Lord Dunsany und sein Werk
Die relativ geringe Anerkennung, die Lord Dunsany, dem vielleicht einzigartigsten, originellsten und phantasievollsten unter den derzeit* lebenden Autoren, zuteil geworden ist, bildet einen erheiternden Kommentar zur natürlichen Dummheit des Menschengeschlechts. Konservative Kreise betrachten ihn mit väterlicher Herablassung, denn er kümmert sich nicht um die schwerwiegenden Irrtümer und künstlichen Konstruktionen, die ihre höchsten Werte ausmachen. Die Radikalen schätzen ihn gering, denn sein Werk zeigt nicht jene chaotische Herausforderung des guten Geschmacks, die für sie das einzige Kennzeichen authentischer moderner Desillusionierung ist. Und doch ginge man mit der Behauptung kaum fehl, daß ihn eher beide Richtungen ehren sollten als keine von ihnen. Denn wenn jemand die Überreste der wahren Kunst der alten wie der neuen Schule abgewonnen und miteinander verknüpft hat, dann dieser alleinstehende Riese, in dem die klassische, die jüdische, die nordische und die irische ästhetische Tradition auf so eigentümliche und bewunderungswürdige Weise eine Verbindung eingegangen sind.
Das allgemeine Wissen über Dunsany scheint sich auf den verschwommenen Eindruck zu beschränken, daß er jener Gruppe angehört, die sich die Wiederbelebung des Keltischen zum Ziel gesetzt hat und merkwürdige Theaterstücke schreibt.
Wie das meiste allgemein verbreitete Wissen ist auch dieses bedauerlich bruchstückhaft und unvollständig, in vieler Hinsicht auch irreführend. Genau genommen gehört Dunsany überhaupt keiner Gruppierung an, und die bloße Urheberschaft dramatischer Phantasiestücke ist nur ein unbedeutender Aspekt der Persönlichkeit eines, in dessen dichterischen Erzählungen und Schauspielen sich wahrhaft das Genie einer eigenständigen Philosophie und ästhetischen Anschauung spiegelt. Dunsany ist kein nationaler, sondern ein universeller Künstler, und seine oberste Eigenschaft ist nicht bloß das Unheimliche, sondern eine bestimmte gottähnliche und unpersönliche Vision von kosmischer Reichweite und Perspektive, welche die
Bedeutungslosigkeit, Verschwommenheit, Vergeblichkeit und tragische Absurdität allen Lebens und aller Wirklichkeit begreift. Sein Hauptwerk gehört einer Richtung an, die heutige *
Dieser Aufsatz wurde 1922 geschrieben; Lord Dunsany starb erst 1957.
Kritiker »Fluchtliteratur« genannt haben, die Literatur bewußter Unwirklichkeit, geschaffen aus der intelligenten und anspruchsvollen Überzeugung, daß die zergliederte Wirklichkeit kein Erbe hat außer Chaos, Schmerz und Enttäuschung.
Solchermaßen ist er zugleich Konservativer und Anhänger der Moderne; ein Konservativer, weil er noch immer nicht den Glauben verloren hat, daß Schönheit eine Sache goldener Erinnerungen und einfacher Muster ist, und ein Vertreter der Moderne, weil er erkennt, daß wir nur in willkürlich ausgewählten Phantasien eines der Muster ausgeprägt finden können, die zu unseren goldenen Erinnerungen passen. Er ist der oberste Dichter des Wunders, aber eines intelligent ersonnenen Wunders, dem man sich zuwendet, nachdem man ausgiebig die Desillusionierung des Realismus erlebt hat.
Edward John Moreton Drax Plunkett, der achtzehnte Baron Dunsany, wurde 1878 im Dunsany Castle, County Meath, Irland, geboren und ist ein Vertreter des ältesten und bedeutendsten Blutes im Britischen Weltreich. Er ist vorwiegend teutonischer und skandinavischer Abstammung -
normannischer und dänischer -, ein Umstand, der ihm eher die eisige Erbschaft nordischer Volkssagen als der sanfteren und mystischeren keltischen Überlieferung mitgibt. Seine Familie ist jedoch eng mit dem Leben Irlands verwoben, und sein Onkel, der Staatsmann Sir Horace Plunkett, war es, der als erster den Einfall zur Bildung eines Dominionstaates hatte, der jetzt bei der Schaffung des Freistaats Irland in die Praxis umgesetzt wird.
