25. Kapitel
Elegant-Beige dimmte die Lichter. Die Klatschbasen hatten allmählich aufgehört zu schwatzen. Das saalumfassende Schnarchen war zu einem sanften Brummen geworden, das einschläfernder, rhythmischer Entspannungsmusik ähnelte.
»Okay«, Rocky rückte die Kopfkissen Seite an Seite, »du machst es dir zuerst gemütlich, und ich lege mich dann irgendwie dazu.«
»Wie bitte?«, flüsterte Phoebe zurück. »Das ist eine Single-Luftmatratze. Schon ich allein werde wahrscheinlich herunterpurzeln, und zu zweit, also …«
»Ich verspreche, nicht auf dich draufzurollen.«
»Hör auf. Das ist nicht witzig. Hör mal, Rocky, zum Thema Wohnung teilen …«
»Lass uns morgen darüber reden. Das Thema Luftmatratze teilen ist sehr viel drängender – wenn du das Wortspiel gestattest.«
»Nein – und du bist überhaupt nicht witzig. Und ich will nicht die Wohnung mit jemandem teilen, der nicht witzig ist.«
»Wieso nicht? Du hast sie mit Ben geteilt, und der war der humorloseste Kerl, dem ich je begegnet bin.«
Phoebe runzelte die Stirn. »Stimmt, er war ganz schön, ähm, unwitzig, wenn ich genauer darüber nachdenke. Mich sitzen zu lassen, entsprach wahrscheinlich seiner Vorstellung von einem originellen Scherz. Wie dem auch sei, er ist kein Gesprächsthema mehr, bis die Hölle zufriert – was nicht mehr lange dauern wird, wenn man den Zeitungen glaubt. Aber was die Wohngemeinschaft angeht … Warum in aller Welt hast du nicht erst mal mit mir darüber gesprochen?«
»Bevor ich vor Hinz und Kunz damit herausplatze? Tja, weil es eigentlich kein ganz ausgereifter Plan war – nur so eine Idee, die mir schon länger durch den Kopf ging. Genau genommen, seit du zum ersten Mal davon gesprochen hast, dass Essie bei dir einzieht. Es schien mir eine vernünftige Lösung des Problems zu sein – Constance war heute Nacht einfach nur der Auslöser, das alles in Worte zu fassen. Ich hätte wirklich lieber erst mit dir darüber geredet. Unter vier Augen.«
»Das wäre mir auch lieber gewesen«, sagte Phoebe leicht angesäuert und versuchte, sich auf der Luftmatratze zurechtzulegen. »Und es gibt da viel zu viel zu bedenken, als dass man das auf die Schnelle entscheiden könnte und – lieber Himmel! Das ist ja, als wollte man auf einem Wasserbett schlafen!«
»Die Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. Erzähl mir mehr davon.«
»Nein. Okay, ich hab’s so etwa geschafft. Du wirst eben im Sitzen auf dem Boden schlafen müssen.«
»Wieso?«
»Weil«, flüsterte Phoebe laut, »ich nicht mit dir schlafen werde. Weder auf einer Einzel-Luftmatratze noch sonst wo.«
Rocky lachte leise.
»Was?«, fragte Phoebe mit gefurchter Stirn. »Worüber amüsierst du dich?«
»Über dich. Jetzt rück rüber. Mir ist kalt, und ich bin müde und muss schlafen.«
»Rocky! Neeiin!«, stieß Phoebe kichernd aus, als er neben sie rutschte und die Luftmatratze auf einer Seite einsackte. »Wir können nicht …«
»Wir können. Lieg einfach still. So, und jetzt strecke ich meine Beine aus und – so ein Mist!«
Beide rollten auf den Fußboden und lachten.
»Pst!«, wurden sie aus dem Gemeindesaal ermahnt.
Sie sahen einander an und glucksten.
»Mal ehrlich, in mein freies Zimmer einzuziehen, ist weitaus leichter als das hier.«
»Ich rede nicht über den Umzug in dein freies Zimmer«, erwiderte Phoebe außer Atem. »Und jetzt runter von meiner Luftmatratze!«
»Es ist unsere Luftmatratze«, korrigierte er. »Bei dir heißt es wohl immer meins, meins, meins, oder wie?«
Wieder kicherten sie.
