25.
Kapitel
Elegant-Beige dimmte die Lichter. Die
Klatschbasen hatten allmählich aufgehört zu schwatzen. Das
saalumfassende Schnarchen war zu einem sanften Brummen geworden,
das einschläfernder, rhythmischer Entspannungsmusik ähnelte.
»Okay«, Rocky rückte die Kopfkissen Seite an
Seite, »du machst es dir zuerst gemütlich, und ich lege mich dann
irgendwie dazu.«
»Wie bitte?«, flüsterte Phoebe zurück. »Das ist
eine Single-Luftmatratze. Schon ich allein werde wahrscheinlich
herunterpurzeln, und zu zweit, also …«
»Ich verspreche, nicht auf dich
draufzurollen.«
»Hör auf. Das ist nicht witzig. Hör mal, Rocky,
zum Thema Wohnung teilen …«
»Lass uns morgen darüber reden. Das Thema
Luftmatratze teilen ist sehr viel drängender – wenn du das
Wortspiel gestattest.«
»Nein – und du bist überhaupt nicht witzig. Und
ich will nicht die Wohnung mit jemandem teilen, der nicht witzig
ist.«
»Wieso nicht? Du hast sie mit Ben geteilt, und der
war der humorloseste Kerl, dem ich je begegnet bin.«
Phoebe runzelte die Stirn. »Stimmt, er war ganz
schön, ähm, unwitzig, wenn ich genauer darüber nachdenke. Mich
sitzen zu lassen, entsprach wahrscheinlich seiner Vorstellung von
einem originellen Scherz. Wie dem auch sei, er ist kein
Gesprächsthema mehr, bis die Hölle zufriert – was nicht mehr lange
dauern wird, wenn man den Zeitungen glaubt. Aber was die
Wohngemeinschaft angeht … Warum in aller Welt hast du nicht erst
mal mit mir darüber gesprochen?«
»Bevor ich vor Hinz und Kunz damit herausplatze?
Tja, weil es eigentlich kein ganz ausgereifter Plan war – nur so
eine Idee, die mir schon länger durch den Kopf ging. Genau
genommen, seit du zum ersten Mal davon gesprochen hast, dass Essie
bei dir einzieht. Es schien mir eine vernünftige Lösung des
Problems zu sein – Constance war heute Nacht einfach nur der
Auslöser, das alles in Worte zu fassen. Ich hätte wirklich lieber
erst mit dir darüber geredet. Unter vier Augen.«
»Das wäre mir auch lieber gewesen«, sagte Phoebe
leicht angesäuert und versuchte, sich auf der Luftmatratze
zurechtzulegen. »Und es gibt da viel zu viel zu bedenken, als dass
man das auf die Schnelle entscheiden könnte und – lieber Himmel!
Das ist ja, als wollte man auf einem Wasserbett schlafen!«
»Die Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. Erzähl
mir mehr davon.«
»Nein. Okay, ich hab’s so etwa geschafft. Du wirst
eben im Sitzen auf dem Boden schlafen müssen.«
»Wieso?«
»Weil«, flüsterte Phoebe laut, »ich nicht mit dir
schlafen werde. Weder auf einer Einzel-Luftmatratze noch sonst
wo.«
Rocky lachte leise.
»Was?«, fragte Phoebe mit gefurchter Stirn.
»Worüber amüsierst du dich?«
»Über dich. Jetzt rück rüber. Mir ist kalt, und
ich bin müde und muss schlafen.«
»Rocky! Neeiin!«, stieß Phoebe kichernd aus, als
er neben sie rutschte und die Luftmatratze auf einer Seite
einsackte. »Wir können nicht …«
»Wir können. Lieg einfach still. So, und jetzt
strecke ich meine Beine aus und – so ein Mist!«
Beide rollten auf den Fußboden und lachten.
»Pst!«, wurden sie aus dem Gemeindesaal
ermahnt.
Sie sahen einander an und glucksten.
»Mal ehrlich, in mein freies Zimmer einzuziehen,
ist weitaus leichter als das hier.«
»Ich rede nicht über den Umzug in dein freies
Zimmer«, erwiderte Phoebe außer Atem. »Und jetzt runter von meiner
Luftmatratze!«
»Es ist unsere Luftmatratze«, korrigierte er. »Bei
dir heißt es wohl immer meins, meins, meins, oder wie?«
Wieder kicherten sie.
