22

Sie stieg aus dem Bett, ging zum Fenster und öffnete die Vorhänge. Das Sonnenlicht strömte herein, ließ ihren Körper schimmern. »Ein wunderschöner Tag!«

»Dann komm her und laß ihn uns feiern.«

Sie kehrte zum Bett zurück und küßte ihn. »Er ist zu schön, um etwas davon zu verschwenden. Ich werde jetzt duschen und das Frühstück machen.« Sie lächelte schüchtern. »Dabei fällt mir gerade ein, ich habe ja überhaupt keine Ahnung, ob du nicht lieber im Bett frühstückst.«

»Ich find’s scheußlich, wenn diese verdammten Krümel pieken!«

»Gott sei Dank! Ich habe immer das Gefühl, daß Männer, die gern im Bett frühstücken, am Paschasyndrom leiden.«

»Dann bestand also eben für mich die Gefahr, dein allerhöchstes Mißfallen zu erregen, wie?«

»Eigentlich nicht. Ich war sicher, daß du nicht zu der Sorte gehörst.«

»Warum hast du dann gefragt?«

»Bist du immer so neugierig?«

»Nur wenn mir vor Glück das Herz fast zerspringt.«

Abermals küßte sie ihn; dann ging sie zu einer bauchigen Kommode und holte saubere Wäsche heraus. Während sie umherging, war er überzeugt, daß sie es genoß, sich ihm zu präsentieren. Sie hatte sich als äußerst leidenschaftliche Frau erwiesen; mit einer Leidenschaft jedoch, die normalerweise streng unter Kontrolle gehalten wurde, denn sie war auch eine empfindsame Frau. Im Laufe der Nacht hatte sie ihm gestanden, daß er der erste Mann sei, den sie, nachdem Ben sie verlassen hatte, sexuell kennenlerne, weil sie nämlich Liebe brauche, um Liebe machen zu können … Er sah zu, wie sie ins Badezimmer ging, und fragte sich, warum er sie nicht schon Jahre zuvor kennengelernt hatte. Vielleicht, wenn Jason nicht geschaßt worden wäre … Verdammtes »Wenn«!

Sie kam angekleidet aus dem Bad zurück. »Frühstück in fünfzehn Minuten. Wer nicht pünktlich ist, muß hungrig bleiben!«

»Welch ein Stilwechsel! Eben wurde mir noch Zimmerservice offeriert, und nun heißt’s, Vogel friß oder stirb.«

»Daher das Sprichwort, die Gelegenheit beim Schopf packen.«

Er schnupperte. »Irgend etwas riecht hier sehr exotisch.«

»Als ich mich vor ein paar Monaten so deprimiert fühlte, daß ich etwas tun mußte, um mir nicht die Kehle durchzuschneiden, habe ich ein sehr kleines Fläschchen von Bejoules Le Rêve erstanden.«

»Und – hat es gewirkt?«

»Irgendwie schon. In Wirklichkeit hab ich’s aber nie benutzt, denn als ich nach Hause kam, sagte ich mir, das Zeug war so teuer, ich heb’s mir lieber für eine ganz besondere Gelegenheit auf.«

Er lachte.

»Das ist eine typisch gedankenlose, unsensible männliche Reaktion«, stellte sie indigniert fest.

 

Mit Genuß trank er seine zweite Tasse Kaffee, als er plötzlich fragte: »Wie heißt doch das Parfüm, das du benutzt? Boule?«

»Bejoule. Warum?«

»Irgendwie scheint’s bei mir zu klingeln dabei, aber ich komme nicht darauf, warum.«

»Du hast es vermutlich irgendwo in einem dieser Hochglanz-Zeitschriften gesehen. Es ist inzwischen so teuer geworden, daß man ein schlechtes Gewissen hat, wenn man es sich kauft.«

»Und das ist natürlich die eigentliche Attraktion … Nein, ich bin sicher, daß ich keine Werbung dafür gesehen habe. Der Name kommt mir aus einem anderen Grund bekannt vor …«

»Richte deinen Verstand lieber auf wichtige Dinge und hilf mir entscheiden, wohin wir heute fahren werden.«

 

Sie entschieden sich für ein Picknick. Sie hatte Freunde in Sussex, die gerade im Ausland waren und zu deren Grundstück eine kleine Bucht am Meer gehörte, die selten von anderen Menschen aufgesucht wurde.

