Sieben

Leandra betrat die Wohnung, als Naomi gerade Kai fütterte. In der Hand hielt sie einen Gegenstand, der Naomi an einen Rucksack erinnerte. »Was ist das denn?«, fragte sie.

»Ein Tragegurt. Den schnallt man sich um, setzt das Baby hinein und schon hat man beide Hände frei und kann sich bewegen, ohne dass man befürchten muss, das Baby fallen zu lassen.« Leandra schwang den Tragegurt hin und her.

»Als ob ich nicht auf Kai achten könnte.« Naomi stellte die leere Flasche auf den Tisch.

»Ich wäre froh gewesen, wenn es so etwas zu meiner Zeit gegeben hätte. Einkaufen und spazieren gehen, ohne einen Kinderwagen vor sich herschieben zu müssen. Probiere es wenigstens aus!«

Naomi trug Kai im Zimmer auf und ab, bis er einen feuchten Rülpser ließ, der glücklicherweise auf dem Tuch landete, das sie sich über die Schulter gelegt hatte. Sie tupfte mit dem Tuch seinen Mund ab und warf es zur Schmutzwäsche.

»Gib ihn mir und zieh das Ding an. Sonst bringe ich dir nie wieder etwas mit.« Leandra streckte die Arme aus.

Der Gurt sah praktisch aus, das musste Naomi zugeben. Trotzdem wäre sie nie auf die Idee gekommen, sich so ein Teil zu kaufen.

Sie griff danach, schlüpfte hinein und zog den Gurt vorne zusammen, bevor sie ihn schloss und zum Spiegel ging. »Sieht super aus, ehrlich Oma.«

»Jetzt hab dich nicht so. Hier geht´s nicht ums Aussehen.«

Leandra kam auf sie zu und setzte Kai langsam hinein, damit seine Beine an den richtigen Stellen durch die Gürtelöffnungen passten. »Und?«

Naomi grinste. »Was und?« Sie beugte sich zu Kai hinab, küsste ihn auf die Stirn und schwor sich, dieses Teil höchstens zu Hause anzulegen. Damit ginge sie nicht in die Stadt. Niemals. Außerdem kam sie sich vor, als hätte man ihr einen vollgepackten Rucksack vor die Brust geschnallt. Im Sommer wäre es vor Hitze nicht auszuhalten.

»Gib wenigstens zu, dass es eine Erleichterung ist!«

Um Leandra einen Gefallen zu tun, nickte sie. »Kai wiegt jetzt nur noch fast so viel wie eine Feder.«

Leandras Augen wurden schmal. »Du bist unmöglich!«

Naomi nahm Kai aus dem Gurt, legte ihn in den Sessel und zog die Gurtkonstruktion aus. »Bitte, dann probiere ihn doch selbst aus.«

Leicht verärgert schnappte Leandra den Gurt, schlüpfte hinein und zurrte ihn fest. Dabei klemmte der Gurt über ihrer Schulter ihren Blusenkragen ein. Sie zerrte daran, bis er verknittert wieder zum Vorschein kam.

Naomi verkniff sich einen Kommentar und setzte Kai in die Babytrage. »Und?«

Leandra drückte die Schultern durch. Mit hochgerecktem Kinn stolzierte sie zum Flurspiegel. »Okay. Es sieht dämlich aus. Und unbequem ist es auch. Dabei hat der junge Mann, den ich damit gesehen hatte, behauptet, es sei die beste Erfindung seit dem Kinderwagen.«

Naomi griff nach ihrem Baby, zog es heraus und hielt es in ihren Armen. »Möglich, dass Männer es uncool finden mit dem Kinderwagen herumzufahren. Aber ich finde es uncool, mit dieser Kletterausrüstung herumzulaufen.« Naomi lächelte. »Vielleicht ist es ja etwas für Roman.«

Leandra schlüpfte gerade aus den Gurten, als Roman die Wohnung betrat.

»Was ist was für mich?«, fragte Roman, bevor er Naomi küsste.

»Oma hat uns ein Superteil besorgt. Mir ist es aber zu groß.« Sie gab Leandra ein Zeichen, es Roman zu zeigen. »Damit kannst du Kai durch die Gegend tragen, und alle Frauen werden dir vor Begeisterung nachsehen.«

Roman schnallte sich das Teil um. Naomi blieb nichts weiter übrig, als zuzugeben, dass es an ihm wirklich sexy wirkte.