»Um Himmels willen«, krächzte Constance im
Halbdunkel, »seid endlich still, und legt euch schlafen!«
Aus irgendeinem Grund fanden sie das beide
unheimlich witzig.
»Oh Gott – also, jetzt lege ich mich drauf und
strecke meine Beine aus«, flüsterte Rocky und rutschte an den Rand
der Luftmatratze. »Und jetzt machst du es auf deiner Seite
gleichzeitig genauso und hältst dich fest. Wir müssen Rücken an
Rücken schlafen und die Lage im Griff behalten.«
Die Lage im Griff behalten, dachte Phoebe, war
leichter gesagt, als getan. Sowohl im wörtlichen als auch im
übertragenen Sinne.
Sie holte tief Luft und ließ sich auf der
Luftmatratze nieder. Viel zu viel ihres Körpers berührte Rocky. Im
Grunde fast ihr ganzer Körper.
»Oh Gott, du bist eine Bett-Besetzerin. Rutsch
rüber.«
»Kann ich nicht – weil – ach – verdammt!« Unter
erneutem Gekicher purzelte Phoebe von der Luftmatratze.
Rocky beugte sich hinüber und sah sie an. »Weißt
du, Frauen
lachend ins Bett zu locken, ist mir ja schon gelungen, aber eine
lachend aus dem Bett zu werfen, ist eine Premiere für mich.«
»Über deine doofen Eroberungen von früher will ich
gar nichts hören«, grummelte Phoebe und krabbelte auf die
Luftmatratze zurück. »Na bitte, jetzt bin ich drauf, und du bist
drauf. Bleib mit dem Rücken zu mir und – Wo ist die Decke?«
»Hier. Halt still. So bitte. Gemütlich?«
»Nein.«
Eigentlich, dachte Phoebe, war es durchaus
gemütlich. Auch wenn es sehr, sehr merkwürdig war, mit einem
anderen Mann das Bett zu teilen. Da war immer nur Ben gewesen. Kein
anderer als Ben. Und nun lagen sie und Rocky Lancaster Rücken an
Rücken, Haut an Haut und Jogginghose an Jogginghose in Gesellschaft
von mindestens hundert anderen Leuten unter einer ausgemusterten
Armeedecke.
Sie hielt sich so weit wie möglich von ihm fern
und machte sich ganz steif. Oh Mann, das war ja die reine Folter.
Jede Faser ihres Körpers sehnte sich danach, sich umzudrehen und
den Arm um Rockys Taille zu legen und sich an ihn zu
kuscheln.
Sie verrückte den Kopf ein wenig auf dem
Kopfkissen, und die Luftmatratze bebte.
»Nicht bewegen!«, zischte Rocky. »Nicht einen
Millimeter, okay?«
»Okay, okay.« Sie lächelte im Dunkeln. »Schnarch
du nur nicht.«
»Ich schnarche nie. Wie ist es mit dir?«
»Liebe Güte, nein.«
»Gut. Gute Nacht, Phoebe.«
»Nacht.«
Es war im Grunde erstaunlich gemütlich, dachte sie
schläfrig. Nach den ungewöhnlichen Ereignissen der Nacht warm
und kuschelig im Dunkel des Gemeindesaals zu liegen: Von draußen
hörte sie das unablässige schreckliche Heulen des Windes,
unterbrochen von gelegentlich aufheulenden Böen, die an den
Fenstern klapperten und durch die Dachbalken pfiffen. Und dann war
da der Regen, der nach wie vor in Sturzbächen vom Himmel strömte,
gegen die Fenster klatschte und auf das Dach trommelte.
Phoebe öffnete ein Auge. Reihen provisorischer
Betten erstreckten sich auf beiden Seiten des Saales. Die meisten
Leute schliefen inzwischen oder versuchten es zumindest. Manche
saßen aufrecht und unterhielten sich leise, andere starrten bloß
vor sich hin, schlichtweg zu übermüdet oder überreizt, um zu
schlafen. Die Luft war warm, und feuchte Kleider trockneten auf den
Heizkörpern. Und die wunderbaren Damen des WRVS waren noch immer im
Dienst, kochten noch immer leise Tee und Kaffee und versorgten die
erschöpft durch die Tür stapfenden Feuerwehrleute, Polizisten und
Helfer der Umweltbehörde mit Verpflegung.
