23.
Kapitel
Phoebe blinzelte. Herzhaftes Essen, reichlich
Wein und viel zu wenig Schlaf waren blitzschnellen
Gedankenprozessen nicht gerade förderlich.
»Okay.« Rocky schien die Lage unter den gegebenen
Umständen einigermaßen rasch zu erfassen. »Wie können wir
helfen?«
Phoebe sah ihn bewundernd an. Er blieb so ruhig,
zeigte keine Panik und erbot sich auch noch, anderen zu helfen
…
»Räumen sie als Erstes alles, was geht, ins obere
Stockwerk, nur für alle Fälle«, sagte einer der Feuerwehrmänner.
»Was Sie nicht wegräumen können, stellen Sie so weit wie möglich
nach oben. Dann schalten Sie Ihre Stromversorgung ab und verlassen
das Haus. Wir haben im Gemeindesaal von Hazy Hassocks eine
Notunterkunft eingerichtet. Wenn Sie ein Auto haben, könnten Sie
mithelfen, die Leute ohne Wagen dorthin zu bringen.«
Der andere Feuerwehrmann nickte. »Wir haben vor
allen Häusern Sandsäcke abgeladen. Sie müssen sie aber noch hinters
Haus bringen, okay?«
»Okay«, sagte Rocky. »Sobald wir können, kommen
wir raus, um zu helfen.«
Das Trio zog eilig weiter zum nächsten Haus.
Hochwasser! Schlagartig wurde Phoebe die volle
Tragweite dieses Wortes bewusst. Hier ging es nicht um Bilder von
Leuten,
die hüfttief durch schlammige Fluten wateten, in denen einst ihr
Zuhause gewesen war, und die man sich teilnahmsvoll, voll Mitleid
und Entsetzen in den Fernsehnachrichten anschaute. Hier ging es
nicht darum zuzusehen, wie Sturzbäche schrecklich entfesselter
Fluten aus Häusern übelriechende Kulissen machten, Besitztümer
ruinierten und Erinnerungen eines ganzen Lebens auslöschten.
Das hier war real.
»Aber wie kann der Kennet über die Ufer treten?«,
fragte Phoebe. »Wir hatten doch eine monatelange Trockenperiode.
Und erst etwa fünf Stunden lang Regen. Es müsste doch sicher
jahrelang wie aus Eimern schütten, bis er Hochwasser bekommt,
oder?«
»Auch wenn in diesem Sommer bei anderen Flüssen
der Wasserstand gesunken ist, fließt der Kennet immer mit voller
Kraft.« Rocky packte die Sandsäcke. »Ich kann ihn von meinem Balkon
aus sehen. Ich schätze, da der Boden so hart ist wie Beton und die
Hügel ringsumher wie festgebacken sind und nicht in der Lage, den
Niederschlag aufzunehmen, wird aller Regen geradewegs hier herunter
in den Kennet rauschen, sodass der dann über die Ufer
steigt.«
»Werden wir auch überflutet?«
Rocky schüttelte den Kopf. »Wir dürften hier oben
auf der Anhöhe außer Gefahr sein. Schau nicht so ängstlich. Geh du
dich mal anziehen. Ich nehme die Sandsäcke und schichte sie vor die
Terrassentüren. Stell deine Sachen nach oben, wie er gesagt hat,
und ich schaffe so viel wie möglich von deinem Zeug in meine
Wohnung hinauf. Das zweite Schlafzimmer steht leer, wir können also
alles dort hineinstellen. Dann sehen wir, was wir für die anderen
tun können.«
»Gut.« Phoebe nickte, nun schon ruhiger und froh,
dass jemand anders die Initiative ergriffen hatte. »Ach Gott, ja,
die
anderen. Die meisten Leute in der Nachbarschaft sind schon
ziemlich alt. Ja, richtig, ich fange gleich an.«
Nachdem sie Jeans und Pullover und ein Paar rosa
Gummistiefel angezogen hatte, merkte Phoebe, dass ihre Angst
verflogen war. Sie war aufgeregt, das schon, weil dies ihr Zuhause
war, und besorgt um die anderen Einwohner der Straße, die weder
jung noch fit und kräftig waren und keine Hilfe von Rocky hatten,
aber ängstlich war sie nicht mehr.
