Der Mann aus Stein 

Hazel Heald und H. P. Lovecraft

Ben Hayden galt schon immer als hartnäckiger Bursche, und sobald er von den merkwürdigen Statuen in den oberen Adirondacks gehört hatte, konnte ihn nichts davon abhalten, sich aufzumachen, um der Sache nachzugehen. Ich war seit Jahren sein engster Freund, und unsere Freundschaft, unverbrüchlich wie die von Dämon und Phintias, machte uns allzeit unzertrennlich. Als daher Ben fest entschlossen war aufzubrechen, mußte ich mittrotten wie ein treuer Collie.

»Jack«, sagte er, »du kennst doch Henry Jackson, der auf der anderen Seite von Lake Placid in einer Hütte hauste, weil er diesen blöden Schatten auf dere Lunge hatte? Also, der ist unlängst fast geheilt zurückgekehrt, hatte aber eine Menge über irgendwelche teuflisch merkwürdigen Umstände dort oben zu erzählen. Er ist ganz plötzlich auf die Sache gestoßen, ist sich aber noch nicht sicher, daß es mehr ist als nur ein Fall von bizarrer Bildhauerkunst; aber wie auch immer, ihm ist nicht ganz wohl bei der Sache.

Offenbar ging er eines Tages auf Jagd und stieß dabei auf eine Höhle, vor der etwas hockte, was wie ein Hund aussah. Gerade als er erwartete, der Hund würde bellen, sah er nochmals hin und erkannte, daß er gar nicht lebendig war. Es war ein Hund aus Stein - das vollkommene Abbild eines Hundes bis zum kleinsten Barthaar, so daß ihm die Entscheidung schwerfiel, ob es sich um eine besonders raffinierte Plastik oder ein versteinertes Tier handelte. Er fürchtete sich fast, den Hund zu berühren.

1 Rhoades' Übersetzung von Vergils Epos ist gereimt und wurde erstmals um die Jahrhundertwende veröffentlicht.

Als er es jedoch wagte, erkannte er, daß er tatsächlich aus Stein war.

Nach einer Weile riß er sich zusammen und betrat die Höhle -

und dort wurde ihm eine noch größere Überraschung zuteil.

Unweit des Höhleneingangs befand sich eine weitere Steinfigur

- oder was danach aussah -, aber diesmal die eines Mannes. Er lag auf dem Boden, trug Kleider und hatte einen eigenartig lächelnden Gesichtsausdruck. Diesmal hielt sich Henry nicht damit auf, die Figur zu betasten, sondern eilte geradewegs ins Dorf, nach Mountain Top. Natürlich stellte er Fragen - aber das brachte ihn nicht viel weiter. Er bemerkte, daß er ein heikles Thema berührte, denn die Einheimischen schüttelten bloß den Kopf, falteten die Hände und murmelten etwas von einem

"Verrückten Dan" - wer immer das war.

Für Jackson war das zuviel, daher kehrte er Wochen früher als geplant heim. Er hat mir davon erzählt, weil er weiß, wie sehr ich Seltsames liebe - und merkwürdigerweise war ich imstande, mich an etwas zu erinnern, das sich ziemlich mühelos mit seiner Geschichte vereinbaren ließ. Erinnerst du dich an Arthur Wheeler, den Bildhauer, der solch ein Realist war, daß man ihn nur noch "einen tüchtigen Photograph" zu nennen begann? Ich glaube, du kanntest ihn flüchtig. Also, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch er ist in jenem Teil der Adirondacks gelandet.

Blieb lange Zeit dort und verschwand dann. Man hörte nie mehr etwas von ihm. Wenn jetzt in der Gegend hier Steinstatuen auftauchen, die wie Menschen und Hunde aussehen, meine ich, das könnte seine Arbeit sein - egal, was die Landbevölkerung darüber sagt oder besser nicht sagt. Natürlich ist es leicht möglich, daß ein Kerl mit Jacksons Nerven über derlei aus dem Häuschen gerät oder davonläuft: ich hätte jedoch eine ganze Reihe Untersuchungen angestellt, ehe ich davongelaufen wäre.

Also, Jack, ich fahre jetzt dorthin, um meine Nase in diese Sachen zu stecken - und du begleitest mich. Es wäre wirklich eine feine Sache, Wheeler zu finden - oder etwas von seinen Arbeiten. Auf jeden Fall wird uns beiden die Bergluft guttun..

Und so kamen wir kaum eine Woche später, nach einer langen Bahnreise und einer holprigen Busfahrt durch eine

atemberaubend schöne Landschaft im goldenen Sonnenschein eines späten Juniabends, in Mountain Top an. Das Dorf bestand lediglich aus einigen kleinen Häusern, dem Hotel und dem Krämerladen, vor dem unser Bus hielt; wir wußten, daß sich der Laden möglicherweise als Brennpunkt für allerlei Information erweisen würde. Natürlich hatte sich die übliche Gruppe von Müßiggängern um die Stufen versammelt, und als wir uns als Erholungsuchende vorstellten, die eine Unterkunft brauchten, bekamen wir eine Menge Empfehlungen.

Obwohl wir geplant hatten, mit unseren Nachforschungen erst am nächsten Tag zu beginnen, konnte es sich Ben nicht verkneifen, einige vage, vorsichtige Fragen zu stellen, als er die senile Geschwätzigkeit eines der schlechtgekleideten Müßiggänger bemerkte. Jacksons frühere Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß es sinnlos wäre, mit Anspielungen auf die seltsamen Statuen zu beginnen; er beschloß, Wheeler als einen Bekannten zu erwähnen, an dessen Schicksal wir füglich mit Recht interessiert sein durften.

Den Leuten schien es nicht recht zu sein, als Sam mit dem Schnitzen aufhörte und zu reden begann, auch wenn sie wenig Grund zur Beunruhigung hatten. Aber selbst dieser barfüßige alte Bergschrat verstummte sofort, als er Wheelers Namen hörte, und nur mit viel Schwierigkeiten konnte ihm Ben einige zusammenhängende Worte entlocken.

