27
Die Krisensitzung des Gemeinsamen Lenkungsausschusses war für zehn Uhr dreißig am nächsten Morgen angesetzt, aber Goodhew kam schon früher, um das Konferenzzimmer im Souterrain so herzurichten, wie er es haben wollte; dazu gehörte, daß er die Tagesordnung und das Protokoll der letzten Sitzung auslegte. Das Leben hatte ihn gelehrt, daß man solche Dinge nur auf eigene Gefahr von anderen erledigen ließ.
Wie ein General vor der entscheidenden Schlacht seines Lebens hatte Goodhew nur leicht geschlafen und in der Morgendämmerung sein Ziel klar vor Augen gehabt. Er war überzeugt, über eine starke Truppe zu verfügen. Er hatte seine Leute gezählt, er hatte sie bearbeitet, und um ihre Loyalität zu stärken, hatte er jedem von ihnen eine Kopie seines Originalvortrags vor dem Gemeinsamen Lenkungsausschuß - Titel: >Eine Neue Ära< - zukommen lassen, worin er so geschickt dargelegt hatte, daß Großbritannien mit größerer Heimlichtuerei regiert werde und mehr Gesetze zur Unterdrückung von Informationen und mehr unverantwortliche Methoden zur Verheimlichung von Staatsgeschäften von den eigenen Bürgern habe als jede andere westliche Demokratie. In einem Begleitschreiben zu Burrs Bericht hatte er sie darauf hingewiesen, daß der Ausschuß vor einer klassischen Machtprobe stehe.
Der erste, der nach Goodhew im Konferenzraum eintraf, war sein sentimentaler Schulfreund Padstow, dem stets daran gelegen hatte, mit den unscheinbarsten Mädchen zu tanzen, um ihnen Selbstvertrauen einzuflößen.
»Also wirklich, Rex, erinnern Sie sich an Ihr persönliches, streng vertrauliches Schreiben an mich, mit dem Sie mir den Rücken decken wollten, als Burr seine Streiche in Südwestengland trieb? Nur für meine Unterlagen bestimmt?« Wie üblich redete Padstow so, wie P.G. Wodehouse an einem schlechten Tag geschrieben haben könnte.
»Natürlich erinnere ich mich, Stanley.«
»Sie haben nicht zufällig eine Kopie davon, wie? Ich kann es nämlich nicht mehr finden. Ich hätte absolut schwören können, daß ich es in meinen Safe gelegt habe.«
»Wenn ich nicht irre, war es ein handschriftlicher Brief«, erwiderte Goodhew.
»Aber sie haben nicht zufällig eine Kopie davon gemacht, bevor Sie ihn mir rübergeschickt haben?«
Die Ankunft zweier Staatssekretäre vom Kabinettsbüro unterbrach ihr Gespräch. Der eine lächelte Goodhew beruhigend zu, der andere, Loaming, hatte genug damit zu tun, mit einem Taschentuch seinen Stuhl abzuwischen. Loaming ist einer von ihnen, hatte Palfrey gesagt. Er vertritt die These, daß es auf der Welt eine unterprivilegierte Klasse geben muß. Die Leute denken, er meint das im Scherz. Danach kamen die Leiter der militärischen Nachrichtendienste, dann jeweils zwei Barone von den Fernmeldern und der Verteidigung. Anschließend Merridew von der Abteilung Nord des Außenministeriums in Begleitung einer ernsten Frau namens Dawn. Die Nachricht von Goodhews neuer Stellung war längst überall durchgesickert. Einige Ankömmlinge schüttelten ihm die Hand. Andere sagten ihm verlegen murmelnd ihre Unterstützung zu. Merridew, der im Rugbyteam von Cambridge den Flügelstürmer gespielt hatte - Goodhew hatte es in Oxford nur zum Flügelhalbstürmer gebracht -, tätschelte ihm sogar den Oberarm, worauf Goodhew übertrieben theatralisch aufschrie, als leide er entsetzliche Schmerzen: »O nein, ich glaube, Sie haben mir den Arm gebrochen, Tony!«
Das gezwungene Lachen erstarb, als Geoffrey Darker und sein ermutigender Stellvertreter Neal Marjoram den Raum betraten.
Diese Leute stehlen, Rex, hatte Palfrey gesagt. Sie lügen... sie konspirieren... England ist ihnen zu klein... Europa ist ein babylonischer Balkan... Washington ist ihr einziges Rom...
Die Sitzung beginnt.
»Operation Klette, Herr Minister«, erklärt Goodhew so teilnahmslos, wie es ihm möglich ist. Goodhew fungiert wie gewöhnlich als Schriftführer; sein Chef von Amts wegen als Vorsitzender. »Einige dringende Fragen zu entscheiden, fürchte ich. Es muß noch heute gehandelt werden. Die Situation ist in Burrs Resümee dargelegt; soweit wir wissen, hat sich bis vor einer Stunde nichts daran geändert. Des weiteren sind die Kompetenzen der betroffenen Abteilungen zu regeln.«
Sein Chef macht einen mürrischen und verärgerten Eindruck. »Wo zum Teufel stecken die Ermittler?« schimpft er. »Ist doch ziemlich seltsam, oder, ein Fall für die Enforcement, und keiner von denen ist hier?«
»Sie sind bedauerlicherweise noch immer nur beigeordnet, Minister, obwohl einige von uns sich sehr bemüht haben, sie höher einstufen zu lassen. Zu den Sitzungen des Lenkungsausschusses sind nur vollberechtigte Mitglieder und Abteilungsleiter zugelassen.«
»Also ich finde, dieser Burr sollte auch dabeisein. Reichlich blöd, wenn er die Sache durchzieht und in- und auswendig kennt, daß er dann nicht hier ist, um davon zu berichten. Stimmt's? Hab ich nicht recht?« - er blickt in die Runde.