Sie arbeiteten gut im Team, dachte sie, als Rocky
bemerkenswert schnell die Sandsäcke stemmte, die Terrassentüren
sicherte und all ihre Elektrogeräte, ihre wertvollsten Besitztümer
einschließlich der Geburtstagsblumen und der beweglichen
Möbelstücke nach oben schaffte.
»Hier passiert schon nichts«, versicherte er ihr,
während sie einen Sessel polternd die Treppe hochtrugen. »Wir haben
Glück, dass wir am oberen Ende der Straße wohnen. Wir haben die
Mauer, und da diese Häuser zu edwardianischer Zeit gebaut wurden,
kann ich mir nicht vorstellen, dass sie heute Nacht einstürzen. Bei
den Leuten am unteren Ende hingegen fließt der Kennet direkt durch
den Garten.«
»Und ich hab sie immer darum beneidet«, hatte
Phoebe keuchend geantwortet und sich dann die Hand zwischen Sessel
und Treppenhauswand eingeklemmt. »Weil sie in diesem verdammt
heißen Sommer draußen am Wasser sitzen konnten. Jetzt beneide ich
sie allerdings nicht mehr – die Armen … autsch!«
»Alles okay bei dir?«
»Ja – war nur ein Fingernagel … geh weiter
…«
»Und wie mühselig es erst einmal sein muss, alles
abzudichten, wenn man keinen direkten Zugang zur Rückseite hat. Wir
müssen sehen, was wir tun können, sobald wir hier fertig sind.« Sie
schoben den Sessel in Rockys freies Zimmer.
»Gut. Gott sei Dank bedeutet dein zwanghafter Ordnungswahn, dass
du nicht im Chaos wohnst. Deine minimalistische Ausstattung
umzuräumen ist sehr viel leichter, als es hätte sein können.
Weiter?«
Sie rannten wieder die Treppe hinunter, und Phoebe
half Rocky, die sperrigen Gegenstände hinaufzutragen, dann band sie
die Vorhänge hoch, stellte, was nicht in den ersten Stock
transportiert werden konnte, auf hohe Ablageflächen und
vergewisserte sich, dass alles Vergängliche mindestens einen Meter
achtzig über dem Boden lagerte.
»Guter Gott!«, sagte Rocky, als er beim letzten
Gang mit ihrer Stereoanlage in den Armen einen Blick in ihr
Schlafzimmer warf. »Ich weiß ja, dass du auf Pink stehst, aber hier
drin braucht man ja eine Sonnenbrille. Wie kannst du da überhaupt
schlafen? Und dieses Bett ist echt schrill. Sag nichts – bestimmt
war YaYa deine Innenarchitektin, richtig?«
Phoebe war gerade dabei, ihre Lieblingsbücher auf
den Schrank zu packen, und grinste. »Ja – und in deinem
Schlafzimmer hängen bestimmt Bilder von Flugzeugen und Poster von
AC/DC und Pin-up-Girls!«
»Meinst du?« Rocky balancierte mehrere CD-Hüllen
auf der Stereoanlage und steuerte wieder treppauf. »Tja, du wirst
wohl irgendwann mal kommen müssen, um es dir anzusehen, nicht
wahr?«
Oh Gott … Phoebe wurde rot. Dann hatte er beim
Geburtstagsessen die verräterische Botschaft in ihrem Blick wohl
doch verstanden? Trotz allem durchfuhr sie ein kleiner Schauer der
Erregung, und sie sah seiner entschwindenden Gestalt mit fragendem
Blick nach. Hatte er da eben tatsächlich über sein Schlafzimmer
gesprochen? Meinte er das ernst? Sollte das eine Einladung sein?
Und falls ja, sollte sie …?
Ein plötzlicher kreischender Windstoß mit heftigem
Regenguss
peitschte gegen ihre Fenster. Phoebe riss sich von ihren reichlich
gefährlichen Gedanken los. Die Gefahr hier draußen war sehr viel
bedrohlicher. Der Sturm wurde jetzt schlimmer. Innerhalb weniger
Minuten fiel der Regen vieler Monate. Sintflutartige Sturzbäche
ergossen sich auf steinharten Boden und in verschlammte Kanäle und
fanden keinen anderen Weg als über die Ufer des Kennet und in die
Häuser.
