echos des Dschungels sich mit dem Rauschen eines Wasserfalls mischten. Der Hang eines Hügels bildete die Tribüne. Von dort sah man in ein grasbewachsenes Becken mit vereinzelten Baumgruppen und einem gewundenen Fluß. In der Mitte war eine Filmkulisse aufgebaut, Blockhäuser und Straßen, an deren Rändern scheinbar nagelneue Autos parkten: ein gelber Alfa, ein grüner Mercedes, ein weißer Cadillac. Auf den Flachdächern wehten Fahnen, und als der Wind sie bewegte, erkannte Jonathan, daß es die Flaggen von Nationen waren, die sich offiziell der Bekämpfung der Kokain-Industrie verschrieben hatten: die Stars and Stripes der Amerikaner, der Union Jack der Briten, das Schwarz-Rot-Gold der Deutschen und, ziemlich kurios, das weiße Kreuz der Schweiz. Andere Flaggen hatte man offenbar für diesen Anlaß improvisiert:; DELTA stand auf der einen, DEA auf einer anderen und auf einem kleinen, abseits liegenden Turm US ARMY HQ.

Eine halbe Meile vom Zentrum dieser Attrappenstadt befand sich, mitten im Pampasgras und nah am Fluß, der Nachbau eines Militärflughafens mit holprigem Rollfeld, gelbem Windsack und fleckig grünem Tower aus Sperrholz. Auf der Rollbahn lagen die Wracks eingemotteter Flugzeuge. Jonathan erkannte DC-3s, F-85s und F-94s. Zum Schutz des Flughafens standen am Flußufer ausgemusterte Panzer und uralte Mannschaftswagen, die mit olivgrünem Tarnanstrich und dem weißen Stern der Amerikaner versehen waren.

Die Hand über den Augen, spähte Jonathan nach der Hügelkette, die das Hufeisen im Norden begrenzte. Die Einsatzleitung trat bereits zusammen. Gestalten mit weißen Armbinden und Stahlhelmen sprachen in Funkgeräte, spähten durch Feldstecher und studierten Karten. Unter ihnen erkannte Jonathan Langbourne mit seinem Pferdeschwanz, er trug eine kugelsichere Jacke und Jeans.

Ein kleines Flugzeug näherte sich und setzte dicht über der Hügelkette zur Landung an. Keine Hoheitszeichen. Ankunft der hohen Tiere.

Heute ist der Tag der Übergabe, dachte Jonathan.

Abschiedsfeier für die Soldaten, bevor Roper abkassiert.

Ein Preisschießen, Tommy, hatte Frisky gesagt, übertrieben vertraulich, wie es in letzter Zeit seine Art war.

Eine Demonstration der Feuerkraft, hatte Tabby gesagt, um den Kolumbianern vorzuführen, was sie für ihre Sie-wissen-schon kriegen.

Selbst das Händeschütteln hatte etwas Abschließendes. Jonathan, der am einen Ende der Tribüne stand, konnte das Zeremoniell gut verfolgen. Auf einem Tisch waren alkoholfreie Getränke und Eis in Feldflaschen bereitgestellt, und als die VIPs eintrafen, führte Roper persönlich sie dorthin. Dann machten Emmanuel und Roper gemeinsam ihre Ehrengäste mit den Ausbildungsleitern bekannt und geleiteten sie nach weiterem Händeschütteln zu einer Reihe im Schatten stehender Klappstühle, auf denen Gastgeber und Gäste sich im Halbkreis niederließen und selbstbewußt Konversation machten, wie Staatsmänner, die bei einem Fototermin irgendwelche Freundlichkeiten austauschten.