»Wheeler?« hatte er schließlich geschnauft. »O ja, der Kerl, der die ganze Zeit über Felsen sprengte und Statuen daraus machte. Ihr habt ihn also gekannt, he? Da gibt's nich' viel, was wir euch erzählen können, und vielleich' ist das schon zuviel. Er wohnte in der Hütte des Verrückten Dan in den Bergen - aber nicht sehr lang. Bis er nichts mehr wollte - das heißt von Dan.

War 'n Süßholzraspler und schwänzelte um Dans Frau herum, bis es der alte Teufel merkte. Hatte sich in sie verknallt, glaub'

ich.

Hat sich dann plötzlich davongemacht, und seither hat niemand mehr was von ihm gesehen. Dan muß ihm den Wind von vorn gegeben haben - 'n übler Bursche, dieser Dan, wenn man ihn zum Feind hat.

Besser, ihr haltet euch fern von ihr, Jungs, denn in diesem Teil der Berge nützt sie euch nichts. Dans Laune wurde immer schlechter, er hat sich nicht mehr blicken lassen. Seine Frau auch nicht. Ich vermute, er hat sie irgendwo eingesperrt, damit ihr kein anderer schöne Augen machen kann!«

Als Sam nach einigen weiteren Bemerkungen mit dem

Schnitzen fortfuhr, wechselten Ben und ich einen Blick. Hier gab es gewiß eine Spur, die man gründlich verfolgen mußte. Wir beschlossen, im Hotel abzusteigen, und richteten uns so schnell wie möglich ein; für den nächsten Tag planten wir, uns in die rauhe Bergwelt zu stürzen.

Gegen Sonnenaufgang brachen wir auf. Jeder trug einen Rucksack, beladen mit Vorräten und Gerätschaften, die wir für nötig hielten. Der vor uns liegende Tag hatte den beinahe anregenden Hauch einer Verlockung, mit einem vagen Unterton des Unheimlichen. Unsere holprige Bergstraße stieg sehr bald in vielen Windungen steil an, so daß uns binnen kurzem die Füße tüchtig schmerzten.

Nach rund zwei Meilen verließen wir die Straße, überquerten zur Rechten eine Steinmauer in der Nähe einer großen Ulme und schlugen einen Querweg zu einem steileren Hang ein, wie uns die Karte und die Erläuterungen, die Jackson für uns vorbereitet hatte, verrieten. Es war ein mühsames, dorniges Unterfangen, aber wir wußten, daß die Höhle nicht weit sein konnte.

Schließlich stießen wir ganz unvermutet auf die Öffnung - eine dunkle, von Büschen bewachsene Felsspalte, in der der Boden plötzlich anstieg. Daneben, vor einem niedrigen Tunnel im Gestein, stand steif eine kleine, schweigende Gestalt - als wetteifere sie mit der eigenen unheimlichen Versteinerung.

Es war ein grauer Hund - oder eine Hundestatue, und als unser beider gleichzeitiger Aufschrei erstarb, wußten wir kaum, was wir denken sollten. Jackson hatte nicht übertrieben, und wir konnten nicht glauben, daß es einer Bildhauerhand gelungen war, eine solche Vollkommenheit hervorzubringen. Jedes Haar des prächtigen Fells des Tieres war deutlich zu erkennen. Die Haare auf dem Rücken waren gesträubt, als hätte ein unbekanntes Wesen das Tier überrascht. Ben, der schließlich halb liebkosend das zarte steinerne Fell berührte, stieß einen Ausruf aus.

»Großer Gott, Jack, das kann keine Statue sein! Schau her -

all die kleinen Einzelheiten, und wie das Haar ausgerichtet ist!

Da ist nichts von Wheelers Technik zu sehen! Das ist ein echter Hund aber nur der Himmel weiß, wie er in diesen Zustand geraten ist.

Ganz wie Stein - faß ihn selbst an. Glaubst du, daß es hier ein seltenes Gas gibt, das zuweilen aus der Höhle austritt und tierischem Leben das antut? Wir hätten uns genauer mit den örtlichen Sagen befassen sollen. Und wenn das ein echter Hund ist - oder ein echter Hund war -, dann muß auch der Mann drinnen ein echter Mensch sein.«

Mit einer guten Portion Ehrfurcht - fast auch Furcht - krochen wir schließlich auf Händen und Füßen durch den

Höhleneingang, Ben voran. Die enge Stelle war kaum einen Meter lang, dahinter weitete sich die Grotte allseits und bildete eine feuchte, im Dämmerlicht liegende Kammer, deren Boden mit Schutt und Geröll bedeckt war. Eine Zeitlang konnten wir kaum etwas ausmachen, aber als wir uns erhoben und den Blick schärften, begannen wir allmählich in der tieferen Dunkelheit vor uns eine hingestreckte Gestalt erkennen. Ben fummelte an seiner Taschenlampe herum und zögerte einen Augenblick, ehe er den Lichtschein auf die hingestreckte Gestalt richtete. Wir hatten kaum einen Zweifel, daß dieses Steinding einst ein Mensch gewesen war, und etwas an dieser Vorstellung entnervte uns beide.

Im Licht von Bens Taschenlampe erkannten wir, daß der Gegenstand auf der Seite lag, den Rücken uns zugewandt. Er bestand eindeutig aus demselben Material wie der Hund draußen, war jedoch in die verfaulten und nicht versteinerten Überreste eines groben Sportanzuges gekleidet. Da wir auf einen Schock vorbereitet waren, näherten wir uns gelassen, um das Wesen zu untersuchen. Ben ging auf die andere Seite hinüber, um einen Blick auf das abgewandte Gesicht zu werfen. Beide konnten wir unmöglich auf das vorbereitet sein, was Ben sah, als er das Licht auf diese Steinzüge fallen ließ. Daß er aufschrie, war völlig verständlich, und unwillkürlich mußte ich in den Schrei einstimmen, als ich an seine Seite sprang und den Anblick mit ihm teilte. Und doch war es nichts Entsetzliches oder an sich Erschreckendes. Es war bloß eine Sache des Erkennens, denn ohne den geringsten Schatten eines Zweifels war diese kalte Felsengestalt mit dem halb erschreckten, halb bitteren Ausdruck unser alter Bekannter Arthur Wheeler.