»Gut, das hätten wir«, erklärte Rocky, der die
Jeans in seine Gärtner-Gummistiefel gesteckt hatte und eine
Wachsjacke über dem T-Shirt trug. »Hast du einen ordentlichen
wasserdichten Mantel?«
»Nein.« Phoebe schüttelte den Kopf. Jede Menge
schicke wasserabweisende Jacken, das schon. Aber etwas, das einer
alttestamentarischen Flut standhielt, eindeutig nicht.
»Dann nimm die hier.« Rocky reichte ihr eine
zweite Jacke. »Riecht wahrscheinlich nach Kompost und Lagerfeuer,
aber hält dich trocken. Okay – ich schalte den Strom ab, und dann
gehen wir.«
Sie gingen.
Auf das Wüten des Sturmes und den unerhörten
Anblick, der sich ihnen bot, war Phoebe in keiner Weise
vorbereitet.
Die Winchester Road war zum Kriegsschauplatz
geworden.
In der Dunkelheit rannten Dutzende von Panik
erfüllter Leute triefnass hin und her, in ihre Häuser und wieder
hinaus, luden Sachen in Autos, taumelten unter dem Gewicht von
Sandsäcken, versuchten mit allem, was ihnen in die Hände fiel, dem
vom unteren Ende der Straße unaufhaltsam auf sie zubrausenden
Wasser Einhalt zu gebieten.
»Himmel!«, rief Rocky, als er dort, wo einst der
unterste Teil der Straße gewesen war, einen wirbelnden, schmutzigen
und rapide ansteigenden Sturzbach erblickte. Der Wind riss ihm
die Worte vom Mund. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so schlimm ist.«
Phoebe schüttelte den Kopf. Es war beängstigend.
Angesichts der ungebremsten Naturgewalt fühlte sie sich
bedeutungslos und zutiefst ohnmächtig.
»Sieht aus, als würde da unten Hilfe gebraucht«,
schrie Rocky, während ihnen der Regen horizontal in die Gesichter
peitschte. »Ich geh die Feuerwehrmänner fragen, wo ich am besten
mit anpacken kann. Ist es okay, wenn du hier oben bleibst und
mithilfst?«
Phoebe nickte. Sie war durchnässt und fror, ihr
Haar hing in Rattenschwänzen herab, das Wasser reichte schon fast
bis zum Rand ihrer Stiefel. Aber ja, sie war okay.
Noch mehr Feuerwehrleute und Polizisten tauchten
auf und wateten im Schein von Taschenlampen durch die steigenden
Fluten, gaben den Leuten Anweisungen und sorgten dafür, dass jeder,
der ein Auto hatte, davonfuhr, solange es noch ging.
Es herrschte absolutes Chaos.
Phoebe beobachtete, wie Rocky sich mit gesenktem
Kopf den Weg zu dem am schlimmsten betroffenen Abschnitt der
Winchester Road bahnte und schließlich in der Dunkelheit
verschwand. Sie wollte nicht, dass er sie allein ließ – oh, nicht
weil sie sich als Frau hilflos fühlte, sondern bloß weil, nun ja,
bloß weil …
Sie riss sich zusammen und rannte schnell in das
benachbarte Haus.
»Kann ich irgendwie helfen?«
»Nein, wir kommen zurecht, Liebes, aber danke«,
rief Mary Miller in Pelerine und drei Regenhauben zurück. »Wir
bringen nur noch die letzten paar Kleinigkeiten nach oben, dann
fahren wir zum Gemeindesaal, ich hab meine Mum und meinen Dad schon
eingeladen, und der Volvo steht in der Einfahrt bereit.«
»Okay, prima.« Phoebe runzelte die Stirn. »Dann
lasse ich euch mal machen.«
Sie hatte immer gedacht, Mary Miller sei so alt
wie Methusalem, aber offenbar war sie das gar nicht. Die beiden
älteren Leute, die in Taschen-Regenmäntel gehüllt im Fonds des
Volvo saßen und angesichts dieser unvorhergesehenen Wende der
Ereignisse ziemlich aufgeregt aussahen, mussten ihre Eltern sein.