»Um Himmels willen«, krächzte Constance im Halbdunkel, »seid endlich still, und legt euch schlafen!«
Aus irgendeinem Grund fanden sie das beide unheimlich witzig.
»Oh Gott – also, jetzt lege ich mich drauf und strecke meine Beine aus«, flüsterte Rocky und rutschte an den Rand der Luftmatratze. »Und jetzt machst du es auf deiner Seite gleichzeitig genauso und hältst dich fest. Wir müssen Rücken an Rücken schlafen und die Lage im Griff behalten.«
Die Lage im Griff behalten, dachte Phoebe, war leichter gesagt, als getan. Sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne.
Sie holte tief Luft und ließ sich auf der Luftmatratze nieder. Viel zu viel ihres Körpers berührte Rocky. Im Grunde fast ihr ganzer Körper.
»Oh Gott, du bist eine Bett-Besetzerin. Rutsch rüber.«
»Kann ich nicht – weil – ach – verdammt!« Unter erneutem Gekicher purzelte Phoebe von der Luftmatratze.
Rocky beugte sich hinüber und sah sie an. »Weißt du, Frauen lachend ins Bett zu locken, ist mir ja schon gelungen, aber eine lachend aus dem Bett zu werfen, ist eine Premiere für mich.«
»Über deine doofen Eroberungen von früher will ich gar nichts hören«, grummelte Phoebe und krabbelte auf die Luftmatratze zurück. »Na bitte, jetzt bin ich drauf, und du bist drauf. Bleib mit dem Rücken zu mir und – Wo ist die Decke?«
»Hier. Halt still. So bitte. Gemütlich?«
»Nein.«
Eigentlich, dachte Phoebe, war es durchaus gemütlich. Auch wenn es sehr, sehr merkwürdig war, mit einem anderen Mann das Bett zu teilen. Da war immer nur Ben gewesen. Kein anderer als Ben. Und nun lagen sie und Rocky Lancaster Rücken an Rücken, Haut an Haut und Jogginghose an Jogginghose in Gesellschaft von mindestens hundert anderen Leuten unter einer ausgemusterten Armeedecke.
Sie hielt sich so weit wie möglich von ihm fern und machte sich ganz steif. Oh Mann, das war ja die reine Folter. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich danach, sich umzudrehen und den Arm um Rockys Taille zu legen und sich an ihn zu kuscheln.
Sie verrückte den Kopf ein wenig auf dem Kopfkissen, und die Luftmatratze bebte.
»Nicht bewegen!«, zischte Rocky. »Nicht einen Millimeter, okay?«
»Okay, okay.« Sie lächelte im Dunkeln. »Schnarch du nur nicht.«
»Ich schnarche nie. Wie ist es mit dir?«
»Liebe Güte, nein.«
»Gut. Gute Nacht, Phoebe.«
»Nacht.«
Es war im Grunde erstaunlich gemütlich, dachte sie schläfrig. Nach den ungewöhnlichen Ereignissen der Nacht warm und kuschelig im Dunkel des Gemeindesaals zu liegen: Von draußen hörte sie das unablässige schreckliche Heulen des Windes, unterbrochen von gelegentlich aufheulenden Böen, die an den Fenstern klapperten und durch die Dachbalken pfiffen. Und dann war da der Regen, der nach wie vor in Sturzbächen vom Himmel strömte, gegen die Fenster klatschte und auf das Dach trommelte.
Phoebe öffnete ein Auge. Reihen provisorischer Betten erstreckten sich auf beiden Seiten des Saales. Die meisten Leute schliefen inzwischen oder versuchten es zumindest. Manche saßen aufrecht und unterhielten sich leise, andere starrten bloß vor sich hin, schlichtweg zu übermüdet oder überreizt, um zu schlafen. Die Luft war warm, und feuchte Kleider trockneten auf den Heizkörpern. Und die wunderbaren Damen des WRVS waren noch immer im Dienst, kochten noch immer leise Tee und Kaffee und versorgten die erschöpft durch die Tür stapfenden Feuerwehrleute, Polizisten und Helfer der Umweltbehörde mit Verpflegung.
