6.
Kapitel
Auf
einen sengend heißen Juli folgte ein noch glühenderer August. Essie
stand in ihrer üblichen Trauerkleidung – weite schwarze Leinenhosen
und eine schwarze Spitzenbluse, dazu allerdings ein leuchtend rosa
Tuch in den Haaren – mit einem Glas lauwarmem süßen Sherry in der
einen und einem labbrigen Schinkensandwich in der anderen Hand im
überfüllten Speisesaal von Twilights.
Ada Mackies Beerdigung war – für eine
Twilighter-Beerdigung – ganz gut gelaufen. Es war ein
Standardbegräbnis gewesen, mit Blumen von Twilights und niemandem
sonst. Das Krematorium war brechend voll, was Ada gefallen hätte,
weil viele der älteren Bewohner von Hazy Hassocks,
Bagley-cum-Russett und Fiddlesticks zu diesem Anlass erschienen
waren.
Die meisten von ihnen hatten Ada wahrscheinlich
gar nicht gekannt, ließen aber kaum eine Beerdigung im Ort aus, da
derlei als großer gesellschaftlicher Anlass galt und die
Gelegenheit bot, alte Freunde wiederzutreffen und anschließend auf
anderer Leute Kosten einen Happen zu essen.
Die meisten waren den rückkehrenden
Twilight-Minibussen zu Joys Schinken-Schnittchen mit Salat gefolgt,
sodass der Speisesaal recht überfüllt war.
»Alles okay, Honey?« Lilith, in langem schwarzem
Rock und breitkrempigem schwarzem Strohhut mit hellrosa Rosen als
Farbtupfern, trat neben sie. »Bist du sehr traurig?«
Essie schüttelte den Kopf. »Nein, Ada hat ein
gutes Leben gehabt, wirklich. Und sie war doch in letzter Zeit sehr
schwach gewesen. Der Pfarrer lag mit seiner Rede goldrichtig,
fandest du nicht? Ich glaube, sie wäre zufrieden gewesen. Aber
dieses neue Steakhaus gegenüber vom Krematorium, das seit der
letzten Beerdigung frisch hinzugekommen ist, war doch ein bisschen
…«
»Sag nichts, Honey! Ich wusste gar nicht, wo ich
den Blick hinwenden sollte! Hab nicht gewagt, dich anzusehen. Ada
war zwar für Scherze immer zu haben und hätte es wahrscheinlich
komisch gefunden, aber es wäre ja nicht gerade respektvoll gewesen,
wenn wir den ganzen Gottesdienst über gekichert hätten. Man hätte
meinen können, dass sie die Formulierung ein bisschen sorgsamer
hätten wählen dürfen – bei dem Standort – findest du nicht?«
»Hmhm.« Essie schmunzelte. »Direkt gegenüber vom
Krematorium ist ein riesiges Banner mit der Aufschrift ›Riech nur,
wie es brutzelt‹ wirklich nicht gerade der passendste
Slogan.«
Sie sahen einander an und kicherten wie
Schulmädchen. Schließlich wischte sich Lilith mit dem Saum ihres
Rocks die Lachtränen aus den Augen. »Ach, jetzt geht’s mir schon
besser. Du bist also nicht deprimiert?«
»Nein, ehrlich nicht. Ich stehe hier nicht allein,
weil ich unglücklich wäre, sondern weil ich nachdenke.«
»Oh, Honey, das klingt aber gefährlich.« Lilith
gluckste. »Denkst du über das nach, worüber wir neulich geredet
haben?«
»Genau.« Essie lächelte. »Aus Pietät wollte ich
vor Adas Beerdigung nichts, ähm, unternehmen, aber jetzt finde ich,
Twilights könnte allmählich ein bisschen mehr Leben in der Bude
gebrauchen. Was meinst du?«
»Oh ja.« Liliths mächtiger Körper schüttelte sich,
als sie erneut
kicherte. »Aber ob die enorme Joy und der kleine Tony da
mitmachen? Ich weiß ja nicht.«
»Oh, ich werde ihnen natürlich nicht alles erzählen, was mir vorschwebt. Ich unterbreite
ihnen nur die annehmbareren Ideen. Ach schau mal, da drüben sind
die Schwestern Banding. Ich muss unbedingt mit ihnen sprechen,
bevor sie gehen, aber beim Essen will ich sie mal lieber nicht
stören. Die beiden heitern mich immer auf, weil sie so dermaßen
durchgeknallt sind.«
Lilith spähte durch den bevölkerten Raum zu den
Schwestern Lavender und Lobelia Banding, alte Jungfern aus Hazy
Hassocks, die sich mit gefährlich hoch aufgestapelten Tellern am
Büfett häuslich niedergelassen hatten. Abgesehen von den
gigantischen Essensbergen und der Tatsache, dass sie beide
gekleidet waren wie Königin Victoria nach Alberts Tod, war das
Bizarrste an den Bandings, dass sie zudem noch leuchtfarbene
Fahrradhelme aufhatten, die dekorativ mit schwarzem Krepp umwickelt
waren.
