»Bis zur Neige«

Robert H. Barlow und H. P. Lovecraft

Der Mann ruhte auf einer zerklüfteten Gratkante und blickte weit über das Tal hinaus. Im Liegen konnte er in eine große Ferne sehen, aber in all der stillen Weite war keinerlei Bewegung zu erkennen.

Nichts regte sich in der staubigen Ebene, in dem

feingemahlenen Sand längst ausgetrockneter Flußläufe, in denen einst die reißenden Ströme der jugendlichen Erde ihren Lauf genommen hatten. In dieser Endzeitwelt, dem Endstadium menschlichen Daseins auf dem Planeten, gediehen kaum noch Pflanzen. Seit ungezählten Äonen hatten Trockenheit und Sandstürme die Länder verwüstet. Bäume und Sträucher waren kleinem, knorrigem Gebüsch gewichen, das sich im seiner Genügsamkeit lange hielt; aber auch dieses Gebüsch ging wieder zugrunde unter dem Ansturm grober Gräser und der zähen, harten Vegetation einer befremdlichen Evolution.

Als sich die Erde der Sonne näherte, verdorrte und tötete die allgegenwärtige Hitze mit mitleidlosen Strahlen. Das war nicht auf einmal passiert; Äonen waren vergangen, ehe die Veränderung zu erkennen war. Und in diesem frühen Zeitalter war die vielseitige Menschengestalt der allmählichen Veränderung gefolgt und hatte sich an die immer trockener werdende Luft angepaßt. Dann war der Tag gekommen, da es die Menschen nicht mehr in ihren heißen Städten aushielten, und ein allmählicher Rückzug setzte ein, langsam, aber gezielt. Die Städte und Niederlassungen in Äquatornähe waren als erste betroffen, andere kamen später hinzu. Der verweichlichte und erschöpfte Mensch konnte der erbarmungslos zunehmenden Hitze nicht mehr standhalten. In seiner jetzigen Verfassung versengte sie ihn, und die Evolution verlief zu langsam, um neue Widerstandskräfte in ihm wachsen zu lassen.

Doch die großen Städte am Äquator wurden den Spinnen und Skorpionen erst später überlassen. In den Anfangsjahren gab es viele, die ausharrten und merkwürdig anmutende Schilde und Panzer gegen die Hitze und die tödliche Trockenheit ersannen.

Diese furchtlosen Gemüter schirmten bestimmte Gebäude gegen die näherrückende Sonne ab und verwandelten sie in Zufluchtswelten en miniature, in denen kein Schutzpanzer benötigt wurde. Sie erfanden wunderbar scharfsinnige Vorrichtungen, so daß sich der Mensch eine Zeitlang in den rostenden Türmen halten konnte, womit sie hofften, die alten Länder retten zu können, bis die sengende Hitze vorüber wäre.

Denn viele wollten den Aussagen der Astronomen keinen Glauben schenken und warteten auf die Wiederkehr der milden alten Welt. Eines Tages jedoch sandten die Männer von Dath aus der neuen Stadt Niyara Signale nach Yuanario, ihrer unvorstellbar alten Hauptstadt, und erhielten keine Antwort von den wenigen, die dort zurückgeblieben waren. Und als Forscher die jahrtausendealte Stadt der mit Brücken verbundenen Türme erreichten, stießen sie nur auf Schweigen. Nicht einmal das Grauen des Verfalls war zu bemerken, denn die aasfressenden Eidechsen waren schnell gewesen.

Erst dann ging es den Menschen auf, daß diese Städte für sie verloren waren, daß sie sie auf ewig der Natur überlassen mußten. In den heißen Ländern flohen die letzten Kolonisten aus ihren kühnen Standorten, und völliges Schweigen regierte innerhalb der Basaltmauern von tausend menschenleeren Städten. Von dem Gewimmel und dem Treiben der Menge war schließlich nichts übriggeblieben. Jetzt ragten vor den regenlosen Wüsten nur die blasenüberzogenen Türme leerer Häuser, Fabriken und Gebäude jeder Art auf, die die blendende Helligkeit der Strahlung spiegelten und die in der immer unerträglicher werdenden Hitze schmorten.

Viele Länder waren jedoch der versengenden Plage noch immer entgangen, so daß die Flüchtlinge sich bald in das Leben in einer neuen Welt schickten. Während seltsam blühender Jahrhunderte gerieten die alten verlassenen Städte am Äquator fast in Vergessenheit und dienten nur als Rahmen für phantastische Fabelgeschichten. Wenige nur dachten an diese gespenstischen, verfallenden Türme, diese Anhäufungen schäbiger Mauern und kaktuserstickter Straßen, die düsterschweigend und verlassen dalagen.

