11.
Kapitel
Entsetzt starrten sie einander wortlos an.
Phoebe, der seine Blicke nur allzu peinlich bewusst waren und die
sich jetzt wünschte, sie trüge ein Autorität ausstrahlendes
Geschäftskostüm mit hochgeschlossenem Kragen anstelle der reichlich
knappen engen weißen Shorts und des nabelfreien rosa Oberteils,
traute ihren Augen kaum.
Rocky? Hier? Bei Essie? Der Frau, die er – wie er
selbst zugegeben hatte – grün und blau geschlagen hatte?
Und die arme vertrauensselige
»Ich-glaube-an-das-Guteim-Menschen«-Essie lächelte
freundlich.
Phoebes ganzer Zorn wallte auf, sodass sie am
liebsten vor Wut bebend mit den Füßen gestampft und dann auf den
brutalen, hassenswerten, perversen, blöden Rocky Lancaster
losgegangen wäre und ihn grün und blau
geschlagen hätte.
Da sie aber einsah, dass das in Wirklichkeit keine
gute Idee war, funkelte sie ihn nur weiterhin zornig an. »Was zum
Teufel haben Sie denn hier zu suchen?«
Rocky zuckte die Achseln. »Dasselbe könnte ich Sie
fragen.«
Essies Lächeln schwand, und sie schaute neugierig
von einem zum anderen. »Ihr kennt euch wohl?«
Rockys Mundwinkel zuckten amüsiert. »Leider ja.
Obwohl kennen ja eine gewisse Vertrautheit
oder Freundschaft beinhalten würde. Davon kann zum Glück keine Rede
sein. Aber wir sind flüchtige Bekannte, ja, so könnte man es wohl
nennen.«
Phoebe hätte vor Zorn in die Luft gehen können und
ballte die Fäuste. »In der Tat wohnen wir unglücklichweise im
gleichen Haus«, sie sah Essie eindringlich an, »aber was in aller
Welt macht er denn hier? Sind Sie denn von Sinnen?«
»Nun, wenn Sie so fragen, ein bisschen verrückt
bin ich wohl schon, aber nicht im klinischen Sinne, soviel ich
weiß. Was für ein Zufall, dass ihr beide zusammenwohnt.«
»Tun wir nicht!«, sagten Phoebe und Rocky im
Chor.
»Wir wohnen im gleichen Haus, aber in getrennten –
ganz und gar getrennten – Wohnungen«, zischte Phoebe. »Und nach
dem, was er getan hat, sollten Sie ihn nicht mehr in Ihre Nähe
lassen.«
»Verzeihen Sie, meine Liebe.« Essie zog fragend
die Augenbrauen hoch. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Phoebe glaubt, sie wüsste genau, was ich getan
habe«, fiel Rocky ein. »Sie findet, man hätte mich hängen, rädern
und vierteilen sollen – und dann im Kerker verrotten lassen.«
Essie schüttelte den Kopf. »Wieso denn bloß? Ach,
Rocky, mein Lieber, nehmen Sie doch Platz.«
»Wagen Sie es ja nicht, sich hinzusetzen!«,
fauchte Phoebe ihn an. »Was zum Teufel geht hier eigentlich
vor?«
»Das frage ich mich auch.« Essie sah Phoebe
verwundert an. »Ich finde, Sie sollten sich bei Rocky
entschuldigen. Immerhin …«
»Entschuldigen? Entschuldigen? Das soll wohl ein
Scherz sein?«
Rocky setzte sich, ohne auf Phoebe zu achten, in
den anderen Sessel, streckte seine langen Beine aus und sah Essie
schmunzelnd an. »Phoebe glaubt, ich hätte Sie überfallen. Sie
meint, ich wäre deshalb ins Gefängnis gekommen.«
Phoebe war fassungslos über diese Dreistigkeit.
»Ganz recht, und so war es ja wohl auch.«
Essie schüttelte den Kopf. »Also wirklich, Phoebe,
ich muss mich schon wundern. Auch wenn wir uns eben erst
kennengelernt haben, meine Liebe, war mir doch, als hätten Sie
manches gemeinsam mit der jungen Frau, die ich selbst einmal war.