Mit einer so einmaligen Gelegenheit hat Goodhew nicht gerechnet. Er weiß, daß Burr keine fünfhundert Meter entfernt an seinem Schreibtisch sitzt. »Wenn das so ist, Herr Minister, gestatten Sie mir, Leonard Burr zu dieser Sitzung rufen zu lassen? Und gestatten Sie mir festzuhalten, daß hiermit ein Präzedenzfall geschaffen wurde, wonach beigeordnete Dienste, die mit für diesen Ausschuß wesentlichen Angelegenheiten befaßt sind, bereits vor ihrer Erhebung in den vollberechtigten Status als vollberechtigt betrachtet werden können?«
»Einspruch«, bellt Darker. »Mit den Ermittlern fängt es an. Wenn wir Burr reinlassen, haben wir am Ende sämtliche Micky-Maus-Dienste von Whitehall am Hals. Jeder weiß, daß diese kleinen Vereine für jeden zu haben sind. Erst machen sie Ärger, dann fehlt ihnen die Kraft, ihn zu beenden. Wir alle haben Burrs Hintergrundpapier gelesen. Die meisten von uns sehen den Fall anders. Laut Tagesordnung geht es heute um Befehlsbefugnis und Kontrolle. Daß der Anlaß unserer Diskussion hier sitzt und zuhört, ist das letzte, was wir brauchen können.«
»Aber Geoffrey«, sagt Goodhew leichthin, »wenn hier jemand ständiger Anlaß unserer Diskussionen ist, dann sind Sie es.«
Der Minister murmelt etwas wie »Na schön, lassen wir es fürs erste, wie es ist«, und die erste Runde endet unentschieden, mit leichten Platzwunden auf beiden Seiten.
Ein paar Minuten englische Kammermusik, während die Leiter der geheimen Luft- und See-Aufklärung von ihren jeweiligen Erfolgen bei der Verfolgung der Horatio Enriques berichten. Zum Abschluß präsentierten sie stolz ihre großformatigen Fotos.
»Für mich sieht das wie ein ganz gewöhnlicher Tanker aus«, sagt der Minister.
Merridew, der Schreibtischspione nicht ausstehen kann, stimmt ihm zu: »Ist es wahrscheinlich auch.«
Jemand hustet. Ein Stuhl knarrt. Goodhew hört ein nasales Kichern von höherer Stelle, als ihm lieb ist, und identifiziert es als jenes vertraute Geräusch, mit dem ein hochrangiger britischer Politiker sich anschickt, ein Argument vorzutragen.
»Was haben wir überhaupt damit zu tun, Rex?« will der Minister wissen. »Das Schiff ist nach Polen unterwegs. Ist in Panama registriert. Gehört einer Gesellschaft in Curacao. Nicht unser Bier, wie ich das sehe. Sie möchten, daß ich damit in die Downing Street gehe. Ich frage mich, warum wir überhaupt darüber reden.«
»Ironbrand ist eine britische Firma, Herr Minister.«
»Nein, ist es nicht. Eine bahamaische. War's nicht so?« Unruhe, während der Minister mit dem gespreizten Gehabe eines viel älteren Mannes so tut, als überfliege er Burrs Dreitausend-Worte-Resümee. »Ja, Bahamas. Hier steht's.«
»Der Vorstand besteht aus Briten; die Leute, die das Verbrechen begehen, sind Briten; das Beweismaterial gegen sie wurde von einem britischen Nachrichtendienst unter der Ägide Ihres Ministeriums gesammelt.«
»Dann geben Sie unser Beweismaterial den Polen, und wir können alle nach Hause gehen« sagt der Minister, sehr zufrieden mit sich. »Ausgezeichneter Plan, wenn Sie mich fragen.«
Darker bewundert den Scharfsinn des Ministers mit frostigem Lächeln, zieht es aber vor, impertinent an Goodhews Wortwahl herumzumäkeln. »Bitte, Rex, können wir uns auf Zeugenaussage einigen? Anstatt Beweismaterial? Bevor wir alle vor Begeisterung blind werden.«
»Ich bin nicht blind, Geoffrey, und werde es auch nicht, falls Sie mir nicht die Augen ausstechen«, erwidert Goodhew allzu laut, zum Unbehagen seiner Anhänger. »Was die Weitergabe unseres Beweismaterials an die Polen betrifft, wird die Enforcement nach ihrem Ermessen handeln, aber erst nachdem entschieden ist, wie gegen Roper und seine Komplicen vorgegangen werden soll. Die Verantwortung für die Beschlagnahme der Waffenlieferung wurde bereits an die Amerikaner abgetreten. Ich gedenke nicht, den Rest unserer Verantwortung an die Polen abzutreten, es sei denn, ich erhalte vom Minister eine entsprechende Anweisung. Wir haben es mit einem finanzstarken und gut organisierten Verbrechersyndikat in einem sehr armen Land zu tun. Die Täter haben sich für Gdansk entschieden, weil sie meinen, dort ungestört agieren zu können. Wenn sie recht haben, ist es ganz egal, was wir der polnischen Regierung erzählen; die Fracht wird trotzdem an Land gebracht, und wir lassen Burrs Quelle nur zum Spaß hochgehen, um Onslow Roper darauf hinzuweisen, daß wir ihm auf der Spur sind.«
»Womöglich ist Burrs Quelle bereits hochgegangen«, meint Darker.