Aber die anderen, die Männer, die abseits des Zentrums im Schatten saßen, interessierten den Beobachter mehr. Ihr Anführer war ein feister Kerl, breitbeinig die Bauernpranken auf die fetten Oberschenkel gestützt. Neben ihm saß ein drahtiger alter Stierkämpfer, ebenso dünn wie der andere dick, eine Gesichtshälfte weiß vernarbt, als sei er dort einmal aufgespießt worden. Und in der zweiten Reihe saßen die ausgehungerten Burschen, die einen selbstsicheren Eindruck zu machen versuchten: öltriefendes Haar, moirierte Lederstiefel, Gucci-Bomberjacken, Seidenhemden, zuviel Gold, zuviel unter den Bomberjacken und zuviel Mordgier in den gespannten halbindianischen Gesichtern.

Aber Jonathan bleibt keine Zeit mehr, sie genauer zu betrachten, über der Hügelkette im Norden ist ein zweimotoriges Transportflugzeug aufgetaucht. Es ist mit einem schwarzen Kreuz markiert, und Jonathan weiß sofort, daß heute schwarze Kreuze für die Guten und weiße Sterne für die Bösen stehen. Die Seitentür öffnet sich, eine Gruppe Fallschirmspringer erblüht am bleichen Himmel, und Jonathan, den dies an sämtliche Armee-Erlebnisse von seiner Kindheit bis heute erinnert, wälzt und dreht sich mit ihnen. Er ist im Fallschirmspringer-Ausbildungslager in Abingdon, macht seinen ersten Sprung vom Ballon und denkt, daß der Tod und die Scheidung von Isabelle vielleicht doch nicht ganz dasselbe sind. Er ist auf seinem ersten Patrouillengang in Armagh, durchquert offenes Gelände, drückt das Gewehr an die kugelsichere Jacke und glaubt, endlich der Sohn seines Vaters zu sein.

Die Fallschirmspringer landen. Eine zweite Gruppe schließt sich an, dann eine dritte. Ein Trupp hastet von einem Schirm zum anderen, birgt Ausrüstung und Vorräte, während der andere Trupp Feuerschutz gibt. Denn es gibt Widerstand. Einer der Panzer am Rand des Flugfeldes hat die Männer unter Beschuß genommen - soll heißen, das Geschützrohr spuckt Feuer, und gleichzeitig explodieren vergrabene Sprengladungen um die Fallschirmspringer, die sich auf der Suche nach Deckung ins Pampasgras stürzen.

Dann feuert der Panzer plötzlich nicht mehr, und er wird auch nie mehr feuern. Die Fallschirmspringer haben ihn ausgeschaltet. Der Geschützturm hängt schief, schwarzer Rauch quillt aus dem Inneren, eine der Ketten ist zersprungen wie ein Uhrenarmband. In schneller Folge bekommen die restlichen Panzer ebenfalls ihr Teil ab. Und nach den Panzern werden die geparkten Flugzeuge mit Schüssen über das Rollfeld gejagt, bis auch sie, verbeult und kaputt, sich nicht mehr rühren können. Leichte Panzerabwehrwaffen, denkt Jonathan; effektive Reichweite zwei- bis dreihundert Meter; Lieblingswaffe der Mordkommandos.

 

Das Tal wird von neuem zerrissen, als Maschinengewehrfeuer aus den Gebäuden zu einem verspäteten Gegenschlag ausholt. Gleichzeitig fährt, ferngesteuert, der gelbe Alfa ruckend an und rast in einem Fluchtversuch die Straße hinunter. Feiglinge! Angsthasen! Mistkerle! Warum bleibt ihr nicht und kämpft! Aber die schwarzen Kreuze habe die Antwort parat. Aus den Pampas feuern die Vulcan-Maschinenegewehre in Zehner- und Zwanzigerstößen Ströme von Leuchtspurgeschossen in die feindlichen Stellungen, zerfetzen und durchlöchern die Zementblöcke dermaßen, daß sie am Ende riesigen Käsereiben gleichen. Gleichzeitig heben die Quads mit Fünfzigersalven den Alfa von der Straße und schleudern ihn in ein verdorrtes Gehölz, wo er explodiert und auch noch die Bäume in Brand setzt.