Aber ich hätte niemals …« Sie sah Rocky an. »Und Sie, Sie schlimmer
Schlingel, haben es ihr wohl nicht erzählt?«
»Nein. Warum sollte ich? Sie hatte mich ja bereits
für schuldig befunden und verurteilt. Warum hätte ich versuchen
sollen, sie umzustimmen?«
»Aber Sie sind doch schuldig!«, fuhr Phoebe ihn
an. »Das wissen Sie doch! Sie waren im Gefängnis! Das haben Sie mir
selbst erzählt, alle haben mir das erzählt! Das können Sie doch
nicht abstreiten.«
»Habe ich gar nicht vor.«
»Was soll dann dieser Besuch hier? Gehört das zu
einer von diesen sentimentalen Rehamaßnahmen? Von wegen: Versöhn
dich mit deinem Opfer? War ja gar nicht so böse gemeint? Oder ist
es die reine Heimtücke? Kommen Sie zurück, um es noch einmal zu
versuchen? Mal sehen, was mit ein bisschen Gewaltanwendung bei ihr
noch zu holen ist? Ich fasse es nicht …«
»Nun mal aber halblang!« Essie schmunzelte übers
ganze Gesicht. »Hören Sie, Phoebe, setzen Sie sich doch bitte
wieder hin. Ich glaube, wir sollten uns alle erst mal ein bisschen
beruhigen und klären, was hier eigentlich los ist.«
Immer noch kochend vor Wut setzte Phoebe sich hin
und funkelte Rocky quer durch das winzige, drückend heiße Zimmer
an. Rocky funkelte zurück. Essie sah von einem zum anderen und
lächelte dann.
»Schön – jetzt herrscht also vorerst
Waffenstillstand, einverstanden? Gut.« Sie lehnte sich im Sessel
zurück. »Also, jetzt seid ihr beide mal einen Moment lang still,
und überlasst mir das Reden.«
Rocky und Phoebe glühten einander weiterhin
an.
Zum Teufel mit ihm, dachte Phoebe. Offenbar ist er
nicht nur ein feiger heimtückischer Schläger, sondern auch noch ein
ganz abscheulicher Heuchler. Weil er so verdammt gut aussieht,
meint er wohl, er kann sich mit einer Charmeoffensive Essies
Vertrauen erschmeicheln – sodass sie Mitleid mit ihm hat -, und
dann schlägt er zu. Wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes.
Tja, das werde ich nicht zulassen. Jemand muss sie beschützen. Arme
alte Seele. Und beinahe hätte ich ihr auch noch all das Zeug über
diesen Geburtstagszauber geglaubt.
»Rocky war im Gefängnis wegen schwerer
Körperverletzung«, sagte Essie und sah Phoebe an. »Aber nicht gegen
mich. Mich hat er nicht angerührt. Er hat mich gerettet. Eine
Medaille hätte er verdient, keine verfluchte
Gefängnisstrafe.«
Phoebe runzelte verständnislos die Stirn. »Wie
bitte? Was meinen Sie?«
»Ich bin in Winterbrook von einer Bande
Jugendlicher überfallen worden. Rocky kam vorbei, hörte den Tumult
und eilte mir zu Hilfe. Er hat die Kerle vertrieben, meine
Handtasche zurückgeholt, sich vergewissert, dass es mir gut geht,
den Krankenwagen und die Polizei gerufen …«
»Was?«
»Das ist die Wahrheit«, sagte Essie ärgerlich.
»Die volle Wahrheit. Die Polizei hat Beschreibungen der Täter
aufgenommen, und die kleinen Mistkerle wurden alle gefasst. Kurz
und gut, sie sind vor Gericht, wir alle sind vor Gericht, aber sie
haben gelogen und gelacht und sind mit lächerlichen Strafen
davongekommen, gemeinnützige Arbeit. Weil
ihre Anwälte behauptet haben, sie wären sozial benachteiligt, und
der beschränkte Richter ist ihnen voll auf den Leim gegangen. Die
armen kleinen Bubis – haben mein Geld gebraucht, weil es
ihnen an elterlicher Liebe fehlte. Konnten nicht Gut von Böse
unterscheiden, weil sie aus zerrütteten Familien kamen. So ein
Quatsch! Ungezogene Lümmel ohne einen Funken Anstand, Moral und
Respekt! Keiner«, jetzt wurde Essie noch heftiger, »keiner hat mir
zugehört. Und Rocky auch nicht. Keiner!«
»Aber warum …?« Phoebe schüttelte den Kopf, es
beschlich sie das scheußliche Gefühl, dass sie vielleicht einiges
wirklich völlig falsch verstanden haben könnte. »Warum ist denn
dann Rocky ins Gefängnis gekommen, wenn er …?«
»Weil«, sagte Rocky ganz ruhig, »ich mich im Eifer
des Gefechts zu, äh, Handgreiflichkeiten habe hinreißen lassen.