Irgendein Instinkt trieb uns stolpernd und kriechend aus der Höhle und den unwegsamen Hang hinunter bis zu einem Punkt, wo wir den ominösen Steinhund nicht sehen konnten. Wir wußten kaum, was wir denken sollten, denn unser Gehirn schwirrte von Vermutungen und Mutmaßungen. Ben, der Wheeler gut gekannt hatte, war besonders schockiert und schien einige Fäden zu verknüpfen, die mir entgangen waren.

Als wir auf dem grünen Abhang stehenblieben, wiederholte er immer wieder: »Der arme Arthur, der arme Arthur!« Aber erst als er den Namen »Verrückter Dan« murmelte, erinnerte ich mich an den Ärger, den sich Wheeler, dem alten Sam Poole zufolge, kurz vor seinem Verschwinden zugezogen hatte. Der Verrückte Dan, deutete Ben an, wäre zweifellos froh zu sehen, was geschehen war. Einen Augenblick lang kam uns beiden blitzartig der Gedanke, daß der eifersüchtige Gastgeber vielleicht für die Anwesenheit des Bildhauers in der üblen Höhle verantwortlich sein mochte, aber dieser Gedanke verflog so schnell, wie er gekommen war.

Am rätselhaftesten blieb uns, wie die Erscheinung an sich zu erklären war. Welcher Gasaustritt oder welcher Gesteinsdampf diese Veränderung in so relativ kurzer Zeit bewirkt haben mochte, war uns völlig unerklärlich. Die normale Versteinerung ist, wie wir wissen, ein langsamer, chemischer Prozeß, der bis zum Abschluß unermeßliche Zeiträume erfordert; und doch hatten wir hier vor uns zwei Steinfiguren, die - zumindest Wheeler - noch vor ein paar Wochen lebendig gewesen waren.

Vermutungen waren sinnlos. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Behörden zu verständigen.

Mochten sie an Vermutungen anstellen, was sie wollten. Aber irgendwo in Bens Hinterkopf hielt sich die Idee vom Verrückten Dan noch immer hartnäckig. Wir bahnten uns den Weg zur Straße zurück, doch wandte sich Ben nicht dem Dorf zu, sondern blickte die Straße entlang nach oben, wo die Hütte des besagten Dan lag, wie der alte Sam behauptete. Es war das zweite Haus nach dem Dorf, hatte der alte Müßiggänger hervorgestoßen, und lag links, von der Straße zurückgesetzt, in dichtem Eichengestrüpp. Ehe ich es merkte, zog mich Ben den Sandweg hoch, vorbei an einer abgewirtschafteten Farm, in ein Gebiet zunehmender Wildnis.

Ich kam nicht auf den Gedanken zu protestieren, doch empfand ich eine wachsende Bedrohung, als die vertrauten Anzeichen der Landwirtschart und der Zivilisation immer spärlicher wurden. Endlich öffnete sich zu unserer Linken ein enger, vernachlässigter Pfad, während sich das Giebeldach eines armseligen, ungestrichenen Gebäudes hinter kränklich gewachsenen, halb abgestorbenen Bäumen zeigte. Das mußte, wie ich wußte, die Hütte des Verrückten Dan sein, und ich wunderte mich, daß Wheeler je einen so wenig heimelnden Ort als Quartier gewählt hatte. Ich hatte Furcht davor, den überwachsenen, nicht sehr einladenden Pfad hinaufzusteigen, konnte aber nicht zurückbleiben, als Ben entschlossen auszuschreiten begann und kräftig an die wacklige, modrig riechende Tür klopfte.

Es gab keine Reaktion auf das Klopfen. Etwas an dem Widerhall jagte einem einen Schauder nach dem anderen über den Rücken. Ben ließ sich davon jedoch nicht stören und ging um das Haus herum auf der Suche nach einem unverschlossenen Fenster. Das dritte, das er ausprobierte - auf der Rückseite der armseligen Behausung - ließ sich öffnen. Nach einem Stoß und einem kräftigen Sprung war er im Innern und half mir hinein.

Der Raum, in dem wir landeten, war angefüllt mit Kalkstein-und Granitblöcken, Bildhauerwerkzeug und Tonmodellen. Wir erkannten sofort, daß es sich um Wheelers früheres Atelier handelte. Bislang waren wir noch auf kein Zeichen von Leben gestoßen, doch hing über allem ein verdammt

unheilverkündender Staubgeruch. Zu unserer Linken stand eine Tür offen, die wohl zu einer Küche auf der Kaminseite des Hauses führte. Ben trat durch diese Tür, begierig, alles über den letzten Wohnsitz seines verstorbenen Freundes herauszufinden.

Er war mir weit voraus, als er die Schwelle überschritt, so daß ich zuerst nicht sehen konnte, was ihn zusammenzucken ließ und seinen Lippen einen Schrei des Entsetzens entlockte.

Im nächsten Augenblick sah ich es ebenfalls - und ich wiederholte seinen Aufschrei so instinktiv wie in der Höhle.

Denn hier in dieser Hütte, weit von allen unterirdischen Tiefen entfernt, die seltsame Gase produzierten und merkwürdige Nachbildungen bewirken konnten, befanden sich zwei Steingestalten, von denen ich sofort wußte, daß sie nicht unter Arthur Wheelers Meißel entstanden waren. In einem primitiven Lehnstuhl vor der Feuerstelle, festgebunden mit den Überresten einer langen Rohlederpeitsche, hing die Gestalt eines Mannes -

ungepflegt, schon etwas älter und mit einem Blick grenzenlosen Entsetzens auf dem bösen, versteinerten Gesicht.

Auf dem Fußboden daneben lag eine Frauengestalt, grazil und mit einem Gesicht, das sehr viel Jugend und Schönheit verriet.

