11
Der erste Schlag schien Jonathan im Schlaf zu treffen. Er hörte seine Kieferknochen krachen und sah die schwarzen Blitze eines Knockouts und dann ein langes flackerndes Wetterleuchten. Er sah Latulipes verzerrtes Gesicht, das ihn anstarrte, und Latulipes rechten Arm, der zu einem zweiten Schlag erhoben war. Das kam ihm reichlich dumm vor: die rechte Faust zu gebrauchen wie einen Hammer, mit dem man einen Nagel einschlägt, und sich so der Gefahr eines Gegenschlags auszusetzen. Er hörte Latulipes Frage und stellte fest, daß er sie bereits zum zweitenmal hörte. »Salaud! Wer sind Sie?«
Dann sah er die Leergutkisten, die er am Nachmittag mit den Ukrainern im Hof gestapelt hatte, hörte die Striptease-Musik aus dem Notausgang der Disco erklingen. Über Latulipes Kopf hing eine Mondsichel wie ein krummer Heiligenschein. Er erinnerte sich, daß Latulipe ihn gebeten hatte, kurz mit ihm nach draußen zu gehen. Und er nahm an, er sollte zurückschlagen oder wenigstens den zweiten Schlag abwehren, hielt sich aber aus Gleichgültigkeit oder Ritterlichkeit zurück, so daß der zweite Schlag ihn fast an derselben Stelle traf wie der erste, und einen Augenblick lang fühlte er sich ins Waisenhaus zurückversetzt und glaubte im Dunkeln gegen einen Hydranten gelaufen zu sein. Aber entweder war sein Kopf inzwischen gefühllos, oder es war kein richtiger Hydrant, denn der zweite Schlag war nur halb so wirkungsvoll wie der erste, außer daß Jonathan die Haut am Mundwinkel platzte und ein Strom warmen Bluts über sein Kinn sickerte.
»Wo haben Sie Ihren Schweizer Paß? Sind Sie Schweizer oder nicht? Reden Sie! Wer sind sie? Sie versauen das Leben meiner Tochter, Sie lügen mich an, Sie machen meine Frau verrückt, Sie essen an meinem Tisch, wer sind Sie? Warum lügen Sie?«
Und als Latulipe diesmal die Faust hob, trat Jonathan ihm die Füße weg und legte ihn flach, wobei er darauf achtete, daß Latulipe nicht zu hart fiel, denn hier gab es nicht wie am Lanyon hübsche windzerzauste Grasbüschel, die den Sturz hätten dämpfen können: Der Hof war mit gutem kanadischem Asphalt gepflastert. Aber Latulipe war unbeeindruckt, tapfer rappelte er sich wieder hoch, packte Jonathan am Arm und zerrte ihn in die schmutzige Gasse, die an der Rückseite des Hotels vorbeiführte und von der männlichen Bevölkerung der Stadt seit Jahren ungeniert als Pissoir benutzt wurde. Am hinteren Ende stand Latulipes Cherokee-Jeep. Als sie darauf zuschlurften, hörte Jonathan den laufenden Motor.
»Einsteigen«, befahl Latulipe. Er riß die Beifahrertür auf und wollte Jonathan auf den Sitz stoßen, doch mangelte es ihm an der nötigen Geschicklichkeit. Also stieg Jonathan freiwillig ein, wobei ihm bewußt war, daß er Latulipe jederzeit mit dem Fuß hätte umtreten, ja ihn wahrscheinlich mit einem Tritt an den Kopf hätte töten können, denn für Jonathan befand sich Latulipes breite slawische Stirn genau in der richtigen Höhe, um ihm die Schläfe zu zertrümmern. Im Licht der Innenbeleuchtung sah Jonathan seine Dritte-Welt-Reisetasche auf dem Rücksitz liegen.
»Anschnallen. Los!« brüllte Latulipe, als ob ein angelegter Sicherheitsgurt seinen Gefangenen zum Gehorsam zwingen könnte.