Sie fühlte sich sicher und geborgen wie in ihrer Kindheit, wenn sie in beängstigenden Gewitternächten in ihr Bett gekuschelt gehört hatte, wie ihre Eltern im Erdgeschoss unbekümmert über irgendetwas im Fernsehen lachten, und sie wusste, dass ihre Welt in Ordnung war.
Und hier lag sie nun mit Rocky im Bett. Nun, auf einer Luftmatratze. Sie lächelte erneut ins Dunkel und schloss die Augen, in dem Bewusstsein, dass sie nie im Leben auch nur eine Sekunde lang würde schlafen können.
 
»Alles aufwachen!«, flötete Elegant-Beige, und der Klang ihrer Stimme drang in Phoebes schlaftrunkenes Gehirn. »Raus aus den Federn! Es ist halb acht. Zum Frühstück gibt es Tee, Kaffee, Rührei mit Speck, Toast und Marmelade. Bildet eine ordentliche Schlange vor den Waschräumen – wir haben Notfallpäckchen mit Seife und Zahnpasta -, und dann stellt ihr euch auf dieser Seite des Wasserkochers an, wo Irene euch das Frühstück serviert.«
Unter Gähnen, Kratzen, Ächzen und Räkeln erwachte der Saal allmählich zum Leben.
Phoebe schlug die Augen auf. Es war heller Tag, und sie hatte höchstens drei Minuten lang geschlafen.
»Du schnarchst«, sagte Rocky direkt in ihr Ohr, »aber nur ein bisschen und ganz mädchenhaft. Klingt mehr wie ein sanftes Schnauben.«
Oh mein Gott. Sie hatte die Nacht mit Rocky Lancaster verbracht!
Ruckartig setzte sie sich auf, sodass sie beide von der Luftmatratze purzelten.
»Hi!« Er grinste sie an. »Himmel, siehst du morgens aber zerknittert aus.«
»Danke, gleichfalls.« Was jedoch nicht stimmte. Zerzaust und unrasiert sah er fantastisch aus. Rasch fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar und wischte eventuell verschmierte Wimperntusche hoffentlich fort. »Ooh, ich brauche Kaffee und ein Klo und Zahnpasta – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.«
»Ich auch, aber es scheint, als müssten wir um diese Privilegien mit Heerscharen von Rentnern kämpfen.
»Das dürfte dir ja nicht schwerfallen.« Phoebe streckte die verkrampften Beine aus und ließ die überhängenden Jogginghosen wie Flossen flappen. »Schließlich bist du hier ja derjenige mit offizieller Qualifikation im Nahkampf. Ach, weißt du, meine Eltern werden sehr böse darüber sein, dass ich die Nacht mit einem entlassenen Sträfling verbracht habe.«
»Während es meine ganz und gar nicht erstaunen wird, dass ich mit einer Hexe geschlafen habe. Gut, lass uns erst die Körperpflege erledigen und danach das Frühstück holen. Dann sollten wir wohl nach Hause und den Schaden begutachten, bevor wir zur Arbeit gehen.«
»Arbeit?«, quiekte Phoebe. »Arbeit? Man wird doch von uns nicht erwarten, dass wir nach einer Nacht wie dieser arbeiten? Ich kann nicht zur Arbeit gehen. Mir würden über der Schere in der Hand die Augen zufallen.«
Sie brauchten noch eine halbe Stunde, um zu den Klos vorzudringen und ihre jetzt steifen, aber trockenen Kleider wieder anzuziehen.
»Du machst es ja wirklich?« Phoebe hatte die Jeans noch nicht ganz an und beobachtete Rocky.
»Was mache ich?«
»Die Socken verkehrtherum anziehen. Du weißt schon, erst den rechten und dann den linken.«
Er schmunzelte. »Das weißt du also noch. Ich bin geschmeichelt.«
»Keine Ursache«, sagte sie obenhin. »Dass ich mir Lappalien merke, gehört zu meiner Zwangsneurose. Wie war dein Name gleich noch mal?«
Rocky warf die Decke nach ihr, und sie lachten.
Zehn Minuten später waren sie angezogen, hatten aufgeräumt und stellten sich gemäß der Weisungen von Elegant-Beige in die Schlange fürs Frühstück an. Gemeinsam halfen sie anderen Bewohnern der Winchester Road, die zu arthritisch oder erschöpft waren, um sich selbst etwas zu essen zu holen.