Sein Ausdruck schien von zynischer Befriedigung zu künden.

Neben ihrer ausgestreckten Hand stand ein großer Blecheimer, der im Innern leichte Flecken, wie von einer dunklen Ablagerung, aufwies. Wir vermieden es, uns diesen

unerklärlicherweise versteinerten Leichen zu nähern, und tauschten auch nur karge Vermutungen aus. Daß dieses steinerne Paar der Verrückte Dan und seine Frau waren, ließ sich kaum bezweifeln, aber wie wir uns ihren gegenwärtigen Zustand erklären sollten, war eine andere Sache. Als wir uns erschreckt umblickten, erkannten wir die Plötzlichkeit, mit der sie dies Ereignis überrascht haben mußte - denn alles um uns schien, trotz einer dicken Staubschicht, die gewöhnlichen Haushaltstätigkeiten anzuzeigen.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel der Alltäglichkeit bildete der Küchentisch, in dessen leergeräumter Mitte, wie um Aufmerksamkeit zu erregen, ein dünnes, abgegriffenes, unbeschriftetes Heft lag, das mit einem Zinntrichter von beträchtlicher Größe beschwert war. Ben trat näher, um das Heft zu lesen, und erkannte, daß es sich um ein Tagebuch mit weit zurückliegenden Eintragungen handelte, geschrieben mit einer verkrampften und ziemlich ungeübten Hand. Schon die ersten Worte erregten meine Aufmerksamkeit, und ehe zehn Sekunden um waren, verschlang er atemlos den immer wieder

unterbrochenen Text - und ich folgte ihm eifrig und blickte über seine Schulter. Beim Weiterlesen - wir waren dazu in das angrenzende Zimmer gegangen, in dem nicht diese gräßliche Stimmung hing - wurden uns viele dunkle Umstände klar, und wir zitterten unter einem Ansturm komplexer Gefühle.

Und das ist es, was wir lasen - und was der Coroner nach uns las. Die Öffentlichkeit bekam in der Sensationspresse eine im höchsten Maße verfälschte und aufgebauschte Version vorgesetzt, aber selbst diese enthält bloß einen Bruchteil des echten Grauens, welches das einfache Original für uns bot, als wir es allein in dieser modrigen Hütte im wilden Bergland entzifferten, wobei zwei ungeheuerliche Steinabnormitäten in der todesähnlichen Stille des Nebenzimmers lauerten. Als wir fertig waren, steckte Ben das Buch mit einer Geste des Abscheus in die Tasche, und seine ersten Worte waren: »Laß uns verschwinden..

Schweigend und nervös stolperten wir zur Vorderseite des Hauses, sperrten die Tür auf und machten uns auf den langen Fußweg zurück zum Dorf. Wir mußten in den folgenden Tagen zahlreiche Aussagen machen und viele Fragen beantworten, und ich glaube nicht, daß ich oder Ben je die Auswirkungen des ganzen qualvollen Erlebnisses abschütteln können. Und einigen der Amtspersonen und Reporter, die sich hier tummelten, wird es genauso ergehen - auch wenn ein bestimmtes Buch und viele der in Kisten auf dem Speicher aufgefundenen Papiere verbrannt wurden und man umfangreiche Apparaturen im hintersten Teil jener unheimlichen Höhle am Berghang zerstörte. Hier ist jedoch der Text selbst:

»5. Nov. - Ich heiße Daniel Morris. Hier in der Gegend nennt man mich den "Verrückten Dan", denn ich glaube an Mächte, an die heutzutage niemand mehr glaubt. Wenn ich den Donnerberg hinaufgehe, um das Fest der Füchse zu feiern, hält man mich für verrückt - alle mit Ausnahme der abgeschieden hausenden Landbewohner, die sich vor mir fürchten. Man versucht mich davon abzuhalten, der Schwarzen Ziege zu Halloween Opfer zu bringen, und man hindert mich ständig, den Großen Ritus zu vollziehen, der das Tor öffnen würde. Sie sollten es besser wissen, denn es ist ihnen bekannt, daß ich mütterlicherseits ein Van Kauran bin, und jedermann auf dieser Seite des Hudson weiß, was die Van Kaurans in ihrer Familie überliefert haben.

Wir stammen von Nicholas Van Kauran ab, dem Hexenmeister, der 1587 in Wijtgaart gehängt wurde, und jeder weiß, daß er mit dem Schwarzen Mann einen Pakt geschlossen hatte.

Den Soldaten entging sein Book of Eibon, als sie sein Haus niederbrannten, und sein Enkel, William Van Kauran, brachte es herüber, als er nach Rensselacrwyck und später über den Fluß nach Esopus kam. Fragen Sie, wen Sie wollen, in Kingston oder Hurley, was das Geschlecht der William Van Kauran den Menschen antun könnte, die sich ihm in den Weg stellen. Fragen Sie sie auch, ob es meinem Onkel Hendrik nicht gelang, das Book of Eibon zu retten, als man ihn aus der Stadt jagte und er mit seiner Familie den Fluß heraufzog, bis hierher.

Ich schreibe das - und ich werde nicht aufhören, das zu schreiben -, weil ich möchte, daß die Menschen die Wahrheit wissen, wenn ich tot bin. Außerdem fürchte ich wirklich, daß ich verrückt werde, wenn ich nicht alles einfach schwarz auf weiß niederlege. Alles hat sich gegen mich verschworen, und wenn das so weitergeht, werde ich die Geheimnisse in dem Book verwenden und bestimmte Mächte herbeirufen. Vor drei Monaten kam der Bildhauer Arthur Wheeler nach Mountain Top, und man schickte ihn zu mir herauf, denn ich bin der einzige hier, der mehr kann als Landwirtschaft zu betreiben, zu jagen und die Sommergäste zu schröpfen. Den Kerl schien zu interessieren, was ich zu sagen hatte, und war bereit, sich hier für $13,- die Woche einschließlich Mahlzeiten einzuquartieren.

