9.
Kapitel
Was
bitte hast du gemacht?«
Clemmie, YaYa und Suggs starrten Phoebe dreifach
entsetzt an.
»Mich bereit erklärt, ein paar Horoskope zu
deuten, Astralcharts zu erstellen und so.«
»In Twilights? Für all diese alten Leute? Heute
Abend? An einem Montagabend?« YaYa schüttelte den Kopf. »Wir sind
doch extra zu deiner einsamen Wohnung gekommen, um dich auf ein
oder zwei Gläschen Chardonnay und einen Frauenplausch zu entführen.
Na ja, eine Frau, ein Transvestit und ein Frettchen, aber du weißt
schon, wie ich es meine. Und jetzt erklärst du uns, du hättest
schon was anderes vor?«
»Und«, fiel Clemmie ein, mit vollem Mund und einem
kleinen Plastikbehälter Oliven in der Hand, »du hast nicht nur was
anderes vor, sondern willst Madame Suleika spielen, obwohl du uns
neulich erklärt hast, dass du das a) nie wieder tun wirst und b)
selbst nicht mehr daran glaubst und c) …«
»Nenn mich nicht Madame Suleika! Seit wir zusammen
zur Schule gingen, hast du immer mit dem Namen Madame Suleika über
meine Astrologie gespottet. Ich habe mich nie Madame Suleika
genannt!«
Lachend schüttelte Clemmie den Kopf. »Ach du liebe
Zeit. Du bist ja ganz schön empfindlich als Astro-Diva! Okay, ich
hör schon auf mit Madame S., versprochen. Aber im Ernst,
Phoebe, wenn du an Astrologie nicht mehr glaubst, dann verstehe
ich nicht, warum du dich bereit erklärt hast …«
»Ach, ich habe mich noch zu viel mehr bereit
erklärt«, sagte Phoebe leichthin und machte das Köfferchen mit
ihren Ephemeriden und Sternzeittabellen zu. »Ich habe auch euch als
Freiwillige vorgeschlagen.«
»Uns?« YaYa machte ein verständnisloses Gesicht.
»Wir schauen nicht in die Zukunft, Liebes. Und mich kriegst du in
kein Altersheim. Allein schon wegen dieser todesnahen Atmosphäre
und dem allgegenwärtigen Geruch nach Pipi und Keksen.«
Phoebe lachte. »Du hast völlig falsche
Vorstellungen und liegst weit daneben. Twilights ist sehr nett – na
ja, so nett eine solche Einrichtung eben sein kann, die Bewohner
sind fit wie Turnschuhe, und du warst doch diejenige, die gesagt
hat, ich sollte nach Zusatzverdiensten Ausschau halten und meine
Talente nutzen und …«
»Ja, Liebes«, YaYa nickte, »aber doch nicht, indem
du wehrlosen Altchen die Rente aus den Taschen ziehst.«
»Die Tugwells bezahlen mich für die
Astrologiesache, als Teil einer Reihe von Unterhaltungsangeboten,
und an diesem Punkt kommt auch ihr ins Spiel. Ich hatte The Gunpowder Plot für einen Feuerwerksabend
vorgeschlagen.«
»Ach so.« Clemmie kaute genüsslich eine schwarze
Olive. »Ja, das geht in Ordnung. Guy ist sicher einverstanden. Er
macht immer wieder mal Gratis-Feuerwerke für wohltätige Zwecke.
Lass uns einfach wissen, was gewünscht wird und wann, dann werden
wir da sein.«
»Und ich?« YaYa strich ihr hautenges
türkisfarbenes Strandkleid glatt und setzte sich liebreizend in
Pose. »Und die Mädels? Foxy und Cinnamon und die anderen? Mit ein
paar der klassischeren Nummern unserer Travestieshow?«
»Eben hast du noch gesagt, du wolltest mit alten
Leuten nichts zu tun haben.«
»Ja, aber nur weil ich dachte, ich sollte
wahrsagen. Für eine kleine Showeinlage bin ich immer zu haben. Wir
würden gerne ein altmodisch angehauchtes Varietéprogramm oder sonst
was Passendes geben.«
»Tja, daran hatte ich noch gar nicht gedacht –
nein, eigentlich schon, aber ich dachte, ihr wärt vielleicht ein
bisschen zu, äh, gewagt für Twilights. Wenn ihr allerdings etwas
mehr, äh, Jugendfreies machen wollt, könnte ich euch sicher
vorschlagen.«
YaYa wirkte besänftigt.