»Ich werde an den WRVS eine dicke Spende überweisen«, sagte Rocky, als er den Motions und den Millers Tabletts mit Frühstück brachte. »Sie waren wirklich unglaublich. Stille Heldinnen, alle miteinander.«
»Sie sind wirklich großartig«, meinte Phoebe nickend. »Sie haben hart gearbeitet, wahrscheinlich ohne zu schlafen. Es könnte sich lohnen, Essie vom WRVS zu erzählen. Sie liebt es, anderen Menschen zu helfen, und – oh, wow – das ist das beste Frühstück, das ich je hatte.«
Irgendwann inmitten des gemeinschaftlichen Essens trat der Vertreter der örtlichen Umweltbehörde in Erscheinung. Das Unwetter, so informierte er alle, war abgeklungen, und laut Vorhersage waren keine weiteren schweren Regenfälle zu erwarten. Tatsächlich war es nun ein recht schöner Tag. Zwischen Happen von Toast mit Marmelade nickte Slo bestätigend. Nachdem er bereits für eine Morgenzigarette nach draußen geschlichen war, verkündete er allen, die es wissen wollten: »Der verdammte Regen hat aufgehört. Der Wind ist abgeflaut. Wird alles wieder schön trocken.«
Der Mann von der Umweltbehörde, von Irene mit Tee versorgt, teilte mit, dass der Wasserstand des Kennet wieder auf normale Höhe abgesunken sei. Die meisten Häuser waren unversehrt und von den Fluten verschont geblieben. Die Feuerwehrleute hatten die ganze Nacht lang mit mehreren Löschfahrzeugen aus den übrigen Gebäuden das Wasser abgepumpt. Die Winchester Road, sagte er, sei nun passierbar, und bis auf ein halbes Dutzend waren sämtliche Häuser uneingeschränkt bewohnbar und diejenigen, die glücklicherweise nicht betroffen waren, könnten unverzüglich nach Hause zurückkehren.
Diejenigen, die bedauerlicherweise einen Schaden erlitten hatten, würden vorübergehend in Winterbrook im Hotel Star and Garter untergebracht, bis ihre Häuser instandgesetzt werden konnten.
Dann las er eine Liste mit Adressen vor, alle vom unteren Ende der Straße, und bat diese Leute, anschließend zur Erledigung der Formalitäten zu ihm zu kommen.
Als die einzelnen Adressen verlesen wurden, erklang so manches leise Schluchzen und Wehklagen aus den Tiefen des Saales. Die glücklicheren Bewohner der Winchester Road hörten auf zu essen und betrachteten die anderen mit tiefem Mitgefühl.
»Arme Schweine«, murmelte Rocky an seinem Toast vorbei. »So was würde ich ja nicht einmal Mindy wünschen.«
Nach dem Frühstück packte man im Gemeindesaal allmählich die Sachen. Nachdem die Nachricht über den lokalen Radiosender verbreitet worden war, musste Phoebe unzählige Anrufe auf ihrem Handy beantworten, von ihren Eltern, ihren Freundinnen und Pauline bei Cut’n’Curl, denen sie allen versicherte, dass es ihr gut ging und ihrer Wohnung auch. Zwischenzeitlich half sie zusammen mit einigen anderen etwas fitteren Leuten den Damen des WRVS, alles aufzuräumen. Rocky war, nachdem er seine Dienste angeboten hatte, zu einer Art Transportleiter geworden und verfrachtete Menschen und Tiere für die Rückreise zur Winchester Road in seinen Lieferwagen, den Leichenwagen und den Daimler.