Sie fühlte sich sicher und geborgen wie in ihrer
Kindheit, wenn sie in beängstigenden Gewitternächten in ihr Bett
gekuschelt gehört hatte, wie ihre Eltern im Erdgeschoss unbekümmert
über irgendetwas im Fernsehen lachten, und sie wusste, dass ihre
Welt in Ordnung war.
Und hier lag sie nun mit Rocky im Bett. Nun, auf
einer Luftmatratze. Sie lächelte erneut ins Dunkel und schloss die
Augen, in dem Bewusstsein, dass sie nie im Leben auch nur eine
Sekunde lang würde schlafen können.
»Alles aufwachen!«, flötete Elegant-Beige, und der
Klang ihrer Stimme drang in Phoebes schlaftrunkenes Gehirn. »Raus
aus den Federn! Es ist halb acht. Zum Frühstück gibt es Tee,
Kaffee, Rührei mit Speck, Toast und Marmelade. Bildet eine
ordentliche Schlange vor den Waschräumen – wir haben
Notfallpäckchen mit Seife und Zahnpasta -, und dann stellt ihr euch
auf dieser Seite des Wasserkochers an, wo Irene euch das Frühstück
serviert.«
Unter Gähnen, Kratzen, Ächzen und Räkeln erwachte
der Saal allmählich zum Leben.
Phoebe schlug die Augen auf. Es war heller Tag,
und sie hatte höchstens drei Minuten lang geschlafen.
»Du schnarchst«, sagte Rocky direkt in ihr Ohr,
»aber nur ein bisschen und ganz mädchenhaft. Klingt mehr wie ein
sanftes Schnauben.«
Oh mein Gott. Sie hatte die Nacht mit Rocky
Lancaster verbracht!
Ruckartig setzte sie sich auf, sodass sie beide
von der Luftmatratze purzelten.
»Hi!« Er grinste sie an. »Himmel, siehst du
morgens aber zerknittert aus.«
»Danke, gleichfalls.« Was jedoch nicht stimmte.
Zerzaust und unrasiert sah er fantastisch aus. Rasch fuhr sie sich
mit den Fingern durchs Haar und wischte eventuell verschmierte
Wimperntusche hoffentlich fort. »Ooh, ich brauche Kaffee und ein
Klo und Zahnpasta – aber nicht unbedingt in dieser
Reihenfolge.«
»Ich auch, aber es scheint, als müssten wir um
diese Privilegien mit Heerscharen von Rentnern kämpfen.
»Das dürfte dir ja nicht schwerfallen.« Phoebe
streckte die verkrampften Beine aus und ließ die überhängenden
Jogginghosen wie Flossen flappen. »Schließlich bist du hier ja
derjenige mit offizieller Qualifikation im Nahkampf. Ach, weißt du,
meine Eltern werden sehr böse darüber sein, dass ich die Nacht mit
einem entlassenen Sträfling verbracht habe.«
»Während es meine ganz und gar nicht erstaunen
wird, dass
ich mit einer Hexe geschlafen habe. Gut, lass uns erst die
Körperpflege erledigen und danach das Frühstück holen. Dann sollten
wir wohl nach Hause und den Schaden begutachten, bevor wir zur
Arbeit gehen.«
»Arbeit?«, quiekte Phoebe. »Arbeit? Man wird doch
von uns nicht erwarten, dass wir nach einer Nacht wie dieser
arbeiten? Ich kann nicht zur Arbeit gehen. Mir würden über der
Schere in der Hand die Augen zufallen.«
Sie brauchten noch eine halbe Stunde, um zu den
Klos vorzudringen und ihre jetzt steifen, aber trockenen Kleider
wieder anzuziehen.
»Du machst es ja wirklich?« Phoebe hatte die Jeans
noch nicht ganz an und beobachtete Rocky.
»Was mache ich?«
»Die Socken verkehrtherum anziehen. Du weißt
schon, erst den rechten und dann den linken.«
Er schmunzelte. »Das weißt du also noch. Ich bin
geschmeichelt.«
»Keine Ursache«, sagte sie obenhin. »Dass ich mir
Lappalien merke, gehört zu meiner Zwangsneurose. Wie war dein Name
gleich noch mal?«
Rocky warf die Decke nach ihr, und sie
lachten.
Zehn Minuten später waren sie angezogen, hatten
aufgeräumt und stellten sich gemäß der Weisungen von Elegant-Beige
in die Schlange fürs Frühstück an. Gemeinsam halfen sie anderen
Bewohnern der Winchester Road, die zu arthritisch oder erschöpft
waren, um sich selbst etwas zu essen zu holen.