Ich überließ ihm das Hinterzimmer für seine Steinbrocken und sein Steinwerkzeug, und machte mit Nate Williams aus, daß er sich um die Sprengungen kümmern und die großen Stücke mit einem Rollwagen und einem Ochsengespann heraufschleppen sollte.

Das war vor drei Monaten. Jetzt weiß ich, warum dem verfluchten Sohn der Hölle die Unterkunft so rasch zusagte. Das war nicht meiner Überzeugungskraft zuzuschreiben, sondern dem Aussehen meiner Frau Rose, Osborn Chandlers ältester Tochter. Sie ist sechzehn Jahre jünger als ich und macht den Burschen in der Stadt immer schöne Augen. Wir haben uns aber immer gut verstanden, bis diese dreckige Ratte auftauchte, auch wenn Rose sich weigerte, mir bei den Riten am Karfreitag und Allerheiligen zu helfen. Ich erkenne jetzt, wie Wheeler ihre Gefühle ausnutzt und sie so für ihn einnimmt, daß sie mich kaum noch ansieht, und ich glaube, früher oder später wird er versuchen, sich mit ihr davonzumachen.

Er arbeitet jedoch langsam, wie alle hinterlistigen, geschniegelten Hunde, und ich habe Zeit genug, darüber nachzudenken, was ich dagegen unternehmen soll. Keiner von beiden weiß, daß ich etwas argwöhne, aber es wird nicht lange dauern, bis sie erkennen, daß es sich nicht lohnt, die Familie eines Van Kauran zu zerstören. Ich kann ihnen versprechen, daß das, was ich tun werde, für sie eine Überraschung sein wird.

25. November, Erntedankfest. Das ist ein ziemlich guter Scherz! Aber ich werde etwas haben, für das ich wirklich dankbar sein kann, wenn ich fertigkriege, was ich angefangen habe. Keine Frage mehr, daß Wheeler versucht, mir die Frau wegzunehmen. Vorläufig jedoch kann er weiterhin bei mir Star-Logiergast sein. Holte letzte Woche das Book of Eibon aus Onkel Hendriks alter Kiste in der Dachkammer herunter. Ich suche nach einer feinen Sache ohne Opfer, die ich hier nicht bringen kann.

Ich brauche etwas, was diesen beiden hinterhältigen Verrätern ein Ende macht, ohne daß ich mir gleichzeitig Schwierigkeiten einhandle. Wenn es irgendeinen dramatischen Dreh hätte, um so besser.

Ich habe daran gedacht, die Emanation des Yoth zu

beschwören, aber dazu bedarf es des Blutes eines Kindes, und ich muß mich vor den Nachbarn hüten. Der Grüne Verfall sieht vielversprechend aus, aber das wäre für mich genauso unangenehm wie für sie. Gewisse Anblicke und Gerüche vertrage ich nicht.10. Dezember - Heureka! Endlich hab ich's!

Rache ist süß - und das ist der vollkommene Höhepunkt!

Wheeler, der Bildhauer- das ist zu prächtig! Ja, wahrhaftig, dieser verdammte Schleicher wird eine Skulptur abgeben, die sich rascher verkauft als all die Sachen, die er in den letzten Wochen gemeißelt hat! Ein Realist, eh! Also - der neuen Skulptur wird es gewiß nicht an Realismus fehlen. Ich fand die Formel auf einem eingeklebten Manuskript, gegenüber der Seite 679 des Book. Nach der Handschrift zu schließen, wurde sie von meinem Urgroßvater Bareut Picterse Van Kauran eingefügt -

demjenigen, der 1839 aus New Paitz verschwand. lä!

Shubniggurath! Die Ziege mit den tausend Jungen!

Um es einfach zu machen, ich habe eine Methode entdeckt, wie man diese armseligen Ratten in steinerne Statuen verwandeln kann. Es ist absurd einfach und hängt in Wahrheit mehr mit gewöhnlicher Chemie zusammen als mit den Mächten des Drüben. Wenn ich mir das richtige Zeug verschaffe, kann ich einen Trank zusammenbrauen, der als selbstgemachter Wein gelten mag, und ein kräftiger Schluck sollte reichen, um mit jedem gewöhnlichen Lebewesen, das kleiner als ein Elefant ist, fertig zu werden. Es läuft auf eine unendlich beschleunigte Versteinerung hinaus. Schießt Kalzium- und Bariumsalze ins ganze System und ersetzt lebende Zellen durch mineralische Materie, und zwar so schnell, daß niemand den Prozeß aufhalten kann. Das muß eines der Dinge gewesen sein, die Urgroßvater vom Großen Sabbat auf dem Zuckerhut in den Catskills mitbrachte. Dort pflegten recht seltsame Sachen vor sich zu gehen. Ich meine, ich hätte von einem Mann aus New Paitz gehört - Squire Hasbrouck -, der 1834 zu Stein oder dergleichen verwandelt wurde. Er war mit den Van Kaurans verfeindet.

Zuallererst muß ich die fünf benötigten Chemikalien in Albany und Montreal bestellen. Später habe ich genug Zeit zum Experimentieren. Wenn alles vorbei ist, packe ich alle Skulpturen zusammen und verkaufe sie als Wheelers Werk zur Abdeckung der ausständigen Miete! Er war immer ein Realist und ein Egoist wäre es nicht natürlich für ihn, ein Selbstbildnis in Stein anzufertigen, und meine Frau als weiteres Modell zu verwenden - was er ja in den letzten vierzehn Tagen auch wirklich gemacht hat? Das tumbe Publikum wird sich kaum fragen, aus welchem Steinbruch der Stein stammt!

25. Dezember - Weihnachten. Frieden auf Erden und so weiter! Diese beiden Schweine starren einander an, als gäbe es mich gar nicht. Sie müssen sich einbilden, ich sei taub, stumm und blind!

Also, Bariumsulfat und Kalziumchlorid kamen schon am Donnerstag aus Albany, und die Säuren, Katalysatoren und Instrumente müssen jetzt jeden Tag aus Montreal eintreffen.