Seinen Neigungen nach ist Lord Dunsany persönlich ein loyaler Anhänger des Empires, ein tapferer Offizier der britischen Armee und Veteran des Burenkrieges und des Ersten
Weltkriegs.
Seine früheste Jugend verbrachte Dunsany auf Dunstall Priory, Shoreham, Kent, England, dem Erbgut seiner Mutter. Er hatte ein Zimmer, dessen Fenster nach den Bergen und dem Westen zu gelegen waren, und diesem Anblick der goldenen Erde und des goldenen Himmels schreibt er einen Gutteil seiner poetischen Neigung zu. Seine einzigartige Ausdrucksweise wurde von seiner Mutter durch die sorgfältige Auswahl seiner Lektüre gefördert. Zeitungen bekam er überhaupt nicht zu lesen, das Hauptnahrungsmittel seiner literarischen Diät war die King James-Bibel. Die Auswirkungen dieser Lektüre auf seinen Stil waren dauerhaft und wohltätig. Ohne bewußte Anstrengung eignete er sich die Einfachheit und die Reinheit des archaischen Englisch und die kunstvollen Wiederholungen der Psalmisten an, so daß er bis zum heutigen Tag dem Stilverfall entkommen konnte, der bei den meisten modernen Prosaautoren so häufig zu finden ist.
In seiner ersten öffentlichen Schule, der Cheam School, geriet Dunsany noch stärker unter den Einfluß der Bibel, und er kam zum ersten Mal mit einem Einfluß in Berührung, der noch wertvoller war: dem der griechischen Klassiker. Bei Homer fand er einen Geist des Wunders, der seinem eigenen verwandt war, und in seinem gesamten Werk läßt sich die Anregung durch die Odyssee verfolgen - nebenbei ein Epos, das vielleicht von weit größerem Genie zeugt als sein kriegerischer Vorgänger, die Ilias. Die Odyssee wimmelt geradezu von jenem Zauber seltsamer, ferner Landstriche, der auch Dunsanys
Hauptmerkmal ist.
An die Cheam School schloß sich Eton an, danach Sandhurst, wo der jugendliche Edward Plunkett in jenem Waffenhandwerk ausgebildet wurde, das einem Adelssprößling geziemt. 1899
brach der Burenkrieg aus, und der Jüngling kämpfte bei den Goldstream Guards und machte alle Entbehrungen jener Jahre mit. Im selben Jahr erbte er seinen alten Titel und Besitz; der Knabe Edward Plunkett war zu dem Mann und Soldaten Lord Dunsany geworden.
Dunsany erscheint erstmals in der Literatur kurz nach Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts, und zwar als Förderer des Werks junger irischer Literaten. 1905 veröffentlichte er The Gods of Pegäna, sein erstes Buch, in dem sein eigenständiges Genie durch die phantastische Schöpfung einer neuen und künstlichen Mythologie durchschimmert, ein vollkommen entwickelter Zyklus von Naturallegorien mit dem ganzen unendlichen Liebreiz und der pfiffigen Philosophie einer natürlichen Sagenwelt.
Danach erschienen weitere Bücher in rascher Folge, alle von dem Künstler des Seltsamen Sidney H.
Sime illustriert. In Timeandthe Gods (1906) wurde die mythische Grundidee mit wachsender Lebendigkeit weiter ausgebaut. The Sword of Welleran (1908) besingt eine Welt von Menschen und Helden, die von Pegänas Göttern regiert werden, ebenso A Dreamer's Tales (1910). Hier finden wir die besten Beispiele Dunsanyscher Dichtung voll entwickelt; das hellenische Gefühl von Konflikt und Schicksalhaftigkeit, den großartigen kosmischen Standpunkt, den wunderbaren lyrischen Fluß der Sprache, den orientalischen Glanz von Farben und Bilder, die titanische Fruchtbarkeit und den Einfallsreichtum der Phantasie, den mystischen Zauberschein von märchenhaften Ländern »weit im Osten« oder »am Rande der Welt« und das erstaunliche Talent, sich musikalische, verlockende und Staunen hervorrufende Eigennamen, sowohl Personennamen wie geographische Bezeichnungen, nach klassischen und
morgenländischen Vorbildern auszudenken. Einige von Dunsanys Erzählungen befassen sich mit der objektiven Welt, die wir kennen, und den darin enthaltenen seltsamen Wundern.