»Sukie hat zugesagt, mit den Cancan-Tänzerinnen
von Bagley-cum-Russett zu kommen, vielleicht könntet ihr ja
irgendwann alle gemeinsam eine Show veranstalten. Aber jetzt«,
Phoebe nahm ihr Köfferchen, »muss ich flitzen.«
Clemmie schlürfte den restlichen Saft ihrer Oliven
und klatschte in die Hände. »Mensch, Phoebe, ist das heiß hier drin
– und sag bloß nicht, das käme von meinen Hormonen -, ich versteh
gar nicht, warum du alle Türen und Fenster zu hast. Können wir
Suggs eben noch schnell zum Pinkeln rauslassen, bevor wir ihn
wieder mit ins Auto nehmen?«
Phoebe nickte, und Suggs trippelte zu den
Terrassentüren. Als Clemmie ihm öffnete, um ihn in den
Innenhofgarten zu lassen, wehte der betörende Duft von Jasmin und
Geißblatt in die Wohnung.
»Mein lieber Schwan!«
»Was denn?« Phoebe sah zu Clemmie hinüber. »Was
ist los?«
»Nichts.« Clemmie schüttelte den Kopf. »Gar
nichts. Aber den hast du uns ja bislang verschwiegen,
Phoebe.«
»Wen?«
»Den Gärtner da draußen, der sich an dem
wuchernden
Efeu zu schaffen macht. Sonnengebräunter Oberkörper und enge
Jeans. Der ist ja totaaal hinreißend.«
»Und Sie, Mrs Devlin«, sagte YaYa streng, »sind
eine sehr verheiratete und ziemlich schwangere Frau – beides dank
meines besten Freundes Guy -, also beherrschen Sie sich in Ihren
Gelüsten nach Phoebes Handlanger.«
»Das ist nicht mein Handlanger«, warf Phoebe rasch
ein. »Das ist Rocky Lancaster. Er ist, äh, Gärtner, und hat sich in
den Kopf gesetzt, den Innenhof in Ordnung zu bringen.«
»Das ist Rocky? Wow, du hast nie erwähnt, dass er
so toll aussieht! Und ehrlich, ich habe keine Gelüste nach ihm. Ich
meine, schließlich bin ich mit dem begehrenswertesten Mann der Welt
verheiratet«, kicherte Clemmie, »aber du musst doch zugeben, dass
Rocky haarscharf so aussieht wie dieser schöne Jüngling, der in dem
Fernsehfilm über die Tudors Henry den Achten gespielt hat. Er ist
wirklich eine Augenweide. Und wurde auch kürzlich verlassen? Ach,
Phoebe, hast du herausgefunden, warum Mindy sich von ihm getrennt
hat? Wenn er sie nicht gerade betrogen oder verprügelt hat, kann
sie ja nicht ganz bei Trost sein.«
»Keine Ahnung«, antwortete Phoebe knapp. »Wir
reden nicht viel.«
»Clemmie hat Recht, du hast gar nicht erzählt, wie
süß er ist!« YaYa äugte über Clemmies Schulter. »Bist du sicher,
dass er kein geeigneter Kandidat wäre, um dein gebrochenes Herz
wieder zu kitten?«
»Garantiert nicht!«, sagte Phoebe energisch.
»Also, wenn Suggs fertig ist, muss ich jetzt wirklich gehen.«
YaYa scharwenzelte in den Garten hinaus, warf ihr
aschblondes Haar über die Schultern, und gleich darauf lachte
Rocky, dem sie mit den langen Wimpern klimpernd tief in die Augen
sah, über irgendetwas, das sie sagte.