»Praktisch.« Roman nickte zufrieden. »Da hat sich jemand was dabei gedacht. Man hat beide Hände frei und verrutschen kann auch nichts.«

Naomi musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen, als ihre Großmutter triumphierend zu ihr herüber sah.

»Zum Autofahren taugt es aber nicht. Seid ihr fertig?«

Leandra nickte und blickte auf ihre Armbanduhr. »Es wird tatsächlich Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. Und danke, dass du uns fährst.«

 

Naomi schaute dem abfahrenden Wagen nach. Romina hatte nach kurzer Suche einen Flug für den kommenden Tag nach San Antonio gefunden und direkt gebucht. Jason würde sie am darauf folgenden Mittag am Flughafen abholen. Naomi hoffte sehr, dass Leandra und Romina Katie beruhigen konnten. Die Folgen, sollte nicht alles geheim bleiben, ließen sich kaum abschätzen.

Offensichtlich schlummerte Kai noch in seiner Wiege. Mit dem Babyfon in der Hand ging sie in die Küche, um für Iker eine Gemüsesuppe zuzubereiten. Iker lag seit drei Tagen mit einer schweren Erkältung im Bett. Er klagte über schmerzende Muskeln und sein Husten hörte sich grauenhaft an. Am Morgen hatte er zu Naomi gesagt, dass er sich seit Langem nach einer Vollmondnacht sehne. Nach den Verwandlungen fielen jegliche körperlichen Beschwerden ab. So war es bisher immer gewesen.

Das Gemüse köchelte in der Suppe. Naomi bemerkte, wie ruhig es plötzlich im Haus war. Iker lag in seinem Zimmer, Roman fuhr Romina und Leandra an den Flughafen und Pilar schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Ob sie Arbeit gefunden hatte? Wo trieb sie sich herum?

Den Löffel legte Naomi in die Suppentasse und ging vorsichtig zu Ikers Schlafzimmer, um nichts zu verschütten. Leise klopfte sie an seine Tür.

»Ich bin wach.«

Sie drückte die Türklinke hinunter und betrat das abgedunkelte Zimmer. »Ich koche zwar nicht so gut wie du, ...«

Iker setzte sich auf und nahm ihr die Tasse ab. »Riecht doch lecker. Danke.«

»Wo steckt eigentlich Pilar in letzter Zeit?« Naomi setzte sich ans Bettende.

»Fehlt sie dir etwa?« Iker lächelte sie müde an. »Ihr Vater drängt sie, weiterzustudieren, sonst streicht er ihren Unterhalt. Seither hält sie sich viel bei ihm auf.«

Naomi schwieg und beobachtete, wie Iker den Löffel zum Mund führte. Pilar hatte also Schwierigkeiten mit ihrem Vater. »Ich wusste gar nicht, dass sie studiert hat.«

Er pustete auf die Suppe. »Architektur. Aber irgendwann ist sie wegen der Verwandlungen nicht mehr zurechtgekommen.« Iker nickte anerkennend, nachdem er den ersten Löffel Suppe hinuntergeschluckt hatte. »Sie schwänzte die Vorlesungen, trank zu viel und letzten Endes hat sie es ganz aufgegeben. Das hat natürlich am Stolz ihres Vaters gekratzt. Immerhin ist er Uniprofessor.«

»Und er will auch nicht sein Leben lang für das Töchterchen aufkommen.« Kaum waren diese Worte über Naomis Lippen gekommen, fielen ihr die Hausaufgaben für den Spanischunterricht ein. Die würde sie erledigen, bevor Alice und Karsten kämen.

»Es geht ihm eher darum, dass sie ihr Leben in den Griff bekommen soll. Eine Ausbildung, ein guter Job, eine eigene Familie.« Ein Hustenanfall schüttelte Iker.

»Ich gehe besser. Du solltest nicht so viel reden.« Naomi stand vom Bett auf. »Iss die Suppe, die tut deinem Hals gut. Brauchst du sonst noch was?«

Iker schüttelte den Kopf. »Ich komme zurecht.«

»Gute Besserung. Ich sehe später noch nach dir, ja?« Naomi schloss leise die Tür und ging geräuschlos die Treppenstufen nach oben. Die Stille im Haus veranlasste sie, selbst kein Geräusch zu verursachen.