Die besten von ihnen berichten aber von Ländern, die man sich nur in Wachträumen vorstellen kann.
Diese sind in dem rein dekorativen Geist gestaltet, der die höchste Kunst bedeutet, denn sie weisen kein sichtbares moralisches oder didaktisches Element auf, sieht man von der altmodischen Allegorie ab, die dem Typus von Legendengut innewohnt, dem sie angehören. Dunsany hat keine andere didaktische Idee als den Haß eines Künstlers auf das Häßliche, Dumme und Gewöhnliche. Das erkennen wir gelegentlich in satirischen Anklängen bei der Schilderung gesellschaftlicher Einrichtungen und Beschwerden über die Verschandelung der Natur durch düstere Städte und abscheuliche Reklameschilder.
Von allen menschliche Einrichtungen sind Reklameflächen Lord Dunsany am verhaßtesten.
1909 schrieb Dunsany sein erstes Stück, The Glittering Gate, auf Wunsch W. B. Yeats', der von ihm etwas für sein Abbey Theatre in Dublin haben wollte. Obwohl dem Autor jede Bühnenerfahrung abging, war das Ergebnis ein voller Erfolg und führte dazu, daß Dunsany eine stetige Karriere auf dem Gebiet dramatischer Dichtungen einschlug. Auch wenn der Schreiber dieser Zeilen weiterhin die Erzählungen vorzieht, sind sich die meisten Kritiker darin einig, die Stücke höher zu loben. Und gewiß weisen diese eine Brillanz des Dialogs und eine Sicherheit der Technik auf, die Dunsany einen Platz unter den größten Dramatikern sichern. Welche Einfachheit! Welch Einfallsreichtum! Welch edle Redeweise! Wie bei den Geschichten leben auch die besten der Stücke von einer phantastischen Fabel und einem phantastischen Milieu. Die meisten sind recht kurz, doch sind zumindest zwei, Ifund Alexander, von abendfüllender Länge. Das am meisten geschätzte ist möglicherweise The Gods of the Mountains, das vom Schicksal von sieben Bettlern in der Stadt Kongros berichtet, die sich als die sieben grünen Jade-Götter verkleideten, die auf dem Berg Marma sitzen. Grün ist übrigens eine Lieblingsfarbe in Dunsanys Werk, und am häufigsten tritt sie als grüne Jade auf. In diesem Stück istdie Nietzscheanische Gestalt des Bettlerhäuptlings Agmar mit meisterlichen Strichen gezeichnet und wird wahrscheinlich unter den lebendigen Gestalten der Dramatik der Welt fortleben. Andere wunderbar gewaltige Stücke sind A Night at an Inn - des Pariser Grand Guignols würdig - und The Queen's Enemies, die Ausarbeitung einer von Herodot überlieferten ägyptischen Anekdote. Man kann das reine Genie für dramtische Rede und dramatische Situation gar nicht genug betonen, das Dunsany in seinen besten Stücken erkennen läßt. Sie sind in jedem Sinne durch und durch klassisch.
Dunsanys Einstellung zum Wunderbaren ist, wie bereits bemerkt, eine bewußt kultivierte; ihr liegt eine
erzphilosophische und anspruchsvolle Vernunft zugrunde. Es verwundert daher nicht, daß sich im Laufe der Jahre in seinem Werk ein Element sichtbarer Satire und treffenden Humors bemerkbar zu machen begann. Es gibt wahrhaftig eine interessante Parallelentwicklung zwischen ihm und jenem anderen großen Iren, Oscar Wilde. Auch bei diesem gingen die phantastische und die witzigweltkluge Seite ineinander über, und auch er hatte dieselbe Göttergabe für glänzende Prosa und exotische Bilder.