»Was zum Teufel …«
»Lange Geschichte.« Essie schmunzelte. »Aber in
Kurzfassung: Sie tragen diese Fahrradhelme ständig, je nach
Gelegenheit passend dekoriert. Anscheinend hat ihnen der Mann von
Mitzi Blessings Tochter Lulu, er heißt Shay und ist Sanitäter, mal
erklärt, dass Fahrradhelme Pflicht sind, um Kopfverletzungen zu
vermeiden. Lav und Lob haben das so verstanden, dass sie die Dinger
zu ihrer Sicherheit immer tragen müssen, und seitdem machen sie
das.«
»Auch wenn sie nicht Fahrrad fahren?«
»Aber Lilith! Die Bandings sind in ihrem ganzen
Leben noch auf keinem Fahrrad gesessen!«
»Lilith!« Joy Tugwells Thatcher-Stimme tönte
herrisch vom anderen Ende des Speisesaals herüber. »Könnten Sie
bitte mal kurz herüberkommen, wenn Sie einen Moment Zeit haben?«
»Geh schon.« Essie nickte. »Sie unterhält sich mit
einem pomadigen Typ im schlecht sitzenden Anzug. Ich glaube, ich
hab ihn im Krematorium gesehen – wahrscheinlich ist er von der
Gemeinde, die schicken ja meistens einen Repräsentanten. Bestimmt
will die enorme Joy dich vorführen, mal wieder, als eine unserer
ethnischen Vorzeige-Bewohnerinnen, um in Sachen politische
Korrektheit zu punkten. Geh und tu deine Pflicht, Mädchen. Ich will
sowieso nach draußen ins Grüne. Hier drin ist es viel zu heiß. Wir
sehen uns später.«
Draußen flimmerte die Hitze vor dem grüngoldenen
Horizont. Essie ließ die Geräuschkulisse des Leichenschmauses
hinter sich, überquerte den Hof, nickte aus der Ferne höflich
Bekannten zu, die gruppenweise beim Essen im Freien standen, und
ging über den sanft abfallenden Rasen hinab zu einem kleinen Gehölz
aus Holunderbüschen und Zierkirschen. Hier war es abgeschieden und
kühl, Twilights lag außer Sicht, und man hatte einen herrlichen
Blick über die Kornfelder und sanft welligen Hügel Berkshires. Es
war einer von Essies Lieblingsplätzen.
Seit dem grässlichen Vorfall in Winterbrook war
Essie verunsichert, wenn sie allein war, selbst in diesem Gelände,
zumindest in der ersten Zeit – nicht, dass sie das jemals irgendwem
eingestanden hätte, vor allem nicht der enormen Joy. Aber
inzwischen spürte sie gelegentlich das Verlangen, allein zu sein,
und genoss es, wenn sie sich von dem Alltag im Heim davonschleichen
konnte.
Als sie ihren Schlupfwinkel erreicht hatte, suchte
sie sich ein schattiges Plätzchen im Grünen und hielt sich an einem
passenden tiefen Ast fest. Nur geringfügig schnaufend ließ sich
Essie auf ein Moospolster sinken. Verflixt, dachte sie, ich werde
wohl alt. Obwohl sie regelmäßig jeden Morgen zwanzig Minuten
Gymnastik machte, war dies doch ein bisschen anstrengend
gewesen. Ihre Gelenke knirschten. Sie schnaubte. Das kam davon,
wenn ihr nicht erlaubt wurde, die langen ausgedehnten Spaziergänge
zu machen, die sie so liebte. Und natürlich von dieser nicht enden
wollenden Hitze. So sehr Essie den Sommer auch liebte, wünschte sie
wirklich, diese monatelange Hitzewelle hätte bald ein Ende. Ein
heftiges Gewitter würde Wunder wirken.
Doch, dachte sie, als sie die Sandalen abstreifte
und die Beine ausstreckte, es war doch herrlich – der kühle
gesprenkelte Schatten der Bäume, das tirilierende Vogelgezwitscher,
das einschläfernde Brummen unsichtbarer Autos auf der fernen
Straße, das gelegentliche träge Summen einer mit Pollen beladenen
Biene und der Geruch von …? Essie runzelte die Stirn. Was war das
eigentlich für ein Geruch?
Tabak? Tabak!
Oh … Essie inhalierte gierig, als dieser Duft ein
vor langer, langer Zeit überwundenes Verlangen weckte. Essie hatte
in jungen Jahren vergnügt ihre dreißig Zigaretten am Tag gepafft,
war dann aber aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen, diese
Angewohnheit aufzugeben. Es gab allerdings selbst jetzt noch
Momente, in denen sie sich zur ersten Tasse Kaffee am Morgen nichts
sehnlicher wünschte als eine Filterzigarette.