In ihrer Wohnung holte sie das Spanischbuch, das Vokabelheft und die Arbeitsblätter mit ihren Hausaufgaben vom Schreibtisch.

Das Joggen musste sie an diesem Tag ausfallen lassen, was ihre gute Laune erheblich verschlechterte. Doch ihr war klar, dass sie auch übellaunig wäre, wenn sie joggen ginge, anstatt sich um den Spanischunterricht zu kümmern. Das Gespräch mit Iker hatte ihr ein schlechtes Gewissen gemacht. Schließlich finanzierte Romina derzeit ihr Leben.

Naomi brütete über den unregelmäßigen Verben und konjugierte sie im Geiste immer wieder durch.

In ihrer Konzentration hatte sie nicht bemerkt, wie Roman nach Hause gekommen war. Erst als er sie ansprach, blickte sie auf und sah in sein amüsiertes Gesicht.

»Sehe ich richtig? Du lernst allen Ernstes und lauerst nicht in deinen Sportklamotten darauf, dass ich endlich zur Tür hereinkomme, damit du los kannst?« Er setzte sich zu ihr und umarmte sie.

»Morgen ist Sonntag, und da du vermutlich nach deiner Tour mit Karsten verkatert sein wirst, kümmerst du dich um Kai und ich laufe eben doppelt so weit.« Sie kuschelte sich in seine Arme. »Hast du die Aufgaben schon gemacht?«

»Klar, gleich gestern. Nur du bist so faul und gehst lieber Kaffee trinken mit Karsten oder Alice.«

»Wir haben gestern gearbeitet! Nur damit du Bescheid weißt.« Naomi schob beleidigt ihre Unterlippe vor.

»Und, was habt ihr herausgefunden?«

Naomi brummte. »Nichts.«

Tröstend strich er ihr über das Haar. »Hab Geduld.«

»Ich gehe duschen. In einer Stunde kommen Karsten und Alice.« Sie küsste ihn und zwinkerte ihm zu. »Geduld war noch nie meine Stärke, und du weißt das.«

Roman streifte die Schuhe ab, legte die Beine aufs Sofa und lachte.

 

Naomi holte Chips und Cracker aus dem Küchenschrank, während Roman eine Flasche Wein öffnete. »Ich wünschte, ich könnte offen mit Alice reden. Vor allem heute, wo mir so viel durch den Kopf schwirrt.«

»Hey, ich bin doch auch hier! Also, was beschäftigt dich.« Roman griff nach den Gläsern und stellte sie ins Wohnzimmer.

»Nichts Spezielles. Ich wüsste gerne, was in Katie vorgeht. Ich kenne sie zwar nicht, aber sie gehört trotzdem zur Familie. Und sie muss unbedingt den Mund halten, sonst wird unser Leben nur noch schwieriger.«

»Romina wird sie schon überzeugen. Warum wollte sie sich ihrer Tante anvertrauen? Steht sie ihr näher, als ihrer Mutter?«

Naomi nickte. »Sie sind eigentlich von ihr großgezogen worden. Beide Elternteile arbeiteten, und die Kinder gingen nach der Schule ins Konvent zu Brenda. Dort erledigten sie ihre Hausaufgaben, besuchten täglich die Messe und halfen im Garten oder in der Küche. Darum tut sich Katie vermutlich auch so schwer, sich nicht ihrer Tante anzuvertrauen. Sie wuchs streng gläubig auf und dann, eines Nachts, verwandelte sie sich in einen Panther. Das ist für normale Menschen kaum vorstellbar, aber für eine Christin, die die Bibel liest? Ihr ganzes Weltbild muss verrutscht sein.«

Die Türglocke klingelte.

»Ich gehe schon«, sagte Roman. »Und keine Sorge. Romina regelt das schon. Außerdem hat sie doch Leandra zur Unterstützung dabei.«

Naomi stand vor der Tür und sah zuerst Karsten, der eilig die Stufen nach oben rannte. Aus dem Erdgeschoss hörte sie Roman erklären, dass sie nur die obere Etage bewohnten und im unteren Teil des Hauses die Eigentümer der Villa lebten. Alice plapperte aufgeregt, doch ihre Worte drangen nicht bis ins Obergeschoss.