Aber kaum ist diese Gefahr gebannt, droht unsern Helden eine neue! Erst explodiert der Boden, dann spielt der Himmel verrückt. Aber keine Angst, auch darauf sind unsere Leute vorbereitet! Drohnen - ferngesteuerte Flugkörper -sind die Schurken. Die sechs Läufe der Vulcans haben eine maximale Richthöhe von achtzig Grad. Und die erreichen sie jetzt. Der Radar-Entfernungsmesser der Vulcan ist montiert, das Geschütz hat zweitausend Schuß Munition, und die werden nun in Hundertersalven abgefeuert, so laut, daß Jonathan sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhält.

Die Drohnen zerspringen und trudeln still und qualmend, wie brennende Papierschnitzel, in die Tiefen des Dschungels. Auf der Tribüne ist es Zeit für Beluga-Kaviar, der in eisgekühlten Dosen gereicht wird; und dazu gibt es eiskalten Kokossaft, Reserva-Rum aus Panama und schottischen Single Malt Whisky on the rocks. Aber keinen Schampus - noch nicht. Der Chef hat noch viel vor.

Die Waffenruhe ist vorbei. Die Mittagspause auch. Endlich kann die Stadt eingenommen werden. Ein tapferer Zug, der schießt und beschossen wird, marschiert aus dem Pampasgras geradewegs auf die verhaßten Gebäude der Kolonialisten zu. Woanders aber beginnen im Schutz dieses Aufmarsches weniger auffällige Attacken. Im Schilf kaum sichtbar, kommen Soldaten mit geschwärzten Gesichtern auf aufblasbaren Dingis den Fluß herunter. Andere erklettern in spezieller Kampfausrüstung heimlich die Außenseite des US-Army-Hauptquartiers. Auf ein geheimes Signal hin gehen beide Gruppen plötzlich zum Angriff über, schleudern Granaten durch Fenster, springen ihnen in die Flammen nach und schießen mit ihren automatischen Waffen. Sekunden später sind die restlichen geparkten Wagen ausgeschaltet oder erobert. Auf den Dächern werden die verhaßten Flaggen der Unterdrücker eingeholt und an ihrer Stelle unsere schwarzen Kreuze gehißt. Sieg auf der ganzen Linie, Triumph, unsere Soldaten sind Supermänner!

Doch halt! Was ist das? Die Schlacht ist noch nicht gewonnen.

Angezogen vom Brummen eines Flugzeugs, sieht Jonathan wieder zum Hügel gegenüber, wo die Einsatzleitung nervös über ihren Karten und Funkgeräten sitzt. Ein weißes Flugzeug - Zivilmaschine, fabrikneu, ohne Kennzeichen, zweimotorig, im Cockpit sind deutlich zwei Männer sichtbar - gleitet über den Hügel, kommt im Steilflug herunter und saust im Tiefflug über die Stadt. Was hat es hier zu suchen? Gehört es zur Vorstellung? Sind das echte Drogenfahnder, die sich den Spaß mal ansehen wollen? Jonathan blickt sich nach jemandem um, den er fragen könnte, doch aller Augen hängen wie die seinen an dem Flugzeug, und alle scheinen so verwirrt wie er selbst.

Das Flugzeug verschwindet, reglos liegt die Stadt, aber die Einsatzleitung auf dem Hügel wartet noch immer. Im Pampasgras erspäht Jonathan fünf Männer, darunter die zwei zum Verwechseln ähnlichen amerikanischen Ausbilder; dicht aneinander gedrängt, warten sie gespannt auf eine Gelegenheit zum Schießen.

Das weiße Flugzeug kommt zurück. Es fegt über den Hügel, aber diesmal ignoriert es die Stadt und steigt ziemlich steil nach oben. Plötzlich ertönt aus dem Pampasgras ein wütendes, langgezogenes Zischen, und das Flugzeug ist weg.

Es bricht nicht auseinander, es verliert keine Tragfläche, es stürzt nicht taumelnd in den Dschungel. Man hört das Zischen, man sieht die Explosion, man sieht den Feuerball, der so schnell wieder verschwunden ist, daß Jonathan sich fragt, ob er ihn überhaupt gesehen hat. Und danach sieht man die Verkleidung des Flugzeugs in winzigen glühenden Funken wie goldenen Regen niedersinken und verlöschen. Die Stingers haben ihre Arbeit getan.