Twilights war natürlich ein Nichtraucher-Heim,
wenngleich es süchtigen Bewohnern gestattet war, in ihren
Appartements zu rauchen, wenn sie es denn nicht lassen konnten. Die
meisten taten es nicht. Hauptsächlich, weil die Tugwells immer so
einen Aufstand machten, von wegen spontanes Entflammen, und
praktisch mit dem Feuerlöscher in der Hand Wache standen, sobald
sich jemand eine anzündete. Und die armen Mädels von der
Nachtschicht mussten die Zimmer der Raucher doppelt so oft
überprüfen, um sicherzugehen, dass niemand sich während der
Spätnachrichten versehentlich in Brand setzte.
Essie schnupperte noch einmal. Nein … Nur warmes
Gras und Heu. Ihre Einbildung hatte ihr wohl einen Streich
gespielt. Entweder das, oder ein »rauchender Geist« – eine Figur
aus urbanen Mythen und ländlichen Legenden.
Da sie nicht an Geister glaubte, ob sie nun
rauchten oder nicht, lehnte sich Essie an den Stamm des
Kirschbaums, genoss den Anblick der Felder und den strahlend
kornblumenblauen Himmel und freute sich, mit sich und ihren
Gedanken allein zu sein. Da Adas Beerdigung nun vorüber war, konnte
sie ihre Pläne angehen, für die Twilighter ein häusliches
Unterhaltungsprogramm auf die Beine zu stellen. Wenn der kleine
Tony und die enorme Joy sich weigerten, hierfür das Budget zu
strecken, dann müssten die Bewohner eben selbst für ihr Vergnügen
sorgen.
Wie Essie wusste, hatte Mitzi Blessing vor
mehreren Jahren die Über-vierzig-Jährigen von Hazy Hassocks mächtig
auf Trab gebracht. Nun hatten sie Clubs und Aktivitäten in Hülle
und Fülle, alles auf Grundlage ihrer eigenen Fähigkeiten. Warum
sollte sie, Essie, in Twilights nicht etwas Ähnliches hinkriegen?
Es gab mehr als genug rüstige Bewohner, die in den unzähligen
Stunden erzwungener Untätigkeit ein Angebot geistig anspruchsvoller
Freizeitbeschäftigungen durchaus zu schätzen wüssten.
Lilith, Prinzessin und Bert hatten tolle Ideen
vorgebracht, als sie ihren umstrittenen Plan zum ersten Mal
erläutert hatte. Lilith könnte karibische Küche unterrichten,
Prinzessin – eine winzige Siebzigerin mit rabenschwarzem Haar, die
von ihren liebenden Eltern immer bei diesem Kosenamen genannt
worden war und nie bei ihrem Taufnamen Doris – war eine begeisterte
Yoga-Anhängerin, und Bert, der Gute, hatte angeboten, andere an
seiner Leidenschaft für Makramé und Origami teilhaben zu
lassen.
Was sie selbst betraf, Essie lächelte verzückt vor
sich hin, so hatte sie vor, Tony und Joy so richtig auf die Palme
zu bringen, und zwar mit esoterischem Hokuspokus …
Früher eine begeisterte Amateur-Astrologin, hatte
Essie im Lauf der Jahre ihre natürliche Begabung für den Blick in
die Zukunft zu ernsthafter Wahrsagerei ausgebaut. Anhand von
Tarotkarten und Sternzeichen, nach alten Lehren und unter
Einbeziehung neuerer Theorien, war Essie zudem eine Art Expertin in
Charakterkunde und Zahlenmystik geworden.
Es hatte für reichlich Aufruhr gesorgt, als sie
nach ihrer Ankunft in Twilights einer begeisterten Gefolgschaft
unheimlich exakte Vorhersagen geliefert hatte. Die Tugwells jedoch
nannten es »Teufelswerk« und »Dinge, an die man nicht rühren
sollte« und hatten Essie verboten, sich je wieder esoterisch zu
betätigen.
Das hatte sie aber nicht davon abgehalten, die
Besuche des Büchereibusses zu nutzen, um ihre Kenntnisse zu
vertiefen und auf den neuesten Stand zu bringen und anschließend
insgeheim an Lilith, Prinzessin und Bert sowie allen anderen
Twilightern auszuprobieren, die Interesse zeigten. Essie war fest
davon überzeugt, durch eine Verbindung ihrer eigenen gottgegebenen
Gabe und dem volkstümlichen Wissen, das von ihrer Roma-Großmutter
und ihren Großtanten an sie überliefert worden war, nun eine
traditionelle treffsichere Methode gefunden zu haben, um die
Entwicklung von Liebesbeziehungen vorherzusagen.
Sie hatte die Fünf Fragen als Schlüssel zu der
magischen Geburtstagsformel entdeckt. Die Antworten auf diese Fünf
Fragen zeigten ein Schema für immerwährendes Liebesglück. Diese
Fünf Fragen konnten, wenn die Geburtsdaten zusammenpassten, in
Verbindung mit einer alten Roma-Beschwörung, selbst die
widerspenstigsten Liebespartner dazu bringen,
einander plötzlich jubelnd und mit ungezügelter Leidenschaft in
die Arme zu fallen.