1912 erschien The Book of Wonder, dessen kurze phantastische Geschichten alle einen gewissen humorvollen Zweifel an der eigenen Ernsthaftigkeit und Wahrheit erkennen lassen. Bald danach schrieb er The Lost Silk Hat, eine einaktige Sittenkomödie, die an prickelndem Glanz und Witz allem gleichzusetzen ist, was selbst ein Sheridan schaffen konnte. Und seit diesem Zeitpunkt war die ernsthafte Seite Dunsanys ständig im Abnehmen begriffen, trotz gelegentlicher Stücke und Erzählungen, die das Überleben des Verehrers des absolut Schönen zeigen. Die Fifty-One Tales, 1915 veröffentlicht, haben etwas von dem städtischen, prosadichterischen Geist eines philosophischen Baudelaire, während The Last Book ofWonder (1916) dem ersten Buch mit ähnlichem Titel gleicht.
Nur in den verstreuten Fragmenten, die die Tales ofThree Hemispheres (1919) bilden, finden wir starke Mahnungen an den älteren, einfacheren Dunsany. If (192.2), das neue lange Stück, ist hauptsächlich eine satirische Komödie mit einem kurzen Hauch exotischer Beredsamkeit. Der Schreiber dieser Zeilen hat Don Rodriguez, das vom Verlag eben angekündigt wurde, noch nicht gelesen. Darin findet man vielleicht mehr von dem alten Dunsany. Es ist sein erster Roman und wird von den Rezensenten, die ihn gelesen haben, sehr geschätzt. Alexander, ein abendfüllendes Stück, das auf Plutarch basiert, wurde 1912
geschrieben und wird vom Autor als seine beste Arbeit betrachtet.
Bedauerlicherweise ist dieses Drama weder veröffentlicht noch aufgeführt worden. Dunsanys kürzere Stücke sind in zwei Bänden zusammengefaßt. Five Plays, es enthält The Gods ofthe Mountain, The Golden Doom, KingArgimenes and the Unknown Warrior, The Glittering Gate und The Lost Silk Hat, wurde 1914
veröffentlicht.
1917 erschien Plays of Gods and Men mit The Tents of the Arabs, The Laughter of the Gods, The Queen's Enemies und A Night at an Inn.
Dunsany hat seine Position als Förderer der Literatur nie aufgegeben und war der literarische Schirmherr des irischen Bauerndichters Ledwidge - dieses Sängers der Amsel, der im großen Völkerringen fiel, als er unter dem Hauptmann Dunsany bei den Fifth Royal Inniskilling Füsiliers diente. Der Krieg nahm Dunsanys Phantasie sehr gefangen, denn er war bei den Kämpfen in Frankreich und beim Dubliner Volksaufstand von 1916 eingesetzt, bei dem er schwer verwundet wurde. Wie der Krieg auf ihn wirkte, zeigen ein Band bezaubernder und manchmal rührseliger Geschichten, Tales ofWar (1918), und eine Sammlung reminiszierender Essays, Unhappy Far-Off Things (1920). Seine allgemeine Auffassung vom Krieg ist in diesen Büchern die gleiche: kriegerische Auseinandersetzungen sind ein Unglück, so unvermeidlich wie die Gezeiten und die Jahreszeiten.
Dunsany hat eine sehr hohe Meinung von Amerika, denn es war rascher bereit als sein Mutterland, ihm jene kleine Anerkennung zu geben, die ihm zuteil geworden ist. Die meisten seiner Stücke sind hier von kleinen Theatergruppen aufgeführt worden, besonders der Stuart Walkers, und zuweilen wurden sie begeistert aufgenommen. Alle diese Inszenierungen wurden unter der sorgsamen Mitwirkung des Autors gemacht, dessen Briefe mit Anweisungen äußerst aufschlußreich sind. Dunsanys Stücke erfreuen sich bei vielen Theatergesellschaften an Colleges großer Beliebtheit, und zwar völlig zu recht.
1919-20 unternahm Dunsany eine Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten und fand allgemein eine freundliche Aufnahme.