Gottes Mühlen - und so weiter! Ich werde die Arbeiten in Allen's Cave in der Nähe des unteren Waldgrundstücks durchführen, und zugleich werde ich offen hier im Keller etwas Wein herstellen. Man braucht irgendeinen Vorwand, um ein neues Getränk anzubieten - doch wird nicht viel Planung erforderlich sein, um diese verliebten Einfaltspinsel zu täuschen.

Das Problem wird sein, Rose dazu zu bringen, Wein zu trinken, denn sie tut so, als möge sie ihn nicht. Alle Tierexperimente werde ich in der Höhle durchführen, im Winter kommt dort niemand hin. Ich werde etwas Holz schlagen, um meine Anwesenheit zu erklären. Ein oder zwei mitgebrachte Bündel sollten ihn von der richtigen Spur ablenken.

20. Januar- Es ist eine härtere Arbeit, als ich dachte. Eine Menge hängt vom genauen Mischungsverhältnis ab. Das Zeug kam aus Montreal, aber ich mußte mir bessere Waagen und eine Azetylenlampe bestellen. Im Dorf wird man schon neugierig.

Ich wünschte mir, die Ausgabestelle für Expreßpost wäre nicht gerade in Steenwycks Laden. Ich probiere verschiedene Mixturen an den Spatzen aus, die aus dem Tümpel vor der Höhle trinken und in ihm baden - wenn er aufgetaut ist.

Manchmal werden sie getötet, aber manchmal fliegen sie auch fort. Ich muß wohl eine wichtige Reaktion übersehen haben. Ich nehme an, daß Rose und jener Emporkömmling meine

Abwesenheit weidlich nützen - aber ich kann es mir leisten, ihnen das zu gestatten. Es kann keinen Zweifel geben, daß ich schließlich Erfolg haben werde. n. Februar - Jetzt habe ich es endlich! Schüttete eine frische Menge in den kleinen Tümpel, der heute aufgetaut ist, und der erste Vogel, der davon trank, fiel um, als hätte man ihn erschossen. Ich hob ihn eine Sekunde später auf. Er war ein vollkommenes Stück Stein, bis zur kleinsten Kralle und Feder.

Kein Muskel war | verändert, da er sich gerade zum Trinken anschickte, daher mußte er in dem gleichen Augenblick gestorben sein, als das Zeug in seinen Magen gelangte. Ich hatte nicht erwartet, daß die Versteinerung so rasch einsetzen würde.

Aber ein Sperling ist kein geeigneter Test dafür, wie das Zeug auf ein größeres Lebewesen wirken würde. Ich brauche etwas Größeres zur Erprobung, denn der Trank muß die richtige Stärke haben, wenn ich ihn diesen Schweinen eingebe. Ich glaube, Roses Hund Rex ist das richtige. Ich nehme ihn nächstes Mal mit und erkläre, daß ihn ein Wolf erwischt hat.

Sie hat ihn sehr gern, und es wird mir nicht leid tun, ihr vor der großen Abrechnung etwas zu liefern, worum sie sich ein bißchen die Augen ausweinen kann. Ich muß aufpassen, wo ich dieses Heft aufbewahre. Rose stöbert manchmal an den merkwürdigsten Stellen herum.

15. Februar - Es wird warm! Probierte es an Rex aus, und es funktionierte wie geschmiert bei nur der doppelten Stärke. Ich tat es in den Felsentümpel und brachte ihn zum Trinken. Er schien zu wissen, daß etwas Merkwürdiges mit ihm vorging, denn er stellte die Haare auf und knurrte, er war jedoch schon ein Stück Stein, ehe er den Kopf wenden konnte. Die Lösung hätte stärker sein sollen, und für einen Menschen noch stärker.

Ich glaube, ich bekomme die Sache in den Griff, und bin jetzt für diesen Halunken Wheeler bereit. Das Zeug scheint geschmacklos zu sein, aber um sicherzugehen, werde ich es mit dem neuen Wein, den ich im Haus herstelle, versetzen. Ich wünschte, ich wüßte sicher, daß es geschmacklos ist, so daß ich es Rose in Wasser geben könnte, ohne ihr Wein aufzudrängen.

Ich werde die beiden getrennt erwischen -Wheeler hier draußen und Rose daheim. Ich habe eben eine starke Lösung vorbereitet und all die merkwürdigen Objekte vor dem Höhleneingang weggeräumt. Rose heulte wie ein Schloßhund, als ich ihr sagte, daß ein Wolf Rex erwischt hat, und Wheeler brachte in der Gurgel eine Menge mitfühlender Geräusche zuwege.

1. März - lä R'lyeh! Lob und Dank dem Gott Tsathoggua! Ich habe den Höllensohn endlich erwischt!

Ich redete ihm ein, ich hätte eine neue Ader brennbaren Kalksteins hier in dieser Richtung gefunden, und er lief mir nach wie der räudige Hundesohn, der er ist! Ich hatte das Zeug mit Weingeschmack in einer Flasche um die Hüfte, und er war froh, einen Schluck tun zu dürfen, als wir hier ankamen.

Stürzte es ohne Zögern hinunter - und fiel um, bevor man bis drei zählen konnte. Er weiß jedoch, daß ich mich an ihm rächte, denn ich schnitt eine Grimasse, die er nicht übersehen konnte.

Ich sah seinem Gesicht an, daß er mich verstand, als er umkippte. Zwei Minuten später war er fester Stein.

Ich schleppte ihn in die Höhle und stellte Rex' Gestalt wieder draußen auf. Diese Hundegestalt mit gesträubten Haaren wird mithelfen, die Menschen zu verscheuchen. Es wird Zeit für die Frühlingsjäger, und außerdem gibt es diesen verdammten

»Schwindsüchtigen« namens Jackson in einer Hütte über dem Berg, der viel im Schnee herumschnüffelt. Es wäre mir gar nicht recht, wenn mein Labor und mein Lager schon jetzt gefunden würden! Als ich nach Hause kam, sagte ich zu Rose, daß im Dorf ein Telegramm auf Wheeler gewartet hätte, in dem er plötzlich nach Hause gerufen wurde. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubte oder nicht, aber das spielt keine Rolle. Der Form halber packte ich Wheelers Sachen zusammen und nahm sie den Berg hinunter mit. Rose erzählte ich, daß ich ihm die Sachen nachsenden würde. Ich warf sie in den ausgetrockneten Brunnen auf dem verlassenen Rapelye-Besitz. Nun zu Rose!