Schon mehr als einmal, dachte sie mit
verschmitztem Lächeln, hatte das ganz wunderbar geklappt.
Sie strahlte vor Freude bei der Vorstellung, wie
die Tugwells sich aufregen würden, und brannte schon ungeduldig
darauf, ihr neues Projekt in die Tat umzusetzen. Essie schloss in
der schläfrig machenden Wärme die Augen und seufzte wohlig. Jetzt
fehlten ihr nur noch ein paar frische Versuchskaninchen, um ihre
Theorien zur Geburtstags-Magie zu untermauern. Über Lilith,
Prinzessin und Bert und sämtliche andere in Twilights wusste sie
schließlich schon alles, was es zu wissen gab. Was sie nun
benötigte, war ein Probelauf mit jemandem, von dem sie ganz und gar
nichts wusste.
Da war er wieder! Dieser Geruch!
Sie riss die Augen auf. Das war Tabak.
Essie schluckte. Das war kein »rauchender Geist« –
da war eindeutig ein Wesen aus Fleisch und Blut in dem Gehölz. Sie
war nicht allein.
Augenblicklich wurde die alte Angst wieder
wach.
»Wer ist da?«, rief sie, in der Hoffnung, dass
ihrer Stimme die Furcht nicht anzuhören war. »Ich weiß, dass Sie da
sind! Kommen Sie raus!«
Es folgte Rascheln und Knacksen im Unterholz.
Essie bekam einen trockenen Mund und feuchte Hände. Ihr Herz
klopfte in schnellen Doppelschlägen wie ein
Timpani-Orchester.
Das Rascheln wurde lauter und kam näher, einem
deftigen Fluch folgte das Brechen kleiner Holunderzweige, und eine
schwarzgekleidete Gestalt mit qualmender Zigarette in der Hand
stolperte in Essies Blickfeld.
»Verflixt noch mal!« Slo Motion spuckte Reste
eines Zweiges aus. »Sie haben mir vielleicht einen Schreck
eingejagt,
Schätzchen. Hätte dahinten ja fast einen Herzinfarkt gekriegt. Hab
nicht erwartet, dass sonst noch jemand hier ist.«
Essie lachte voller Erleichterung, als sie den
Bestattungsunternehmer erkannte. Es klang wie ein Schluchzen.
»Mr Motion! Was in aller Welt …«
»Wollte eine schöne Kippe rauchen, oder auch drei,
weit weg von Constance und Perpetua.« Er zeigte auf die qualmende
Zigarette. »Die sind jetzt im Haus erst mal stundenlang mit
Kontakte knüpfen beschäftigt. Es geht nichts über eine Trauerfeier,
um ein bisschen die Werbetrommel zu rühren. Und was ist mit Ihnen,
Schätzchen?«
»Hab mich davongemacht, um ein bisschen Ruhe und
Frieden zu finden.«
»Tja, tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.
Hören Sie – wenn Sie vergessen könnten, dass Sie mich jemals haben
rauchen sehen, wäre ich Ihnen ewig dankbar.«
»Schon vergessen.« Essie lächelte matt, während
ihr heftig donnernder Puls sich allmählich wieder auf eine
normalere Frequenz einspielte. »Ich gehöre nicht zu den militanten
Nichtrauchern, Mr Motion.«
»Sagen Sie doch bitte Slo, Schätzchen.« Er lehnte
sich an den Kirschbaum. »Lassen wir doch die Förmlichkeiten, unter
uns Brimboriums-Flüchtlingen. Entschuldigen Sie, Schätzchen, ich
weiß Ihren Namen gar nicht …«
»Weil ich ihn noch nicht genannt habe – ich heiße
Essie. Essie Rivers.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Mrs – äh Miss
Rivers.«
»Mrs – verheiratet seit
neunzehnhundertachtundvierzig, seit zweiundzwanzig Jahren
verwitwet. Essie genügt vollkommen.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Essie, Schätzchen.«
Slo zog vergnügt an seiner Marlboro.
Essie runzelte die Stirn. »Verzeihen Sie, wenn ich
unhöflich bin, aber es gibt da etwas, was ich mich immer gefragt
habe … wegen Ihres Namens. Ist Slo ein Spitzname – passend zu
Motion?«
Slo blies eine Lunge voll Rauch aus.
»Isnakronüm.«
»Wie bitte?« Essie runzelte noch mehr die Stirn.
»Ist das ausländisch?«
»Nein, Schätzchen. Das ist, wenn man die
Anfangsbuchstaben zusammenzieht oder so. Zumindest sagt das unsere
Connie.«
»Anfangsbuchstaben? Anfangsbuchstaben? Ach, Sie
meinen, es ist ein Akronym!« Essie strahlte.
»Sag ich ja, Essie, Schätzchen. Getauft wurde ich
Sidney Lawrence Oliver – aber Slo genannt, seit ich denken kann.«
Mit einem Funkenregen drückte er seine Zigarette am Stamm des
Kirschbaums aus. Dabei stäubten reichlich Aschereste auf sein
Jackett. »War mir nie sicher, ob meine alten Eltern Sinn für Humor
hatten oder nicht. Wahrscheinlich nicht, wenn ich’s recht
bedenke.«
Sie verfielen in kameradschaftliches
Schweigen.