»Ach, schau!«, flötete Clemmie. »Er spielt sogar
mit Suggs! Attraktiv, ungebunden, transvestitenfreundlich und auch
noch tierlieb! Was willst du denn mehr, Phoebe?«
»Ihn nicht – und auch keinen anderen Mann.«
»Okay.« Clemmie hob die Hände. »Ich geb’s auf. War
ja nur Spaß. Geht es dir gut?«
»Unverändert. Es geht, aber gut wäre stark
übertrieben. Hör mal, Clemmie, ehrlich, ich weiß sehr zu schätzen,
was ihr für mich tut. Alle waren echt toll, aber ich muss einfach
die Zähne zusammenbeißen und mein Leben leben und versuchen, nicht
darüber nachzudenken, was, na ja, du weißt schon. Deshalb mache ich
ja auch all diese Sachen da in Twilights. Alles ist besser, als
Abend für Abend mit all den Erinnerungen hier zu hocken.«
»Nicht – sonst muss ich gleich wieder weinen. Mir
kommen immer noch bei jeder Gelegenheit sofort die Tränen, aber
wenigstens ist das mit der Übelkeit vorbei.« Clemmie umarmte sie
kurz. »Und jetzt los – ab mit dir. Hol deine Kristallkugel raus,
und mach die Oldtimer glücklich.«
»Also wie heißt das gleich noch mal?« Eine halbe
Stunde später spähte Bert erwartungsvoll über den Tisch. »Dieses
Kartenspiel? Und was macht man damit?«
»Hä? Wie? Ach ja – Entschuldigung.«
Phoebe war ganz in Gedanken gewesen und hoffte
inständig, dass Clemmie und YaYa ihre »Ich-hasse-Rocky«-Vibrations
nicht gespürt hatten, denn sonst würden sie ihr später nur
unangenehme Fragen stellen und erklären, dass sie die Winchester
Road verlassen musste, was ihr sowieso klar
war, worüber sie im Augenblick aber nicht nachdenken wollte, nein
danke.
Sie sah auf die vor ihr ausgebreiteten Karten.
»Ach ja, richtig,
also diese Karten nennt man die Großen Arkana, diese Tarotkarten
symbolisieren das, was in einem und um einen herum so vor sich
geht. Die anderen sind die Kleinen Arkana. Davon gibt es vier
Farben, Kelche, Stäbe, Pentakel und Schwerter, von jeder Sorte
vierzehn Karten, und die beziehen sich mehr auf die Persönlichkeit
des Fragestellenden. Ich verwende meistens beide Kartensätze
zusammen, um ein vollständiges Bild zu gewinnen. Können Sie das so
weit nachvollziehen?«
»Äh – danke.« Der hutzelige kleine Bert, dessen
graue Kopfhaut durch die spärlichen grauen Haare durchschimmerte,
lächelte sie mit überraschend schönen großen braunen Augen an. »Das
sind sehr schöne Karten. Ich mag schöne Sachen aus Papier. Ich
mache Origami, wissen Sie. Und auch Makramé, selbst wenn die Knoten
manchmal ganz vertrackt sind bei meiner Arthritis, dann nehme ich
Klebstoff. Früher hab ich auch Collagen gemacht – mit Reis und
getrockneten Linsen -, aber die sind immer runtergefallen und
irgendwie in meine Socken geraten, darum hab ich damit aufgehört.
Ehrlich gesagt hab ich gedacht, diese Tarotsache wär ein bisschen
unheimlich. Ich hatte Angst, ich bekäm vielleicht lauter
Todeskarten.«
Phoebe schaffte es, keine Miene zu verziehen, und
ordnete die Karten. »Nein, nein. Schauen Sie, der Gehängte und der
Tod gehören beide zu den Großen Arkana, aber keine dieser Karten
kündigt das Ende Ihres Lebens an. Ganz im Gegenteil – wie Sie sehen
werden, falls Sie in Ihrer Deutung vorkommen sollten. Was auch
immer die Karten Ihnen sagen, es wird nichts sein, wovor Sie sich
fürchten müssten. Okay?«
»Ja, vielen Dank. Ich verstehe. Ich wollte ja
Tarot und kein Horoskop. Ich weiß, was in meinem Horoskop steht,
ich hab mir mal eins machen lassen. Von einer Freundin meiner
Mutter.