3. März - Kann Rose nicht dazu bringen, Wein zu trinken. Ich hoffe, das Zeug ist geschmacklos genug, um im Wasser nicht bemerkt zu werden. Ich habe es mit Tee und Kaffee versucht, aber es bildet eine Ausfällung und kann so nicht verwendet werden. Wenn ich es ins Wasser gebe, muß ich die Dosis senken und mich auf eine allmählichere Wirkung verlassen. Mr. und Mrs. Hoog haben uns zu Mittag besucht, und ich mußte mich sehr anstrengen, das Gespräch nicht auf Wheelers Abreise kommen zu lassen. Es darf sich nicht herumsprechen, daß wir behaupten, er sei nach New York zurückgerufen worden, wenn jedermann im Dorf weiß, daß kein Telegramm kam und er nicht mit dem Bus abgereist ist. Rose benimmt sich in der ganzen Sache verdammt merkwürdig. Ich muß sie zu einem Streit provozieren und in die Dachstube sperren. Das beste Vorgehen ist, sie zu veranlassen von dem gepanschten Wein zu trinken -

und falls sie nachgibt, um so besser.

7. März - Habe mit Rose begonnen. Sie wollte keinen Wein trinken, dafür habe ich sie ausgepeitscht und in die Dachstube hinaufgetrieben. Sie kommt mir nicht mehr lebendig herunter.

Ich gebe ihr ein Tablett mit salzigem Brot und Pökelfleisch und einen Eimer mit leicht versetztem Wasser, zweimal am Tag. Die salzhaltige Nahrung sollte sie recht durstig werden lassen, und es kann nicht lange dauern, bis die Wirkung einsetzt. Mir gefällt gar nicht, was sie über Wheeler schreit, wenn ich an der Tür bin.

Die übrige Zeit verhält sie sich still.

9. März - Es ist verdammt merkwürdig, wie langsam das Zeug auf Rose wirkt. Ich muß es stärker dosieren - sie schmeckt es vielleicht nie, bei all dem Salz, das sie bekommen hat. Wenn das Zeug sie jedoch nicht erwischt, gibt es viele andere Auswege, auf die ich zurückgreifen kann. Ich würde aber gern diesen sauberen Plan mit der Statue durchführen! Ging am Morgen zur Höhle. Dort ist alles in Ordnung. Manchmal höre ich die Schritte Roses an der Decke über mir und bilde mir ein, daß sie immer schwerfälliger werden. Das Zeug funktioniert sicher, aber zu langsam. Nicht stark genug. Von jetzt an werde ich die Dosis rapid erhöhen. ii. März - Es ist höchst merkwürdig. Sie lebt noch immer und bewegt sich. Dienstag nacht hörte ich, wie sie sich an einem Fenster zu schaffen machte, daher ging ich hinauf und prügelte sie tüchtig. Sie benimmt sich eher verstockt als erschreckt, und ihre Augen sehen geschwollen aus. Aber sie könnte aus der Höhe niemals hinunterspringen, und es gibt nichts, woran sie herunterklettern könnte. Ich habe des Nachts geträumt, denn ich hörte ein langsames, schleifendes Gehen auf dem Fußboden über mir, das zerrt an meinen Nerven. Manchmal glaube ich, sie bearbeitet das Schloß an der Tür.

15. März - Noch immer am Leben, trotz der Erhöhung der Dosis. Daran ist etwas merkwürdig. Sie kriecht jetzt und geht nicht sehr oft. Das Geräusch ihres Kriechens ist entsetzlich. Sie rüttelt auch an den Fenstern und macht sich an der Tür zu schaffen. Wenn das so weitergeht, muß ich sie mit der Peitsche erledigen. Ich werde sehr schläfrig. Ich frage mich, ob Rose irgendwie Verdacht geschöpft hat. Aber sie muß das Zeug trinken. Diese Schläfrigkeit ist abnorm - ich glaube, die Belastung macht mir zu schaffen. Ich bin schläfrig...

(An dieser Stelle läuft die verkrampfte Handschrift in einem verschwommenen Kratzer aus und macht einer Anmerkung in einer festeren, offenkundig weiblichen Handschrift Platz, die große Gefühlsanpassung verrät.) 16. März - 4 Uhr morgens -

Das wird von Rose C. Morris hinzugefügt, die bald stirbt. Bitte benachrichtigen Sie meinen Vater, Osborne E. Chandler, Route 2, Mountain Top, N. Y. Ich habe eben gelesen, was diese Bestie niedergeschrieben hat. Ich war mir sicher, daß er Arthur Wheeler umgebracht hat, wußte es aber erst mit Bestimmtheit, als ich dieses entsetzliche Notizbuch las. Jetzt weiß ich, welchem Los ich entgangen bin. Mir fiel auf, daß das Wasser merkwürdig schmeckte, daher trank ich nach dem ersten Schluck keines mehr. Ich schüttete alles aus dem Fenster. Dieser eine Schluck hat mich halb gelähmt, aber ich kann mich noch immer bewegen. Der Durst war entsetzlich, aber ich aß so wenig wie möglich von dem salzigen Essen und war imstande, ein bißchen Wasser zu gewinnen, indem ich einige alte Pfannen und Töpfe aufstellte, die hier oben unter den Stellen standen, wo das Dach undicht war.

Es gab zwei große Regenfälle. Ich glaubte, er wollte mich vergiften, doch wußte ich nicht, um was für eine Art Gift es sich handelte. Was er über sich und mich geschrieben hat, ist eine glatte Lüge. Wir waren nie glücklich miteinander, und ich glaube, ich heiratete ihn nur unter dem Einfluß dieser Zauberkräfte, die er manchmal auf Menschen ausüben konnte.

