12
»Nun?« fragte Waters.
Turner hockte sich auf die Schreibtischkante des Detective-Sergeant. »Unter Berücksichtigung der Absatzhöhe und der Eindrücke in dem dicken Teppich stimmen die Maße.«
Waters kratzte sich den Schädel an seiner kahlsten Stelle. »Könnte interessant sein.«
»Interessant ist ebenfalls, daß in der Garage ein Dreihunderter Mercedes und davor ein Sierra steht. Es ist also ’ne Menge Geld im Spiel.«
»Das liegt auf der Hand, dazu braucht man keinen Mercedes. Ein Haus mit einem großen Garten direkt am Park ist mindestens eine dreiviertel Million Pfund wert.«
Turner stieß einen Pfiff aus. »So viel? Aber da ist noch mehr, Sarge. Sieht aus, als hätte er keine Arbeit.«
»Na schön, er war zu Hause, als Sie kamen. Würden Sie sofort ins Büro zurückrennen, wenn Sie Ihre Frau tot aufgefunden hätten?«
»Das meine ich nicht. Er sagte mir, er sei nicht im Büro gewesen, an dem Tag, als seine Frau umkam. Was ist, wenn sie das ganze Geld hatte und er von ihr lebte? Das ergäbe ein schönes Motiv für einen Mord.«
»An Phantasie mangelt’s Ihnen wahrhaftig nicht. Sie ziehen recht voreilige Schlüsse.«
»Meinen Sie nicht, es lohnt sich, in Erfahrung zu bringen, wer das Geld hatte, er oder sie?«
»Das werden wir in Erfahrung bringen, aber sehr diskret, damit er keinen Verfolgungswahn kriegt.«
»Irgendwelche Vorschläge, Sir?«
»Stellen Sie fest, wem das Haus gehört. Das Grundbuchamt ist jedem zugänglich. Falls das nicht klappt, gehen Sie zur Gemeinde und bitten um Einsicht in die alten Steuerunterlagen. Ist das Haus auf ihren Namen eingetragen, wissen wir, wo der Geldsack hängt.« Waters gähnte. »Was halten Sie übrigens von ihm?«
»Schwer zu sagen. Ich war ja schließlich nur einmal dort, und dann auch nur ganz kurz.«
»Stand er unter Schock?«
»Nun ja, gegrinst hat er nicht gerade. Aber wenn meine Frau sich gerade zu Tode gestürzt hätte, ich hätte bestimmt niedergeschlagener gewirkt.«
»Sind Sie sicher, daß er sich nicht nur zusammenreißt? Sie urteilen mir viel zu schnell nach den äußeren Gegebenheiten. Ich erinnere mich an einen Mann, der überhaupt keine Sorgen zu haben schien und trotzdem einige Stunden später Selbstmord beging.«
»Ursache und Wirkung, Sarge; Ursache und Wirkung.«
Turner klingelte an der Haustür von Francavilla; dann wandte er sich um und blickte auf den vorderen Garten hinaus. Hatte der Detective-Sergeant recht, war dieses Haus mindestens eine dreiviertel Million Pfund wert? Er war nicht naiv, aber er hatte nie begreifen können, wieso der eine in einem Haus wohnte, das Hunderttausende wert war, während der andere sich mühsam für die Hypothek auf ein Häuschen abrackern mußte, das unter einhunderttausend kostete – und wenn er ein kleiner Polizeibeamter war, weit darunter. Hatte dieses Schwein, der Tennisspieler mit dem Morgan, auch so ein luxuriöses Haus? Aber Pauline würde sich doch nicht von schmutzigen finanziellen Überlegungen leiten lassen!
»Ja?«
Er fuhr herum und stand vor einer Frau, die ihn an das Foto seiner Großtante Matilda erinnerte, die Fisch verkauft und Zigarren geraucht hatte. »Ist Mr. Weston zu Hause?«
»Nein«, antwortete Mrs. Amis.
»Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
»Nein.«
»Sie arbeiten hier?«
»Was geht Sie das an?«
»Ich bin Detective-Constable Turner.«
Sie war nicht beeindruckt.