Aber Jonathan gehorchte auch so. Latulipe fuhr los, hinter ihnen verschwanden die letzten Lichter von Esperance. Sie kamen ins Dunkel der kanadischen Nacht und fuhren erst einmal zwanzig Minuten, ehe Latulipe ein Päckchen Zigaretten hervorzog und in Jonathans Richtung schob. Jonathan nahm sich eine und steckte sie mit dem elektrischen Anzünder an. Dann steckte er Latulipe eine an. Der Nachthimmel, den er durch die Windschutzscheibe sah, war eine Unendlichkeit voll schwankender Sterne.
»Also?« fragte Latulipe, noch immer bemüht, seine Aggressivität aufrechtzuerhalten.
»Ich bin Engländer«, sagte Jonathan. »Ich hatte Streit mit einem Mann. Er hat mich beraubt. Ich mußte fliehen. Zufällig bin ich hier gelandet. Hätte auch überall sonst sein können.«
Ein Auto überholte sie, aber es war kein babyblauer Pontiac.
»Haben Sie ihn umgebracht?«
»Angeblich ja.«
»Wie?«
Ins Gesicht geschossen, dachte er. Mit einer halbautomatischen Schrotflinte, dachte er. Ihn verraten. Seinen Hund vom Kopf bis zum Schwanz aufgeschlitzt.
»Angeblich hat er sich das Genick gebrochen«, antwortete er in dem gleichen ausweichenden Ton wie zuvor, da ihn ein absurder Widerwille überkam, noch eine Lüge zu erzählen.
»Warum konnten Sie sie nicht in Ruhe lassen?« fragte Latulipe in tragischer Verzweiflung. »Thomas ist ein guter Mensch. Sie hat ihre ganze Zukunft noch vor sich. Herrgott noch mal!«
»Wo ist sie?«
Anstatt zu antworten, konnte Latulipe nur grimmig schlucken. Sie fuhren nach Norden. Ab und zu sah Jonathan Scheinwerfer im Rückspiegel. Es waren immer dieselben: Ein Wagen verfolgte sie.
»Ihre Mutter ist zur Polizei gegangen«, sagte Latulipe.
»Wann?« fragte Jonathan. Er hätte wohl eher >warum< fragen sollen. Der andere Wagen kam näher. Bleib zurück, dachte er.
»Sie hat sich bei der Schweizer Botschaft nach Ihnen erkundigt. Die hatten noch nie von Ihnen gehört. Würden Sie es noch einmal tun?«
»Was?«
»Das Genick brechen. Diesem Mann, der Sie beraubt hat.«
»Er ist mit einem Messer auf mich losgegangen.«
»Ich wurde vorgeladen«, sagte Latulipe, als wäre auch dies eine Beleidigung. »Von der Polizei. Sie wollten wissen, was für einer Sie sind. Ob Sie mit Drogen handeln, ob Sie viele Ferngespräche führen, wen Sie kennen? Die halten Sie für AI Capone. Hier oben passiert ja nicht viel. Sie haben ein Foto aus Ottawa, sieht Ihnen ein bißchen ähnlich. Ich hab ihnen gesagt, sie sollen bis zum frühen Morgen warten, wenn die Gäste schlafen.«
Sie hatten eine Kreuzung erreicht. Latulipe fuhr von der Straße herunter. Er sprach atemlos wie ein Bote, der weit gelaufen war. »Wer hier auf der Flucht ist, geht nach Norden oder Süden«, sagte er. »Also gehen Sie lieber nach Westen, nach Ontario. Und kommen Sie nie zurück, verstanden? Wenn Sie zurückkommen, werde ich« - er holte ein paarmal Luft - »dann könnte ich vielleicht jemanden umbringen.«
Jonathan nahm seine Tasche und stieg in die dunkle Nacht. Regen lag in der Luft und der Harzgeruch der Kiefern. Der andere Wagen fuhr an ihnen vorbei, und eine gefährliche Sekunde lang erkannte Jonathan das Kennzeichen am Heck ihres Pontiacs. Aber Latulipe hatte nur Augen für Jonathan.