»Möglich ist alles, Geoffrey. Die Ermittler haben viele Feinde, auch im River House.«
Zum erstenmal ist Jonathans gespenstischer Schatten auf ihren Tisch gefallen. Goodhew kennt Jonathan nicht persönlich, hat aber genug von Burrs mühsamer Arbeit mitbekommen, um sie zu seiner Sache zu machen. Vielleicht wird Goodhews Empörung von diesem Bewußtsein angestachelt, denn als er nun seinen Vortrag fortsetzt, wechselt er wieder einmal alarmierend die Farbe, und seine Stimme klingt ein wenig höher als sonst.
Nach den vereinbarten Regeln des Gemeinsamen Lenkungsausschusses, sagt er, ist jeder noch so kleine Dienst in seinem Bereich souverän.
Und jeder noch so große Dienst ist verpflichtet, jedem anderen Dienst Unterstützung zu gewähren und gleichzeitig dessen Rechte und Freiheiten zu respektieren.
Im Verlauf der Operation Klette, fährt er fort, ist dieser Grundsatz vom River House, das die Kontrolle über diese Operation verlangt, mehrmals torpediert worden, und zwar mit der Begründung, sein Gegenstück in den Vereinigten Staaten habe eine solche Kontrolle verlangt...
Darker fällt ihm ins Wort. Es ist seine Stärke, daß er nur mit Vollgas fahren kann. Sein Schweigen kann vernichtend sein. Wenn er in äußerste Not gerät und eine Schlacht unwiderruflich verloren scheint, ist er fähig, seine Position zu revidieren. Und er kann angreifen, und davon macht er jetzt Gebrauch.
»Was soll das heißen: sein Gegenstück in den Vereinigten Staaten hat das verlangt?« fährt er scharf dazwischen. »Die Kontrolle der Klette ist den Vettern übertragen worden. Die Operation gehört den Vettern. Nicht dem River House. Warum auch nicht? Alle bleiben unter sich. Ihre eigene pedantische Regel, Rex. Sie haben sich das ausgedacht. Jetzt müssen Sie damit leben. Wenn die Operation Klette in Langley von den Vettern durchgeführt wird, dann sollte hier das River House dafür zuständig sein.«
Nach dieser Attacke lehnt er sich zurück und wartet auf die Chance zum nächsten Angriff. Marjoram wartet mit ihm. Goodhew tut zwar so, als habe er Darker nicht zugehört, aber der Angriff hat gesessen. Er leckt sich die Lippen. Er sieht seinen alten Kameraden Merridew an und hofft, daß der etwas sagt. Aber Merridew schweigt. Goodhew nimmt den Faden wieder auf, begeht aber einen fatalen Fehler. Das heißt, er weicht von seiner geplanten Marschroute ab und spricht aus dem Stegreif.
»Aber wenn wir die Zentrale Nachrichtenauswertung um eine Erklärung bitten«, fährt Goodhew mit allzu ironischer Betonung fort, »warum die Operation Klette denn unbedingt der Enforcement aus der Hand genommen werden muß« - er sieht sich wütend um und erblickt seinen Chef, der demonstrativ gelangweilt die weiße Wand anstarrt -, »stellt man uns vor ein Rätsel. Es trägt den Namen Flaggschiff und ist so geheim und offenbar so weitverzweigt, daß es praktisch jeden Akt von staatlichem Vandalismus abdeckt. Man nennt das Geopolitik. Man nennt das« - anscheinend möchte er gern dem Rhythmus seiner Rhetorik entfliehen, aber nun ist er in Fahrt, und es gibt kein Halten mehr. Wie kann es Darker wagen, ihn so anzustarren? Und wie Marjoram ihn angrinst! Diese Gangster! -, »man nennt das Normalisierung. Man spricht von Kettenreaktionen, die so kompliziert sind, daß man sie nicht beschreiben kann, Interessen, die nicht preisgegeben werden dürfen.« Er hört seine Stimme zittern, kann aber nichts dagegen machen. Er denkt daran, daß er Burr geschworen hat, genau diesen Weg einzuschlagen. Aber er kann einfach nicht anders. »Man erzählt uns etwas von einem größeren Bild, das wir nicht überblicken können, weil wir zu tief unten stehen. Mit anderen Worten, die Zentrale Nachrichtenauswertung muß die Klette an sich reißen, und basta!« Goodhews Ohren sind voll Wasser, und er hat Wasser in den Augen; er muß erst einen Moment warten, ehe sein Atem sich beruhigt.
»Okay, Rex«, sagt sein Chef. »Schön zu hören, daß Sie in Form sind. Jetzt aber mal im Klartext. Geoffrey, Sie haben mir ein Protokoll geschickt. Sie behaupten, aus Sicht der Ermittler sei diese ganze Aktion Klette bloß kalter Kaffee. Warum?«
Goodhew fährt unklug dazwischen: »Warum habe ich keine Kopie dieses Protokolls zu sehen bekommen?«
»Flaggschiff«, sagt Marjoram in die Totenstille hinein. »Sie gehören nicht zur Mannschaft, Rex.«
Nicht, um Goodhews Schmerz zu lindern, sondern um ihn noch zu vergrößern, wird Darker noch deutlicher: »Flaggschiff ist der Kodename für das Engagement der Amerikaner in dieser Sache, Rex. Als Bedingung für unsere Teilnahme haben sie uns eine sehr restriktive Geheimhaltung vorgeschrieben. Tut mir leid für Sie.«
Darker hat das Wort. Marjoram reicht ihm eine Akte. Darker klappt sie auf, leckt sich affektiert einen Finger und schlägt eine Seite um. Er besitzt ein gutes Gefühl für Timing. Er spürt, wenn die Blicke auf ihn gerichtet sind. Seine Scheinheiligkeit, seine Haltung und das eigenartig herausgestreckte Hinterteil machen ihn zu einem schlechten Wanderprediger: »Was dagegen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle, Rex?«
»Ich denke, es gehört zu den Maximen Ihres Hauses, daß nur die Antworten gefährlich sind, Geoffrey«, kontert Goodhew. Aber Lässigkeit ist jetzt nicht seine Stärke. Er klingt verstimmt und töricht.