»Alice ist völlig aus dem Häuschen. Ihr lebt in ihrem Traumhaus.« Karsten drückte Naomi zwei Küsse auf die Wangen und umarmte sie. »Aber sie beruhigt sich schon wieder.«

»Mir war klar, dass Alice ausflippen würde. Wenn ich daran denke, wie wir auf dem Campus in Stillwater gewohnt haben, ist das hier ein Palast.« Naomi beugte sich zu Karsten. »Naja, solange man von den verrückten Gestalten hier mal absieht. Roman hat uns mit der Addams-Family verglichen.«

»Sehr treffend«, lachte Karsten. »Romina zeigt auch Züge von Morticia.«

Naomi boxte ihn in die Seite. »Kennt diese Sendung wirklich jeder? Ich musste erst im Internet nachsehen.«

»So ist das eben mit den Sportversessenen. Sie bekommen nichts mit!« Karstens Gesicht nahm ernste Züge an. »Übrigens habe ich meinen Professor angerufen. Am Montag bringt er mir drei Bücher mit, die sich mit der Familie Cortés befassen. Außerdem meinte er, ich könnte im Stadtarchiv in Sevilla mehr über ihn und seine Familienverhältnisse erfahren. Offenbar hatte er mehr als nur ein uneheliches Kind. Mein Prof ist übrigens ganz angetan von der Idee, dass ich darüber eine Abhandlung schreibe. Er stellt mir eine Bescheinigung aus, und am Montag fliegen wir nach Sevilla, um in den Archiven zu stöbern. Mit dem Wisch lassen sie uns problemlos recherchieren.«

»Dann schwänze ich den Spanischunterricht, lass mir von Roman alles erklären und besorge uns gleich mal die Tickets.« Naomi lächelte Karsten dankbar an. Endlich kam Bewegung in ihre Nachforschungen.

Alice stürmte die Treppe hinauf. »Dieses Haus ist ein Traum!«

»Stimmt. Ein absoluter Glücksfall, dass wir die Wohnung mieten konnten.« Naomi gab die Tür frei. Alice griff nach Karstens Hand und zog ihn mit sich in die Wohnung.

Roman umarmte Naomi und flüsterte: »Ich sollte Alice unten aufhalten. Konnte Karsten mit dir sprechen?«

Naomi bejahte, bevor sie Alice folgte und ihr jedes Zimmer zeigte. Kai schlief, wie die meiste Zeit des Tages, und so schloss sie leise die Tür hinter sich.

»Hier würde ich mich auch wohlfühlen. Das Haus liegt zwar abseits, und die Fahrerei zur Uni wäre ätzend, aber toll finde ich eure Wohnung trotzdem.« Alice schielte nach der offenen Weinflasche. »Das muss begossen werden!«

 

*

 

Bevor Roman und Karsten zu ihrer Kneipentour aufgebrochen waren, hatte Naomi den gemeinsamen Abend noch genießen können. Anschließend war es ihr vorgekommen, als würde sie Alice nur eine Lüge nach der anderen auftischen. Jede Antwort, jeder Satz musste wohl überlegt sein, um sich nicht irgendwann in den Ausreden zu verzetteln. Selbst in kleinsten Dingen musste sie lügen. Dabei handelte es sich größtenteils nur um harmlose Fragen. Wer bezahlte den Spanischunterricht? Leandra. Wie viel kostete die Miete? Dreihundertfünfzig Euro. Wer achtete auf Kai, während sie Unterricht hatten? Iker, da er nicht mehr arbeitete und sich gerne um Kai kümmerte. Wann käme Leandra sie besuchen? Bald.

Mit jeder Lüge hatte sich ihre Kehle weiter zugeschnürt. Selbst die gelieferte Pizza hatte sie kaum angerührt, wenn sie auch darüber nachdachte, wenigstens während des Kauens nichts mehr sagen zu müssen. Als Alice sie gefragt hatte, ob tatsächlich alles in Ordnung sei, hätte sie ihr am liebsten die Wahrheit gesagt. Zum ersten Mal konnte sie nachempfinden, wie es Katie gehen musste. Diese Geheimnisse, diese Lügen, all das verkomplizierte das Leben. Und Katie lebte nicht mit einer Familie zusammen, die die Wahrheit kannte und akzeptierte.