Als sie vorbeieilte, winkten sie Phoebe fröhlich zu.
Auf der ganzen Länge der Straße halfen Leute vom
mauerbegrenzten Ende denjenigen, die weniger gut dran waren.
»Teufel auch, Schätzchen!« Slo Motion kam
durchnässt und triefend in einem Trenchcoat aus seiner Auffahrt
geplatscht und lud zwei Arme voller Urnen in den Daimler. »Komische
Sache, was? Unsre Perpetua steht unter Wasser.«
»Tun wir doch alle!«, schrie Phoebe. »Alles in
Ordnung bei euch? Braucht ihr Hilfe?«
»Du könntest unsrer Perpetua ein paar Ohrfeigen
geben, wenn du magst, Schätzchen. Mir erlaubt Constance es nicht.
Das hier ist die letzte Ladung für den Daimler, die restlichen
Sachen packen wir in den Leichenwagen. Unsre Connie wäre über
Unterstützung vielleicht ganz froh, da unsre Perpetua so nützlich
ist wie ein Schinkenbrötchen bei einer Bar Mitzwa.«
Phoebe spie Regenwasser aus, nachdem ein weiterer
heftiger Windstoß ihr einen Schauer direkt ins Gesicht geweht hatte
und sie in das Vorderzimmer der Motions schob.
Perpetua kauerte heulend in einer Ecke. Phoebe
fasste sie an den Händen. »Alles in Ordnung. Ehrlich. An diesem
Ende der Straße hier sind wir alle außer Gefahr. Kommen Sie. Wir
müssen nach draußen.«
Perpetua schluchzte und bebte noch heftiger.
»Wenn Sie sie einfach nur hinausschaffen könnten!«
Constance Motion kam in den Raum gestiefelt und sah im
knöchellangen
Öltuchmantel mit Südwester aus wie das Markenemblem auf einer
Sardinenbüchse. »Ich hab ihr erklärt, dass die Mauer in diesem Teil
der Straße die Flut weitgehend abhalten wird. Aber sie kapiert’s
einfach nicht, die dumme Gans.«
Phoebe drückte Perpetuas Hand. »Kommen Sie. Es
wird ganz prima, wenn wir uns alle im Gemeindesaal versammeln. Warm
und trocken und in Sicherheit.« Sie sah Constance fragend an. »Soll
ich sie im Leichenwagen unterbringen?«
»Führen Sie mich nicht in Versuchung. Aber
ja.«
»Sie könnten ziemlich viele Leute dort reinsetzen,
oder? In den Laderaum? Ich meine – falls er nicht, ähm, bereits
belegt ist, von – äh, einem Toten?«
Constances Südwester nickte. »Gute Idee, junge
Phoebe. Ich sorge nur eben noch dafür, dass hier alles klar ist,
Sie stecken unsre Perpetua in den Leichenwagen, und dann trommeln
Sie alle zusammen, die kein Transportmittel haben. Genau wie damals
im Blitzkrieg, alle ziehen an einem Strang. Feine Sache,
das.«
Phoebe zog die zitternde Perpetua sanft auf die
Füße und führte sie in den Regen hinaus.
»Es ist alles in Ordnung, wirklich«, rief sie,
während Perpetua wimmerte. »Ich weiß, es ist beängstigend. Ich habe
auch Angst. Setzen Sie sich einfach in den Leichenwagen. Nein, nein
– auf den Beifahrersitz … Na also. Jetzt sind Sie sicher. Ganz
sicher.«
Perpetua, die dünnen grauen Lippen vor Schreck wie
zugeschweißt, das Gesicht tränenüberströmt, nickte kurz. Phoebe
beugte sich hinein, versuchte nicht allzu sehr zu tropfen und
hüllte eine karierte Autodecke um Perpetuas magere Gestalt.
»So. Schön kuschelig. So bleiben Sie jetzt hier
sitzen. Ich
geh nur eben nachsehen, wer sonst noch Hilfe braucht, und dann
fahren wir alle zum Gemeindesaal. Dauert nicht lange. In
Ordnung?«
Perpetua nickte wieder, und Phoebe schloss die
Tür.