»Hier ist Ihr Lohn«, sagte er und schob ihm ein Bündel Dollarscheine zu.
Sie war auf der Gegenfahrbahn zurückgekommen, holperte jetzt über den Mittelstreifen und wendete. Dann saßen sie bei eingeschaltetem Licht in ihrem Wagen. Der braune Umschlag lag ungeöffnet auf ihrem Schoß. In eine Ecke war der Absender gedruckt: Bureau des passeports, Ministere des Affaires exterieures Ottawa. Adressiert an Thomas Lamont, c/o Yvonne Latulipe, La Chateau Babette. Thomas, der sagt, in Kanada gebe es alles.
»Warum hast du nicht zurückgeschlagen?« fragte sie.
Eine Seite ihres Gesichts war geschwollen, das Auge geschlossen. Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt, dachte er: Ich lösche Gesichter aus. »Er war doch bloß wütend«, sagte er.
»Soll ich dich irgendwo hinbringen? Dich fahren und irgendwo absetzen?«
»Ich komm von hier aus weiter.«
»Kann ich irgendwas für dich tun?«
Er schüttelte den Kopf. Dann noch einmal, bis er wußte, daß sie es gesehen hatte.
Sie reichte ihm den Umschlag. »Was war besser?« fragte sie schroff. »Der Fick oder der Paß?«
»Beides war großartig. Danke.«
»Sag schon! Ich muß es wissen! Was war besser?«
Er öffnete die Tür, stieg aus und sah im Licht der Innenbeleuchtung, daß sie strahlend lächelte.
»Fast hättest du mich reingelegt, weißt du das? Warst verdammt nah dran, mein ganzes Leben durcheinanderzubringen. Für einen Nachmittag warst du phantastisch, Jonathan. Aber für längere Zeit ist mir Thomas wesentlich lieber.«
»Freut mich, daß ich dir helfen konnte«, sagte er.
»Also, was hat es dir bedeutet?« fragte sie, und das strahlende Lächeln war noch immer da. »Sag schon. Gib mir eine Note. Von eins bis neun. Fünf? Sechs? Null? Ich meine, Herrgott, du wirst doch wohl Buch führen?«
»Danke«, sagte er noch einmal.
Er schlug die Wagentür zu und sah im Schein des Himmels, wie ihr Kopf nach vorn sank und dann wieder hochkam, als sie die Schultern straffte und den Zündschlüssel drehte. Sie wartete noch kurz mit laufendem Motor und blickte geradeaus. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nicht sprechen. Sie fuhr auf dem Highway, und während der ersten paar hundert Meter vergaß sie die Scheinwerfer anzumachen oder kümmerte sich nicht darum. Sie schien nach Kompaß durch die Dunkelheit zu fahren.
Sie töten disse Frau? Nein. Aber ich habe sie geheiratet, um an ihren Paß zu kommen.
Ein Lastwagen hielt an, und er fuhr fünf Stunden mit einem Schwarzen namens Ed, der Probleme mit seiner Hypothek hatte und unbedingt darüber reden mußte. Irgendwo zwischen Nirgendwo und Nirgendwo rief Jonathan die Nummer in Toronto an und lauschte dem fröhlichen Geplauder der Telefonistinnen, während sie seinen Auftrag über die endlosen Wälder von Ostkanada weitergaben.
»Mein Name ist Jeremy, ich bin ein Freund von Philip«, sagte er, wie er es jede Woche von einer anderen Telefonzelle aus gesagt hatte, wann immer er sich meldete. Manchmal konnte er hören, daß das Gespräch weitergeschaltet wurde. Manchmal fragte er sich, ob es überhaupt nach Toronto »Guten Morgen, Jeremy! Oder ist es Abend? Wie geht's denn so, mein Lieber?«
Bis jetzt hatte Jonathan sich jemand vorgestellt, der ihm Mut machen sollte. Diesmal schien er mit einem zweiten Ogilvey zu sprechen, der falsch und überkandidelt war.