»Ich werde an den WRVS eine dicke Spende
überweisen«, sagte Rocky, als er den Motions und den Millers
Tabletts mit Frühstück brachte. »Sie waren wirklich unglaublich.
Stille Heldinnen, alle miteinander.«
»Sie sind wirklich großartig«, meinte Phoebe
nickend. »Sie
haben hart gearbeitet, wahrscheinlich ohne zu schlafen. Es könnte
sich lohnen, Essie vom WRVS zu erzählen. Sie liebt es, anderen
Menschen zu helfen, und – oh, wow – das ist das beste Frühstück,
das ich je hatte.«
Irgendwann inmitten des gemeinschaftlichen Essens
trat der Vertreter der örtlichen Umweltbehörde in Erscheinung. Das
Unwetter, so informierte er alle, war abgeklungen, und laut
Vorhersage waren keine weiteren schweren Regenfälle zu erwarten.
Tatsächlich war es nun ein recht schöner Tag. Zwischen Happen von
Toast mit Marmelade nickte Slo bestätigend. Nachdem er bereits für
eine Morgenzigarette nach draußen geschlichen war, verkündete er
allen, die es wissen wollten: »Der verdammte Regen hat aufgehört.
Der Wind ist abgeflaut. Wird alles wieder schön trocken.«
Der Mann von der Umweltbehörde, von Irene mit Tee
versorgt, teilte mit, dass der Wasserstand des Kennet wieder auf
normale Höhe abgesunken sei. Die meisten Häuser waren unversehrt
und von den Fluten verschont geblieben. Die Feuerwehrleute hatten
die ganze Nacht lang mit mehreren Löschfahrzeugen aus den übrigen
Gebäuden das Wasser abgepumpt. Die Winchester Road, sagte er, sei
nun passierbar, und bis auf ein halbes Dutzend waren sämtliche
Häuser uneingeschränkt bewohnbar und diejenigen, die
glücklicherweise nicht betroffen waren, könnten unverzüglich nach
Hause zurückkehren.
Diejenigen, die bedauerlicherweise einen Schaden
erlitten hatten, würden vorübergehend in Winterbrook im Hotel
Star and Garter untergebracht, bis ihre
Häuser instandgesetzt werden konnten.
Dann las er eine Liste mit Adressen vor, alle vom
unteren Ende der Straße, und bat diese Leute, anschließend zur
Erledigung der Formalitäten zu ihm zu kommen.
Als die einzelnen Adressen verlesen wurden,
erklang so
manches leise Schluchzen und Wehklagen aus den Tiefen des Saales.
Die glücklicheren Bewohner der Winchester Road hörten auf zu essen
und betrachteten die anderen mit tiefem Mitgefühl.
»Arme Schweine«, murmelte Rocky an seinem Toast
vorbei. »So was würde ich ja nicht einmal Mindy wünschen.«
Nach dem Frühstück packte man im Gemeindesaal
allmählich die Sachen. Nachdem die Nachricht über den lokalen
Radiosender verbreitet worden war, musste Phoebe unzählige Anrufe
auf ihrem Handy beantworten, von ihren Eltern, ihren Freundinnen
und Pauline bei Cut’n’Curl, denen sie allen
versicherte, dass es ihr gut ging und ihrer Wohnung auch.
Zwischenzeitlich half sie zusammen mit einigen anderen etwas
fitteren Leuten den Damen des WRVS, alles aufzuräumen. Rocky war,
nachdem er seine Dienste angeboten hatte, zu einer Art
Transportleiter geworden und verfrachtete Menschen und Tiere für
die Rückreise zur Winchester Road in seinen Lieferwagen, den
Leichenwagen und den Daimler.