»Ist die Quelle, die Burr von den Drogen erzählt hat, identisch mit der, die ihm von der Waffenlieferung nach Buenaventura berichtet hat?«
»Ja.«
»Ist diese Quelle auch für die Einfädelung der ganzen Sache verantwortlich? Ironbrand - Drogen für Waffen - diese krummen Geschäfte?«
»Diese Quelle ist tot.«
»Ach ja?« Darker klingt eher interessiert als entsetzt. »Das hat also alles Apostoll gedeichselt, ja? Dieser Drogenanwalt, der alle Seiten gegeneinander ausgespielt hat, um sich von der Justiz freizukaufen?«
»Ich bin nicht bereit, Quellen beim Namen zu nennen und so über sie zu reden!«
»Na, ich halte das für zulässig, wenn sie tot sind. Oder falsch. Oder beides.«
Wieder eine theatralische Pause, während Darker über Marjorams Akte nachsinnt. Die beiden Männer haben eine seltsame Ähnlichkeit.
»Demnach stammt also dieses ganze haarsträubende Zeug über die angebliche Beteiligung gewisser britischer Bankhäuser von Burrs Quelle?« fragt Darker.
»Eine Quelle hat diese Informationen beschafft, und. darüber hinaus noch viel mehr. Ich halte es für unangebracht, weiter über Burrs Quellen zu sprechen«, sagt Goodhew.
»Quellen oder Quelle?«
»Dazu werde ich mich nicht äußern.«
»Ist diese Quelle noch aktiv?«
»Kein Kommentar. Aktiv, ja.«
»Er oder sie?«
»Passe. Herr Minister, ich erhebe Einspruch.«
»Sie sagen also, diese eine aktive Quelle - er oder sie - hat Burr die ganze Sache zugetragen; hat Burr das mit den Drogen zugetragen, hat Burr das mit den Waffen zugetragen, mit den Schiffen, der Geldwäscherei und der Beteiligung britischer Banken. Ja?«
»Sie übersehen die Tatsache - absichtlich, wie ich vermute-, daß eine große Anzahl technischer Quellen fast jeden dieser Punkte bestätigt und sämtliche von Burrs aktiver Quelle gelieferten Informationen konkretisiert haben. Leider werden uns in letzter Zeit die meisten technisch gewonnenen Erkenntnisse vorenthalten. Ich habe die Absicht, diesen Punkt jetzt gleich formell zur Sprache zu bringen.«
»Mit uns meinen Sie die Enforcement?«
»In diesem Fall: ja.«
»Es ist eben immer problematisch, diesen kleinen Diensten, von denen Sie so viel halten, heißes Material zu überlassen: Man weiß nie, ob sie zuverlässig sind.«
»Ich finde eher, gerade weil sie klein sind, sind sie zuverlässiger als weit größere Dienste mit fragwürdigen Verbindungen.«
Jetzt ergreift Marjoram das Wort, aber ebensogut hätte noch immer Darker sprechen können, denn er läßt Goodhew nicht aus den Augen, während Marjoram mit demselben anklagenden Tonfall redet, nur etwas sanfter.
»Trotzdem gibt es für manches keine zusätzliche Bestätigung«, erklärt Marjoram mit ungeheuer gewinnendem Lächeln in die Runde. »Denn gelegentlich hat die Quelle, so könnte man sagen, allein gesprochen. Hat Ihnen Dinge mitgeteilt, die letzten Endes nicht überprüfbar waren. >Da hast du's<, sozusagen. >Friß oder stirb.< Und Burr hat es gefressen. Und Sie auch. Stimmt's?«
»Da Sie uns so viel von den neugewonnenen Bestätigungen vorenthalten, haben wir gelernt, ohne sie auszukommen. Herr Minister, liegt es nicht in der Natur jeder Quelle, die Informationen aus erster Hand besorgt, daß diese nicht in jeder Einzelheit nachprüfbar sind?«
»Bißchen akademisch, das Ganze«, beklagt sich der Minister. »Können wir nicht endlich zur Sache kommen, Geoffrey? Wenn ich das an höchster Stelle vortragen soll, muß ich mir vor der Fragestunde den Kabinettssekretär vorknöpfen.«
Marjoram lächelt zustimmend, weicht aber keinen Schritt von seiner Marschroute ab. »Muß schon sagen, eine phantastische Quelle, Rex. Was das für Ärger gibt, falls er Sie an der Nase herumführt. Oder sie. Verzeihung. Bin mir nicht sicher, ob ich auf ihn setzen würde, wenn ich dem PM zu raten hätte.
Ohne ein bißchen mehr über ihn oder sie zu wissen. Grenzenloses Vertrauen in den Agenten an der Front ist ja schön und gut. Aber Burr hat das schon damals, als er im River House arbeitete, ein paarmal zu weit getrieben. Wir mußten ihn fest an die Kandare nehmen.«
»Das wenige, was ich über die Quelle weiß, überzeugt mich vollständig«, erwidert Goodhew und gerät damit noch tiefer in den Sumpf. »Die Quelle ist loyal und hat für sein oder ihr Land enorme persönliche Opfer gebracht. Ich lege dringend nahe, der Quelle Glauben zu schenken und noch heute seinen Informationen entsprechend zu handeln.«
Darker übernimmt wieder. Er blickt erst in Goodhews Gesicht, dann auf dessen Hände, die auf dem Tisch liegen. Und Goodhew hat in seiner zunehmenden Besorgnis den entsetzlichen Eindruck, es würde Darker jetzt Spaß machen, ihm die Fingernägel auszureißen.