Es kam zu sündhaften lang dauernden Kriegen, aber die Friedenszeiten überwogen. Die angewachsene Sonne strahlte jedoch immer heftiger, als sich die Erde der feurigen Mutter näherte. Es war, als wolle der Planet zu der Quelle zurückkehren, der er, vor vielen Äonen, durch die Zufälle kosmischen Wachstums entrissen wurde.

Mit der Zeit breitete sich der Brand vom zentralen Gürtel nach außen aus. Süd-Yarat brannte als unbewohnte Wüste in der Sonne - und dann der Norden. In Perath und Baling, den uralten Städten, Brutstätte der Jahrhunderte, regten sich nur noch die schuppigen Gestalten von Schlange und Salamander, und schließlich gab es in Loton nur mehr ein einziges Echo auf den plötzlichen Einsturz baufälliger Türme und zerfallender Kuppeln.

Beständig, universell und unaufhaltsam wurde der Mensch aus den Bereichen vertrieben, in denen er von jeher angestammt war. Kein Stück Boden innerhalb des sich ausdehnenden betroffenen Gürtels blieb verschont; kein Volk entging der Entwurzelung. Es war ein Epos, eine gigantische Tragödie, deren Fabel den Schauspielern verborgen blieb - diese Massenflucht der Menschen aus den Städten.

Es erforderte nicht Jahre oder selbst Jahrhunderte, sondern Jahrtausende unbarmherzigen Wandels.

Und noch immer war kein Ende abzusehen - träge,

unausweichlich, voller Zerstörungswut vollzog er sich.

Die Landwirtschaft kam zum Erliegen, denn die rasch zunehmende Dürre in der Welt bekam der Saat nicht. Abhilfe sollte künstlicher Ersatz schaffen, der bald überall angewandt wurde. Und als die alten Stätten, die die großen

Errungenschaften der Sterblichen gekannt hatten, aufgegeben wurden, retteten die Flüchtlinge immer weniger an Beute.

Gegenstände von größtem Wert und höchster Bedeutung blieben in den toten Museen zurück - verloren unter den Jahrhunderten -

, und am Ende wurde das Erbe der unvorstellbar alten Vergangenheit völlig aufgegeben. Mit der abscheulichen Hitze setzte ein körperlicher und kultureller Verfall ein, denn der Mensch hatte so lange in Bequemlichkeit und Sicherheit gelebt, daß ihm der Exodus von den Schauplätzen seiner Vergangenheit schwerfiel. Diese Ereignisse wurden jedoch nicht gleichmütig hingenommen. Gerade ihre Langsamkeit war erschreckend.

Verkommenheit und Ausschweifung wurden bald zur Regel.

Die Regierung verfiel, und die Kulturen sanken ziellos zurück ins Barbarentum.

Als, neunundvierzig Jahrhunderte nach dem Brand am Äquatorgürtel, die ganze westliche Halbkugel unbewohnt zurückblieb, war das Chaos vollkommen. In den letzten Szenen dieser gigantischen, ziellos imposanten Wanderung zeigte sich keine Spur von Ordnung oder Anstand. Wahnsinn und Raserei breiteten sich unter den Menschen aus, und Fanatiker verkündeten schreiend, daß Harmageddon nahe bevorstünde.

Der Mensch war jetzt ein armseliger Überrest der alten Geschlechter, ein Flüchtling nicht nur vor den herrschenden Zuständen, sondern auch vor der Degeneration der Menschheit.

Jene, denen das möglich war, zogen ins Nordland und in die Antarktis, die übrigen gaben sich jahrelang unglaublichen Ausschweifungen hin und hegten leise Zweifel, ob die drohende Katastrophe eintreten würde. In der Stadt Borligo kam es nach Monaten unerfüllter Erwartung zur Massenhinrichtung der neuen Propheten. Man hielt die Flucht ins Nordland für überflüssig und dachte nicht mehr an das drohende Ende.

Diese eitlen, närrischen Geschöpfe, die glaubten, sich dem Universum widersetzen zu können, müssen wahrlich auf grauenvolle Weise umgekommen sein. Aber die geschwärzten, verbrannten Städte blieben stumm...