Wie sie feststellten, hatten sie die Bucht für sich allein. Sie badeten, lagen in der Sonne und tranken als Apéritif die erste Flasche Weißwein. Dann aßen sie Schinken, Käse und Rührei mit Pickles, selbstgebackene Brötchen, Éclairs, die sie gekauft hatten, und tranken die Hälfte der zweiten Flasche Wein. Um sich anschließend wieder in die Sonne zu legen. Sie hielt seine Hand. »Wenn ich jetzt eine Wunderlampe hätte und einen Dschinn rufen könnte, würde ich ihm befehlen, diesen Moment niemals vorbeigehen zu lassen.«

»Wir werden alle Altwarenläden durchstöbern.«

»Wenn das Leben doch nur so freundlich sein könnte!«

Das waren unglücklich gewählte Worte, denn sie brachten die Realität zurück. Gute Zeiten hatten unweigerlich ein Ende; schlechte Zeiten konnten ewig dauern.

»Hör auf!« sagte sie heftig. »Immer mußt du dich erinnern, dir Sorgen machen und jede Menge Katastrophen sehen!«

Behutsam löste er seine Hand aus der ihren, stand auf und zog die Schuhe aus, um über den Kies zum Wasser hinunterzugehen. »Besser, einmal geliebt und verloren als überhaupt nie geliebt zu haben.« Schützten Erinnerungen an vergangenes Glück oder erschwerten sie nur die Gegenwart und die Zukunft?

Die Theorie des Chaos lautete angeblich, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Chile könne bewirken, daß ein Sturm über England hinwegbrause. Weil er in diesem Café in Restina saß, als Farley zufällig vorüberkam, hatten Menschen sterben müssen, stand er hier und jetzt vor der Katastrophe. In Gedanken rekapitulierte er Schritt um Schritt den Weg, der ihn bis hierher geführt hatte. Die Party im El Diablo, die Seereise nach Menache, das Unwetter, der Passagier, der zu fanatisch war, die Gefahr zu erkennen, in die seine Forderung sie bringen würde …

Er kehrte zu Kate zurück und setzte sich. »Mir ist gerade etwas eingefallen.«

»Ja?« fragte sie verschlafen, ohne die Augen zu öffnen.

»Warum mir der Name deines Parfüms bekannt vorkam. Er ähnelt dem Namen Bajols, und das war das Ziel der drei Männer auf der Cristina

Sie richtete sich auf, die Hände um die Knie verschränkt. »Hast du eine Ahnung, warum sie unbedingt so schnell dorthin wollten?«

»Nein, aber offenbar war es äußerst wichtig. Hätten wir einen Hafen angelaufen, wir hätten vermutlich innerhalb von achtundvierzig Stunden weiterfahren können. Ich möchte wissen …«

»Raus damit!«

»Klingt wahrscheinlich verrückt, aber könnte es eine Verbindung zwischen ihrer selbstmörderischen Eile und der falschen Beschuldigung des Drogenhandels geben, die dem Auslieferungsantrag für mich zugrunde liegt?«

»Kannst du mir sagen, was das sein könnte?«

»Verdammt noch mal, nein. Aber wie Holmes sagte, wenn man das Unmögliche eliminiert hat, muß das, was übrigbleibt, und sei es auch noch so unwahrscheinlich, die Wahrheit sein.«

»Diese Idee ist allerdings unwahrscheinlich.«

»Ich weiß, aber … Eine Gewalttat kann ohne jeden logischen Grund geschehen. Aber zwei, kurz hintereinander, und noch dazu im Zusammenhang mit derselben Person und ohne Grund, wären mit Sicherheit zuviel des Zufalls. Und wenn diese Person dann mit einer falschen Beschuldigung konfrontiert wird, die aus dem Land stammt, in dem die erste Gewalttat verübt wurde … dann muß es einen roten Faden geben, der alles miteinander verbindet. Erkennt man den, begreift man die Logik und bekäme Antwort auf alle Fragen.«

»Und wohin bringt dich das?«

»Zu der Möglichkeit, daß ich, wenn ich herausfinden kann, warum die drei Männer unbedingt pünktlich in Bajols sein und nicht einmal warten wollten, als ihre persönliche Sicherheit auf dem Spiel stand – daß ich dann vermutlich den Faden, die Logik und die Tatsachen erkennen kann.«

»Wie willst du das anstellen?«

»Indem ich nach Bajols fahre und mich dort ein bißchen umhöre.«

»Du bist verrückt!«

»Wieso?«

»Weil du überhaupt keine Chance hast, irgend etwas herauszufinden.«

»Wenn ich hierbleibe, werde ich mit Sicherheit nichts finden.«

»Wenn die spanische Polizei erfährt, daß du in Spanien bist, werden sie dich sofort verhaften.«

»Dann werde ich auf Strafmilderung plädieren, weil ich ihnen die Mühe abgenommen habe, mich von England ausliefern zu lassen.«