Nachdem ich die kleinen Mistkerle abgewehrt und Essies Handtasche
zurückgeholt hatte, na ja, da ist mein Temperament mit mir
durchgegangen. Langer Rede kurzer Sinn: Einer der Drecksäcke hat
mich angezeigt, weil ich ihn zusammengeschlagen habe – was
natürlich stimmte, wie ich bereitwillig zugegeben habe.«
»Das war noch viel zu wenig«, warf Essie empört
ein. »Sie hätten ihn totschlagen sollen, den unverschämten kleinen
Scheißkerl! Und irgendwelche blöden Besserwisser, die den Überfall
auf mich nicht gesehen hatten, aber beobachtet haben, wie Rocky für
angemessene Vergeltung gesorgt hat, sind hergegangen und haben
ausgesagt, Rocky hätte grundlos zugeschlagen. Also hat die Polizei
Rocky verhaftet und die dusseligen Wachtmeister haben den Fall vor
Gericht gebracht und … und der zweite beschränkte Richter ist auf
die rührselige Geschichte reingefallen. Hat gesagt, Rocky war älter
und stärker als sein Opfer. Opfer, dass ich
nicht lache! Hat gesagt, er müsse ein Exempel statuieren – damit
die Leute nicht einfach das Gesetz selbst in die Hände nehmen, weil
wir schließlich in den Straßen von Berkshire nicht einfach
Selbstjustiz verüben könnten!«
»Aber das ist ja völlig verrückt.« Phoebe runzelte
die Stirn. »Das ist doch keine Gerechtigkeit!«
»Meine Rede!«, schnaubte Essie. »Der alte
Widerling hat gesagt, wenn er Rocky nicht zum Präzedenzfall machen
würde, herrschte im ländlichen England bald offener Bürgerkrieg.
Liebe Güte! Können Sie sich vorstellen, wie ich mich gefühlt habe?
Rocky, der Mann, der mich couragiert vor einer Bande außer Rand und
Band geratener Flegel gerettet hat, musste ins Gefängnis, während
die kleinen Mistkerle, die mich überfallen haben, quasi ungeschoren
davongekommen sind!«
Phoebe schluckte. Ach herrje, auch wenn der
Richter alles total verdreht hatte, so hatte sie selbst ja wohl
einen noch größeren Fehler gemacht.
»Essie war als Zeugin bei meiner
Gerichtsverhandlung ganz großartig«, sagte Rocky lachend. »Nachdem
ich verurteilt worden war, hat sie den Richter angeschrien – und
ihm die Meinung gesagt. Hat ihm noch mal erklärt, was passiert ist.
Hat ihm erklärt, er sei ein tatteriger alter Kommunist, ein
grenzdebiler engstirniger Oberklassentrottel, war’s nicht so,
Essie? Um ein Haar hätte man auch sie noch eingesperrt.«
»Idioten! Missachtung des Gerichts hieß es.
Missachtung beschreibt nicht mal annähernd, was ich für diese Bande
empfunden habe. Eine verfluchte Schmierenkomödie war das, und das
hab ich auch gesagt.« Essie sah Phoebe scharf an. »Aber es
überrascht mich, dass Sie davon gar nichts wussten, meine Liebe. Wo
Rocky doch Ihr Nachbar ist und so.«
»Phoebe hatte zu der Zeit andere Dinge im Kopf«,
warf Rocky ein, ehe sie etwas sagen konnte. »War eine Menge los in
ihrem Leben. Langweilige Gerichtsreportagen im Winterbrook Advertiser zu lesen, stand nicht sehr
weit oben auf ihrer Liste interessanter Beschäftigungen. Außerdem
muss man der Fairness halber erwähnen, dass ich auf meinen Flügen
so oft
längere Zeit nicht zu Hause war, dass ihr meine Abwesenheit
wahrscheinlich kaum aufgefallen ist.«
Phoebe nickte reumütig. Ach herrje.
»Und natürlich ist Rocky nur ein lebenslanger
Spitzname, sodass viele Leute vermutlich gar nicht gemerkt haben,
dass es um mich ging, als vor Gericht und in den Zeitungen mein
richtiger Name genannt wurde.«
Phoebe nickte wieder. Wie sie sich gedacht hatte,
wurde ja wohl niemand auf den Namen Rocky getauft. »Wie heißen Sie
denn wirklich?«
»Ist nicht wichtig.«
»Ist es doch. Ich finde, das sind Sie mir
schuldig.«
»Ich bin Ihnen gar nichts schuldig.«
»Kinder!« Essie strahlte die beiden erheitert an.