»Tja, soviel Unvoreingenommenheit überzeugt natürlich jeden«, sagt Darker mit einem Seitenblick auf den Minister, um sich zu vergewissern, wie der Zeuge sich selbst das Urteil gesprochen hat. »So eine rückhaltlose Erklärung blinder Liebe habe ich nicht mehr gehört seit...« - er wendet sich an Marjoram -»wie hieß dieser Mann noch mal - dieser entflohene Verbrecher? Er hat so viele Namen, daß ich vergessen habe, welcher der richtige ist.«
»Pine«, sagt Marjoram. »Jonathan Pine. Einen zweiten Vornamen hat er nicht, soweit ich weiß. Gegen ihn liegt seit Monaten ein internationaler Haftbefehl vor.«
Und wieder Darker. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Burr auf diesen Mr. Pine gehört hat, Rex? Ausgeschlossen. Auf den fällt niemand herein. Genausogut könnten Sie dem Penner an der Ecke glauben, wenn er Ihnen erzählt, er brauche Geld, um nach Hause zu fahren.«
Und zum ersten Mal lächeln Marjoram und Darker gemeinsam - ein wenig ungläubig bei dem Gedanken, daß ein so aufgeweckter Mann wie der gute alte Rex Goodhew so einen Riesenfehler begangen haben könnte.
Goodhew hat das Gefühl, allein in einem großen, leeren Saal zu sein, wo ihn eine langwierige öffentliche Hinrichtung erwartet. Von weit her hört er, wie Darker ihm freundlich zu erklären versucht, daß es in einem Fall, bei dem Aktivitäten auf höchster Ebene zu erwägen sind, für Nachrichtendienste durchaus normal ist, ihre Quellen auf Herz und Nieren zu prüfen.
»Ich meine, betrachten Sie es doch mal aus deren Sicht, Rex. Würden Sie nicht wissen wollen, ob Burr nun die Kronjuwelen gekauft hat oder sich von einem Schwindler bloß einen Haufen alter Knochen hat andrehen lassen? So viele Quellen hat er ja wohl auch nicht, oder? Hat dem Kerl wahrscheinlich seinen ganzen Jahresetat auf einen Schlag ausgezahlt.« Er wendet sich an den Minister. «Dieser Pine ist ein Multitalent, unter anderem fälscht er Pässe. Vor etwa achtzehn Monaten hat er uns eine Story von einer Lieferung High-Tech-Waffen an die Irakis aufgetischt. Wir haben das überprüft, nicht für gut befunden und ihn weggeschickt. Offen gesagt, wir haben ihn für leicht meschugge gehalten. Vor ein paar Monaten ist er als eine Art Faktotum in Dicky Ropers Haushalt in Nassau aufgetaucht. Teilzeit-Erzieher seines schwierigen Söhnchens. In seiner Freizeit versucht er auf den Basaren der Nachrichtendienste Negatives über Roper zu verbreiten.«
Er wirft einen Blick in die offene Akte, um so fair wie möglich zu erscheinen:
»Erstaunliches Strafregister. Mord, mehrfacher Diebstahl, Drogenschmuggel und illegaler Besitz diverser Pässe. Ich hoffe bei Gott, er kommt nicht in den Zeugenstand und behauptet, er hat das alles für den britischen Nachrichtendienst getan.«
Marjorams Zeigefinger tippt hilfreich auf einen Eintrag weiter unten auf der Seite. Darker liest und nickt dann, um zu zeigen, daß er für den Hinweis dankbar ist.
»Ja, das ist auch so eine seltsame kleine Geschichte. Als Pine in Kairo war, hat er anscheinend mit einem Mann namens Fredie Hamid zu tun gehabt, einem der berüchtigten Hamid-Brüder. Pine hat in seinem Hotel gearbeitet.
Wahrscheinlich hat er auch Drogen für ihn geschmuggelt. Ogilvey, unser Mann dort, berichtet uns, es deute einiges darauf hin, daß Pine Hamids Geliebte umgebracht hat. Hat sie totgeprügelt, wie es aussieht. Hat sie erst für ein Wochenende nach Luxor mitgenommen, dann in einem Anfall von Eifersucht umgebracht.« Mit einem Schulterzucken klappte Darker die Akte zu. »Der Mann, von dem wir hier reden, ist ein absolut unsicherer Kantonist, Herr Minister. Ich glaube nicht, daß man den PM auffordern sollte, auf der Grundlage von Pines Hirngespinsten drastische Maßnahmen zu veranlassen. Und Sie sollten das auch nicht tun.«
Alle sehen Goodhew an, aber die meisten sehen schnell wieder weg, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Besonders Marjoram scheint mit ihm zu fühlen. Der Minister redet, aber Goodhew ist müde. Vielleicht ist es das, was das Böse dir antut, denkt Goodhew; es macht dich müde.
»Rex, jetzt müssen Sie Ihre Sache verteidigen«, klagt der Minister. »Hat Burr mit diesem Mann eine Abmachung oder nicht? Ich hoffe doch, er hat nichts mit seinen Verbrechen zu tun? Was haben Sie ihm versprochen? Rex, ich bestehe darauf, daß Sie bleiben. Es ist in letzter Zeit viel zu oft vorgekommen, daß britische Nachrichtendienste Kriminelle auf Zeit beschäftigt haben. Ich sage nur, unterstehen Sie sich, ihn in dieses Land zurückzubringen. Hat Burr ihm gesagt, für wen er arbeitet? Hat ihm wahrscheinlich meine Telefonnummer gegeben, wo er schon mal dabei war. Rex, kommen Sie zurück.« Die Tür scheint furchtbar weit weg. »Geoffrey sagt, er war bei irgendeiner Sondereinheit in Irland. Das fehlt uns gerade noch. Die Iren werden begeistert sein. Um Gottes willen, Rex, wir haben noch kaum mit der Tagesordnung angefangen. Wichtige Entscheidungen stehen an. Rex, das gehört sich nicht. Macht keinen guten Eindruck. Ich bin doch unparteiisch, Rex. Wiedersehen.«
Auf der Außentreppe ist es herrlich kühl. Goodhew lehnt sich an die Wand. Wahrscheinlich lächelt er.