»Gutes Mädchen«, brüllte Slo. »Verdammtes Wetter.
Kann nicht mal eine Zigarette anzünden, um meine Nerven zu
beruhigen. Ich geh eben mal nach unten und seh, wie ich helfen
kann. Der junge Rocky ist auch da unten, oder?«
Phoebe nickte. Die Wucht des Windes wehte sie
beinahe von den Füßen.
»Guter Kerl, der junge Rocky. Essie sagt …«
Aber was auch immer Essie gesagt hatte, ging in
einem weiteren heftigen Regenguss unter.
Phoebe bemühte sich, die Haare aus den Augen und
die Füße in den Stiefeln zu halten, und platschte und schlitterte
durch das strömende Wasser. Die ganze Winchester Road entlang hielt
sie jeden Einzelnen an und schrie ihm zu, wer ein Transportmittel
zum Gemeindesaal bräuchte, der könne im Leichenwagen
mitfahren.
Wie der Rattenfänger watete sie mit einem
kunterbunten Gefolge hinter ihr her stapfender Flüchtlinge im
Schlepptau die Straße wieder hinauf. Alle trugen Bündel mit ihren
persönlichen Habseligkeiten. Phoebe hätte weinen können vor
Mitleid.
»Aber am unteren Ende ist es noch schlimmer. Wir
sind gar nicht so übel dran«, sagte ein älterer Mann in
durchweichter Sturmhaube und zu großen Galoschen, als er in den
Laderaum des Leichenwagens kletterte. »Wer hätte gedacht, dass ich
so was mal sage, wenn ich hier hinten drin mitfahre.«
Phoebe gelang es, die durchnässten, verängstigten
Leute einen nach dem anderen in den Leichenwagen zu quetschen, bis
er rappelvoll war.
»Alle drin?« Constance trat in das Unwetter
hinaus, der Regen rauschte in kleinen Wasserfällen von der Krempe
ihres Südwesters. »Danke, junge Phoebe. Vielleicht sind Sie ja doch
nicht so übel, wie ich dachte. Also, los geht’s.« Sie schwang sich
auf den Fahrersitz. »Festhalten, Leute. Das wird womöglich die
Fahrt eures Lebens.«
Die zitternde Perpetua neben sich brauste
Constance mit dem Leichenwagen durch das Hochwasser und ließ hohe
Bugwellen an beiden Seiten aufspritzen wie bei einem monströsen
Amphibienfahrzeug.
»Ich hab oben in Twilights angerufen, ob dort
alles okay ist, und das ist es. Überhaupt kein Problem, also fahr
ich ein Stück die Straße runter und lad noch ein paar Leute in den
Daimler«, rief Slo. »Dann bin ich auch weg. Willst du bei mir
mitfahren, junge Phoebe? Sieht aus, als würde das Unwetter noch
schlimmer.«
»Nein danke, ich warte auf Rocky.« Phoebe zuckte
zusammen, als sich noch mehr Regen wie wild aus dem schwarzen
Himmel ergoss. »Und Slo, ich bin wirklich froh, dass du und Essie
…«
»Ich auch, Schätzchen. Ich auch. Wir kommen dich
besuchen, sobald dieses elende Mistwetter vorbei ist, ganz
bestimmt. Dann bis später im Gemeindesaal, Schätzchen.«
Während Phoebe ihm zum Abschied winkte, überlegte
sie, ob sie wohl ihren Wagen aus der Auffahrt bekäme, und wenn, ob
sie es damit wohl durch die Fluten schaffte. Wahrscheinlich nicht.
Gegen den Wind ankämpfend bahnte sie sich einen Weg um die
gesammelten Rettungskräfte herum, die hervorragende Arbeit
leisteten, und watete zum unteren Ende der Straße.
Rocky war total durchnässt und stand fast bis zu
den Knien im Wasser.
»An meinem Ende ist alles klar«, rief sie ihm zu.