Einige entsetzliche Sekunden lang glaubt Jonathan tatsächlich, daß die Show mit einem Menschenopfer beendet wurde. Auf der Tribüne liegen sich Roper und seine vornehmen Gäste in den Armen und gratulieren einander. Roper packt eine Flasche Dom und läßt den Korken knallen. Oberst Emmanuel hilft ihm. Jonathan sieht zum Hügel hinüber, wo verzückte Mitglieder der Einsatzleitung, darunter auch Langbourne, einander ebenfalls gratulieren, Hände schütteln, sich gegenseitig die Haare zerzausen und auf die Schultern klopfen. Erst als er den Blick nach oben richtet, sieht er eine halbe Meile weiter hinten in der Fluglinie zwei winzig kleine Fallschirme schweben. »Und?« fragt Roper ihn ins Ohr.

Roper ging zwischen den Zuschauern hin und her, um Stellungnahmen und Glückwünsche entgegenzunehmen.

»Aber wer war denn das?« wollte Jonathan wissen, noch nicht bereit, sich beschwichtigen zu lassen. »Diese verrückten Piloten? Und was ist mit dem Flugzeug? Das war doch zig Millionen Dollar wert!«

»Zwei clevere Russen. Teufelskerle. Haben auf dem Flugplatz von Cartagena einen Jet geklaut. Haben beim zweiten Anflug auf Autopilot umgestellt und sind ausgestiegen. Hoffe, der bedauernswerte Besitzer will ihn nicht zurückhaben.«

»Das ist ja Wahnsinn!« erklärte Jonathan und lachte, jetzt nicht mehr entrüstet, laut auf. »Das ist das Ungeheuerlichste, was ich je gehört habe!«

Er lachte noch immer, als er die Blicke der beiden amerikanischen Ausbilder auf sich spürte, die eben mit einem Jeep aus dem Tal heraufgekommen waren. Ihre Ähnlichkeit war gespenstisch: dasselbe sommersprossige Lächeln, dasselbe rotblonde Haar, dieselbe Art, die Hände in die Hüften zu stemmen, während sie ihn anstarrten.

»Sind Sie Engländer, Sir?« fragte der eine.

»Nicht direkt«, sagte Jonathan freundlich.

»Sie sind doch Thomas, oder, Sir?« fragte der zweite. »Thomas Soundso oder Soundso Thomas? Sir.«

»Etwas in der Richtung«, bestätigte Jonathan noch freundlicher, aber Tabby, der dicht hinter ihm stand, hörte den Unterton in seiner Stimme und legte ihm unauffällig eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. Das war nicht klug von Tabby, denn damit versetzte er den Beobachter in die Lage, ihn um ein Bündel amerikanischer Dollarnoten zu erleichtern, die in der Seitentasche seiner Buschjacke steckten.

Doch selbst in diesem erfreulichen Augenblick sah Jonathan sich unbehaglich nach den beiden Amerikanern in Ropers Gefolge um. Desillusionierte Veteranen? Mit Uncle Sam eine Rechnung begleichen? Dann schafft euch aber schnell ein paar desillusionierte Gesichter an, riet er ihnen: und hört auf, so auszusehen, als ob ihr erster Klasse reist und der Gesellschaft euren Zeitaufwand in Rechnung stellt.

Abgefangenes handschriftliches Fax an Ropers Jet, als Sehr Dringend bezeichnet, von Sir Anthony Joyston Bradshaw in London, England, an Dicky Roper auf der SS Iron Pasha, Antigua, eingegangen um 9 Uhr 20, vom Kapitän der Iron Pasha um 9 Uhr 28 an den Jet weitergeleitet, zusammen mit einem Begleitschreiben, in dem er um Verzeihung bittet, falls er nicht richtig gehandelt haben sollte. Sir Anthonys Handschrift ist fast die eines Analphabeten, voller orthographischer Fehler, Unterstreichungen und gelegentlicher Schnörkel wie aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Telegrammstil.