Dunsany hat eine überaus anziehende Persönlichkeit, wie der Verfasser dieser Zeilen bezeugen kann, der ihm in der ersten Reihe direkt gegenüber saß, als Dunsany im Oktober 1919 im Ballsaaldes Copley- Plaza-Hotels einen Vortrag hielt. Bei diesem Anlaß legte Dunsany seine literarischen Anschauungen mit viel Anmut dar und las sein kurzes Stück The Queen's Enemies. Er ist ein sehr großer Mann - 1,80 Meter -, von mittlerem Umfang, heller Gesichtsfarbe, blauen Augen, hoher Stirn, einem hellbraunen Haarschopf und einem kleinen Schnurrbart von derselben Farbe. Sein Gesicht bietet einen gesunden und hübschen Anblick und trägt einen Ausdruck bezaubernder und wunderlicher Freundlichkeit, mit einem gewissen knabenhaften Charme, den keine Welterfahrung und auch nicht sein Monokel auslöschen kann. Auch Gang und Haltung weisen eine gewisse Knabenhaftigkeit auf, eine Spur schlechter Haltung und die gewinnende Unbeholfenheit, die man mit der Pubertät verbindet. Seine Stimme ist angenehm und sanft und seine Aussprache der Gipfel britischer Sprechkultur.
Er gibt sich locker und gelöst, in einem Maße, daß sich der Berichterstatter des Boston Transcript sogar über den Mangel an salbungsvoller Rednerpose bei ihm beschwerte. Als
Vortragendem eines dramatischen Stückes mangelt es ihm unzweifelhaft an Lebendigkeit und Gestik. Es liegt auf der Hand, daß er als Schauspieler so armselig wäre, wie er als Autor groß ist. Er kleidet sich betont leger, und man hat ihn den am schlechtesten gekleideten Mann von Irland genannt. Gewiß war der weite Abendanzug, der auf seinen amerikanischen Vorträgen um ihn schlotterte, wenig beeindruckend. Gegenüber den Bostoner Autogrammjägern war er sehr entgegenkommend, denn er wies niemanden ab, wiewohl er starke Kopfschmerzen hatte, die ihn dazu zwangen, sich mehrmals an die Stirn zu greifen. Wenn er in ein Taxi stieg, verlor er immer den Zylinder
- so erinnern sich die Unbedeutenden der Mißgeschicke der Großen!
Lord Dunsany ist mit einer Tochter Lord Jerseys verheiratet und hat einen Sohn, den Hon. Randal Plunkett, geboren 1906.
Sein Geschmack, weit davon entfernt, die morbiden Vorlieben des herkömmlichen Zynikers und Phantasten zu teilen, ist auffallend naturbezogen und normal. Er genießt sein feudales Erbe als Baron sichtlich. Er ist der beste Pistolenschütze von Irland, ein begeisterter Kricketspieler und Pferdeliebhaber, ein Großwildjäger und ein eingefleischter Anhänger des Landlebens. Er ist weit gereist, besonders in Afrika, und lebt abwechselnd auf seinem Schloß Meath, auf dem Sitz seiner Mutter in Kent und in seiner Londoner Wohnung am Lowndes Square 55. Daß ihm die wahrlich romantische Eigenschaft bescheidenen Heldentums eignet, wird durch einen Vorfall bezeugt, bei dem er jemanden vor dem Ertrinken rettete und sich weigerte, der Menge, die ihn als Helden feierte, seinen Namen zu verraten.
Dunsany schreibt seine Werke immer sehr rasch, und zwar vornehmlich am Spätnachmittag und Frühabend, wobei er als mildes Anregungsmittel Tee zu sich nimmt. Er schreibt fast immer mit einem Federkiel, dessen breite, pinselähnliche Züge allen unvergeßlich sind, die seine Briefe und Manuskripte gesehen habe. Seine Einzigartigkeit tritt in jedem Abschnitt seines Tuns zutage und umfaßt nicht nur eine einzigartige Sparsamkeit der Interpunktion, die von den Lesern gelegentlich bedauert wird. Sein Werk umgibt Dunsany mit einer
altmodischen Atmosphäre von gepflegter Naivität und kindgleicher Unwissenheit, und er liebt es, historischen und anderen Angaben einen Hauch wohltuender Kunstlosigkeit zu geben, als sei er mit ihnen nicht vertraut. Seine beharrliche Absicht ist es, die Welt mit der leicht beeindruckbaren Frische unverdorbener Jugend zu erforschen - oder mit einer Verfahrensweise, die dieser Eigenschaft so nahe kommt, wie es seine Erfahrung nur zuläßt. Diese Auffassung bringt oft sein Urteilsvermögen durcheinander, wie 1920 deutlich zu erkennen war, als er sich freundlicherweise der United Amateur Press Association als Ehrenpreisrichter für Lyrik zur Verfügung stellte. Dunsany hat die Einstellung des wahren Aristokraten zu seinem Werk. Wenn ihm auch der Ruhm willkommen käme, denkt er nicht im Traum daran, seine Kunst entweder dem spießbürgerlichen Pöbel oder der herrschenden Clique literarischer Chaotiker zuliebe herabzuwürdigen. Er schreibt allein, um sich auszudrücken, und ist deshalb der Idealtypus des Amateurjournalisten.