Diese Ereignisse brauchen jedoch nicht wie in einer Chronik festgehalten zu werden - denn es gibt größere Zusammenhänge, die in Betracht zu ziehen sind, als diesen verwickelten und langsam fortschreitenden Niedergang einer zum Untergang verurteilten Kultur. Während der langen Zeitspanne war unter den wenigen Mutigen, welche die fremden arktischen und antarktischen Küsten besiedelten, die jetzt so mild waren wie das südliche Yarat in der längst versunkenen Vergangenheit, die Moral auf einen Tiefpunkt gesunken. Aber in diesem Augenblick gab es einen Aufschub. Die Scholle war fruchtbar, und vergessene landwirtschaftliche Fähigkeiten lebten wieder auf. Lange Zeit hielt sich eine genügsame kleinere Nachbildung der verlorenen Länder, allerdings nur dünn besiedelt und spärlich bebaut. Die Menschheit überlebte nur in Überresten die Äonen des Wandels und bevölkerte die verstreuten Dörfer der späteren Welt.

Es ist nicht bekannt, wie viele Jahrtausende dieser Zustand andauerte. Nur allmählich griff die Sonne diese letzte Zuflucht an, und je mehr die Zeit verstrich, entwickelte sich eine gesunde, kräftige Rasse, die sich - auch der Sage nach - nicht mehr an die alten, verlorenen Länder erinnerte. Diese neuen Menschen fuhren gelegentlich zur See, hatten die Flugmaschine völlig vergessen. Ihre Gerätschaften waren von simpelster Art, ihre Gepflogenheiten einfach und primitiv. Und doch waren sie zufrieden und nahmen das warme Klima als etwas Natürliches und Gewohntes hin.

Von diesem einfachen Bauernvolk nicht wahrgenommen, bereiteten sich jedoch langsam weitere Unbilden der Natur vor.

Mit jeder Generation schwanden auch die Gewässer des ungeheuren und unausgeloteten Ozeans langsam dahin und reicherten die Luft und den ausgetrockenten Boden an, mit jedem Jahrhundert sank der Wasserspiegel tiefer und tiefer. Die tosende Brandung glitzerte immer noch hell, die wirbelnden Strömungen waren immer noch vorhanden, doch hing eine Trockenheit drohend über der ganzen Wasserweite. Diesen Schwund hätte man jedoch nur mit Instrumenten entdecken können, die empfindlicher waren als alle, die der Spezies bekannt waren. Selbst wenn man das Absinken des Ozeans erkannt hätte, hätte man sich darüber nicht besorgt oder verstört gezeigt, denn die Verluste waren so geringfügig und die Meere so gewaltig... Nur ein paar Zoll in vielen Jahrhunderten - aber in vielen Jahrhunderten immerhin ein paar Zoll mehr...

So verschwanden zuletzt auch die Ozeane, und Wasser wurde zu einer Seltenheit auf einem Globus sonnverbrannter Dürre.

Der Mensch hatte sich langsam über alle arktischen und antarktischen Gebiete ausgebreitet. Die Städte am Äquator und viele spätere Wohnstätten waren selbst in der Sage vergessen.

Und jetzt wurde der Friede wieder gestört, denn das Wasser war rar geworden und nur in tiefen Höhlen zu finden. Und selbst dort gab es nur wenig, und Menschen starben an Durst, wenn sie weite Strecken zurückzulegen hatten. Und doch gingen diese tödlichen Veränderungen so langsam vor sich, daß sich jede neue Generation weigerte, das von den Eltern Gehörte zu glauben. Keine wollte sich eingestehen, daß die Hitze geringer oder das Wasser in früheren Tagen reichlicher gewesen war, oder auch Warnungen Glauben schenken, daß Zeiten

schmerzhafteren Sengens und der Dürre bevorstanden. Und so war es selbst am Ende, als nur noch ein paar hundert menschliche Wesen unter der grausamen Sonne nach Atem rangen - eine erbärmlich zusammengeschmolzene Handvoll von all den ungezählten Millionen, die einst den zum Untergang verurteilten Planeten bewohnt hatten.

Und die Hunderte wurden weniger, bis der Mensch nur noch in Zehnern gezählt werden konnte. Diese Zehnergrüppchen drängten sich um die immer geringer werdende Feuchtigkeit der Höhlen und erkannten endlich, daß das Ende nahe war. Sie waren so wenig herumgekommen, daß keiner von ihnen je die winzigen, sagenhaften Eisflecken gesehen hatte, die in der Nähe der Pole des Planeten übrig waren - falls es sie überhaupt noch gab. Selbst wenn es sie gegeben hätte und sie dem Menschen bekannt gewesen wären, hätte sie niemand durch die pfadlosen gewaltigen Wüsten erreichen können.