»Ich schaffe meine letzte Fuhre wohlbehalten nach Hause, dann komm ich zurück und hol dich ab«, sagte Rocky, in der einen Hand die Leine eines Golden Retriever und in der anderen einen Katzenkorb. »Du fängst eben ein bisschen später mit der Arbeit an.«
»Pauline sagt, ich muss heute nicht kommen«, erwiderte Phoebe vergnügt. »Wenn hier also alles erledigt ist und wir nach Hause können und den Strom anschalten und Warmwasser aufheizen, werde ich mir die Haare waschen, ein langes Bad nehmen und danach wieder ins Bett gehen.«
»Und deine Sachen wieder ins Erdgeschoss räumen?«
»Tja, einen Teil davon schon. Zumindest die Sachen, die ich im Augenblick brauche. Hör mal, es gibt da noch vieles zu besprechen, findest du nicht? Auch mit Essie und Slo. Wir können nicht einfach ins kalte Wasser springen. Überleg doch mal, ich treib dich wahrscheinlich in den Wahnsinn, indem ich ständig aufräume und nervös werde, wenn die Kissen schief liegen oder die Kerzen nicht auf genau dieselbe Länge heruntergebrannt sind oder wenn es freitags keinen Fisch zum Essen gibt und so.«
»Und ich werde dich höllisch aufregen«, Rocky enthedderte sich aus der Leine des Retrievers und strebte zur Tür, »indem ich im Bad die Handtücher auf dem Fußboden liegen lassen und die Zahnpasta-Tube nicht zuschraube und vergesse, an welchem Tag die Mülltonnen rausgestellt werden müssen. Aber wir haben schon miteinander geschlafen, und das ist immerhin ein Anfang.«
Phoebe starrte ihm nach, dann musste sie lachen.
 
Es war, dachte sie, als sie sich eine Stunde später aus Rockys Wagen die Winchester Road besah, als hätte es das Unwetter von letzter Nacht gar nicht gegeben. Als wäre die ganze Sache nur ein schrecklicher Albtraum gewesen. Der Himmel erstreckte sich hellblau und mit flauschigen weißen Wölkchen unschuldig über den Häusern, die Sonne schien, und der Morgen war mild und frisch.
Nur breite Bahnen grauen Schlamms und dicke Haufen von zähem Matsch am Straßenrand sowie Blätter und Zweige und andere auf dem Gehweg liegen gebliebene Überreste zeugten noch von den Verwüstungen der vergangenen Nacht. Und natürlich der am oberen Ende der Straße geparkte Einsatzwagen der Feuerwehr sowie zahlreiche Autos, die wegen des Treibgutes nicht in ihre Einfahrten konnten und am Straßenrand abgestellt waren.
Der Daimler und der Leichenwagen standen beide wieder in der Auffahrt der Motions. Mary Miller machte ihre Fenster auf.
Alles kehrte zum Normalzustand zurück.
»Weißt du«, sagte Phoebe, als Rocky den Lieferwagen vor ihren Wohnungen abstellte, »ich habe nachgedacht. Über das Thema Wohngemeinschaft. Wir könnten da noch jemanden mit einbeziehen.«
»Nicht YaYa! Auf keinen Fall! So sehr ich sie auch mag, ich teile meine Wohnung nicht mit dir und einer überkandidelten Tunte. Eine von euch beiden, ja. Aber alle beide, niemals.
»Bert.«
»Bert?« Rocky sah sie fragend an. »Kenne ich Bert? Ist Bert der Typ, den ich mir für eine Ménage à trois aussuchen würde?«
»Natürlich kennst du Bert. Aus Twilights. Essies Freund. Tolle Augen. Mieses Origami.«
»Ach ja, Bert. Was ist mit ihm?«
»Na ja …« Phoebe brach ab. »Ach, kommst du nicht rein?«
»Ich fahr zur Arbeit. Nicht lange, aber ich muss den Auftrag, den ich gestern angefangen habe, noch eben zu Ende bringen. Der Mann, für den ich arbeite, wohnt in dieser neuen Siedlung in Winterbrook mit den riesigen altmodischen Gärten, und er hat gesagt, er würde mich jeder Menge anderer Leuten empfehlen – daran will ich ihn noch mal erinnern. Ich brauche alle Stammkunden, die ich kriegen kann. Es geht nur um Aufräumarbeiten, kein Rasenmähen oder irgendwas, das nach dem Regen ein Problem wäre. Sollte nicht länger als eine Stunde dauern, danach könnten wir uns mit dem Kleingedruckten in Sachen Wohngemeinschaft befassen, okay?«
»Gut.« Phoebe nickte. »Aber was Bert angeht …«