»Mann Gottes, hör auf, mit dem Entsetzen Scherz zu treiben!«

»Entschuldige.«

»Angenommen, du hast recht, und du stößt auf etwas Wichtiges. Sie haben deine Frau ermordet, sie haben Jason ermordet. Was glaubst du, werden sie dir antun?«

»Wenn ich das Risiko nicht eingehe und hierbleibe, werde ich entweder wegen des Mordes an Stephanie verurteilt oder wegen versuchten Drogenhandels ausgeliefert. Viel Auswahl bleibt mir da wohl nicht – oder?«

»Nicht, wenn dir das geringste an mir liegt. Und schließlich, warum solltest du dir schon was aus einem flüchtigen Abenteuer machen?«

»Aber verstehst du denn nicht …«

»Nein, ich verstehe nicht.« Sie stand auf. »Ich will nach Hause.«

 

Schließlich brach er das Schweigen, das viele Minuten lang auf ihnen gelastet hatte. »Verdammt noch mal!« Er bremste, hielt auf dem Seitenbankett der Landstraße. »Ich bin ein Idiot! All dieses heldenhafte Gerede, dabei hab ich völlig vergessen, daß mir die Polizei den Paß abgenommen hat. Also kann ich gar nicht nach dem roten Faden suchen, sondern sitze hier fest und kann nur abwarten, ob ich in einem englischen oder in einem spanischen Knast lande.«

Sie hob den rechten Arm, legte ihn auf die Rücklehne seines Sitzes und strich mit ihren Fingerspitzen über seinen Hals. »Ich habe dich gerade erst gefunden, Gary, doch das bedeutet nicht, daß ich dich nicht aufrichtig liebe. Es bedeutet allerdings, daß der Gedanke, du könntest dabei umkommen, einen abscheulichen Feigling aus mir macht, und das ist der Grund, warum ich am Strand so gemein zu dir war.«

»Schon vergessen.«

»Aber sogar als Feigling weiß ich, daß du nach Bajols gehen mußt, weil das die einzige Chance ist, deine Unschuld zu beweisen.«

»Du vergißt, daß ich ohne Paß nirgendwohin gehen kann.«

»Verdammtes Wunder.«

»Wie bitte?«

»So hat ihn Jason immer genannt, weil er wirklich alles fälschen kann.«

 

»Jason Farley?« fragte Pettifer, ein hochgewachsener, magerer Mann, fast völlig kahl, mit vorstehendem Adamsapfel und der Miene eines Menschen, der alle Illusionen aufgegeben hat. Er schüttelte den Kopf. Von einem Jason Farley hatte er noch nie gehört.

»Sie haben ihn mit einer gefälschten VAT-Bescheinigung für eine Jacht versorgt, die er nach den Bahamas gefahren und an einen Amerikaner verkauft hat«, sagte Kate energisch.

Der Mann musterte sie vorwurfsvoll. »Von solchen Dingen weiß ich nichts.«

»Jason hat Sie immer bewundert. Sie seien zwar sehr, sehr teuer, aber jeden einzelnen Penny wert, hat er gesagt.«

Der Hinweis auf Geld förderte sein Erinnerungsvermögen. »Jason Farley ist Ihr Bruder, sagten Sie?«

»Ja.«

»Er hat nie von einer Schwester gesprochen.«

»Er schämte sich seiner ehrbaren Verwandtschaft.«

Pettifer räusperte sich. »Können Sie beweisen, daß Sie seine Schwester sind?«

»Wenn ich’s nicht wäre, woher wüßte ich dann von der VAT-Bescheinigung?«

Mit dem rechten Zeigefinger zupfte er an seiner dicken Unterlippe. Er sah sie an, sah Weston an und starrte dann ins Leere. »Ich weiß nichts von falschen Pässen. Aber ich habe gehört, daß man noch immer einen mit einer gefälschten Geburtsurkunde erwerben kann. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie man es anstellt, einen zu kriegen …«

Sie fiel ihm ins Wort. »Wir brauchen ihn bis morgen.«

»Völlig unmöglich.«

»Wieviel?« erkundigte sich Weston.

Er hörte auf, an seiner Lippe zu zupfen. »Wenn – und das ist pure Spekulation – ich von einem hören würde, wird Sie das ’ne ganz schöne Stange Geld kosten.«

Weston zog ein Kuvert aus der Tasche. »Da haben Sie zwei Fotos, für den Fall, daß der erste Versuch mißlingt.«

»Ein Paß würde mindestens dreitausend Pfund kosten.«

Weston begann mit ihm zu handeln.