»Setzen Sie sich doch.« Essie klopfte neben sich
auf das Moospolster. »Es sei denn natürlich, Sie müssten eilig
fort?«
»Nö, wir gehen heute nirgendwo mehr hin. Eine
Beerdigung am Tag reicht, und die Mädels – unsere Connie und
Perpetua – quasseln den Leuten ohne Ende die Ohren voll. Das ist
echt nett von Ihnen, Schätzchen, danke schön.«
Unter reichlichem Keuchen, Husten, Stöhnen und
Ächzen ließ Slo sich schließlich auf dem Boden nieder. »Hübsches
Plätzchen. Schöne Aussicht. Und die Stille! Also, vor wem oder was
verstecken Sie sich hier?«
»Vor nichts und niemandem. Ich wollte nur in Ruhe
nachdenken.«
»Worüber? Oder ist das ein Geheimnis?«
»Kein Geheimnis.« Essie lächelte. »Ich habe gerade
über einen annehmbareren Deckmantel für angewandte Esoterik
nachgegrübelt.«
»Aha. Dann sind Sie wohl auch eine von diesen
Hexen?« Slo gluckste. »Schwarze, weiße, Küchen- oder
Wald-und-Wiesen-Magie? Wie die junge Mitzi Blessing? Oder wie
Klein-Sukies Großtante Cora? Oder wie diese Mondanbeter in
Fiddlesticks? Soweit ich weiß, Schätzchen, wimmelt es in Berkshire
nur so von Hexen, und die wenigsten davon fliegen auf
Besenstielen.«
»Ich bin keine Hexe. Ich bin … nun, mehr eine Art
Amateur-Astrologin, und wenn Sie jetzt lachen oder lästern, sag ich
kein Wort mehr.«
»Lästern? Ich?« Slo gab sich eindeutig Mühe, keine
Miene zu verziehen. »Fiel’ mir im Traum nicht ein. Können Sie mir
also meine Zukunft vorhersagen? Aus der Hand lesen? Oder machen
Sie’s mit Teeblättern? Ach nein, ich Blödmann. Astrologie haben Sie
ja gesagt. Da geht’s um Sternzeichen und Horoskope, nicht wahr? Nur
zu, Schätzchen, ich bin ganz Ohr.«
Und weil Slo Motion sie interessiert ansah, und
weil es so nett war, sich mal mit jemand ganz anderem zu
unterhalten, erzählte Essie ihm von ihren Plänen, ihren
Experimenten, ihrer Beschäftigung mit Zahlenmystik und
Charakterkunde und ihren Ideen zur fortgeschrittenen
Astrologie.
»Humbug!«, schnaubte Slo, als sie geendet hatte.
»Ach, es glauben ja viele Leute an solche Sachen, aber wenn man es
ganz real mit Leben und Tod zu tun hat, so wie ich, dann kommen
einem doch starke Zweifel über … nun, ob es da noch irgendwas
Jenseitiges gibt, wenn Sie verstehen, was ich meine, Schätzchen.
Nichts für ungut, aber ich glaub nicht im Mindesten daran, tut mir
leid.«
»Entschuldigung angenommen.« Essie nickte
lächelnd.
»Das heißt nämlich, dass Sie, weil ich außerdem ganz und gar
nichts über Sie weiß, die ideale Versuchsperson wären.«
»Halt, halt! Sie machen keinen Hokuspokus mit
mir!«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Ich würde nur gerne
meine Theorie an jemandem ausprobieren, den ich nicht kenne, und
insbesondere an jemandem, der definitiv ein Ungläubiger ist. Hören
Sie mal, wenn ich Ihnen einfach nur ein paar Fragen stelle,
versprechen Sie mir, sie wahrheitsgemäß zu beantworten?«
Slo zündete sich eine weitere Zigarette an und
blies ein Rauchwölkchen in die unbewegte Luft. »Ich schätze, das
ließe sich machen. Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass es
nicht funktioniert, Schätzchen.«
»Wir werden sehen. Entspannen Sie sich, und geben
Sie mir ehrliche Antworten auf die Fünf Fragen.«
Essie schloss die Augen, konzentrierte ihr ganzes
Denken auf die notwendigen Fragen, atmete tief und gleichmäßig und
fühlte schließlich die dunstige Landschaft Berkshires in weite
Ferne rücken …
»Erstens, zählen Sie die Daten zusammen, an denen
Ihre Eltern geboren wurden – der sechzehnte zum Beispiel ergäbe
eins plus sechs, also sieben. Okay? Nun zweitens, zählen Sie alle
Zahlen Ihres Geburtsjahres zusammen. Gut – merken Sie sich diese
Zahlen, und zählen Sie sie zusammen. Drittens, zählen Sie die
Buchstaben Ihres Sternzeichens. Erledigt? Gut. Dann viertens,
ermitteln Sie die Zahl der Jahreszeit Ihrer Geburt, angefangen beim
Winter als Nummer eins, und addieren Sie dies zu Ihrer Antwort auf
Frage drei. Auch erledigt? Danke. Und zum Schluss fünftens, ziehen
Sie die zweite Summe von der ersten ab, und sagen Sie mir das
Ergebnis.«
Während sie die Fragen stellte, hörte sie Slos
zögernde Antworten von weit, weit weg …
Sie waren wirklich ganz und gar nicht das, was sie
hören wollte.