»Nicht Streiten beim Spielen. Und sag ihr deinen Namen, Rocky. Er
ist sehr hübsch.«
Rocky antwortete mürrisch: »Avro.«
»Avro?« Phoebe rümpfte die Nase. »Das ist ja noch
ulkiger als Rocky.«
»Vielen Dank auch.«
»Sie sind zu jung, um die Verbindung
herzustellen«, sagte Essie vergnügt. »Man muss den Nachnamen
dazunehmen – Avro Lancaster -, so hieß ein ganz großartiges
Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Rockys Eltern waren anscheinend
Flugzeugfans.«
»Richtige Freaks«, brummelte Rocky. »Haben sich
bei einem Flugzeugbeobachtungs-Club kennengelernt. Ich glaube, ich
wurde auf Biggin Hill gezeugt.«
»Sind Sie deshalb Steward geworden?«, fragte
Phoebe unschuldig. »Lag das in den Genen?«
»Nein, lag es nicht! Außerdem schweifen wir vom
Thema ab.«
»Stimmt«, pflichtete Essie ihm bei. »Und ich
möchte nicht, dass ihr zwei euch in meinem Appartement wie Hund und
Katze zankt, nein danke. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja,
warum Phoebe nichts von unseren Gerichtsverhandlungen mitbekommen
hat.«
Rocky, dachte Phoebe, sah richtig angefressen aus,
dass er so viel von sich preisgegeben hatte. Ha! Gut!
»Aber warum hat Mindy mir nichts erzählt?«
»Ach Mindy, die gute Mindy.« Rocky zog die
Augenbrauen hoch. »Tja, sie hat sich so geschämt, einen
gewalttätigen Knastbruder zum Freund zu haben, dass sie es keiner
Menschenseele erzählt hätte, schon gar nicht denen, die noch nichts
davon wussten. Und Sie dachten bestimmt – weil Sie unsere Kräche
mit angehört haben -, dass ich im Gefängnis war, weil ich sie
misshandelt hätte, stimmt’s?«
»Tja nun …« Phoebe merkte, wie sie rot anlief.
»Ja, aber …«
»Ich habe sie nie grob angefasst. Niemals. Ich bin
alles andere als gewalttätig. Vor Essies Überfall habe ich in
meinem ganzen Leben noch niemanden geschlagen – abgesehen von
harmlosen Schulhofraufereien. Ich würde nie eine Frau schlagen, das
könnte ich gar nicht, egal wie sehr sie mich provoziert. Und Mindy
hätte sogar einen Heiligen provozieren können. Wie auch immer, der
Airbuspilot war nicht Mindys erster, ähm, Seitensprung. Deshalb
hatten wir ja auch ständig Streit. Mindy wollte schon immer hoch
hinaus. Irgendein Kerl mit Joystick – das war Mindys Motto.«
Phoebe stieß die Luft aus. Ach du liebe Güte
…
»Aber warum zum Teufel haben Sie mir das nicht
gesagt? Warum haben Sie mich in dem Glauben gelassen …«
»Weil es mich amüsiert hat. Sie saßen so schön auf
Ihrem hohen Ross. Sie hatten Angst vor mir, nicht wahr? Aber Sie
waren auch ganz schön mutig. Haben sich mit mir angelegt, obwohl
Sie dachten, ich könnte zuschlagen, stimmt’s? Ich fand es
reichlich amüsant, Phoebe, wie Sie mir aus dem Weg gegangen sind,
alle Türen und Fenster verriegelt haben, sogar bei dieser
Affenhitze, und vor mir zurückgewichen sind, sobald weniger als
fünfhundert Meter zwischen uns lagen.«
Oh Gott, dachte Phoebe düster. Er wusste es.
»Böser Junge!« Essie gluckste. »Gar nicht witzig.
Arme Phoebe – sie hat sich bestimmt vor Ihnen gefürchtet.«
»Sie hätten es mir sagen sollen, damit ich mich
nicht weiter zum Narren mache.«
»Hätten Sie mir denn geglaubt? Nein,
wahrscheinlich nicht. Sie hatten ja bereits beschlossen, dass Mindy
mich verlassen hat, weil ich ein Schläger bin, oder? Dann haben Sie
erfahren, dass ich im Gefängnis war, und irgendwer hat Ihnen
erzählt, aus welchem Grund, und Sie haben zwei und zwei
zusammengezählt und ungefähr fünfhundert herausbekommen.«
Sie saßen einen Moment lang schweigend da. Phoebe
wusste, dass sie sich nun eigentlich entschuldigen müsste. Ach
Gott, Elton John hatte ja so Recht. Sorry war wirklich das
schwierigste Wort.
»Tut mir leid.«
»Ist schon gut.« Rocky zuckte mit den Achseln.