Lieber Dicky,

beziehe mich auf unser Gespräch vor zwei Tagen, habe Angelegenheit vor einer Stunde mit Londoner Gewährsmann besprochen und bestätigen lassen, das Ihnen vorliegende beschuldigende Information auf unwiederleglichen Tatsachen beruht. Darf auch angenommen werden, das der verstorbene Dr. Law von nicht freundlich gesinnten Elementen dazu benutzt wurde, früheren Unterzeichner zugunsten des gegenwärtigen Amtsinhabers zu verdrängen. London plant Ausweichmanöver, was ich Ihnen auch empfehle.

Hoffe, das Sie angesichts dieser entscheidenden Hilfe zusätzliche Dankprämie an übliche Bank überweisen, auch zur Deckung weiterer Spesen dieser für Sie dringenden Angelegenheit.

Gruß, Tony.

 

Dieses abgefangene Fax, das nicht an die Ermittler weitergeleitet wurde, hatte Flynn auf krummen Wegen von einer ihm günstig gesinnten Quelle aus der Zentralen Nachrichtenauswertung bekommen. In seiner Verärgerung nach dem Tod von Apostoll hatte Flynn Schwierigkeiten, sein angeborenes Mißtrauen den Engländern gegenüber zu überwinden. Aber nach einer halben Flasche zehn Jahre alten Bushmills Single Malt fühlte er sich stark genug, das Dokument in die Tasche zu stecken, sich mehr oder weniger von seinem Instinkt zur Operationszentrale fahren zu lassen und Burr das Schreiben offiziell vorzulegen.

Es war Monate her, daß Jed mit einer Linienmaschine geflogen war, und anfangs fühlte sie sich wie befreit, wie wenn man nach all diesen öden Taxifahrten endlich einmal wieder oben in einem Londoner Bus sitzt. Das Leben hat mich wieder, dachte sie; ich bin aus der gläsernen Kutsche gestiegen. Sie sagte dies scherzend zu Corkoran, der auf dem Flug nach Miami neben ihr saß, doch er reagierte bloß mit einer bissigen Bemerkung über ihren gewöhnlichen Geschmack. Was sie ebenso überraschte wie verletzte, denn bis dahin war er ihr gegenüber noch niemals grob geworden.

Auf dem Flughafen von Miami war er genauso unfreundlich, bestand darauf, ihren Paß einzustecken, während er einen Gepäckwagen holte, drehte ihr dann den Rücken zu und sprach mit zwei flachsblonden Männern, die am Abfertigungsschalter für den Weiterflug nach Antigua herumlungerten.

»Corky, was sind denn das für Leute?« fragte sie ihn, als er zurückkam.

»Freunde von Freunden, meine Liebe. Kommen zu uns auf die Pasha.«

»Freunde von welchen Freunden?«

»Vom Chef, genaugenommen.«

»Corky, das ist doch ausgeschlossen! Solche Schlägertypen?«

»Als zusätzlicher Schutz angeheuert, falls du's wissen willst. Der Chef hat beschlossen, die Zahl der Leibwächter auf fünf zu erhöhen.«

»Corky, warum denn nur? Bis jetzt war er mit drei doch immer absolut zufrieden.«

Dann sah sie seine Augen und bekam Angst, weil sie so rachsüchtig und triumphierend funkelten. Und sie erkannte, dies war ein Corkoran, den sie noch nicht kannte: ein kaltgestellter Höfling auf dem Rückweg an die Sonne, und einigen würde er seinen lange unterdrückten Zorn mit Zinsen heimzahlen.

Und im Flugzeug trank er nicht. Die neuen Leibwächter saßen im hinteren Teil, aber Jed und Corkoran flogen erster Klasse, und er hätte sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken können, jedenfalls hatte sie das erwartet. Statt dessen bestellte er sich Mineralwasser mit Eis und Zitrone, und das schlürfte er nun, während er sein Spiegelbild im Fenster bewunderte.