Und so schmolzen die armseligen wenigen Stellen dahin...Sie entzieht sich der Beschreibung, diese furchteinflößende Kette von Ereignissen, welche die ganze Erde entvölkerte; die Tragweite ist zu ungeheuerlich für jeden einzelnen Menschen, als daß er sie sich ausmalen oder sie erfassen könnte.

Von der Bevölkerung der glücklichen Erdzeitalter, vor Milliarden Jahren, wären nur einige wenige Propheten und Wahnsinnige imstande gewesen, sich vorzustellen, was da kommen sollte - die Visionen von stummen, toten Landstrichen und längst leeren Ozeangründen. Die übrigen hätten gezweifelt -

gezweifelt am Schatten der Veränderung über dem Planeten und am Schatten des Untergangs über der Spezies. Denn der Mensch hat sich von jeher für den unsterblichen Herrn der Dinge gehalten.

Sobald er die Todespein der alten Frau gelindert hatte, wanderte Ull in angsterfüllter Betäubung in den blendenden Sand hinaus. Sie war furchterregend gewesen,

zusammengeschrumpft und vertrocknet wie verdorrte Blätter.

Ihr Gesicht hatte die Farbe vergilbten Grases, das im heißen Wind raschelte, und sie war abstoßend alt.

Doch war sie eine Kampfgefährtin gewesen, jemand, vor dem man über vage Ängste sprechen konnte, über diese unglaubliche Lage, eine Kameradin, mit der man seine Hoffnungen auf Hilfe von den stummen Kolonien jenseits der Berge teilen konnte. Er wollte nicht glauben, daß woanders niemand mehr lebte, denn Ull war jung und nicht so festgefahren in seinen Überzeugungen wie die Alten.

Seit vielen Jahren hatte er niemand außer der Alten gekannt -

sie hieß Miaddna. Sie war an jenem Tag in seinem elften Jahr gekommen, als alle Jäger auf Nahrungssuche ausgezogen und nicht zurückgekehrt waren. Ull konnte sich an seine Mutter nicht erinnern, und es gab wenige Frauen in der winzigen Gruppe. Als die Männer verschwanden, hatten die drei Frauen, die junge und die beiden alten, vor Angst geschrien und lange gejammert. Dann war die junge verrückt geworden und hatte sich mit einem spitzen Stock umgebracht. Die alten begruben sie in einer flachen Vertiefung, die sie mit den Nägeln scharrten, und darum war Ull allein gewesen, als die noch ältere Miaddna kam.

Sie ging mit Hilfe eines knorrigen Stockes, einer

unbezahlbaren Reliquie aus den alten Wäldern, von Jahren des Gebrauchs hart und glänzend geworden. Sei verriet mit keinem Wort, woher sie kam, sondern stolperte in die Hütte, als die junge Selbstmörderin begraben wurde. Dann wartete sie, bis die beiden alten Frauen zurückkehrten, und sie wurde ohne zu fragen aufgenommen.

So ging es viele Wochen, bis die beiden erkrankten und Miaddna sie nicht heilen konnte. Merkwürdig, daß die zwei Jüngeren von der Krankheit befallen wurden, während sie schwach und uralt weiterlebte!

Miaddna hatte sie viele Tage gepflegt, aber schließlich starben sie, so daß er mit der Fremden allein zurückblieb. Er weinte die ganze Nacht, bis sie schließlich die Geduld verlor und drohte, sich ebenfalls umzubringen. Daraufhin beruhigte er sich sofort, denn es verlangte ihn nicht nach völliger Einsamkeit.

So lebt er also mit Miaddna, und sie sammelten Wurzeln.

Miaddnas verfaulte Zähne waren kaum für diese Nahrung geeignet, aber es gelang ihnen, sie so zu zerkleinern, bis sie sie schlucken konnte. In diesem ermüdenden Einerlei von Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme verlief Ulls Kindheit.