»Wahrscheinlich bin ich froh, dass Sie jetzt die Wahrheit kennen.
Auch wenn es mir meinen leicht verdrehten Spaß verdirbt. Aber im
Grunde macht es doch keinen Unterschied, oder?«
Oh doch, dachte Phoebe. Es machte einen riesigen
Unterschied. Es hieß, dass sie ihn richtig, richtig mies behandelt
hatte – und es hieß außerdem, dass sie in der Winchester Road
bleiben konnte.
»Nein, ich schätze nicht.«
»Gut«, sagte Essie. »Das wäre also geklärt. Dann
sind wir jetzt alle gute Freunde, nicht wahr?«
Rocky, dachte Phoebe, sah immer noch alles andere
als freundlich aus.
Essie stand auf. »Dann sollten wir jetzt auch die
Förmlichkeiten beiseitelassen und Du zueinander sagen. Ich hole uns
etwas Gutes zu trinken, damit wir darauf anstoßen können. Und du,
Phoebe, kannst Rocky inzwischen erzählen, worüber wir heute Abend
gesprochen haben, wenn du nichts dagegen hast. Rocky und ich haben
keine Geheimnisse voreinander.«
Phoebe schüttelte den Kopf. Welches Recht hätte
sie, irgendwelche Einwände zu erheben? »Nein, natürlich nicht, aber
ich sollte sowieso lieber gehen, von daher kannst auch du es ihm
erzählen. Ihr beide habt offenbar noch einiges zu besprechen und
einander viel zu berichten.«
»Ach, das ist nicht mein erster Besuch hier. Wir
sehen uns öfters«, sagte Rocky. »Essie war wirklich wunderbar. Sie
war die Einzige, die mich im Gefängnis besuchen kam – na ja,
abgesehen von einigen meiner Freunde natürlich -, und sie musste
dabei so tun, als ginge sie zum Doktor oder zum Zahnarzt, weil die
doofen Tugwells sie nicht mehr rauslassen wollten. Ohne sie hätte
ich das alles kaum durchgestanden. Zu einer Zeit, als weder Mindy
noch meine Familie etwas mit mir zu tun haben wollten, hat Essie
immer zu mir gehalten. Sie war, nein ist, ein echter Schatz.«
»Und jetzt«, sagte Essie kichernd von der
Kochnische her, »hab ich ein paar Fäden gezogen, und weil Rocky
einen tollen Bewährungshelfer hat, der die Wahrheit erkennt, wenn
er sie hört, konnte ich ihm hier einen Job besorgen. Als Gärtner.
Wusstest du, dass er Gärtner ist, meine Liebe? Wahrscheinlich schon
– aber er musste sich natürlich selbstständig machen -, bei den
vielen Arbeitslosen und Wirtschaftsflüchtlingen, die ja in der
Regel nicht vorbestraft sind. Rocky schafft das schon,
aber er braucht so viele Aufträge wie möglich, um seine Firma über
Wasser zu halten.«
»Das war aber nett von dir – ihm Arbeit zu
verschaffen.«
Essie ließ die Gläser klirren. »Das war doch das
Mindeste, nach allem, was er für mich getan hat. Ich wusste, dass
der Vertrag unseres bisherigen Gärtners gekündigt worden war und
dass die enorme Joy und der kleine Tony einen anderen suchten –
einen billigeren. Bert hat für mich aus dem Büro die Angebote
stibitzt – er ist ein gerissener kleiner Teufel, hätte das Zeug zu
einem zweiten James Bond gehabt, wenn seine Mutter ihn nicht so eng
am Schürzenband gehalten hätte. Jedenfalls, mit Hilfe des
Bewährungshelfers und den neuen Regeln zur Rehabilitation von
Straftätern haben Rocky und ich ein Angebot ausgetüftelt, das die
Tugwells und die Gemeinde einfach nicht ablehnen konnten, und heute
Abend hat er mir berichtet, dass er den Auftrag bekommen
hat.«
Phoebe sah kurz zu Rocky hinüber.
»Glückwunsch.«
»Danke.«
»Nun«, fuhr Essie vergnügt fort, »seid ihr beide
meine Schützlinge und werdet einander oft begegnen – sowohl zu
Hause wie auch hier -, und darum ist jetzt ein für alle Mal Schluss
mit all diesen albernen Missverständnissen. Ist das nicht
herrlich?«
Phoebe sah Rocky an, der ihren Blick ungerührt und
leicht spöttisch erwiderte.
»Äh, ja«, sagte Phoebe matt. »Ganz
herrlich.«