»Sagen Sie ihm, ich habe meinen Schatten bekommen und bin unterwegs.«
»Dann erlauben Sie mir, Ihnen die Glückwünsche des Hauses zu übermitteln«, sagte Ogilveys Vertrauter.
In dieser Nacht träumte Jonathan vom Lanyon und von den Kiebitzen, die sich auf dem Kliff sammelten, zu Hunderten mit gemessenen Flügelschlägen aufstiegen und in gewundenem Sturzflug niedergingen, bis ein jäher Ostwind sie unvermutet aus der Bahn warf. Fünfzig von ihnen sah er tot aufs Meer hinaustreiben. Und er träumte, er habe sie dort hingelockt und dann sterben lassen, um sich auf die Suche nach dem schlimmsten Mann der Welt zu machen.
So sollten sichere Häuser sein, dachte Burr. Keine Blechschuppen mehr voller Fledermäuse in den Sümpfen von Louisiana. Schluß mit möblierten Zimmern in Bloomsbury, in denen es nach saurer Milch und den Zigaretten des Vormieters stinkt. Von jetzt an werden wir unsere Joes hier in Connecticut treffen, in weißen Schindelhäusern wie diesem hier, mit vier Hektar Wald und mit ledertapezierten Kabinetten voller Bücher über die Tugend, Geld wie Heu zu haben. Draußen gab es einen Basketballkorb, einen Elektrozaun, um das Wild fernzuhalten, und eine elektrische Insektenfalle, die jetzt am Abend mit ihrem kränklich violetten Leuchten die Insekten anlockte, um sie geräuschvoll einzuäschern. Burr hatte darauf bestanden, den Grill zu bedienen, und Fleisch eingekauft, das für mehrere loyale Regimenter reichte. Er hatte Schlips und Jackett abgelegt und begoß drei riesige Steaks mit grellroter Sauce. Jonathan faulenzte in der Badehose neben dem Pool. Rooke, der tags zuvor aus London gekommen war, saß pfeiferauchend in einem Liegestuhl.
»Wird sie reden?« fragte Burr. Keine Antwort. »Ich habe gesagt, wird sie reden?«
»Worüber?« fragte Jonathan.
»Über den Paß? Was meinen Sie?«
Jonathan ließ sich wieder ins Wasser fallen und schwamm ein paar Bahnen. Burr wartete, bis er herausgeklettert war, und stellte die Frage zum drittenmal.
»Glaub ich nicht«, sagte Jonathan, während er sich energisch die Haare rubbelte.
»Warum nicht?« fragte Rooke durch den Rauch seiner Pfeife. »Meistens tun sie es.«
»Weshalb sollte sie? Sie hat doch Thomas«, sagte Jonathan.
Sie hatten sich seine Schweigsamkeit den ganzen Tag gefallen lassen. Fast den ganzen Vormittag war er allein im Wald spazierengegangen. Als sie zum Einkaufen fuhren, war er im Wagen sitzen geblieben, während Burr den Supermarkt plünderte und Rooke bei Family Britches einen Stetson für seinen Sohn erstand.
»Immer ruhig Blut, ja?« sagte Burr. »Trinken Sie einen Scotch oder so was. Ich bin's, Burr. Ich versuche bloß, das Risiko abzuschätzen.«
Jonathan füllte Burrs Gin Tonic nach und goß sich selbst einen ein. »Wie sieht's in London aus?« fragte er.
»Die übliche Kloake«, sagte Burr. Von den Steaks stiegen Rauchschwaden auf. Er drehte das Fleisch um und bepinselte die verbrannten Stellen mit roter Sauce.
»Was ist mit dem alten Priester?« rief Rooke von der anderen Seite des Pools. »Kriegt der nicht einen schönen Schreck, wenn er sieht, wessen Fotos er nicht unterschrieben hat?«
»Sie sagt, sie wird sich um ihn kümmern«, antwortete Jonathan.
»Muß ein tolles Mädchen sein«, sagte Rooke.
»Allerdings«, sagte Jonathan, sprang wieder ins Wasser und zog seine Bahnen wie jemand, der nie mehr sauber werden konnte.