Die endgültige Stellung Dunsanys in der Literatur hängt weitgehend von der zukünftigen Entwickung der Literatur selbst ab. Wir leben in einem Zeitalter seltsamen Übergangs und des Auseinanderklaffens, die Kunst sondert sich zunehmend von der Vergangenheit und auch vom gewöhnlichen Leben ab. Die moderne Wissenschaft hat sich letztlich als Feind von Kunst und Vergnügen erwiesen, denn indem sie uns die ganze niedrige und alltägliche Grundlage unserer Gedanken, Motive und Handlungen gezeigt hat, hat sie die Welt ihres Glanzes, ihres Wunders und all jener Illusionen von Heldentum, Edelmut und Aufopferung beraubt, die so beeindruckend klangen, wenn sie auf romantische Manier behandelt wurden. Wahrhaftig, es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß die
psychologische Entdeckung und chemische, physikalische und physiologische Forschungen unter informierten und
anspruchsvollen Leuten das Element des Gefühls weitgehend zerstört haben, denn sie haben es in seine Bestandteile aufgelöst
- den verständigen Einfall und den tierischen Trieb. Die sogenannte »Seele« mit all ihren hektischen und widerlichen Attributen wie Gefühlsduselei, Verehrung, Ernsthaftigkeit, Ergebenheit und dergleichen ist unter der Analyse zugrunde gegangen. Nietzsche führte eine Umwertung aller Werte herbei, Remy de Gourmont jedoch en gros die Zerstörung aller Werte.
Wir wissen nunmehr, was für ein vergebliches, zweckloses und zusammenhangloses Durcheinander von Trugbildern und Heucheleien das Leben ist. Und dem ersten Schock über dieses Wissen ist die bizarre, geschmacklose, aufsässige und chaotische Literatur der schrecklichen Generation entsprungen, die unsere Großmütter so schockiert - die ästhetische Generation von T. S. Eliot, D. H. Lawrence, James Joyce, Ben Hecht, Aldous Huxley, James Branch Cabell und all den übrigen. Diese Schriftsteller, da sie wissen, daß das Leben kein wirkliches Muster aufweist, rasen entweder oder höhnen oder schließen sich dem kosmischen Chaos an, indem sie eine ungeschminkte und bewußte Unverständlichkeit und Verwirrung der Werte ausschlachten. Für sie schmeckt es nach Vulgarität, eine Ordnung zu akzeptieren - denn heutzutage lesen nur Dienstboten, Kirchgeher und erschöpfte Geschäftsleute etwas, was etwas bedeutet, oder erkennen Werte an. Welche Chance hat denn ein Autor, der weder dumm noch gewöhnlich genug für die Leserschar von Cosmopolitan, Saturday Evening Post, Harold Bell Wright, Snappy Stories, Atlantic Monthly und Home Brew ist; noch verwirrt, obszön oder wasserscheu genug für die Leser von Dial, Freeman, Nation oder New Republic und die Möchtegern-Leser des Ulysses? Gegenwärtig lehnt ihn die eine Clique als »zu anspruchsvoll« ab, während ihn die andere als unerträglich lahm und kindisch verständlich nicht zur Kenntnis nimmt.
Dunsanys Hoffnung auf Anerkennung liegt bei den Literaten und nicht bei der Menge, denn sein Reiz liegt in einer äußerst zarten Wortkunst und einer sanften Desillusionierung und Weltverdrossenheit, die lediglich Feingeister genießen können.