»Wie steht es bei dir?«
»Die Feuerwehr hat anscheinend Probleme, einige
Leute aus ihren Häusern zu holen, aber ich hab keine Ahnung warum.«
Rocky runzelte die Stirn. »Ansonsten ist dieser Abschnitt ebenfalls
evakuiert, glaube ich.«
Phoebe spähte durch den Regen. Die Straße entlang
schauten mehrere kummervolle Gesichter aus sturmgepeitschten
Fenstern.
»Tiere!«
»Also, Phoebe, das ist zu hart. Du kannst doch in
so einer schrecklichen Nacht nicht die armen Leute beschimpfen. Es
mag hier in der Gegend ja ein bisschen Inzucht geben, aber so
schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
»Nein!«, schrie sie. »Die Leute, die ihre Häuser
nicht verlassen wollen, haben bestimmt Tiere! Die wollen sie nicht
zurücklassen. Ähm, wenn du deinen Lieferwagen holst, könnten wir
sie mitnehmen, oder?«
»Ja. Natürlich. Kein Problem. Ich geh hoch und
schau, ob ich es mit dem Wagen hier runterschaffe.«
»Garantiert nicht. Das Wasser ist zu tief. Fahr
ihn einfach aus der Auffahrt, und ich bring alle zu dir rauf. Wenn
wir erst beim Gemeindesaal sind, wird man die Leute mit den Tieren
wohl kaum abweisen können. Na los – das schaffen wir.«
Rocky beugte sich zu ihr und küsste sie auf die
Wange, dann wandte er sich um und watete davon.
Phoebe lächelte und berührte ihr Gesicht mit den
Fingern, spürte aber nur Regen – dann holte sie tief Luft und
platschte tief gebeugt gegen den heulenden Wind zu dem ersten
offensichtlich noch bewohnten Haus.
Es war ganz schön mühsam, aber nach einer halben
Stunde hatte sie die Bewohner mit Tieren überzeugt, dass auch
die nicht-menschlichen Familienmitglieder im Gemeindesaal herzlich
willkommen wären und am Ende der Straße ein Wagen auf sie
wartete.
Nachdem sie wertvolle Minuten vergeudet hatte,
indem sie, bei weiter steigendem Hochwasser, in ehemals makellose
Wohnzimmer eindrang, wo dankbare Menschen Katzenkörbe und
Hundeleinen zusammensuchten, hatte sie schließlich alle
zusammengetrommelt.
»Mensch«, sagte einer der patschnassen und
windzerzausten Feuerwehrmänner grinsend zu ihr, »da haben Sie ja
eine richtige kleine Arche Noah. Kluges Mädchen. Natürlich will
niemand sein Haustier im Stich lassen. Um nichts in der Welt würde
ich auf meine Mohrle verzichten.«
»Wie süß. Eine schwarze Katze?«
»Eine Tarantel.«
»Äh – ja.«
Und so, mit neun Katzen in Tragekörben, zwei
Hamstern in Plexiglasboxen, einem Goldfischglas und sieben Hunden
verschiedener Größen, watete Phoebe durch das brausende, wirbelnde
Wasser und führte ihre letzte Schar Flüchtlinge die überflutete
Straße hinauf.
»Liebe Güte!«, sagte Rocky grinsend, der seinen
grünen Gärtnerbus an den Straßenrand gefahren hatte. »Ich hoffe,
die bleiben alle friedlich.«
»Warum sollten sie nicht? Sie sind alle recht
nett. Kennen einander schon lange. Sind alle im selben
Kegelverein.«
»Die Hunde, Phoebe, nicht die Besitzer. Gut – dann
mal rein mit euch allen.«
Es war ein aberwitziges Gequetsche, aber
schließlich zog Phoebe, mit einem sehr großen, sehr nassen Golden
Retriever auf dem Schoß und einem Korb Siamkatzen unter den Beinen,
hinter der Menagerie die Beifahrertür zu.
Rocky ließ um einen neugierigen
Jack-Russel-Terrier herum den Motor an, und mit einem letzten Blick
zurück auf den schmutzigen Fluss, der dort schäumte und brodelte,
wo einst eine verschlafene Wohnstraße gewesen war, begab sich der
Lieferwagen auf die Fahrt zum Gemeindesaal.