Die hat gesagt, ich stünde unter einem schlechten Stern und würde
allen Leuten, mit denen ich zu tun habe, nur Unglück bringen und
einsam alt werden und ganz allein sterben. Ich dachte mir, die
Tarotkarten haben vielleicht bessere Nachrichten für mich.«
»Zum Teufel noch mal!« Phoebe fasste es kaum.
»Dafür, dass sie Ihnen solchen Unsinn erzählt hat, sollte man die
Freundin Ihrer Mutter erschießen! Nun wollen wir mal sehen, ob die
Tarotkarten nicht etwas Erfreulicheres für Sie bereithalten.«
Bert nickte begeistert. »Das wird ja richtig
aufregend – für uns beide, nicht wahr?«
Phoebe bezweifelte dies. Aufregendes kam in ihrem
Leben nicht mehr vor. Und Bert sah auch nicht aus, als ob er je
viel Aufregendes erlebt hätte. Da man Tarotkarten eigentlich in
ruhiger und konzentrierter Atmosphäre legen sollte, war die
umstehende Menge der Twilightsbewohner, die alle lautstark
unterschiedliche Kommentare abgaben, wirklich auch keine große
Hilfe.
Phoebe holte tief Luft, mischte noch einmal die
Karten und reichte sie Bert.
»Also, während Sie die Karten in Händen halten,
konzentrieren Sie sich auf die wichtigen Ziele Ihres Lebens und die
Fragen, auf die Sie eine Antwort möchten. Lassen Sie sich Zeit,
damit warm zu werden, und dann mischen Sie sie. Wenn Sie damit
fertig sind, geben Sie sie mir wieder, und wir beginnen mit der
Deutung. Okay?«
Bert nahm die Karten, erst etwas zögerlich, und
hielt sie in den Händen, besah sie sich, strich mit den Fingern
darüber …
Phoebe lehnte sich zurück und wartete. Nach einer
Stunde Astrologiesitzungen war sie schon total erschöpft. Die
Tugwells hatten eine Warteschlange wie am Postschalter organisiert,
und bei ihrem Eintreffen schienen schon sämtliche Twilighter
lachend und schwatzend in einer Reihe zu stehen und ungeduldig zu
warten.
»Dies ist Ihr Tisch, Polly«, hatte Joy gesagt und
Phoebes eng sitzende Shorts sowie das knappe Top mit
missbilligenden Blicken gemustert, »aber ich will Ihnen einen
kleinen Rat geben. Vielleicht wäre in Zukunft eine etwas weniger
aufreizende Bekleidung doch enorm empfehlenswert. Meine Herren sind
alle fortgeschrittenen Alters. Wir wollen doch nicht, dass sie auf
gewisse Gedanken kommen, nicht wahr?«
Phoebe hatte sich um einen züchtigen Blick bemüht
und versprochen, nächstes Mal passender bekleidet zu sein.
»Gut. Gut.« Joy wirkte besänftigt. »Ach, und noch
ein kleiner Hinweis. Setzen Sie den Leuten keine Flausen in den
Kopf wie etwa Lotteriegewinne oder ewige Jugend. Widmen Sie jedem
ein paar Minuten, und schicken Sie ihn dann seiner Wege. Sagen Sie
ihnen einfach, was sie hören wollen, um sie bei Laune zu halten –
aber keinerlei schlechte Nachrichten. Schlechte Nachrichten sind
streng verboten. Und nun setzen Sie sich, und legen Sie los.«
Phoebe, die sich ganz schön verlogen vorkam, hatte
sich hingesetzt und losgelegt, weitgehend überzeugt, dass, was auch
immer sie den Twilightern erzählte, ebenso nichtig sei wie die
Omen, die ihr prophezeit hatten, der Sonnwendtag sei ideal für ihre
Hochzeit.
Sie hatte tief durchgeatmet, kurz überlegt, ob
wohl auch Essie unter ihren Klienten wäre, und dann auf Autopilot
geschaltet.