»Dürfte ich Sie einen Moment sprechen?«
»Weswegen?«
»Nur ein paar Fragen. Ich muß nämlich einen Bericht über den Unfall schreiben und brauche dazu einige Fakten.«
»Ich weiß nichts. Ich hab’s auch erst erfahren, als Mr. W. es mir erzählt hat. Hat mir ’n ganz schönen Schock versetzt.«
Sie sah nicht aus wie eine Frau, die sich so leicht einen Schock versetzen ließ. »Kann ich mir vorstellen. Vor allem, wenn Sie sie sehr gemocht haben.«
»Wer sagt das?«
»Dann haben Sie sie nicht gemocht? Eine strenge Arbeitgeberin, die was für ihr Geld sehen wollte?«
Mrs. Amis verkniff die Lippen. »Was geht Sie das eigentlich an?«
»Ganz recht, es geht mich nichts an«, stimmte er ihr fröhlich zu. »Aber Sie haben doch sicher nichts dagegen, mir zu sagen, ob sie gesund war?«
»Wie meinen Sie das?«
»Können Sie sagen, ob sie in letzter Zeit Schwindelanfälle hatte?«
»Nein.«
»Oder gesagt hat, daß sie sich nicht wohl fühlte?«
»Das ist so ungefähr alles, worüber sie nicht geklagt hat.«
»Schwer zufriedenzustellen? Ich habe einen Detective-Inspector, der ist genauso … Wie wär’s denn, wenn ich reinkäme, statt hier draußen stehenzubleiben?« Er lächelte.
Sie zögerte; dann trat sie langsam beiseite. Sobald er im Haus war, schloß sie die Tür. »Ich nehme an, Sie haben nichts gegen eine Tasse Kaffee?«
»Ganz und gar nicht.«
»Dagegen hat kein Mann was, solange es während der Arbeitszeit ist.«
Er folgte ihr in die Küche, pfiff bewundernd. »So viele Geräte! Fast wie im Elektrofachgeschäft.«
»Sie haben recht. Ein Jammer, sage ich immer, weil sie keine Lust zum Kochen hat. Aber wenn man nicht weiß, wohin mit dem vielen Geld …« Sie öffnete einen Schrank und nahm ein Glas mit gemahlenem Kaffee heraus. Dann füllte sie die Kaffeemaschine mit Wasser. »Schwimmt wohl drin, der Knabe, was?«
»Er nicht. Ist schon einige Zeit arbeitslos.«
»Seit wann?«
»Kurz bevor er in Urlaub fuhr.«
»Dann hat sie also die goldenen Berge?« Die Recherchen nach dem Besitzer des Hauses wären also überflüssig gewesen.
Sie füllte die Maschine mit Kaffee, schraubte die beiden Hälften zusammen, stellte sie auf den Herd und schaltete ihn ein. »Mögen Sie Schokoladenkekse?«
»Dazu kann ich nicht nein sagen.«
»Konnte mein seliger Alf auch nicht.«
Zu den Möglichkeiten, eine Vernehmung erfolgreich zu gestalten, gehörte es, sich an irrelevanten Dingen interessiert zu geben. »Ist das Ihr Mann?«
»Ja. Vor acht Jahren ist er gestorben. Hat sich nur einen Tag nicht wohl gefühlt, kam ins Krankenhaus und war nach vier Tagen tot.« Sie sagte es, ohne Gefühle zu zeigen, aber sie konnte niemals an ihn denken, ohne daß es ihr innerlich einen Stich versetzte. Aus einem anderen Schrank holte sie eine Blechdose, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch. »Das sind Mr. W.s Lieblingskekse. Sollten sie auch wohl, nach dem Preis, den man dafür bezahlen muß.«
Er langte zu. Da er etwas ganz Besonderes erwartet hatte, war er enttäuscht, als sie nicht nur durchschnittlich, sondern sogar ein wenig bitter schmeckten. »Sie hat ihr Geld vermutlich geerbt.«
»Na, auf die Straße ist sie nicht gegangen. Obwohl sie dann möglicherweise glücklicher gewesen wäre.« Sie lachte herzlich.