Jetzt war er groß und stark, neunzehn Jahre alt, und die Alte war tot. Nichts mehr konnte ihn zum Bleiben bewegen, daher machte er sich kurzentschlossen auf, die sagenhaften Hütten jenseits der Berge zu suchen und bei den Menschen dort zu leben. Er besaß nichts, was er auf seine Reise hätte mitnehmen können. Ull schloß die Tür seiner Hütte - warum, hätte er nicht sagen können, denn seit Jahren schon gab es keine Tiere mehr hier - und ließ die Tote im Innern zurück. Halbbetäubt und voll Angst über seine eigene Kühnheit marschierte er stundenlang durch trockenes Gras und erreichte schließlich die Ausläufer der Berge. Der Nachmittag kam. Ull kletterte, bis er erschöpft war, dann streckte er sich im Gras aus. Wie er dalag, ging ihm vieles durch den Kopf. Er wunderte sich über das seltsame Leben und hoffte leidenschaftlich, die verlorene Kolonie jenseits der Berge zu finden. Aber zu guter Letzt schlief er ein.

Als er erwachte, schienen ihm die Sterne ins Gesicht, und er fühlte sich erfrischt. Jetzt, da die Sonne für einige Zeit untergegangen war, bewegte er sich schneller fort, aß ein wenig und beschloß, sich zu beeilen, ehe der Wassermangel unerträglich werden würde. Er hatte kein Wasser mitgenommen, denn die letzten Menschen, die immer an ein und derselben Stelle gewohnt und nie Gelegenheit gehabt hatten, ihr wertvolles Wasser fortzutragen, stellten keinerlei Behälter gleich welcher Art her. Ull hoffte, sein Ziel an einem Tag zu erreichen und damit dem Durst zu entkommen; und so eilte er unter den hellen Sternen dahin, rannte zuweilen in der warmen Luft und verfiel dann wieder in einen langsamen Trab.

Und so ging es weiter, bis die Sonne aufstieg, und doch hatte er noch immer nicht die Bergausläufer hinter sich gebracht, vor ihm ragten drei hohe Gipfel auf. In ihrem Schatten ruhte er neuerlich aus. Er kletterte den ganzen Morgen weiter, und gegen Mittag bezwang er den ersten Gipfel, auf dem er eine Zeitlang rastete und das Gebiet vor der nächsten Kette erkundete.

Ull ruhte auf einer zerklüfteten Gratkante und blickte weit über das Tal hinaus. Im Liegen konnte er in eine große Ferne sehen, aber in all der stillen Weite war keinerlei Bewegung zu erkennen...

Die zweite Nacht kam, und Ull befand sich noch immer zwischen den wilden Gipfeln, das Tal und der Ort, wo er sich ausgeruht hatte, lagen weit hinter ihm. Er hatte die zweite Gebirgskette jetzt fast schon hinter sich gelassen und eilte noch immer dahin. Tagsüber hatte ihn der Durst überkommen, und er bedauerte seinen Leichtsinn. Und doch hätte er nicht bei der Leiche bleiben können, allein im Grasland. Er versuchte, sich das klarzumachen, und so eilte er immer weiter, müde, aber entschlossen.

Und jetzt waren es nur noch ein paar Schritte, bevor sich die Gratwand vor ihm teilen und den Blick auf das Land dahinter freigeben würde. Ull stolperte erschöpft den steinigen Pfad hinunter, stürzte und schlug sich noch mehr auf. Es lag knapp vor ihm, dieses Land, von dem das Gerücht ging, daß hier Menschen gehaust hatten, dieses Land, von dem er in seiner Jugend erzählen gehört hatte. Der Weg war lang, aber sein Ziel war groß. Ein Gesteinsbrocken von gewaltigen Ausmaßen versperrte ihm die Sicht. Er erkletterte ihn voll Bangen. Nun, zu guter Letzt, lag im Licht der untergehenden Sonne sein langgesuchtes Ziel vor ihm. Sein Durst und seine schmerzenden Muskeln waren vergessen, als er voller Freude sah, daß sich ein kleines Häufchen von Gebäuden an der gegenüberliegenden Felswand festklammerte.

Ull ruhte sich nicht aus, sondern rannte, taumelte und kroch, vom Gesehenen angespornt, die letzte halbe Meile dahin. Er bildete sich ein, zwischen den primitiven Hütten Gestalten erkennen zu können.

Die Sonne war beinahe untergegangen, die verhaßte, vernichtende Sonne, welche die Menschheit dahingerafft hatte.

Die Einzelheiten konnte er nicht klar erkennen, aber die Hütten kamen immer näher.

Sie waren sehr alt, denn Lehmblöcke überdauern lange in der schweigenden Trockenheit der sterbenden Welt. Wahrhaftig, wenig veränderte sich bis auf die Lebewesen - die Gräser und diese letzten Menschen.