Der notwendige Schritt zu einer solchen Anerkennung ist eine Abkehr von der vorherrschenden ästhetischen Anarchie, eine Abkehr, die höchstwahrscheinlich eintritt, wenn es zu einem reiferen Verständnis der modernen Desillusionierung und was sie zu bedeuten hat, kommt. Die Kunst ist durch eine gründliche Kenntnis des Universums zerstört worden, die zeigt, daß die Welt für jeden nur ein je nach individueller Wahrnehmung sich darbietender Kehrichthaufen ist. Sie wird, wenn überhaupt, nur vom nächsten und letzten Schritt der Desillusionierung gerettet werden, der Erkenntnis, daß ein vollständiges Verständnis und eine vollständige Wahrheit an sich wertfrei sind, und daß man für jede echte künstlerische Anregung künstlich Grenzen des Bewußtseins und ein Lebensmuster, das der ganzen Menschheit gemein ist, erfinden muß - am natürlichsten das einfache alte Muster, das uns die uralte und tastende Überlieferung zuerst vorgab. Wir erkennen, daß die Quelle aller Freude und jeder Begeisterung das Staunen und die Unwissenheit sind, und sind dann bereit, mit den höhnenden Atomen und Elektronen einer zwecklosen Unendlichkeit das alte Blinde-Kuh-Spiel zu spielen.
Dann werden wir auch erneut Musik und Farbe der göttlichen Sprache verehren und ein epikuräisches Vergnügen an jenen Verbindungen von Einfällen und Phantasien finden, die wir als künstlich erkannt haben. Nicht, daß wir dem Gefühl gegenüber wieder eine ernsthafte Einstellung gewinnen können - dazu ist die Vernunft zu sehr losgelassen -, doch werden wir uns des Arkadiens aus Dresdener Porzellan eines Autors erfreuen können, der mit den alten Einfällen, Stimmungen, Typen, Situationen und Lichteffekten auf geschickte, bildhafte Art und Weise spielt, eine Art und Weise, die von liebevollen Erinnerungen wie an gestürzte Götter gefärbt ist, aber doch nie von einer kosmischen und sanft satirischen Erkenntnis der in Wahrheit mikroskopischen Bedeutungslosigkeit der
menschlichen Puppen und ihrer unbedeutendenden Beziehungen untereinander abweicht. Ein solcher Autor mag gut Frivolität oder Vulgarität vermeiden, doch muß er der vernunftgemäßen Anschauungsweise den Vorrang einräumen, selbst wenn sie verborgen bleibt, und sich davor hüten, ernsthaft mit der Stimme von Leidenschaften zu sprechen, die von der modernen Psychologie als entweder heuchlerisch hohl oder absurd animalisch erkannt worden sind.
Und klingt das nicht buchstäblich wie eine Beschreibung Dunsanys, eines gewandten Prosadichters, der zufällig auch klassische Hexameter schreibt und seine Bühne aufstellt für unerbittliche Götter und ihren noch unerbittlicheren Eroberer Zeit, für kosmische Schachspiele von Schicksal und Zufall, für Leichenbegängnisse toter Götter, für Geburt und Tod von Universen und für die einfachen Annalen jenes Stäubchens im Weltraum, das die Welt genannt wird, die mit ihren armseligen Bewohnern nur eines der unzähligen Spielzeuge der kleinen Götter ist, die ihrerseits bloß die Träume der MÄNA YOOD
SUSHÄI sind? Das Gleichgewicht zwischen Konservatismus und dem Anspruchsvollen ist bei Dunsany vollkommen, er ist auf wunderliche Weise traditionell, sich aber doch der chaotischen Nichtigkeit der Werte bewußt wie jeder, der sich als Vertreter der Moderne bekennt. Mit derselben Stimme, die gottbewegende Mächte besingt, trauert er um das zerbrochene Schaukelpferd eines Kindes und erzählt, wie der Wunsch eines Jungen nach einem Reifen einen König dazu veranlaßte, seine Krone den Sternen zu opfern. Er versäumt auch nicht, von stillen Dörfern zu singen, dem Rauch idyllischer Herdstätten und dem abendlichen Lichterschein in Hüttenfenstern. Er erschafft eine Welt, die es nie gegeben hat und nie geben wird, die wir aber immer gekannt und nach der wir uns in Träumen gesehnt haben. Diese Welt erfüllt er mit Leben, nicht indem er so tut, als sei sie wirklich, sondern indem er die Eigenschaft des Unwirklichen erhöht und sein ganzes Traum-Universum mit einem zarten Pessimismus überzieht, der sich zur Hälfte von der modernen Psychologie herleitet und zur anderen von unseren ererbten nordischen Mythen von Ragnorok, der
Götterdämmerung. Er ist zugleich modern und ein Mythologe und sieht das Leben zu Recht als eine Reihe sinnloser Bilder, stattet es mit all den uralten Formeln und Redewendungen aus, die wie erstarrte Metaphern in der Sprache zu einem unabdingbaren Teil unseres hochgeschätzten Erbes an Gedankengut geworden sind.