»Nur raus damit – was ist mit Bert?«
»Also, ich weiß, wie schmerzlich er seine Mutter und seine Tanten vermisst, bei denen er gelebt hat, bis sie vor Kurzem gestorben sind und er daraufhin nach Twilights musste. Er hat sich mit Essie und Co angefreundet, weil er bemuttert werden möchte, aber er fühlt sich dort überhaupt nicht wohl. Weint sich jede Nacht in den Schlaf, der arme Kerl. Also – wenn Slo mit Essie hier einzieht, könnten wir doch vorschlagen, dass Bert bei Constance und Perpetua wohnt?«
»Wieso? Ach ja … verstehe … Bert hätte seine Ersatzmütter und ein richtiges Zuhause, und die Damen Motion hätten einen Mann im Haus. Du hast mehr drauf als nur ein hübsches Gesicht, Phoebe Bowler, nicht wahr?«
»Heute Morgen hast du mich noch mit einer Mumie verglichen, wenn ich erinnern darf. Aber egal, im Grunde ist das wirklich lustig, denn vor Ewigkeiten habe ich Bert mal die Tarotkarten gelegt, und die haben vorhergesagt, dass sein Herzenswunsch unter den unwahrscheinlichsten Umständen in Erfüllung ginge. Dass er zu seinem früheren Glück zurückfindet und sein Leben sich auf wahrhaft unerwartete Weise zum Besseren wendet.«
»Ach, na dann.« Rocky grinste. »Wenn die Tarotkarten das gesagt haben, dann muss es ja stimmen. Du kannst dich schließlich nicht gegen deine eigene Vorhersage stellen, stimmt’s, Süße?«
Süße … Er hatte sie Süße genannt. Das hatte er noch nie getan.
»Äh, nein. Das heißt also, wenn ich in den ersten Stock ziehe, als Wohngemeinschaft – und ich meine Wohngemeinschaft – mit dir, und Essie mit Slo in meine Wohnung ziehen, dann könnten wir Bert doch mit Constance und Perpetua bekannt machen, und alle wären glücklich und zufrieden, oder?«
»Klingt so. Heißt das also, dass du nach oben ziehst und all meine Bücher und Platten in alphabetischer Reihenfolge katalogisierst, die Dosen im Küchenschrank nach Haltbarkeitsdatum ordnest und mein Gästezimmer in eine Barbie-Hölle verwandelst?«
»Ach, weißt du«, Phoebe lächelte verschmitzt und öffnete die Wagentür, »ich glaube schon.«
»Na Gott sei Dank.« Rocky strahlte sie an. »Ich dachte schon, du kommst nie zur Vernunft. Es wird wunderbar werden, Süße, du wirst sehen. Wir werden unheimlich glücklich sein. Ich bin bald wieder da – dann können wir anfangen.«
Er beugte sich herüber und küsste sie ganz sanft auf den Mund.
Sie sahen einander tief in die Augen, dann schwebte Phoebe weiterhin lächelnd aus dem Wagen. Und winkte Rocky immer noch lächelnd zum Abschied.
Es würde herrlich werden, dachte sie und berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen, als der Lieferwagen um die Ecke verschwand. Ungewohnt, aber auch lustig. Selbst wenn ihr zwanghafter Ordnungswahn und Rockys organisiertes Chaos vielleicht Anlass für manche Meinungsverschiedenheiten geben könnten, wären sie ja wohl sicher in der Lage, das zu bewältigen. Und darüber zu lachen. Sie lachten viel miteinander. Und es wäre, dachte sie immer noch lächelnd, ganz wunderbar, die ganze Zeit mit ihm zusammen zu sein, weil …
Ach herrje – weil sie wirklich und wahrhaftig wahnsinnig auf ihn stand.
Sie, die traurige, sitzen gelassene Phoebe Bowler würde mit dem atemberaubenden, mega-scharfen Rocky Lancaster zusammenleben, na ja, zumindest logistisch betrachtet.
Noch breiter lächelnd ging sie über den knirschenden Kies die Auffahrt hoch. Sie lächelte immer noch, als sie den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte. Lächelte immer noch, als sie ihre Wohnungstür öffnete. Immer noch lächelnd betrat sie das halb ausgeräumte Wohnzimmer.
Dann erlosch ihr Lächeln. Wie auch alles andere.
»Hi, Süße. Überraschung! – wie es immer so schön heißt. Wo zum Teufel bist du denn gewesen?«, sagte Ben mit leiser Stimme vom Sofa her. »Ich warte schon seit Ewigkeiten darauf, dass du nach Hause kommst.«