Nachdem die Fragen gestellt und die Antworten
verarbeitet waren, öffnete sie langsam die Augen. Wenn – und das
war doch sehr fraglich – sie Slos Antworten richtig gedeutet hatte,
war das Ergebnis überaus beunruhigend. Das wäre ja ein schier
unglaublicher Zufall. Sie musste sich vertan haben. Ganz sicher
hatte sie sich vertan.
»Danke«, sagte sie matt.
»War das alles?« Slo wirkte enttäuscht. »Da haben
sich mir ja richtig die Hirnwindungen verknotet. Als wär ich wieder
im Rechenunterricht. Aber Mensch, Schätzchen, ich dachte, nun kämen
grüne Dampfwölkchen und mindestens heulende Geister. Das hätte
meine grauen Zellen vor eine echte Herausforderung gestellt, aber
das hier war ja nicht besonders aufregend.«
»Für mich schon.« Essie holte tief Luft. »Ihr
Geburtstag ist am sechzehnten November.«
»Gibt’s doch nicht!« Slo war völlig perplex. »Das
hat Ihnen jemand gesagt. Anders kann’s gar nicht sein!«
Essie schüttelte den Kopf. »Niemand hat mir jemals
irgendwas über Sie erzählt. Ich bin Ihnen bis heute noch nie
begegnet. Wir haben noch nie miteinander gesprochen. Aber das ist
Ihr Geburtstag, oder? Der sechzehnte November?«
»Tja, gut, Sie haben sich von
dreihundertfünfundsechzig Tagen einen raussuchen können –
dreihundertsechsundsechzig, wenn man ein Schaltjahr nimmt – aber da
ist die Wahrscheinlichkeit richtig zu raten schon verdammt
klein.«
»Es war nicht geraten, das kann ich Ihnen
versichern. Also stimmt es? Sie haben am sechzehnten November
Geburtstag?«
»Ja. Volltreffer. Slo, der Skorpion, das bin ich.
Mensch, das ist ja Zauberei, Essie, Schätzchen. Verdammte
Zauberei.«
Essie atmete aus. Sie lächelte zittrig und nickte.
Es hatte funktioniert! Bei einem völlig Fremden! Es war wirklich
Magie, das wusste sie nun.
Aber auf dieses Datum war sie ganz bestimmt nicht
gefasst gewesen.
»Also«, Slo zwinkerte, »Ihre, äh, Zauberei da,
wollen Sie damit auf Tour gehen? Sozusagen über die Dörfer
ziehen?«
»Nein, nein – ich will hier nur ein bisschen mehr
Leben in die Bude bringen. Ich will es nur zum Vergnügen der
anderen Bewohner anwenden.«
»Andere Bewohner? In Twilights? Mensch, ich
dachte, Sie gehören zu den Trauergästen. Sie sind also eine
Insassin?«
Essie nickte, noch immer ziemlich sprachlos und
reichlich verwirrt. »Bin ich. Das ist mein zweites Jahr hier. Am
Anfang habe ich es gehasst. Aber inzwischen habe ich mich schon
einigermaßen daran gewöhnt. Ich habe ein paar nette Freunde, und
wir werden hier gut versorgt, aber ach, ich vermisse meine
Unabhängigkeit.«
Slo suchte in seinen Taschen nach einer weiteren
Zigarette. »Dieser Geburtstagskram hat mich ganz schön
durcheinandergebracht, Essie, Schätzchen. Ist es okay für Sie, wenn
ich …«
»Ja bitte, rauchen Sie nur. Ich liebe den Geruch …
Nein, nein, danke – ich möchte keine. Hab’s vor vielen Jahren schon
aufgegeben. Führen Sie mich nicht in Versuchung. Ich inhaliere
einfach und genieße ein bisschen Passivrauchen, ohne dass mir
irgendwer erklärt, dass es meine Arterien verkalkt, meine Ventrikel
zerstört, meine Lungen versaut, meine Haut in altes Leder
verwandelt und mich umbringt, bevor ich fünfundsechzig
werde.«
Vor Lachen glucksend zündete Slo seine Zigarette
an und sog den Rauch tief in seine Lungen. »Jetzt erzählen Sie mal,
Essie, Schätzchen. Wie kommt es, dass eine kluge Lady wie Sie
an einem Ort wie Twilights eingesperrt ist? Sie sind eine tolle
Frau und eindeutig nicht gaga, also …«
»Ach, wir sind alle nicht hier, weil wir uns nicht
mehr selbst ein Ei kochen könnten. Manche natürlich schon, aber die
meisten sind fit wie Turnschuhe. Manche wollten nicht mehr alleine
leben, andere hatten einfach keine andere Wahl.«
Slo zog die Augenbrauen hoch und hustete. »Sie –
entschuldigen Sie, muss nur meine Bronchien freimachen -, Sie
fallen wohl in letztere Kategorie, wenn ich nicht irre?«
»Wie lange haben Sie denn Zeit? Nein, Sie wollen
garantiert nicht die ganze traurige Geschichte hören. Ich werde
ganz bitter, wenn ich nur daran denke.«
»Bitteres sollte man besser rauslassen, als in
sich reinfressen.« Slo lächelte. »Außerdem habe ich alle Zeit der
Welt. Und seit Sie nach ein paar Fragen auf Anhieb meinen
Geburtstag gewusst haben, bin ich total fasziniert von Ihnen.