Dunsany gleicht niemandem sonst. Wilde kommt ihm am nächsten, und es gibt gewisse Verwandtschaften mit Poe, de Quincy, Maeterlinck und Yeats. Doch alle Vergleiche sind müßig. Die besondere Verbindung von Stoff und Manier, die sich bei ihm findet, ist in ihrem stolzen Genie einzigartig. Er ist nicht vollkommen oder nicht immer vollkommen, aber wer ist das denn auch ständig? Kritiker bemängeln, daß er gelegentlich Satire mit der Stimmung einer Tragödie vermischt.
Das ist jedoch ein konventioneller Einwand und bezeugt nur, daß sie mit der irischen Tradition nicht vertraut sind, die solch perverserweise unsterblichen Werke wie James Stephens Crock of Gold hervorgebracht hat. Sie bekritteln auch, daß er wandelnde Steingötzen und abscheuliche Hindu-Idole auf der Bühne einführt. Diese Beckmesserei ist erbärmlich blind, interpretiert sie doch apokalyptische Visionen nach Bühnenerfordernissen. Jede Kritik des Schreibers dieser Zeilen würde die Form einer Bitte annehmen; er würde sich eine weniger vollständige Verwandlung des alten mythenschaffenden Dunsany in den neueren und prickelnderen Dunsany wünschen.
Ein wiedererstandener Sheridan ist wahrhaftig wertvoll, der Dunsany von A Dreamer's Tales ist jedoch ein doppelt so wertvolles Wunder, denn man kann ihm nicht gleichkommen oder auch nur nahekommen. Es ist ein Wunder, das uns unsere Kindheitsträume wiedergegeben hat, soweit uns solche Dinge überhaupt je wiedergegeben werden können, und das ist vielleicht der größte Segen, den es auf Erden gibt.
Die Zukunft ist dunkel und voller Zweifel, und inmitten ihrer vernichtenden Introspektion und Analyse gibt es vielleicht keinen Platz für die Kunst, wie wir sie kennen. Falls jedoch irgendeine schon vorhandene Kunst dieser Zukunft angehört, dann ist es die Kunst Lord Dunsanys.
H. P. Lovecraft, 14. Dezember 1922 »Der Mann aus Stein«
war Mrs. Healds erste veröffentlichte Geschichte. Sie wurde von Lovecraft weniger stark als ihre späteren Erzählungen überarbeitet. Unter dem Datum 30. September 1944 schrieb Mrs. Heald: »Lovecraft half mir bei dieser Geschichte ebensosehr wie bei den anderen und schrieb ganze Absätze um.
Er kritisierte Absatz um Absatz, fügte daneben mit Bleistift Bemerkungen ein und ließ mich dann alles umschreiben, bis er damit zufrieden war.« Es gibt schlüssige Beweise, die darauf hindeuten, daß Lovecrafts Überarbeitungen in zwei scharf getrennte Gruppen einzuordnen sind - das Gros rein professioneller Überarbeitungen von Sprache und Interpunktion und eine gewisse kleine Gruppe von Geschichten, die ihn persönlich stark interessierten und denen er seinen persönlichen literarischen Stempel aufdrückte. Das gilt weniger für »Der Mann aus Stein« als für die späteren Arbeiten, die unter dem Namen Hazel Heald erschienen. Lovecraft überarbeitete auch -
über die Werke hinaus, die bereits bei Arkham House vorliegen
- Erzählungen unter den Namen Sonia H. Greene (die Frau, mit der Lovecraft kurze Zeit verheiratet war) und Adolphe de Castro, die in Weird Tales erschienen. »Der Mann aus Stein«
wird hier in erster Linie als ein Beispiel von Lovecrafts frühen Überarbeitungen angeführt, das die Kennzeichen eines rein beruflichen und zum Teil auch eines persönlichen Interesses trägt, man denke z. B. an die Einfügung des Book of Eibon usw.