Als Alice noch vor Mitternacht aufbrach, schloss Naomi mit einem erleichterten Seufzer die Haustür und lehnte ihre Stirn an das kühle Türblatt. Würde es jemals wieder so unbeschwert werden wie früher?

»Nein. Leider nicht.« Iker stand neben ihr. »Ich dachte mir schon, dass es ein harter Abend für dich sein wird. Wie geht es dir?«

»Beschissen.«

Iker wickelte seinen Bademantel enger um sich und rieb sich die Oberarme.

»Geh zurück ins Bett. Du zitterst.« Naomi presste die Lippen aufeinander. »Soll ich dir eine Suppe bringen?«

»Wie wär´s mit einem Tee mit Schuss?« Iker drückte ihr die Schulter. »Danke.«

Nachdem sie Iker den Tee mit einem ordentlichen Schuss Rum gebracht hatte, schlurfte sie in ihre Wohnung hinauf. Jeder Schritt bereitete ihr Mühe, so schwer und müde drückte sie ihre Niedergeschlagenheit nieder. Iker hatte mit ihr sprechen wollen, aber sie wollte mit ihren Gedanken alleine sein.

Es hätte ein lustiger Abend mit ihrer Freundin werden sollen. Tratschen, lachen, trinken, über ihre Zeit in Stillwater sprechen. Ganz normale und banale Dinge eben. Doch es lag ein anstrengender Abend hinter ihr und Alice hatte sicherlich bemerkt, dass sie sich anders verhielt als früher. Sie war nicht ohne Grund so früh aufgebrochen.

Der Anblick der Pizza auf dem Wohnzimmertisch verursachte ihr Übelkeit. Sie klappte den Deckel zu, packte die Schachtel in den Kühlschrank und ging in Kais Zimmer. Entgegen ihrer Gewohnheit holte sie Kai aus der Wiege, roch an seinem Kopf, bevor sie ihn küsste und mit sich zusammen ins Bett nahm.

Seine Nähe tröstete sie.

Eine Stunde später kam Roman zurück. Im Dunkeln schlich er ins Badezimmer.

Naomi knipste die Nachttischlampe an. »Na, hattet ihr Spaß?«

»Nicht so richtig. Karsten erzählte mir davon, dass ihr nach Sevilla fahrt, um die Archive zu durchsuchen. Schade, dass ich dich nicht begleiten kann, weil ja jemand bei Kai bleiben muss.« Er zog die Jeans aus und hängte sie an einen Handtuchhalter. Nachdem er sich die Zähne geputzt hatte, warf er sein Hemd unters Waschbecken und betrat in Unterhosen das Schlafzimmer.

Naomi genoss den Blick auf Romans gut bemuskelten Körper. Es war Zeit Kai in sein Bettchen zurückzubringen. Mit dem Kleinen im Arm stand sie auf und legte ihn in die Wiege.

»Außerdem wurde uns klar, dass du mit Alice alleine bist, und ihr was vormachen musst. Das muss sich ziemlich übel anfühlen, oder? Deswegen haben wir nach einigen Bierchen beschlossen, zu unseren Frauen zu gehen.« Roman kuschelte sich ins Bett. »Alice wird bemerkt haben, dass du dich anders verhältst. Deine lockere Art ihr gegenüber ist verschwunden, weil du auf jedes Wort achten musst, das du sagst.«

Naomi nickte. »Und aus diesem Grund ist es dein Job, mich jetzt von meinen trüben Gedanken abzulenken.« Sie warf sich in seine Arme. »Und morgen bleiben wir den ganzen Tag im Bett.«

»Du wolltest doch joggen gehen«, raunte er ihr ins Ohr.

»Mir fiel gerade ein, dass es noch andere sportliche Betätigungen gibt.« Naomi lächelte ihn an. »Außer, du hast morgen schon was vor.«

 

Den halben Sonntag blieben sie im Bett, bis Kai lautstark sein Recht einforderte. Roman beschloss, mit ihm spazieren zu gehen und den neuen Tragegurt auszuprobieren.

Naomi verabschiedete ihre beiden Herren an der Haustür und klopfte anschließend an Ikers Tür.