Wissen Sie was, Essie, Schätzchen, haben Sie Durst? Hunger?«
»Ja, schon, aber…«
»Warten Sie hier.« Schnaufend und ächzend rappelte
Slo sich auf. »Sie erzählen mir was aus Ihrem Leben, und
währenddessen machen wir ein kleines Picknick. Nein, bleiben Sie
sitzen. Ich hab alles im Griff.«
Essie hatte jedoch leise Zweifel, als sie
beobachtete, wie Slo sich den Weg zurück durchs Unterholz bahnte.
Über kurz oder lang bräuchte er wahrscheinlich eine
Herz-Lungen-Wiederbelebung. Und wo in Gottes Namen wollte der
verrückte alte Kauz hier draußen ein Picknick auftreiben? Sie
lächelte liebevoll vor sich hin. Er war allerdings ein netter Mann
und amüsant, selbst wenn er einen Sprung in der Schüssel hatte.
Aber ach, sein Geburtstag. Sie hätte nicht mit dem Feuer spielen
sollen. Das hatte sie wirklich nicht hören wollen.
Die Büsche knackten und krachten, Blätter und
kleine
Zweige wirbelten durch die Luft wie Konfetti, als Slo erneut
auftauchte, diesmal mit einer altmodischen Kühlbox im
Schlepptau.
»Bitte schön!«, keuchte er triumphierend. »Ich
verlass mich nie auf das Essen bei einem Termin in Twilights. Diese
Joy Tugwell macht ja einen auf ›Hungern für England‹. Alte
Knickerziege. Ein paar trockene Schnittchen und billiger Sherry –
das ist doch keine Art, eine Seele zu verabschieden, wenn Sie mich
fragen. Unsere Constance ist zwar ein bisschen knauserig in Sachen
Verpflegung, die würde Pappe essen, wenn’s die umsonst gäbe. Aber
unsere Perpetua macht mir heimlich immer eine kleine Brotzeit. Ich
hab sie mir zum Rauchen mit hier raufgebracht. Es reicht dicke für
zwei.«
Essie riss freudig erstaunt die Augen auf, als Slo
sich ächzend wieder niederließ und aus den Tiefen der Kühlbox dick
geschnittenes Weißbrot, unförmige Brocken Käse, ein Glas
hausgemachtes Chutney, zwei große windschiefe Fleischpasteten,
mehrere üppige Scheiben Obstkuchen, einige Äpfel und vier Dosen
eiskaltes Ingwerbier zum Vorschein brachte.
»Ist vielleicht ein bisschen zu deftig für eine
Lady wie Sie«, entschuldigte sich Slo. »Unsere Perpetua ist mehr
fürs Herzhafte, wenn’s ums Essen geht.«
»Es sieht herrlich aus«, sagte Essie, und meinte
es auch so. »Vielen, vielen Dank. Wollen Sie das wirklich mit mir
teilen?«
»Wenn ich nicht teilen wollte, hätte ich es ja
bestimmt nicht angeboten. Und nach dieser David-Copperfield-Nummer
von eben kann ich mir niemanden vorstellen, mit dem ich mein Essen
lieber teilen würde. Aber Mensch, das wird ja immer heißer.« Slo
wurstelte sich aus seinem Jackett und rollte die Hemdsärmel auf.
»Na dann, Schätzchen, langen Sie zu.«
Essie kam sich vor wie ein Kind, das eine
überraschende Belohnung erhalten hatte, und ließ es sich
schmecken.
Vergnügt mampfend und mit ein bisschen Ermunterung
von Slo erzählte sie ihm die Kurzfassung, wie sie in Twilights
gelandet war. Wie ihre Kinder, Patrick und Shirley, und deren
Partner, sie ihres Heims beraubt hatten. Wie man sie belogen und
betrogen hatte, und weil sie ihnen natürlich blind vertraut hatte,
es ihnen gelungen war, sich das Einzige unter den Nagel zu reißen,
was ihr wirklich etwas bedeutet hatte, nämlich ihr Haus. Und dann
hatte man sie rausgeworfen. Ganz gleich, wie oft sie diese
Geschichte erzählte, sie wurde immer noch jedes Mal zornig. Wie
hatten ihre Kinder – ihr eigen Fleisch und Blut – ihr das nur antun
können?