»Ich schaffe meine letzte Fuhre wohlbehalten nach
Hause, dann komm ich zurück und hol dich ab«, sagte Rocky, in der
einen Hand die Leine eines Golden Retriever und in der anderen
einen Katzenkorb. »Du fängst eben ein bisschen später mit der
Arbeit an.«
»Pauline sagt, ich muss heute nicht kommen«,
erwiderte Phoebe vergnügt. »Wenn hier also alles erledigt ist und
wir nach Hause können und den Strom anschalten und Warmwasser
aufheizen, werde ich mir die Haare waschen, ein langes Bad nehmen
und danach wieder ins Bett gehen.«
»Und deine Sachen wieder ins Erdgeschoss
räumen?«
»Tja, einen Teil davon schon. Zumindest die
Sachen, die ich im Augenblick brauche. Hör mal, es gibt da noch
vieles zu besprechen, findest du nicht? Auch mit Essie und Slo. Wir
können nicht einfach ins kalte Wasser springen. Überleg doch mal,
ich treib dich wahrscheinlich in den Wahnsinn, indem ich ständig
aufräume und nervös werde, wenn die Kissen schief liegen oder die
Kerzen nicht auf genau dieselbe Länge heruntergebrannt sind oder
wenn es freitags keinen Fisch zum Essen gibt und so.«
»Und ich werde dich höllisch aufregen«, Rocky
enthedderte sich aus der Leine des Retrievers und strebte zur Tür,
»indem ich im Bad die Handtücher auf dem Fußboden liegen lassen und
die Zahnpasta-Tube nicht zuschraube und vergesse, an welchem Tag
die Mülltonnen rausgestellt werden müssen. Aber wir haben schon
miteinander geschlafen, und das ist immerhin ein Anfang.«
Phoebe starrte ihm nach, dann musste sie
lachen.
Es war, dachte sie, als sie sich eine Stunde später
aus Rockys Wagen die Winchester Road besah, als hätte es das
Unwetter von letzter Nacht gar nicht gegeben. Als wäre die ganze
Sache nur ein schrecklicher Albtraum gewesen. Der Himmel erstreckte
sich hellblau und mit flauschigen weißen Wölkchen unschuldig über
den Häusern, die Sonne schien, und der Morgen war mild und
frisch.
Nur breite Bahnen grauen Schlamms und dicke Haufen
von zähem Matsch am Straßenrand sowie Blätter und Zweige und andere
auf dem Gehweg liegen gebliebene Überreste zeugten noch von den
Verwüstungen der vergangenen Nacht. Und natürlich der am oberen
Ende der Straße geparkte Einsatzwagen der Feuerwehr sowie
zahlreiche Autos, die wegen des Treibgutes nicht in ihre Einfahrten
konnten und am Straßenrand abgestellt waren.
Der Daimler und der Leichenwagen standen beide
wieder in der Auffahrt der Motions. Mary Miller machte ihre Fenster
auf.
Alles kehrte zum Normalzustand zurück.
»Weißt du«, sagte Phoebe, als Rocky den
Lieferwagen vor ihren Wohnungen abstellte, »ich habe nachgedacht.
Über das Thema Wohngemeinschaft. Wir könnten da noch jemanden mit
einbeziehen.«
»Nicht YaYa! Auf keinen Fall! So sehr ich sie auch
mag, ich teile meine Wohnung nicht mit dir und einer
überkandidelten Tunte. Eine von euch beiden, ja. Aber alle beide,
niemals.
»Bert.«
»Bert?« Rocky sah sie fragend an. »Kenne ich Bert?
Ist Bert der Typ, den ich mir für eine Ménage à trois aussuchen
würde?«
»Natürlich kennst du Bert. Aus Twilights. Essies
Freund. Tolle Augen. Mieses Origami.«
»Ach ja, Bert. Was ist mit ihm?«
»Na ja …« Phoebe brach ab. »Ach, kommst du nicht
rein?«
»Ich fahr zur Arbeit. Nicht lange, aber ich muss
den Auftrag, den ich gestern angefangen habe, noch eben zu Ende
bringen. Der Mann, für den ich arbeite, wohnt in dieser neuen
Siedlung in Winterbrook mit den riesigen altmodischen Gärten, und
er hat gesagt, er würde mich jeder Menge anderer Leuten empfehlen –
daran will ich ihn noch mal erinnern. Ich brauche alle Stammkunden,
die ich kriegen kann. Es geht nur um Aufräumarbeiten, kein
Rasenmähen oder irgendwas, das nach dem Regen ein Problem wäre.