»Ich nehme an, Sie freuen sich aufs Wochenende, Sir?« sagt der Pförtner respektvoll.
Vom anständigen Gesicht des Mannes gerührt, sucht Goodhew verzweifelt nach einer freundlichen Antwort.
Burr arbeitete. Seine innere Uhr war mitten auf dem Atlantik stehengeblieben, seine Seele war bei Jonathan, in welcher Hölle auch immer er jetzt stecken mochte. Aber sein Verstand, sein Wille und seine Kreativität waren voll auf die Arbeit konzentriert, die vor ihm lag.
»Ihr Mann hat's vermasselt«, bemerkte Merridew, als Burr ihn anrief, um zu erfahren, wie die Sitzung des Lenkungsausschusses gelaufen war. »Geoffrey hat ihn nach Strich und Faden fertiggemacht.«
»Weil Geoffrey Darker verdammte Lügen erzählt«, erklärte Burr sorgfältig, falls Merridew Aufklärung brauchte. Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Er funktionierte wie damals im River House.
Er war wieder ein Spion, skrupellos und ohne Reue. Die Wahrheit war das, womit man durchkam.
Er schickte seine Sekretärin auf einen Fischzug durch Whitehall: ruhig, aber ein wenig außer Atem kam sie um zwei Uhr mit der Sammlung von Briefbögen zurück, die sie für ihn organisieren sollte.
»Auf geht's«, sagte er; sie holte ihren Stenoblock.
Die meisten Briefe, die er diktierte, waren an ihn selbst adressiert; einige an Goodhew, zwei an Goodhews Chef. Den Stil variierte er: Lieber Burr. Mein lieber Leonard. An den Leiter der Enforcement. Sehr geehrter Herr Minister. Bei der gehobeneren Korrespondenz schrieb er >Sehr geehrter Soundso< per Hand; ebenso die Grußformel am Schluß, wie sie ihm gerade einfiel. Ihr. Herzlich. Immer der Ihre. Mit freundlichen Grüßen.
Er variierte auch seine Handschrift. Neigungswinkel und typische Merkmale waren jedesmal anders. Das gleiche galt für die Tinte und die Schreibwerkzeuge, die er den verschiedenen Korrespondenten zukommen ließ.
Und es galt auch für die Qualität des offiziellen Briefpapiers, das immer steifer wurde, je weiter er auf der Stufenleiter von Whitehall nach oben kam. Für ministerielle Briefe bevorzugte er hellblaues Papier mit dem farbig geprägten Amtswappen im Briefkopf.
»Wie viele Schreibmaschinen haben wir?« fragte er seine Sekretärin.
»Fünf.«
»Nehmen Sie eine für jeden Korrespondenten, eine für uns«, befahl er. »Bringen Sie nichts durcheinander.«
Sie hatte sich bereits eine entsprechende Notiz gemacht.
Wieder allein, telefonierte er mit Harry Palfrey im River House. Sein Tonfall war geheimnisvoll.
»Aber ich brauche eine Begründung«, protestierte Palfrey.
»Die kriegen Sie, wenn Sie aufkreuzen«, gab Burr zurück.
Dann rief er Sir Anthony Joyston Bradshaw in Newbury an.
»Wie komme ich dazu, mir von Ihnen Befehle geben zu lassen, verdammt?« fragte Bradshaw mit einer Arroganz, die ein wenig an Roper erinnerte. »Keine Exekutivgewalt. Ein Haufen Wichser an der Seitenlinie.«
»Halten Sie sich nur zur Verfügung«, riet ihm Burr.
Hester Goodhew rief aus Kentish Town an und teilte ihm mit, ihr Mann werde ein paar Tage zu Hause bleiben: der Winter sei nicht seine beste Zeit, sagte sie. Nach ihr kam Goodhew selbst an den Apparat; er sprach wie eine Geisel, die einen einstudierten Text aufsagt. »Sie haben Ihren Etat noch bis zum Jahresende, Leonard. Den kann Ihnen niemand wegnehmen.« Und dann versagte ihm die Stimme; es klang furchtbar: »Der arme Junge. Was werden sie mit ihm machen? Ich muß immer an ihn denken.«
Burr ging es nicht anders, aber er hatte zu arbeiten.
Das Besprechungszimmer im Verteidigungsministerium ist weiß gestrichen, karg eingerichtet und beleuchtet und geschrubbt wie eine Gefängniszelle. Es ist ein mit Backsteinen ausgekleideter Kasten mit einem verdunkelten Fenster und einer Elektroheizung, die nach verbranntem Staub stinkt, wenn man sie anstellt. Das Fehlen von Graffiti ist beunruhigend. Während man dort wartet, fragt man sich, ob die letzten Botschaften überstrichen werden, nachdem der Insasse hingerichtet worden ist. Burr kam mit Absicht zu spät. Als er eintrat, versuchte Palfrey ihn über den Rand seiner zitternden Zeitung hinweg geringschätzig anzusehen und grinste affektiert.
»Nun, ich bin gekommen«, sagte er trotzig. Und stand auf. Und faltete umständlich seine Zeitung zusammen.