Das Schlangestehen offenbar gewöhnt, setzte sich
ein Bewohner nach dem anderen an den Tisch, und alle waren
peinlicherweise überaus dankbar für das, was Phoebe ihnen so
erzählte. Eigentlich fiel ihr das alles trotz längerer Pause
erschreckend leicht, fand sie, und die Geburtshoroskope anhand der
Sternzeichen, Felder, Planeten und Aszendenten kamen bei den
Teilnehmern gut an.
Eingedenk des Joy gegebenen Versprechens, und da
sie dies in Zukunft regelmäßig machen wollte, achtete Phoebe
darauf, über alle ungünstigeren astralen Aspekte hinwegzugehen.
Trotz ihres Sinneswandels, Horoskope seien Quatsch, merkte sie,
dass es ihr seltsamerweise merkwürdig gegen den Strich ging, in die
Scharlatanerie gezwungen zu werden und ihre Vorhersagen den
Klienten zuliebe zu beschönigen.
Joy, die in einer Ecke stehend mit Habichtsaugen
über sie wachte, strahlte jedoch hochzufrieden.
So weit, so gut.
Patience und Prudence – noch immer ganz stolz auf
ihre neuen Frisuren – hatten darauf bestanden, ihre Horoskope
gemeinsam deuten zu lassen, denn schließlich waren sie Zwillinge
und von daher wären es ja wohl dieselben, oder nicht?
Phoebe meinte, ja so in etwa schon, und war daher
ein wenig befremdet, als Prinzessin, passend zu ihren Haaren in
einem blau-violetten Kleid, sich dazwischengedrängt und gebeten
hatte, auch gleich mit dranzukommen.
»Aller guten Dinge sind drei«, hatte Prinzessin
lächelnd erklärt. »Sie können uns drei doch bestimmt auch gemeinsam
beraten, nicht wahr, Liebes?«
Phoebe, die zwar noch immer Bedenken hatte, ob sie
dies eigentlich überhaupt noch machen sollte, obwohl sie nicht
daran glaubte, hatte geantwortet, na gut, es sei zwar nicht üblich,
aber sie wolle ihr Bestes versuchen.
Dass alle drei Sternzeichen Schütze waren, machte
die Sache ein wenig einfacher, und selbst als vom Glauben
Abgefallene stellte sie überrascht fest, wie leicht ihr die
Vorhersagen von der Hand gingen.
Nach der allgemeinen Charakteristik ihres
Sternzeichens
ging sie noch ein bisschen weiter ins Detail. Da Schütze ein
Feuerzeichen ist, erklärte sie abschließend, stünden ihnen heiße
Zeiten bevor. Angesichts der momentanen tropischen Temperaturen in
Berkshire äußerte Prinzessin hier jedoch leise Zweifel.
»Nicht nur körperlich«, hatte Phoebe improvisiert,
»sondern auch emotional. Sie werden alle Glück und Zufriedenheit
finden.«
Patience und Prudence hatten aufgeregt
geschnattert, und sogar Prinzessin hatte nicht mehr so skeptisch
dreingeschaut. Phoebe weissagte außerdem, sowohl auf Grundlage der
Horoskope als auch anhand der Lehren, die sie seit jeher fasziniert
hatten, dass sie vor der Herausforderung stünden, in den kommenden
Tagen ihre Freizeit mit noch spannenderen Beschäftigungen
auszufüllen.
Patience und Prudence hatten Beifall geklatscht
und waren vergnügt gemeinsam von dannen gezogen.
»Sie meinen, wir werden jede Menge Zeit zur freien
Verfügung haben«, hatte Prinzessin grinsend gesagt. »Erzählen Sie
uns etwas, was wir noch nicht wissen. Das ist doch alles ein
bisschen sehr allgemein, Liebes.«
»Sie müssen die Deutung selbst mit Inhalt
füllen.«
»Oh, ich weiß – und das werde ich. Vielen Dank,
dass Sie hier sind – es ist uns ein großes Vergnügen, ehrlich. Sie
sind ein tolles Mädchen, wissen Sie – Haare machen und Wahrsagen -,
Sie haben ja breit gefächerte Talente!«
Einen Verlobten zu halten, gehört aber wohl nicht
dazu, hatte Phoebe traurig gedacht, jedoch schweigend
gelächelt.