Sollte nicht länger als eine Stunde dauern, danach könnten wir uns
mit dem Kleingedruckten in Sachen Wohngemeinschaft befassen,
okay?«
»Gut.« Phoebe nickte. »Aber was Bert angeht
…«
»Nur raus damit – was ist mit Bert?«
»Also, ich weiß, wie schmerzlich er seine Mutter
und seine Tanten vermisst, bei denen er gelebt hat, bis sie vor
Kurzem gestorben sind und er daraufhin nach Twilights musste. Er
hat
sich mit Essie und Co angefreundet, weil er bemuttert werden
möchte, aber er fühlt sich dort überhaupt nicht wohl. Weint sich
jede Nacht in den Schlaf, der arme Kerl. Also – wenn Slo mit Essie
hier einzieht, könnten wir doch vorschlagen, dass Bert bei
Constance und Perpetua wohnt?«
»Wieso? Ach ja … verstehe … Bert hätte seine
Ersatzmütter und ein richtiges Zuhause, und die Damen Motion hätten
einen Mann im Haus. Du hast mehr drauf als nur ein hübsches
Gesicht, Phoebe Bowler, nicht wahr?«
»Heute Morgen hast du mich noch mit einer Mumie
verglichen, wenn ich erinnern darf. Aber egal, im Grunde ist das
wirklich lustig, denn vor Ewigkeiten habe ich Bert mal die
Tarotkarten gelegt, und die haben vorhergesagt, dass sein
Herzenswunsch unter den unwahrscheinlichsten Umständen in Erfüllung
ginge. Dass er zu seinem früheren Glück zurückfindet und sein Leben
sich auf wahrhaft unerwartete Weise zum Besseren wendet.«
»Ach, na dann.« Rocky grinste. »Wenn die
Tarotkarten das gesagt haben, dann muss es ja stimmen. Du kannst
dich schließlich nicht gegen deine eigene Vorhersage stellen,
stimmt’s, Süße?«
Süße … Er hatte sie Süße genannt. Das hatte er
noch nie getan.
»Äh, nein. Das heißt also, wenn ich in den ersten
Stock ziehe, als Wohngemeinschaft – und ich meine Wohngemeinschaft
– mit dir, und Essie mit Slo in meine Wohnung ziehen, dann könnten
wir Bert doch mit Constance und Perpetua bekannt machen, und alle
wären glücklich und zufrieden, oder?«
»Klingt so. Heißt das also, dass du nach oben
ziehst und all meine Bücher und Platten in alphabetischer
Reihenfolge katalogisierst, die Dosen im Küchenschrank nach
Haltbarkeitsdatum
ordnest und mein Gästezimmer in eine Barbie-Hölle
verwandelst?«
»Ach, weißt du«, Phoebe lächelte verschmitzt und
öffnete die Wagentür, »ich glaube schon.«
»Na Gott sei Dank.« Rocky strahlte sie an. »Ich
dachte schon, du kommst nie zur Vernunft. Es wird wunderbar werden,
Süße, du wirst sehen. Wir werden unheimlich glücklich sein. Ich bin
bald wieder da – dann können wir anfangen.«
Er beugte sich herüber und küsste sie ganz sanft
auf den Mund.
Sie sahen einander tief in die Augen, dann
schwebte Phoebe weiterhin lächelnd aus dem Wagen. Und winkte Rocky
immer noch lächelnd zum Abschied.
Es würde herrlich werden, dachte sie und berührte
ihre Lippen mit den Fingerspitzen, als der Lieferwagen um die Ecke
verschwand. Ungewohnt, aber auch lustig. Selbst wenn ihr
zwanghafter Ordnungswahn und Rockys organisiertes Chaos vielleicht
Anlass für manche Meinungsverschiedenheiten geben könnten, wären
sie ja wohl sicher in der Lage, das zu bewältigen. Und darüber zu
lachen. Sie lachten viel miteinander. Und es wäre, dachte sie immer
noch lächelnd, ganz wunderbar, die ganze Zeit mit ihm zusammen zu
sein, weil …
Ach herrje – weil sie wirklich und wahrhaftig
wahnsinnig auf ihn stand.
Sie, die traurige, sitzen gelassene Phoebe Bowler
würde mit dem atemberaubenden, mega-scharfen Rocky Lancaster
zusammenleben, na ja, zumindest logistisch betrachtet.
Noch breiter lächelnd ging sie über den
knirschenden Kies die Auffahrt hoch. Sie lächelte immer noch, als
sie den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte. Lächelte immer
noch, als sie ihre Wohnungstür öffnete. Immer noch lächelnd betrat
sie das halb ausgeräumte Wohnzimmer.
Dann erlosch ihr Lächeln. Wie auch alles
andere.
»Hi, Süße. Überraschung! – wie es immer so schön
heißt. Wo zum Teufel bist du denn gewesen?«, sagte Ben mit leiser
Stimme vom Sofa her. »Ich warte schon seit Ewigkeiten darauf, dass
du nach Hause kommst.«