Burr machte die Tür zu, schloß sie sorgfältig ab, stellte seine Aktentasche hin, hängte seinen Mantel an den Haken und versetzte Palfrey einen harten Schlag auf die Wange. Aber leidenschaftslos, fast widerwillig. Wie er vielleicht einen Epileptiker geschlagen hätte, um einen Anfall abzuwenden, oder sein Kind, um es in einer Krise zu beruhigen.
Palfrey ließ sich wieder auf die Bank fallen, auf der er eben gesessen hatte. Er hielt eine Hand an die gekränkte Wange.
»Bestie«, flüsterte er.
Und er hatte nicht ganz unrecht, nur daß Burr seine Wildheit eisern unter Kontrolle hatte. Burr befand sich wahrlich in finsterer Stimmung, und weder seine Freunde noch seine Frau hatten ihn je in dieser Stimmung erlebt. Burr selbst hatte sich selten so erlebt. Er setzte sich nicht, sondern hockte sich mit beichtväterlich breitem Arsch neben Palfrey, so daß ihre Köpfe schön nah beieinander bleiben konnten. Und damit Palfrey ihn besser hörte, hielt er beim Sprechen die schnapsbefleckte Krawatte des armen Kerls mit beiden Händen am Knoten gepackt, wodurch eine ziemlich furchterregende Schlinge entstand.
»Ich bin bis jetzt sehr, sehr nett zu Ihnen gewesen, Harry Palfrey«, begann er mit einer Floskel, der zugute kam, daß sie nicht vorbereitet war. »Ich habe Ihnen nicht die Tour vermasselt. Ich habe Sie nicht verpfiffen. Ich habe nachsichtig zugesehen, wie Sie dauernd über den Fluß geschlichen sind; wie Sie mit Goodhew ins Bett gestiegen sind, ihn an Darker verkauft und alle Seiten gegeneinander ausgespielt haben, alles ganz genau wie immer. Versprechen Sie noch immer jedem Mädchen, das Sie kennenlernen, sich scheiden zu lassen? Aber sicher doch! Dann schnell nach Hause, der Gattin das Ehegelöbnis erneuern? Aber sicher doch! Harry Palfrey und sein Samstagabend-Gewissen!« Burr zog den Henkersknoten um den Adamsapfel des Ärmsten noch fester zusammen. »>Ah, was ich für England alles tun muß, Mildred!< beteuerte er, in Palfreys Rolle schlüpfend. >Alles auf Kosten meiner Integrität, Mildred! Wenn du nur ein Zehntel davon wüßtest, würdest du den Rest deines Lebens nicht mehr schlafen können - außer mit mir, natürlich. Ich brauche dich, Mildred. Ich brauche deine Wärme, deinen Trost. Mildred, ich liebe dich!... Aber sag meiner Freu nichts davon, sie würde das nicht verstehen<« Ein schmerzhafter Ruck am Knoten. »Verzapfen Sie diese Scheiße noch immer, Harry? Sechsmal täglich über die verdammte Grenze? Hin und her wie eine miese Ratte, bis Sie Ihren kleinen Rattenkopf nicht mehr von Ihrem Arsch unterscheiden können? Aber sicher doch!«
Palfrey vermochte auf diese Frage freilich kaum eine vernünftige Antwort zu geben, da Burr die Seidenkrawatte unnachgiebig in seinem beidhändigen Würgegriff behielt. Der Schlips war grau und silbrig glänzend, was die Flecken noch deutlicher hervortreten ließ. Vielleicht hatte Palfrey ihn bei einer seiner vielen Hochzeiten getragen. Er schien unzerreißbar.
Burrs Stimme wurde zutraulich, leises Bedauern schwang darin mit. »Die Zeit der Ratte ist vorbei, Harry. Das Schiff ist gesunken. Noch eine krumme Tour, und es ist aus mit Ihnen.« Ohne den Griff um Palfreys Schlips im geringsten zu lockern, hielt er den Mund dicht an Palfreys Ohr. »Wissen Sie, was das ist, Harry?« Er hob das breite Ende der Krawatte hoch. »Das ist Dr. Paul Apostolls Zunge, auf kolumbianische Art durch seine Kehle gezogen, weil Harry Palfrey die Ratte spielen mußte. Sie haben Apostoll an Darker verkauft. Wissen Sie noch? Folglich haben Sie auch meinen Agenten Jonathan Pine an Darker verkauft - aber nicht richtig, ja? Sie haben so getan als ob und sich dann selbst ausgetrickst und Goodhew an Darker verkauft. Was erwarten Sie sich davon, Harry? Überleben? Darauf würde ich nicht wetten. Wie ich das sehe, bekommen Sie noch hundertzwanzig Silberlinge aus dem Reptilienfonds, und danach bleibt Ihnen nur noch der Judasbaum. Denn nach allem, was ich weiß und Sie nicht, was Sie aber gleich erfahren werden, ist es absolut und endgültig aus mit Ihnen.« Er ließ ihn los und erhob sich abrupt. »Können Sie noch lesen? Was machen Sie für Glupschaugen? Ist das Angst oder Reue?« Er drehte sich zur Tür und nahm die schwarze Aktentasche. Sie gehörte Goodhew. Ein Vierteljahrhundert lang hatte Goodhew sie auf dem Gepäckträger seines Fahrrads hin und her befördert, sie war so abgeschabt, daß das Amtswappen kaum noch zu erkennen war. »Oder hat der Suff Sie kurzsichtig gemacht? Setzen! Hier! Nein, da! Besseres Licht.«
Und mit dem hier und da schleuderte er Palfrey wie eine Stoffpuppe herum, packte ihn unter den Achseln und ließ ihn jedesmal schwer auf die Bank krachen. »Ich bin ziemlich ruppig heute, Harry«, erklärte er zu seiner Entschuldigung. »Sie müssen mir das nachsehen. Dürfte an der Vorstellung liegen, wie der junge Pine von Dicky Ropers Musterknaben bei lebendigem Leibe verbrannt wird. Werde wohl langsam zu alt für den Job.« Er knallte eine Akte auf den Tisch. Sie trug einen roten Stempel: FLAGGSCHIFF. »Der Inhalt dieser Papiere, die ich Sie jetzt sehr genau zu lesen bitte, ist folgender, Harry: Sie und Ihr ganzer Verein sind im Arsch. Rex Goodhew ist nicht der Clown, für den ihr ihn gehalten habt! Hat mehr unter der Mütze, als wir je geahnt haben. Und jetzt lesen Sie.«
Palfrey las, doch es dürfte ihm nicht leichtgefallen sein; eben hatte Burr bewirken wollen, als er sich solche Mühe gegeben hatte, ihn aus der Ruhe zu bringen. Und noch ehe Palfrey fertig war, begann er zu weinen, und zwar so heftig, daß seine Tränen die Unterschriften und die >Sehr geehrten Herren Minister< und die freundlichen Grüße< oben und unten auf der gefälschten Korrespondenz verschmierten.