Vor ihm schwang eine Tür auf groben Scharnieren hin und her. Im schwindenden Licht trat Ull ein, zu Tode erschöpft, und suchte schmerzlich nach den erwarteten Gesichtern.

Dann fiel er weinend zu Boden, denn an dem Tisch lehnte ein vertrocknetes, uraltes Skelett.

Endlich erhob er sich, rasend vor Durst, unter unerträglichen Schmerzen, nachdem er die schrecklichste Enttäuschung erlitten hatte, die einem Sterblichen widerfahren konnte. Er war damals das letzte Lebewesen auf dem Globus. Sein war das Erbe der Erde - alle Länder, und alle waren gleichermaßen nutzlos für ihn. Er raffte sich auf, ohne in dem reflektierten Licht die verschwommene weiße Form anzublicken, und trat durch den Eingang. Er wanderte durch das leere Dorf, suchte nach Wasser und besichtigte traurig diesen seit langem verlassenen Ort, den die stets gleichbleibende Luft so gespenstisch konserviert hatte.

Hier war eine Behausung - dort eine primitive Stätte, wo etwas angefertigt worden war- Tongefäße, die nur Staub enthielten -

und nirgends die geringste Spur einer Flüssigkeit, um seinen brennenden Durst zu löschen.

Und dann erblickte Ull im Mittelpunkt der kleinen Stadt einen Brunnen. Er wußte, was es war, denn von Miaddna hatte er Geschichten über solche Dinge gehört. Mit erbärmlicher Freude schob er sich vorwärts und lehnte sich über den Brunnenrand.

Hier zumindest war er am Ende seiner Suche angelangt. Wasser schleimiges, schales und seichtes Wasser, aber immerhin Wasser vor seinen Augen.

Ull schrie auf wie ein gequältes Tier, griff nach Kette und Eimer. Seine Hand glitt auf der glitschigen Kante aus, und er fiel mit der Brust über den Rand. Einen Augenblick lag er dort, dann stürzte sein Körper den dunklen Schacht hinunter.

Unter leichtem Aufplatschen fiel er in dem trüben, seichten Wasser auf einen seit langem versunkenen Stein, der vor Äonen aus der massiven Einfassung herausgebrochen war. Das aufgewirbelte Wasser glättete sich wieder.

Und nun zuletzt war die Erde tot. Der letzte, armselige Überlebende war zugrunde gegangen. All die wimmelnden Milliarden, die langsam verstreichenden Äonen, die Reiche und Kulturen der Menschheit waren in dieser armen verrenkten Gestalt vereinigt und wie titanisch bedeutungslos war alles gewesen! Nun waren alle Anstrengungen der Menschheit wirklich beendet und hatten ihren Höhepunkt erreicht - welch ungeheuerlicher und unglaublicher Höhepunkt in den Augen der armen, selbstzufriedenen Narren aus den Tagen des Wohlstands!

Niemals mehr würde der Planet die polternden Schritte menschlicher Millionen erleben nicht einmal das Kriechen von Eidechsen und das Summen von Insekten, denn auch sie waren zugrunde gegangen. Jetzt würde die Herrschaft der saftlosen Zweige und der endlosen Felder widerstandsfähiger Gräser anbrechen. Die Erde war, wie ihr kalter, durch nichts zu störender Mond, auf ewig dem Schweigen und der Dunkelheit ausgeliefert.

Die Sterne wanderten weiter. Der ganze gedankenlose Plan würde bis ins unbekannte Unendliche weitergehen. Dieses banale Ende einer unerheblichen Episode hatte nicht die geringste Bedeutung für ferne Sternnebel oder für neugeborene, im Zenith ihrer Kraft stehende oder sterbende Sonnen. Die menschliche Rasse, zu unbedeutend und zu flüchtig, um eine echte Funktion oder einen wahren Zweck zu haben, gab es nicht mehr, es war, als hätte es sie nie gegeben. Die äonenlange Farce ihrer mühseligen Evolution war so ans Ende gelangt.

Als die ersten Strahlen der tödlichen Sonne über das Tal huschten, fand ein Lichtstrahl seinen Weg zu dem erschöpften Gesicht einer zerschmetterten Gestalt, die im Schlamm lag.

Lovecraft fügte dem Rand der letzten Seite dieses Manuskripts folgende Bemerkung an Barlow hinzu:

»Insekten und andere Lebensformen werden den Menschen und die anderen Säugetiere wahrscheinlich wohl überleben..