»Ich glaube, jetzt bin ich so weit«, sagte Bert
und holte sie wieder in die Gegenwart zurück, indem er ihr die
Karten reichte. »Wer A sagt, muss auch B sagen, wie meine Mutter
immer meinte.«
Phoebe nahm die Karten und registrierte dabei
automatisch, welche Bert ans obere Ende des Stapels gemischt hatte,
welche umgedreht waren und welche herausfielen. Sie atmete noch
einmal tief durch, um das lärmende Schwatzen der Zuschauer
auszublenden, fächerte die Karten auf den Tisch und zog die
obersten heraus.
Berts große Augen wurden noch größer, als sie die
Gerechtigkeit, den Turm, die Sonne und den Stern von den Großen
Arkana aufdeckte. Die Twilighter verstummten. Von den Kleinen
Arkana drehte sie eine Vier um, gefolgt von einem König, dann ein
Ass und eine Neun.
»Also.« Sie lächelte Bert an. »Ich glaube, dieses
Blatt erzählt eine sehr starke Geschichte.«
Bert schluckte nervös.
»Die Großen Arkana kündigen alle Veränderungen in
Ihrem Leben an – Veränderungen, von denen Sie bewusst vielleicht
noch nichts wissen, die Sie aber im tiefen Inneren herbeigesehnt
haben.«
Phoebe stutzte. Was war denn los? Sie erzählte
Bert nicht, was er ihrer Meinung nach wahrscheinlich gerne hören
wollte, sondern sie lieferte ihm eine echte Deutung. Unmöglich. Sie
glaubte doch nicht mehr an Tarot oder andere Formen des Wahrsagens.
Es war nicht wahr. Sie holte noch einmal tief Luft. »Und die
Kleinen Arkana bestätigen dies – es wird in Ihrem Leben Neuanfänge
geben, jedoch Neuanfänge, die an das Glück der Vergangenheit
anknüpfen. Ein sehr schönes Blatt. Sehr verheißungsvoll.«
Bert strahlte glücklich. Die Twilighter
applaudierten.
»Soll ich fortfahren und das noch weiter
ausführen?«
Bert schüttelte den Kopf. »Nein, damit bin ich
rundum zufrieden. Lassen wir das so stehen. Auch wenn ich nicht
verstehe, was es bedeuten soll. Ich hatte eine wunderschöne
Vergangenheit mit meiner Mutter und meinen Tantchen, aber als sie
starben, war es damit aus und vorbei. Ich hätte nie gedacht, dass
noch Hoffnung auf eine glückliche Zukunft bestünde. Ich danke Ihnen
sehr.«
»War mir ein Vergnügen«, antwortete Phoebe
wahrheitsgemäß, als Bert davonschlurfte.
»Was habe ich gesagt?« Joy Tugwell sauste herbei
wie eine Rakete mit Handtasche. »Worauf habe ich Sie enorm explizit
hingewiesen?«
»Ähm.« Phoebe sah sie fragend an, noch immer
erstaunt, wie flüssig und glatt die Deutung gelaufen war. »Öh
…«
»Keine schlechten Nachrichten, habe ich gesagt!
Und was haben Sie eben mit Bert gemacht?«
»Keine schlechten Nachrichten?«
»Enorm schlimmer als das! Sie haben ihm Flausen
über künftiges Glück in den Kopf gesetzt! Der arme Mann weint sich
jeden Abend in den Schlaf. Jetzt glaubt er womöglich, seine Mutter
und seine verflixten Tanten kämen zurück!«
»Ach, ich glaube nicht, dass er – ich meine, das
habe ich nicht gesagt. Er wird doch nicht denken…«
»Glauben Sie mir, ich kenne meine Bewohner. Wenn
ich Ihnen gestatten soll, mit diesem Unfug weiterzumachen, dann
halten Sie Ihre Aussagen um Himmels willen neutral und
unverbindlich! Der Nächste!«
Eine halbe Stunde später hatte die Schlange sich
aufgelöst und mit ihr der scharenweise Andrang begeisterter
Rentner. Als die Twilighter wieder in ihren eigenen Gemächern
verschwunden waren oder nach draußen ins Gelände, um, na ja, zu
tun, was auch immer alte Leute in Altersheimen so taten, an ihrem,
ähm, Lebensabend, lehnte sich Phoebe erschöpft im Stuhl
zurück.