Beim entnervenden Rhythmus der Exekutionen der Insektenfalle aßen sie zu Abend. Das Steak, fand Burr, war eigentlich gar nicht so übel. Offenbar konnte man gutes Fleisch eben nicht ganz ruinieren. Ab und zu warf er über die Kerze einen verstohlenen Blick auf Jonathan, der mit Rooke über Motorradfahren in Kanada plauderte. Du öffnest dich, stellte er erleichtert fest. Du kommst zur Ruhe. Du hast bloß ein Weilchen mit uns reden müssen.
Sie hockten im Kabinett zusammen. Rooke war in seinem Element. Er hatte den Holzofen angemacht und Empfehlungsschreiben für einen gewissen Thomas Lamont auf dem Tisch ausgebreitet, daneben lag eine Mappe mit illustrierten Maklerprospekten von privaten Motorjachten.
»Die hier heißt Salamander«, sagte er, während Jonathan ihm über die Schulter sah und Burr sie von der anderen Seite des Zimmers beobachtete. »Vierzig Meter, der Besitzer ist irgendein Bandit von der Wall Street. Bis jetzt kein Koch vorhanden. Die hier heißt Persephone, aber da niemand, der so reich ist, das richtig aussprechen kann, wird der neue Besitzer sie auf den Namen Lolita umtaufen ... Sechzig Meter lang, zehn Mann Besatzung plus sechs Leibwächter, zwei Köche und ein Majordomus. Ein Majordomus wird noch gesucht, und wir finden, Sie sind genau der richtige.« Das Foto eines agilen, lächelnden Mannes in Tenniskleidung. »Dieser Mann heißt Billy Bourne, betreibt eine Charter- und Heueragentur in Newport, Rhode Island. Beide Besitzer sind seine Klienten. Sagen sie ihm, daß Sie kochen und segeln können, und geben Sie ihm Ihre Referenzen. Er wird sie nicht nachprüfen, im übrigen befinden sich die Leute, von denen sie angeblich stammen, auf der anderen Seite der Erde. Billy interessiert nur, ob Sie die Arbeit versehen können, ob Sie das sind, was er unter kultiviert versteht, und ob Sie vorbestraft sind. Können Sie, sind Sie, sind Sie nicht. Das heißt: Thomas ist es nicht.«
»Ist Roper auch ein Klient von Billy?« fragte Jonathan, der ihnen bereits voraus war.
»Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten«, sagte Burr aus seiner Ecke, und sie lachten alle. Doch hinter dem fröhlichen Gelächter war eine Wahrheit, deren sie sich alle bewußt waren: Je weniger Jonathan von Roper und seinen Aktivitäten wußte, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, daß er sich verraten konnte.
»Billy Bourne ist ihre Trumpfkarte, Jonathan«, sagte Rooke. »Kümmern Sie sich um ihn. Denken Sie daran, ihm seine Provision zu schicken, sobald Sie Ihren Lohn haben. Wenn Sie einen neuen Job antreten, vergessen Sie nicht, Billy anzurufen und ihm zu sagen, wie es läuft. Solange Sie Billy gegenüber ehrlich sind, wird er Ihnen jede Tür öffnen. Billy mag jeden, der ihn mag.«
»Das ist Ihr letztes Qualifikationsspiel«, sagte Burr. »Danach kommt das Finale.«
Am nächsten Morgen, nachdem Jonathan im Pool schwimmen gewesen war und alle frisch und ausgeruht waren, stellte Rooke seinen Zauberkasten vor: das geheime Funktelefon mit wechselnden Frequenzen.
»Immer noch scharf darauf, anzufangen?« fragte Burr.