»Komm rein.«

Naomi öffnete die Tür und entdeckte Iker, wie er gerade aus dem Badezimmer kam. An diesem Morgen trug er einen frischen Jogginganzug und er hatte etwas mehr Farbe im Gesicht. »Wie geht es dir?«

»Gut genug, um mir ein spätes Frühstück mit Rühreiern zu gönnen.« Iker schlenderte an ihr vorbei und marschierte in die Küche. »Willst du auch?«

»Gern. Aber ich brate die Eier und du ruhst dich aus.«

»Es wird Zeit, dass ich mich bewege, damit mein Kreislauf wieder in Schwung kommt. Aber du kannst mir gerne zusehen und mir Gesellschaft leisten.« Iker holte eine Pfanne aus dem Küchenschrank und sah sie an. »Wie viele Eier?«

»Drei, aber mit Zwiebeln und Tomaten, okay?« Naomi drehte sich zum Gehen um. »Bin gleich zurück. Ich hole nur kurz meinen Laptop.«

»Wie Madame wünscht. Wohin wird die Reise gehen?«

Naomi lachte und rannte die Treppenstufen nach oben. Nur einen kurzen Moment hatte sie darüber nachgedacht, dass sie die Flüge buchen musste, und schon wusste Iker Bescheid.

Zurück in der Küche klappte sie den Bildschirm auf und gab die gewünschten Flugdaten in die Suchmaschine ein.

»Karsten und ich fliegen nach Sevilla. Wir wollen überprüfen, ob an Dorotheas Verdacht etwas dran ist.« Sie überprüfte die Flugverbindungen und fand keinen Anbieter, der frühmorgens hinflog und spätabends zurück. »Wie viel Zeit muss ich einkalkulieren?«

Die Zwiebeln und Tomaten brutzelten in der Pfanne. Iker schlug die Eier auf und vermischte die Zutaten. »Schwer zu sagen. Ein Tag könnte etwas knapp werden. Besser du planst eine Übernachtung ein.«

Naomi brummte. Wie sollte Karsten das Alice erklären? Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte seine Nummer.

»Was gibt´s?«, meldete er sich.

»Dir auch einen guten Morgen!«, scherzte Naomi. »Ich suche gerade nach passenden Flügen, finde aber nicht das Richtige. Außerdem meinte Iker, ein angebrochener Tag könnte zu knapp für unsere Forschungsexpedition sein. Was denkst du? Hast du schon mit Alice gesprochen?«

»Moment.«

Naomi hörte, wie eine Tür geschlossen wurde.

»So, jetzt. Also, wenn wir schon hinfliegen, dann bleiben wir besser über Nacht. Wer weiß, wie lange die für den Papierkram brauchen, um uns ins Universitätsarchiv zu lassen. Dann fliegen nicht wir offiziell, sondern ich fliege, um mich um meine Semesterarbeit zu kümmern. Kein Wort zu Alice. Sie würde nicht verstehen, warum ich dich mitnehme, und nachdem du gestern Abend so merkwürdig warst, würde sie vielleicht sogar noch auf die Idee kommen, wir hätten ein Verhältnis.«

»Tut mir leid. Darf ich trotzdem ein Doppelzimmer buchen?«

»Kröte!«, schimpfte Karsten. »Erst bringst du mich in Schwierigkeiten und dann machst du dich noch lustig über mich. Sehr feiner Zug von dir.«

Naomi hörte ein unterdrücktes Prusten. »Dann mache ich alles fix? Der Flug geht am Montag um 12:15h und wir kommen am Dienstag um 18:25h wieder zurück. Könntest du Alice davon abhalten, dich vom Flughafen abzuholen?«

»Kein Thema. Deswegen holt sie sich keinen Mietwagen. Der Herr kann Bus fahren.«

»Der Herr wird chauffiert, also meckere nicht.«

»Tu ich gar nicht. Ich stänkere nur ein bisschen.«

»Wir holen dich um 10:45h ab. Hast du bis dahin die Unterlagen von deinem Professor?« Naomi schielte zu den Eiern, die Iker gerade auf zwei Teller verteilte.

Karsten brummte zustimmend.

»Also, ich muss aufhören, mein Frühstück wird gerade serviert!«

»Hasta luego, Prinzesschen.« Karsten lachte. »Die Knechte liegen euch zu Füßen.«

»Tschüss, Blödmann!«, sagte Naomi und legte auf.

»Ich mag Karsten«, erklärte Iker.

Naomi griff nach der Gabel. »Ich auch. Sehr sogar.«