Für einen Menschen, der eigentlich gar nicht über seine Brötchengeber sprechen wollte, zeigt sie sich aber bemerkenswert kooperativ, dachte er ironisch. »So war das also!«
»Einzelbetten und viel Platz dazwischen.«
»Man kann schließlich nicht alles haben.«
Als der Kaffee aufschäumte, schaltete sie den Herd aus. Sie stellte eine getriebene Zuckerschale und eine Flasche Milch auf den Tisch, füllte zwei Becher mit Kaffee und reichte ihm einen. »Nehmen Sie sich einen Stuhl und noch einen Keks.«
Beide setzten sich. Trotz seiner anfänglichen Enttäuschung holte er sich einen zweiten Keks. »Dann sind Sie nicht immer sehr gut miteinander ausgekommen?«
»Sind Sie verheiratet?«
»Noch nicht.«
»Dann werden Sie noch lernen müssen, daß die Ehe nicht immer Friede und Freude ist.«
»Haben sie sich gestritten?«
»Selbstverständlich.«
»Worüber?«
»Woher soll ich das wissen. Ich horche nicht an den Türen. Nur manchmal konnte man eben nicht überhören, daß sie sich stritten.«
»Was meinen Sie denn, warum sie sich stritten?«
»Weil sie zu dieser Art Frauen gehörte. Rieb ihm immer wieder unter die Nase, daß sie das Geld hatte. Auch als er noch einen Job hatte, warf sie ihm vor, daß er nicht genug verdient. Ehrlich, er hat mir leid getan. Ein Mann muß gelegentlich beweisen können, daß er jemand ist, und das hat sie ihm wahrlich nicht leichtgemacht.«
»Klingt, als hätte sie’s ihm unmöglich gemacht.«
»Daß er arbeitslos geworden war, hat ihn wirklich schwer getroffen, und nicht nur, weil sie ihm noch mehr Vorwürfe machte als sonst. Hat einfach nicht sehen wollen, wie tief sie seinen Stolz verletzt hat. Er müsse mal aus allem raus, hat er gesagt, aber sie wollte nicht mit, weil er ’ne Pauschalreise gebucht hatte. Vermutlich fürchtete sie, sie würde sich was Schlimmes einfangen, wenn sie mit Leuten umgehen mußte, die solche Reisen buchen.«
»Haben sie sich darüber gestritten?«
Sie trank von ihrem Kaffee, stellte den Becher ab und tat noch einen Löffel Zucker hinein. »Sie wollte irgendwohin, wo’s anständig ist, und sie wollte bezahlen. Wollte nicht einsehen, daß sie ihn damit noch mehr kaputtmachte. Da hab ich zum erstenmal gehört, daß er richtig auf sie losging. Wenn Sie mich fragen, hätte er das öfter tun sollen.«
»Sind Sie für die Freiheit der Frauen?«
»Die meisten brauchen nicht mehr Freiheit, als sie sich auch so schon nehmen.«
Er lachte. »Und wie standen die Dinge, als er aus seinem Urlaub zurückkehrte?«
»Tiefgefroren. Er hatte gewagt, etwas zu tun, was er tun wollte und sie nicht getan hat.«
»Und hatte sich die Lage bis zum letzten Mittwoch irgendwie gebessert?«
»Ich sage Ihnen, richtig kiebig war sie, an dem Morgen. Ging auf ihn los, weil ihre Mutter jammerte, sie wäre krank, und er antwortete, das täte ihre Mutter nur, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«
»Wie dem auch sei, das Ganze sah nicht gerade nach einer glücklichen Ehe aus, wie?«
»Weiß nicht, wo der seine Augen gehabt hat, als er sie kennenlernte. Oder er kannte sich nicht aus mit Frauen.«
»Welcher Mann tut das schon!« Er nahm sich noch einen dritten Kecks; sie schienen ihm allmählich zu schmecken.
Waters stand in seinem Büro am Fenster und klimperte mit den Münzen in seiner rechten Hosentasche.
»Fängt langsam an, heiß zu werden«, sagte Turner.
Er wandte sich um. »Meinen Sie nicht, daß Sie das alles viel zu oberflächlich sehen?«
»Mann, Sarge, es liegt doch auf der Hand! Die Ehe war im Eimer, er hatte seinen Job verloren und war klamm, sie hatte das große Geld und rieb ihm das unter die Nase … Ich sage Ihnen, ein bißchen tiefer schürfen und wir werden auf ’ne kleine Blondine stoßen, die ihn fit hält und überlegt, wie ihr der Titel der zweiten Mrs. Weston wohl anstehen würde.«
»Na gut, dann schürfen Sie mal schön.«