Sie machten sich an die Arbeit. Als erstes gingen sie in den Wald und spielten Verstecken; jeder mußte das Ding einmal verstecken, und die anderen mußten es finden. Dann wurde Jonathan von Rooke in den Gebrauch des Geräts eingewiesen und mußte zwischendurch immer wieder mit London telefonieren, bis er mit dem System vertraut war. Rooke zeigte ihm, wie die Batterien ausgewechselt und aufgeladen wurden und wie man Strom vom Netz abzweigen konnte. Und nach dem Funktelefon holte er sein zweites Prunkstück hervor: eine als Feuerzeug getarnte Miniaturkamera, die nicht nur idiotensicher sei, wie er sagte, sondern mit der man auch tatsächlich Fotos machen könne. Insgesamt verbrachten sie drei Tage in Connecticut, länger, als Burr beabsichtigt hatte.
»Es ist unsere letzte Chance, das durchzusprechen«, erklärte er Rooke immer wieder, um die Verzögerung zu rechtfertigen. Was zu besprechen? Durch bis wohin? Tief innerlich wartete Burr, wie er später selbst zugab, auf die obligatorische Szene. Aber wie so oft bei Jonathan hatte er keine Ahnung,
wie es dazu kommen sollte. »Die Reiterin sitzt noch immer im Sattel, falls Sie das tröstet«, sagte er, um Jonathan aufzuheitern. »Ist noch nicht vom Pferd gefallen.«
Aber die Erinnerung an Yvonne lastete anscheinend noch zu schwer auf ihm, denn er brachte nur mit Mühe ein Lächeln zustande.
»Er hatte ein Techtelmechtel mit dieser Sophie in Kairo, oder ich freß einen Besen«, meinte Burr zu Rooke auf dem Heimflug.
Rooke zog mißbilligend die Stirn in Falten. Er hielt nichts von Burrs gelegentlichen Eingebungen, und erst recht widerstrebte es ihm, den Namen einer Toten zu beschmutzen.
»Darling Katie ist fuchsteufelswild«, verkündete Harry Palfrey stolz vor seinem Whisky in Goodhews Empfangszimmer in Kentisch Town. Er war grauhaarig, zerfurcht und fünfzig, hatte dicke Trinkerlippen und einen gehetzten Blick. Er trug eine schwarze Anwaltsweste. Er war direkt von der Arbeit auf die andere Seite des Flusses geeilt. »Sie kommt mit der Concorde aus Washington. Marjoram ist auf dem Weg nach Heathrow, um sie abzuholen. Auf dem Kriegspfad.«
»Warum fährt Darker nicht selbst?«
»Er geht lieber auf Nummer Sicher. Selbst wenn sie seine Stellvertreter sind, wie Marjoram, kann er immer noch sagen, er sei nicht dabeigewesen.«
Goodhew wollte etwas anderes fragen, hielt es aber für besser, wenn Palfrey schon mal sein Herz ausschüttete, ihn nicht zu unterbrechen.
»Katie sagt, den Vettern wird allmählich klar, was man ihnen aufgehalst hat. Sie sind zu dem Schluß gekommen, Strelski habe sie in Miami bis zum Schwachsinn eingelullt und Sie und Burr hätten ihn dabei unterstützt. Sie sagt, sie kann am Ufer des Potomac stehen und den Rauch vom Kapitol aufsteigen sehen. Sie sagt, alle redeten von neuen Parametern und Machtvakuen bei ihnen zu Hause. Besetzt oder erzeugt, kann ich selbst noch nicht sagen.«
»Gott, wie ich Parameter hasse«, meinte Goodhew und versuchte Zeit zu gewinnen, indem er Palfreys Whiskyglas nachfüllte. »Heute morgen mußte ich mir das Wort formelhaft anhören. Hat mir den ganzen Tag ruiniert. Und bei meinem Chef eskaliert es. Bei ihm steigt nichts, nichts nimmt zu oder wächst oder macht Fortschritte oder kommt voran oder vermehrt sich oder wird reif. Es eskaliert. Prost«, sagte er und setzte sich wieder.
Aber als Goodhew das sagte, überlief ihn ein kalter Schauer, und die Haare sträubten sich ihm auf dem Rücken, und er mußte mehrmals rasch hintereinander niesen.
»Was wollen sie, Harry?« fragte er.
Palfrey verzog das Gesicht, als hätte er Seife in den Augen, und drückte den Mund an sein Glas. »Die Klette«, sagte er.