Ich vermute, er hypnotisierte sowohl meinen Vater wie mich, denn er wurde immer gehaßt und gefürchtet, und man verdächtigte ihn dunkler Machenschaften mit dem Teufel. Mein Vater nannte ihn einmal einen Vetter des Teufels, und er hatte recht.

Niemand wird je wissen, was ich als seine Frau zu erleiden hatte. Es war nicht einfach gewöhnliche Grausamkeit - obwohl er, bei Gott, grausam war und mich oft mit der Lederpeitsche schlug. Es wahr mehr - mehr als irgend jemand in diesem Zeitalter je verstehen kann. Er war ein Ungeheuer und übte alle Arten höllischer Zeremonien aus, die durch die Verwandten seiner Mutter auf ihn gekommen waren. Er versuchte mich zu zwingen, ihm bei den Zeremonien zu helfen - ich wage nicht einmal anzudeuten, worum es sich dabei handelte. Ich weigerte mich, darum schlug er mich. Es wäre Gotteslästerung, auszusprechen, wozu er mich zwingen wollte. Soviel sei gesagt, daß er damals schon ein Mörder war, denn ich weiß, was er eines Nachts auf dem Donnerberg geopfert hat. Er war wirklich ein Vetter des Teufels. Ich versuchte viermal davonzulaufen, doch fing er mich jedes Mal ein und schlug mich. Er übte einen gewissen Zwang auf mein Gemüt und selbst auf das Gemüt meines Vaters aus.

Was Arthur Wheeler angeht, gibt es nichts, dessen ich mich schämen müßte. Wir verliebten uns ineinander, aber auf durchaus ehrbare Weise. Er war der erste, der mich freundlich behandelte, seit ich das Haus meines Vaters verlassen hatte, der mich aus den Fängen dieses Teufels befreien wollte. Er hatte mehrere Unterredungen mit meinem Vater und wollte mir helfen, in den Westen zu gehen. Nach meiner Scheidung hätten wir geheiratet.

Seit mich dieses Tier in der Dachstube einsperrte, plante ich, zu entkommen und es zu erledigen. Ich hob mir das Gift immer über Nacht auf für den Fall, daß ich fliehen konnte, ihn schlafend finden würde und es ihm irgendwie eingeben konnte.

Zuerst wachte er leicht auf, wenn ich mir am Türschloß zu schaffen machte und den Zustand der Fenster prüfte, aber später begann er stärker zu ermüden und tiefer zu schlafen. Sein Schnarchen verriet mir immer, wann er schlief.

Heute abend schlief er so schnell ein, daß ich das Schloß aufbrach, ohne ihn aufzuwecken. Da ich teilweise gelähmt war, hatte ich Schwierigkeiten, nach unten zu gelangen, aber ich schaffte es. Ich fand ihn hier bei brennender Lampe -

eingeschlafen am Tisch, auf dem er in sein Heft geschrieben hatte. In einer Ecke befand sich die lange Lederpeitsche, mit der er mich so oft geschlagen hatte. Ich fesselte ihn damit an den Stuhl, so daß er keinen Muskel bewegen konnte. Ich band ihn am Hals fest, so daß ich ihm alles widerstandslos in die Kehle schütten konnte.

Er erwachte, als ich eben fertig war, und ich glaube, er merkte auf der Stelle, daß es mit ihm zu Ende ging. Er brüllte entsetzliche Sachen und versuchte, mystische Beschwörungen anzustimmen, aber ich brachte ihn mit einem Geschirrtuch zum Verstummen. Dann fiel mein Blick auf das Buch, in dem er geschrieben hatte, und ich nahm mir die Zeit, es zu lesen. Der Schock war entsetzlich, und beinahe wäre ich vier- oder fünfmal in Ohnmacht gefallen. Mein Gemüt war auf Derartiges nicht vorbereitet.

Nachher redete ich zwei bis drei Stunden ununterbrochen auf den Teufel ein. Ich sagte ihm alles, was ich ihm die ganzen Jahre über, in denen ich seine Sklavin gewesen war, hatte sagen wollen, und eine Menge anderer Sachen, die mit dem zu tun hatten, was ich in dem entsetzlichen Buch gelesen hatte.

Er sah beinahe purpurrot aus, als ich fertig war, und ich glaube, er war halb im Delirium. Dann holte ich einen Trichter von dem Bord und schob ihn ihm in den Mund, nachdem ich den Knebel entfernt hatte. Er wußte, was ich tun würde, war jedoch hilflos. Ich hatte den Eimer mit vergiftetem Wasser heruntergebracht. Ohne Gewissensbisse goß ich den halben Eimer in den Trichter.

Es muß eine sehr starke Dosis gewesen sein, denn beinahe auf der Stelle bemerkte ich, wie der Wüstling steif wurde und sich in ein stumpfes steinernes Grau verwandelte. Ich wußte, in zehn Minuten würde er festes Gestein sein. Ich konnte es nicht ertragen, ihn zu berühren, aber der Zinntrichter klirrte entsetzlich, als ich ihn ihm aus dem Mund zog. Ich wünschte mir, ich hätte diese Ausgeburt der Hölle schmerzhafter, schleichender sterben lassen können, aber gewiß war das der Tod, der ihm gebührte.

Weiter gibt es nicht mehr viel zu sagen. Ich bin halb gelähmt, und da Arthur ermordet wurde, gibt es nichts mehr, wofür ich leben müßte. Ich werde einen Schlußstrich ziehen und das restliche Gift trinken, nachdem ich dieses Buch dorthin gelegt habe, wo man es finden wird. In einer Viertelstunde bin ich eine Steinskulptur. Mein einziger Wunsch ist es, neben der Skulptur begraben zu werden, die Arthur war - sobald sie in der Höhle gefunden wird, wo sie der Teufel zurückgelassen hat. Der arme, vertrauensvolle Rex sollte zu unseren Füßen liegen. Was aus dem Steinteufel wird, der im Stuhl festgebunden ist, kümmert mich nicht....