Soweit sie wusste – und die meisten Leute hatten
sich ihr munter namentlich vorgestellt – war Essie nicht unter
ihren Astrologieklienten gewesen. Vielleicht war die arme Frau noch
immer traumatisiert und wagte sich nach Rockys Überfall nicht unter
die Leute, vielleicht hatte sie aber auch das Glück, wieder
ausgeführt zu werden. Wie auch immer, es war doch eine leise
Enttäuschung. Phoebe hätte sich gerne selbst davon überzeugt, dass
Rockys Opfer wohlauf und guter Dinge war.
»Hi, Honey!« Eine üppige große schwarze Dame im
grellrosa Kaftan beugte sich über den Tisch. »Ich bringe Ihnen
eisgekühlten Orangensaft. Die enorme Joy hat Ihnen bestimmt noch
keinen Tropfen angeboten, oder?«
Dankbar lächelnd schüttelte Phoebe den Kopf und
trank den Saft in großen Schlucken. Ihr Hals war wie ausgedörrt vom
vielen Reden.
Herrlich. Enorm herrlich,
dachte sie kichernd.
»Sie waren gut, Honey, und danke, dass Sie zu Bert
so nett waren. Er ist ein lieber Mann, aber unglücklich. Sie haben
ihn zum Lächeln gebracht, und das ist wirklich schön zu sehen. Ich
bin übrigens Lilith.«
»Phoebe – und vielen Dank für den Saft.«
»Gern geschehen – Sie haben da ja einen echten
Volltreffer gelandet. Alle lieben Sie. Sie werden regelmäßig kommen
müssen. Und das ist nur gut so, denn wir gehen hier vor Langeweile
schon die Wände hoch.«
»Ja, Prinzessin sagte auch so etwas, als ich ihr
neulich die Haare gemacht habe. Ich habe mit einigen meiner
Freundinnen gesprochen, ob sie nicht herkommen könnten, um für
Unterhaltung zu sorgen, aber es müsste doch auch einen Weg geben,
dass Sie hier selbst etwas auf die Beine stellen.«
Lilith lachte wie ein Schokoladenvulkan. »Aber
natürlich, Honey. Allerdings halten wir uns bei manchen Sachen
lieber
bedeckt. Was die enorme Joy und der kleine Tony nicht wissen,
darüber brauchen sie sich auch nicht aufzuregen. Seit Essies
letzter Aktion sind sie nämlich strikt gegen Wahrsagerei.«
Essie – schon wieder. Wie merkwürdig. Phoebe
runzelte die Stirn. Vielleicht war Essie diejenige, die laut Joy
»Hokuspokus« veranstaltet hatte. Armes Altchen, dachte sie,
wahrscheinlich hat sie Teeblätter gedeutet oder so.
»Tatsächlich? Warum war sie dann nicht
hier?«
»Wollte sich nicht in die Karten schauen lassen.«
Lilith nickte. »Meinte, wenn sie Ihnen zuhört, könnte sie es sich
womöglich nicht verkneifen, sich einzumischen. Die enorme Joy
beobachtet sie mit Adleraugen. Essies Vorhersagen sind nicht, na
ja, vielleicht ganz so blütenweiß wie es die Tugwells gerne hätten.
Joy hat ihr einmal sogar vorgeworfen, sie stünde mit dem Teufel im
Bunde.«
Der lachende Vulkan brach von Neuem aus.
Mensch, dachte Phoebe, eine alte
teufelsbündnerische Teeblätterdeuterin!
»Klingt, ähm, faszinierend.«
»Ach, das ist sie auch, Honey. Wenn Sie diese
Sache hier regelmäßig machen wollen, müssen Sie unbedingt mal mit
Essie reden.«
Und zwar nicht nur über dieses eine Thema, dachte
Phoebe.
»Glauben Sie, das wäre möglich? Ich meine, mit ihr
zu reden? Heute Abend? Ist sie hier?«
»In ihrem Appartement, Honey. Sie erwartet Sie
schon.«