Slo konnte gut zuhören. Er unterbrach sie nur, um
bei Unklarheiten nachzufragen oder ihr noch mehr Essen oder
Ingwerbier anzubieten.
»Das ist das schönste Picknick, das ich je erlebt
habe«, seufzte Essie, als sie mit der ganzen traurigen Geschichte
fertig war, sich außerdem pappsatt gegessen und ihren Durst
gestillt hatte. »Vielen, vielen Dank.«
»Das Vergnügen war ganz meinerseits.« Slo wischte
sich den Mund mit einem großen schwarzgeränderten Stofftaschentuch.
»In der Tat kann ich mich nicht erinnern, mich je besser
unterhalten zu haben. Ein herrlicher Ort, gutes Essen und
wunderbare Gesellschaft – ganz zu schweigen von einer kostenlosen
Zaubervorführung obendrein. Ihre Geschichte jedoch hätte dem Ganzen
fast einen Dämpfer versetzt. Was für fiese, miese, gierige, linke
kleine Bastarde – verzeihen Sie bitte, Essie, Schätzchen – Ihre
Kinder doch sind. Wenn Sie die Bemerkung erlauben.«
»Durchaus. Treffender hätte ich es nicht
formulieren können – abgesehen von dem Begriff Bastarde. Sie wurden
beide ganz und gar ehelich geboren. Aber denken wir nicht mehr an
sie. Vielen Dank fürs Zuhören, und dass Sie sich als
Versuchskaninchen
zur Verfügung gestellt haben und für das Picknick. Sie haben aus
einem Tag, der sehr traurig hätte werden können, einen überaus
angenehmen gemacht.«
»War mir eine Freude«, sagte Slo und angelte sich
fröhlich eine Nachtischzigarette. »Das sollten wir gelegentlich mal
wiederholen. Das heißt, falls Sie möchten, was natürlich wohl kaum
der Fall sein wird.«
Essie hielt den Atem an. Sollte sie? Bei diesem Geburtstag? Aber wer war sie schon, um
Kräften zu trotzen, die weitaus stärker waren als sie? Vielleicht
hatte es so kommen sollen, dass sie Slo traf und ihn als
Versuchskaninchen benutzte? Vielleicht war die ganze Begegnung
vorherbestimmt, um ihr zu zeigen, dass sie
mit der Geburtstags-Magie auf dem rechten Weg war?
Sie zögerte noch einen Augenblick, dann nickte
sie. »Ja, gerne. Ehrlich. Und nächstes Mal sorge ich für das
Picknick.«
»Kommt nicht in Frage.« Slo stieß eine Rauchwolke
aus wie ein zorniger Drache. »Ich mag ja nicht viel Erfahrung haben
im Umgang mit dem schönen Geschlecht, aber ich weiß doch, was sich
gehört. Nächstes Mal machen wir es richtig. Ein richtiges Essen.
Auf meine Kosten.«
Essie lächelte. »Das diskutieren wir dann später.
Ich habe immer für mich selbst bezahlt. Aber die Tugwells sind ein
wenig … Nun, sie lassen uns nicht gerne ausgehen, vor allem mich
nicht. Ich hatte da mal ein bisschen Ärger in Winterbrook. Nein,
diese Geschichte wollen Sie jetzt nicht auch noch hören. Sonst
glauben Sie noch, ich wäre irgendwie nicht ganz richtig im Kopf und
mein Leben eine einzige lange Gruselgeschichte – falls Sie das
nicht ohnehin schon denken. Aber wie dem auch sei, seither haben
die Tugwells mich daran gehindert, allein nach Hazy Hassocks oder
sonst irgendwohin zu gehen.«
»Zum Teufel mit den Tugwells!«, dröhnte Slo und
ließ vor Aufregung seine Zigarette fallen, woraufhin er im Moos
herumgrabbeln musste, um sie wiederzufinden. Ein ganzes Moospolster
fing zu schwelen an, und er löschte es mit dem Rest des
Ingwerbiers. »Ich glaube, es war Schicksal, dass wir uns begegnet
sind, Essie, Schätzchen. Und schließlich werden Sie ja nicht
alleine sein. Ich werde mit dem Daimler kommen und Sie abholen, wie
es sich gehört, und dann fahren wir zum Tee nach Hassocks, und Sie
erzählen mir noch mehr über Ihren Geburtstagszauber, wenn Sie
mögen, und später bring ich Sie dann wieder zurück. Dagegen können
die Tugwells doch nichts haben, oder?«
Essie dachte, dass sie das wahrscheinlich sehr
wohl könnten und sicher auch täten. »Sie meinen – wie bei einem
Rendezvous?«
Slo schaute sie leicht verdutzt an, dann strahlte
er. »Wissen Sie was, Essie, ich glaube, genau so meine ich das. Wie
bei einem Rendezvous.«