Während Palfrey noch weinte, zog Burr eine Vollmacht des Innenministeriums hervor, die noch mit keiner Unterschrift versehen war. Es war keine Generalvollmacht. Sondern bloß eine Vollmacht, die der Abhörabteilung erlaubte, drei Telefonanschlüsse, zwei in London und einen in Suffolk, so zu manipulieren, daß aufgrund eines scheinbar technischen Defekts sämtliche bei diesen drei Anschlüssen eingehenden Anrufe bei einem vierten Anschluß ankamen, dessen Nummer an der entsprechenden Stelle angegeben war. Palfrey starrte auf die Vollmacht. Palfrey schüttelte den Kopf und versuchte mit erstickter Stimme so etwas wie eine Ablehnung zu signalisieren.
»Das sind Darkers Nummern« protestierte er. »Land, Stadt, Büro. Das kann ich nicht unterschreiben. Er würde mich umbringen.«
»Aber wenn Sie nicht unterschreiben, Harry, bringe ich Sie um. Denn wenn Sie den Dienstweg einhalten und diese Vollmacht dem zuständigen Minister vorlegen, wird besagter Minister gleich zu Onkel Geoffrey laufen. Das lassen wir also bleiben, Harry. Sie persönlich werden diese Vollmacht kraft ihres Amtes unterschreiben, denn dazu sind Sie ja in außerordentlichen Fällen berechtigt. Und ich persönlich werde die Vollmacht über einen sehr zuverlässigen Boten an die Abhörabteilung schicken. Und Sie persönlich werden einen geselligen Abend im Büro meines Freundes Rob Rooke verbringen, damit Sie persönlich nicht in Versuchung geraten, inzwischen aus Gewohnheit die Ratte zu spielen. Und falls Sie irgendwelchen Ärger machen, wird mein guter Freund Rob, der ein rechter Grobian ist, Sie höchstwahrscheinlich so lange an eine Heizung fesseln, bis Sie Ihre vielen Sünden bereut haben. Hier. Nehmen Sie meinen Stift. So ist's gut. In dreifacher Ausfertigung, bitte. Sie kennen ja diese Beamten. Wer ist denn heutzutage Ihr Ansprechpartner in der Abhörabteilung?«
»Niemand. Maisie Watts.«
»Maisie? Wer ist das, Harry? Ich bin nicht mehr auf dem laufenden.«
»Die Nummer eins. Maisie zieht die Fäden.«
»Und wenn Maisie gerade mit Onkel Geoffrey zum Lunch gegangen ist?«
»Gates. Wir nennen ihn Pearly.« Ein schwaches Grinsen. »Pearly tickt andersherum.«
Burr hob Palfrey wieder hoch und setzte ihn unsanft vor ein grünes Telefon.
»Rufen Sie Maisie an. Das tun Sie doch in dringenden Fällen?«
Palfrey keuchte so etwas wie ja.
»Sagen Sie, es sei eine sehr wichtige Vollmacht unterwegs, per Spezialkurier. Sie soll sich selbst darum kümmern. Oder Gates. Keine Sekretärinnen, keine niederen Ränge, keine Rückantwort, keine hochgezogenen Augenbrauen. Sie verlangen sklavischen, stummen Gehorsam. Sagen Sie, Sie hätten das unterschrieben, und die höchste ministerielle Bestätigung, die in diesem Land zu haben ist, käme baldmöglichst nach. Was schütteln Sie den Kopf?« Er schlug ihn. »Ich mag es nicht, wenn Sie den Kopf schütteln. Tun Sie das nie wieder.«
Palfrey hielt sich die Lippen und lächelte weinerlich. »Ich würde witziger sein, Leonard, das ist alles. Besonders, wenn es um so eine heiße Sache geht. Maisie lacht gern. Und Pearly auch. >He, Maisie! Wart mal, bis du das hier gehört hast! Du fällst vom Stuhl!< Schlaues Mädchen. Der Job ödet sie an. Kann uns alle nicht ausstehen. Interessiert sich nur dafür, wer als nächstes den Kopf in die Schlinge legen muß.«
»Dann machen Sie's eben so«, sagte Burr und legte Palfrey freundlich eine Hand auf die Schulter. »Bloß keine Tricks, Harry, oder Ihr Kopf ist als nächster dran.«
Eifrig auf Gehorsam bedacht, nahm Palfrey den Hörer des grünen Whitehall-Haustelefons und wählte unter Burrs Augen die fünf Ziffern, die jede Flußratte auf den Knien ihrer Mutter lernt.